Entscheidungsdatum
03.06.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W260 2179362-1/22E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Markus BELFIN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, vom 15.11.2017, Zl. 1105272704-160240621, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. XXXX (im Folgenden "Beschwerdeführer") stellte am 15.02.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Am selben Tag wurde er vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer an, da, wo sie lebten, "seien in der Nähe sehr viele Taliban". Er sei von einem Taliban bedroht und aufgefordert worden, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Sie hätten dort nicht in Ruhe leben können, sie hätten nicht die Möglichkeit gehabt, in die Schule zu gehen und seine finanzielle Situation sei nicht gut.
2. Die Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden "belangte Behörde") fand am 02.11.2017 statt.
Dabei gab der Beschwerdeführer zu seinen persönlichen Umständen befragt an, dass er aus dem Distrikt Pol-e-Khomri in der Provinz Baghlan stamme und zwölf Jahre lang die Schule besucht habe. Drei Jahre lange habe er als Automechaniker gearbeitet. Er sei Tadschike und sunnitischer Muslim. In Afghanistan würden noch seine Mutter, zwei Schwestern und ein Bruder leben.
Zu seinen Fluchtgründen befragt führte der Beschwerdeführer zusammengefasst aus, in seinem Heimatdorf hätten die Taliban Jungen, sobald diese etwa 18 Jahre alt waren, für sich rekrutiert, oder ansonsten von deren Familien Geld verlangt. Das Leben sei für alle wegen der Taliban schwierig gewesen. Es habe regelmäßig Auseinandersetzungen zwischen dem Staat und den Taliban mit vielen Toten gegeben. Die Entscheidung zur Flucht habe er gefasst, als auch ein Nachbar von ihm bei den Kämpfen getötet worden sei. Überdies sei einer seiner Brüder bei einem Streit auf einem Fußballplatz mit einem Messer verletzt worden. Der Täter sei festgenommen, aber nach einigen Monaten wieder entlassen worden und verfolge nun den Beschwerdeführer und seine Familie, weil sie ihn angezeigt hätten. Dieser Mann habe ihn dreimal telefonisch bedroht.
3. Mit beschwerdegegenständlichem Bescheid vom 15.11.2017 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab. Es wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).
Begründend führte die belangte Behörde aus, es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan einer konkreten Gefährdung oder Bedrohung ausgesetzt sei. Seinen Fluchtgrund, wonach er von einem Feind seines Bruders verfolgt werde, habe er nicht glaubhaft machen können. Es drohe dem Beschwerdeführer auch keine Gefahr, die die Erteilung subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Aufgrund der Sicherheitslage könne er zwar nicht in seine Heimatprovinz Baghlan zurückkehren, eine Ansiedelung in Kabul sei aber möglich und zumutbar. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, welches einer Rückkehrentscheidung entgegenstehen würde.
4. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde. Er brachte im Wesentlichen vor, dass auch in Kabul die Sicherheitslage angespannt sei. Er habe dort keine familiären Anknüpfungspunkte und würde in eine massive existenzielle Notlage geraten. Eine innerstaatliche Fluchtalternative sei in der Situation des Beschwerdeführers keinesfalls zumutbar.
5. Mit Schreiben vom 04.06.2018 legte die bisherige bevollmächtigte Vertretung des Beschwerdeführers ihre Vollmacht nieder.
6. Mit Schreiben vom 08.06.2018 gab der im weiteren Verfahren bevollmächtigte Vertreter des Beschwerdeführers dem Bundesverwaltungsgericht das Vollmachtsverhältnis bekannt.
7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 22.06.2018 eine mündliche Verhandlung durch, die belangte Behörde blieb der mündlichen Beschwerdeverhandlung entschuldigt fern; das Verhandlungsprotokoll wurde der belangten Behörde übermittelt.
8. Der Beschwerdeführer erstattete namens seines bevollmächtigten Vertreters am 19.07.2018 eine Stellungnahme, in der er im Wesentlichen vorbrachte, die Länderberichte seien nicht geeignet, die individuellen Fluchtgründe des Beschwerdeführers in irgendeiner Weise zu entkräften. Das Bedrohungsszenario beschränke sich nicht auf dessen Heimatprovinz, sondern auf das gesamte Staatsgebiet Afghanistans. Der Beschwerdeführer hätte auch in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e-Sharif keine Überlebensmöglichkeit. Die Sicherheitsproblematik werde noch dadurch erhöht, dass er der Ethnie der Hazara angehöre und als "westernized person" gelte.
9. Mit Schreiben vom 18.12.2019 übermittelte die belangte Behörde eine ihr vorgelegte Kursbesuchsbestätigung.
10. Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte mit Schreiben vom 15.05.2020 im Rahmen des Parteiengehörs an die Verfahrensparteien aktuelle Länderberichte zu Afghanistan mit der Möglichkeit zur Stellungnahme, Übermittlung sonstiger relevanter Informationen, oder der Erstattung von Anträgen.
11. Mit Schreiben vom 25.05.2020 übermittelte die im Verfahren nicht bevollmächtigte Volkshilfe Oberösterreich einen vom Beschwerdeführer verfassten Brief sowie Integrationsunterlagen.
12. Mit Schreiben vom 27.05.2020 teilte der bevollmächtigte Vertreter des Beschwerdeführers die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses mit.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX .
Er ist afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und sunnitischer Muslim. Seine Muttersprache ist Dari.
Der Beschwerdeführer wurde im Dorf XXXX , Distrikt Pol-e-Khomri, Provinz Baghlan geboren und wuchs dort im Familienverband auf. Er lebte, abgesehen von sechs Monaten, die er in Kabul verbrachte, bis zu seiner Ausreise in seinem Heimatdorf. Der Beschwerdeführer besuchte zwölf Jahre lang die Schule und schloss diese ab. Danach arbeitete er drei Jahre lang als Automechaniker und sechs Monate in einer Stahlfabrik.
In Afghanistan leben keine dem Beschwerdeführer bekannten Familienangehörigen mehr. Die Mutter, vier Brüder und zwei Schwestern des Beschwerdeführers leben im Iran. Ein Bruder lebt in der Schweiz, eine Schwester in der Türkei und eine Schwester in Frankreich.
Der Beschwerdeführer ist gesund. Er ist ledig und hat keine Kinder.
Der Beschwerdeführer ist Zivilist.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
1.2.1. Weder der Beschwerdeführer noch seine Familie wurden in Afghanistan jemals von einem persönlichen Feind namens XXXX bedroht oder verfolgt.
Der Beschwerdeführer wurde weder direkt von den Taliban noch über seine Familie aufgefordert mit den Taliban zusammenzuarbeiten oder diese zu unterstützen. Der Beschwerdeführer wurde von den Taliban weder angesprochen noch angeworben. Er hatte in Afghanistan keinen Kontakt zu den Taliban.
Der Beschwerdeführer hat Afghanistan weder aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlassen.
1.2.2. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohen dem Beschwerdeführer individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban oder durch andere Personen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan droht dem Beschwerdeführer auch keine Zwangsrekrutierung durch die Taliban oder durch andere Personen.
Der Beschwerdeführer ist bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seines in Österreich ausgeübten Lebensstils oder seinem Aufenthalt in einem europäischen Land weder psychischer noch physischer Gewalt ausgesetzt.
1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:
Dem Beschwerdeführer könnte bei einer Rückkehr in die Provinz Baghlan aufgrund der dort herrschenden allgemeinen schlechten Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.
Dem Beschwerdeführer steht als innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative eine Rückkehr in der Stadt Mazar-e Sharif zur Verfügung, wo es ihm möglich ist, ohne Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können bzw. in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten, zu leben. Dem Beschwerdeführer würde bei seiner Rückkehr in diese Stadt kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.
Der Beschwerdeführer ist jung, gesund und arbeitsfähig. Er hat in Afghanistan zwölf Jahre die Schule besucht und diese abgeschlossen. Er hat drei Jahre lang als Automechaniker gearbeitet. Er ist mobil und anpassungsfähig. Seine Ausbildung und Berufserfahrung werden ihm auch in Mazar-e-Sharif zugutekommen.
Seine Existenz kann er in Mazar-e Sharif - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er ist auch in der Lage, eine einfache Unterkunft zu finden.
Der Beschwerdeführer hat auch die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen, sodass er im Falle der Rückkehr - neben den eigenen Ressourcen - auf eine zusätzliche Unterstützung zur Existenzsicherung greifen kann. Diese Rückkehrhilfe umfasst jedenfalls auch die notwendigen Kosten der Rückreise.
Die Stadt Mazar-e Sharif ist von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug zu erreichen.
1.4. Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:
Der Beschwerdeführer befindet sich seit seiner Antragstellung im Februar 2016 auf Grund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet.
Er bezieht seit seiner Einreise Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung. Der Beschwerdeführer war in Österreich bislang nicht erwerbstätig und ist nicht selbsterhaltungsfähig.
Der Beschwerdeführer besuchte diverse Deutschkurse und verfügt über grundlegende Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2. Er besuchte Integrationskurse.
Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über keine Familienangehörigen. Der Beschwerdeführer hat österreichische Bekannte und Freunde, aber keine intensiven sozialen Bindungen.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.5. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat
Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:
- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019 (LIB),
- UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR)
- EASO Country Guidance: Afghanistan vom Juni 2019 (EASO)
1.5.1. Allgemeine Sicherheitslage
Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 2).
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB, Kapitel 3). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B).
Für die Sicherheit in Afghanistan sind verschiedene Organisationseinheiten der afghanischen Regierungsbehörden verantwortlich. Die Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die Afghan National Police (ANP) und die Afghan Local Police (ALP). Die Afghan National Army (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Die ALP wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB, Kapitel 5).
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus (LIB, Kapitel 3).
1.5.2. Allgemeine Wirtschaftslage
Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant. Lebensgrundlage für rund 80 % der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 21).
Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB, Kapitel 21).
In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5 % der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind. Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20 %), während sie im Winter 32,5 % erreichen kann (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
In Afghanistan gibt es neben der Zentralbank auch mehrere kommerzielle Banken. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Geld kann auch über das Hawala-System (Form des Geldtausches) transferiert werden. Dieses System funktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich und wird von verschiedenen Bevölkerungsschichten verwendet (LIB, Kapitel 21).
Im Zeitraum von 2016 bis 2017 waren 44,6 % der afghanischen Bevölkerung sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72 %, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86 % der städtischen Häuser in Afghanistan können (gemäß der Definition von UN-Habitat) als Slums eingestuft werden. Der Zugang zu angemessenem Wohnraum stellt für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung dar (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bietet die Städte die Möglichkeit von "Teehäusern", die mit 30 Afghani (das sind ca. ? 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. ? 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. "Teehäuser" werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
1.5.3. Medizinische Versorgung
Das afghanische Gesundheitsministerium gab an, dass 60 % der Menschen im April 2018 Zugang zu Gesundheitsdiensten hatten, wobei der Zugang als eine Stunde Fußweg zur nächsten Klinik definiert wurde. Trotz der Tatsache, dass die Gesundheitsversorgung laut afghanischer Verfassung kostenlos sein sollte, müssen die Menschen in vielen öffentlichen Einrichtungen für Medikamente, Arzthonorare, Labortests und stationäre Versorgung bezahlen. Hohe Behandlungskosten sind der Hauptgrund, weswegen die Behandlung vermieden wird (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).
90 % der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB, Kapitel 22).
Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände - die oft durch den Krieg hervorgerufen wurden - sind in Afghanistan weit verbreitet, es gibt aber nur geringe Kapazitäten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Spezifische Medikamente sind grundsätzlich verfügbar (LIB, Kapitel 22.1).
1.5.4. Ethnische Minderheiten
In Afghanistan sind ca. 40 - 42 % Paschtunen, rund 27 - 30 % Tadschiken, ca. 9 - 10 % Hazara und 9 % Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB, Kapitel 17).
Tadschiken
Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan, sie macht etwa 27-30% der afghanischen Gesellschaft aus und hat deutlichen politischen Einfluss im Land. In der Hauptstadt Kabul ist sie knapp in der Mehrheit. Tadschiken sind in zahlreichen politischen Organisationen und Parteien vertreten, sie sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der ANA und der ANP repräsentiert (LIB, Kapitel 17.2) Tadschiken sind allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit in Afghanistan weder psychischen noch physischen Bedrohungen ausgesetzt.
1.5.5. Regierungsfeindliche Gruppierungen
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB, Kapitel 2).
Taliban:
Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB, Kapitel 2).
Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer, davon rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten und der Rest ist Teil der lokalen Milizen. Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB, Kapitel 2).
Zwischen 01.12.2018 und 31.05.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel - die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB, Kapitel 2).
1.5.5.1. Rekrutierung durch die Taliban:
Menschen schließen sich den Taliban zum einen aus materiellen und wirtschaftlichen Gründen, zum anderen aus kulturellen und religiösen Gründen an. Die Rekruten sind durch Armut, fehlende Chancen und die Tatsache, dass die Taliban relativ gute Löhne bieten, motiviert. Es spielt auch die Vorstellung, dass die Behörden und die internationale Gemeinschaft den Islam und die traditionellen Standards nicht respektieren würden, eine zentrale Rolle, wobei sich die Motive überschneiden. Bei Elitetruppen sind beide Parameter stark ausgeprägt. Sympathisanten der Taliban sind Einzelpersonen und Gruppen, vielfach junge Männer, deren Motiv der Wunsch nach Rache, Heldentum gepaart mit religiösen und wirtschaftlichen Gründen sind (Landinfo 2, Kapitel 4.1). Die Billigung der Taliban in der Bevölkerung ist nicht durch religiöse Radikalisierung bedingt, sondern Ausdruck der Unzufriedenheit über Korruption und Misswirtschaft (Landinfo 2, Kapitel 4.1.1).
Die Taliban sind aktiver als bisher bemüht, Personen mit militärischem Hintergrund sowie mit militärischen Fertigkeiten zu rekrutieren. Die Taliban versuchen daher, das Personal der afghanischen Sicherheitskräfte auf ihre Seite zu ziehen. Da ein Schwerpunkt auf militärisches Wissen und Erfahrungen gelegt wird, ist mit einem Anstieg des Durchschnittsalters zu rechnen (Landinfo 2, Kapitel 3). Durch das Anwerben von Personen mit militärischem Hintergrund bzw. von Mitgliedern der Sicherheitskräfte erhalten Taliban Waffen, Uniformen und Wissen über die Sicherheitskräfte. Auch Personen, die über Know-How und Qualifikationen verfügen (z. B. Reparatur von Waffen), können von Interesse für die Taliban sein (Landinfo 2, Kapitel 5.1).
Die Mehrheit der Taliban sind Paschtunen. Die Rekrutierung aus anderen ethnischen Gruppen ist weniger üblich. Um eine breitere Außenwirkung zu bekommen, möchte die Talibanführung eine stärkere multiethnische Bewegung entwickeln. Die Zahl der mobilisierten Hazara ist unerheblich, nur wenige Kommandanten der Hazara sind mit Taliban verbündet. Es ist für die Taliban wichtig, sich auf die Rekruten verlassen zu können (Landinfo 2, Kapitel 3.3).
Die Taliban waren mit ihrer Expansion noch nicht genötigt, Zwangsmaßnahmen zur Rekrutierung anzuwenden. Zwangsrekrutierung ist noch kein herausragendes Merkmal für den Konflikt. Die Taliban bedienen sich nur sehr vereinzelt der Zwangsrekrutierung, indem sie männliche Dorfbewohner in von ihnen kontrollierten Gebieten, die mit der Sache nicht sympathisieren, zwingen, als Lastenträger zu dienen (Landinfo 2, Kapitel 5.1). Die Taliban betreiben eine Zwangsrekrutierung nicht automatisch. Personen, die sich gegen die Rekrutierung wehren, werden keine rechtsverletzenden Sanktionen angedroht. Eine auf Zwang beruhende Mobilisierungspraxis steht auch den im Pashtunwali (Rechts- und Ehrenkodex der Paschtunen) enthaltenen fundamentalen Werten von Familie, Freiheit und Gleichheit entgegen. Es kommt nur in Ausnahmefällen und nur in sehr beschränktem Ausmaß zu unmittelbaren Zwangsrekrutierungen durch die Taliban. Die Taliban haben ausreichend Zugriff auf freiwillige Rekruten. Zudem ist es schwierig, einen Afghanen zu zwingen, gegen seinen Willen gegen jemanden oder etwas zu kämpfen (Landinfo 2, Kapitel 5.1).
Im Kontext Afghanistans verläuft die Grenze zwischen Jungen und Mann fließend. Ausschlaggebend für diese Beurteilung sind Faktoren wie Pubertät, Bartwuchs, Mut, Unabhängigkeit, Stärke und die Fähigkeit, die erweiterte Familie zu repräsentieren. Der Familienälteste ist das Oberhaupt, absolute Loyalität gegenüber getroffenen Entscheidungen wird vorausgesetzt. Kinder unterstehen der Obrigkeit der erweiterten Familie. Es stünde im Widerspruch mit der afghanischen Kultur, würde man Kinder gegen den Wunsch der Familie und ohne entsprechende Entscheidung des Familienverbandes aus dem Familienverband "herauslösen" (Landinfo 2, Kapitel 6).
1.5.6. Relevante Provinzen und Städte
1.5.6.1. Herkunftsprovinz Baghlan
Baghlan liegt im Nordosten Afghanistans. Eine knappe Mehrheit der Einwohner von Baghlan sind Tadschiken, gefolgt von Paschtunen und Hazara als zweit- bzw. drittgrößte ethnische Gruppen. Außerdem leben ethnische Usbeken und Tataren in Baghlan. Die Provinz hat 995.814 Einwohner (LIB, Kapitel 3.4).
Baghlan gehört zu den relativ volatilen Provinzen Afghanistans. Aufständische der Taliban sind in gewissen unruhigen Distrikten aktiv, in denen sie oftmals terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitsinstitutionen durchführen. Im Jahr 2018 gab es 261 zivile Opfer (68 Tote und 193 Verletzte) in Baghlan. Dies entspricht einer Steigerung von 17% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDs) und gezielten Tötungen (LIB Kapitel 3.4).
In der Provinz Baghlan kommt es zu willkürlicher Gewalt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich ist, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).
1.5.6.2. Provinz Balkh bzw. Mazar-e Sharif
Mazar-e Sharif ist die Provinzhauptstadt von Balkh, einer ethnisch vielfältigen Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Sie hat 469.247 Einwohner und steht unter Kontrolle der afghanischen Regierung (LIB, Kapitel 3.5).
Bei der Provinz Balkh handelt es sich um eine jener Provinzen, in denen es zu willkürlicher Gewalt kommt, jedoch nicht auf hohem Niveau, und dementsprechend ist ein höheres Maß an Einzelelementen erforderlich ist, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO).
Die Stadt Mazar-e Sharif wird von EASO als eine jener Regionen eingestuft, in welcher willkürliche Gewalt auf einem so niedrigen Niveau stattfindet, dass im Allgemeinen kein reales Risiko besteht, dass ein Zivilist aufgrund willkürlicher Gewalt im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen wird (EASO).
Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) legal zu erreichen (LIB, Kapitel 21). Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz, ein regionales Handelszentrum sowie ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen (LIB, Kapitel 21). Mazar-e Sharif gilt im Vergleich zu Herat oder Kabul als wirtschaftlich relativ stabiler. Die größte Gruppe von Arbeitern in der Stadt Mazar-e Sharif sind im Dienstleistungsbereich und als Verkäufer tätig (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Die Unterkunftssituation stellt sich in Mazar-e Sharif, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Mazar-e Sharif besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten. (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Die meisten Menschen in Mazar-e Sharif haben Zugang zu erschlossener Wasserversorgung (76%), welche in der Regel in Rohrleitungen oder aus Brunnen erfolgt. 92% der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Während Mazar-e Sharif im Zeitraum Juni 2019 bis September 2019 noch als IPC Stufe 1 "minimal" (IPC - Integrated Phase Classification) klassifiziert wurde, ist Mazar-e Sharif im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 in Phase 2 "stressed" eingestuft. In Phase 1 sind die Haushalte in der Lage, den Bedarf an lebensnotwenigen Nahrungsmitteln und Nicht-Nahrungsmitteln zu decken, ohne atypische und unhaltbare Strategien für den Zugang zu Nahrung und Einkommen zu verfolgen. In Phase 2 weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentliche, nicht nahrungsbezogene Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ECOI, Kapitel 3.1).
In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es 10 - 15 - teils öffentliche, teils private - Krankenhäuser. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer, jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken die zu 80% öffentlich finanziert sind (LIB, Kapitel 22).
1.5.7. Situation für Rückkehrer/innen
In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 kehrten insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurück. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (LIB, Kapitel 23).
Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB, Kapitel 23).
Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB, Kapitel 23).
Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB, Kapitel 23).
Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch (LIB, Kapitel 23).
Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB, Kapitel 23).
Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Rückkehrer erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Es befinden sich viele Rückkehrer in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB, Kapitel 23).
Die "Reception Assistance" umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (LIB, Kapitel 23).
Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB, Kapitel 23).
1.5.8. COVID-19-Pandemie
COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In Österreich gibt es mit Stand 02.06.2020 16.672 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen und 669 Todesfälle; in Afghanistan wurden zu diesem Zeitpunkt 16.492 Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei 270 diesbezügliche Todesfälle bestätigt wurden.
Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80 % der Betroffenen leicht und bei ca. 15 % der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5 % der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.
Laut dem aktuellen Länderbericht vom 18.5.2020 gilt die bspw. Stadt Herat aufgrund der Nähe zum Iran als der COVID-19-Hotspot Afghanistans (DW 22.4.2020; vgl. NYT 22.4.2020); dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert (TN 7.4.2020b; vgl. DW 22.4.2020). Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Dem Länderbericht vom 18.5.2020 zufolge können nach offiziellen Schätzungen in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (NYT 22.4.2020).
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor der belangten Behörde, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht.
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache, seinem Lebenslauf, seinem Aufwachsen sowie seiner familiären Situation in Afghanistan, seiner Schulbildung und seiner Berufserfahrung gründen sich auf seinen diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand gründen auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers in Einvernahme vor der belangten Behörde und in der mündlichen Verhandlung und auf dem Umstand, dass im Verfahren nichts Gegenteiliges hervorgekommen ist.
2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:
2.2.1. Dass das Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend seine Bedrohung durch einen Mann namens XXXX nicht glaubhaft war, ergibt sich aus einer Gesamtschau der im Folgenden dargelegten beweiswürdigenden Erwägungen:
Grundlegend ist zu sagen, dass das diesbezügliche Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers, wie er es insbesondere in der Einvernahme vor der belangten Behörde und der mündlichen Verhandlung des Bundesverwaltungsgerichtes vorbrachte, eine Reihe an klaren Widersprüchen und Ungereimtheiten aufweist, die der Beschwerdeführer auch nicht schlüssig erklären konnte. Der Beschwerdeführer brachte seine Angaben nur zögerlich und "Stück für Stück" vor. Er steigerte sein Vorbringen im Laufe des Asylverfahrens überdies deutlich.
2.2.2. In seiner polizeilichen Erstbefragung erwähnte der Beschwerdeführer keinerlei Drohungen durch einen Mann namens XXXX . Vielmehr brachte er zu seinen Fluchtgründen vor, da, wo sie lebten, seien in der Nähe sehr viele Taliban. Er sei von einem Taliban bedroht und aufgefordert worden, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Sie hätten dort nicht in Ruhe leben können, sie hätten nicht die Möglichkeit gehabt, in die Schule zu gehen und seine finanzielle Situation sei nicht gut (vgl. AS 75).
In seiner Einvernahme vor der belangten Behörde brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, einer seiner Brüder sei bei einem Streit auf einem Fußballplatz von einem Mann namens " XXXX " mit einem Messer gestochen worden. Sein Bruder sei zwei Wochen im Krankenhaus gewesen. "Sie" hätten den Vorfall bei der Polizei angezeigt und der Mann sei für vier oder fünf Monate festgenommen worden. Aufgrund der Anzeige seien sie dann verfolgt worden. Die Anzeige hätten der Beschwerdeführer und sein Onkel erstattet. Der Mann habe den Beschwerdeführer, nachdem er aus dem Gefängnis entlassen worden war, dreimal telefonisch bedroht. Er habe ihm gesagt, dass auch der Staat nichts gegen ihn machen könne und sie nicht vor "ihnen" fliehen könnten. Beim dritten Anruf habe der Mann dem Beschwerdeführer gesagt, dass, wenn er ihn erwische, es ihm noch schlimmer ergehen werde als seinem Bruder. Der Mann sei Teil einer Gruppe, die immer "anderen wehgetan und gestohlen habe" (vgl. AS 129-131).
In der mündlichen Verhandlung brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, sein jüngerer Bruder XXXX sei bei einer Auseinandersetzung auf einem Fußballplatz von einem Mann namens XXXX mit einem Messer verletzt worden und 14 Tage im Spital gewesen. Dies sei vor 300 oder 400 Zusehern passiert. Der Beschwerdeführer habe den Mann zusammen mit seinem Onkel angezeigt. XXXX sei festgenommen worden und fünf bis sechs Monate im Gefängnis gewesen. Danach habe er "sie" immer wieder bedroht und den Beschwerdeführer dreimal angerufen. XXXX habe für zwei sehr einflussreiche Kommandanten der "Hezb-e Islami" gearbeitet. Es gebe noch 200 bis 300 andere Personen die für XXXX arbeiten würden. Dieser würde ihn auch in Städten wie Kabul oder Mazar-e-Sharif finden (vgl. Niederschrift vom 22.06.2018, S. 10-13, 15-20).
2.2.3. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt bei der Würdigung der Aussagen des Beschwerdeführers in der Erstbefragung nicht, dass gemäß § 19 Abs. 1 AsylG die Erstbefragung zwar "insbesondere" der Ermittlung der Identität und der Reiseroute eines Fremden dient und sich nicht auf die "näheren" Fluchtgründe zu beziehen hat. Die Beweisergebnisse der Erstbefragung dürfen nicht unreflektiert übernommen werden (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0061). Ein vollständiges Beweisverwertungsverbot normiert § 19 Abs. 1 AsylG jedoch nicht. Im Rahmen beweiswürdigender Überlegungen können Widersprüche und sonstige Ungereimtheiten in den Angaben in der Erstbefragung zu späteren Angaben - unter Abklärung und in der Begründung vorzunehmender Offenlegung, worauf diese fallbezogen zurückzuführen sind - einbezogen werden (VwGH 26.03.2019, Ra 2018/19/0607 bis 0608-12, VwGH 28.6.2018, Ra 2018/19/0271, mwN).
Das ist hier der Fall.
Denn auch unter Berücksichtigung des besonderen Zwecks der Erstbefragung und der dadurch bedingten verkürzten Darstellung der Fluchtgründe ist nicht erklärbar, weshalb der Beschwerdeführer in der Erstbefragung die später vorgebrachte Bedrohung durch einen Mann namens XXXX mit keinem Wort erwähnte, sondern lediglich auf Bedrohungen durch die Taliban und die allgemein schlechte Lage verwies (vgl. AS 75). Wäre der Beschwerdeführer tatsächlich (auch) aufgrund einer persönlichen Bedrohung durch diesen Mann geflohen, wäre zu erwarten, dass er diese zumindest ansatzweise erwähnt, wenn er wie in der Erstbefragung gefragt wird, warum er sein Land verlassen habe.
2.2.4. Daran, dass der Beschwerdeführer erstmals in der Einvernahme zusätzlich zu seinen Behauptungen betreffend die Taliban und die schlechte Sicherheitslage auch persönliche Bedrohungen durch einen Mann namens XXXX vorbrachte, ist überdies erkennbar, dass er sein Fluchtvorbringen im Laufe des Asylverfahrens gesteigert und um Elemente angereichert hat, die die Gefahr seiner Verfolgung im Herkunftsstaat naheliegender erscheinen lassen könnten.
In der mündlichen Verhandlung steigerte er sein Vorbringen dann noch einmal um die Behauptung, XXXX habe für zwei mächtige Kommandanten gearbeitet und habe 200 bis 300 Leute unter sich.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein gesteigertes Vorbringen nicht als glaubhaft anzusehen.
Vielmehr müsse grundsätzlich den ersten Angaben des Asylwerbers ein erhöhter Wahrheitsgehalt zuerkannt werden. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass Angaben, die in zeitlich geringerem Abstand zu den darin enthaltenen Ereignissen gemacht werden, der Wahrheit in der Regel am nächsten kommen (VwGH 11.11.1998, 98/01/0261, mwH).
Vor diesem Hintergrund bestehen bereits im Hinblick auf die Steigerung des Vorbringens massive Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussagen des Beschwerdeführers betreffend sein Fluchtvorbringen.
2.2.5. Weiters ist darauf beweiswürdigend hervorzuheben, dass die vorgebrachte private Bedrohung durch XXXX auch in den Schilderungen des Beschwerdeführers selbst oft nur eine sehr untergeordnete Rolle gegenüber anderen angeblichen Fluchtgründen einnahm. Dies ist aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes mit einer tatsächlich erlebten, ernstgenommen Bedrohung durch diesen Mann nur schwer in Einklang zu bringen.
So brachte der Beschwerdeführer in der Einvernahme vor der belangen Behörde, als er aufgefordert wurde, die Gründe, aus denen er sein Heimatland verlassen habe, vollständig zu schildern, zunächst die schlechte Sicherheitslage, Rekrutierungsversuche durch die Taliban und die fehlende Möglichkeit, eine Universität zu besuchen, vor (vgl. AS 127-129). Die Verletzung seines Bruders erwähnte er zwar ebenfalls, gegen ihn selbst gerichtete Drohungen jedoch vorerst überhaupt nicht. Diese brachte er erst nach mehreren weiteren ergänzenden Fragen vor (vgl. AS 129; siehe dazu noch unter Pkt. 2.2.6.).
Auch als der Beschwerdeführer schilderte, wie er letztlich zur Entscheidung gelangt sei, Afghanistan zu verlassen, stellte er eine private Bedrohung nicht als zentral dar. So sagte er, die Situation sei für ihn vor der Flucht "immer schwieriger" geworden. Auf die Frage, was er damit meine, antwortete er: "Wir waren wie viele Leute immer im Krieg und in Unsicherheit. In unserem Gebiet ist der Platz, wo der Staat [und] die Taliban immer miteinander gekämpft haben." (vgl. AS 131), ohne die privaten Drohungen zu erwähnen. Auch auf die Frage nach einem speziell fluchtauslösenden Ereignis nannte der Beschwerdeführer die Tötung eines Nachbarn in den Kämpfen sowie die Rekrutierungen durch die Taliban, nicht aber eine persönliche Bedrohung (vgl. AS 131).
2.2.6. Wesentlich ist auch, dass der Beschwerdeführer die behauptete Bedrohung durch XXXX vor der belangten Behörde nicht von sich aus und nicht in Form einer geschlossenen Erzählung vorbrachte, sondern diese "Stück für Stück" durch die Behörde erfragt werden musste. Details nannte der Beschwerdeführer stets erst auf konkrete Nachfrage. Für das Bundesverwaltungsgericht legt dies aus beweiswürdigender Sicht nahe, dass es sich um eine konstruierte und vom Beschwerdeführer laufend den vermeintlichen Erwartungen des Gegenübers angepasste Geschichte handelt. So nannte der Beschwerdeführer, wie oben bereits ausgeführt, auf die Frage nach seinen Ausreisegründen zunächst mehrere andere Aspekte, aber auch, dass sie dort Feinde gehabt hätten und diese seinen Bruder mit einem Messer gestochen hätten (vgl. AS 129). Weitere Angaben dazu machte er zunächst nicht. Auf die Frage, ob es noch andere Ausreisegründe gäbe, sagte er erneut bloß, er habe Afghanistan (unter anderem) verlassen, weil sein Bruder dort einen Feind gehabt hätte.
Mehrere weitere Nachfragen in diesem Zusammenhang nutzte der Beschwerdeführer ebenfalls nicht, um eine konkret gegen ihn gerichtete Bedrohung zu erwähnen. Erst auf die ganz konkrete Frage "Wie konkret werden Sie jetzt von diesem Mann verfolgt?" hin brachte er erstmals vor, telefonisch von diesem bedroht worden zu sein (vgl. zum Ganzen AS 129). Ähnlich zögerlich und bruchstückhaft stellte sich auch das weitere diesbezügliche Aussageverhalten des Beschwerdeführers betreffend den Inhalt und die Zeitpunkte der angeblichen Drohungen dar (vgl. AS 131).
2.2.7. Besonders schwer wiegen schließlich deutliche Widersprüche und Ungereimtheiten im Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers, auch in für die behauptete Verfolgungsgefahr zentralen Punkten, die sich im Laufe des Verfahrens nicht nachvollziehbar auflösen haben lassen.
So blieb etwa in der Darstellung des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde letztlich unklar, ob die Drohungen und die Verfolgung nur von einer einzigen Person ( XXXX ) oder von einer Gruppe Leuten ausgegangen seien.
An mehreren Stellen der Einvernahme sprach der Beschwerdeführer von den Gegnern im Plural, beispielsweise von mehreren "Feinden", die seinen Bruder verletzt hätten (vgl. AS 129), und "diesen Leuten", die seinen Onkel nicht bedrohen würden, weil sie mit den alten Leuten nichts zu tun hätten (vgl. AS 131).
Konkret berichtete er aber stets nur über von XXXX persönlich ausgehende Drohungen. In der mündlichen Verhandlung bestätigte er dann auch explizit, dass es neben den drei Drohanrufen von XXXX keine weiteren Bedrohungen gegeben habe (vgl. Niederschrift vom 22.06.2018, S. 19). Der Widerspruch blieb somit unaufgelöst. Er lässt sich auch nicht damit erklären, dass XXXX nach Darstellung des Beschwerdeführers Mitglied einer (kriminellen) Gruppierung war, da er zu keiner Zeit behauptete, von weiteren Mitgliedern dieser Gruppierung bedroht oder verfolgt worden zu sein.
Auch machte der Beschwerdeführer wechselnde Angaben dazu, ob nur er selbst, oder auch andere Mitglieder seiner Familie bedroht worden seien. In der Einvernahme vor der belangten Behörde sagte er zunächst:"Wenn man in Afghanistan mit jemanden Streit hat, dann ist das nicht zwischen zwei Personen, sondern dann zwischen zwei Familien. [...] Weil wir ihn angezeigt haben, haben sie uns alle verfolgt." (vgl. AS 129).
Später antwortete er auf die Frage, ob nur er bedroht worden sei, aber: "Eigentlich ich, weil mein Onkel verstorben ist. Auch wenn er noch gelebt hätte wäre ich bedroht worden und nicht er, weil diese Leute mit den alten Leuten nichts zu tun hatten." (vgl. AS 131). In der mündlichen Verhandlung wiederum gab er an: "Danach hat er uns immer wieder bedroht." (vgl. Niederschrift vom 22.06.2018, S. 10).
Auch diese Widersprüche vermochte der Beschwerdeführer nicht aufzulösen.
Zu jenem Vorfall, bei dem sein Bruder verletzt worden sei, gab der Beschwerdeführer in der Einvernahme an, er habe gemeinsam mit seinem Onkel den Bruder ins Krankenhaus gebracht, was einer der Gründe sei, weshalb XXXX speziell ihn verfolge (vgl. AS 131). In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sagte er hingegen, sie hätten von dem Vorfall zunächst nichts gewusst und erst eine Stunde später erfahren, dass sein Bruder ins Krankenhaus eingeliefert worden sei (vgl. Niederschrift vom 22.06.2018, S. 10).
Dieser gravierende Widerspruch würde schon für sich genommen ernsthafte Zweifel daran aufkommen lassen, ob sich der beschriebene Vorfall überhaupt ereignet hat.
Auch den zweiten Grund, aus dem XXXX angeblich besonders den Beschwerdeführer bedrohe, brachte dieser nicht plausibel vor. So gab er an, XXXX aufgrund des Vorfalls zusammen mit seinem Onkel angezeigt zu haben (vgl. AS 131; Niederschrift vom 22.06.2018, S. 10). Zugleich sagte er wiederholt aus, diese Anzeige sei in der Form erfolgt, dass sein Onkel einen Brief an die zuständige Stelle geschrieben habe. Wie genau der Beschwerdeführer aber an einer in Briefform durch seinen Onkel erstatteten Anzeige mitgewirkt haben könnte, ist für das Bundesverwaltungsgericht nicht nachvollziehbar.
2.2.8. Zusammenfassend ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers im gesamten Verfahren und den eben dargelegten beweiswürdigenden Erwägungen, insbesondere zur Steigerung des Fluchtvorbringens, zur Hervorhebung anderer Ausreisegründe, zur zögerlichen und stückhaften Schilderung und zu den diversen Widersprüchen und Ungereimtheiten, dass eine Verfolgung oder Bedrohung des Beschwerdeführers durch einen Mann namens XXXX nicht glaubhaft gemacht werden konnte und nicht maßgeblich wahrscheinlich ist.
2.2.9. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan keinen Kontakt zu den Taliban hatte und von diesen weder direkt noch über seine Familie aufgefordert wurde, mit ihnen zusammenzuarbeiten oder sie zu unterstützen, ergibt sich daraus, dass er dies selbst letztlich nicht (mehr) vorgebracht hat.
Derartiges behauptete der Beschwerdeführer zwar in seiner polizeilichen Erstbefragung (vgl. AS 75), von dieser Darstellung wich er im weiteren Verfahren jedoch ab und "konkretisierte" seine Angaben dahingehend, dass er die Rekrutierung junger Männer durch die Taliban lediglich als eine in seinem Heimatdorf übliche Praxis beschrieb (vgl. AS 127-131). Auch in der mündlichen Verhandlung, in der er diese Thematik erst auf explizite Frage seines Rechtsvertreters vorbrachte, behauptete er keinen direkten Kontakt mit den Taliban (vgl. Niederschrift vom 22.06.2018, S. 20).
2.2.10. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seines in Österreich ausgeübten Lebensstils oder seinem Aufenthalt in einem europäischen Land weder psychischer noch physischer Gewalt ausgesetzt wäre, ergibt sich daraus, dass ein von afghanischen Normen abweichender Lebensstil des Beschwerdeführers im gesamten Verfahren nicht substantiiert behauptet wurde.
Vielmehr wurde erstmals in der Stellungnahme vom 19.07.2018 vorgebracht, der Beschwerdeführer gelte als "westernized person", sohin als jemand, dem in Afghanistan unterstellt werde, in Europa einen Lebenswandel geführt zu haben, der mit islamischen Werten nicht vereinbar sei. Fälle von Gewalt gegen Personen aus diesem Grund sind aber nicht bekannt (siehe dazu noch in der rechtlichen Beurteilung).
2.2.11. Zur ebenfalls erstmals in der Stellungnahme vom 19.07.2018 vorgebrachten Behauptung, der Beschwerdeführer sei als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara zusätzlich in seiner Sicherheit gefährdet, genügt es darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer tatsächlich wie festgestellt und von ihm im gesamten Verfahren gleichlautend angegeben Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken ist.
2.2.12. Es konnte somit in keinem Punkt eine konkret gegen die Person des Beschwerdeführers gerichtete asylrelevante Verfolgung festgestellt werden, noch sind im Verfahren sonst Anhaltspunkte hervorgekommen, die eine mögliche Verfolgung des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat aus asylrelevanten Gründen bei einer Rückkehr wahrscheinlich erscheinen lassen.
2.3. Zu den Feststellungen zur Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:
2.3.1. Die Feststellungen zur Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan ergeben sich aus den o. a. Länderfeststellungen unter Berücksichtigung des vom Beschwerdeführer in seiner Beschwerde und seinen Stellungnahmen diesbezüglich angeführten Länderberichtsmaterials in Zusammenschau mit den vom Beschwerdeführer glaubhaft dargelegten persönlichen Umständen.
Im Einklang mit den Stellungnahmen gelangt das Bundesverwaltungsgericht unter Berücksichtigung der aktuellen Länderinformationen, wonach die Provinz Baghlan zu den volatilen Provinzen Nordafghanistans zählt, zum Ergebnis, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in diese Provinz ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen könnte.
Die Feststellungen zur Rückkehrhilfe ergeben sich aus den Länderberichten.
Die Feststellung zur Anpassungsfähigkeit und Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers ergibt sich daraus, dass er jung und gesund ist und auch schon in Afghanistan einer Arbeit nachging. Es sind im Verfahren keine Umstände hervorgekommen, die gegen eine grundsätzliche Anpassungsfähigkeit oder gegen eine Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers sprechen.
2.3.2. Die Feststellungen zu den Folgen einer Ansiedlung des Beschwerdeführers in der Stadt Mazar-e Sharif, ergeben sich - unter Berücksichtigung der von UNHCR und EASO aufgestellten Kriterien für das Bestehen einer internen Schutzalternative für Afghanistan - aus den oben angeführten Länderberichten und aus den Angaben des Beschwerdeführers.
Die Feststellung zur Prognose, dass sich der Beschwerdeführer in der Stadt Mazar-e Sharif eine Existenz aufbauen kann, ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Aus den Länderinformationen ergibt sich, dass die Stadt Mazar-e Sharif als relativ sicher gilt und unter der Kontrolle der Regierung steht. Diese ist auch sicher erreichbar. Die Versorgung der Bevölkerung ist in dieser Stadt grundlegend gesichert.
Der Beschwerdeführer ist mit der afghanischen Kultur und den afghanischen Gepflogenheiten sozialisiert. Er kann sich daher in der Stadt Mazar-e Sharif zurechtfinden. Der Beschwerdeführer hat zwölf Jahre eine Schule besucht und diese abgeschlossen sowie drei Jahre als Automechaniker gearbeitet. Der Beschwerdeführer ist zudem im erwerbsfähigen Alter, volljährig, alleinstehend, anpassungsfähig und arbeitsfähig. Der Beschwerdeführer hat keine Sorgepflichten. Er kann auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.
Die diesbezüglichen Feststellungen decken sich auch mit den diesem Verfahren zugrundeliegenden UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018, wonach UNHCR der Auffassung ist, dass eine vorgeschlagene interne Schutzalternative nur dann zumutbar ist, wenn die Person Zugang zu (i) Unterkunft, (ii) grundlegender Versorgung wie sanitäre Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung und (iii) Lebensgrundlagen hat oder über erwiesene und nachhaltige Unterstützung verfügt, die einen angemessenen Lebensstandard ermöglicht. UNHCR ist zwar der Auffassung, dass eine interne Schutzalternat