TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/13 G305 2225278-2

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Veröffentlicht am 13.07.2020
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Entscheidungsdatum

13.07.2020

Norm

AsylG 2005 §55
B-VG Art133 Abs4

Spruch

G305 2225278-2/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Ernst MAIER, MAS als Einzelrichter auf Grund der Beschwerde des XXXX , geb. XXXX ,
StA.: Serbien, vertreten durch Dr. Peter LECHENAUER und Dr. Margrit SWOZIL, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert-Sattler-Gasse 10, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, ASt. XXXX , vom XXXX .03.2020, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)       In Stattgebung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid aufgehoben und dem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK vom 02.01.2019 gem. § 55 AsylG Folge gegeben.

B)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Bescheid vom XXXX .03.2020, Zl: XXXX , sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, ASt. XXXX (im Folgenden: belangte Behörde oder kurz: BFA) aus, dass der Antrag des XXXX , geb. XXXX , StA. Serbien (in der Folge: Beschwerdeführer oder kurz: BF) auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vom 02.01.2019 gemäß § 55 AsylG abgewiesen werde (Spruchpunkt I.), gemäß § 10 Abs. 3 AsylG iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG gegen ihn erlassen werde (Spruchpunkt II.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt werde, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Serbien zulässig sei (Spruchpunkt III.) und die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung zwei Wochen betrage (Spruchpunkt IV.).

2. Gegen diesen, dem BF zu Handen seiner ausgewiesenen Rechtsvertretung am 23.03.2020 zugestellten Bescheid erhob dieser im Wege seiner Rechtsvertretung die bei der belangten Behörde am 17.04.2020 (fristgerecht) eingebrachte Beschwerde, die er auf die Beschwerdegründe „Rechtswidrigkeit in Folge Verletzung von Verfahrensvorschriften wegen wesentlicher Ermittlungsmängel“ und „inhaltliche Rechtswidrigkeit“ stützte und mit den Anträgen verband, das Bundesverwaltungsgericht möge in der Sache selbst entscheiden und den angefochtenen Bescheid vollinhaltlich aufheben und der gegenständlichen Beschwerde stattgeben und gemäß § 44 VwGVG eine mündliche Verhandlung durchführen, in eventu den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an die Behörde zurückverweisen.

3. In der Folge brachte die belangte Behörde die gegen den oben näher bezeichneten Bescheid erhobene Beschwerde und die Bezug habenden Akten des Verwaltungsverfahrens am 27.04.2020 dem Bundesverwaltungsgericht zur Vorlage.

4. Mit Eingabe vom 06.05.2020 urgierte der BF den Verfahrensstand und brachte in diesem Zusammenhang vor, dass sein Arbeitgeber weiterhin hinter ihm stehe und er sehr unter der derzeitigen Situation leide und gern arbeiten gehen würde.

5. Am 19.05.2020 brachte der BF im Wege seiner ausgewiesenen Rechtsvertretung mit einer weiteren, zum 18.05.2020 datierten Eingabe ein Empfehlungsschreiben des Neffen des Beschwerdeführers zur Vorlage.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Serbien und damit Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG. Er ist geschieden und lebt seit seiner Ehescheidung allein und ist Vater einer in Deutschland lebenden Tochter (Niederschrift BFA vom XXXX .01.2020, S. 3 und 5 oben).

1.2. Der BF ist gesund, bedarf keiner ärztlicher Behandlung und ist grundsätzlich arbeitsfähig (Niederschrift BFA vom XXXX .01.2020, S. 2 Mitte).

1.3. Er ist seit einem nicht feststellbaren Zeitpunkt des Jahres 1995 in Österreich aufhältig (sieht man von den visumbedingten Ausreisen ab), um hier in der Gastronomie der Tätigkeit als Saisonier nachzugehen.

Seinen Aufenthalt im Bundesgebiet stützte er dabei auf Saisoniervisas und dann für ca. sieben Jahre lang auf ein Stammsaisoniervisa. Immer wieder kehrte er für die Dauer von drei Monaten in den Herkunftsstaat zurück, dies auch um ein neues Saisoniervisum zu beantragen (Niederschrift BFA vom XXXX .01.2020, S. 3).

Im Herkunftsstaat wohnte er in einem, in XXXX gelegenen Haus seines Vaters, das von einem kleinen Grundstück mit Garten umgeben ist (Niederschrift BFA vom XXXX .01.2020, S. 5 oben).

1.4. Der Beschwerdeführer absolvierte im Herkunftsstaat für eine Dauer von vier Jahren die Volksschule, dann für die Dauer von vier Jahren die Hauptschule und erlernte in der Folge den Beruf eines XXXX . Zudem absolvierte er eine XXXX . Vor seiner erstmalig im Jahr 1995 erfolgten Einreise nach Österreich arbeitete er als Schlosser in XXXX (Niederschrift BFA vom XXXX .01.2020, S. 3 unten).

1.5. Der BF ist bis laufend im Bundesgebiet mit Hauptwohnsitz gemeldet, zuletzt seit dem XXXX .12.2015 an der Anschrift XXXX (Niederschrift BFA vom XXXX .01.2020, S. 3; Auszug aus dem Register des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger, AS 507 ff).

1.6. Eine Schwester des BF, die zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt des Jahres XXXX geborene XXXX , lebt mit deren Ehegatten und den gemeinsamen drei Kindern in XXXX . Zu diesen Verwandten hat der BF fast täglich Kontakt (Niederschrift BFA vom XXXX .01.2020, S. 4 unten). Der BF und seine ob angeführten, ebenfalls in XXXX lebenden Verwandten besuchen einander gegenseitig und besteht zwischen ihm und seinen in Österreich lebenden Verwandten ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis, da der BF einen Kredit zu tilgen hat und mit diversen Kosten (Mietzins für die Wohnung etc.) belastet ist (Niederschrift BFA vom XXXX .01.2020, S. 5 oben).

Ein Bruder des BF, und zwar der zu einem nicht feststellbaren Zweitpunkt des Jahres XXXX geborene XXXX , und eine Schwester des BF, die zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt des Jahres XXXX geborene XXXX , leben mit deren Familien in Deutschland (Niederschrift BFA vom 28.01.2020, S. 4 oben). Mit seinen in Deutschland lebenden Verwandten, wovon ein Teil in XXXX lebt, hat er ebenfalls Kontakt (Niederschrift BFA vom XXXX .01.2020, S. 5 oben).

Eine weitere Schwester des BF, die zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt des Jahres XXXX geborene XXXX , lebt mit ihrer Familie in Bosnien und Herzegowina. Mit ihr hat er ebenfalls telefonisch Kontakt (Niederschrift BFA vom 28.01.2020, S. 4).

Seinen Lebensunterhalt bestreitet er von der finanziellen Unterstützung seiner Geschwister (Niederschrift BFA vom XXXX .01.2020, S. 5 unten).

1.7. Zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt des Jahres 2014 schloss er mit dem Unterkunftgeber XXXX einen - auf drei Jahre befristeten, sohin bis XXXX .07.2017 gültigen - Mietvertrag über eine im Haus XXXX , gelegene Wohnung im Ausmaß von 18,80 m² (AS 121). Mit Zusatzvereinbarung vom XXXX .04.2017 wurde die Vertragsdauer dieses Mietvertrages vom XXXX .08.2017 bis zum XXXX .07.2020 verlängert (AS 123).

1.8. Am XXXX .12.2014 schloss der BF mit der XXXX , einen als Abstattungskredit bezeichneten Darlehensvertrag über eine Darlehenssumme von EUR 12.000,00, zahlbar in Raten zu je EUR 300,00 in 50 Monatsraten ab (AS 131 und 139ff). Auf dieses Darlehen leistete er in der Folge auch tatsächlich monatliche Darlehensraten in Höhe von EUR 300,00 (AS 143 ff).

1.9. Am XXXX .03.2018 unterzeichnete er eine Beitrittserklärung über einen Beitritt zum XXXX und trat dieser XXXX bei. Nach eigenen Angaben spendet er dieser Organisation Geld, auch jetzt, da er keiner Arbeit mehr nachgeht (Niederschrift BFA vom XXXX .01.2020 S. 5).

1.10. Mit der Dienstgeberin XXXX hat der BF am XXXX .04.2019 einen als „arbeitsrechtlichen Vorvertrag“ betitelten Vertrag (AS 101ff) abgeschlossen, worin sich diese - unter der Voraussetzung der Erteilung einer Niederlassungsbewilligung bzw. eines Aufenthaltstitels - verpflichtete, den Beschwerdeführer in ihrem XXXX in XXXX als XXXX anzustellen (Punkt III. des Vorvertrages = AS 102 Mitte). Hinsichtlich der Dauer des Dienstverhältnisses kamen die Vertragsteile überein, ein Dienstverhältnis unbefristet abzuschließen. Als Lohn vereinbarten sie das für die XXXX geltende Grundgehalt in Höhe von EUR 1.500,00 brutto (= EUR 1.221,40 netto) (Punkt VII. des Vorvertrages = AS 103 Mitte). Der Vertrag enthält in Punkt VIII. eine Bestimmung, derzufolge die Vertragsteile vereinbarten, dass jeder Vertragsteil schriftlich vom Vertrag zurücktreten kann, sollten die für die Arbeitsaufnahme notwendigen Bewilligungen nicht innerhalb von neun Monaten, sohin bis Jänner 2020, vorliegen (AS 103 unten).

1.11. Am 07.02.2018 erwarb der BF beim ÖSD ein Sprachzertifikat auf dem Niveau A2 (AS 153).

In der Folge meldete sich der BF beim XXXX für eine ÖID Integrationsprüfung auf dem Niveau A2 an, worüber das XXXX am 28.06.2019 eine Faktura über einen Rechnungsbetrag in Höhe von EUR 150,00 legte (AS 161). Am XXXX .08.2019 absolvierte er die Integrationsprüfung auf dem Niveau A2 erfolgreich (AS 167).

1.12. Der BF verfügt weder über Ersparnisse, noch über die notwendigen Barmittel, die ihm einen legalen Aufenthalt im Bundesgebiet ermöglichen würden. Er ist auch nicht im Besitz eines Personenkraftwagens (Niederschrift BFA vom XXXX .01.2020, S. 6 oben).

Der BF besucht in Österreich weder Kurse, noch Schulen, noch Vereine (Niederschrift BFA vom 28.01.2020, S. 5 unten).

1.13. Am XXXX .01.2019 brachte der BF beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, RD Salzburg, einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK ein.

Eine Anfrage der belangten Behörde bei der Landespolizeidirektion XXXX gem. § 60 AsylG ergab keinerlei Hinweise auf ein Naheverhältnis des Beschwerdeführers zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung (AS 197 und AS 195).

Anlassbezogen liegt keine strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers im Bundesgebiet vor (AS 195).

1.14. Ausgehend vom XXXX .01.2014 scheinen bei ihm im Register des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger folgende Versicherungs- und Beschäftigungszeiten bei nachstehend angeführten Dienstgeberinnen auf (Auszug aus dem Register des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger AS 211ff):

XXXX      XXXX .02.2014 bis XXXX .08.2014   Arbeiter

XXXX      XXXX .08.2014 bis XXXX .10.2014   Arbeiter

XXXX      XXXX .12.2014 bis XXXX .01.2015   Arbeiter

XXXX      XXXX .12.2015 bis XXXX .01.2016   Arbeiter

XXXX      XXXX .02.2016 bis XXXX .07.2016   Arbeiter

XXXX      XXXX .07.2016 bis XXXX .01.2017   Arbeiter

XXXX      XXXX .02.2017 bis XXXX .10.2017   Arbeiter

XXXX      XXXX .12.2017 bis XXXX .12.2017   Arbeiter

XXXX      XXXX .02.2018 bis XXXX .05.2018   Arbeiter

XXXX      XXXX .07.2018 bis XXXX .12.2018   Arbeiter

Seit dem XXXX .12.2018 scheinen bei ihm keine weiteren Beschäftigungs- bzw. Versicherungszeiten mehr auf und geht er auch nach eigenen Angaben keiner Erwerbstätigkeit mehr im Bundesgebiet nach (Niederschrift des BFA vom 28.01.2020, S. 5 oben).

1.15. Mit Bescheid vom XXXX .09.2019, Zl. XXXX , wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vom 02.01.2019 gemäß § 55 AsylG ab (Spruchpunkt I.) und erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG (Spruchpunkt II.) und stellte überdies die Zulässigkeit der Abschiebung seiner Person nach Serbien fest (Spruchpunkt III.) und dass die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.) (AS 237ff).

Den Bescheid gründete die belangte Behörde im Kern darauf, dass der BF keine Familienangehörigen im Bundesgebiet habe und dass keine „besonders intensive Österreich-Bindung“ bestehe, er sich weiter seit 1995 mit regelmäßigen Unterbrechungen im Bundesgebiet aufhalte, um hier zeitlich befristeten Saisonarbeiten im Gastronomiebereich nachzugehen und er seit ein paar Monaten nicht mehr erwerbstätig sei.

1.16. Über die dagegen erhobene Beschwerde sprach das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 22.11.2019, GZ: G305 2225278-1/2E, dahingehend ab, als der angefochtene Bescheid in Erledigung der Beschwerde aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückverwiesen wurde (AS 445ff).

1.17. Am 28.01.2020 unterzog die belangte Behörde den BF einer niederschriftlich dokumentierten Befragung.

1.18. Mit Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK ab (Spruchpunkt I.) und erließ eine Rückkehrentscheidung wider seine Person (Spruchpunkt II.), stellte überdies fest, dass seine Abschiebung nach Serbien zulässig sei (Spruchpunkt III.) und die Frist für seine freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Der Bescheid gründet im Kern auf den Feststellungen, dass sich der BF im Bundesgebiet unrechtmäßig aufhalte und sich hier seit dem XXXX .01.2019 unrechtmäßig aufhalte. Auch habe er seine Ausreiseverpflichtung missachtet. Auch habe er in Österreich nie einen sicheren Aufenthaltsstatus besessen. Obwohl unterstützendes XXXX stellte die belangte Behörde fest, dass er in Österreich nie einen sicheren Aufenthaltsstatus besessen habe. In seinem Fall könne auch keine maßgebliche Integration in beruflicher Hinsicht festgestellt werden.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Der oben festgestellte Sachverhalt beruht auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens und wird der gegenständlichen Entscheidung in freier Beweiswürdigung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

3.1.1. Gemäß § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, und § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.

Da sich die gegenständliche - zulässige und rechtzeitige - Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.

3.1.2. Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFA VG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

3.1.3. Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid vom 12.03.2020 sprach die belangte Behörde aus, dass der Antrag des BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vom 02.01.2019 gemäß § 55 AsylG 2005 abgewiesen werde (Spruchpunkt I.), gemäß § 10 Abs. 3 AsylG iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG wider ihn erlassen werde (Spruchpunkt II.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt werde, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Serbien zulässig sei (Spruchpunkt III.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.). Die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK stützte die belangte Behörde im Wesentlichen darauf, dass in der Gesamtschau nicht von einer umfassenden Integrationsverfestigung ausgegangen werden könne, „die die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung aus Gründen des Art. 8 EMRK als geboten erscheinen ließe“ und dass der BF versucht habe, „durch Umgehung des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes ein Aufenthaltsrecht zu erwirken“ und dass eine Legalisierung seines unrechtmäßigen Aufenthaltsstatus durch einen humanitären Aufenthaltstitel in seinem Fall nicht legitim sei.

3.2. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Art. 8 EMRK:

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn dies 1. gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und 2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) erreicht wird. Gemäß Abs. 2 ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen, wenn auch nur eine Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vorliegt.

Die Bestimmung des § 14a Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (in der Folge kurz: NAG) wurde mit BGBl. I Nr. 68/2017 ersatzlos aufgehoben und ist daher auf den gegenständlichen Anlassfall nicht anzuwenden.

Der BF ist als Staatsangehöriger von Serbien Drittstaatsangehöriger und hält er sich seit einem nicht feststellbaren Zeitpunkt des Jahres 1995 im Bundesgebiet auf, wobei er seinen Aufenthalt auf befristete Saisonieraufenthaltsberechtigungen stützte.

Er hat am XXXX .01.2019, sohin in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Beendigung seines letzten Beschäftigungsverhältnisses bei der Dienstgeberin XXXX einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gestellt. Bei dieser Dienstgeberin bezog er ein monatliches Gehalt, das weit über der Geringfügigkeitsgrenze gemäß § 5 Abs. 2 ASVG lag (AS 87 ff).

Der geschiedene und allein lebende BF hat ein intensives Privatleben im Bundesgebiet nachgewiesen, das insbesondere zu seiner, ebenfalls in XXXX lebenden Schwester und deren Familie besteht. Wenn die belangte Behörde im nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid vom XXXX .03.2020 die Nichterteilung des beantragten Aufenthaltstitels damit begründet, dass in der Gesamtschau nicht von einer umfassenden Integrationsverfestigung ausgegangen werden könne, die die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung aus Gründen des Art. 8 EMRK als geboten erscheinen ließe und dass er überdies versucht hätte, ein Aufenthaltsrecht durch Umgehung des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes zu erwirken, grenzt an Willkür; zudem übersieht die belangte Behörde, dass die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 2 AsylG nicht erst dann zu erteilen ist, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Familienlebens geboten ist, sondern bereits dann, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privatlebens des Antragstellers geboten ist.

Der BF hat intensive Kontakte zu seiner ebenfalls in XXXX lebenden Schwester und deren Familie; darüber hinaus hat er einen großen Freundeskreis (Niederschrift BFA vom 28.01.2020, S. 6 oben), was insgesamt für ein reges Privatleben des BF im Bundesgebiet spricht. Die ersatzlose Aufhebung der Bestimmung des § 14a NAG („Modul 1 der Integrationsvereinbarung“) durch BGBl. I Nr. 68/2017 hat zur Folge, dass die ursprünglich in dieser Bestimmung geregelten integrationsverfestigenden Merkmale nicht mehr zu berücksichtigen sind.

Die im Übrigen vollkommen unsubstantiiert gebliebenen Ausführungen der belangten Behörde, dass „in der Gesamtschau nicht von einer umfassenden Integrationsverfestigung ausgegangen werden kann“, entbehren jeder Rechtsgrundlage und legen insgesamt eine willkürliche Entscheidung der belangten Behörde nahe.

Unabhängig davon hat die belangte Behörde übersehen, dass der BF sehr wohl zahlreiche Schritte gesetzt hat, die auf eine Integrationsverfestigung hindeuten. Ein Vergleich mit der durch BGBl. I Nr. 68/2017 ersatzlos aufgehobenen Bestimmung des § 14a NAG zeigt, dass sich die vom BF gesetzten Integrationsschritte unter die in § 14a Abs.4 aufgezählten Tatbestände subsumieren lassen und das hier nicht mehr anwendbare Modul I der Integrationsvereinbarung erfüllt hätte.

3.3. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Eine Auseinandersetzung mit den Spruchpunkten II. bis IV. kann nach Stattgebung der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des in Beschwerde gezogenen Bescheides entfallen.

3.4. Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts Anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Im gegenständlichen Fall liegt dem Bundesverwaltungsgericht die zur Klärung der Rechtsfrage nötige Aktenlage vor. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes hätte eine mündliche Verhandlung auch keine weitere Klärung der Rechtssache erwarten lassen und war der Sachverhalt iSd § 24 Abs. 4 VwGVG entscheidungsreif. In Anbetracht dessen konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Aufenthaltstitel Integration Interessenabwägung Privat- und Familienleben Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G305.2225278.2.01

Im RIS seit

12.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

12.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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