TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/24 W159 2219235-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.04.2020
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Entscheidungsdatum

24.04.2020

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §75 Abs24
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W159 2219235-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.04.2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25.02.2020, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß §§ 3 Abs. 1 iVm 34 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gem. § 3 Abs. 5 leg. cit. wird festgestellt, XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der zum Zeitpunkt der Antragstellung, minderjährige, nunmehr volljährige Beschwerdeführer ein Staatsangehöriger von Afghanistan, der Volksgruppe der Hazara zugehörig, schiitschen moslemischen Glaubens und ledig gelangte mit seiner Mutter und seinem Bruder spätestens am 12.11.2015 in das Bundesgebiet. Die rechtskräftige Anordnung der Abschiebung nach Kroatien konnte nicht realisiert werden. Seine Mutter stellte für sich und ihre Söhne am 04.09.2018 einen Folgeantrag auf internationalen Schutz bei der XXXX

Am 28.09.2018 erfolgte die Niederschrift im Verfahren vor der belangten Behörde.

Der Beschwerdeführer gab seinen Geburtstag und als Geburtsort XXXX an. Er habe sich nie in Afghanistan aufgehalten. Er habe sich im Iran mit einer Karte aufgehalten. Nach der Schule habe er im Alter von etwa zwölf Jahren in einer Schneiderei zu arbeiten begonnen.

Nachgefragt gab der Beschwerdeführer an, dass das Verhältnis zu seinem Vater sehr schlecht gewesen sei. Sein Vater sei drogenabhängig und gewalttätig gewesen. Er habe dem jüngeren Bruder des Beschwerdeführers aufgetragen sich vor ein Auto zu werfen, um mit dem Geld seine Drogenabhängigkeit finanzieren zu können.

Seine Eltern hätten sich Jahre vor der Ausreise des Beschwerdeführers getrennt und seien geschieden. In XXXX hätten der Beschwerdeführer und sein Bruder beim Vater gelebt. Er habe vom Mobiltelefon seines Freundes seine Mutter angerufen und habe ihr gesagt, dass es ihm und seinem Bruder sehr schlecht ginge. Sein Vater hätte ihn auch nach Syrien in den Krieg geschickt, wenn er dafür Geld bekommen hätte.

Aktuell sei seine Mutter nicht verheiratet.

Mit dem im Spruch angeführten Bescheid von 09.04.2019 wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 abgewiesen und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 ein solcher und eine befristete Aufenthaltsberechtigung zuerkannt.

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe keinen Fluchtgrund gemäß der GFK vorgebracht. Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des Sachverhaltes gehe die belangte Behörde davon aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiären Schutzes gegeben seien.

Die Beschwerde wurde durch die Rechtsvertreterin eingebracht und langte am 15.05.2019 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein. Der Bescheid wurde in Punkt I. wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften angefochten. Die belangte Behörde hätte aufgrund der Scheidungspapiere festgestellt, dass der Beschwerdeführer und sein Bruder nach der Scheidung bei der Mutter gelebt hätten und hätte es als nicht glaubwürdig erachtete, dass die Beschwerdeführerin die Söhne gegen den Willen des Vaters nach Europa mitgenommen hätte. Es sei jedoch bekannt, dass im Fall einer Scheidung das Sorgerecht jedenfalls dem Vater bzw. der väterlichen Familie zukommt. In manchem Fällen sei es gestattet, dass die Kinder bei der Mutter leben, jedoch spätestens mit Erreichen des 11. Lebensjahres seien die Söhne der väterlichen Familie zu übergeben. Der Umstand, dass die Mutter des Beschwerdeführers mit beiden Minderjährigen aus dem Iran geflüchtet sei, sei unstrittig und sie habe damit dem Ex-Mann, dem Vater, die Kinder entzogen. Die Mutter des Beschwerdeführers habe angegeben, dass sich die Angehörigen des Ex-Ehemannes in Afghanistan aufhalten würden und sie im Falle einer Rückkehr asylrechtlich relevanter Verfolgung ausgesetzt wäre. Der Beschwerdeführer und sein Bruder hätten auch glaubwürdig und nachvollziehbar die an sie gestellten Fragen zur Lebenssituation im Iran beantwortet. Es wurde auf den Bericht der schweizerischen Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Situation geschiedener Frauen, Auskunft der SFH-Länderanalyse, Alexandra Geiser vom 01.11.2011 verwiesen.

Am 25.02.2020 fand eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, an der Mutter des Beschwerdeführers (BF1), der Beschwerdeführer (BF2) und sein Bruder (BF3), alle als Beschwerdeführer (Familienverfahren), die Rechtsvertreterin, ein Vertreter der belangten Behörde und eine Dolmetscherin teilnahmen.

Der Beschwerdeführer hielt sein bisheriges Vorbringen und die Beschwerde aufrecht. Er brachte vor er sei am 08.12.1380, das entspreche dem XXXX , geboren worden. Die Mutter des Beschwerdeführers wurde der Befragung beigezogen.

Der Beschwerdeführer gab an, er sei im Iran geboren worden und sei dort aufgewachsen. Er hätte bei seinem Vater gewohnt. Er sei schiitischer Moslem und gehöre der Volksgruppe der Hazara an. Er übe seine Religion in Österreich nicht aus, sei jedoch nicht vom Islam abgefallen. Da er in XXXX aufgewachsen sei, habe er dort etwa sechs oder sieben Klassen die Schule besucht. Vormittags sei er in die Schule und Nachmittags zur Arbeit gegangen. Er habe als Schneider gearbeitet.

Solange seine Eltern zusammen gewesen seien, sei er bei seinen Eltern gewesen und danach bei den Großeltern väterlicherseits. Das Leben sei schwierig gewesen und durch die Lebensumstände habe er nicht wirklich etwas lernen können. Deswegen habe er die Schule verlassen. Er habe genug zu essen bekommen.

Nachgefragt gab der Beschwerdeführer an, sein Vater habe Drogen genommen, er hätte ihn nur ein bis zweimal im Jahr gesehen. Manchmal sei sein Vater nur kurz nach Hause zu seinen den Großeltern des Beschwerdeführers gekommen. Um in die Schule zu gehen habe man im Iran viel Geld zahlen müssen.

Der Richter erkundigte sich ob der Beschwerdeführer auch Probleme bei seiner Arbeit in der Schneiderei gehabt hätte. Der Beschwerdeführer erzählte: ".... Gelegentlich hat mein Onkel väterlicherseits nach mir geschaut. Er ist in Begleitung seiner Freunde zu mir gekommen. Sie wussten, dass ich keine Obsorgeperson habe. Ich hatte das Gefühl, dass sie die Absicht hatten mich zu missbrauchen. .... Sie haben es versucht, aber es kam dann zu keinen Übergriffen."

Der Beschwerdeführer gab weiters an, dass er nur Kontakt in den Ferien, wenn er frei gehabt hätte, zu seiner Mutter hätte haben dürfen. Sie hätte die Tante bezahlten müssen, dass sie den Beschwerdeführer und seinen Bruder hätte sehen dürfen.

Auf die Frage des Richters, wie es zur Ausreise aus dem Iran gekommen sei, führte der Beschwerdeführer aus: "Ich habe mir von einem Freund ein Handy ausgeborgt, habe meine Mutter angerufen und sie gefragt, ob wir nach Europa gehen wollen. Wir haben uns einen Treffpunkt ausgemacht, wir sind mit dem Fahrrad gefahren und sie hat uns mit dem Taxi abgeholt."

Er habe keine Probleme mit afghanischen Behördenorganen, bewaffneten Gruppierungen wie den Taliban oder afghanischen Privatpersonen gehabt, da er sich nie in Afghanistan aufgehalten hätte. Er hätte Kontakt zu einem Freund, der nach Afghanistan abgeschoben worden sei, gehabt. Dieser hätte dem Beschwerdeführer erzählt, wie man in Afghanistan leben kann bzw. nicht leben könne. Die Leute in Afghanistan würden ganz anders denken und sind der Ansicht, dass jene die ihre Heimat verlassen hätten, keine guten Menschen seien.

Nachgefragt gab der Beschwerdeführer an, er habe zurzeit keine organischen oder psychischen Probleme. Er sei zurzeit bemüht den B2 Kurs zu absolvieren. Bis dato habe er die Schule besucht. Nach dem Erhalt des subsidiären Schutzes habe er in einem Eissalon, welcher im September geschlossen worden sei, gearbeitet.

Er lebe mit seiner Mutter in einem Haushalt. Er habe österreichische Freunde gefunden. In seiner Freizeit treffe er sich mit seinem Freunden, um Fußball oder Basketball spielen oder schwimmen zugehen. Er habe sich in der Fahrschule angemeldet.

Sollte er nach Afghanistan abgeschoben werden, habe er Bedenken, denn die Familie mütterlicherseits würde sich nicht in der Heimat aufhalten. Er hätte Angst davor, dass ihm die Familie väterlicherseits in der Heimat Schaden zufügen könnte.

Der Behördenvertreter erkundigte sich, wie es zur Anzeige wegen Raufhandel gekommen sei. Der Beschwerdeführer führte aus: "Ich war in einer Wohngemeinschaft für Minderjährige untergebracht. Ich war mit zwei Freunden in einem Park. Dort ist jemand mit einem Fahrrad vorbeigefahren und hat meinen Freund beschimpft. Mein Freund hat ihn zur Rede gestellt, wir wollten wissen, warum er ihn grundlos beschimpft hat. Wir hatten eigentlich die Sache schon geklärt, als er telefonierte und andere Burschen hinzugeholt hat, die alle schon volljährig waren. Ein groß gewachsener hat mich zuerst angegriffen, ich konnte flüchten und habe mich im Park versteckt. Ungefähr drei Stunden später habe ich meine Freunde gesehen und sie haben gesagt, dass die anderen uns angezeigt haben."

Der Beschwerdeführer gab an, er wolle eine Berufsausbildung als Frisör machen. Er hätte schon ein Praktikum bei einem Frisör gemacht.

Folgende Unterlagen betreffend den Beschwerdeführer wurden in Vorlage gebracht:

Lohnzettel für von April bis September 2019

Anmeldung bei der Sozialversicherung

Teilnahmebestätigung an einem Werte- und Orientierungskurs sowie weiterer Kurse des ÖIF

Deutschkursbestätigung der XXXX

Der aktuelle Strafregisterauszug wurde verlesen. Es scheint keine Verurteilung auf.

Am 11.03.2020 langte eine Stellungnahme der Rechtsvertreterin der Beschwerdeführer beim Bundesverwaltungsgericht ein. Es wurde auf das Vorbringen der Mutter des Beschwerdeführers verwiesen. Die Mutter des Beschwerdeführers gehöre wie aus den Ausführungen der Länderberichte, ebenso wie aus den Ausführungen des Berichts des UNHCR vom 30.08.2018, hervorgehe, zum Risikoprofil der als verwestlicht wahrgenommenen Frauen, die vermeintlich gegen die sozialen Sitten verstoßen würden.

Es sei davon auszugehen, dass die Mutter des Beschwerdeführers, die im Iran aufgewachsen sei und niemals in Afghanistan gelebt haben soll, gegen die sozialen Sitten in Afghanistan verstoßen würde. Deshalb sei sie der begründeten Furcht vor Verfolgung durch staatliche oder nicht-staatliche Akteure wegen ihrer Zugehörigkeit der sozialen Gruppe der verwestlichten Frauen ausgesetzt. Der Staat könne ihr keinen Schutz bieten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person des Beschwerdeführers wird Folgendes festgestellt:

Der Beschwerdeführer ist nunmehr ein volljähriger Staatsangehöriger von Afghanistan, Hazara, schiitscher Moslem und ledig. Er ist mit seiner Mutter und seinem Bruder in das Bundesgebiet eingereist und war zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährig. Im Bundesgebiet hält er sich mit seiner Mutter und seinem mj. Bruder auf. Diese sind ebenso Staatsangehörige von Afghanistan.

Glaubhaft ist, dass die Mutter des Beschwerdeführers eine westlich orientierte Frau ist, die sich seit ihrer Ankunft ein freies und selbstbestimmtes Leben lebt. Sie und der Beschwerdeführer und der Bruder des Beschwerdeführers haben sich in Österreich integriert.

Der Mutter des damals minderjährigen Beschwerdeführers wurde mit einem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom heutigen Tag der Status von Asylberechtigten zuerkannt und festgestellt, dass ihr die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Beweis wurde erhoben durch Einvernahmen der Mutter des Beschwerdeführers, des Beschwerdeführers und des Bruders des Beschwerdeführers

- im Rahmen des Folgeantrages durch Beamte der XXXX am 04.09.2018,

- durch das BFA, am 28.09.2018,

- im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 25.02.2020 sowie durch Vorhalt des aktuellen LIBs der Staatendokumentation zu Afghanistan durch das Bundesverwaltungsgericht.

2. Beweiswürdigung:

Der Mutter des Beschwerdeführers wurde der Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF zuerkannt, ihr kommt damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zu.

Es war daher nicht erforderlich, länderspezifische Feststellungen zu treffen.

Die personenbezogenen Feststellungen beruhen auf glaubwürdigen Aussagen des Beschwerdeführers. Verfolgungsgründe zu Afghanistan hat der Beschwerdeführer nicht vorgebracht.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Asylantrag gestellt hat, soweit der Antrag nicht gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2004 Nr. L 304/12 [Statusrichtlinie] verweist). Damit will der Gesetzgeber an die Gesamtheit der aufeinander bezogenen Elemente des Flüchtlingsbegriffs der GFK anknüpfen (VwGH 24.03.2011, 2008/23/1443). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren." (vgl. VfSlg. 19.086/2010; VfGH 12.6.2010, U 613/10)

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011; 17.03.2009, 2007/19/0459; 28.05.2009, 2008/19/1031). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771; 17.03.2009, 2007/19/0459; 28.05.2009, 2008/19/1031; 06.11.2009, 2008/19/0012). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011; 28.05.2009, 2008/19/1031). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Der Beschwerdeführer hat keine eigenen Fluchtgründe in Bezug auf Afghanistan vorgebracht.

§ 34 Abs. 1 AsylG 2005 lautet:

"Stellt ein Familienangehöriger (§ 2 Z 22) von einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist; einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder einem Asylwerber einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes."

Gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 122/2009 hat die Behörde aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3); die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist und gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7 AsylG 2005).

Familienangehörige sind gemäß § 2 Z 22 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 135/2009, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.

Bei dem Begriff "Familienleben im Sinne des Art. 8 MRK" handelt es sich nach gefestigter Ansicht der Konventionsorgane um einen autonomen Rechtsbegriff der Konvention (vgl. EGMR, Urteil v. 13.6.1997, Fall MARCKX, Ser. A, VOL. 31, Seite 14, § 31).

Nach dem oben zitierten EGMR-Urteil sind sowohl die Beziehungen der Eltern untereinander, als auch jeweils jene zu den Kindern durch Art. 8 MRK geschützte familiäre Bande. Bei einer diesbezüglichen Familie ergeben sich die von der MRK-Rechtsprechung zusätzlich geforderten engen Bindungen der Familienmitglieder untereinander aus ihrem alltäglichen Zusammenleben, gemeinsamer Sorge und Verantwortung füreinander, sowie finanzieller und anderer Abhängigkeit.

Die Unmöglichkeit der Fortsetzung des Familienlebens in einem anderen Staat wird in der Regel dann gegeben sein, wenn kein anderer Staat ersichtlich ist, der dem Asylberechtigten und seinem Angehörigen Asyl oder eine dem Asylrecht entsprechende dauernde Aufenthaltsberechtigung gewährt.

Ehegatten führen ebenso wie Kinder mit ihren Eltern ipso iure ein Familienleben.

Der Beschwerdeführer war zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährig. Er und seine Mutter sind Familienangehörige gemäß § 2 Z 22 AsylG 2005.

Im Fall des Beschwerdeführers liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung von Asyl im Familienverfahren vor, weil dem Antrag seiner Mutter stattgegeben wurde. Der Beschwerdeführer war zum Zeitpunkt der Einreise und der Stellung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz minderjährig. Das Ermittlungsverfahren betreffend der Mutter des Beschwerdeführers ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Mutter des Beschwerdeführers eine "westliche Lebensweise" angenommen hat und ihre Grundrechte in Anspruch nimmt. Sie konnte zum Entscheidungszeitpunkt eine entsprechende innere Wertehaltung glaubhaft dem Bundesverwaltungsgericht vermitteln. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich, dass die Furcht der Mutter des Beschwerdeführers vor Verfolgung im Sinne der GFK wohlbegründet ist.

Der Beschwerdeführer lebt nachwievor bei seiner Familie. Es besteht ein enger Familienzusammenhalt. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte, wonach dem Beschwerdeführer ein Familienleben getrennt von seiner Mutter und seiner Familie in einem anderen Staat zumutbar ist oder möglich wäre, sodass die Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl im Zuge eines Familienverfahrens gegeben sind.

Dem Beschwerdeführer war daher Asyl zu gewähren.

Der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz am 07.10.2016 - und somit nach dem 15.11.2015 - gestellt wurde, wodurch insbesondere die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 idF BGBl. I 24/2016 ("Asyl auf Zeit") gemäß § 75 Abs. 24 AsylG 2005 im konkreten Fall Anwendung finden.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Wie unzweifelhaft der rechtlichen Beurteilung zu entnehmen ist, weicht die gegenständliche Entscheidung weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es zu irgendeinem Sachverhaltsaspekt des gegenständlichen Falles an einer Rechtsprechung und kann auch nicht davon gesprochen werden, dass die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Bezug auf den gegenständlichen Fall als uneinheitlich zu beurteilen wäre. Im Übrigen liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der im vorliegenden Fall zu lösenden Rechtsfragen vor.

Vielmehr wurden die in dem vorliegenden Fall zu lösenden Rechtsfragen auf Basis der bisherigen Judikatur der Höchstgerichte entschieden.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Asyl auf Zeit Asylgewährung von Familienangehörigen Asylverfahren befristete Aufenthaltsberechtigung Familienangehöriger Familienverfahren Flüchtlingseigenschaft mündliche Verhandlung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W159.2219235.1.00

Im RIS seit

09.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

09.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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