TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/24 W159 2219234-1

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Veröffentlicht am 24.04.2020
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Entscheidungsdatum

24.04.2020

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §75 Abs24
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W159 2219234-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.04.2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25.02.2020, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß §§ 3 Abs. 1 iVm 34 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gem. § 3 Abs. 5 leg. cit. wird festgestellt, XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der minderjährige Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, der Volksgruppe der Hazara zugehörig, schiitschen moslemischen Glaubens und ledig gelangte spätestens am 12.11.2015 mit seiner Mutter und seinem Bruder in das Bundesgebiet. Die rechtskräftige Anordnung der Abschiebung nach Kroatien konnte nicht realisiert werden. Seine Mutter stellte für sich und ihre Söhne am 04.09.2018 einen Folgeantrag auf internationalen Schutz bei der XXXX

Am 28.09.2018 erfolgte die Niederschrift im Verfahren vor der belangten Behörde.

Der Beschwerdeführer gab seinen Geburtstag und als Geburtsort XXXX an. Er habe sich nie in Afghanistan aufgehalten. Er habe sich im Iran mit einer Karte aufgehalten und sei in die Schule gegangen. Er habe im Iran nicht gearbeitet.

Nachgefragt gab der Beschwerdeführer an, dass das Verhältnis zu seinem Vater sehr schlecht gewesen sei. Sein Vater sei gewalttätig gewesen und habe ihn geschlagen. Er habe jetzt noch eine Narbe am Kopf.

Seine Eltern hätten sich Jahre vor der Ausreise des Beschwerdeführers getrennt und seien geschieden. In XXXX hätten der Beschwerdeführer und sein Bruder beim Vater gelebt.

Aktuell sei seine Mutter nicht verheiratet.

Mit dem im Spruch angeführten Bescheid von 09.04.2019 wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 abgewiesen und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 und eine befristete Aufenthaltsberechtigung zuerkannt.

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe keinen Fluchtgrund gemäß der GFK vorgebracht. Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des Sachverhaltes gehe die belangte Behörde davon aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiären Schutzes gegeben seien.

Die Beschwerde wurde durch die Rechtsvertreterin eingebracht und langte am 15.05.2019 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein. Der Bescheid wurde in Punkt I. wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften angefochten. Die belangte Behörde hätte aufgrund der Scheidungspapiere festgestellt, dass der Beschwerdeführer und sein Bruder nach der Scheidung bei der Mutter gelebt hätten und hätte es als nicht glaubwürdig erachtete, dass die Beschwerdeführerin die Söhne gegen den Willen des Vaters nach Europa mitgenommen hätte. Es sei jedoch bekannt, dass im Fall einer Scheidung das Sorgerecht jedenfalls dem Vater bzw. der väterlichen Familie zukommt. In manchem Fällen sei es gestattet, dass die Kinder bei der Mutter leben, jedoch spätestens mit Erreichen des 11. Lebensjahres seien die Söhne der väterlichen Familie zu übergeben. Der Umstand, dass die Mutter des Beschwerdeführers mit beiden Minderjährigen aus dem Iran geflüchtet sei, sei unstrittig und sie habe damit dem Ex-Mann, dem Vater, die Kinder entzogen. Die Mutter des Beschwerdeführers habe angegeben, dass sich die Angehörigen des Ex-Ehemannes in Afghanistan aufhalten würden und sie im Falle einer Rückkehr asylrechtlich relevanter Verfolgung ausgesetzt wären. Der Beschwerdeführer und sein Bruder hätten auch glaubwürdig und nachvollziehbar die an sie gestellten Fragen zur Lebenssituation im Iran beantwortet. Es wurde auf den Bericht der schweizerischen Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Situation geschiedener Frauen, Auskunft der SFH-Länderanalyse, Alexandra Geiser vom 01.11.2011 verwiesen.

Am 25.02.2020 fand eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, an der Mutter des Beschwerdeführers (BF1), der Beschwerdeführer (BF3) und sein Bruder (BF2), alle als Beschwerdeführer (Familienverfahren), die Rechtsvertreterin, ein Vertreter der belangten Behörde und eine Dolmetscherin teilnahmen.

Der Beschwerdeführer hielt sein bisheriges Vorbringen und die Beschwerde aufrecht. Er sei afghanischer Staatsangehöriger, schiitischer Moslem und gehöre der Volksgruppe der Hazara an. Er brachte vor er sei am 24.06.1384, das entspreche dem XXXX geboren worden. Die Mutter des Beschwerdeführers wurde als gesetzliche Vertretung der Befragung beigezogen.

Der Beschwerdeführer gab an, er sei im Iran geboren worden und sei dort aufgewachsen. Er hätte zuletzt mit seinem Bruder im Iran, bei seinem Vater gelebt. Er sei dort oft geschlagen worden und es sei ihm nicht erlaubt worden seine Mutter zu sehen. Die Mutter hätte die Tante bezahlt, dass sie sich sehen hätten können. Der Vater sei drogenabhängig und gewalttätig gewesen. Er sei von seinem Vater und seiner Familie nicht gut behandelt worden.

Nachgefragt wie es zur Ausreise gekommen sei, erzählte der Beschwerdeführer: "Mein Bruder hat von einem Freund sich ein Handy ausgeliehen. Mein Bruder konnte Nummer von meiner Mutter auswendig. Er hat sie angerufen und sie hat uns dann abgeholt."

Er habe keine Probleme mit afghanischen Behördenorganen, bewaffneten Gruppierungen wie den Taliban oder afghanischen Privatpersonen gehabt, er sei ja nie in Afghanistan gewesen. Er habe auch mit niemanden in Afghanistan Kontakt.

Hier in Österreich sei er gesund. Er besuche die Neue Mittelschule. Als ordentlicher Schüler gehe er in die zweite Klasse.

Er lebe mit seiner Mutter im gemeinsamen Haushalt. Er habe österreichische Freunde. In seiner Freizeit würde er sich mit seinen Freunden treffen. Sie würden gemeinsam Fußball spielen und sich viel im Freien aufhalten. Für seine Zukunft habe er bis jetzt noch keine konkreten Pläne.

Der aktuelle Strafregisterauszug wurde verlesen, in dem keine Verurteilung aufscheint.

Am 11.03.2020 langte eine Stellungnahme der Rechtsvertreterin der Beschwerdeführer beim Bundesverwaltungsgericht ein. Es wurde auf das Vorbringen der Mutter des Beschwerdeführers verwiesen. Die Mutter des Beschwerdeführers gehöre wie aus den Ausführungen der Länderberichte, ebenso wie aus den Ausführungen des Berichts des UNHCR vom 30.08.2018, hervorgehe, zum Risikoprofil der als verwestlicht wahrgenommenen Frauen, die vermeintlich gegen die sozialen Sitten verstoßen würden.

Es sei davon auszugehen, dass die Mutter des Beschwerdeführers, die im Iran aufgewachsen sei und niemals in Afghanistan gelebt haben soll, die sozialen Sitten in Afghanistan verstoßen würde. Deshalb sei sie der begründeten Furcht vor Verfolgung durch staatliche oder nicht-staatliche Akteure wegen ihrer Zugehörigkeit der sozialen Gruppe der verwestlichten Frauen ausgesetzt. Der Staat könne ihr keinen Schutz bieten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person des Beschwerdeführers wird Folgendes festgestellt:

Der minderjährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, Hazara, schiitscher Moslem und ledig. Er ist mit seiner Mutter und seinem Bruder in das Bundesgebiet eingereist. Er hat gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Im Bundesgebiet hält er sich mit seiner Mutter und seinem Bruder auf. Diese sind ebenso Staatsangehörige von Afghanistan.

Glaubhaft ist, dass die Mutter des Beschwerdeführers eine westlich orientierte Frau ist, die sich seit ihrer Ankunft ein freies und selbstbestimmtes Leben lebt. Der Beschwerdeführer und sein Bruder haben sich in Österreich integriert.

Der Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers wurde mit einem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom heutigen Tag der Status von Asylberechtigten zuerkannt und festgestellt, dass ihr die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Beweis wurde erhoben:

Beweis wurde erhoben durch Einvernahmen der Mutter des Beschwerdeführers, des Beschwerdeführers und des Bruders des Beschwerdeführers

- im Rahmen des Folgeantrages durch Beamte der XXXX am 04.09.2018,

- durch das BFA, am 28.09.2018,

- im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 25.02.2020 sowie durch Vorhalt der oben näher bezeichneten länderkundlichen Dokumente durch das Bundesverwaltungsgericht.

2. Beweiswürdigung:

Der Mutter des Beschwerdeführers wurde der Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF zuerkannt, ihr kommt damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zu.

Es war dadurch nicht erforderlich länderspezifische Feststellungen zu treffen. Die personenbezogenen Feststellungen beruhen auf den glaubwürdigen Aussagen des Beschwerdeführers. Eigene Verfolgungsgründe für Afghanistan hat er nicht vorgebracht.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Asylantrag gestellt hat, soweit der Antrag nicht gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2004 Nr. L 304/12 [Statusrichtlinie] verweist). Damit will der Gesetzgeber an die Gesamtheit der aufeinander bezogenen Elemente des Flüchtlingsbegriffs der GFK anknüpfen (VwGH 24.03.2011, 2008/23/1443). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren." (vgl. VfSlg. 19.086/2010; VfGH 12.6.2010, U 613/10)

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011; 17.03.2009, 2007/19/0459; 28.05.2009, 2008/19/1031). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771; 17.03.2009, 2007/19/0459; 28.05.2009, 2008/19/1031; 06.11.2009, 2008/19/0012). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011; 28.05.2009, 2008/19/1031). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Der Beschwerdeführer hat keine eigenen Verfolgungsgründe in Bezug auf Afghanistan vorgebracht.

§ 34 Abs. 1 AsylG 2005 lautet:

"Stellt ein Familienangehöriger (§ 2 Z 22) von einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist; einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder einem Asylwerber einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes."

Gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 122/2009 hat die Behörde aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3); die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist und gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7 AsylG 2005).

Familienangehörige sind gemäß § 2 Z 22 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 135/2009, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.

Bei dem Begriff "Familienleben im Sinne des Art. 8 MRK" handelt es sich nach gefestigter Ansicht der Konventionsorgane um einen autonomen Rechtsbegriff der Konvention (vgl. EGMR, Urteil v. 13.6.1997, Fall MARCKX, Ser. A, VOL. 31, Seite 14, § 31).

Nach dem oben zitierten EGMR-Urteil sind sowohl die Beziehungen der Eltern untereinander, als auch jeweils jene zu den Kindern durch Art. 8 MRK geschützte familiäre Bande. Bei einer diesbezüglichen Familie ergeben sich die von der MRK-Rechtsprechung zusätzlich geforderten engen Bindungen der Familienmitglieder untereinander aus ihrem alltäglichen Zusammenleben, gemeinsamer Sorge und Verantwortung füreinander, sowie finanzieller und anderer Abhängigkeit.

Die Unmöglichkeit der Fortsetzung des Familienlebens in einem anderen Staat wird in der Regel dann gegeben sein, wenn kein anderer Staat ersichtlich ist, der dem Asylberechtigten und seinem Angehörigen Asyl oder eine dem Asylrecht entsprechende dauernde Aufenthaltsberechtigung gewährt.

Ehegatten führen ebenso wie Kinder mit ihren Eltern ipso iure ein Familienleben.

Der Beschwerdeführer war zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährig und ist es nach wie vor. Er und seine Mutter sind Familienangehörige gemäß § 2 Z 22 AsylG 2005.

Im Fall des Beschwerdeführers liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung von Asyl im Familienverfahren vor, weil dem Antrag seiner Mutter stattgegeben wurde. Der Beschwerdeführer war zum Zeitpunkt der Einreise minderjährig. Das Ermittlungsverfahren betreffend der Mutter des Beschwerdeführers ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Mutter des Beschwerdeführers eine "westliche Lebensweise" angenommen hat und ihre Grundrechte in Anspruch nimmt. Sie konnte zum Entscheidungszeitpunkt eine entsprechende innere Wertehaltung glaubhaft dem Bundesverwaltungsgericht vermitteln. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich, dass die Furcht der Mutter des Beschwerdeführers vor Verfolgung im Sinne der GFK wohlbegründet ist.

Der Beschwerdeführer lebt nachwievor bei seiner Familie. Es besteht ein enger Familienzusammenhalt. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte, wonach dem Beschwerdeführer ein Familienleben getrennt von seiner Mutter und seiner Familie in einem anderen Staat zumutbar ist oder möglich wäre, sodass die Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl im Zuge eines Familienverfahrens gegeben sind.

Dem Beschwerdeführer war daher Asyl zu gewähren.

Der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz am 07.10.2016 - und somit nach dem 15.11.2015 - gestellt wurde, wodurch insbesondere die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 idF BGBl. I 24/2016 ("Asyl auf Zeit") gemäß § 75 Abs. 24 AsylG 2005 im konkreten Fall Anwendung finden.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Wie unzweifelhaft der rechtlichen Beurteilung zu entnehmen ist, weicht die gegenständliche Entscheidung weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es zu irgendeinem Sachverhaltsaspekt des gegenständlichen Falles an einer Rechtsprechung und kann auch nicht davon gesprochen werden, dass die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Bezug auf den gegenständlichen Fall als uneinheitlich zu beurteilen wäre. Im Übrigen liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der im vorliegenden Fall zu lösenden Rechtsfragen vor.

Vielmehr wurden die in dem vorliegenden Fall zu lösenden Rechtsfragen auf Basis der bisherigen Judikatur der Höchstgerichte entschieden.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Asyl auf Zeit Asylgewährung Asylverfahren befristete Aufenthaltsberechtigung Familienangehöriger Familienverfahren Flüchtlingseigenschaft mündliche Verhandlung westliche Orientierung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W159.2219234.1.00

Im RIS seit

09.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

09.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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