Entscheidungsdatum
19.05.2020Norm
AsylG 2005 §35Spruch
W212 2188023-1/6E
W212 2188025-1/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Eva SINGER nach Beschwerdevorentscheidung der Österreichischen Botschaft Damaskus vom 18.01.2018,
Zl. Damaskus-ÖB/KONS/2544/2017, aufgrund der Vorlageanträge von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) mj. XXXX , geb. XXXX , gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , beide StA. Syrien, vertreten durch das Österreichische Rote Kreuz, über die Beschwerde gegen den Bescheid der Österreichischen Botschaft Damaskus vom 20.11.2017, beschlossen:
A) Den Beschwerden wird gemäß § 28 Abs 3 VwGVG stattgegeben, die bekämpften Bescheide und die Beschwerdevorentscheidungen behoben und die Angelegenheit zur Erlassung neuer Entscheidungen an die Behörde zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Die Erstbeschwerdeführerin ist ihren Angaben zufolge die Mutter und gesetzliche Vertreterin der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin, beide sind syrische Staatsangehörige. Sie stellten am 23.11.2016 bei der Österreichischen Botschaft Damaskus (künftig auch: ÖB Damaskus) Anträge auf Erteilung eines Einreisetitels nach
§ 35 Abs. 1 AsylG 2005.
Der Bezugsperson, dem als Ehemann der Erstbeschwerdeführerin und Vater der Zweitbeschwerdeführerin bezeichneten XXXX , geb. XXXX ,
StA Syrien, wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.03.2016 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.
Dem Antrag wurden folgende Dokumente in Kopie beigelegt:
- Begleitschreiben der Erstbeschwerdeführerin zum Befragungsformular
- Kopie des Fremdenpasses und Meldezettel der Bezugsperson
- Auszüge aus dem Personenstandsregister
- Eheschließungsurkunde
- Klage einer Ehebestätigung
- Auszug aus dem syrischen Personenstandsregister
- Bestätigung einer einvernehmlichen Scheidung
- Scheidungsurkunde
- Erstbefragungsformular im Asylverfahren der Bezugsperson
- Bescheid über die Zuerkennung von Asyl an die Bezugsperson
- Lebenslauf der Bezugsperson
- Werkvertrag der Bezugsperson
- Patientenbrief der Bezugsperson
- Erklärung zum Nachweis des Rechtsanspruchs auf Wohnraum
- Unterstützungserklärungen
- Bescheid über die Zuerkennung von Mindestsicherung an die Bezugsperson
- Kopie der E-Card der Bezugsperson
2. Mit Stellungnahme vom 05.10.2017 teilte das BFA gemäß § 35 Abs. 4 AsylG mit, dass die Gewährung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten oder Asylberechtigten nicht wahrscheinlich sei, da die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1-3 AsylG 2005 nicht erfüllt seien und die Einreise der Beschwerdeführer nicht nach Art. 8 EMRK geboten erscheine, da kein aufrechtes Familienleben mit der Bezugsperson vorliege. Die Eheschließung sei von einem Gericht rückwirkend mit 01.01.2014 bestätigt worden, zu diesem Zeitpunkt habe aber noch eine aufrechte Ehe de Bezugsperson mit deren erster Ehefrau bestanden. Weiters hätten sich aus einer Gegenüberstellung der Angaben erhebliche Widersprüche ergeben.
3. Die ÖB Islamabad räumte den Parteien mit Schreiben vom 25.10.2017 die Möglichkeit zur Stellungnahme zur Wahrscheinlichkeitsprognose des BFA ein.
4. Mit Stellungnahme vom 09.11.2017 wurde ausgeführt, dass religiöse Ehescheidung der Bezugsperson von deren erster Ehefrau bereits im Jahr 2011 erfolgt sei. Die Scheidung sei am 15.04.2014 nachträglich gerichtlich verifiziert worden. Am 14.02.2014 hätten die Erstbeschwerdeführerin und die Bezugsperson geheiratet, die religiöse Eheschließung sei durch Gerichtsbeschluss am 08.05.2016 bestätigt worden. Die Zweitbeschwerdeführerin sei am 01.01.2016 geboren worden. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1-3 AsylG 2005 seien nicht erfüllt, dennoch komme gegenständlich § 35 Abs. 4 Z 3 Asyl zur Anwendung, da die Einreise zur Aufrechterhaltung des privat- und Familienlebens dringend geboten sei. Die Stellungnahme des BFA enthalte keine Konkretisierung, worin die Widersprüche in den Angaben bestehen würden. Es werde beantragt, einen namentlich genannten Zeugen der Eheschließung einzuvernehmen. Schließlich habe es die Behörde verabsäumt, die Zweitbeschwerdeführerin in die Beweiswürdigung einzubeziehen.
Der Stellungnahme lagen bei:
- Dienstvertrag der Bezugsperson
- Arbeitszeugnis der Bezugsperson
- Familienfotos
- Eidesstattliche Erklärung eines Zeugen der Eheschließung
5. Mit Schreiben vom 15.11.2017 teilte das BFA der ÖB Islamabad mit, dass an der negativen Wahrscheinlichkeitsprognose festgehalten werde.
6. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 20.11.2017 verweigerte die ÖB Damaskus den Beschwerdeführerinnen die Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 26 FPG iVm §°35 AsylG mit der Begründung, das BFA habe nach erneuter Prüfung mitgeteilt, dass in dem Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels zugrundeliegenden Fall die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten nicht wahrscheinlich sei.
7. Gegen diese Bescheide richtet sich die gegenständliche Beschwerde vom 18.12.2017, in welcher im Wesentlichen auf die Stellungnahe vom 09.11.2017 verwiesen und vorgebracht wurden, dass die Entscheidung mit materieller und formeller Rechtswidrigkeit belastet sei.
8. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 18.01.2018 wies die ÖB Damaskus die Beschwerde gemäß § 14 Abs. 1 VwGVG als unbegründet ab.
9. Am 01.02.2018 wurde bei der ÖB ein Vorlageantrag gemäß § 15 VwGVG eingebracht.
10. Mit Schreiben des Bundesministeriums für Inneres, eingelangt beim Bundesverwaltungsgericht am 05.03.2018, wurde dem Bundesverwaltungsgericht der Vorlageantrag samt Verwaltungsakt übermittelt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Zu A) Stattgebung der Beschwerden und Zurückverweisung:
1. Die maßgeblichen Bestimmungen des AsylG 2005 lauten:
§ 34 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017:
„(1) Stellt ein Familienangehöriger von
1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;
2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder
3. einem Asylwerber
einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.
(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn
1. dieser nicht straffällig geworden ist und
(Z 2 aufgehoben durch Art. 3 Z 13, BGBl. I Nr. 84/2017)
3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).
(3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn
1. dieser nicht straffällig geworden ist;
(Z 2 aufgehoben durch Art. 3 Z 13, BGBl. I Nr. 84/2017)
3. gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 9) und
4. dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.
(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.
(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.
(6) Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden:
1. auf Familienangehörige, die EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind;
2. auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind;
3. im Fall einer Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 NAG).“
§ 35 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 56/2018 lautet:
„(1) Der Familienangehörige gemäß Abs. 5 eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, kann zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels bei einer mit konsularischen Aufgaben betrauten österreichischen Vertretungsbehörde im Ausland (Vertretungsbehörde) stellen. Erfolgt die Antragstellung auf Erteilung eines Einreisetitels mehr als drei Monate nach rechtskräftiger Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, sind die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 zu erfüllen.
(2) Der Familienangehörige gemäß Abs. 5 eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, kann zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 1 Z 2 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 frühestens drei Jahre nach rechtskräftiger Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels bei der Vertretungsbehörde stellen, sofern die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 erfüllt sind. Diesfalls ist die Einreise zu gewähren, es sei denn, es wäre auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen oder in drei Monaten nicht mehr vorliegen werden. Darüber hinaus gilt Abs. 4.
(2a) Handelt es sich beim Antragsteller um den Elternteil eines unbegleiteten Minderjährigen, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, gelten die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 als erfüllt.
(3) Wird ein Antrag nach Abs. 1 oder Abs. 2 gestellt, hat die Vertretungsbehörde dafür Sorge zu tragen, dass der Fremde ein in einer ihm verständlichen Sprache gehaltenes Befragungsformular ausfüllt; Gestaltung und Text dieses Formulars hat der Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres und nach Anhörung des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (§ 63) so festzulegen, dass das Ausfüllen des Formulars der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts dient. Außerdem hat die Vertretungsbehörde auf die Vollständigkeit des Antrages im Hinblick auf den Nachweis der Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 hinzuwirken und den Inhalt der ihr vorgelegten Dokumente aktenkundig zu machen. Der Antrag auf Einreise ist unverzüglich dem Bundesamt zuzuleiten.
(4) Die Vertretungsbehörde hat dem Fremden aufgrund eines Antrags auf Erteilung eines Einreisetitels nach Abs. 1 oder 2 ohne weiteres ein Visum zur Einreise zu erteilen (§ 26 FPG), wenn das Bundesamt mitgeteilt hat, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten wahrscheinlich ist. Eine derartige Mitteilung darf das Bundesamt nur erteilen, wenn
1.
gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§§ 7 und 9),
2.
das zu befassende Bundesministerium für Inneres mitgeteilt hat, dass eine Einreise den öffentlichen Interessen nach Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht widerspricht und
3.
im Falle eines Antrages nach Abs. 1 letzter Satz oder Abs. 2 die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 erfüllt sind, es sei denn, die Stattgebung des Antrages ist gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten.
Bis zum Einlangen dieser Mitteilung ist die Frist gemäß § 11 Abs. 5 FPG gehemmt. Die Vertretungsbehörde hat den Fremden über den weiteren Verfahrensablauf in Österreich gemäß § 17 Abs. 1 und 2 zu informieren.
(5) Nach dieser Bestimmung ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.“
§ 60 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017 lautet:
„(1) Aufenthaltstitel dürfen einem Drittstaatsangehörigen nicht erteilt werden, wenn
1. gegen ihn eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 iVm 53 Abs. 2 oder 3 FPG besteht, oder
2. gegen ihn eine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz besteht.
(2) Aufenthaltstitel gemäß § 56 dürfen einem Drittstaatsangehörigen nur erteilt werden, wenn
1. der Drittstaatsangehörige einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird,
2. der Drittstaatsangehörige über einen alle Risiken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist,
3. der Aufenthalt des Drittstaatsangehörige zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (§ 11 Abs. 5 NAG) führen könnte, und
4. durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden.
(3) Aufenthaltstitel dürfen einem Drittstaatsangehörigen nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen nicht öffentlichen Interessen widerstreitet. Der Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen widerstreitet dem öffentlichen Interesse, wenn
1. dieser ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können, oder auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass dieser durch Verbreitung in Wort, Bild oder Schrift andere Personen oder Organisationen von seiner gegen die Wertvorstellungen eines europäischen demokratischen Staates und seiner Gesellschaft gerichteten Einstellung zu überzeugen versucht oder versucht hat oder auf andere Weise eine Person oder Organisation unterstützt, die die Verbreitung solchen Gedankengutes fördert oder gutheißt oder
2. im Falle der §§ 56 und 57 dessen Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.“
§ 75 Abs. 24 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016 lautet:
„(24) Auf Fremde, denen der Status des Asylberechtigten bereits vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2016 zuerkannt wurde und auf Fremde, die einen Antrag auf internationalen Schutz vor dem 15. November 2015 gestellt haben, sind die §§ 2 Abs. 1 Z 15, 3 Abs. 4 bis 4b, 7 Abs. 2a und 51a in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2016 nicht anzuwenden. Für diese Fremden gilt weiter § 2 Abs. 1 Z 15 in der Fassung vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2016. §§ 17 Abs. 6 und 35 Abs. 1 bis 4 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2016 sind auf Verfahren, die bereits vor dem 1. Juni 2016 anhängig waren, nicht anzuwenden. Auf Verfahren gemäß § 35, die bereits vor dem 1. Juni 2016 anhängig waren, ist § 35 Abs. 1 bis 4 in der Fassung vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2016 weiter anzuwenden. Handelt es sich bei einem Antragsteller auf Erteilung des Einreisetitels gemäß § 35 Abs. 1 um den Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten bereits vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2016 rechtskräftig zuerkannt wurde, sind die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 nicht zu erfüllen, wenn der Antrag auf Erteilung des Einreisetitels innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2016 gestellt wurde. § 22 Abs. 1 gilt für Verfahren, die mit Ablauf des 31. Mai 2018 bereits anhängig waren, auch noch nach dem 31. Mai 2018 weiter.“
§ 11 idF BGBl. I Nr. 145/2017, § 11a idF BGBl. I Nr. 68/2013 und § 26 idF BGBl. I Nr. 145/2017 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) lauten:
„Verfahren vor den österreichischen Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten
§ 11 (1) In Verfahren vor österreichischen Vertretungsbehörden haben Antragsteller unter Anleitung der Behörde die für die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes erforderlichen Urkunden und Beweismittel selbst vorzulegen; in Verfahren zur Erteilung eines Visums D ist Art. 19 Visakodex sinngemäß anzuwenden. In Verfahren zur Erteilung eines Visums gemäß § 20 Abs. 1 Z 9 sind Art. 9 Abs. 1 erster Satz und Art. 14 Abs. 6 Visakodex sinngemäß anzuwenden. Der Antragssteller hat über Verlangen der Vertretungsbehörde vor dieser persönlich zu erscheinen, erforderlichenfalls in Begleitung eines Dolmetschers (§ 39a AVG). § 10 Abs. 1 letzter Satz AVG gilt nur für in Österreich zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Personen. Die Vertretungsbehörde hat nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Eine Entscheidung, die dem Standpunkt des Antragstellers nicht vollinhaltlich Rechnung trägt, darf erst ergehen, wenn die Partei Gelegenheit zur Behebung von Formgebrechen und zu einer abschließenden Stellungnahme hatte.
(2) Partei in Verfahren vor der Vertretungsbehörde ist ausschließlich der Antragssteller.
(3) Die Ausfertigung bedarf der Bezeichnung der Behörde, des Datums der Entscheidung und der Unterschrift des Genehmigenden; an die Stelle der Unterschrift kann das Siegel der Republik Österreich gesetzt werden, sofern die Identität des Genehmigenden im Akt nachvollziehbar ist. Die Zustellung hat durch Übergabe in der Vertretungsbehörde oder, soweit die internationale Übung dies zulässt, auf postalischem oder elektronischem Wege zu erfolgen; ist dies nicht möglich, so ist die Zustellung durch Kundmachung an der Amtstafel der Vertretungsbehörde vorzunehmen.
(4) Vollinhaltlich ablehnende Entscheidungen gemäß Abs. 1 betreffend Visa D sind schriftlich in einer Weise auszufertigen, dass der Betroffene deren Inhalt und Wirkung nachvollziehen kann. Dem Betroffenen sind die Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit, die der ihn betreffenden Entscheidung zugrunde liegen, genau und umfassend mitzuteilen, es sei denn, dass Gründe der Sicherheit der Republik Österreich dieser Mitteilung entgegenstehen. In der schriftlichen Ausfertigung der Begründung sind auch die Rechtsmittelinstanz und die Rechtsmittelfrist anzugeben.
(5) Für die Berechnung von Beginn, Lauf und Ende von Fristen (§ 33 AVG) gelten die Wochenend- und Feiertagsregelungen im Empfangsstaat.
(6) Kann dem Antrag auf Erteilung eines Visums D auf Grund zwingender außenpolitischer Rücksichten oder aus Gründen der nationalen Sicherheit nicht stattgegeben werden, so ist die Vertretungsbehörde ermächtigt, sich auf den Hinweis des Vorliegens zwingender Versagungsgründe zu beschränken. Der maßgebliche Sachverhalt muss auch in diesen Fällen im Akt nachvollziehbar sein.
(7) Der Fremde hat im Antrag auf Erteilung eines Visums D den jeweiligen Zweck und die beabsichtigte Dauer der Reise und des Aufenthaltes bekannt zu geben. Der Antrag ist zurückzuweisen, sofern der Antragsteller, ausgenommen die Fälle des § 22 Abs. 3, trotz Aufforderung und Setzung einer Nachfrist kein gültiges Reisedokument oder gegebenenfalls kein Gesundheitszeugnis vorlegt oder wenn der Antragsteller trotz entsprechenden Verlangens nicht persönlich vor der Behörde erschienen ist, obwohl in der Ladung auf diese Rechtsfolge hingewiesen wurde.
(8) Minderjährige Fremde, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, können bei Zustimmung des gesetzlichen Vertreters die Erteilung eines Visums selbst beantragen.
[…]
Beschwerden gegen Bescheide österreichischer Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten
§ 11a (1) Der Beschwerdeführer hat der Beschwerde gegen einen Bescheid einer österreichischen Vertretungsbehörde sämtliche von ihm im Verfahren vor der belangten Vertretungsbehörde vorgelegten Unterlagen samt Übersetzung in die deutsche Sprache anzuschließen.
(2) Beschwerdeverfahren sind ohne mündliche Verhandlung durchzuführen. Es dürfen dabei keine neuen Tatsachen oder Beweise vorgebracht werden.
(3) Sämtliche Auslagen der belangten Vertretungsbehörde und des Bundesverwaltungsgerichtes für Dolmetscher und Übersetzer sowie für die Überprüfung von Verdolmetschungen und Übersetzungen sind Barauslagen im Sinn des § 76 AVG.
(4) Die Zustellung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes hat über die Vertretungsbehörde zu erfolgen. § 11 Abs. 3 gilt.“
Visa zur Einbeziehung in das Familienverfahren nach dem AsylG 2005
§ 26 Teilt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 35 Abs. 4 AsylG 2005 mit, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten wahrscheinlich ist, ist dem Fremden ohne Weiteres zur einmaligen Einreise ein Visum mit viermonatiger Gültigkeitsdauer zu erteilen.“
§ 28 Abs. 1 bis 3 VwGVG lautet:
„§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.“
Mit Erkenntnis vom 26.6.2014, Ro 2014/03/0063, hat der VwGH festgestellt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen werde daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gelte, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.
Im Erkenntnis vom 01.03.2016, Ro 2015/18/20002 bis 0007, hält der VwGH zunächst fest, dass der in § 35 Abs. 4 AsylG 2005 angeordnete Beweismaßstab, nach dem das Bundesamt zu beurteilen hat, ob es eine positive oder negative Mitteilung abgibt, für sich betrachtet rechtsstaatlich nicht bedenklich erscheint. Da das Gesetz vorsieht, dass eine positive Mitteilung des Bundesamtes schon dann zu ergehen hat, wenn die Gewährung von internationalem Schutz bloß wahrscheinlich ist, bedeutet dies im Umkehrschluss, dass eine negative Prognose nur dann erfolgen darf, wenn die Gewährung dieses Schutzes in einem nach Einreise in Österreich zu führenden Asylverfahren nicht einmal wahrscheinlich ist; Gewissheit darüber, dass dem Antragsteller internationaler Schutz in Österreich gewährt werden wird, erfordert die Erteilung einer Einreiseerlaubnis hingegen nicht.
Um somit die Einreiseerlaubnis nach Österreich zu erhalten, muss der Antragsteller lediglich die niedrigere Beweisschwelle der Wahrscheinlichkeit einer künftigen Gewährung internationalen Schutzes überspringen. Schon dann steht ihm die Möglichkeit offen, in das Bundesgebiet einzureisen und dort ein Familienverfahren nach § 34 AsylG 2005 - mit allen Verfahrensgarantien - zu absolvieren. Dass § 35 Abs. 4 AsylG 2005 die Vergabe eines Visums an die Wahrscheinlichkeit der Gewährung internationalen Schutzes im künftigen Asylverfahren bindet, erscheint unter diesem Blickwinkel mit dem rechtsstaatlichen Prinzip somit nicht im Widerspruch zu stehen.
Der Verfassungsgerichtshof hat mehrfach ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, sofern in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes. Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 mwN sowie VfSlg. 14.421/1996 und 15.743/2000).
Die Behörde hat die Pflicht, für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhalts erforderlichen Beweise zu sorgen und auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Die Behörde darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. VwGH vom 10.04.2013, Zl. 2011/08/0169 sowie dazu Walter/Thienel: „Verwaltungsverfahren Band I2“, E 84 zu § 39 AVG).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die österreichische Vertretungsbehörde im Ausland in Bezug auf die Erteilung eines Einreisetitels nach § 35 AsylG an die Mitteilung des Bundesasylamtes (nunmehr: des Bundeamtes für Fremdenwesen und Asyl) über die Prognose einer Asylgewährung bzw. Gewährung subsidiären Schutzes gebunden, und zwar auch an eine negative Mitteilung. Diesbezüglich kommt ihr keine eigene Prüfungskompetenz zu (vgl. das im Beschwerdefall im ersten Rechtsgang ergangene Erkenntnis VwGH 16.12.2014, Ro 2014/22/0034 unter Hinweis auf VwGH 17.10.2013, 2013/21/0152; VwGH 19.06.2008, 2007/21/0423).
Ungeachtet dieser für die Vertretungsbehörden bestehenden Bindungswirkung an die Prognoseentscheidung des Bundesamtes steht es dem Bundesverwaltungsgericht allerdings nunmehr - innerhalb des mit dem Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz - FNG, BGBl. I Nr. 87/2012, geschaffenen geschlossenen Rechtsschutzsystems - offen, auch die Einschätzung des Bundesamtes über die Wahrscheinlichkeit der Gewährung internationalen Schutzes an den Antragsteller auf ihre Richtigkeit zu überprüfen (VwGH 01.03.2016, Ro 2015/18/0002). Auch wenn es sich bei der Mitteilung des Bundesamtes um keinen Bescheid handelt, der vom Antragsteller (selbständig) angefochten werden kann (VwGH 06. 10.2010, 2008/19/0527), setzt die Möglichkeit einer Überprüfung der Richtigkeit dieser Prognose durch das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls voraus, dass dieser Mitteilung des Bundesamtes in nachvollziehbarer Weise zu entnehmen ist, aus welchen Gründen das Bundesamt die Zuerkennung des beantragten Schutzstatus für nicht wahrscheinlich hält.
Im gegenständlichen Fall liegt eine Mangelhaftigkeit im Sinne des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vor bzw wurde auch Verfahrensvorschriften nicht ausreichend Rechnung getragen:
Das BFA begründete seine negative Wahrscheinlichkeitsprognose unter anderem damit, dass die behauptete Eheschließung der Erstbeschwerdeführerin und der Bezugsperson erst nach der Ausreise der Bezugsperson registriert worden sei und zum Zeitpunkt der traditionellen Eheschließung noch eine aufrechte Ehe mit der ersten Ehefrau der Bezugsperson bestanden habe. Aus diesem Grund liege kein Familienleben iSd Art. 8 EMRK vor.
Die Erstbeschwerdeführerin gibt an, die Mutter der Zweitbeschwerdeführerin und Ehefrau der Bezugsperson zu sein, welcher mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.03.2018 der Status des Asylberechtigten in Österreich zuerkannt wurde. Die Bezugsperson sei der leibliche Vater der Zweitbeschwerdeführerin.
Der belangten Behörde ist insoweit beizupflichten, dass aus der vorgelegten Scheidungsurkunde hervorgeht, dass die Scheidung am 15.04.2014 erfolgt sei. Eine frühere (traditionelle) Scheidung oder Trennung, wie in der Stellungnahme vorgebracht, geht aus der Urkunde nicht hervor und wurden für eine angebliche Scheidung im Jahr 2011 auch keine anderen Beweismittel in Vorlage gebracht. Zum Zeitpunkt der Eheschließung am 14.02.2014 war die Bezugsperson daher noch mit ihrer ersten Frau verheiratet, weshalb eine Doppelehe vorliegt, die den Grundsätzen der österreichischen Rechtsordnung wiederspricht.
Auch aus der Entscheidung des EGMR vom 08.12.2009 (Case of Munoz Diaz vs. Spain, No. 49.151/07) geht hervor, dass keine Verpflichtung besteht, Eheschließungen auf Grundlage fremder Rechtsordnungen anzuerkennen, die den Grundwerten der nationalen Rechtsordnung widersprechen.
Im gegenständlichen Fall hat die belangte Behörde jedoch keinerlei Ausführungen bzw. Feststellungen darüber, ob die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin die Tochter der in Österreich asylberechtigten Bezugsperson ist, getroffen, sondern den angefochtenen Bescheid lediglich damit begründet, dass das behauptete Eheverhältnis zwischen der Erstbeschwerdeführerin und der Bezugsperson vor Ausreise der Bezugsperson nicht bestanden habe, bzw. die behauptete Eheschließung den Grundsätzen des „ordre public“ widersprochen habe. Die belangte Behörde hat lediglich betreffend die Erstbeschwerdeführerin Ermittlungen angestellt und Feststellungen getroffen und es gänzlich unterlassen, sich mit der Familieneigenschaft der Zweitbeschwerdeführerin auseinanderzusetzen. Eine allein darauf gestützte Begründung und damit ein Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt würde die Entscheidung jedoch mit Willkür belasten (vgl. dazu VfGH 11.06.2018, E3362/2017; VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Der belangten Behörde ist dadurch eine besonders gravierende Ermittlungslücke unterlaufen, die mit einer gänzlichen Unterlassung eines Ermittlungsschrittes gleichzusetzen ist.
Hinzuweisen ist in dem Zusammenhang auf die ständige Rechtsprechung des EGMR, wonach ein von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Familienleben zwischen Eltern und Kind mit dem Zeitpunkt der Geburt entsteht (vgl. EGMR 21.6.1988, Fall Berrehab, Appl. 10730/84 [Z 21]; 26.5.1994, Fall Keegan, Appl. 16969/90 [Z 44]). Diese besonders geschützte Verbindung kann in der Folge nur unter außergewöhnlichen Umständen als aufgelöst betrachtet werden (EGMR 19.2.1996, Fall Gül, Appl. 23218/94 [Z 32]).
Falls die Beweismittel als nicht geeignet befunden wurden, um das behauptete Verwandtschaftsverhältnis zwischen der Zweitbeschwerdeführerin und der Bezugsperson nachzuweisen, wäre eine DNA-Analyse zum Nachweis der Familienangehörigeneigenschaft erforderlich gewesen. Bevor ein Antrag gemäß § 35 AsylG aufgrund von Zweifeln an einem Verwandtschaftsverhältnis abgewiesen wird, hat jedenfalls gemäß § 13 Abs. 4 BFA-VG eine organisatorische Hilfestellung zur Beibringung des DNA-Nachweises und die entsprechende Belehrung zu erfolgen (arg: "hat ihm (...) zu ermöglichen"; "ist (...) zu belehren"). Aus den vorgelegten Verfahrensakten ist nicht ersichtlich, dass die Beschwerdeführerinnen über die Möglichkeit einer DNA-Analyse belehrt wurden. Insoweit liegt ein Verstoß gegen die Regelung des § 13 Abs. 4 BFA-VG vor.
Die Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren – unter Berücksichtigung der höchstgerichtlichen Judikatur (vgl. VwGH 22.02.2018, RA2017/18/0131) – eine entsprechende Belehrung gemäß § 13 Abs. 4 BFA-VG durchzuführen und den BF Gelegenheit zur Vornahme einer solchen DNA-Analyse zu geben haben.
Sollten nach Durchführung der DNA-Analysen eine Familieneigenschaft zwischen der Zweitbeschwerdeführerin und der Bezugsperson gesichert sein, ist in Bezug auf die Erstbeschwerdeführerin - deren leibliche Mutterschaft zu der Zweitbeschwerdeführerin vorausgesetzt - auch Art. 8 EMRK entsprechend zu berücksichtigen.
Im Hinblick auf die Familieneigenschaft zwischen der Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführerin ist darauf zu verweisen, dass der VfGH in seiner jüngeren Rechtsprechung bereits wiederholt gefordert hat, in Visa-Verfahren nach § 35 AsylG auch die Einhaltung des Art. 8 EMRK zu berücksichtigen und sicherzustellen (vgl. insbesondere VfGH 06.06.2014, B369/2013; 23.11.2015, E1510-1511/2015-15; 27.11.2017, E1001-1005/2017). Aus der Judikatur des VfGH ergibt sich zumindest, dass eine konkrete und individuelle Prüfung der beteiligten Interessen nach den Kriterien des Art. 8 EMRK stattzufinden hat und eine eventuelle Ablehnung eines Einreisetitels entsprechend begründet werden muss.
Die Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren – unter Berücksichtigung der neueren höchstgerichtlichen Judikatur (vgl VwGH 22.2.2018, Ra 2017/18/0131) - eine entsprechende Belehrung gemäß § 13 Abs. 4 BFA-VG durchzuführen und den Beschwerdeführerinnen, im Falle ihrer Ansicht nach weiterhin vorliegender Zweifel an der Familienangehörigeneigenschaft, Gelegenheit zur Vornahme von DNA-Analysen zu geben haben. Ferner ist die Behörde gegebenenfalls (bei DNA-mäßig festgestellter Familienangehörigeneigenschaft) gehalten, die Einhaltung des Art. 8 EMRK zu prüfen, um die Fortsetzung des Familienlebens mit der minderjährigen Tochter zu ermöglichen.
Im gegenständlichen Fall wurde die Abweisung der Anträge weiters auf die Nichterfüllung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1-3 AsylG 2005 gestützt. Der Bezugsperson wurde der Status des Asylberechtigten am 09.03.2016 zuerkannt. Die Anträge auf Erteilung von Einreisetiteln wurden am 23.11.2016 und daher außerhalb der in § 75 Abs. 24 AsylG 2005 vorgesehenen dreimonatigen Übergangsfrist und auch mehr als drei Monate nach Asylgewährung an die Bezugsperson gestellt. Gemäß § 35 Abs. 1 AsylG 2005 wären daher die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1-3 AsylG 2005 zu erfüllen.
Der EuGH hat in seinem Urteil vom 07.11.2018, Rs. C-380/17, K, B gegen Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie, klargestellt, dass im Fall von Anträgen auf Familienzusammenführung, die nach einer Frist von drei Monaten gestellt wurden, eine Überprüfung dahingehend durchzuführen ist, ob die verspätete Antragstellung auf Grund besonderer Umstände objektiv entschuldbar ist, was die ‚Unzulässigkeit‘ des herangezogenen Ablehnungsgrundes zur Folge hätte (vgl. auch VwGH 25.6.2019, Ra 2018/19/0568).
Die Erstbeschwerdeführerin hat in einem mit 22.11.2016 datierten Begleitschreiben zum Antrag ausführlich dargelegt, weshalb es ihr aufgrund fehlender Infrastruktur und mangelnder Kooperationsbereitschaft der zuständigen Behörden nicht möglich war, die für die Antragstellung notwendigen Dokumente, besonders für die am 01.01.2016 geborene Zweitbeschwerdeführerin, innerhalb der Übergangsfrist zu erlangen. Der Kriegszustand in Syrien und die Abwesenheit der Bezugsperson als Familienvorstand wurden dabei als primäre Hindernisse genannt. Dieses Vorbringen wurde von der belangten Behörde jedoch nicht gewürdigt und es erfolgte keine Überprüfung dahingehend, ob die Versäumung der Frist im Sinne der Judikatur des EuGH und des Verwaltungsgerichtshofs als „entschuldbar“ angesehen werden kann. Das Verfahren ist daher auch aus diesem Grund mit Mangelhaftigkeit belastet.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis Ra 2018/19/0568 vom 25.06.2019 ausgesprochen hat, ist bei der Beurteilung der Versäumung der dreimonatigen Frist gemäß § 35 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 jedoch auf - im Verfahren vor der Vertretungsbehörde vorgebrachte - besondere Umstände Bedacht zu nehmen, aufgrund derer die Versäumung objektiv entschuldbar gewesen sein könnte. Solche Umstände sind gegenständlich unberücksichtigt geblieben.
Die Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren unter Wahrung des Parteiengehörs Ermittlungen anzustellen haben, ob die verspätete Antragstellung im Hinblick auf das Vorbringen der Beschwerdeführerinnen, wonach ihnen eine Antragstellung zeitnah zur Asylgewährung an die Bezugsperson aufgrund der damaligen Situation unverschuldet nicht möglich gewesen sei, als aufgrund besonderer Umstände objektiv entschuldbar anzusehen ist. Die Frage der objektiven Entschuldbarkeit der Fristversäumung ist von zentraler Bedeutung für die Beurteilung des gegenständlichen Falles, sodass der entscheidungsrelevante Sachverhalt noch nicht feststeht. Es kann nämlich erst nach Durchführung entsprechender Ermittlungen zu den Ursachen bzw Umständen der verspäteten Antragstellung und entsprechender Feststellungen zu einer möglicherweise anzunehmenden objektiven Entschuldbarkeit der Verspätung eine abschließende Beurteilung erfolgen, ob die Erfordernisse gem. § 60 Abs 2 Z 1 bis 3 AsylG 2005 erfüllt werden müssen.
Das Bundesverwaltungsgericht weist noch auf die Spezifika und die verfahrensrechtlichen Einschränkungen (siehe § 11a FPG) der gegenständlichen Beschwerdeverfahren hin, weshalb die Durchführung der notwendigen Ermittlungen zur Familienangehörigeneigenschaft der Beschwerdeführerinnen nicht im Interesse der Effizienz, Raschheit und Kostenersparnis durch dieses selbst durchgeführt werden können.
Gemäß § 11a Abs. 2 FPG war dieser Beschluss ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu treffen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Denn das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen wiedergegeben.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde SachverhaltsfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W212.2188025.1.00Im RIS seit
08.10.2020Zuletzt aktualisiert am
08.10.2020