TE Vfgh Erkenntnis 1995/12/1 V104/95

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Veröffentlicht am 01.12.1995
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Index

50 Gewerberecht
50/01 Gewerbeordnung

Norm

B-VG Art18 Abs2
Baugewerbe-BefähigungsnachweisV §2
GewO 1994 §22 Abs4

Leitsatz

Gesetzwidrigkeit des absoluten Verbots der Nachsichtserteilung vom Befähigungsnachweis in der Baugewerbe-BefähigungsnachweisV wegen Überschreitens der gesetzlichen Verordnungsermächtigung

Spruch

§2 der Verordnung des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie vom 27. Februar 1980, BGBl. Nr. 107/1980, über den Befähigungsnachweis für die konzessionierten Baugewerbe (Baugewerbe-Befähigungsnachweisverordnung) wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. Juni 1996 in Kraft.

Der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist ein Verfahren gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 18. Oktober 1994 anhängig, mit dem ein erstinstanzlicher Bescheid bestätigt wurde, der einen Antrag um Erteilung der Nachsicht vom Befähigungsnachweis für das Steinmetzmeistergewerbe, eingeschränkt auf das Verlegen und Versetzen von Fassadenverkleidungen, Steinbelägen, Steinplatten und Steinstufen gemäß §28 Abs1 GewO 1994 iVm §2 der Baugewerbe-Befähigungsnachweisverordnung, BGBl. 107/1980, abwies.

Gemäß §2 der Baugewerbe-Befähigungsnachweisverordnung, die gemäß §376 Z4 Abs3 GewO 1994 weiterhin in Geltung stehe, dürfe der Nachweis der Befähigung für das Steinmetzmeistergewerbe nicht gemäß §28 Abs1 bis 5 GewO 1994 nachgesehen werden. Aus §206 Abs1 Z1 GewO 1994 ergebe sich, daß auch die vom Berufungswerber nach seinem Vorbringen in der Berufung angestrebten Tätigkeiten des (bloßen) Verlegens und Versetzens von Steinbelägen, Steinplatten und -stufen dem bewilligungspflichtigen gebundenen Gewerbe der Steinmetzmeister, für das eine Nachsicht vom Befähigungsnachweis weder uneingeschränkt noch eingeschränkt zulässig sei, zuzurechnen und vorbehalten sei.

2. Da bei Behandlung der Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit des §2 der Baugewerbe-Befähigungsnachweisverordnung entstanden sind, hat der Gerichtshof beschlossen, diese Bestimmung auf ihre Übereinstimmung mit ihrer gesetzlichen Grundlage zu überprüfen. Er nahm die Zulässigkeit der Beschwerde an und ging davon aus, daß er diese Bestimmung bei Beurteilung des Bescheides anzuwenden hätte, weil der belangte Bundesminister bei der Entscheidung über das Nachsichtsansuchen seinen Bescheid ausdrücklich und der Sache nach auf diese Bestimmung gestützt habe. In der Sache hatte der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, daß die in Prüfung genommene Bestimmung deshalb über die gesetzliche Ermächtigung des §22 Abs4 GewO 1994 hinausgehe, weil er ein zu weit gehendes Verbot der Nachsichtserteilung vom Befähigungsnachweis anordne.

3. Der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten hat eine Äußerung erstattet, in der er beantragt, §2 der in Rede stehenden Verordnung nicht als gesetzwidrig aufzuheben, in eventu die Aufhebung auf die Wendung "bis 5" in §2 der Verordnung zu beschränken.

4. Auf diese Äußerung erwiderte der Beschwerdeführer des Anlaßverfahrens und trat den Argumenten des Bundesministers entgegen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. a) Die Gewerbeordnung sieht als Voraussetzung für die zulässige Gewerbeausübung in einer Reihe von Fällen vor, daß der Gewerbeberechtigte (oder in bestimmten Fällen auch ein gewerberechtlicher Geschäftsführer) den Nachweis der Befähigung zur Ausübung des jeweiligen Gewerbes erbringt. Gemäß §28 Gewerbeordnung 1994 - GewO 1994 (Anlage zur Kundmachung des Bundeskanzlers und des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten, BGBl. 194/1994, mit der die Gewerbeordnung 1973 wiederverlautbart wird) ist unter bestimmten Voraussetzungen eine Nachsicht vom vorgesehenen Befähigungsnachweis zu erteilen: Ist nach dem Bildungsgang und der bisheriger Tätigkeit anzunehmen, daß der Nachsichtswerber die für die Gewerbeausübung erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen (die sog. "volle Befähigung") besitzt, und liegen keine Ausschlußgründe vor, ist ihm die Nachsicht ohne weiteres zu erteilen. Verfügt der Nachsichtswerber aber bloß über eine hinreichende tatsächliche Befähigung, also "immerhin über so viel Kenntnisse und Erfahrung ..., die als erforderlich erachtet werden, um Leistungen erbringen zu können, welche in der Regel von Inhabern des betreffenden Gewerbes verlangt werden" (Rill, Das Gewerberecht:

Grundfragen, Grundsätze und Standort im Rechtssystem, in: Korinek (Hrsg.), Gewerberecht, 1995, 1 ff., hic: 11 (im Anschluß an die verwaltungsgerichtliche Judikatur zur gleichartigen Vorschrift der GewO 1973)), so ist ihm die Nachsicht nur zu erteilen, wenn die Erbringung des Befähigungsnachweises aus in der Person des Nachsichtswerbers gelegenen Gründen nicht zumutbar ist oder örtliche Gegebenheiten für die Nachsichtserteilung sprechen (§28 Abs1 GewO 1994).

§28 Abs3 leg.cit. bestimmte im Zeitpunkt der Erlassung des im Anlaßverfahren bekämpften Bescheides, daß die Nachsicht im Falle voller Befähigung auch mit der Beschränkung auf eine Teiltätigkeit des Gewerbes erteilt werden kann, wenn die Befähigung lediglich in diesem Umfang gegeben ist; in der durch Aufhebung einer Wendung durch den Verfassungsgerichtshof (s. VfGH 2.3.1995, G272/94) bereinigten Fassung (Kdm. BGBl. 264/1995) ist eine solche beschränkte Nachsicht in beiden in Abs1 vorgesehenen Nachsichtsfällen möglich.

Eine Nachsicht ist nach dem Einleitungssatz des §28 Abs1 GewO 1994 allerdings nur zu erteilen, sofern die Gewerbeordnung selbst oder eine Verordnung gemäß §20 Abs4 oder §22 Abs4 GewO 1994 nichts Gegenteiliges bestimmt.

Der hier interessierende §22 GewO 1994 handelt von Befähigungsnachweisen für gebundene Gewerbe. Er sieht in Abs1 verschiedene Belege vor, durch die die Befähigung für gebundene Gewerbe nachgewiesen werden kann, und ermächtigt in Abs3 den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten

"durch Verordnung festzulegen, durch welche der im Abs1 bezeichneten Belege - für sich allein oder in entsprechender Verbindung untereinander - die Befähigung für gebundene Gewerbe, gegebenenfalls für deren eingeschränkte Ausübung, nachzuweisen ist; in dieser Verordnung ist auch die Dauer einer allenfalls vorgesehenen fachlichen Tätigkeit (Abs1 Z2) festzulegen. Hiebei ist auf den jeweiligen Stand der Entwicklung des betreffenden Gewerbes, auf die von Personen, die Leistungen des Gewerbes in Anspruch nehmen, üblicherweise gestellten Anforderungen, auf Gefahren für Leben, Gesundheit oder Eigentum, die von der Gewerbeausübung ausgehen können, auf die an die selbständige Ausübung des Gewerbes zu stellenden Anforderungen und auf die für das Gewerbe geltenden besonderen Rechtsvorschriften Bedacht zu nehmen."

Sodann bestimmt Abs4 des §22 GewO 1994:

"Wenn es Gründe der Abwehr von besonderen Gefahren für das Leben oder die Gesundheit von Menschen erfordern, hat der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten - soweit nicht durch dieses Bundesgesetz schon eine Regelung getroffen worden ist - unter Bedachtnahme auf die Gesichtspunkte des Abs3 zweiter Satz durch Verordnung festzulegen, daß der Nachweis bestimmter oder aller in einer Verordnung im Sinne des Abs3 angeführten Zeugnisse betreffend den Nachweis der Befähigung nicht gemäß §28 Abs1 bis 5 nachgesehen werden darf."

b) In der aufgrund der GewO 1973, BGBl. 50/1974, erlassenen Baugewerbe-Befähigungsnachweisverordnung, BGBl. 107/1980, wird in §1 bestimmt, daß die Befähigung für die damals als konzessionierte Gewerbe qualifizierten Gewerbe der Baumeister, Zimmermeister, Steinmetzmeister und Brunnenmeister durch das Zeugnis über die erfolgreich abgelegte Konzessionsprüfung für das betreffende Gewerbe nachzuweisen ist. Sodann normiert der in Prüfung genommene §2 der genannten Verordnung:

"§2. Der Nachweis der Befähigung für die im §1 angeführten Gewerbe darf nicht gemäß §28 Abs1 bis 5 GewO 1973 nachgesehen werden."

Durch ArtI Z118 der Gewerberechtsnovelle 1992, BGBl. 29/1993, wurden die in §1 der Baugewerbe-Befähigungsnachweisverordnung genannten Gewerbe zu bewilligungspflichtigen gebundenen Gewerben (§128 GewO 1973). In der hier maßgeblichen wiederverlautbarten Fassung der Gewerbeordnung trägt diese Bestimmung die Bezeichnung §127 GewO 1994.

Nach der (durch ArtI Z218 der Gewerberechtsnovelle 1992 eingeführten) Übergangsvorschrift des §376 Z4 Abs3 GewO 1994 ist "(b)is zur Erlassung der Vorschriften über den Befähigungsnachweis für ein durch das Inkrafttreten einer Neueinstufung neu in die Gruppe der Handwerke oder der gebundenen Gewerbe eingereihtes Gewerbe ... der Befähigungsnachweis für dieses Gewerbe nach jenen Vorschriften zu erbringen, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Neueinstufung für das bis zu diesem Zeitpunkt bestehende Gewerbe gelten".

2. Das Verfahren ist zulässig. Es sind keine Umstände hervorgekommen, die Zweifel an den Annahmen des Verfassungsgerichtshofes im Einleitungsbeschluß, daß die Beschwerde zulässig ist und im Verfahren §2 der Baugewerbe-Befähigungsnachweisverordnung anzuwenden wäre, hätten entstehen lassen können. Allerdings meint der Bundesminister, daß im Falle des Zutreffens der Bedenken lediglich die Wendung "bis 5" in §2 der Verordnung aufzuheben wäre und begründet dies folgendermaßen:

"Der dem Verordnungsprüfungsverfahren zugrunde liegende Beschwerdefall betrifft ein Ansuchen um Erteilung einer eingeschränkten Nachsicht vom Befähigungsnachweis, die (auch) auf §28 Abs3 GewO 1994 zu stützen wäre. Dagegen gründen sich unbeschränkte Nachsichten allein auf §28 Abs1 GewO 1994. Eine solche unbeschränkte Nachsicht ist zum einen nicht Gegenstand des zugrunde liegenden Beschwerdeverfahrens."

Zum anderen träfen die Bedenken auf Fälle des Verbotes der Nachsicht vom Befähigungsnachweis dann nicht zu, wenn es sich um die Ausübung des Steinmetzgewerbes insgesamt handle.

Die Überlegung des Bundesministers beachtet indes zum einen nicht ausreichend, daß der Ausschluß der Nachsichtsmöglichkeit auf den Einleitungssatz des §28 Abs1 GewO 1994 Bezug nimmt, und übersieht vor allem den Zusammenhang der Abs1 und 3 des §28 GewO 1994. Entspräche der Verfassungsgerichtshof dem Eventualantrag des Bundesministers, so bliebe der normative Gehalt des (bereinigten) §2 der Verordnung im Hinblick auf die Nachsicht für eine bloß auf Teiltätigkeiten beschränkte angestrebte Gewerbeausübung unverändert, weil diesfalls die Nachsichtserteilung für das Steinmetzgewerbe unzulässig bliebe, was sich angesichts der Verweisung in §28 Abs3 GewO 1994 auf dessen Abs1 eben auch auf die Nachsicht bloß für Teiltätigkeit beziehen würde.

3. a) In der Sache hatte der Verfassungsgerichtshof das Bedenken,

"daß die in Prüfung genommene Regelung über die dem Verordnungsgeber in §22 Abs4 GewO 1994 erteilte Ermächtigung hinausgeht.

Diese Gesetzesvorschrift ermächtigt und verpflichtet den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten durch Verordnung festzulegen, daß der Befähigungsnachweis nicht nachgesehen werden darf, 'wenn es Gründe der Abwehr von besonderen Gefahren für das Leben oder die Gesundheit von Menschen erfordern'. (Zum Zeitpunkt der Erlassung der hinsichtlich ihres §2 in Prüfung genommenen Baugewerbe-Befähigungsnachweisverordnung bestand eine gleichartige Ermächtigung hinsichtlich gebundener und konzessionierter Gewerbe an den Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie. Auf sie gestützt hat der damalige Bundesminister die in Rede stehende Verordnung erlassen.) §28 GewO 1994 nimmt auf derartige Verordnungen insofern Bezug, als er die Nachsichtserteilung unter anderem dann nicht zuläßt, wenn eine Verordnung nach §22 Abs4 leg.cit. die Nachsichtserteilung ausschließt.

Der Gerichtshof hatte schon in seiner Entscheidung vom 2. März 1995, G272/94, §28 Abs1 GewO in jener Fassung anzuwenden, die diese Bestimmung durch ArtI Z45 der Gewerberechtsnovelle 1992 erhalten hat (und die der nunmehrigen Fassung des §28 GewO 1994 entspricht) und hatte gegen das dadurch eingeführte differenzierte System der Voraussetzungen für die Erteilung einer Nachsicht vom Befähigungsnachweis keine Bedenken. Auch teilt er die Bedenken nicht, die in der Beschwerde gegen §22 Abs4 GewO 1994 vorgebracht werden. Denn diese Bestimmung scheint insofern einer verfassungskonformen Interpretation zugänglich zu sein, als sie den Bundesminister nur ermächtigt, die Nachsichtserteilung insofern zu verbieten, als dies Gründe der Abwehr von besonderen Gefahren für das Leben oder die Gesundheit von Menschen erfordern.

Dem so verstandenen §22 Abs4 leg.cit. scheint allerdings der in Prüfung genommene §2 der Baugewerbe-Befähigungsnachweisverordnung zu widersprechen: Der Verfassungsgerichtshof nimmt vorläufig an, daß nicht jede Teiltätigkeit der von der Baugewerbe-Befähigungsnachweisverordnung erfaßten Gewerbe derartige besondere Gefahren nach sich zieht. Gerade der gegenständliche Beschwerdefall scheint dies zu belegen:

Der Gerichtshof ist jedenfalls vorläufig der Auffassung, daß nicht davon die Rede sein kann, daß etwa die Teiltätigkeit des Verlegens von Steinplatten, Steinbelägen und Steinstufen solche besonderen Gefahren für Leben und Gesundheit mit sich bringen, wie sie die Vorschrift des §22 Abs4 GewO 1994 im Auge hat. Das durch die Verordnung auch für alle Teiltätigkeiten der dort genannten Gewerbe verfügte Verbot der Nachsichtserteilung vom Befähigungsnachweis scheint daher über die gesetzliche Ermächtigung hinauszugehen."

b) Der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten legt in seiner Äußerung dar, daß und welche spezifischen Kenntnisse für eine ordnungsgemäße Ausübung des Steinmetzgewerbes erforderlich sind. Er führt aus, daß

"Steinmetzmeister Steinplatten so verlegen müssen, daß die Stufen sicheren Halt geben. Stufen, die unsachgemäß ausgeführt sind und keinen sicheren Halt geben, verursachen stets eine Gefahr für das Leben und die Gesundheit von Menschen. Der Hinweis, daß auch Fliesen so verlegt werden müssen, daß sie sicheren Halt haben, übersieht die wesentlichen Unterschiede, die zwischen keramischen Wand- und Bodenfliesen und den von Steinmetzmeistern verwendeten Materialien bestehen. Keramische Wand- und Bodenfliesen sind industriell hergestellte Kunstprodukte, wobei durch die Auswahl der Rohstoffe und der Herstellungstechnologie das gewünschte Produkt hergestellt und in weitgehend gleicher Qualität und Form geliefert werden kann. Keramik ist ein normbares Produkt, wobei Materialprüfungen alle technisch relevanten Eigenschaften erfassen. Aus diesen Gründen wurde auch ein Nachsichtsverbot für bestimmte Verlegearbeiten durch Platten- und Fliesenleger nicht festgelegt. Aus der Tatsache, daß ein solches Nachsichtsverbot für Platten- und Fliesenleger nicht festgelegt wurde, kann jedenfalls nicht geschlossen werden, daß das Nachsichtsverbot für die Steinmetzmeister gesetzwidrig ist.

Natursteinplatten, die größer sind als die üblichen keramischen Platten oder Fliesen, können sowohl im Mörtelbett verlegt, als auch in Form von hinterlüfteten Verkleidungen an Fassaden angebracht werden. In welcher Art diese Platten verlegt werden, hängt in erster Linie von den Eigenschaften des zu verwendenden Steinmaterials ab.

Die in der Natur vorkommenden Gesteinsarten sind sehr vielfältig und in ihren Eigenschaften sehr unterschiedlich. Die Gesteinsarten, die für die Verkleidung von Fassaden verwendet werden, unterscheiden sich in dichte und weniger dichte Gesteine; die Chemie wiederum unterscheidet sie in die Erstarrungsgesteine, wie zB die Granite, Porphyre, Basalte und Sedimentgesteine wie Travertin, Sandstein und Muschelkalk und die Umwandlungsgesteine wie zB Schiefer und Gneis.

Die dichten und harten Steinplatten (zB Granit, Diorit, Basalt) sind für den Wasserhaushalt der Wand totes Material; durch solche Platten diffundiert kein Dampf und gelangt auch kein Wasser. Die weichen und oft porösen Steine (zB Sandsteine, Travertin, Schiefer) nehmen in gewissem Umfang Wasser auf; durch Poren, Risse, Fugen und andere Öffnungen kann Wasser eindringen und der Dampf hindurchdiffundieren. Diese Gesteine sind für den Wasserhaushalt der Wand aktiv. Da jedoch die Dampfdiffusion dichter Platten gering ist, muß die schnellere Dampfdiffusion durch Öffnungen in den Platten oder über die hinter den Platten liegende Luftschicht ermöglicht werden (Hinterlüftung einer dichten Fassadenhaut).

Eine weitere wichtige Eigenschaft der zur Verkleidung verwendeten Materialien stellt die thermische Bewegung der Platten dar; die linearen Ausdehnungskoeffizienten liegen in einem weiteren Streubereich. Ebenso wichtig ist die Kenntnis der Wasserquellung und die Kenntnis des Trocknungsschwundes der Platten. Auch aus diesen Gründen können Platten mit Hinterlüftung verlegt werden.

Die hier aufgezählten Eigenschaften des Materials stellen somit die wichtigsten Kriterien für die Wahl der Verlegungsart dar. Ebenso hängt die Frage, ob verfugt und mit welchem Fugenmaterial die Platten versehen oder ob sie ohne Fugen verlegt werden sollen, von den Quellwerten, von den thermischen Ausdehnungskoeffizienten und damit wiederum von der Größe und der Dicke der Platten ab.

Die zuweilen in den Steinplatten auftretende Rißbildung ist durch Spannung im Plattenverband entweder durch Quellung oder durch thermische Dehnung bedingt. Dehnt sich eine Platte aus, so erfolgt ein Druck auf die angrenzende Fuge. Entweder wird dann die Fuge zerdrückt, oder sie widersteht dem Druck und der Stein reißt durch. Wenn die Steine nur über eine schmale Fuge zusammenstoßen, dann haben die Steinplatten oft keine ausreichende Bewegungsmöglichkeit mehr. Die Quellbewegung oder die thermische Dehnung führt zu einer Steigerung der Spannung, die sich dadurch entlädt, daß sie den Stein zum Zerspringen bringt. Dabei fallen die Quellbewegungen bei weicherem Gestein regelmäßig und oft an, die thermische Bewegung seltener und nur bei entsprechenden Temperaturunterschieden an der Oberfläche des Steines.

Beim Verlegen von 2 bis 4 cm dicken Travertinplatten von 1 m Länge ergibt sich zB eine Quelldehnung von maximal 0,12 mm und eine thermische Dilatation von maximal 0,54 mm, die bei der Verlegung berücksichtigt werden müssen. Aus diesem Grund ist es erforderlich, vor der Verlegung von größeren Platten einen Verlegeplan anzufertigen. In diesem Plan muß ua. die Beschreibung des Untergrundes, die genaue Lage, die Größe jeder Platte, die Art, die Anzahl und die Anordnung der Befestigungselemente sowie die Art und die Ausbildung der Fugen eingetragen werden.

Die Befestigung solcher großer Platten erfolgt im allgemeinen mit Trage- und Halteankern. Trageanker müssen so bemessen sein, daß sie allein die gesamte Last aus der Verkleidung einschließlich etwaiger Hintermörtelungen aufnehmen. Die Dorne der Anker greifen in mittig gebohrte - an der Baustelle oder bei der Herstellung bereits vorgebohrte - Ankerdornlöcher der Platten ein, die mindestens 5 mm tiefer als die Ankerdornlänge sein müssen. Der Durchmesser eines Ankerdornloches soll mindestens 3 bis 4 mm größer sein als der des Ankerdornes. Ankerdornlöcher mit abgeplatzten und stark porösen Stellen dürfen für die Verankerung nicht benützt werden. Sie müssen an geeigneten Stellen neu gebohrt werden. Die Anker müssen in tragfähigem Untergrund ausreichend tief und sicher befestigt werden.

Die Arbeiten des Steinmetzmeisters bedürfen daher umfangreicher spezifischer Kenntnisse über bautechnische und bauphysikalische Vorgänge. Diese Kenntnisse beziehen sich nicht nur auf die Eigenschaften des Natursteins, sondern insbesondere auch auf die Verhaltensweisen der Baukonstruktionen und der Verbindungsmittel. Ohne umfangreiche Kenntnisse über Schallschutz, Wärmeschutz, Wärmedehnungen, Verhalten des Werkstoffes Naturstein zB im Brandfall oder bei Erdbeben und über das Verhalten von Befestigungsmaterialien und Klebestoffen kann kein Bau fachgemäß errichtet werden. All diese Kenntnisse sind nicht nur im Bereich des Fassadenbaues, sondern auch im Treppenbau und bei der Errichtung von Steinbelägen notwendig. Zahlreiche Bauschäden zeugen von Unkenntnis der Verarbeitung von Naturstein, wobei es in erster Linie um die körperliche Sicherheit der Benützer sowie dritter Personen geht. Nur Fachleuten ist bekannt, daß das Verhalten von Naturstein bei Frost- und Tauwechseln, beim Einsatz von Tausalzen, beim Vernachlässigen der verschiedensten Wärmedehnungsparameter der Natursteine, bei der Verwendung von falschen Klebestoffen oder falschen Isolierungsmaterialien gefährliche Auswirkungen haben kann."

Angesichts dessen beantragt der Bundesminister, die in Prüfung genommene Bestimmung nicht als gesetzwidrig aufzuheben.

c) Das Vorbringen des Bundesministers ist nicht geeignet, die Bedenken zu entkräften, die der Verfassungsgerichtshof gegen die in Prüfung genommene Vorschrift hegte, weil sie ein Verbot der Nachsichtserteilung vom Befähigungsnachweis auch für Teiltätigkeiten der von ihr erfaßten Gewerbe verfügt, bei deren Besorgung keine besonderen Gefahren für Leben und Gesundheit von Menschen zu befürchten seien:

§22 Abs4 GewO 1994 ermächtigt den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten, eine Nachsichtserteilung insofern zu verbieten, als dies "Gründe der Abwehr von besonderen Gefahren für das Leben oder die Gesundheit von Menschen erfordern". Der auf dieser Bestimmung beruhende §2 der Baugewerbe-Befähigungsnachweisverordnung verbietet die Nachsichtserteilung vom Befähigungsnachweis für die Gewerbe der Baumeister, Zimmermeister, Steinmetzmeister und Brunnenmeister generell, und zwar derart, daß die Nachsichtserteilung auch dann ausgeschlossen ist, wenn die Gewerbeberechtigung (und die Nachsicht vom Befähigungsnachweis) bloß für ein Teilgebiet des Gewerbes angestrebt wird, was aber grundsätzlich zulässig ist (vgl. VfGH 2.3.1995, G272/94). Es ist nun evident, daß die genannten Gewerbe auch zu Teiltätigkeiten berechtigen, die keine "besonderen Gefahren für das Leben oder die Gesundheit von Menschen" iSd §22 Abs4 GewO 1994 mit sich bringen. Dies zeigt auch der Anlaßfall, in dem es - nach Einschränkung des Ansuchens - um die Erteilung einer Gewerbeberechtigung für das bloße Verlegen und Versetzen von Steinbelägen, Steinplatten und -stufen und dementsprechend auch nur um die Nachsichtserteilung für diese Teiltätigkeiten des Steinmetzgewerbes geht.

Der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten hat in seiner Äußerung zwar dargetan, daß für die Ausübung des Steinmetzgewerbes eine Reihe von Kenntnissen erforderlich ist. Er hat damit die - im Verfahren freilich nicht strittige - sachliche Rechtfertigung dafür aufgezeigt, daß für das Gewerbe der Steinmetzmeister ein Befähigungsnachweis vorgeschrieben werden darf; er hat aber nicht dargetan, daß mit der Ausübung des Steinmetzmeistergewerbes auch in eingeschränktem Umfang (etwa der Art, wie sie der Antragsteller im Anlaßverfahren begehrt) "besondere Gefahren" für Leben und Gesundheit verbunden sind, die es "erforderlich" machen, die Nachsichtserteilung auch dann auszuschließen, wenn der Nachsichtswerber nach seinem Bildungsgang und seiner bisherigen Tätigkeit die für die Gewerbeausübung erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen besitzt oder eine hinreichende tatsächliche Befähigung des Nachsichtswerbers im oben dargelegten Sinne angenommen werden kann.

Es hat sich somit das Bedenken des Verfassungsgerichtshofes bestätigt, daß das absolute, auch alle Teiltätigkeiten der von der Baugewerbe-Befähigungsnachweisverordnung erfaßten Gewerbe umfassende Verbot der Nachsichtserteilung vom Befähigungsnachweis über die gesetzliche Ermächtigung des §22 Abs4 GewO 1994 hinausgeht. Der in Prüfung genommene §2 der Verordnung war daher aufzuheben.

4. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Verordnungsstelle, die dem Bundesminister die Möglichkeit bietet, eine allenfalls angestrebte differenzierende Lösung auszuarbeiten und in Kraft zu setzen, gründet sich auf Art139 Abs5 letzter Satz B-VG.

Die Verpflichtung des Bundesministers zur unverzüglichen Kundmachung der Aussprüche des Verfassungsgerichtshofes erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B-VG und §60 Abs2 VerfGG.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Gewerberecht, Gewerbeberechtigung, Nachsicht (vom Befähigungsnachweis), Baugewerbe, Befähigungsnachweis

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:V104.1995

Dokumentnummer

JFT_10048799_95V00104_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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