Entscheidungsdatum
25.06.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z5Spruch
W169 2153738-2/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Barbara MAGELE als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.03.2020, Zl. 1096388101-200242325, zu Recht erkannt:
A)
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid hinsichtlich der Spruchpunkte I. und III. – VI. gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG ersatzlos behoben.
II. Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird dahingehend abgeändert, dass dem Antrag vom 08.01.2020 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 stattgegeben und XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 03.03.2022 erteilt wird.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 24.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.03.2017, Zl. 1096388101-151850102, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.) und ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt (Spruchpunkt II.). Gleichzeitig wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 4 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 03.03.2018 erteilt (Spruchpunkt III.).
Die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde im Wesentlichen mit der schlechten Sicherheitslage und den mangelnden familiären Anknüpfungspunkten begründet.
Dieser Bescheid erwuchs hinsichtlich seiner Spruchpunkte II. und III. mangels Anfechtung in Rechtskraft.
3. Auf Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.03.2018 die befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter um zwei Jahre verlängert.
4. Mit Schreiben vom 08.01.2020 stellte der Beschwerdeführer einen weiteren Antrag auf Verlängerung seines Aufenthaltstitels als subsidiär Schutzberechtigter.
5. Am 03.03.2020 wurde der Beschwerdeführer durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen.
Dabei gab er im Wesentlichen an, dass er unter psychischen Schwierigkeiten leide. Er sei ledig und kinderlos. Er habe in Österreich Deutschkurse besucht und kurz gearbeitet; momentan sei er auf Arbeitssuche. Er sei nicht Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation. Seit kurzem lebe ein Cousin mütterlicherseits in Österreich.
Der Beschwerdeführer sei im Alter von vier Jahren mit seiner Familie in den Iran ausgereist. Dort habe er fünf Jahre eine Schule besucht und sodann etwa vier Jahre als Teppichknüpfer, eine Zeit lang auf Baustellen und schließlich in der Herstellung von Türrahmen gearbeitet, bevor er nach Europa ausgereist sei. In Afghanistan habe er keine Angehörigen. Seine Familie und seine Onkel und Tanten würden im Iran leben. Er habe zuletzt einen oder zwei Tage vor der Einvernahme Kontakt mit seinem Bruder gehabt. Der Familie gehe es gut, finanziell mittelmäßig. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan habe der Beschwerdeführer Angst vor der allgemeinen Sicherheitslage. Zudem sei der Beschwerdeführer im Iran aufgewachsen und denke anders als die Menschen in Afghanistan.
Gemäß Protokoll der Einvernahme wurden die aktuellen Länderfeststellungen zur Situation in Afghanistan vom 13.11.2019 dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht.
Vom Beschwerdeführer vorgelegt wurden ein Patientenbrief und ein Entlassungsbrief des Krankenhaus Hietzing vom September 2019, wonach der Beschwerdeführer an Hypotonie und einer leichten depressiven Episode leide. Diagnostiziert wurde weiters ein fragliches kollaptisches Geschehen sowie eine fragliche posttraumatische Belastungsstörung.
6. Laut Aktenvermerk des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.03.2020 bestehe für den Beschwerdeführer in Afghanistan eine taugliche innerstaatliche Fluchtalternative, weshalb davon auszugehen sei, dass der Tatbestand des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG erfüllt sei.
7. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 03.03.2017 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und der Antrag des Beschwerdeführers vom 08.01.2020 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II.). Dem Beschwerdeführer wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.) und ausgeführt, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).
Begründend führte die belangte Behörde aus, dass die Gründe für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nie vorgelegen hätten, weshalb ihm dieser abzuerkennen und der Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung abzuweisen sei. Der Beschwerdeführer erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens nicht entgegen, da eine maßgeblich ausgeprägte und verfestigte entscheidungserhebliche Integration in Österreich nicht vorliege. Angesichts der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der Beschwerdeführer bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien.
8. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer im Umfang der Spruchpunkte I. – V. fristgerecht Beschwerde und brachte nach Wiederholung des Sachverhaltes im Wesentlichen vor, dass dieser sich nicht verändert habe und die belangte Behörde lediglich eine andere rechtliche Beurteilung desselben Sachverhaltes vornehme. Auf dieser Grundlage sei die Aberkennung nicht rechtmäßig gewesen. Im Übrigen liege keine innerstaatliche Fluchtalternative vor und sei der Beschwerdeführer gut integriert.
Vorgelegt wurden ein Zertifikat des ÖSD über eine bestandene Deutschprüfung auf dem Niveau A2 vom Juli 2018, eine Bestätigung über die Teilnahme an einem Deutschkurs auf dem Niveau B1 vom Dezember 2019, sowie ein ärztlicher Befund des Kriseninterventionszentrums vom Oktober 2018, wonach der Beschwerdeführer in fachärztlicher und psychotherapeutischer Behandlung aufgrund einer schweren depressiven Verstimmung bei bestehender posttraumatischer Belastungsstörung stehe.
Beantragt wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
1.1. Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest.
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan und Angehöriger der Religionsgemeinschaft der Schiiten und der Volksgruppe der Hazara. Der Beschwerdeführer wurde in der Provinz Bamyan geboren und ist im Alter von vier Jahren mit seiner Familie in den Iran gereist, wo er bis zu seiner Ausreise lebte. Er ist volljährig und im erwerbsfähigen Alter.
Der Beschwerdeführer spricht Dari sowie ein wenig Deutsch. Er besuchte im Iran fünf Jahre die Grundschule. Danach arbeitete er vier Jahre als Teppichknüpfer sowie eine unbestimmte Zeit auf Baustellen sowie in der Herstellung von Türrahmen.
Die Familienangehörigen sowie die Onkel und Tanten des Beschwerdeführers leben im Iran. Der Beschwerdeführer hat keine Angehörigen und keine Verwandten in Afghanistan. Er hat zu seinen Familienangehörigen Kontakt.
Der Beschwerdeführer leidet an einer leichten depressiven Episode und Hypotonie.
Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten und nimmt Leistungen aus der Grundversorgung in Anspruch.
Dem Beschwerdeführer wurde nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet und Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.03.2017, Zl. 1096388101-151850102, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 03.03.2018 erteilt. Mit Bescheid vom 01.03.2018 wurde die Aufenthaltsberechtigung um zwei weitere Jahre verlängert. Mit Schreiben vom 08.01.2020 stellte der Beschwerdeführer einen neuerlichen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung.
1.2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl unterlag im Zeitpunkt der Zuerkennung bzw. Verlängerung des Status des subsidiär Schutzberechtigten keinem Tatsachenirrtum.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zu Punkt II.1.1. ergeben sich aus den insoweit unstrittigen Verwaltungs- und Gerichtsakten des Beschwerdeführers.
Die Feststellung, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bei Zuerkennung bzw. Verlängerung des Status des subsidiär Schutzberechtigten keinem Tatsachenirrtum unterlag, ergibt sich daraus, dass ein solcher zwar abstrakt mehrmals im gegenständlichen Bescheid behauptet wird, aber an keiner Stelle näher ausgeführt wird, worin dieser Irrtum liege und ist für das Gericht ein solcher auch nicht ersichtlich. Lediglich auf S. 88 f des angefochtenen Bescheides wird seitens des Bundesamtes wie folgt festgehalten: „Überdies ist anzumerken, dass das [Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl] zum Zeitpunkt der Schutzgewährung davon ausgegangen ist, dass Sie im Falle der Rückkehr vor eine ausweglose Situation gestellt gewesen wären. Nunmehr hat sich jedoch insbesondere aufgrund der Schilderung Ihres Lebenslaufes die damalige Ausgangslage zu den Merkmalen Ihrer Person gänzlich konträr dargestellt; wie dieser schließlich zu entnehmen ist – und durch den im Rahmen der Einvernahme vor dem [Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl] gewonnenen Eindruck durch den zur Entscheidung berufenen Organwalter bestätigt wird -, zeichnen Sie sich durch Ihr freundliches Verhalten aus und überzeugen zudem mit Ihrer Flexibilität und Aufgeschlossenheit. Diese (zuvor genannten) positiven Attribute werden Ihnen im Falle der Rückkehr freilich von hohem Nutzen sein.“ (AS 106f) Dazu ist jedoch anzumerken, dass der Beschwerdeführer keine relevanten Änderungen in seinem Lebenslauf vornahm und dieser schon zum Zeitpunkt der Zuerkennung des subsidiären Schutzes dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bekannt war.
3. Rechtliche Beurteilung:
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z2).
Zum Spruchteil A)
3.1. Zur Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid:
Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, und wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde.
Gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG ist einem Fremden der Status des Asylberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 AsylG) nicht oder nicht mehr vorliegen.
Gemäß Abs. 4 leg. cit. ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit dem Entzug der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu verbinden.
Die hier in Rede stehende Bestimmung des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 verfolgt das Ziel sicherzustellen, dass nur jenen Fremden, die die Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz erfüllen, der Status der subsidiär Schutzberechtigten zukommt. Während der erste Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 die Konstellation erfasst, in der der Fremde schon im Zeitpunkt der Zuerkennung von subsidiären Schutz die dafür notwendigen Voraussetzungen nicht erfüllt hat, betrifft der § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 jene Konstellationen, in denen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigtem nachträglich weggefallen sind.
Dies steht im Einklang mit Art. 19 Abs. 1 StatusRL, wonach bei Anträgen auf internationalen Schutz, die nach Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG gestellt wurden, die Mitgliedstaaten einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen den von einer Regierungs- oder Verwaltungsbehörde, einem Gericht oder einer gerichtsähnlichen Behörde zuerkannten subsidiären Schutzstatus aberkennen, diesen beenden oder seine Verlängerung ablehnen können, wenn die betreffende Person gemäß Art. 16 StatusRL nicht länger Anspruch auf subsidiären Schutz erheben kann. Unbeschadet der Pflicht des Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gemäß dem Art. 4 Abs. 1 StatusRL alle maßgeblichen Tatsachen offenzulegen und alle maßgeblichen, ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen vorzulegen, weist gemäß Art. 18 Abs. 4 StatusRL der Mitgliedstaat, der ihm den subsidiären Schutzstatus zuerkannt hat, in jedem Einzelfall nach, dass die betreffende Person gemäß den Abs. 1 bis 3 dieses Artikels keinen oder nicht mehr Anspruch auf subsidiären Schutz hat.
Im vorliegenden Fall wurde die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ausdrücklich auf den ersten Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 gestützt (s. AS 112 und 114), wobei die belangte Behörde argumentativ vor allem auf das Erkenntnis des EuGH vom 23.05.2019, Bilali gegen Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, C-720/17, verwies, weshalb im Folgendem kurz näher auf dieses einzugehen ist.
In jenem Fall hatte das Bundesamt Herrn Bilali, einem Asylwerber, der von sich behauptete staatenlos zu sein, in Bezug auf den Herkunftsstaat Algerien zunächst den subsidiären Schutzstatus rechtskräftig zuerkannt, im fortgesetzten Verfahren jedoch aufgrund konkreter Ermittlungsschritte – insbesondere einer Anfrage an die Staatendokumentation – den Status gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG 2005 wieder aberkannt, da hervorgekommen sei, dass Herr Bilali nicht algerischer, sondern marokkanischer und mauretanischer Staatsangehöriger sei, wobei all dies aber nicht Herrn Bilali zuzurechnen war, er also die Behörde nicht über seine Staatsangehörigkeit irregeführt hat. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde durch das Bundesverwaltungsgericht abgewiesen, wogegen der Beschwerdeführer wiederum die Revision an den Verwaltungsgerichtshof richtete. Dieser bat den EuGH um Vorabentscheidung über die Frage, ob Art. 19 StatusRL dahin auszulegen ist, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, den subsidiären Schutzstatus abzuerkennen, wenn er diesen Status zuerkannt hat, ohne dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung erfüllt waren, indem er sich auf Tatsachen stützte, die sich in der Folge als unzutreffend erwiesen haben, und obgleich der betroffenen Person nicht vorgeworfen werden kann, sie habe den Mitgliedstaat bei dieser Gelegenheit irregeführt.
Der EuGH erkannte darüber zu Recht, dass Art. 19 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 16 StatusRL dahingehend auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat den subsidiären Schutzstatus aberkennen muss, wenn er diesen Status zuerkannt hat, ohne dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung erfüllt waren, indem er sich auf Tatsachen stützte, die sich in der Folge als unzutreffend erwiesen haben, und obgleich der betroffenen Person nicht vorgeworfen werden kann, sie habe den Mitgliedstaat bei dieser Gelegenheit irregeführt.
Im betreffenden Verfahren ging es somit darum, dass die Behörde bei Schutzzuerkennung über eine Tatsache – konkret die Staatsangehörigkeit des Antragstellers – irrte. Im hier gegenständlichen Fall ist aber, wie schon gewürdigt, kein Tatsachenirrtum des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl auszumachen. Vielmehr beurteilt die belangte Behörde trotz ihrer Beteuerungen des Gegenteils den selben, unverändert gebliebenen Sachverhalt rechtlich neu. Aus der zitierten Entscheidung des EuGH lässt sich aber nicht ableiten, dass ein möglicher Rechtsirrtum bei Zuerkennung des Schutzstatus einen nach der StatusRL zulässigen Grund für die Aberkennung dieses Status darstellt, zumal in jenem Urteil an mehreren Stellen unmissverständlich von einem Irrtum über Tatsachen bzw. Daten die Rede ist (s. etwa Rz 26, 31, 42, 51 und 65; vgl. auch VwGH 29.01.2020, Ra 2019/18/0262, RS 4 letzter Satz (dort zwar zum zweiten Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG, aber insoweit generalisierbar)). Soweit die belangte Behörde offenbar meint, dass sie sich gewissermaßen über das „freundliche Wesen“ des Beschwerdeführers geirrt habe, so kann dem von vornherein keine Entscheidungswesentlichkeit beigemessen werden und ist dem dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkennenden Bescheid der belangten Behörde eine solche auch an keiner Stelle zu entnehmen.
Da im gegenständlichen Fall somit weder ein (vom Beschwerdeführer unverschuldeter) Tatsachenirrtum vorliegt noch Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Beschwerdeführer entscheidungsrelevante Tatsachen verschwiegen oder falsch dargestellt hat, ist der Tatbestand des § 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG im gegenständlichen Fall nicht erfüllt. Der Beschwerde war daher stattzugeben und Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides ersatzlos zu beheben.
Da dem Beschwerdeführer somit weiterhin der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zukommt, ist der Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides spruchgemäß dahingehend abzuändern, dass dem Antrag des Beschwerdeführers vom 08.01.2020 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 stattgegeben und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 03.03.2022 erteilt wird.
Da die Rechtmäßigkeit der weiteren Spruchpunkte (III. bis VI.) ebenfalls voraussetzt, dass dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zu Recht aberkannt wurde, waren auch diese zu beheben.
3.2. Unterbleiben der mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Gemäß § 24 Abs. 1 Z 2 VwGVG kann eine mündliche Verhandlung unter anderem dann entfallen, wenn bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Da bereits aus der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid zu beheben ist, konnte eine mündliche Verhandlung daher unterbleiben, zumal auch die belangte Behörde mit Beschwerdevorlage auf die Teilnahme an einer solchen verzichtete.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zum Spruchteil B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt, sondern ausschließlich tatsachenlastig ist. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben. Zur Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung ist die zur asylrechtlichen Ausweisung ergangene zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs übertragbar.
Schlagworte
Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten Aberkennungstatbestand § 9 Abs. 1 befristete Aufenthaltsberechtigung Behebung der Entscheidung ersatzlose Teilbehebung EuGH Rückkehrentscheidung behoben Verlängerung wesentliche ÄnderungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W169.2153738.2.00Im RIS seit
12.10.2020Zuletzt aktualisiert am
12.10.2020