Entscheidungsdatum
17.06.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W195 2227241-1/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Vizepräsidenten Dr. Michael SACHS als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Bangladesch, vertreten durch XXXX gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.12.2019, XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 02.06.2020 zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger der Volksrepublik Bangladesch, stellte am 27.06.2015, 19 Uhr 20, einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu diesem wurde er am nächsten Tag durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt sowie nach Zulassung des Verfahrens vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) am 29.06.2016 niederschriftlich einvernommen.
Zusammengefasst gab der BF an, dass er bereits im Jänner 2012 Bangladesch verlassen habe. Er sei über verschiedene Länder am 18.03.2012 nach Griechenland gekommen und im April 2015 per Flugzeug zurück nach Bangladesch geschoben worden.
Bei der Erstbefragung gab der BF an, dass er am 19.05.2015 Bangladesch wiederum verlassen habe und er schlepperunterstützt über verschiedene Länder bis nach Österreich gereist sei, wo er am 26.06.2015 angekommen sei. Am nächsten Tag habe er den Asylantrag gestellt.
Zu seinen Ausreisegründen brachte der BF zusammengefasst im Wesentlichen vor, er sei in seinem Heimatland politisch bei der BNP tätig gewesen und es liege eine Anzeige gegen ihn vor. Er habe auch Angst, dass er von der Polizei misshandelt werde.
In der Einvernahme am 29.06.2016 vor dem BFA gab der BF an, dass er am 20.11.1989 (laut Heiratsurkunde: 10.01.1995 ! ) geboren, ein Bengale und sunnitischen Glaubens sei. Er sei verheiratet seit 06.11.2010 (laut vorgelegter Heiratsurkunde: 02.08.2011) mit Sharifa Jahan, (laut Heiratsurkunde: geboren 10.01.1995, gleiches Datum laut Universitätsdokument), und habe eine vierjährige Tochter, welche beide in Bangladesch leben würden und zu denen er Kontakt habe. Nachdem er „im Mai 2015“ nach Bangladesch zurückgekehrt sei habe er das Land am endgültig 18.05.2015 (nach einigen Datums-Korrekturen) verlassen.
In Bangladesch sei er in der Grundschule und auf dem College gewesen, gearbeitet habe er bei seinem Bruder im Geschäft. Es gäbe gegen ihn zwei Anzeigen, eine wegen Mord, die andere wegen Sprengmittel.
Er habe keine Verwandten in Österreich. Er sei Mitglied bei der bengalischen XXXX , beim XXXX , bei der XXXX , beim „ XXXX “, sowie beim XXXX . Bei XXXX “ hätte er ehrenamtliche Tätigkeit ausgeführt.
Deutsch könne er verstehen, aber nicht sprechen. Laut dem Prüfungszeugnis des XXXX vom 02.07.2018 sowie vom 12.09.2018 bestand der BF die Integrationsprüfung B1 nicht; hingegen hat der BF das XXXX Zertifikat A2 erworben.
In Österreich habe er keine Arbeit, aber manchmal gehe er Zeitung verkaufen.
Er sei Mitglied der BNP gewesen und besitze eine Votar Card. Nach bestimmten Parteikriterien befragt konnte der BF diese im Wesentlichen benennen.
Er sei zweimal angezeigt und verhaftet worden; einmal wegen Mordes, einmal nach dem Sprengmittelgesetz. Er sei, als er von Griechenland zurückgeführt worden sei, am Flughafen von Polizisten in Zivil festgenommen worden und habe ein Bekannter eine Kaution von 100.000 Taka für ihn aufgetrieben. Als er frei gelassen worden sei, sei er sofort nach Indien aufgebrochen, weil seine Familie ihm gesagt habe, dass er nicht nach Hause kommen solle.
Zu den schriftlichen Dokumenten befragt, weil Zweifel an deren Echtheit vom BFA geäußert wurden, meinte der BF: „Ja sie haben recht, in Bangladesch kann man vieles kaufen.“. Im Detail könne er sich nicht mehr erinnern, was in den Dokumenten stehen würde.
Am 19.03.2019 erfolgte eine neuerliche Einvernahme vor dem BFA, in welcher er im wesentlichen seine bisherigen persönlichen Daten bestätigte. Seine Ehefrau sei „weggegangen“ bzw würde sie nicht mehr „abheben“ und sei deswegen die mittlerweile siebenjährige Tochter in der Obhut der Schwägerin. Seine Ehefrau lebe in ihrem Elternhaus.
Er habe keine Beziehung in Österreich, aber gute Freunde, welche ihm Empfehlungsschreiben gegeben hätten. Er würde von der Unterstützung der Caritas leben, manchmal am Zeitungsstand aushelfen. Er würde gerne Pfleger lernen. Befragt, ob er sich integriert fühle, antwortete der BF, dass er es nicht sagen könne. Er kenne die Gesetze nicht und es kämen immer wieder neue dazu. Neben den bereits zwei angeführten Anzeigen sei seit 2018 eine weitere Anzeige erstattet worden.
Er sei von 2005 bis 2007 bei der Chattro Dal als Werbesekretär tätig gewesen und gleichzeitig Organisationssekretär in seiner Provinz. In Österreich habe er vor dem Vienna International Center demonstriert. Es gäbe hier in Österreich viele BNP-Leute und habe der BF „unter anderem … deswegen kurz vor der Wahl falsche Anzeigen gegen die BNP Leute eingebracht. Deswegen bekam ich … vor der Wahl auch eine Anzeige“. In dieser Anzeige würde man ihm nach dem Sprengmittelgesetz belangen und er hätte angeblich Molokov Cocktails geworfen, obwohl er hier in Österreich gewesen sei.
Das BFA holte eine deutschsprachige Übersetzung (258 Seiten) der im Verfahren vorgelegten Dokumente ein (Seite 485 bis Seite 743 des Administrativaktes).
Am 02.12.2019 erfolgte eine weitere Einvernahme des BF vor dem BFA. Vorgelegt wurde auch ein arbeitsrechtlicher Vorvertrag von XXXX , XXXX Seine bisherigen Angaben zum Familienstand und seinen Verwandten blieben unverändert aufrecht. Seine Ehefrau und das Kind würden bei seinem Bruder wohnen.
Nachdem er 2012 Bangaldesch verlassen habe, sei er in Griechenland aufgegriffen worden und im Jahr 2015 nach Bangladesch zurückgeschickt worden. Er sei dann am 17.05.2015 über Indien wieder geflüchtet. Die drei Anzeigen gegen ihn würden weiterbestehen. Auf Ungereimtheiten in diesen Dokumenten angesprochen konnte diese der BF nicht erklären und vermeinte, dass er auch hinsichtlich der Daten sich nicht mehr so genau erinnern könne.
Er würde als Zeitungszusteller arbeiten bzw. bei einem Zeitungsstand aushelfen. Eine Beziehung habe er in Österreich nicht.
Am 06.12.2019 erließ das BFA den nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid. Mit diesem Bescheid wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Darüber hinaus wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).
Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich des Status eines Asylberechtigten begründete das BFA im Wesentlichen damit, der BF habe eine Verfolgung in Bangladesch nicht glaubhaft machen können, weswegen dem BF nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt zu werden, drohe. Unter Berücksichtigung der individuellen (persönlichen) Umstände des BF sei nicht davon auszugehen, dass der BF im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland in eine ausweglose Situation gerate, weswegen auch keine Anhaltspunkte für die Gewährung subsidiären Schutzes vorliegen würden. Ebenso wenig lägen Anhaltspunkte für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ vor und zudem würden die öffentlichen Interessen an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens gegenüber den privaten Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen, weswegen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sei. Die Abschiebung des BF sei als zulässig zu bewerten.
Mit Schriftsatz vom 19.12.2019 wurde dieser Bescheid des BFA seitens des – durch XXXX vertretenen – BF wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Gänze angefochten.
Nach kurzer Wiedergabe des bisherigen Verfahrensverlaufes wurde dabei zusammengefasst begründend ausgeführt, der BF habe sein Vorbringen detailliert geschildert. Die Schlussfolgerungen des BFA seien weder nachvollziehbar noch mit den Beweisergebnissen in Einklang zu bringen. Der BF habe detaillierte Angaben gemacht und seine Angaben durch die Vorlage von Urkunden untermauert. Um den Sachverhalt vollständig zu ermitteln hätte das BFA entsprechende Recherchen vor Ort durchführen lassen müssen. Der Umstand, dass das Geburtsdatum des BF in der Anzeige falsch wiedergegeben werde, befreie das BFA nicht von der Ermittlungspflicht. Dem BF sei es objektiv gelungen, eine Verfolgung glaubhaft zu machen.
Hinsichtlich des Privat- und Familienlebens führt die Beschwerde aus, der BF befinde sich seit sieben Jahren in der Europäischen Union. Er befände sich seit vier Jahren ununterbrochen in Österreich. Die lange Verfahrensdauer sei ihm nicht anzulasten, der BF sei in Österreich kulturell, sozial, sprachlich und beruflich integriert.
Es wurden die Anträge gestellt, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, den angefochtenen Bescheid zu beheben und dem BF Asyl bzw. subsidiären Schutz zu gewähren, in eventu, den Bescheid zu beheben und zur Verfahrensergänzung an das BFA zurückzuverweisen sowie eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.
I.13. Mit Schreiben vom 07.01.2020 legte das BFA die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
I.14. Mit der Ladung zur Verhandlung vor dem Bundesverwaltunsgericht wurde dem BF auch das aktuelle Länderinformationsblatt (Stand April 2020) der Staatendokumentation zu Bangladesch zur allfälligen Stellungnahme bis längstens im Rahmen der für den 02.06.2020 angesetzten mündlichen Beschwerdeverhandlung, übermittelt.
I.15. Am 02.06.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Bengali und des ausgewiesenen Rechtsvertreters des BF eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, im Zuge derer der BF ausführlich u.a. zu seinen Fluchtgründen, seinen Rückkehrbefürchtungen, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensverhältnissen in Österreich befragt wurde.
Eingangs wurden 20 Referenzschreiben vorgelegt, welche sehr gut die „Natur“ des BF charakterisieren würden, wie der Vertreter des BF betonte. Diese Referenzschreiben seien auch von Polizisten, Kunden und anderen Personen freiwillig dem BF gegeben worden, wie dieser ausführte.
Der BF tat gleich zu Beginn der Verhandlung kund, dass er Probleme mit Datumsangaben habe; so wusste er nicht das Geburtsdatum seiner Frau („im Jahr 1995“), ebensowenig den Hochzeitstag („2010, Januar“). Sein eigenes Geburtsdatum setzte er mit 20.11.1989 an. Als Geburtsdatum seiner Tochter nannte der BF „2012“, kurz danach „2012 oder 2013“. Er sei ja nicht im Heimatland gewesen und er hätte keinen Kontakt gehabt.
Geistig und körperlich fühlte sich der BF jedoch fähig, der Verhandlung zu folgen.
Gefragt, ob er Kontakt zu seiner Familie habe, sagte der BF aus: „So Kontakt? Nein.“ Gefragt, was er unter „so Kontakt“ verstehe, meinte der BF: „Kontakt mit ihnen heißt mit der Familie, mit dem Kind und der Frau nicht. Ich baue nicht so oft Kontakt auf. Ich habe hier eine Freundin, mit der ich zusammen bin und deswegen kontaktiere ich sie nicht.“
Nachgefragt gab der BF an, dass er „nur mit dem Rechtsanwalt oder dem Bruder oder dem Rechtsanwalt und dem Bruder Kontakt“ habe.
Er hätte nur Kontakt zu dem älteren Bruder, zum anderen Bruder nicht, denn er sei schon lange im Ausland und habe keine gute Beziehung zu ihnen. Seinetwegen seien sie in Schwierigkeiten und deshalb kontaktieren sie sich nicht.
Seine Tochter würde bei seinem älteren Bruder wohnen. Mit diesem würde er alle 2 – 3 Monate telefonieren.
Nachgefragt, wer das Sorgerecht für das Kind ausübe, meinte der BF, dies mache der ältere Bruder. Erst über Nachfrage gestand der BF, dass er das Sorgerecht habe (andere Aussage vor dem BFA: das Sorgerecht habe die Mutter); gefragt, ob dieses nicht der Ehefrau zustehe, meinte der BF, er sei nicht verheiratet, weil er seit zehn Jahren – unter Korrektur – seit 8 Jahren nicht mehr zusammen sei.
Am Ende der Beschwerdeverhandlung wurde der BF nochmals zu seiner Ehefrau befragt. Dabei gab er zuerst an, dass er seine Ehefrau seit zwei Jahren nicht mehr gesprochen habe. Er hätte mit ihr auch keinen Kontakt gehabt, als er 2015 nach Bangladesch zurückgeschoben wurde. Den Kontakt habe er lediglich über den Bruder gehalten, der auch die im Administrativakt enthaltenen Dokumente seiner Ehefrau übermittelte, etwa die Heiratsurkunde, oder die „Application Form“ vom 13.06.2018 von der Universität, welche seine Frau besuche. Der BF habe bei der Einvernahme am 19.03.2019 „das deswegen vorgelegt, da ich mir dachte, wenn ich hierbleiben kann, dann könnte ich auch meine Ehefrau holen und es ist auch ein Beweis dafür, dass ich verheiratet bin. Man sagte mir, dass ich alle Unterlagen von dieser Heirat vorlegen muss“. Nachgefragt, ob der BF seine Ehefrau und das Kind nach Österreich holen wolle, meinte der BF: „Ich weiß nicht einmal, ob es sie als Ehefrau gibt. Ob sie noch will oder nicht. Ihre Sache kann ich nicht sagen. Das Kind würde ich versuchen hierherzuholen, falls es auch will. Ob ihre Mutter das will, kann ich nicht sagen. Außerdem kann ich auch hier heiraten.“
Er habe Bangladesch im Jänner 2012 verlassen und sei bis nach Griechenland gelangt. Er könne sich jedoch nicht mehr genau erinnern. Er sei in Griechenland drei Monate im Gefängnis gesessen und wurde 2015 nach Bangladesch zurückgeschoben. Am Flughafen in XXXX hätten ihn weiß uniformierte Polizisten aufgehalten und stundenlang eingesperrt. Ein sogenannter Bruder habe dann 100.000 Taka bezahlt, es sei ein Cousin vs gewesen.
Er sei dann einen Monat lang auf der Flucht innerhalb Bangladesch in verschiedensten Distrikten gewesen. Er habe mit seinem Vater keinen Kontakt gehabt, erhätte ja auch kein Mobiltelefon gehabt. Er hätte von den weiß uniformierten Polizisten die Möglichkeit erhalten, zu telefonieren und habe den besagten Cousin vs angerufen, dessen Mobiltelefonnummer er auswendig wusste. Dann musste er stundenlang herumsitzen.
Nachgefragt, wieso der BF die Telefonnummer des Cousins wisse, aber nicht das Geburtsdatum seiner Tochter, meinte der BF, dass er es doch nicht auswendig gewusst hätte, sondern auf einen kleinen Zettel notiert hatte.
Er hätte in diesen einen Monat mit niemandem sonst von seiner Familie Kontakt gehabt; gearbeitet hat der BF auch nicht in diesem Monat.
Der Cousin hätte alles finanziert, die angesprochenen 100.000 Taka, seinen Lebensunterhalt während des einmonatigen Aufenthaltes in Bangladesch sowie die Kosten des neuen Schleppers.
Nachgefragt, gab der BF an, dass er nicht wisse, ob von seiner Familie dieser Cousin etwas bekommen habe, wie viel und wie.
Insgesamt hab er um die 9.000 Euro (ca 900.000 Taka) verbraucht.
Im Laufe der Verhandlung führte der BF dazu aus, dass der ältere Bruder, welcher ein Geschäft hätte, dies bezahlt habe. Über Nachfrage des Vertreteres der BF kristallisierte sich heraus, dass die Familie des BF alle Kosten übernahm. Damit wurde auch das angespannte Verhältnis zur Familie verständlicher.
In Österreich habe der BF keine Verwandten, auch kein Kind, nur Freunde. Diese kenne er von der gemeinsamen Arbeit.
Darüber hinaus habe er ein Mädchen kennengelernt und es sei „eine Beziehung entstanden“. Ihr Name sei „Christina“, er habe sie vor kurzem in der Arbeit kennengelernt. Sie sei „32,33,31“, er wisse es nicht genau, da man Frauen nicht danach frage, „da werden sie wütend“. Sie würden nicht zusammenwohnen, so intim sei es nicht, sie würden sich manchmal treffen zum Kaffee trinken und um Zeit miteinander zu verbringen. Sie arbeite beim „ XXXX “, dort wo der BF die Zeitungsarbeit mache. Sie wisse jedoch nicht, dass der BF einen Asylantrag gestellt habe, er „habe ihr solche Sachen noch nicht so erzählt.“ Sie würden sich auf Deutsch miteinander unterhalten, manchmal auf Englisch oder mit dem Übersetzer auf Google.
Die Deutschkenntnisse des BF seien auf dem Niveau A2, die B1 Prüfung habe der BF dreimal nicht geschafft. Im Rahmen der Verhandlung vor dem BVwG konnte sich der VP von den Deutschkenntnissen auf dem angegebenen Niveau überzeugen.
Der BF arbeite derzeit in der Zeitungszustellung und im Zeitungsverkauf. Er verdiene damit mehr als 1.000 Euro, meistens zwischen 1.300 und 1.400 Euro (auf der am 09.06.2020 vom Vertreter des BF nachträglich – trotz seit der Verhandlung vom 02.06.2020 bestehenden Schlusses des Beweis- und Ermittlungsverfahrens - eingebrachten Abrechnung für Mai 2020 wurden dem BF ca. 1.045 Euro netto als Überweisungsbetrag ausgewiesen). Für die Wohnung, welche er sich mit 3 Freunden teile, zahlen sie 750 – 800 Euro pro Monat.
Er sei Mitglied der XXXX und – vom rechtsfreundlichen Vertreter befragt, ob er aktiv sei – meinte der BF, er gehe manchmal hin, denn oft sind Veranstaltungen nachmittags und er arbeite ja.
Auf die bisher dargestellte ehrenamtliche Tätigkeit wurde verwiesen.
Befragt nach seinem Fluchtgrund gab der BF an, dass gegen ihn Anzeigen vorlägen.
Der BF habe bereits am College Politik gemacht. Das College habe er nicht abgeschlossen, weil die Anzeige im 2. Semester gekommen sei und der BF angeblich fliehen musste.
Die erste Anzeige sei wegen Mord. Die zweite Anzeige wegen Behinderung der Staatsarbeit, unrechtmäßige Versammlung und die dritte wegen Bombenwurfes.
Der BF könne sich an die genauen Daten nicht mehr erinnern. Über Nachfrage gab der BF den 23.04.2012 an. Die zweite Anzeige stamme aus 2013, sie müsste vom 13.12.2013 sein. Die dritte sei von „2018, am 24. irgendetwas“.
Ein Anwalt würde sich um die Anzeigen kümmern, aber es hätte Verzögerungen bei der Dokumentenbeschaffung gegeben.
Der BF sei Mitglied der BNP, er sei für einen Wahlsprengel zuständig gewesen in den Jahren 2005 – 2007/08. Er habe dies auch in Griechenland erzählt. Der BF sei ca zwei bis zweieinhalb Jahre in Griechenland gewesen. Nachgefragt, wieso die Dokumetenbeschaffung so lange gedauert habe, meinte der BF, es hätte Probleme, einige Auseinandersetzungen wegen des Geldes gegeben, welches aufgebracht wurde. Nur die Familie hätte den Anwalt kontaktieren können und die Familie hätte das Geld dafür aufbringen müssen; es habe deswegen viele Streitereien gegeben.
Über Befragung des rechtsfreundlichen Vertreters führte der BF aus, dass die Anzeigen gegen den BF von der Polizei erfolgten, weil der BF Werbesekretär der BNP auf Bezirksebene gewesen sei. Es seien alle Anzeigen politisch motiviert.
Abschließend ersuchte der BF auch zu bewerten, dass er während der Corona-Pandemie seinen Beitrag zur Bewältigung geleistet habe und er freiwillig viele Referenzschreiben erhalten habe. Er wolle einen Pflegeberuf erlernen und in Österreich bleiben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen:
II.1.1. Zur Person des BF, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensumständen in Österreich:
Der volljährige BF ist Staatsangehöriger von Bangladesch und der Volksgruppe der Bengalen sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft zugehörig. Seine Muttersprache ist Bengali.
Der BF hat in seinem Heimatland für zehn Jahre die Schule besucht und das College besucht, dies jedoch ohne es abzuschließen. In Bangladesch hat der BF im Geschäft seines Bruders gearbeitet.
Festgestellt wird, dass der BF regelmäßig die wichtigsten Daten im Leben eines Menschen nicht wiedergeben konnte und sich regelmäßig dabei widersprach; dies hat seine Glaubwürdigkeit sehr belastet. Der BF widersprach sich aber nicht nur bei den Daten, sondern versuchte, die bestehenden Familienbande als äußerst dünn darzustellen, beispielsweise wurde der BF erst nach intensiver Befragung hinsichtlich der Kostentragung seiner schlepperunterstützten Flucht sowie der behaupteten Anwaltskosten auskunftsfreudiger.
Der BF ist verheiratet und hat eine Tochter. Die Ehefrau wohnt wieder im Elternhaus, die Tochter bei dem älteren Bruder in Bangladesch. Der BF hat weitere Geschwister und einen Vater in Bangladesch, die Mutter ist verstorben. Zwischen dem BF und seinem älteren Bruder besteht aufrechter, aber selten Kontakt.
Der BF hatte die Überlegung im Falle der Zuerkennung eines Aufenthaltstitels zumindest seine Tochter, allenfalls die Ehefrau nach Österreich zu holen.
Der BF hat im Jänner 2012 Bangladesch verlassen. Er ist über verschiedene Länder am 18.03.2012 nach Griechenland gekommen und im April 2015 mangels Asylberechtigung per Flugzeug zurück nach Bangladesch geschoben worden.
Am 19.05.2015 hat der BF Bangladesch wiederum verlassen und er ist schlepperunterstützt bis nach Österreich gereist, wo er am 26.06.2015 angekommen sei. Am nächsten Tag habe er den Asylantrag gestellt.
Die Kosten für den Aufenthalt in Bangladesch sowie die nochmalige Schleppung einschließlich der Anwaltskosten für die Beschaffung der Dokumente habe die Familie getragen und seien darüber Streitigkeiten ausgebrochen.
Der BF hat keine Verwandten in Österreich
Der BF vermeint, eine Beziehung zu haben; er lebt jedoch nicht mit dieser Bekannten zusammen, weil sie noch nicht so intim wären; sie würden sich unterhalten, Kaffee trinken etc. Seine Bekannte wisse nicht, dass der BF Asylwerber sei.
Der BF ist Mitglied in verschiedensten Vereinen, welche zumeist bengalischen Bezug haben, und habe einige österreichische Freunde. Der BF verweist auf 20 Referenzschreiben.
Deutsch könne er verstehen, aber nicht sprechen. Laut dem Prüfungszeugnis des ÖIF vom 02.07.2018 sowie vom 12.09.2018 bestand der BF die Integrationsprüfung B1 nicht; hingegen hat der BF das ÖSD Zertifikat A2 erworben, was er auch beim Sprechen in der Beschwerdeverhandlung unter Beweis stellte.
Der – grundsätzlich – gesunde BF lebt von seiner Arbeit im Zeitungsvertrieb. Er erhält regelmäßig über 1.000 Euro netto pro Monat. Er wohnt mit drei Freunden in einer Wohnung, welche insgesamt an die 800 Euro kostet.
Der BF ist strafrechtlich unbescholten, gesund und arbeitsfähig.
I.1.2. Zum Fluchtvorbringen des BF:
Festgestellt wird, dass der BF 2015 von Griechenland mangels Asylberechtigung nach Bangladesch zurückgeschoben wurde.
Festgestellt wird somit, dass es dem BF nicht gelungen ist, eine politische Verfolgung, die eine (europarechtliche) Asylrelevanz hätte, für die Zeit vor 2015 glaubhaft zu machen.
Festgestellt wird, dass eine Anzeige für den Zeitraum nach seiner durchgängigen Anwesenheit in Österreich, insbesondere aus 2018, keinen asylrelevanten Grund darlegen kann, weil der BF ohne große Schwierigkeiten nachweisen könnte, dass diese Anzeige eine falsche Anzeige wäre. Festgestellt wird, dass es dem BF aber auch nicht gelungen ist, diese von ihm vorgelegte Anzeige mit Glaubwürdigkeit zu unterlegen.
Festgestellt wird, dass der BF selbst hinsichtlich von verschiedensten Dokumenten ausführte, dass man in Bangladesch „alles Mögliche kaufen könnte“.
Festgestellt wird, dass das BFA in vorbildlicher Weise alle Dokumente des BF einer Übersetzung zuführte, sich jedoch aus diesen Übersetzungen keine asylrelevanten Ereignisse ergeben.
Festgestellt wird, dass der BF wegen des behaupteten Nachfluchtgrundes, nämlich der Teilnahme an einer Demonstration vor dem Vienna International Center, keine relevanten Darlegungen tätigte, die darauf hindeuten könnten, dass das Herkunfstland davon überhaupt Notiz genommen habe, geschweige denn von der angeblichen politischen Aktivität des BF Kenntnis erlangte, und dies zu einer politischen Verfolgung durch staatliche Autoritäten führen würde.
Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF im Falle einer Rückkehr ein nicht-faires Verfahren drohen würde. Allfälligen Behelligungen kann der BF durch eine Niederlassung in anderen Landesteilen ausweichen.
II.1.3. Zur maßgeblichen Lage in Bangladesch:
1. Politische Lage
Letzte Änderung: 06.04.2020
Bangladesch – offizielle Bezeichnung Volksrepublik Bangladesch (People's Republic of Bangladesh / Ga?apraj?tantr? B??l?de?) ist seit 1991 eine parlamentarische Demokratie (GIZ 11.2019a). Das Land befindet sich größtenteils in der Deltaebene, die durch die Mündung der Flüsse Ganges und Brahmaputra in den Golf von Bengalen (Indischer Ozean) gebildet wird. Nachbarstaaten sind Indien (Westen, Norden und Osten) und Myanmar (Südosten). Die Hauptstadt ist Dhaka (ca. 20 Millionen Einwohner). Auf einer Fläche von ca. 148.000 km² (CIA 13.3.2020) leben etwa 163 Millionen Einwohner (CIA 13.3.2020; vgl. GIZ 3.2020, AA 6.3.2020a). Bangladesch ist mit 1.127 Einwohnern pro Quadratkilometer, der am dichtesten besiedelte Flächenstaat der Welt (zum Vergleich: Österreich 104 Einwohner pro km²) (WPR o.D.; vgl. AA 6.3.2020a).
Das Staatsoberhaupt ist der Präsident, der vom Parlament alle fünf Jahre gewählt wird. Eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Er übt größtenteils zeremonielle Funktionen aus, während die Macht in den Händen des Premierministers als Regierungschef liegt. Dieser wird von der stärksten im Parlament vertretenen Partei nominiert und vom Präsidenten formell ernannt. Der Premierminister ernennt die Regierungsmitglieder, die vom Präsidenten bestätigt werden. Nach Ende der fünfjährigen Legislaturperiode bildet der Präsident unter seiner Führung eine unabhängige Übergangsregierung, deren verfassungsmäßige Aufgabe es ist, innerhalb von 90 Tagen die Voraussetzungen für Neuwahlen zu schaffen (ÖB 8.2019; vgl. GIZ 11.2019a). Zusätzlich obliegt dem Premierminister die Kontrolle der Geheimdienste, der Streitkräfte und der paramilitärischen Einheiten (GIZ 11.2019a).
Das Parlament (National Parliament oder Jatiya Sangsad) besteht aus einer Kammer mit 300, in Einzelwahlkreisen auf fünf Jahre direkt gewählten, Abgeordneten (ÖB 8.2019) mit zusätzlichen 50 Sitzen, die nur für Frauen reserviert sind (USDOS 11.3.2020; vgl. GIZ 11.2019a). Diese werden nicht direkt durch eine Wahl vergeben, sondern durch die Parteien, die es ins Parlament schaffen, nominiert (GIZ 11.2019a; vgl. USDOS 11.3.2020). Das Parlament tagt nicht während der Amtszeit der Übergangsregierung. Das Mehrheitswahlrecht führt zu stabilen Mehrheiten im Parlament und hat die Herausbildung der Bangladesch Nationalist Party (BNP) und der Awami League (AL) als dominierende und konkurrierende Parteien begünstigt. Während die konservative BNP Verbündete bei den islamistischen Parteien wie der Jamaat-e-Islami (JI) hat, bekommt die AL traditionell Unterstützung von linken und säkularen Parteien, wie der Arbeiterpartei, der liberaldemokratischen Partei, der national-sozialen Partei Jatiyo Samajtantrik Dal und jüngst auch von der Jatiya Partei, unter dem ehemaligen Militärdiktator Hossain Mohammad Ershad (ÖB 8.2019).
Das politische Leben wird durch die beiden dominierenden und konkurrierenden größten Parteien, die „Awami League“ (AL) und „Bangladesh Nationalist Party“ (BNP) bestimmt (ÖB 8.2019). Klientelismus und Korruption sind weit verbreitet. Gewerkschaften, Studentenorganisationen, Polizei und Verwaltung sind parteipolitisch durchdrungen (AA 22.7.2019; vgl. DGVN 2016). Beide Parteien haben keine demokratische interne Struktur und werden von Familien geführt, die Bangladesch seit der Unabhängigkeit geprägt haben (FH 2020).
Seit 2009 ist Sheikh Hasina Wazed von der Awami League (AL) Premierministerin (GIZ 11.2019a; vgl. ÖB 8.2019). Im Jänner 2019 wurde Sheikh Hasina für ihre vierte Amtszeit, die dritte Amtszeit in Folge, als Premierministerin angelobt. Im Februar 2019 gab sie bekannt, dass sie nach dieser Amtszeit an die „junge Generation“ übergeben wolle (DW 14.2.2019).
Bei den elften bangladeschischen Parlamentswahlen vom 30.12.2018 erzielte die „Große Allianz“ um die regierende AL einen Erdrutschsieg mit 96 % der Stimmen und 289 der 300 zur Wahl stehenden Parlamentssitze (Guardian 30.12.2018; vgl. BN24 31.12.2018, DT 27.1.2019, DS 10.1.2019, DW 14.2.2019), wobei in zwei Wahlkreisen aufgrund von Gewalt (DS 10.1.2019) bzw. dem Tod eines Kandidaten Nachwahlen notwendig waren (DT 27.1.2019).
Es gibt Berichte über Wahlmanipulation. Die Opposition verurteilte die Wahl als „Farce“ und fordert die Annullierung des Ergebnisses und Neuwahlen. Die Regierungspartei weist die Manipulationsvorwürfe und Neuwahlforderungen zurück und nennt die Wahl „völlig frei und unabhängig“ (BBC 31.12.2018). In einer vorläufigen Bewertung erklärten Wahlbeobachter der SAARC (South Asian Association for Regional Cooperation), dass die Wahl „viel freier und fairer“ ablief als die vorherigen (Hindu 1.1.2019). Bereits im Vorfeld der Wahl kam es zu Gewalt zwischen rivalisierenden Anhängern und zu harten Vorgehen der Regierung (BBC 31.12.2018; vgl. Hindu 1.1.2019). Die Wahlen vom 30. Dezember 2018 waren durch Übergriffe auf Oppositionelle, willkürliche Verhaftungen und Einschüchterungen der Stimmberechtigten gekennzeichnet (HRW 14.1.2020). Am Wahltag waren rund 600.000 Sicherheitskräfte, darunter Armee und paramilitärische Truppen, im Einsatz, um die Gewalt einzudämmen (Guardian 30.12.2018). Frühzeitig wurde die Wahl durch die Wahlkommission als frei und fair bezeichnet. Unregelmäßigkeiten wurden nicht untersucht. Stattdessen wurden Journalisten wegen ihrer Berichterstattung verhaftet (HRW 14.1.2020). Es wurden mindestens 17 Menschen bei Zusammenstößen zwischen Anhängern der regierenden Partei und der Opposition getötet (Reuters 1.1.2019).
Die oppositionelle BNP hat aufgrund ihrer starken gesellschaftlichen Verankerung das Potenzial, durch Generalstreiks großen außerparlamentarischen Druck zu erzeugen (GIZ 11.2019a).
Infolge der Dominanz der AL und der fehlenden, innerparteilichen Demokratie hat de facto die exekutive Spitze das ausschließliche Sagen bei Gesetzesentwürfen. Wie schon die Vorgängerregierungen baut auch die gegenwärtige AL-Regierung ihre Netzwerke in Verwaltung, Rechtswesen und Militär aus. Verschärfend kommt hinzu, dass die BNP als vormals größte Oppositionspartei das Wahlergebnis angefochten hatte und nun nicht mehr im Parlament vertreten ist (GIZ 11.2019a).
Die erste Verfassung trat 1972 in Kraft und setzte neben der demokratischen Staatsform auch Säkularismus, Sozialismus und Nationalismus als Ziele fest. Nach zahlreichen Verfassungsänderungen wurde 1988 der Islam als Staatsreligion eingeführt bei gleichzeitiger verfassungsrechtlicher Verankerung des Rechts auf friedliche Ausübung anderer Religionen (ÖB 8.2019). Die verfassungsändernde Mehrheit der AL im Parlament führt zu einer enormen Machtkonzentration. Gesetzesinitiativen schränken den Spielraum der Zivilgesellschaft weiter ein (ACCORD 12.2016). Die Ankündigung von PM Sheik Hasina, ein Tribunal einzusetzen, um erstmals die Verantwortlichen für die Kriegsverbrechen im Unabhängigkeitskrieg 1971, aber auch für die Ermordung ihres Vaters und Staatsgründers Sheikh Rajibur Rahman 1975 sowie versuchte Mordanschläge auf ihr eigenes Leben 2004 zur Rechenschaft zu ziehen, stoßen in gewissen (pro-pakistanischen Kreisen) in Bangladesch auf heftigen Widerstand (ÖB 8.2019).
Die Kommunalwahlen 2019 fanden an fünf verschiedenen Wahltagen zwischen 10.3. und 18.6.2019 statt (bdnews24 20.6.2019; vgl. bdnews24 3.2.2019). Nachdem die BNP und einige andere Parteien die Wahlen boykottierten, wurde eine niedrige Wahlbeteiligung beobachtet (bdnews24 20.6.2019; vgl. DS 10.3.2019). Die Kandidaten der AL waren in 317 von 470 Upazillas [Landkreisen] siegreich, in 149 Upazillas gewannen unabhängige Kandidaten, die vorwiegend abtrünnige der Regierungsparteien sind. In 115 Upazillas gab es keine Gegenkandidaten (bdnews 20.6.2019). Für die Nachwahlen in insgesamt 8 Upazillas am 14.10.2019 kündigte die BNP jedoch eine Teilnahme an (PA 8.9.2019).
Der Verwaltungsaufbau von Bangladesch ist zentralistisch: Das Land ist in acht Regionen (Divisions), 64 Bezirke (Districts), 92 Landkreise bzw. Großstädte (Upazilas / City Corporations), über 4.500 Gemeindeverbände (Union Councils / Municipalities) und circa 87.000 Dorfgemeinden gegliedert (ÖB 8.2019). Im Gebiet der Chittagong Hill Tracts gilt eine besondere Verwaltung, die der lokalen (indigenen), nicht-bengalischen Bevölkerung verstärkte Mitwirkungsmöglichkeiten einräumen soll (ÖB 8.2019).
Quellen:
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? ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (12.2016): Länderkurzübersicht Bangladesch, https://www.ecoi.net/en/file/local/1047992/90_1485186416_122016-bangladesch.pdf, Zugriff 2.4.2020
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2. Sicherheitslage
Letzte Änderung: 06.04.2020
Der Hass zwischen den politischen Parteien, insbesondere Awami League (AL) und die Bangladesch National Party (BNP), ist für den größten Teil an Gewalt im Land verantwortlich (ACLED 9.11.2018). Die regierende Awami-Liga (AL) hat ihre politische Macht durch die nachhaltige Einschüchterung der Opposition, wie auch jener mit ihr verbündet geltenden Kräfte, sowie der kritischen Medien und Stimmen in der Zivilgesellschaft ausgebaut (FH 2020). Beide Parteien sind – gemeinsam mit unidentifizierten bewaffneten Gruppen – in Vandalismus und gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt und greifen auch friedliche Zivilisten an (ACLED 9.11.2018).
Von nicht-staatlichen Akteuren (insbesondere Opposition, Islamisten, Studenten) geht nach wie vor in vielen Fällen Gewalt aus. Die öffentliche Sicherheit ist fragil. Das staatliche Gewaltmonopol wird durchbrochen. Es kommt häufig zu Morden und gewalttätigen Auseinandersetzungen aufgrund politischer (auch innerparteilicher) oder krimineller Rivalitäten. Eine Aufklärung erfolgt selten. Die großen Parteien verfügen über eigene „Studentenorganisationen“. Mit dem stillschweigenden Einverständnis der Mutterparteien fungieren diese bewaffneten Organisationen als deren Schild und Schwert. Ihr Mitwirken im politischen Prozess ist eine der wichtigsten Ursachen für die politische Gewalt in Bangladesch (AA 22.7.2019).
Spontane Streiks und Kundgebungen können jederzeit stattfinden (BMEIA 18.3.2020; vgl. AA 22.3.2020), dabei können Kämpfe zwischen Sicherheitsbehörden und Demonstranten, Brandstiftung, Gewalt und Vandalismus unvorhergesehen auftreten (UKFCO 29.3.2020a).
Gewalt gegen Zivilisten oder staatliche Kräfte durch Rebellen macht einen relativ kleinen Anteil an allen Gewaltereignissen aus. Es gibt radikale islamistische Gruppen wie die Mujahideen Bangladesh (JMB) und Ansarullah Bangla Team (ABT). Sowohl der Islamische Staat (IS) und Al Qaeda in the Indian Subcontinent (AQIS) geben an, in Bangladesch aktiv zu sein, was von der Regierung jedoch dementiert wird (ACLED 9.11.2018). 2017 kam es zu fünf Selbstmordattentaten mit Todesfolge, zu denen sich der Islamische Staat bekannte (BMEIA 18.3.2020; vgl. SATP 2.4.2020). 2019 gab es mehrere Angriffe gegen Polizei und Sicherheitskräfte in Dhaka und in der Stadt Khulna. Am 29.2.2020 erfolgte ein Anschlag auf die Polizei in Chittagong, bei welchem auch improvisierten Sprengkörper (IEDs) eingesetzt worden sind. Die bangladeschischen Behörden sind weiterhin in höchster Alarmbereitschaft und vereiteln geplante Angriffe. Es wurde eine Reihe von Verhaftungen vorgenommen. Einige Operationen gegen mutmaßliche Militante haben ebenfalls zu Todesfällen geführt (UKFCO 29.3.2020b). Extremistische Gruppen führen Angriffe auf Angehörige vulnerabler Gruppen durch (USDOS 11.3.2020; AA 27.7.2019). In vielen Fällen ist nicht eindeutig differenzierbar, ob religiöse Motive oder säkulare Interessen, wie z.B. Racheakte oder Landraub, Grund für die Vorfälle sind. Sicherheitsbehörden reagieren manchmal nicht zeitnah bzw. überhaupt nicht auf religiös motivierte Vorfälle (AA 22.7.2019).
In der Division Chittagong, insbesondere im Gebiet der Chittagong Hill Tracts (Bezirke Rangamati, Khagrachari und Bandarban) kommt es zu bewaffneten Unruhen und kriminellen Übergriffen (AA 22.3.2020; vgl. UKFCO 29.3.2020a, AI 30.1.2020). Im südöstlichen Verwaltungsbezirk Cox’s Bazar der Gebietsverwaltung Chittagong hat es zuletzt unter anderem in der Nähe von Flüchtlingslagern vereinzelt gewalttätige Zwischenfälle gegeben. Es gibt Berichte über Sicherheitsprobleme, Protestkundgebungen sowie Gewalttätigkeiten und Unruhen sowohl in der örtlichen Bevölkerung als auch unter den Bewohnern der Lager, nachdem ein lokaler politischer Führer ermordet worden ist (HRW 18.9.2019; vgl. AA 5.11.2019, TDS 24.8.2019).
Im März 2019 wurden bei den Kommunalwahlen im Gebiet Baghicahhari im Norden des Distrikts Rangamati mehrere Wahl- und Sicherheitsbeamte getötet (UKFCO 29.3.2020a).
An der Grenze zu Indien kommt es gelegentlich zu Schusswechseln zwischen indischen und bangladeschischen Grenzwächtern. Regelmäßig werden Menschen getötet, die versuchen, illegal die Grenze zu überqueren (UKFCO 29.3.2020a).
Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 907 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt. Im Jahr 2017 wurden 812 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2018 kamen 940 Menschen durch Terrorakte ums Leben. 2019 belief sich die Opferzahl terrorismus- relevanter Gewalt landesweit auf insgesamt 621 Tote. Bis zum 5.3.2020 wurden 81 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 17.3.2020).
Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2017 insgesamt 263 Vorfälle terrorismus-relevanter Gewalt. Im Jahr 2018 wurden 135 solcher Vorfälle verzeichnet und 2019 wurden 104 Vorfälle registriert. Bis zum 2.4.2020 wurden 29 Vorfälle terroristischer Gewaltanwendungen registriert (SATP 2.4.2020).
In der Monsunzeit von Mitte Juni bis Mitte Oktober muss mit Überschwemmungen gerechnet werden, im südlichen Landesdrittel von Oktober bis November und Mitte April bis Mitte Mai grundsätzlich auch mit Wirbelstürmen (AA 22.3.2020). Regelmäßig wiederkehrende Überschwemmungen sowie die Erosion von Flussufern führen zu einer umfangreichen Binnenmigration (AA 22.7.2019; vgl. Kaipel 2018). Die Kriminalität ist hoch, insbesondere Raubüberfälle (BMEIA 18.3.2020).
Quellen:
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? AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (22.7.2019): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch, https://www.ecoi.net/en/file/local/2014277/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2019%29%2C_22.07.2019.pdf, Zugriff 19.3.2020
? ACLED – Armed Conflict Location & Event Data Project (9.11.2018): The Anatomy of Violence in Bangladesh, https://www.acleddata.com/2018/11/09/the-anatomy-of-violence-in-bangladesh/, Zugriff 6.3.2019
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? AI – Amnesty International (30.1.2020): Human Rights in Asia-Pacific; Review of 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2023864.html, Zugriff 2.4.2020
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? Kaipel, Simione Christina (2018): „Globaler Wandel – regionale Krisen? Ökologische und sozioökonomische Perspektiven umweltbedingter Migrationsflüsse“, Masterarbeit, Seite 41 – 54, http://othes.univie.ac.at/54839/1/56687.pdf, Zugriff 2.4.2020
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? SATP - South Asia Terrorism Portal (2.4.2020): Data Sheet – Bangladesh,
Yearly Sucide Attacks, Advance Search 2000 - 2020, https://www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/incidents-data/bangladesh, Zugriff 6.4.2020
? TDS – The Daily Star (24.8.2019): Jubo League leader killed by ‘Rohingyas’, https://www.thedailystar.net/frontpage/news/jubo-league-leader-killed-rohingyas-1789726, Zugriff 15.1.2020
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? USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026382.html, Zugriff 24.3.2020
3. Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung: 06.04.2020
Das Gerichtssystem besteht aus zwei Instanzen, den untergeordneten Gerichten (Magistrates, Session- und District Judges) und dem Obersten Gerichtshof (Supreme Court). Beide verhandeln Zivil- und Strafrechtssachen. Das Rechtssystem beruht weitgehend auf dem englischen „Common Law“. Der Oberste Gerichtshof besteht aus zwei Abteilungen, dem „High Court“, der Verfassungsfragen verhandelt und als Berufungsinstanz zu den erstinstanzlichen Gerichten fungiert, sowie dem „Appellate Court“, dessen Entscheidungen für alle übrigen Gerichte bindend sind. Die Richter beider Abteilungen werden gemäß der Verfassung vom Präsidenten ernannt (ÖB 8.2019).
Die Unabhängigkeit der Richter wird von der Verfassung garantiert. In der Praxis unterstellt allerdings eine schon lange geltende temporäre Bestimmung der Verfassung die erstinstanzlichen Richter der Exekutive. Auch ihre Ernennung und Remuneration ist Sache der Exekutive. Demgegenüber haben die Richter des Obersten Gerichtshofs des öfteren ihre Unabhängigkeit demonstriert und gegen die Regierung entschieden (ÖB 8.2019). Gemäß einer Verfassungsänderung können Richter abgesetzt werden (AA 22.7.2019).
Auf Grundlage mehrerer Gesetze („Public Safety Act“, „Law and Order Disruption Crimes Speedy Trial Act”, “Women and Children Repression Prevention Act”, „Special Powers Act“) wurden Sondertribunale errichtet, die Fälle innerhalb eines festgesetzten Zeitrahmens erledigen müssen. Es fehlen allerdings Vorschriften für den Fall, dass sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen. Diese „Speedy Trial“ Tribunale haben Medienberichten zufolge in den vergangenen Jahren mehrere Hundert Personen zum Tode verurteilt (ÖB 8.2019).
Wie die meisten Beobachter von Bangladesch übereinstimmend angeben, stellen Korruption, Ineffizienz der Justiz, gezielte Gewalt gegen Richter und ein gewaltiger Rückstau an offenen Fällen große Probleme dar (ÖB 8.2019; vgl. FH 2020). Strafanzeigen gegen Mitglieder der regierenden Partei werden regelmäßig zurückgezogen (FH 2020). Die schiere Zahl der gegen die politische Opposition eingeleiteten Klagen im Vorfeld zur 11. Parlamentswahl vom 30.12.2018, deutet auf ein ungehindertes Spielfeld und die Kontrolle der Regierungspartei über die Justiz- und Sicherheitsinstitutionen hin (FIDH 29.12.2018).
Zwei Drittel aller Streitfälle erreichen nicht das formelle Justizsystem, sondern werden von informellen Dorfgerichten oder bedeutenden Persönlichkeiten der lokalen Gemeinschaften entschieden. Diese behandeln meist Fälle betreffend Familienrecht, Unterhalt, Zweitehen, Mitgiftstreitigkeiten und Landeigentum. Obwohl diese „Gerichte“ eine durch Tradition legitimierte, schnellere und günstigere Alternative zu ordentlichen Gerichten darstellen, sind sie hinsichtlich der Einflussnahmemöglichkeiten durch lokal bedeutsame Persönlichkeiten sowie der gesellschaftlichen Stellung von Frauen nicht unproblematisch. Die islamische Scharia ist zwar nicht formell als Gesetz eingeführt, spielt aber insbesondere in den Bereichen des Zivilrechts (Erbschaft, Grunderwerb, Heirat und Scheidung etc.) eine große Rolle (ÖB 8.2019).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (22.7.2019): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch, https://www.ecoi.net/en/file/local/2014277/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2019%29%2C_22.07.2019.pdf, Zugriff 19.3.2020
? FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 1.4.2020
? FIDH - International Federation for Human Rights (Hg.) (29.12.2018): Joint statement on the undemocratic electoral environment in Bangladesh, ht