TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/4 W278 2230440-4

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Veröffentlicht am 04.08.2020
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Entscheidungsdatum

04.08.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
FPG §80

Spruch

W278 2230440-4/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HABITZL im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Zahl: XXXX , über die weitere Anhaltung von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, in Schubhaft zu Recht:

I. Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

II. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang und Sachverhalt:

- Der Beschwerdeführer (in Folge auch BF genannt) hat am 23.09.2005 einen Asylantrag gestellt, wobei Ihm in II. Instanz am 08.04.2009 der Asylstatus gem. § 7 AsylG erteilt wurde.

- Er wurde von einem Landesgericht am 18.10.2016 (Rk 19.10.2016), gemäß §§ 15, 278a (Kriminelle Organisation), 107 Abs. 1, 107 Abs. 2 (Gefährliche Drohung), 83 Abs. 1, 278b Abs. 2 (Terroristische Vereinigung) StGB, zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 24 Monate, davon 16 Monate bedingt, unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahre, rechtskräftig verurteilt (Jugendstraftat);

- Aufgrund seiner strafrechtlichen Verurteilung wurde am 27.06.2017 gegen den BF ein Aberkennungsverfahren eingeleitet.

- Am 01.12.2017 wurde gegen den BF in I. Instanz eine Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot erlassen.

- Gegen diese Entscheidung hat der BF am 02.01.2018 eine Beschwerde eingebracht.

- Am 14.08.2018 wurde der BF bei Begehung einer neuerlichen Straftat festgenommen und in Untersuchungshaft genommen. Er verblieb sodann in weiterer Folge bis zum 14.02.2020 in Haft.

- Der BF wurden von einem Landesgericht am 07.11.2018 (Rk 13.11.2018), gemäß §§ 15, 105 Abs. 1 (Nötigung), 142 Abs.1 (Raub) StGB, zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 18 Monate, rechtskräftig verurteilt.

- Am 27.09.2019 erfolgte durch das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) eine mündliche Verhandlung, in welcher dem BF (und seinem Vater) das mündliche Parteiengehör gewährt und seine Mutter als Zeugin angehört wurde.

- Im Anschluss an diese Verhandlung erfolgte die Verkündung des Erkenntnisses, wobei die Beschwerde des BF gem. §§ 7 Abs. 1, 8 Abs. 1 Ziffer 2, 57, 10 AsylG 2005, § 9 BFA-VG, §§ 52 Abs. 9, 55 Abs. 1-3 FPG als unbegründet abgewiesen und das erlassene Einreiseverbot auf 7 Jahre verkürzt wurde. Seit 27.09.2019 liegt eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung gegen den BF vor.

- Der BF wurde am 29.01.2020, noch während der Verbüßung seiner Haftstrafe, in der JA niederschriftlich einvernommen und es wurde dem BF mitgeteilt, dass die Verhängung von Schubhaft vorgesehen sei. Zusätzlich wurden alle notwendigen Fragen und Unterlagen zum Erlangen eines Heimreisezertifikats ausgefüllt.

- Der Antrag auf Erteilung eines Heimreisezertifikats wurde am 31.01.2020 an die zuständige Abteilung des BFA weitergeleitet.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 07.02.2020, Regionaldirektion Niederösterreich - Außenstelle St.Pölten, wurde über den Beschwerdeführer (BF) gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet. Dagegen erhob der BF Beschwerde.

Der BF befindet sich seit 14.02.2020 in Schubhaft. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.04.2020, W171 2230440-1/18E, wurde die Beschwerde gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG i.V.m. § 22a Abs. 1 BFA-VG als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG i.V.m. § 76 Abs. 2 Z 2 FPG wurde festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen (Spruchpunkt II).

- Am 28.02.2020 hat der BF eine Ordnungswidrigkeit (Einschmuggeln von Gegenstände – Auffindung eines Mobiltelefons) während des Aufenthalts in Schubhaft begangen.

- Am 14.04.2020 wurde die Behörde verständigt, dass der Vater des BF durch die russische Botschaft identifiziert wurde und diesem ein Heimreisezertifikat ausgestellt werde.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.06.2020, W140 2230440-2/4E,
wurde gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.07.2020, W140 2230440-3/4E,

wurde gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

Mit 30.07.2020 legte das Bundesamt gemäß § 22a BFA-VG die Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) im Hinblick auf Prüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft vor.

Am 03.08.2020 langten die vom BVwG angeforderten medizinischen Unterlagen betreffend den Gesundheitszustand des BF ein, aus denen sich weiterhin eine uneingeschränkte Haftfähigkeit ergibt.

Das Bundesverwaltungsgericht hat von Amts wegen erwogen:
Feststellungen:

Der im Verfahrensgang dargestellte Sachverhalt ist den rechtskräftigen angeführten Vorerkenntnissen entnommen wird festgestellt.

Zusätzlich amtswegig festgestellt wird:

Die russische Botschaft lässt vorübergehend keine Vorführtermine zu. Die russische Botschaft wird das Bundesamt umgehend in Kenntnis setzen, wann wieder Vorführtermine möglich sind. In diesem Fall wir ein schnellst möglicher Termin vereinbart und die Partei zur Identifizierung vorgeführt.

Die zuvor vom BFA unterstütze und gewährte freiwillige Ausreise des Vaters des BF wurde storniert, da der Vater an der Identifizierung seines Sohnes nicht mitwirkt, sich aus dem angeordneten gelinderen Mittel entzogen hat und unbekannten Aufenthalts ist. Der Aufenthaltsort des Vaters ist seiner Rechtsvertretung bekannt.

Der Vater hat im Wege seines Rechtsvertreters die freiwillige Ausreise widerrufen.

Die Identifizierung des BF zur HRZ Ausstellung wird durch den Vater des BF behindert.

Das Bundesamt hat zusätzliche Maßnahmen zur Identifizierung der Partei durchgeführt, die von der Mitwirkung des Vaters unabhängig sind.

Auf der Tatsachenebene liegt keine für den BF sprechende Änderung - die Fluchtgefahr betreffend - vor.

Es sind auch aktuell keinerlei Umstände aufgetreten, die zu einem von den Vorerkenntnissen abweichenden und für die Freilassung des Beschwerdeführers (BF) sprechenden Sachverhalt führen könnten. Die Fluchtgefahr wurde hingegen durch die aktenkundige Verweigerung der Identifizierung des BF durch seinen Vater verstärkt.

Der BF ist haftfähig, es sind keine Umstände hervorgekommen, dass die weitere Inschubhaftnahme unverhältnismäßig wäre.

2. Beweiswürdigung:

Verfahrensgang, die getroffenen Feststellungen und die Haftfähigkeit des BF ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt der Behörde und dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes sowie den Gerichtsakten zu den angeführten Vorentscheidungen.

Die Feststellung, dass zwischenzeitlich keinerlei für den BF sprechende Änderung des Sachverhaltes eingetreten ist ergibt sich als Konsequenz daraus.

Die Feststellung zum Untertauchen des Vaters, um die Identifizierung seines Sohnes zu verhindern, ergibt sich aus der Stellungnahme des Bundesamts vom 30.07.2020. Ebenso ergibt sich aus dieser, dass das Bundesamt weitere, vom Vater unabhängige Maßnahmen zur Identifizierung des BF gesetzt hat.

Im Besonderen ist hervorzuheben, dass die Behörde dargetan hat, dass sie sich im vorliegenden Fall um die Ausstellung eines Heimreisezertifikates (HRZ) bemüht und nach den Erfahrungswerten davon auszugehen ist, dass ein solches auch von der Russischen Botschaft erlangt werden kann. Ein HRZ-Verfahren mit der Russischen Botschaft ist im Laufen. Der Vater des BF wurde bereits durch die Russische Botschaft identifiziert und die Ausstellung eines Heimreisezertifikates zugesagt. Eine Vorführung des BF vor die Russische Botschaft ist geplant, sobald Vorführtermine wieder möglich sind. Darüber hinaus das das Bundesamt weitere Schritte gesetzt, durch die eine Identifizierung des BF auch ohne aktive Mitwirkung des Vaters des BF möglich ist.


3. Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. – Fortsetzung der Schubhaft

Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakte so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage die Verwaltungsakte gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

Gemäß § 76 Abs 1 FPG können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

Die Schubhaft darf gemäß § 76 Abs 2 FPG nur angeordnet werden, wenn
1.         dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2.         dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3.         die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

§ 76 Abs. 3 FPG lautet:

Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.         ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a.         ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.         ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.         ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.         ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.         ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.         ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.         ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.         ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.         der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen.

Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise - wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG - erreicht werden ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig.

§ 80 FPG lautet:

(1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.

(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich
1.         drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;
2.         sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt.

(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrechterhalten werden.

(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil
1.         die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,
2.         eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,
3.         der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder
4.         die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint,

kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.

(5) Abweichend von Abs. 2 und vorbehaltlich der Dublin-Verordnung darf die Schubhaft, sofern sie gegen einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, angeordnet wurde, bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Durchsetzbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Dauer von 10 Monaten nicht überschreiten. Wird die Schubhaft über diesen Zeitpunkt hinaus aufrechterhalten oder nach diesem Zeitpunkt neuerlich angeordnet, ist die Dauer der bis dahin vollzogenen Schubhaft auf die Dauer gemäß Abs. 2 oder 4 anzurechnen.

(5a) In den Fällen des § 76 Abs. 2 letzter Satz ist auf die Schubhaftdauer gemäß Abs. 5 auch die Dauer der auf den Festnahmeauftrag gestützten Anhaltung anzurechnen, soweit sie nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz gemäß § 40 Abs. 5 BFA-VG aufrechterhalten wurde. Die Anrechnung gemäß Abs. 5 letzter Satz bleibt davon unberührt.

(6) Das Bundesamt hat von Amts wegen die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft längstens alle vier Wochen zu überprüfen. Ist eine Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG anhängig, hat diesfalls die amtswegige Überprüfung zu entfallen.

(7) Das Bundesamt hat einen Fremden, der ausschließlich aus den Gründen des Abs. 3 oder 4 in Schubhaft anzuhalten ist, hievon unverzüglich schriftlich in Kenntnis zu setzen.


Zur Judikatur:

Insbesondere ist in diesem Zusammenhang auf Art 1 Abs. 3 PersFrSchG 1988 hinzuweisen, aus dem sich das für alle Freiheitsentziehungen geltende Gebot der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit ergibt, deren Prüfung im Einzelfall eine entsprechende Interessenabwägung verlangt. Für die Schubhaft ergibt sich das im Übrigen auch noch aus der Wendung "... wenn dies notwendig ist, um ..." in Art 2 Abs. 1 Z 7 PersFrSchG 1988. Dementsprechend hat der VfGH - nachdem er bereits in seinem Erkenntnis vom 24.06.2006, B 362/06, die Verpflichtung der Behörden betont hatte, von der Anwendung der Schubhaft jedenfalls Abstand zu nehmen, wenn sie im Einzelfall nicht notwendig und verhältnismäßig ist - in seinem Erkenntnis vom 15.06.2007, B 1330/06 und B 1331/06, klargestellt, dass die Behörden in allen Fällen des § 76 Abs. 2 FrPolG 2005 unter Bedachtnahme auf das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit verpflichtet sind, eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung des Verfahrens und der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen. Der VwGH hat dazu beginnend mit dem Erkenntnis vom 30.08.2007, 2007/21/0043, mehrfach festgehalten, dass die Schubhaft auch dann, wenn sie auf einen der Tatbestände des § 76 Abs. 2 FrPolG 2005 gestützt werden soll, stets nur ultima ratio sein dürfe.“ (VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

Eine Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kann stets nur dann rechtens sein, wenn eine Abschiebung auch tatsächlich infrage kommt. Die begründete Annahme, dass eine Aufenthaltsbeendigung erfolgen wird, ist dabei ausreichend. Dass die Effektuierung mit Gewissheit erfolgt, ist nicht erforderlich (vgl. dazu etwa VwGH 07.02.2008, Zl. 2006/21/0389; VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/21/0039). Steht hingegen von vornherein fest, dass diese Maßnahme nicht durchführbar ist, so darf die Schubhaft nicht verhängt werden. Anderenfalls erwiese sich die Schubhaft nämlich als für die Erreichung des Haftzweckes (der Abschiebung) "nutzlos". Umgekehrt schadet es - wie sich aus den Verlängerungstatbeständen des § 80 FPG ergibt - nicht, wenn der ins Auge gefassten Abschiebung zeitlich befristete Hindernisse entgegenstehen. Den erwähnten Verlängerungstatbeständen liegt freilich zugrunde, dass die infrage kommenden Hindernisse längstens innerhalb der zulässigen Schubhaftdauer beseitigt werden. Ist hingegen bereits bei Beginn der Schubhaft absehbar, dass das Abschiebehindernis nicht binnen dieser Frist zu beseitigen ist, so soll die Schubhaft nach den Vorstellungen des Gesetzgebers von Anfang an nicht verhängt werden. Dasselbe gilt, wenn während der Anhaltung in Schubhaft Umstände eintreten, aus denen erkennbar ist, dass die Abschiebung nicht in der restlichen noch zur Verfügung stehenden Schubhaftdauer bewerkstelligt werden kann. (vgl. VwGH 11.06.2013, Zl. 2013/21/0024, zum Erfordernis einer Prognosebeurteilung, ob die baldige Ausstellung eines Heimreisezertifikates trotz wiederholter Urgenzen durch das Bundesministerium für Inneres angesichts der Untätigkeit der Vertretungsbehörde des Herkunftsstaates zu erwarten ist; vgl. VwGH 18.12.2008, Zl. 2008/21/0582, zur rechtswidrigen Aufrechterhaltung der Schubhaft trotz eines ärztlichen Gutachtens, wonach ein neuerlicher Versuch einer Abschiebung des Fremden in den nächsten Monaten aus medizinischen Gründen nicht vorstellbar sei).

Aufgrund der zitierten gesetzlichen Bestimmungen hat die Behörde nach § 22a Abs. 4 BFA-VG dem Bundesverwaltungsgericht die Verwaltungsakten zur amtswegigen Überprüfung der Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit der weiteren Anhaltung, welche über die Viermonatsfrist gehen solle, vorzulegen. Dabei hat sie darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig wäre. Es ist Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichtes hierüber im Verfahren eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit durchzuführen und hat sich im Rahmen dieser Überprüfung auch im Hinblick auf die vorzunehmende Zukunftsprognose für das Gericht ergeben, dass eine weitere Anhaltung weiter als verhältnismäßig angesehen werden kann.

Der Verwaltungsgerichthof führte in seiner Entscheidung vom 30.08.2018 (Ra 2018/21/0111) Folgendes aus: „In einem gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG 2014 ergangenen Erkenntnis wird entsprechend dem Wortlaut der genannten Bestimmung (nur) ausgesprochen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist. Diese Entscheidung stellt - ebenso wie ein Ausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG 2014 - einen neuen Hafttitel dar. Über vor oder nach der Entscheidung liegende Zeiträume wird damit nicht abgesprochen. Ein Erkenntnis nach § 22a Abs. 4 BFA-VG 2014 steht daher einer Beschwerde nach § 22a Abs. 1 BFA-VG 2014, mit der die Überprüfung der Rechtmäßigkeit von vor oder nach der Erlassung des Erkenntnisses liegenden Haftzeiten begehrt wird, nicht entgegen.“

Aufgrund der Kriterien des § 76 Abs. 3 Z 1, 3 und 9 FPG liegt Fluchtgefahr vor und ist auch Sicherungsbedarf gegeben. Insbesondere zu berücksichtigen ist, ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert. Die Schubhaft ist jedenfalls wegen Fluchtgefahr aufrechtzuerhalten, weil aus dem vergangenen und aktuellen Verhalten des Beschwerdeführers mit Sicherheit geschlossen werden kann, dass der Beschwerdeführer seine Abschiebung zu verhindern oder jedenfalls zu behindern beabsichtigt. Der BF hat im Verfahren zur Aberkennung seines Asylstatus und zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung nur bedingt mitgewirkt und seine Rückkehr behindert, indem er keine Schritte zur Beschaffung identitätsbezeugender Dokumente unternommen hat. Es ist zu betonen, dass bei Kooperation des Beschwerdeführers die Anhaltung in Schubhaft schon früher hätte beendet werden können. Dass sie noch andauert - und damit von den Maßnahmen hinsichtlich der Covid-19-Pandemie betroffen war/ist - hat der Beschwerdeführer zu verantworten. Gegen den BF liegt eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung vor. Das im Bundesgebiet vorhandene familiäre Netz des BF kann die Fluchtgefahr keinesfalls relativieren. Im Gegenteil erhöht sich durch das Verhalten des Vaters im gegenständlichen Fall das Fluchtrisiko des BF, da dieser bereits unter Beweis gestellt hat die Abschiebung seines Sohnes verhindern zu wollen und sogar selbst untergetaucht ist und sich einem gelinderen Mittel entzogen hat, um eine Identifizierung des BF zu erschweren.

Der Beschwerdeführer hatte keine berücksichtigungswürdigen Umstände dargetan, wonach die Schonung seiner Freiheit das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung überwiegen würde. Die Schubhaft ist unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände und vor dem Hintergrund - dass sich die Behörde um die Ausstellung eines Heimreisezertifikates bemüht - eine Vorführung des BF vor die Russische Botschaft ist geplant - wenn Vorführtermine wieder möglich sind - auch verhältnismäßig. Die Fluchtgefahr des BF wurde durch das Untertauchen des Vaters, um die Identifizierung seines Sohnes zu verhindern, zusätzlich erhöht. Das Bundesamt hat hingegen weitere Schritte unternommen, um die Identifizierung des BF durch die russischen Vertretungsbehörden auch ohne aktive Mitwirkung des Vaters des BF zu ermöglichen. Das Verhalten des Vaters des BF kann dem Bundesamt, ebenso wenig wie die temporär unmögliche Terminvereinbarung an der russischen Botschaft nicht zugerechnet werden. Nach Terminvergabe durch die russische Vertretungsbehörde ist zügig mit einer HRZ Ausstellung zu rechnen. Mit der Abschiebung des BF ist zeitnah nach der HRZ Ausstellung möglich, womit jedenfalls innerhalb der zulässigen Schubhafthöchstdauer zu rechnen ist.

In diesem Zusammenhang war auch die Straffälligkeit des Beschwerdeführers zu berücksichtigen und § 76 Abs. 2a FPG anzuwenden: „(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.“

Das Verhalten des Beschwerdeführers in der Vergangenheit – in Zusammenschau mit seinen rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilungen zu teilweise unbedingten Freiheitsstrafen wegen: Mitgliedschaft einer Terroristischen Vereinigung und Krimineller Organisation, sowie wegen Gefährlicher Drohung, Nötigung und Raub - schließt auch weiterhin die Anordnung gelinderer Mittel aus.

Die getroffenen Feststellungen und ihre rechtliche Würdigung lassen im Hinblick auf ihre Aktualität und ihres Zukunftsbezuges keine - die Frage der Rechtmäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft - ändernden Umstände erkennen.

Es war daher spruchgemäß festzustellen, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.


Zu Spruchpunkt II. – Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Wie ausgeführt, sind keine Auslegungsfragen hinsichtlich der anzuwendenden Normen hervorgekommen, es waren auch keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen. Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Abschiebung Fluchtgefahr Fortsetzung der Schubhaft Haftfähigkeit Identität Identitätsfeststellung Mitwirkungspflicht öffentliche Interessen Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Strafhaft Verhältnismäßigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W278.2230440.4.00

Im RIS seit

12.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

12.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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