TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/2 W187 2174537-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.04.2020
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Entscheidungsdatum

02.04.2020

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §34
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W187 2174537-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Hubert REISNER als Einzelrichter über die Beschwerde XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 3 Abs 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Verfahrensgang

1. Der zum damaligen Zeitpunkt bereits volljährige Beschwerdeführer reiste gemeinsam mit seiner Mutter, XXXX (Beschwerdeführerin zu XXXX ), und seinem Bruder, XXXX (Beschwerdeführer zu XXXX ), unter Umgehung der Einreisebestimmungen in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

2. Im Rahmen seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag wurde der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari zu seiner Identität, seiner Reiseroute und seinen Fluchtgründen einvernommen. Hier gab er an, ledig zu sein und keine Kinder zu haben. Der Beschwerdeführer sei am XXXX in XXXX in Afghanistan geboren, gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an und sei Moslem. Er sei gemeinsam mit seiner Mutter und seinem Bruder nach Österreich eingereist. Als Beweggrund für seine Ausreise führte der Beschwerdeführer an, er sei in Afghanistan auf eine Mine getreten. Sein Fuß habe amputiert werden müssen. Er sei wegen der medizinischen Behandlung in Österreich. Außerdem gebe es in Afghanistan keine Sicherheit, es herrsche Krieg. In Afghanistan gebe es viele Bombenanschläge und Selbstmordattentäter.

3. Am XXXX übermittelte der Beschwerdeführer der belangten Behörde durch seine Rechtsvertretung ein Konvolut medizinischer Unterlagen.

4. Am XXXX wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Der Beschwerdeführer gab hier an, dass er der schiitischen Glaubensrichtung des Islam anhänge. Er sei gemeinsam mit seiner Mutter und seinem Bruder nach Österreich eingereist. Von seinem Vater (Beschwerdeführer zu XXXX ) seien sie an der iranisch-türkischen Grenze getrennt worden. Zwischenzeitlich halte sich der Vater ebenfalls in Österreich auf. Zu seinen Fluchtgründen führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen zusammengefasst aus, er sei in Afghanistan auf eine Mine getreten und habe dadurch sein rechtes Unterbein verloren. Die Mine habe sich an der Ecke des familieneigenen Hauses am Boden befunden. Es habe eine Explosion gegeben, der Beschwerdeführer sei sofort bewusstlos geworden. In der Gegend, in der die Familie lebte, habe es immer wieder Unfälle mit Minen gegeben. Er könne keine Angaben dazu machen, ob jemand die Mine gezielt verlegt haben könnte. Durch den Vorfall sei sein rechtes Unterbein völlig abgetrennt worden. Bei seinem linken Bein seien ca. 20 cm des Knochens abgetrennt worden. Der Beschwerdeführer leide seit ca. sieben bis acht Jahren an seinem Handicap. In Afghanistan habe der Beschwerdeführer nicht behandelt werden können. Er sei daher im Iran operiert worden. Dort sei auch eine Prothese für sein rechtes Bein angefertigt worden. Ziel der Ausreise aus Afghanistan sei es gewesen, in ein sicheres Land zu gelangen, in dem der Beschwerdeführer medizinisch versorgt werden könne. Weder der Beschwerdeführer noch seine Familie seien in Afghanistan persönlich bedroht worden. Im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan habe der Beschwerdeführer Angst um sein Leben.

5. Mit dem gegenständlichen angefochtenen Bescheid vom XXXX wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) abgewiesen. Unter Spruchpunkt II. dieses Bescheides wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Unter Spruchpunkt III. wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs 4 AsylG die befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum XXXX erteilt.

Für ein allfälliges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde dem Beschwerdeführer amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

6. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, mit Schreiben vom XXXX gemeinsam mit seinen Eltern und seinem Bruder fristgerecht Beschwerde wegen Verletzung der einfachgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG, auf Durchführung eines ordentlichen Ermittlungsverfahrens (§§ 37 ff AVG) und auf klare Begründung des Bescheids (§ 58 Abs 2 iVm § 60 AVG) sowie wegen Verstoßes gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht, nicht von willkürlichem Handeln der Behörde in Form von qualifizierter Rechtswidrigkeit betroffen zu sein (Art I ff BVG Rassendiskriminierung), und wegen Verstoßes gegen Art 2, 3 und 8 EMRK.

7. Die Beschwerde und der dazugehörige Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Entscheidung vorgelegt. In einem beantragte die belangte Behörde die Abweisung der Beschwerde.

8. Am XXXX reichte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine am XXXX bei der belangten Behörde eingelangte Taufurkunde der Freikirche " XXXX " vom XXXX betreffend den Beschwerdeführer nach.

9. Am XXXX übermittelte die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers dem erkennenden Gericht die Taufurkunde der Freikirche " XXXX " vom XXXX betreffend den Beschwerdeführer.

10. Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurden den Parteien einschlägige Länderinformationen zu Afghanistan übermittelt.

11. Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer der Beschwerdeführer im Beisein seines ausgewiesenen Rechtsvertreters sowie einer Dolmetscherin für die Sprache Dari vom erkennenden Richter zu seinem Antrag auf internationalen Schutz und seinen Beschwerdegründen einvernommen wurde. Die belangte Behörde blieb der mündlichen Verhandlung unentschuldigt fern.

Die Verhandlungsschrift lautet auszugsweise:

"[...]

Richter: Verstehen Sie die Dolmetscherin gut?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen? Liegen Gründe vor, die Sie daran hindern?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente, befinden Sie sich in medizinischer Behandlung?

Beschwerdeführer: Ich erhalte Physiotherapie. Natürlich muss ich auch Schmerzmitteln wegen meinem linken Bein nehmen.

[...]

Richter: Können Sie sich an Ihre Aussage vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erinnern? Waren diese richtig, vollständig und wahrheitsgetreu?

Beschwerdeführer: Ja, ich habe alles wahrheitsgemäß angegeben. Das was vorgefallen ist, habe ich erzählt.

Richter: Geben Sie Ihr Geburtsdatum an. Wo sind Sie auf die Welt gekommen?

Beschwerdeführer: Nach meiner Einreise konnte die iranische Dolmetscherin mein Geburtsdatum nicht umrechnen, weil sie die Monate auf Farsi wissen wollte und wir haben eine andere Bezeichnung dafür. Ich wurde dann aufgefordert, mein Alter anzugeben und ich habe dann gesagt, dass ich XXXX Jahre alt bin. Mein richtiges Geburtsdatum nach Ihrem Kalender ist der XXXX . Geboren wurde ich in der Provinz Herat.

Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?

Beschwerdeführer: Meine Muttersprache ist Dari, die Schreibweise auf Dari und Farsi ist gleich, allerdings beherrsche ich Farsi nicht so gut. Es ist nicht nur mein Akzent. Deutsch habe ich hier erlernt.

Richter: Geben Sie Ihre Volksgruppe, Religion und Ihren Familienstand an.

Beschwerdeführer: Ich bin Tadschike und aus Afghanistan. Ich bin Christ und ledig.

Richter: Haben Sie Kinder?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Können Sie bitte soweit wie möglich chronologisch angeben, wann und wo Sie sich in Afghanistan aufgehalten haben.

Beschwerdeführer: Ich habe in der Heimat nur in der Provinz Herat, im Distrikt XXXX , im Dorf XXXX (oberer Bereich des Dorfes) gelebt.

Richter: Wie haben Sie in Afghanistan gewohnt?

Beschwerdeführer: Im Haus des Vaters.

Richter: Was haben Sie in Afghanistan gemacht, gearbeitet, gelernt oder etwas Anderes?

Beschwerdeführer: Fünf Jahre lang habe ich die Schule in der Heimat besucht. Ich habe dann als Schneiderlehrling gearbeitet.

Richter: Welche Schulbildung im Sinne des Abschlusses haben Sie erhalten?

Beschwerdeführer: In der Heimat habe ich die Schule nicht beendet, wie gesagt, habe ich die Schule bis zur vierten oder fünften Schulstufe besucht, einen Schulabschluss habe ich nicht.

Richter: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

Beschwerdeführer: Wir leben alle in XXXX , wobei meine Eltern von uns getrennt leben. Sowie ein Onkel väterlicherseits, drei Tanten halten sich im Iran auf, darüber hinaus leben drei Tanten in der Heimatprovinz.

Richter: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie (Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Onkel)?

Beschwerdeführer: Nur zu einem Sohn meiner Tante väterlicherseits, wobei er den Kontakt zu mir sucht.

Richter: Haben Sie in Afghanistan Verwandte oder sonstige wichtige Kontaktpersonen und wie heißen sie? Wo leben sie? Haben Sie zu ihnen Kontakt?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Wie ist Ihr Leben derzeit in Österreich? Was machen Sie in Österreich?

Beschwerdeführer: Ich befinde mich jetzt in einem Land, das entwickelt ist und ich kann mich selbst um mich kümmern. Zwei Jahre lang war ich in einem Lager untergebracht und habe ? 40 pro Monat erhalten. Nachdem wir eine Aufenthaltserlaubnis bekommen haben, sind wir nach XXXX übersiedelt, weil wir in der Ortschaft zuvor wenige Chancen bzw. Aussicht auf Arbeit hatten. Vier Monate lang war ich bei meinen Eltern untergebracht, während dieser Zeit habe ich einen Sprachkurs besucht und darüber hinaus einen Verhaltenskurs, wie man sich Kollegen gegenüber verhält, wie man einfach sympathischer rüberkommt. Mein Betreuer vom Jugendcoaching hat mir dann eine Arbeit als Schneider vermittelt. Es hat sich um eine österreichische Firma gehandelt, ich habe dort Maschinen bedient. Das AMS hat mir diese Arbeit vermittelt. Darüber hinaus wurde mir über die XXXX ein XXXX Kurs vermittelt. Ich habe Vollzeit gearbeitet und konnte nach der Arbeit den A2-Kurs abschließen und die dazugehörige Prüfung ablegen. Ich bin dankbar dafür, dass ich mich in einem Land, dass so entwickelt ist aufhalten darf, ich durfte sogar in meinem Zustand einen Führerschein machen. Ich habe mein Geld gespart und habe mir sogar ein Fahrzeug zugelegt. Ich habe auch sogar im Iran Urlaub gemacht. Dort hatte ich bedauerlicherweise einen Unfall mit Beinbruch. Ich bin danach nach Österreich zurückgekehrt. Mir wurde hier erklärt, dass der Flug viele Schaden angerichtet hat. Das Gewebe Wasser angenommen hat und bakterielle Entzündung den ganzen Körper bedroht und sie haben mir angeraten, das Bein zu amputieren und diese Gefahr abzuwenden. Die Ärzte haben mir erklärt, dass die Ärzte im Iran nicht steril operiert haben. Sie haben einen Begriff verwendet und ich glaube, dass das "kontaminiert" heißt und sich dadurch die Wunde entzündet hat. Ich hatte starke Schmerzen am Bein. Die Ambulanz musste verständigt werden und ich wurde dann in das Unfallkrankenhaus gebracht. Sie mussten mich notoperieren und jener Einsatz, der im Iran gelegt wurde, musste entfernt werden. Mein Bein musste in die richtige Achse gerichtet werden. Ein Monat lang war ich stationär im Krankenhaus aufhältig. Zwei Wochen lang konnten die Ärzte mir keine Gewissheit geben, mir nicht sagen können, ob ich mein Bein beibehalten darf oder ob es amputiert werden muss. Ich war dann auf Reha und habe die Kur gemacht. Ein Monat lang, das war am XXXX und ich habe mich auskuriert. Ich war froh darüber, wieder gehen zu können und auf keine Gehhilfe mehr angewiesen zu sein und ich habe mich dann sofort am XXXX beim AMS gemeldet. Erfreulicherweise habe ich dann eine Benachrichtigung bekommen, dass ein Kurs für behinderte Personen von der XXXX veranstaltet wird und ich für sie im Verkaufsbereich in einem Geschäft arbeiten kann. Aktuell habe ich mich für den B1 Kurs angemeldet. Nach der Arbeit habe ich vor, diesen zu besuchen. Ich habe bislang nur das gemacht. Ich bin noch in der Warteliste, ich muss noch warten, bis ich den Kurs machen kann. Ich besuche aktuell den Kurs für Behinderte und mir wird beigebracht, wie ich mich wo zu verhalten habe.

Richter: Haben Sie Freunde in Österreich?

Beschwerdeführer: Ja, in Österreich habe ich Freunde.

Richter: Sind Sie Mitglied in einem Verein?

Beschwerdeführer: Nein. Ich bin Mitglied bei der Gemeinde, dort wo ich auch getauft wurde ich spreche gerade von einer Kirche.

Richter: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Was ist bei dem Vorfall am XXXX mit Ihrem Bruder passiert?

Beschwerdeführer: Damals hat XXXX Suchtmittel konsumiert und wir haben sehr viel mit ihm durchgemacht. Ich wollte ihn abhalten, daraufhin hat er mich geschlagen und ich habe die Polizei verständigt. Ich habe ihn wachgerüttelt. Jemand musste das tun. Mittlerweile wohnt er bei mir. Ich habe ihn sogar zweimal eine Arbeit vermittelt. Er führt jetzt ein normales Leben.

Richter: Wie Sind Sie in Kontakt zur Kirche gekommen?

Beschwerdeführer: Hier hatte ich nicht den ersten Kontakt, sondern damals im Iran, als ich dort am Bein operiert wurde. Dort habe ich eine Krankenschwester namens XXXX kennen gelernt. Im Laufe der Zeit hat sie mich gefragt, ob ich die Bibel kennen würde. Ich habe ihr gesagt, dass ich davon gehört habe, aber richtig kennen tue ich das Buch nicht. Sie hat mich gefragt, ob ich Interesse daran hätte, einmal rein zu lesen, ich habe es bejaht. Sie hat mir gesagt, dass sie für mich beten wird. Es war so schwierig, weil mein Leben, um genauer zu sein meine Knochen nicht einander gewachsen sind. Der Arzt hat mich aufgeklärt und gesagt, dass dies der letzte Eingriff sein wird. Je öfter man operiert, desto öfter muss man vom Knochen abtragen. Sie haben sogar den Knochen an meinem Bein gekürzt, um eine Schiene anbringen zu können, damit alles zusammenhalten kann, aber dennoch klappte es nicht. Vor der letzten Operation ist der Kontakt zu dieser Krankenschwester intensiver geworden. Sie hat mir aus der Bibel vorgelesen und hat mir auch beigebracht, wie ich beten kann. Sie hat mich auch sogar zu Hause mehrere Male besucht. Vor der letzten Operation hatte ich eine fürchterliche Angst davor, dass diese Verbindungsschiene nicht halten wird. Sie hat mir angeraten, vor der Operation mit ganzem Herzen mich Gott zuzuwenden und das tat ich auch. Nach der Operation ist wahrlich ein Wunder geschehen, die Knochen sind tatsächlich angewachsen. Davor hat meine Mutter auf ihre Art gebetet, kleine Schränken gemacht. Mir hat aber all das keine Hoffnung gegeben. Es hat auch nichts gebracht. Nach dieser letzten Operation würde ich sagen, dass ich eine innere Erleuchtung gehabt habe. Ich hatte aber auch Selbstzweifel, weil ich sehr sehr lange in einem anderen Glauben gelebt habe und damit geboren bin. Wir sind dann weggegangen und der Kontakt ist abgebrochen. Im Iran ist es auch gefährlich, sich zu diesem Glauben zu bekennen. Hier habe ich einem Sprachcafé teilgenommen und sie haben dann Veranstaltungen in Kirchen gemacht. Anfänglich habe ich die Zeugen Jehovas kennen gelernt und sie haben an unserer Tür geklopft und haben gefragt, ob wir mehr erfahren möchten. Ich habe sie etwas kennen gelernt. Sie leben aber eine sehr strikte Lebensweise, keine Feierlichkeiten, nicht einmal, wenn man Hochzeiten feiert und keine Partys. Das fand ich uninteressant. Bis ich den Bruder XXXX aus XXXX kennen gelernt habe. Er wurde von einer Freikirche getauft. Ich habe ihn kennen gelernt. Er hat mir seine Geschichte erzählt, wie er Christ geworden ist und dann getauft wurde. Nachdem ich die Entscheidung von der Behörde im letzten Jahr erhalten habe, habe ich den Kontakt zu diesem Bruder gesucht. Mit ihm habe ich dann etwas aus der Bibel erlernt und mich damit auseinandergesetzt. Er hat mich dann eingeladen die Kirche in XXXX zu besuchen. Ich habe den Kontakt zu diesem Mann gesucht, weil mein Leben in einem geregelten Zustand war. Ich hatte eine Arbeit, ein Fahrzeug und eine Wohnung. Ich wollte auch den richtigen Glauben für mich verwirklichen. Ich habe die Kirche besucht und nach dem Kirchenbesuch habe ich selbst die Bibel gelesen. Nach einigen Monaten wurde mir vorgeschlagen, dass man mich taufen könnte, ich ließ mich dann taufen. Ich besuche zurzeit die Kirche in XXXX und nicht die Kirche in XXXX .

Richter: Welcher Kirche gehören Sie jetzt an?

Beschwerdeführer: Freie Kirche Gemeinde.

Richter: Was sind die Glaubensgrundsätze dieser Kirche?

Beschwerdeführer: Diese Kirche ist nicht eingeschränkt. Der Glaube alleine zählt. Diese Kirche zieht vor allem junge Menschen an.

Richter: An wen glauben Sie?

Beschwerdeführer: Ich glaube an Jesus Christus als Gott und als mein Herr. An den Vater, den Sohn und des Heiligen Geistes.

Richter: Wie ist die Taufe abgelaufen?

Beschwerdeführer: Das war ein Behälter und ich bin mit meinem ganzen Körper in das Wasser eingetaucht. Es gab einen Unterschied zwischen mir und den anderen. Normalerweise wird man mit dem Körper nach hinten in das Wasser eingetaucht, aber aufgrund meiner Prothese musste ich vorne in das Wasser springen.

Richter: Feiern Sie das Abendmahl?

Beschwerdeführer: Ja, natürlich feiern wir das Abendmahl. Es gibt ja das Leib und das Blut. Im Vorhinein ist das dann Wein.

Richter: Kennen Sie den Unterschied zwischen dem Alten und dem Neuen Testament?

Beschwerdeführer: Das Alte Testament besteht aus 39 Büchern und das Neue Testament besteht aus 27 Büchern und insgesamt sind das 66 Bücher. Das Neue Testament umfasst die für uns wichtige frohe Botschaft, die von Jesus unserem Gott verkündet wurde. In unserer Kirche ist es nicht so geregelt, dass man alles detailreich auswendig können muss, ich habe das selbst erlernt und es wird nur gefragt, an was glaubst du und warum man Christ geworden ist.

Richter: Wie oft besuchen Sie Gottesdienste?

Beschwerdeführer: Einmal in der Woche, sonntags von 9:30 bis ungefähr 11:00 Uhr, es kann auch bis um 11:30 dauern. Die Zeiten sind nicht fix, gelegentlich fangen wir um 9:30 Uhr an, aber es kann auch sein das wir um 10:00 Uhr anfangen, aber meistens fangen wir um 9:30 Uhr an.

Richter: Wann waren Sie zuletzt in einem Gottesdienst?

Beschwerdeführer: Vor vier oder fünf Tagen.

Richter: Wer leitet die Kirche?

Beschwerdeführer: Der Bruder XXXX . Darüber hinaus unterstützen mich die Frau XXXX und der Herr XXXX auf emotionaler Ebene sehr.

Richter: Schildern Sie den Vorfall, der zu Ihrer Flucht geführt hat!

Beschwerdeführer: Ich habe das Haus verlassen und bin auf eine Mine gestiegen. Ich kann mich daran erinnern, dass ich hoch geschleudert wurde und gesehen habe, dass das eine Beine am Boden lag. Danach kann ich mich an nichts erinnern. Im weiteren Verlauf wurde ich das Krankenhaus gebracht und im Iran wurde ich weiterbehandelt.

Richter: Sind Sie in Afghanistan jemals persönlich bedroht oder angegriffen worden?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Wodurch sind Sie in Afghanistan aktuell bedroht?

Beschwerdeführer: Tagtäglich werden dort unzählige Menschen getötet. Allein nur die Vorstellung wieder an so einen Ort zurückkehren zu müssen, verursacht Angst in mir. Nach 10 Jahren Leid habe ich die letzten zwei Jahre auch Freude erlebt, dass ich eigenständig Sachen bewältigen kann. Als Christ ist es mir unmöglich, dort ein Leben zu führen. Sogar jene Afghanen die hier in XXXX leben, haben den Kontakt nach meiner Konvertierung bewusst zu mir abgebrochen.

Richter: Wie sind Sie nach Österreich gekommen?

Beschwerdeführer: Wir haben Afghanistan verlasen und haben uns circa fünf oder sechs Monate im Iran aufgehalten, danach kamen wir in die Türkei, dann waren wir in Griechenland und Makedonien und sind dann schlussendlich nach Österreich gekommen.

Richter: Wie haben Sie die Reise bezahlt?

Beschwerdeführer: Mein Vater hat das Geld bezahlt.

Richter: Schildern Sie bitte nochmals die Gründe Ihrer Beschwerde!

Beschwerdeführer: Darf ich aus meinem Zettel vorlesen?

Richter: Was ist das?

Beschwerdeführer: Mit der jetzigen Entscheidung sind wir eingeschränkt bis auf ungewiss. Es gibt viele Sachen, wofür ich keine Zusage bekomme, weil mein Aufenthalt beschränkt ist. Das AMS hat mir einen Ausbildungsplatz verweigert, wegen meinem Ausweis. Man bekommt auch von der Bank keine Kreditzusage. Ich weiß, dass ich hier die Möglichkeit habe, mich weiterzuentwickeln, obwohl ich eingeschränkt bin. Ich möchte einen Kredit aufnehmen und mir ein Haus kaufen und ein besseres Auto kaufen. Mit diesem Ausweis besteht die Gefahr, dass jederzeit die Entscheidung auch wiederrufen werden kann. Diese Entscheidung bedeutet für mich so viel wie eine weiße Karte.

Richter: Was würde passieren, wenn Sie jetzt nach Afghanistan zurückkehren müssten?

Beschwerdeführer: Ich war nur XXXX Jahre alt, als man mir angetan hat. Ich war weder politisch aktiv, noch habe ich mich dort auffällig verhalten. Ich weiß nicht, was mich überhaupt dort erwartet.

Rechtsvertreter: Wer weiß aller von Ihrer Konversion Bescheid?

Beschwerdeführer: Nur meine Mutter.

Rechtsvertreter: Sie haben vorhin soeben erwähnt, dass auch einige Freunde davon Bescheid wissen?

Beschwerdeführer: Ja, mein Cousin der Sohn meiner Tante väterlicherseits, der mich immer anruft, weiß es auch und einige Freunde wissen auch davon.

Rechtsvertreter: Warum erzählen Sie ihrem Vater nichts?

Beschwerdeführer: Zu meinem Vater habe ich eine distanzierte Beziehung, das hängt von seiner Einstellung ab und zu meiner Mutter habe ich eine bessere Beziehung, das hängt von ihrer offenen Art ab.

Rechtsvertreter: Sind Sie in einer Beziehung?

Beschwerdeführer: Ja.

Rechtsvertreter: Weiß Ihre Freundin/Frau von Ihrer Konversion?

Beschwerdeführer: Ja.

Der Beschwerdeführer bringt nichts mehr vor.

Richter: Haben Sie die Dolmetscherin gut verstanden?

Beschwerdeführer: Ja."

Die Eltern des Beschwerdeführers und sein Bruder wurden am selben Tag vom erkennenden Richter in den Verfahren des Bundesverwaltungsgerichts XXXX ( XXXX ), XXXX ( XXXX ) und XXXX ( XXXX ) zu ihren Anträgen auf internationalen Schutz und ihren Beschwerdegründen einvernommen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in die dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakten des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl und die Verfahrensakten des Bundesverwaltungsgerichts betreffend den Beschwerdeführer, seine Eltern, XXXX (Beschwerdeführerin zu XXXX ) und XXXX (Beschwerdeführer zu XXXX ) sowie seinen Bruder, XXXX (Beschwerdeführer zu XXXX ), insbesondere durch Einsicht in die vorgelegten Dokumente und Integrationsunterlagen, sowie durch Durchführung einer mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die ins Verfahren eingeführten Länderberichte.

1. Feststellungen

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers und seinem Leben in Afghanistan

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, ist im Entscheidungszeitpunkt volljährig und Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan. Er gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und wuchs als schiitischer Moslem auf. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari bzw. Farsi. Er kann diese Sprache sowohl lesen als auch schreiben. Weiter spricht er bereits gut Deutsch. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder.

Der Beschwerdeführer wurde in der afghanischen Provinz Herat geboren und wuchs dort gemeinsam mit seinen Eltern und seinem jüngeren Bruder im afghanischen Familienverband im familieneigenen Haus auf. Er lebte dort bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan. Vor seiner Ausreise Richtung Europa hielt sich der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Kernfamilie sechs Monate im Iran auf.

Der Beschwerdeführer besuchte in seinem Herkunftsstaat fünf Jahre die Schule. Anschließend half er seiner Mutter, die als Schneiderin arbeitete, als Schneiderlehrling. Der Beschwerdeführer übte diese Tätigkeit bis zu jenem Tag aus, als er auf eine Mine trat und ein Bein verlor.

Die Eltern des Beschwerdeführers sowie sein Bruder leben in Österreich. Eine Tante mütterlicherseits und drei Tanten väterlicherseits des Beschwerdeführers leben nach wie vor in der Provinz Herat in Afghanistan. Ein Onkel väterlicherseits und drei Tanten väterlicherseits des Beschwerdeführers leben zwischenzeitlich im Iran. Der Beschwerdeführer steht in Kontakt mit dem Sohn einer Tante väterlicherseits.

1.2 Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich

Der Beschwerdeführer gelangte gemeinsam mit seiner Mutter und seinem Bruder im XXXX in das österreichische Bundesgebiet und stellte am XXXX gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Er hält sich seit seiner Einreise - abgesehen von einem Urlaubsaufenthalt im Iran - durchgehend im Bundesgebiet auf.

Der Beschwerdeführer lebt in Österreich getrennt von seinen ebenfalls im Bundesstaat aufhältigen Eltern. Er bezieht keine Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung, ist jedoch nicht erwerbstätig.

Der Beschwerdeführer nahm seit seiner Einreise an mehreren Deutsch-, Integrations- und Basisbildungskursen teil. Aktuell befindet sich der Beschwerdeführer auf einer Warteliste für einen Deutschkurs auf Niveau B1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen. Der Beschwerdeführer hat im XXXX erfolgreich eine Prüfung zu seinen Deutschkenntnissen auf Niveau A1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen abgelegt. Gemeinsam mit seiner Mutter erledigte der Beschwerdeführer regelmäßig ehrenamtlich Schneiderarbeiten für eine Pfarre. Über das AMS wurde dem Beschwerdeführer eine Arbeit als Schneider bei einer österreichischen Firma vermittelt, wo er Maschinen bediente. Der Beschwerdeführer übte diese Vollzeitbeschäftigung ab dem XXXX aus. Während eines Urlaubs im Iran erlitt der Beschwerdeführer einen Unfall mit Beinbruch und war nach seiner Rückkehr nach Österreich einen Monat stationär im Krankenhaus untergebracht. Nach seiner Rehabilitation und einem Kuraufenthalt meldete sich der Beschwerdeführer am XXXX beim AMS. Der Beschwerdeführer besucht derzeit einen Kurs der XXXX für Menschen mit (körperlichen) Beeinträchtigungen, im Zuge dessen er im Verkaufsbereich in einem Geschäft arbeitet. Der Beschwerdeführer hat in Österreich soziale Kontakte - auch zu österreichischen Staatsbürgern - geknüpft; er hat in Österreich auch eine Freundin. Er ist Mitglied der freikirchlichen Gemeinde " XXXX " und wurde am XXXX in dieser freikirchlichen Gemeinde getauft. In seiner Freizeit besucht der Beschwerdeführer einmal wöchentlich den Gottesdienst, ein Sprachcafé oder trifft sich mit Freunden. Der Beschwerdeführer hat in Österreich die Führerscheinprüfung absolviert. Zukünftig möchte der Beschwerdeführer wieder als Schneider arbeiten und sich eventuell selbständig machen.

Die Eltern, XXXX und XXXX , sowie der Bruder des Beschwerdeführers, XXXX , leben ebenfalls in Österreich. Ihnen wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX jeweils der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Der Beschwerdeführer lebt getrennt von seiner Familie. Es besteht keine (gegenseitige) Abhängigkeit des Beschwerdeführers zu seinen Eltern oder seinem Bruder. Der Beschwerdeführer ist nicht auf die Unterstützung bzw. Hilfe seiner Eltern oder seines Bruders in Österreich angewiesen.

Weitere Verwandten oder sonstige wichtige Bezugspersonen des Beschwerdeführers leben nicht in Österreich. Es besteht weder eine Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers in Österreich noch gibt es in Österreich geborene Kinder des Beschwerdeführers.

Der Beschwerdeführer ist Inhaber eines österreichischen Behindertenpasses, wonach der Grad der beim Beschwerdeführer bestehenden Behinderung 60 % beträgt. Der Beschwerdeführer trat in Afghanistan in eine in der Nähe des Hauses der Familie des Beschwerdeführers ausgelegte Mine. Aufgrund der dadurch erlittenen Verletzung musste das rechte Bein des Beschwerdeführers amputiert werden. Er wurde im Iran mehrfach operiert. Beim Beschwerdeführer besteht eine posttraumatische Unterschenkelamputation auf der rechten Seite. Seine Prothese wurde in Österreich neu angepasst. Das linke Bein des Beschwerdeführers weist eine operativ versorgte Femurschaftfraktur (Oberschenkelbruch) und eine komplexe Unterschenkelfraktur mit erheblichem Weichteilschaden und verbleibender Lähmung des Nervus peroneus (Wadenbeinnerv) auf. Während seines Urlaubs im Iran erlitt der Beschwerdeführer einen Unfall mit Beinbruch und wurde im Iran operiert. Nach seiner Rückkehr nach Österreich wurde der Beschwerdeführer notoperiert, da es zu einer Kontamination bzw. Entzündung der Wunde kam. Nach der Operation war zunächst unklar, ob das linke Bein des Beschwerdeführers ebenfalls amputiert werden muss. Der Beschwerdeführer hielt sich einen Monat stationär im Krankenhaus und anschließend einen Monat auf Kur bzw. Rehabilitation auf. Derzeit erhält der Beschwerdeführer regelmäßig Physiotherapie und nimmt Schmerzmittel wegen seines linken Beines ein. Abgesehen von seiner körperlichen Behinderung ist der Beschwerdeführer im Wesentlichen gesund und arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.3 Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer stellte am XXXX gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz und begründete diesen in weiterer Folge mit mangelnder medizinischer Versorgung im Herkunftsstaat, der allgemeinen Sicherheitslage, mit gezielten Angriffen auf seine Person bzw. seine Familie durch unbekannte Akteure sowie mit Verfolgung infolge seiner Konversion zum Christentum.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung persönlich bedroht oder verfolgt wurde oder eine Verfolgung im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan zu befürchten hätte.

Der Beschwerdeführer trat in Afghanistan ungefähr im Jahr XXXX auf eine in der Nähe des Hauses seiner Familie ausgelegte Mine, wodurch er ein Bein verlor. In der Gegend, in der die Familie des Beschwerdeführers lebte, waren mehrere Minen verlegt. Es handelte sich bei der verlegten Mine nicht um einen gezielten Anschlag auf den Beschwerdeführer oder seine Familie. Insbesondere wurde die Mine nicht gezielt durch Angehörige der Mutter des Beschwerdeführers verlegt, weil sie ursprünglich Sunnitin war und einen Schiiten heiratete. Dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan Übergriffen oder Verfolgung durch unbekannte Akteure oder Angehörige seiner Mutter, etwa aufgrund der Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur sozialen Gruppe der Familie, ausgesetzt wäre, ist daher nicht zu erwarten.

Der Beschwerdeführer wuchs als Angehöriger der muslimischen Religion schiitischer Ausrichtung auf. In Österreich wurde der Beschwerdeführer am XXXX in der freikirchlichen Gemeinde " XXXX " getauft. Der Beschwerdeführer interessiert sich zwar seit seiner Ausreise aus Afghanistan für den christlichen Glauben und besucht sonntags regelmäßig den Gottesdienst. Er ist jedoch nicht aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert oder vom islamischen Glauben abgefallen. Der Beschwerdeführer hat einen christlichen Glauben nicht verinnerlicht und keinen inneren Entschluss gefasst, nach dem christlichen Glauben zu leben. Der christliche Glaube ist nicht wesentlicher Bestandteil der Identität des Beschwerdeführers geworden. Der Beschwerdeführer tritt auch nicht spezifisch gegen den Islam gerichtet oder gar religionsfeindlich auf. Im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan würde der Beschwerdeführer seinem derzeitigen Interesse für den christlichen Glauben nicht mehr nachkommen, dieses nach außen zur Schau tragen oder sich öffentlich zum christlichen Glauben bekennen. Der Beschwerdeführer hat in Österreich lediglich seine Mutter und einige Freunde von seinem Interesse für den christlichen Glauben und der erfolgten Taufe informiert. Sein Vater und sein Bruder wissen nicht Bescheid. Es kann nicht festgestellt werden, dass den Angehörigen des Beschwerdeführers in Afghanistan (etwa seinem Cousin) oder sonstigen Personen in Afghanistan die erfolgte Taufe und/oder sein Interesse am christlichen Glauben bekannt ist. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass die afghanischen Behörden und/oder das persönliche Umfeld des Beschwerdeführers von seinem in Österreich an den Tag gelegten Interesse am Christentum bei einer Rückkehr nach Afghanistan Kenntnis erlangen würden. Dem Beschwerdeführer droht daher in Zusammenhang mit seinen religiösen Aktivitäten in Österreich, seiner behaupteten Konversion zum Christentum bzw. seinem Interesse für den christlichen Glauben oder einem allenfalls unterstellten Glaubensabfall im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan keine psychische oder physische Gewalt bzw. Verfolgung.

Ebenso wenig drohen dem Beschwerdeführer als Rückkehrer aus dem westlichen Ausland im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan Übergriffe durch Privatpersonen, staatliche Stellen oder sonstige Akteure.

1.4 Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers

Es werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat der Beschwerdeführer getroffen:

1.4.1 Staatendokumentation (Stand 13.11.2019, außer wenn anders angegeben)

1.4.1.1 Politische Lage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid Karzai in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat Abdullah Abdullah das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.4.2019; vgl. AM 2015, DW 30.9.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.5.2019). Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).

Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).

Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 13.3.2019, Casolino 2011).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 2.9.2019).

Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21. Oktober 2018 - mit Ausnahme der Provinz Ghazni - Parlamentswahlen statt (AA 15.4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt; ein vorläufiges Ergebnis wird laut der unabhängigen Wahlkommission (IEC) für den 14. November 2019 erwartet (RFE/RL 20.10.2019).

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. In der Provinz Kandahar musste die Stimmabgabe wegen eines Attentats auf den Provinzpolizeichef um eine Woche verschoben werden und in der Provinz Ghazni wurde die Wahl wegen politischer Proteste, welche die Wählerregistrierung beeinträchtigten, nicht durchgeführt (s.o.). Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen. Durch Wahl bezogene Gewalt kamen 56 Personen ums Leben und 379 wurden verletzt. Mindestens zehn Kandidaten kamen im Vorfeld der Wahl bei Angriffen ums Leben, wobei die jeweiligen Motive der Angreifer unklar waren (USDOS 13.3.2019).

Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.5.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Politische Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004, USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).

Die Hezb-e Islami wird von Gulbuddin Hekmatyar, einem ehemaligen Warlord, der zahlreicher Kriegsverbrechen beschuldigt wird, geleitet. Im Jahr 2016 kam es zu einem Friedensschluss und Präsident Ghani sicherte den Mitgliedern der Hezb-e Islami Immunität zu. Hekmatyar kehrte 2016 aus dem Exil nach Afghanistan zurück und kündigte im Jänner 2019 seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2019 an (CNA 19.1.2019).

Im Februar 2018 hat Präsident Ghani in einem Plan für Friedensgespräche mit den Taliban diesen die Anerkennung als politische Partei in Aussicht gestellt (DP 16.6.2018). Bedingung dafür ist, dass die Taliban Afghanistans Verfassung und einen Waffenstillstand akzeptieren (NZZ 27.1.2019). Die Taliban reagierten nicht offiziell auf den Vorschlag (DP 16.6.2018; s. folgender Abschnitt, Anm.).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Hochrangige Vertreter der Taliban sprachen zwischen Juli 2018 (DZ 12.8.2019) - bis zum plötzlichen Abbruch durch den US-amerikanischen Präsidenten im September 2019 (DZ 8.9.2019) - mit US-Unterhändlern über eine politische Lösung des nun schon fast 18 Jahre währenden Konflikts. Dabei ging es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan nicht zu einem sicheren Hafen für Terroristen wird. Die Gespräche sollen zudem in offizielle Friedensgespräche zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban münden. Die Taliban hatten es bisher abgelehnt, mit der afghanischen Regierung zu sprechen, die sie als "Marionette" des Westens betrachten - auch ein Waffenstillstand war Thema (DZ 12.8.2019; vgl. NZZ 12.8.2019; DZ 8.9.2019).

Präsident Ghani hatte die Taliban mehrmals aufgefordert, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln und zeigte sich über den Ausschluss der afghanischen Regierung von den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, MS 28.1.2019). Bereits im Februar 2018 hatte Präsident Ghani die Taliban als gleichberechtigten Partner zu Friedensgesprächen eingeladen und ihnen eine Amnestie angeboten (CR 2018). Ein für Mitte April 2019 in Katar geplantes Dialogtreffen, bei dem die afghanische Regierung erstmals an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen wäre, kam nicht zustande (HE 16.5.2019). Im Februar und Mai 2019 fanden in Moskau Gespräche zwischen Taliban und bekannten afghanischen Oppositionspolitikern, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehreren Warlords, statt (Qantara 12.2.2019; vgl. TN 31.5.2019). Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha, noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (REU 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den innerafghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil (HE 16.5.2019).

1.4.1.2 Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433.

Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge (136 Tote, 266 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 19 Vorfälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten dokumentiert, bei denen es insgesamt zu 747 zivilen Opfern kam (223 Tote, 524 Verletzte). Dies ist eine Zunahme von 34% verglichen mit dem Jahr 2017. Während die Mehrheit konfessionell motivierter Angriffe gegen Schiiten im Jahr 2017 auf Kultstätten verübt wurden, gab es im Jahr 2018 nur zwei derartige Angriffe. Die meisten Anschläge auf Schiiten fanden im Jahr 2018 in anderen zivilen Lebensräumen statt, einschließlich in mehrheitlich von Schiiten oder Hazara bewohnten Gegenden. Gezielte Attentate und Selbstmordangriffe auf religiöse Führer und Gläubige führten, zu 35 zivilen Opfern (15 Tote, 20 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Angriffe im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen im Oktober 2018

Die afghanische Regierung bemühte sich Wahllokale zu sichern, was mehr als 4 Millionen afghanischen Bürgern ermöglichte zu wählen (UNAMA 11.2018). Und auch die Vorkehrungen der ANDSF zur Sicherung der Wahllokale er

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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