TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/9 W231 2218080-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.07.2020
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Entscheidungsdatum

09.07.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W231 2218080-1/25E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Birgit HAVRANEK als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.03.2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (in Folge: „BF“) stellte in Österreich am 10.02.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.2. Anlässlich seiner Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 10.02.2015 gab der BF an, Staatsangehöriger Afghanistans, Angehöriger der Volksgruppe der Turkmenen und dem Islam zugehörig zu sein. Er stamme aus der Provinz Jawzjan, habe die Koranschule besucht und in der Moschee einigen Kindern das Koranlesen beigebracht. Die Taliban hätten den Lehrer des BF mitgenommen, getötet und auch den BF aufgefordert, für sie zu arbeiten, was der BF nicht gewollt habe. Im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan habe er Angst, von den Taliban getötet zu werden.

I.3. Am 02.02.2016 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich (in Folge: „BFA“), niederschriftlich einvernommen.

Der BF gab an, er habe ca. sechs Monate vor seiner Ausreise geheiratet, habe aber mit seiner Ehefrau noch nicht zusammengelebt. Seine Eltern und Geschwister seien inzwischen aufgrund der schlechten Lage aus dem Heimatdorf geflüchtet und lebten jetzt im Distrikt Aqcha, Provinz Jawzjan. Er habe zu seiner Familie Kontakt.

Zu seinen Fluchtgründen gab er zusammengefasst an, er habe in seinem Heimatdorf XXXX bis zur achten Klasse eine öffentliche Koranschule bzw. Religionsschule besucht, die sich direkt in der Moschee befunden habe. Dann habe er eine Koranschule in einem anderen Distrikt, Aqcha, bis zur zehnten Klasse besucht. Am Nachmittag habe er in der ersten Schule den Koran unterrichtet. Die Taliban seien zwei Mal in der Nacht in der Moschee gewesen und hätten gesagt, der BF müsste sich ihnen anschließen. In der ersten Schule sei der Lehrer des BF, ein Mullah und zugleich Direktor dieser Schule, zur Fastenzeit im Ramadan von den Taliban in der Nacht aus der Moschee geholt und mitgenommen worden. Zu dieser Zeit habe sich der BF im Distrikt Aqcha befunden, um „Tarawe“ nachzugehen (Gebete während der Fastenzeit). Der Vater des BF habe den BF angerufen und ihm gesagt, dass der Mullah von den Taliban mitgenommen worden sei und nach dem BF gesucht werde, er solle nicht nach Hause kommen, da er in Lebensgefahr sei. Der BF habe noch in derselben Nacht einen Schlepper gefunden, der ihn am nächsten Morgen in den Iran gebracht habe. Einige Monate später habe der BF von der Türkei aus mit seinem Vater telefoniert, der ihm erzählt habe, dass man einen Tag nach der Flucht des BF die enthauptete Leiche des Mullahs gefunden habe. In dieser Moschee sei auch der Vater des BF geschlagen und aufgefordert worden, den BF ausfindig zu machen und den Taliban zu übergeben. Sie hätten gedroht, wenn sie den BF in die Hände bekommen, würden sie ihn töten. Der Vater des BF habe gesagt, er wisse nicht, wo der BF sei. Gleich danach sei der Vater mit der Familie in den Distrikt Aqcha geflüchtet.

Der BF legte ein Schulzeugnis einer Religionsschule sowie einen Drohbrief vor.

I.4. Am 15.03.2017 wurde der BF zum zweiten Mal vor dem BFA niederschriftlich einvernommen. Er wiederholte seine Angaben zu den Fluchtgründen und gab ergänzend an, die Taliban seien mehrmals gekommen und hätten verlangt, dass die Koranschule im Dorf des BF geschlossen werden sollte. Es habe sich um eine staatliche Schule gehandelt und das hätten die Taliban nicht gewollt. Die Koranschule habe sich in einem eigenständigen Haus befunden. Die Taliban hätten nicht nur den BF, sondern auch die Schüler bedroht, mit der Schule aufzuhören und sich ihnen anzuschließen. Der Lehrer des BF und gleichzeitig Schuldirektor und Imam in der Moschee habe den BF gebeten, die Schüler im Koran zu unterrichten, da sich der BF gut auskenne, und auch, da zu diesem Zeitpunkt die meisten Lehrer bereits geflüchtet gewesen seien. Der BF sei immer wieder zu einer größeren Ortschaft gegangen, um Bücher für den Unterricht zu holen. Die Taliban hätten behauptet, der BF würde dorthin gehen, um Informationen über die Taliban weiterzugeben und sie auszuspionieren. Im Monat Ramadan sei der BF bestellt worden, um in einer Ortschaft in einer Firma den Koran vorzulesen. Das sei immer am Abend erfolgt. Eines Abends, während der BF in dieser Firma den Koran lesen gewesen sei, habe sich der Vorfall ereignet, bei dem der Imam der Moschee bzw. der Schuldirektor des BF von den Taliban verhaftet worden sei, worüber der Vater des BF den BF telefonisch verständigt habe. Die Taliban hätten auch nach dem BF gesucht und ihn am gleichen Abend verhaften wollen. Die Taliban hätten behauptet, sie hätten den BF mehrmals vorgewarnt, er sollte nicht für diese Schule arbeiten und der BF sollte sich ihnen für den Dschihad anschließen. Sie hätten ihn auch beschuldigt, Informationen über sie weitergegeben zu haben.

I.5. Am 21.02.2019 wurde der BF zum dritten Mal vor dem BFA niederschriftlich einvernommen. Der BF gab an, inzwischen sei seine Familie geflüchtet und diese befinde sich seit ca. eineinhalb Jahren in der Türkei. Er habe Kontakt zu seiner Familie. In Afghanistan, in der Provinz Jawzjan, würden sich allerdings noch drei seiner Schwestern aufhalten, die verheiratet seien und dort mit ihren Familien leben würden. Der BF wiederholte erneut seine Angaben zu den Fluchtgründen und tätigte einige ergänzende Ausführungen. Nach den Vorfällen sei die Religionsschule im Dorf des BF dann geschlossen worden. Seine Familie sei in die Türkei geflüchtet, da sein Vater angegriffen und mehrmals telefonisch bedroht worden sei. Die Taliban hätten verlangt, dass der BF nach Hause zurückkehren müsse und ein Bruder des BF solle Mitglied bei den Taliban werden. Der Vater des BF habe Angst gehabt, dass irgendwann ein männliches Mitglied der Familie umgebracht werden würde.

I.6. Das BFA wies mit dem angefochtenen Bescheid vom 27.03.2019 den gegenständlichen Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs.1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ab (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.) und dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).

Begründend heißt es, dass der BF eine aktuelle asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat nicht glaubhaft habe machen können. Es sprächen auch keine Gründe für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz. Zuletzt kommt das BFA zu dem Schluss, dass die öffentlichen Interessen an der Außerlandesbringung des BF gegenüber seinen privaten Interessen am Verbleib in Österreich überwiegen würden und ein Eingriff in seine durch Art. 8 EMRK geschützten Rechte als gerechtfertigt anzusehen sei.

I.7. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, fristgerecht eingebrachte und zulässige Beschwerde. Der BF focht den Bescheid wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und inhaltlicher Rechtswidrigkeit an.

I.8. Mit Schreiben vom 03.06.2019 wurde mitgeteilt, dass die Familienangehörigen des BF in der Türkei Aufenthaltsberechtigungen erhalten hätten. Diese wurden in Kopie übermittelt.

1.9. Am 24.06.2019 fand am Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung im Beisein des BF und seiner Rechtsvertretung statt. Die belangte Behörde ist entschuldigt nicht erschienen. Auf die Verlesung des gesamten Akteninhalts wurde verzichtet. Der BF legte Unterlagen zu seinen Integrationsbemühungen vor. Dazu wurden von der erkennenden Richterin das „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Afghanistan idF 29.06.2018, letzte KI 04.06.2019“ sowie die aktuellen UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, zur Lage in Afghanistan in das Verfahren eingebracht. Weiters wurden der Landinfo report Afghanistan, Rekrutierung durch die Taliban vom 29.06.2017 sowie eine Anfragebeantwortung zum Thema „Das Schulsystem in Afghanistan“, ACCORD vom Dezember 2016 eingeführt.

I.10. Mit Schreiben vom 08.07.2019 wurde eine Stellungnahme zu den Länderinformationen übermittelt. Darin wurde zum Thema der Zwangsrekrutierung durch die Taliban und zur Situation für Rückkehrer Stellung genommen. Am 10.07.2019 wurde noch ein Karteiauszug der psychiatrischen Behandlungen und Medikamentenverschreibungen des BF übermittelt.

I.11. Am 19.11.2019 erhielt der BF im Rahmen des Parteiengehörs Gelegenheit, zum Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Afghanistan idF 13.11.2019 Stellung zu nehmen.

I.12. Am 09.12.2019 langte die Stellungnahme des BF dazu ein. Darin wurde unter Zitierung von näher genannten Berichten ausgeführt, die Taliban hätten Strategien, um ihre Gegner zu identifizieren, da sie landesweit die afghanische Bevölkerung infiltriert hätten. Weiters wurde auf die volatile Sicherheitslage in Afghanistan hingewiesen. Aufgrund des fehlenden familiären Rückhalts, der langen Abwesenheit und der mangelnden Schul- und Berufsausbildung drohe im Fall einer Rückkehr des BF nach Afghanistan eine reale Gefahr einer Verletzung seiner Rechte gem. Art. 3 EMRK.

1.13. Mit Schreiben vom 14.05.2020 wurde dem BF eine Kurzinformation der Staatendokumentation zu COVID-19 Afghanistan vom 09.04.2020 übermittelt und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

1.14. Mit Schreiben vom 17.06.2020 wurden weitere Integrationsunterlagen des BF vorgelegt.

1.15. Mit Schreiben vom 18.06.2020 wurde eine weitere Stellungnahme zu den Länderinformationen übermittelt. Darin wurde auf die Sicherheitslage in Afghanistan eingegangen sowie auf die Rückkehrsituation des BF.

1.16. Am 22.06.2020 fand am Bundesverwaltungsgericht eine fortgesetzte mündliche Beschwerdeverhandlung im Beisein des BF und seiner Rechtsvertretung statt. Die belangte Behörde ist nicht erschienen. Auf die Verlesung des gesamten Akteninhalts wurde verzichtet. Der BF legte weitere Unterlagen zu seinen Integrationsbemühungen vor. Dazu wurden von der erkennenden Richterin das „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Afghanistan vom 13.11.2019 idF KI 18.05.2020“ sowie die aktuellen UNHCR-Richtlinien und EASO-Guidelines in das Verfahren eingeführt und weiters ein aktuelles Dokument zur Situation in Afghanistan in Bezug auf die COVID-19-Pandemie, Afghanistan: Covid-19 (allgemeine Informationen; Lockdown-Maßnahmen; Proteste; Auswirkungen auf Gesundheitssystem, Versorgungslage, Lage von Frauen und RückkehrerInnen; Reaktionen der Taliban, Stigmatisierung), vom 05.06.2020. Auf eine Stellungnahme wurde seitens der Rechtsvertretung des BF verzichtet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

II.1.1. Zur Person des BF:

Der BF ist volljährig, führt den im Spruch angeführten Namen und das dort genannte Geburtsdatum, ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Turkmenen an und ist Moslem. Seine Muttersprache ist Turkmenisch, er spricht auch sehr gut Dari. Weiters spricht der BF Deutsch und Türkisch. Die Feststellungen zur Identität des BF gelten ausschließlich für die Identifizierung seiner Person im Asylverfahren.

Der BF stammt aus der afghanischen Provinz Jawzjan, Dorf XXXX , und hat dort mit seiner Familie gelebt. Nicht festgestellt werden kann, in welchem Distrikt sich dieses Dorf befindet. Der BF hat in Afghanistan zehn Jahre lang die Schule besucht und weist eine für afghanische Verhältnisse überdurchschnittliche Bildung auf. Er hat keine Berufsausbildung. Seit seiner Kindheit, später neben der Schule, hat der BF in der Landwirtschaft gearbeitet. Der BF ist verheiratet. Er hat seine Ehefrau vor der Ausreise nach Europa geheiratet, jedoch noch nicht mit ihr zusammengelebt. Die beiden haben keine Kinder. Nach der Ausreise aus Afghanistan hat der BF einige Monate im Iran verbracht, wo er in einem Steinbruch gearbeitet hat, und einige Monate in der Türkei, wo er als Hirte gearbeitet hat.

Der BF hat fünf Schwestern und fünf Brüder. Seine Eltern und die meisten seiner Geschwister befinden sich derzeit in der Türkei. Die Brüder des BF arbeiten, etwa in einer Bäckerei. Sein Vater kümmert sich um seine Mutter, die erkrankt ist. Der BF hat regelmäßig Kontakt zu seiner Familie in der Türkei. In Afghanistan, in der Provinz Jawzjan, leben noch drei Schwestern des BF. Diese sind verheiratet und leben dort gemeinsam mit ihren eigenen Familien. Ein Schwager des BF war in der Landwirtschaft tätig, ein weiterer ist Teppichhändler und ein weiterer Schwager Gemüseverkäufer. Weiters leben in der Herkunftsprovinz des BF seine Onkel und Tanten. Ein Onkel des BF ist Straßenverkäufer, ein anderer arbeitet als Bauer. Die Schwestern und Tanten des BF arbeiten als Teppichweberinnen. Der BF hat selten zu ihnen Kontakt. In der Herkunftsprovinz des BF lebt auch seine Ehefrau, die bei ihren Eltern wohnt. Der Schwiegervater des BF arbeitet als Hilfsarbeiter in der Landwirtschaft und als Tagelöhner. Die Ehefrau und die Schwiegermutter des BF arbeiten zuhause als Teppichknüpferinnen. Die Ehefrau des BF und ihre Familie sind finanziell unabhängig und können sich selbst erhalten. Der BF steht in Kontakt zu seiner Ehefrau.

Der BF ist aktuell gesund und nicht behandlungsbedürftig. Früher litt er an einer mittelgradigen depressiven Episode bzw. an einer Anpassungsstörung und wurde deshalb auch medikamentös behandelt. Derzeit geht es ihm jedoch gut und seit einem Jahr nimmt er keine Medikamente mehr und war auch nicht bei einem Arzt in Behandlung. Der BF ist arbeitsfähig und gehört keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an.

II.1.2. Zum Leben des BF in Österreich:

Der BF reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellte am 10.02.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Der BF war seit seiner Asylantragstellung in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig. Der BF hält sich seit seiner Einreise nach Österreich im Februar 2015 knapp fünfeinhalb Jahre im Bundesgebiet auf.

Er hat in Österreich keine familiären Anknüpfungspunkte.

Der BF hat in Österreich Deutschkurse besucht und die Prüfung für das Niveau A1 erfolgreich bestanden. Er spricht Deutsch auf dem Niveau A2.

Der BF hat in Österreich noch nicht gearbeitet, lebt von der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er hat auch noch keine ehrenamtlichen Tätigkeiten verrichtet. Er hat sich beim AMS wegen einer Arbeitsstelle erkundigt. Der BF hat Einstellungszusagen von drei verschiedenen Firmen (

Textilreinigung, Malerbetrieb

,

Paketzustellfirma

) für den Fall einer positiven Erledigung seines Asylantrages. Der BF hat einen Werte- und Orientierungskurs besucht und besucht derzeit einen Deutschkurs auf dem Niveau A2, zusätzlich lernt er Deutsch über Youtube. In seiner Freizeit geht er laufen und spazieren. Er hat mehrere Freunde, darunter auch Österreicher. Der BF hat an Festen teilgenommen und Museen besucht. Er ist nicht Mitglied in einem Verein oder in einer Organisation. Über aktuelle tagespolitische Themen wusste er nichts zu berichten.

Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

II.1.3. Zu den Fluchtgründen des BF:

Der BF hatte in Afghanistan keine Probleme mit der Polizei oder mit staatlichen Behörden. Er hat sich nie politisch betätigt.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF seinen Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung durch die Taliban verlassen hat oder nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe in diesem Zusammenhang zu befürchten hätte. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Taliban den BF aufgrund seiner Tätigkeit als Lehrer in einer staatlichen Koranschule bedroht und ihn aufgefordert haben, diese Tätigkeit zu beenden und sich ihnen anzuschließen. Die vom BF vorgebrachten Gründe für seine Ausreise werden mangels Glaubhaftigkeit des Vorbringens nicht festgestellt. Im Falle der Rückkehr nach Afghanistan droht dem BF aus den vorgebrachten Gründen weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch die Taliban.

Dem BF droht auch aufgrund seiner Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit keine Verfolgung in Afghanistan.

Der BF konnte insgesamt nicht glaubhaft machen, dass er seinen Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung verlassen hat oder nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu befürchten hätte.

II.1.4. Zur Rückkehrsituation des BF:

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre.

Dem BF kann bei einer Rückkehr nach Afghanistan in seine Herkunftsprovinz Jawzjan ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.

Dem BF steht jedoch eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in Mazar-e-Sharif zur Verfügung. Die grundlegende Versorgung der afghanischen Bevölkerung ist in Mazar-e Sharif gewährleistet. Die Gesundheitsversorgung ist in Mazar-e Sharif durch Krankenhäuser bzw. Gesundheitszentren sowie durch zwei Einrichtungen zur Betreuung von psychischen Krankheiten sichergestellt. Die Wohnraum- und Versorgungslage in Mazar-e Sharif ist zwar angespannt, der BF kann jedoch bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Neuansiedlung in Mazar-e Sharif grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Der BF verfügt über langjährige Schulbildung und Berufserfahrung in der Landwirtschaft, in einem Steinbruch und als Hirte. Er könnte wieder an diese früheren Tätigkeiten anknüpfen. Seine Existenz könnte er – zumindest anfänglich – ebenso mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er spricht eine Landessprache des Herkunftsstaates (Dari) und hat bis zu seiner Ausreise in Afghanistan gelebt, ist somit mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftslandes vertraut. Der BF hat sich bereits in Mazar-e Sharif aufgehalten. Mehrere Familienangehörige des BF leben noch in Afghanistan und er hat zu diesen – wenn auch selten – Kontakt. Seine Ehefrau lebt bei deren Eltern in der Herkunftsprovinz des BF und der Lebensunterhalt der Ehefrau des BF ist durch ihre Tätigkeit als Teppichknüpferin und durch die Berufstätigkeit von deren Eltern gesichert. Der BF hat auch die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form von Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen.

Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des BF nach Mazar-e Sharif ausschließen, liegen nicht vor. Der BF ist gesund und es bestehen keine Zweifel an seiner Arbeits- und Erwerbsfähigkeit.

Auch die aktuell vorherrschende COVID-19-Pandemie bildet kein Rückkehrhindernis. Der BF ist gesund und gehört mit Blick auf sein Alter und das Fehlen physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an. Es besteht im Entscheidungszeitpunkt keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde.

II.1.5. Zur aktuellen Situation in Afghanistan werden folgende Feststellungen getroffen:

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (Länderinformationsblatt für Afghanistan (in der Folge auch „LIB“) vom 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 2. Politische Lage).

COVID-19:

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In Afghanistan sind aktuell 33 384 Erkrankungsfälle registriert und 920 Todesfälle offiziell bestätigt (https://www.who.int/docs/default-source/coronaviruse/situation-reports/20200707-covid-19-sitrep-169.pdf?sfvrsn=c6c69c88_2; Situation Report 169, 07.07.2020).

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert. Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig. COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird. Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt. In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden. Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden. Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen Testungen vorübergehend einzustellen. Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil. Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei. Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung. Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung. 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten. Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans; dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert. Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen. Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden. Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert. In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung

Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt, wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar. Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt. Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze: Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen. Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden(LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise: 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Taliban und COVID-19

Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte. In der nördlichen Provinz Kunduz, hätten die Taliban eine Gesundheitskommission gegründet, die direkt in den Gemeinden das öffentliche Bewusstsein hinsichtlich des Virus stärkt. Auch sollen Quarantänezentren eingerichtet worden sein, in denen COVID-19-Verdachtsfälle untergebracht wurden. Die Taliban hätten sowohl Schutzhandschuhe, als auch Masken und Broschüren verteilt; auch würden sie jene, die aus anderen Gebieten kommen, auf COVID-19 testen. Auch in anderen Gebieten des Landes, wie in Baghlan, wird die Bevölkerung im Rahmen einer Informationsveranstaltung in der Moschee über COVID-19 informiert. Wie in der Provinz Kunduz, versorgen die Taliban die Menschen mit (Schutz)material, helfen Entwicklungshelfern dabei zu jenen zu gelangen, die in Taliban kontrollierten Gebieten leben und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen, an (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Aktuelle Informationen zu Rückkehrprojekten

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Länder tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an:

?        Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings)

?        Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten (Virtuelle Beratung, Austausch mit Rückkehrberatungseinrichtungen und Behörden, Monitoring der Reisemöglichkeiten) (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Das Projekt RESTART III – Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems und der Reintegration freiwilliger Rückkehrer/innen in Afghanistan“ wird bereits umgesetzt. Derzeit arbeiten die österreichischen IOM-Mitarbeiter/innen vorwiegend an der ersten Komponente (Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems) und erarbeiten Leitfäden und Trainingsinhalte. Die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit aufgrund fehlender Flugverbindungen nicht möglich. IOM beobachtet die Situation und steht diesbezüglich in engem Austausch mit den zuständigen Rückkehrberatungseinrichtungen und den österreichischen Behörden (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Mit Stand 18.5.2020, sind im laufenden Jahr bereits 19 Projektteilnehmer/innen nach Afghanistan zurückgekehrt. Mit ihnen, als auch mit potenziellen Projektteilnehmer/innen, welche sich noch in Österreich befinden, steht IOM Österreich in Kontakt und bietet Beratung/Information über virtuelle Kommunikationswege an (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Informationen von IOM Kabul zufolge, sind IOM-Rückkehrprojekte mit Stand 13.5.2020 auch weiterhin in Afghanistan operativ (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Sicherheitslage:

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage). Diese ist jedoch regional und sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich (EASO Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 89ff; LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Nichtsdestotrotz, hat die afghanische Regierung wichtige Transitrouten verloren (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer "strategischen Pattsituation", die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann. Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten. Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist. Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Für den Berichtszeitraum 8.11.2019-6.2.2020 verzeichnete die UNAMA 4.907 sicherheitsrelevante Vorfälle – ähnlich dem Vorjahreswert. Die Sicherheitslage blieb nach wie vor volatil. Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurden in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die alle samt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen waren in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gingen die Kämpfe in den Wintermonaten – Ende 2019 und Anfang 2020 – zurück (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Die Sicherheitslage im Jahr 2019

Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant. Im Jahr 2019 fanden auch weiterhin im Süden und Westen Afghanistans weiterhin schwere Kampfhandlungen statt; feindliche Aktivitäten nahmen zu und breiteten sich in größeren Gebieten des Nordens und Ostens aus. Der Resolute Support (RS) Mision (seit 2015 die Unterstützungsmission der NATO in Afghanistan) zufolge, waren für das Jahr 2019 29.083 feindlich-initiierte Angriffe landesweit zu verzeichnen. Im Gegensatz waren es im Jahr 2018 27.417. Mit einer hohen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen – speziell in den südlichen, nördlichen und östlichen Regionen – blieb die Sicherheitslage vorerst volatil, bevor ein Zeitraum der Reduzierung der Gewalt registriert werden konnte. Die UNAMA (Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan) registrierte für das gesamte Jahr 2019 10.392 zivile Opfer, was einem Rückgang von 5% gegenüber 2018 entspricht (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Seit Ende des Jahres 2019 haben Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente erheblich zugenommen. Im September 2019 fanden die afghanischen Präsidentschaftswahlen statt, in diesem Monat wurde auch die höchste Anzahl feindlicher Angriffe eines einzelnen Monats seit Juni 2012 und die höchste Anzahl effektiver feindlicher Angriffe seit Beginn der Aufzeichnung der RS-Mission im Januar 2010 registriert. Dieses Ausmaß an Gewalt setzte sich auch nach den Präsidentschaftswahlen fort, denn im Oktober 2019 wurde die zweithöchste Anzahl feindlicher Angriffe in einem Monat seit Juli 2013 dokumentiert. Betrachtet man jedoch das Jahr 2019 in dessen Gesamtheit, so waren scheinbar feindliche Angriffe, seit Anfang des Jahres, im Zuge der laufenden Friedensgespräche zurückgegangen. Nichtsdestotrotz führte ein turbulentes letztes Halbjahr zu verstärkten Angriffen feindlicher Elemente von insgesamt 6% und effektiver Angriffe von 4% im Jahr 2019 im Vergleich zu den bereits hohen Werten des Jahres 2018 (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Zivile Opfer

Für das Jahr 2019 registrierte die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) als Folge des bewaffneten Konflikts 10.392 zivile Opfer (3.403 Tote und 6.989 Verletzte), was einen Rückgang um 5% gegenüber dem Vorjahr, aber auch die niedrigste Anzahl an zivilen Opfern seit dem Jahr 2013 bedeutet. Nachdem die Anzahl der durch ISKP verursachten zivilen Opfer zurückgegangen war, konnte ein Rückgang aller zivilen Opfer registriert werden, wenngleich die Anzahl ziviler Opfer speziell durch Taliban und internationale Streitkräfte zugenommen hatte. Im Laufe des Jahres 2019 war das Gewaltniveau erheblichen Schwankungen unterworfen, was auf Erfolge und Misserfolge im Rahmen der Friedensverhandlungen zwischen Taliban und den US-Amerikanern zurückzuführen war. In der ersten Jahreshälfte 2019 kam es zu intensiven Luftangriffen durch die internationalen Streitkräfte und Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte – insbesondere der Spezialkräfte des afghanischen Geheimdienstes NDS (National Directorate of Security Special Forces) (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Aufgrund der Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte, gab es zur Jahresmitte mehr zivile Opfer durch regierungsfreundliche Truppen als durch regierungsfeindliche Truppen. Das dritte Quartal des Jahres 2019 registrierte die höchste Anzahl an zivilen Opfern seit 2009, was hauptsächlich auf verstärkte Anzahl von Angriffen durch Selbstmordattentäter und IEDs (improvisierte Sprengsätze) der regierungsfeindlichen Seite – insbesondere der Taliban – sowie auf Gewalt in Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen zurückzuführen ist. Das vierte Quartal 2019 verzeichnete, im Vergleich zum Jahr 2018, eine geringere Anzahl an zivilen Opfern; wenngleich sich deren Anzahl durch Luftangriffe, Suchoperationen und IEDs seit dem Jahr 2015 auf einem Rekordniveau befand (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Die RS-Mission sammelt ebenfalls Informationen zu zivilen Opfern in Afghanistan, die sich gegenüber der Datensammlung der UNAMA unterscheiden, da die RS-Mission Zugang zu einem breiteren Spektrum an forensischen Daten und Quellen hat. Der RS-Mission zufolge, ist im Jahr 2019 die Anzahl ziviler Opfer in den meisten Provinzen (19 von 34) im Vergleich zum Jahr 2018 gestiegen; auch haben sich die Schwerpunkte verschoben. So verzeichneten die Provinzen Kabul und Nangarhar weiterhin die höchste Anzahl ziviler Opfer. Im letzten Quartal schrieb die RS-Mission 91% ziviler Opfer regierungsfeindlichen Kräften zu (29% wurden den Taliban zugeschrieben, 11% ISKP, 4% dem Haqqani-Netzwerk und 47% unbekannten Aufständischen). 4% wurden regierungsnahen/-freundlichen Kräften zugeschrieben (3% der ANDSF und 1% den Koalitionskräften), während 5% anderen oder unbekannten Kräften zugeschrieben wurden. Diese Prozentsätze entsprechen in etwa den RS-Opferzahlen für Anfang 2019. Als Hauptursache für zivile Opfer waren weiterhin improvisierte Sprengsätze (43%), gefolgt von direkten (25%) und indirekten Beschüssen (5%) verantwortlich – dies war auch schon zu Beginn des Jahres 2019 der Fall (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl in den ersten fünf Monaten 2019, als auch im letzten Halbjahr 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Das Haqqani-Netzwerk führte von September bis zum Ende des Berichtszeitraums keine HPA in der Hauptstadtregion durch. Die Gesamtzahl der öffentlichkeitswirksamen Angriffe ist sowohl in Kabul als auch im ganzen Land in den letzten anderthalb Jahren stetig zurückgegangen. Zwischen 1.6.2019 und 31.10.2019 fanden 19 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 17), landesweit betrug die Zahl 88 (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Öffentlichkeitswirksame Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente setzten sich im Berichtszeitraum (8.11.2019-6.2.2020) fort: 8 Selbstmordanschläge wurden verzeichnet; im Berichtszeitraum davor (9.8.-7.11.2019) wurden 31 und im Vergleichszeitraum des Vorjahres 12 Selbstmordanschläge verzeichnet. Der Großteil der Anschläge richtetet sich gegen die ANDSF (afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte) und die internationalen Streitkräfte; dazu zählte ein komplexer Angriff der Taliban auf den Militärflughafen Bagram im Dezember 2019. Im Februar 2020 kam es in Provinz Nangarhar zu einem sogenannten „green-on-blue-attack“: der Angreifer trug die Uniform der afghanischen Nationalarmee und eröffnete das Feuer auf internationale Streitkräfte, dabei wurden zwei US-Soldaten und ein Soldat der afghanischen Nationalarmee getötet. Zu einem weiteren Selbstmordanschlag auf eine Militärakademie kam es ebenso im Februar in der Stadt Kabul; bei diesem Angriff wurden mindestens 6 Personen getötet und mehr als 10 verwundet. Dieser Großangriff beendete mehrere Monate relativer Ruhe in der afghanischen Hauptstadt (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Die Taliban setzten außerdem improvisierte Sprengkörper in Selbstmordfahrzeugen gegen Einrichtungen der ANDSF in den Provinzen Kandahar, Helmand und Balkh ein (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Nach Unterzeichnung des Abkommens zwischen den USA und den Taliban war es bereits Anfang März 2020 zu einem ersten großen Angriff des ISKP gekommen. Der ISKP hatte sich an den Verhandlungen nicht beteiligt und bekannte sich zu dem Angriff auf eine Gedenkfeier eines schiitischen Führers; Schätzungen zufolge wurden dabei mindestens 32 Menschen getötet und 60 Personen verletzt (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Am 25.3.2020 kam es zu einem tödlichen Angriff des ISKP auf eine Gebetsstätte der Sikh (Dharamshala) in Kabul. Dabei starben 25 Menschen, 8 weitere wurden verletzt. Regierungsnahe Quellen in Afghanistan machen das Haqqani-Netzwerk für diesen Angriff verantwortlich, sie werten dies als Vergeltung für die Gewalt an Muslimen in Indien. Die Taliban distanzierten sich von dem Angriff. Am Tag nach dem Angriff auf die Gebetsstätte, detonierte eine magnetische Bombe beim Krematorium der Sikh, als die Trauerfeierlichkeiten für die getöteten Sikh-Mitglieder im Gange waren. Mindestens eine Person wurde dabei verletzt (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage):

Taliban

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada– Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub – Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar – und Serajuddin Haqqani Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes. Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan. Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban definiert, welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde. Die Taliban sind keine monolithische Organisation; nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind. Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt. Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000. Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Haqqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida. Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani, einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk, seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)

Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück. Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban. Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000, bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern. Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Der ISKP geriet in dessen Hochburg in Ostafghanistan nachhaltig unter Druck. Jahrelange konzertierten sich Militäroffensiven der US-amerikanischen und afghanischen Streitkräfte auf diese Hochburgen. Auch die Taliban intensivierten in jüngster Zeit ihre Angriffe gegen den ISKP in diesen Regionen. So sollen 5.000 Talibankämpfer aus der Provinz Kandahar gekommen sein, um den ISKP in Nangarhar zu bekämpfen. Schlussendlich ist im November 2019 die wichtigste Hochburg des islamischen Staates in Ostafghanistan zusammengebrochen. Über 1.400 Kämpfer und Anhänger des ISKP, darunter auch Frauen und Kinder, kapitulierten. Zwar wurde der ISKP im November 2019 weitgehend aus der Provinz Nangarhar vertrieben, jedoch soll er weiterhin in den westlichen Gebieten der Provinz Kunar präsent sein. Die landesweite Mannstärke des ISKP wurde seit Anfang 2019 von 3.000 Kämpfern auf 300 Kämpfer reduziert (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

49 Angriffe werden dem ISKP im Zeitraum 8.11.2019-6.2.2020 zugeschrieben, im Vergleichszeitraum des Vorjahres wurden 194 Vorfälle registriert. Im Berichtszeitraum davor wurden 68 Angriffe registriert (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Die Macht des ISKP in Afghanistan ist kleiner, als jene der Taliban; auch hat er viel Territorium verloren. Der ISKP war bzw. ist nicht Teil der Friedensverhandlungen mit den USA und ist weiterhin in der Lage, tödliche Angriffe durchzuführen. Aufgrund des Territoriumsverlustes ist die Rekrutierung und Planung des ISKP stark eingeschränkt (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Der ISKP verurteilt die Taliban als "Abtrünnige", die nur ethnische und/oder nationale Interessen verfolgen. Die Taliban und der Islamische Staat sind verfeindet. In Afghanistan kämpfen die Taliban seit Jahren gegen den IS, dessen Ideologien und Taktiken weitaus extremer sind als jene der Taliban. Während die Taliban ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken, zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt in Afghanistan zu fördern, indem sich Angriffe gegen Schiiten richten (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Al-Qaida und ihr verbundene Gruppierungen

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Beide Gruppierungen haben immer wieder öffentlich die Bedeutung ihres Bündnisses betont. Unter der Schirmherrschaft der Taliban ist al-Qaida in den letzten Jahren stärker geworden; dabei wird die Zahl der Mitglieder auf 240 geschätzt, wobei sich die meisten in den Provinzen Badakhshan, Kunar und Zabul befinden. Mentoren und al-Qaida-Kadettenführer sind oftmals in den Provinzen Helmand und Kandahar aktiv (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen. Des Weiteren fungieren al-Qaida-Mitglieder als Ausbilder und Religionslehrer der Taliban und ihrer Familienmitglieder (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Im Rahmen der Friedensgespräche mit US-Vertretern haben die Taliban angeblich im Jänner 2019 zugestimmt, internationale Terrorgruppen wie Al-Qaida aus Afghanistan zu verbannen (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Rekrutierung durch regierungsfeindliche Gruppierungen

UNAMA dokumentierte glaubwürdige Vorwürfe über die Rekrutierung von 23 Buben durch regierungsfeindliche Gruppen (darunter pakistanische Taliban, afghanische Taliban und IS) im ersten Halbjahr 2018. In einzelnen Fällen wurden Kinder insbesondere in den südlichen Provinzen als Selbstmordattentäter, menschliche Schutzschilde oder Bombenleger eingesetzt. Obwohl die Taliban eine interne Richtlinie haben, keine Kinder zu rekrutieren, gibt es Hinweise auf Kinderrekrutierungen, insbesondere postpubertärer Buben. Die Taliban wenden, laut Berichten von NGOs und UN, Täuschung, Geldzusagen, falsche religiöse Zusammenhänge oder Zwang an, um Kinder zu Selbstmordattentaten zu bewegen, teilweise werden die Kinder zum Training nach Pakistan gebracht (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 9.1. Rekrutierung durch regierungsfeindliche Gruppierungen).

Taliban

Es besteht relativer Konsens darüber, wie die Rekrutierung für die Streitkräfte der Taliban erfolgt: sie läuft hauptsächlich über bestehende traditionelle Netzwerke und organisierte Aktivitäten im Zusammenhang mit religiösen Institutionen. Layha, der Verhaltenskodex der Taliban enthält einige Bestimmungen über verschiedene Formen der Einladung sowie Bestimmungen, wie sich die Kader verhalten sollen, um Menschen zu gewinnen und Sympathien aufzubauen. Eines der Sonderkomitees der Quetta Schura ist für die Rekrutierung verantwortlich (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 9.1. Rekrutierung durch regierungsfeindliche Gruppierungen).

In Gebieten, in denen regierungsfeindliche Gruppen Kontrolle ausüben, gibt es eine Vielzahl an Methoden, um Kämpfer zu rekrutieren, darunter auch solche, die auf Zwang basieren, wobei der Begriff Zwangsrekrutierung von Quellen unterschiedlich interpretiert und Informationen zur Rekrutierung unterschiedlich kategorisiert werden. Landinfo versteht Zwang im Zusammenhang mit Rekrutierung dahingehend, dass jemand, der sich einer Mobilisierung widersetzt, speziellen Zwangsmaßnahmen und Übergriffen (zumeist körperlicher Bestrafung) durch den Rekrutierer ausgesetzt ist. Die Zwangsmaßnahmen können auch andere schwerwiegende Maßnahmen beinhalten und gegen Dritte, beispielsweise Familienmitglieder, gerichtet sein. Auch wenn jemand keinen Drohungen oder körperlichen Übergriffen ausgesetzt ist, können Faktoren wie Armut, kulturelle Gegebenheiten und Ausgrenzung die Unterscheidung zwischen freiwilliger und zwangsweiser Beteiligung zum Verschwimmen bringen. Die Taliban haben keinen Mangel an freiwilligen Rekruten und machen nur in Ausnahmefällen von Zwangsrekrutierung Gebrauch. Druck und Zwang, den Taliban beizutreten, sind jedoch nicht immer gewalttätig (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 9.1. Rekrutierung durch regierungsfeindliche Gruppierungen).

Sympathisanten der Taliban sind Einzelpersonen und Gruppen, vielfach junge, desillusionierte Männer, deren Motive der Wunsch nach Rache und Heldentum gepaart mit religiösen und wirtschaftlichen Gründen sind. Sie fühlen sich nicht zwingend den zentralen Werten der Taliban verpflichtet. Die meisten haben das Vertrauen in das Staatsbildungsprojekt verloren und glauben nicht länger, dass es möglich ist, ein sicheres und stabiles Afghanistan zu schaffen. Viele schließen sich den Aufständischen aus Angst oder Frustration über die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung an. Armut, Hoffnungslosigkeit und fehlende Zukunftsperspektiven sind die wesentlichen Erklärungsgründe (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 9.1. Rekrutierung durch regierungsfeindliche Gruppierungen).

Vor einigen Jahren waren Mittel wie Pamphlete, DVDs und Zeitschriften bis hin zu Radio, Telefon und web-basierter Verbreitung wichtige Instrumente des Propagandaapparats. Internet und soziale Medien wie Twitter, Blogs und Facebook haben sich in den letzten Jahren zu sehr wichtigen Foren und Kanälen für die Verbreitung der Botschaft dieser Bewegung entwickelt, sie dienen auch als Instrument für die Anwerbung. Über die sozialen Medien können die Taliban mit Sympathisanten und potentiellen Rekruten Kontakt aufnehmen. Die Taliban haben verstanden, dass ohne soziale Medien kein Krieg gewonnen werden kann. Sie haben ein umfangreiches Kommunikations- und Mediennetzwerk für Propaganda und Rekrutierung aufgebaut. Zusätzlich unternehmen die Taliban persönlich und direkt Versuche, die Menschen von ihrer Ideologie und Weltanschauung zu überzeugen, damit sie die Bewegung unterstützen. Ein Gutteil dieser Aktivitäten läuft über religiöse Netzwerke (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 9.1. Rekrutierung durch regierungsfeindliche Gruppierungen).

Die Entscheidung, Rekruten zu mobilisieren, wird von den Familienoberhäuptern, Stammesältesten und Gemeindevorstehern getroffen. Dadurch wird dies nicht als Zwangsrekrutierung wahrgenommen, da die Entscheidungen der Anführer als legitim und akzeptabel gesehen werden. Personen, die sich dem widersetzen, gehen ein Risiko ein, dass sie oder ihre Familien bestraft oder getötet werden, wenngleich die Taliban nachsichtiger als der ISKP seien und lokale Entscheidungen eher akzeptieren würden (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 9.1. Rekrutierung durch regierungsfeindliche Gruppierungen).

Quellen haben bestätigt, dass es in Gebieten, die von den Taliban kontrolliert werden oder in denen die Taliban stark präsent sind, de facto unmöglich ist, offenen Widerstand gegen die Bewegung zu leisten. Die örtlichen Gemeinschaften haben sich der Lokalverwaltung durch die Taliban zu fügen. Oppositionelle sehen sich gezwungen, sich äußerst bedeckt zu halten oder das Gebiet zu verlassen. Die Gruppe der Stammesältesten ist gezielten Tötungen ausgesetzt. Landinfo vermutet, dass dies vor allem regierungsfreundliche Stammesälteste betrifft, die gegen die Taliban oder andere aufständische Gruppen sind. Eine Quelle verweist hier auf Berichte von Übergriffen auf Stämme oder Gemeinschaften, die den Taliban Unterstützung und die Versorgung mit Kämpfern verweigert haben. Gleichzeitig sind die militärischen Einheiten der Taliban in den Gebieten, in welchen sie operieren, von der Unterstützung durch die Bevölkerung abhängig. Mehrere Gesprächspartner von Landinfo, einschließlich einer NGO, die in Taliban-kontrollierten Gebieten arbeitet, meinen, dass die Taliban im Gegensatz zu früher heute vermehrt auf die Wünsche und Bedürfnisse der Gemeinschaften Rücksicht nehmen. Bei einem Angriff oder drohenden Angriff auf eine örtliche Gemeinschaft müssen Kämpfer vor Ort mobilisiert werden. In einem solchen Fall mag es schwierig sein, sich zu entziehen. Die erweiterte Familie kann einer Quelle zufolge allerdings auch eine Zahlung leisten, anstatt Rekruten zu stellen. Diese Praktiken implizieren, dass es die ärmsten Familien sind, die Kämpfer stellen, da sie keine Mittel haben, um sich freizukaufen. Es ist bekannt, dass – wenn Familienmitglieder in den Sicherheitskräften dienen – die Familie möglicherweise unter Druck steht, die betreffende Person zu einem Seitenwechsel zu bewegen. Der Grund dafür liegt in der Strategie der Taliban, Personen mit militärischem Hintergrund anzuwerben, die Waffen, Uniformen und Wissen über den Feind einbringen. Es kann aber auch Personen treffen, die über Knowhow und Qualifikationen verfügen, die die Taliban im Gefechtsfeld benötigen, etwa für die Reparatur von Waffen (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 9.1. Rekrutierung durch regierungsfeindliche Gruppierungen).

Lage in Jawzjan:

Jawzjan liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Turkmenistan, im Osten an Balkh, im Süden an Sar-e Pul und im Westen an Faryab. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Aqchah, Darzab, Faizabad, Khamyab, Khanaqa, Khwaja Dukoh, Mardyan, Mingajik, Qarqin und Qush Tepa sowie die Provinzhauptstadt Sheberghan. Darzab wurde angeblich aus Sicherheitsgründen von Faryab nach Jawzjan verlegt. Später wurde der Distrikt Qush Tepa aus Darzab herausgelöst (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 2.14. Jawzjan).

Das afghanische Statistikamt schätzt die Bevölkerungsanzahl von Jawzjan für den Zeitraum 2019-20 auf 590.866 Personen. Einer Quelle aus dem Jahr 2008 zufolge sind die beiden größten ethnischen Gruppen der Provinz Usbeken und Turkmenen, weiters gibt es kleinere Gruppen an Paschtunen und sogenannte Araber sowie einige Tadschiken und Kuchi-Nomaden, deren Anzahl je nach Jahreszeit variiert (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 2.14. Jawzjan).

Die Ring Road verbindet die Provinzhauptstadt Jawzjans mit dem großen Ballungszentrum Mazar-e Sharif in Balkh sowie mit der westlich gelegenen Provinz Faryab. Eine weitere Hauptstraße verbindet das benachbarte Sar-i-Pul mit der Ring Road in Sheberghan. Ende 2018 wurden Bauarbeiten an einer Umfahrungsstraße in Sheberghan fortgesetzt. Die 15 Kilometer lange Straße soll die Verkehrswege in der Stadt entlasten und die Umsetzung von Entwicklungsprogrammen erleichtern sowie der Wirtschaft in Jawzjan helfen. Mit Stand März 2019 gibt es keinen Linienflugbetrieb von und nach Jawzjan; diese werden über Mazar-e Sharif geführt. Jawzjan gilt als eine der strategisch wichtigen Provinzen des Landes, da sie über bedeutsame Erdgasreserven verfügt (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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