Entscheidungsdatum
17.01.2020Norm
AsylG 2005 §54Spruch
W152 1435742-2/17E
W152 1435743-2/17E
W152 1435744-2/14E
W152 2129876-1/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Walter KOPP über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , 3.) XXXX , geb. XXXX , und 4.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Mongolei, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, jeweils vom 17.06.2016, Zlen. 13-830343203-1630142 (ad 1.), 13-830343301-1630126 (ad 2.), 13-830343410-2219793 (ad 3.), und gegen die Spruchpunkte III und IV des Bescheides vom 17.06.2016, Zl. 16-1112006909-160556955 (ad 4.), nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.01.2020 zu Recht erkannt:
A) Den Beschwerden wird stattgegeben und festgestellt, dass jeweils eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG idgF iVm § 9 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist. XXXX , XXXX , XXXX und XXXX wird gemäß §§ 58 Abs. 2, 54 und 55 Abs. 1 AsylG 2005 idgF iVm § 81 Abs. 36 NAG idgF jeweils der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" erteilt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG idgF nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
Die Beschwerdeführer reisten - mit Ausnahme des am XXXX bereits in Österreich geborenen Viertbeschwerdeführers - jeweils am 05.03.2013 in das Bundesgebiet ein und stellten jeweils - mit Ausnahme des Viertbeschwerdeführers - am 17.03.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Viertbeschwerdeführer stellte - hiebei vertreten durch den Erstbeschwerdeführer - am 15.04.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Mit Bescheiden vom jeweils 27.05.2013 des Bundesasylamtes, Außenstelle Innsbruck, wurden jeweils unter Spruchpunkt I die Anträge der Beschwerdeführer - mit Ausnahme des Viertbeschwerdeführers - auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 und unter Spruchpunkt II gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 diese Anträge auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Mongolei abgewiesen. Unter Spruchpunkt III wurde jeweils gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Mongolei ausgesprochen.
Das Bundesverwaltungsgericht wies mit Erkenntnissen vom jeweils 16.11.2015, GZ: W191 1435742-1/15E (ad 1.), W191 1435743-1/11E (ad 2.) und W191 1435744-1/8E (ad 3.), die gegen die oben genannten Bescheide erhobene Beschwerden jeweils unter Spruchpunkt I die Beschwerden hinsichtlich der Spruchpunkte I und II der angefochtenen Bescheide gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 als unbegründet ab, wobei jeweils unter Spruchpunkt II der Spruchpunkt III der angefochtenen Bescheide aufgehoben und das Verfahren gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen wurde.
Mit den im Spruch angeführten Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol, vom jeweils 17.06.2016 wurde hinsichtlich der Beschwerdeführer - mit Ausnahme des Viertbeschwerdeführers - jeweils unter Spruchpunkt I ausgesprochen, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde, wobei gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG jeweils eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt wurde, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Mongolei zulässig sei. Unter Spruchpunkt III wurde jeweils ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise in die Mongolei 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.
Gegen die zuletzt genannten Bescheide wurden fristgerecht Beschwerden erhoben.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol, wies weiters mit Bescheid vom 17.06.2016, Zahl: 16-1112006909-160556955, den Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Mongolei abgewiesen (Spruchpunkt II), wobei weiters ausgesprochen wurde, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Antragstellers gemäß § 46 FPG in die Mongolei zulässig sei (Spruchpunkt III). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV).
Es wurde dann nur gegen die Spruchpunkte III und IV des zuletzt genannten Bescheides - wie der Rechtsvertreter auch explizit in der Verhandlung betonte - fristgerecht Beschwerde erhoben.
Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Feststellungen (Sachverhalt):
Die strafgerichtlich unbescholtenen Beschwerdeführer, Staatsangehörige der Mongolei, leben - mit Ausnahme des am XXXX bereits in Österreich geborenen Viertbeschwerdeführers, der der gemeinsame Sohn des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin ist - nunmehr seit März 2013 - somit seit mehr als 6 Jahren - ohne Unterbrechung im Bundesgebiet, wobei deren (legalen) Aufenthalt ausnahmslos ihre Verfahren hinsichtlich des Antrages auf internationalen Schutz einschließlich einer Rückkehrentscheidung zu Grunde lag.
Der Erstbeschwerdeführer lebt mit der Zweitbeschwerdeführerin, die seit dem Jahre 2010 seine Ehegattin ist, der Drittbeschwerdeführerin, die die am XXXX geborene gemeinsame Tochter ist, und dem Viertbeschwerdeführer in Österreich in einem gemeinsamen Haushalt.
Hinsichtlich der bereits erfolgten Integration im Bundesgebiet fallen die außergewöhnlichen Deutschkenntnisse des Erstbeschwerdeführers und insbesondere der Zweitbeschwerdeführerin auf. So erwarb der Erstbeschwerdeführer das Sprachzertifikat A2/Österreichisches Sprachdiplom Deutsch (ÖSD) bereits am 17.12.2015, wobei er das Kalkül "gut" nur um zwei Punkte verfehlte. Derzeit besucht der Erstbeschwerdeführer einen Deutschkurs auf dem Niveau B1. Die Zweitbeschwerdeführerin erwarb auch bereits am 08.07.2015 das Sprachzertifikat A2/Österreichisches Sprachdiplom (ÖSD), wobei sie die entsprechende Prüfung mit dem Kalkül "sehr gut" bestand. In weiterer Folge erwarb die Zweitbeschwerdeführerin das Sprachzertifikat B1/Österreichisches Sprachdiplom (ÖSD), wobei sie die entsprechende Prüfung mit dem Kalkül "gut" bestand und nur um einen halben Punkt das Kalkül "sehr gut" verfehlte. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin waren in der Verhandlung bereits durchaus in der Lage, die in deutscher Sprache gestellten Fragen zu verstehen und auch in deutscher Sprache zu antworten, wodurch auch eine unmittelbare Kommunikation möglich war. Die Sprachkenntnisse sind jedenfalls für die Bewältigung des Alltagslebens ausreichend und gehen bei der Zweitbeschwerdeführerin darüber noch hinaus. Im Zuge des Beschwerdeverfahrens wurden auch Arbeitsvorverträge vom jeweils 03.01.2020 in Vorlage gebracht, wobei das Unternehmen XXXX , XXXX , XXXX , einen solchen Vertrag mit dem Erstbeschwerdeführer abschloss, wobei dieser als Umzugshelfer mit einer Wochenarbeitszeit von 20 Stunden bei einer Entlohnung von ? 11 ,- brutto pro Stunde beschäftigt werde und weiters die " XXXX ", XXXX , auch einen solchen Vertrag mit der Zweitbeschwerdeführerin abschloss, wobei diese als Stubenmädchen mit einer Wochenarbeitszeit von 40 Stunden bei einer monatlichen Entlohnung von ? 1.540,- brutto beschäftigt werde, wobei hinsichtlich der Zweitbeschwerdeführerin bereits auch eine Beschäftigungsbewilligung erteilt wurde. Dadurch ist dann von der Selbsterhaltungsfähigkeit der Familie auszugehen.
Die Zweitbeschwerdeführerin erwarb in Österreich den Führerschein der Klassen AM und B. Der Erstbeschwerdeführer verfügt über einen nostrifizierten Führerschein der Klassen AM und B.
Die Drittbeschwerdeführerin besucht seit 11.09.2017 als außerordentliche Schülerin die Volksschule in XXXX . Der Viertbeschwerdeführer geht seit September 2019 in den Kindergarten in XXXX .
Weiters ist die Zweitbeschwerdeführerin seit Dezember 2017 beim Österreichischen Roten Kreuz, Landesverband XXXX , an der Bezirksstelle XXXX als freiwillige Mitarbeiterin bei der Team Österreich Tafel tätig und verrichtet regelmäßig Dienste.
Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin haben auch bereits einen Freundeskreis im Bundesgebiet, der auch aus Österreichern besteht, gewonnen, wobei die Bindung zum Heimatstaat nur mehr in gelegentlichen telefonischen Kontakten mit Verwandten besteht.
Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in die Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und durch die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 10.01.2020.
Die Feststellungen ergeben sich insbesondere aus den im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung erstatteten glaubwürdigen Vorbringen, den (auch im Original vorgelegten) Reisepässen der Beschwerdeführer, der Heiratsurkunde einschließlich beglaubigter Übersetzung, den Geburtsurkunden der Kinder, den (auch im Original vorgelegten) Führerscheinen, den Bestätigungen des Schul- und Kindergartenbesuches, dem ÖSD Zertifikat A2 vom 15.12.2015 des Erstbeschwerdeführers, den ÖSD Zertifikaten A2 vom 08.07.2015 und B1 vom 23.11.2017 der Zweitbeschwerdeführerin, den Arbeitsvorverträgen vom jeweils 03.01.2020 und der Beschäftigungsbewilligung, der Bestätigung des "Österreichischen Roten Kreuzes" vom 02.01.2020 über die freiwillige Mitarbeit der Zweitbeschwerdeführerin und den jeweils am 14.01.2020 erfolgten Einsichtnahmen in das Strafregister (SA).
Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz, BGBl. I Nr. 10/2013 (BVwGG), entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I 33/2013 idgF (VwGVG), geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, unberührt.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991, BGBl. 51/1991 (AVG), mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 (BAO), des Agrarverfahrensgesetzes, BGBl. Nr. 173/1950 (AgrVG), und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984, BGBl. Nr. 29/1984 (DVG), und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
Zu Spruchpunkt A):
§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG idgF lautet:
"Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem auch, dass das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer "Familie" voraussetzt.
Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. Als Kriterien hiefür kommen etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel und Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 31110/67, Yb 11, 494(518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde auch von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).
Art. 8 EMRK macht zwischen ehelicher und nichtehelicher Familie keinen Unterschied (EGMR 13.06.1979, 6833/74, Marckx gg Belgien, Z 31; EGMR 27.10.1994, 18535/91, Kroon und andere gg die Niederlande). Familienleben ist jedoch nicht auf Beziehungen beschränkt, die auf einer Ehe beruhen (EGMR 26.05.1994, 16.969/90, Keegan vs Irland, EGMR 13.07.2000, 25.735/94, Elsholz gg Deutschland) und umfasst daher auch eheähnliche Lebensgemeinschaften zwischen Mann und Frau.
Bei der Prüfung der Zulässigkeit von Ausweisungen und dem damit verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben hat eine Einzelfallprüfung zu erfolgen, die sich nicht in der formelhaften Abwägung iSd Art. 8 EMRK erschöpfen darf, sondern auf die individuelle Lebenssituation des von der Ausweisung Betroffenen eingehen muss. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 29.09.2007, B328/07, dargelegt hat, lassen sich aus der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes eine Vielzahl von Kriterien ableiten, die bei der gebotenen Interessensabwägung zu beachten sind. Dazu zählen vor allem die Aufenthaltsdauer, die an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft ist (EGMR vom 31.01.2006, 50.435/99), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR vom 28.05.1985, 9214/80, 9473/81, 9474/81 ua.) und dessen Intensität (EGMR vom 02.08.2001, 54.273/00), der Grad der Integration, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schul- oder Berufsausbildung, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (EGMR vom 04.10.2001, 43.359/98 ua.), die Bindung zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und die Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (EGMR vom 24.11.1998, 40.447/98 ua.) und die Frage, ob das Privat- und Familienleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (EGMR vom 24.11.1998, 40.447/98 ua.).
Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden ist regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden etwa Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen. Diese Rechtsprechung zu Art. 8 EMRK ist auch für die Erteilung von Aufenthaltstiteln relevant (VwGH 26.02.2015, Ra 2015/22/0025; VwGH 19.11.2014, 2013/22/0270). Auch in Fällen, in den die Aufenthaltsdauer knapp unter zehn Jahren lag, hat der VwGH eine entsprechende Berücksichtigung dieser langen Aufenthaltsdauer gefordert (VwGH 16.12.2014, 2012/22/0169; VwGH 09.09.2014, 2013/22/0247; VwGH 30.07.2014, 2013/22/0226). Im Fall, dass ein insgesamt mehr als zehnjähriger Inlandsaufenthalt für einige Monate unterbrochen war, legte der VwGH seine Judikatur zum regelmäßigen Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich bei einem mehr als zehnjährigen Inlandaufenthalt des Fremden zugrunde (VwGH 26.03.2015, Ra 2014/22/0078 bis 0082).
Da die strafgerichtlich unbescholtenen Beschwerdeführer - mit Ausnahme des am XXXX bereits in Österreich geborenen Viertbeschwerdeführers - nunmehr bereits seit März 2013 - somit seit mehr als 6 Jahren - ohne Unterbrechung in Österreich leben, wobei deren (legalen) Aufenthalt ausnahmslos ihre Verfahren hinsichtlich des Antrages auf internationalen Schutz einschließlich einer Rückkehrentscheidung zu Grunde lagen, bereits über außergewöhnliche Deutschkenntnisse verfügen - so erwarb der Erstbeschwerdeführer das Sprachzertifikat A2 und die Zweitbeschwerdeführerin das Sprachzertifikat A2 mit dem Kalkül "sehr gut" und das Sprachzertifikat B1 mit dem Kalkül "gut", wobei diese Sprachkenntnisse im Rahmen der Verhandlung unter Beweis gestellt wurden, weiters Arbeitsvorverträge vorgelegt wurden, die die Selbsterhaltungsfähigkeit der Familie als gewährleistet erscheinen lassen, die Zweitbeschwerdeführerin bereits seit über zwei Jahren freiwillige Mitarbeiterin beim "Österreichischen Roten Kreuz" ist und der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin bereits auch einen aus Österreichern bestehenden Freundeskreis gewonnen hat, wogegen die Bindung zum Heimatstaat nur noch in gelegentlichen telefonischen Kontakten besteht, die Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführer mit dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin in Österreich ein gemeinsames Familienleben führen und die Interessen der Beschwerdeführer insbesondere angesichts der bereits langen Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet somit die öffentlichen Interessen überwiegen, würde eine Rückkehrentscheidung jeweils eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen. Daraus ergibt sich, dass die vorliegenden Umstände nicht bloß vorübergehende sind, weshalb die Rückkehrentscheidung jeweils auf Dauer als unzulässig festzustellen ist.
Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 ist von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.
Aus den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum FrÄG 2015 ergibt sich hiezu, dass damit zusätzlich klargestellt werden soll, dass auch das Bundesverwaltungsgericht - in jeder Verfahrenskonstellation - über einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 absprechen darf. Es handelt sich hiebei jedoch nicht um eine Einräumung einer amtswegigen Entscheidungszuständigkeit für das Bundesverwaltungsgericht, welche entsprechend dem Prüfungsbeschluss des VfGH vom 26. Juni 2014 (E 4/2014) als unzulässig zu betrachten wäre, da die Frage der Erteilung des Aufenthaltstitels diesfalls vom Prüfungsgegenstand einer angefochtenen Rückkehrentscheidung mitumfasst ist und daher in einem zu entscheiden ist.
Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) erreicht wird (Z 2). Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist gemäß Abs. 2 eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.
Die Beschwerdeführer erfüllen somit jedenfalls die Voraussetzung des § 55 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005.
Gemäß § 81 Abs. 36 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) gilt das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG als erfüllt, wenn Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 68/2017 vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 68/2017 erfüllt haben oder von der Erfüllung ausgenommen waren. Die §§ 7 bis 16 Integrationsgesetz, BGBl. I Nr. 68/2017, mit Ausnahme vom § 13 Abs. 2 traten mit 01.10.2017 in Kraft.
Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung war gemäß § 14a Abs. 4 NAG idF vor dem Bundesgesetz, BGBl. I Nr. 68/2017 erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige einen Deutsch-Integrationskurs besucht und einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über den erfolgreichen Abschluss des Deutsch-Integrationskurses vorlegt (Z 1), einen allgemein anerkannten Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse gemäß § 14 Abs. 2 Z 1 NAG vorlegt (Z 2), über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 des Universitätsgesetzes 2002, BGBl. I 120, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht (Z 3) oder einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte" gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 NAG besitzt (Z 4).
Gemäß § 14a Abs. 5 Z 1 NAG idF vor dem Bundesgesetz, BGBl. I Nr. 68/2017, waren die zum Ende des Zeitraumes der Erfüllungspflicht (Abs. 2) unmündigen Drittstaatsangehörigen von der Erfüllungspflicht ausgenommen.
Gemäß § 54 Abs. 1 AsylG 2005 werden Drittstaatsangehörigen folgende Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt:
1. "Aufenthaltsberechtigung plus", die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG), BGBl. Nr. 218/1975 berechtigt;
2. "Aufenthaltsberechtigung", die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt;
3. "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz", die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt.
Gemäß Abs. 2 leg. cit. sind diese Aufenthaltstitel für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen.
Da der Erstbeschwerdeführer das Sprachzertifikat A2 bereits am 17.12.2015 und die Zweitbeschwerdeführerin am 08.07.2015, somit vor dem maßgeblichen 01.10.2017 erwarben, und die Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführer als unmündige Drittstaatsangehörige ohnedies von der Erfüllungspflicht ausgenommen waren, erfüllen diese (auch) die Voraussetzung gemäß § 55 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm § 81 Abs. 36 NAG zur Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung plus", weshalb ihnen somit gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen ist.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat den Beschwerdeführern die Aufenthaltstitel gemäß § 58 AsylG 2005 auszufolgen. Die Aufenthaltstitel gelten gemäß § 54 Abs. 2 AsylG 2005 zwölf Monate lang, beginnend mit dem Ausstellungsdatum.
Zu Spruchpunkt B):
Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 1985/10 idgF (VwGG), hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung; die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Schließlich liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Hiebei wird einerseits auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf die Eindeutigkeit der Rechtslage und andererseits darauf verwiesen, dass der gegenständliche Fall ohnedies maßgeblich auf der Tatsachenebene zu beurteilen war.
Aufgrund der Deutschkenntnisse des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin war die Übersetzung des Spruches und der Rechtsmittelbelehrung iSd § 12 Abs. 1 BFA-VG idgF entbehrlich.
Schlagworte
Aufenthaltsberechtigung plus Aufenthaltsdauer Deutschkenntnisse Familienverfahren Integration Integrationsvereinbarung Interessenabwägung Privat- und Familienleben Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig SelbsterhaltungsfähigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W152.2129876.1.00Im RIS seit
06.10.2020Zuletzt aktualisiert am
06.10.2020