Entscheidungsdatum
03.06.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W131 2162294-1/25E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Reinhard GRASBÖCK über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsbürger der Islamischen Republik Afghanistan, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.05.2017, Zahl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
II. Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet stellte der Beschwerdeführer am 08.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen der Erstbefragung am folgenden Tag gab er an, wegen dem Bürgerkrieg geflohen zu sein, weiters sei sein Vater getötet worden, weshalb auch er Angst habe, getötet zu werden.
2. Im Rahmen einer durch die belangte Behörde durchgeführten Einvernahme machte der Beschwerdeführer im Wesentlichen folgende Angaben: Sein Vater und sein Bruder seien – nachdem sie mehrere Drohbriefe erhalten hätten – zuhause überfallen worden, wobei beide ums Leben gekommen seien. Der Beschwerdeführer vermute, dass die Taliban hinter dem Anschlag stecken würden, da der Beschwerdeführer und sein Vater mit der XXXX zusammengearbeitet hätten und man ihnen nun eine dementsprechende pro-westliche Einstellung unterstelle. Weiters brachte er vor, dass er nicht an den Islam und die Schiiten glauben würde, er sei Atheist und habe sich entschieden, ohne Religion zu leben.
3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf Internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab. Weiters sprach sie aus, dass dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt werde, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Zuletzt stellte die belangte Behörde fest, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).
4. Dagegen richtet sich die binnen offener Frist erhobene Bescheidbeschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan wegen der Zugehörigkeit zur ethnischen Gruppe der Hazara, zur sozialen und religiösen Gruppe der Atheisten und zur politischen Gruppe, die sich weigert, für die Taliban zu kämpfen, verfolgt würde.
5. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.
6. Das Bundesverwaltungsgericht führte nach einem vorangehenden Verhandlungstermin, bei dem es Probleme zwischen dem damaligen Dolmetscher und dem Bf gegeben hatte, am 13.01.2020 eine fortgesetzte öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der neben einer Dari-Dolmetscherin der Beschwerdeführer und seine Rechtsvertretung teilnahmen. Dabei wurde der Beschwerdeführer zu seiner Identität und Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen, zu seinem Gesundheitszustand, seinen Familienangehörigen, seinen Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen sowie zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich ausführlich befragt.
Zum Thema seiner Religion führte der Beschwerdeführer aus, dass er an keine Religion glaube, weil Religion für ihn nur ein Mittel zum Zweck sei. Menschen würden vielerlei anstellen und es dann mit der Religion rechtfertigen. Der Beschwerdeführer führte weiter aus, dass er viel mitgemacht habe, um sich von der Religion abzuwenden. Er wolle frei sein und liebe seine Freiheit. Als Kind sei er nicht in den Islam- bzw. Koranunterricht geschickt worden. Auch im Iran habe er keine Moschee besucht, das war ihm als Afghanen im Iran gar nicht erlaubt. Am Islam würden ihn viele Punkte stören, beispielsweise dass Frauen und Kinder keine Rechte hätten, dass keine Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern herrsche, was eine Diskriminierung darstelle. Außerdem werde im Islam immer wieder betont, dass Angehörige anderer Religionen getötet werden müssten. Aufgrund seiner eigenen Internetrecherche bringt der Beschwerdeführer vor, dass Mädchen und Burschen bestraft würden, wenn sie miteinander unterwegs seien. Einem Dieb solle die Hand abgeschnitten werden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer hat den im Spruch genannten Namen und das Geburtsdatum. Er ist afghanischer Staatsangehöriger, seine Muttersprache ist Dari. Er ist in Österreich strafrechtlich unbescholten. Er gehört der Volksgruppe der Hazara an und ist glaubhaft Atheist.
1.2. Zur Situation im Herkunftsstaat
Soweit gegenständlich interressierend, lautet das zum Verhandlungszeitpunkt aktuelle LIB der Staatendokumentation des BFA zur Islamischen Republik Afghanistan vom 13.11.2019, ohne dass insoweit bislang rechtserhebliche Änderungen bekannt geworden wären, auf den Seiten 277, 285 und 286 wie folgt:
... Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 21.6.2019; vgl. FH 4.2.2019, MPI 2004). Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist. ...
16.5.Apostasie, Blasphemie, Konversion
Glaubensfreiheit, die auch eine freie Religionswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan de facto nur eingeschränkt. Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht (AA 2.9.2019).
Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zu den Personalien, der Muttersprache und der Volksgruppe des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen diesbezüglich unbedenklichen Angaben.
Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus eingeholten Strafregisterauszügen.
Die Feststellungen zur jegliches religiöse Bekenntnis ablehnenden Geisteshaltung des Beschwerdeführers (Atheismus) ergeben sich aus folgenden Überlegungen: Erstmals in der Befragung durch die belangte Behörde brachte der Beschwerdeführer vor, Atheist zu sein und für sich entschieden zu haben, ohne religiöses Bekenntnis leben zu wollen. Die von der belangten Behörde vorgebrachten Einwände, dass er sich diesbezüglich nicht bereits in der Erstbefragung geäußert habe, sind unbeachtlich, ergibt sich doch klar aus der Art der Einlassung des Beschwerdeführers, dass ihm nicht bewusst gewesen ist, dass es sich beim Atheismus um einen Asylgrund handelt, zumal die Erstbefragung nach der Rsp des VfGh nicht zur umfassenden Darlegung der Asylgründe dient, siehe dazu VfGH U1919/2013 ua. Insbesondere im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer ausführlich zu den Beweggründen, frei von Religion leben zu wollen, befragt. Er konnte dabei nicht nur seine aus einer geringen Überzeugungskraft des in Afghanistan bzw dem Iran praktizierten Islam herrührende Überzeugung, nicht Muslim sein zu wollen, darlegen, sondern führte er auch aus, dass aus seiner Sicht Religion nur Mittel zum Zweck ist. In der mündlichen Verhandlung konnte er eine Bestätigung des XXXX , dass er nicht des Islamischen Glaubensgemeinschaft angehört, beibringen. Von eminenter Bedeutung für die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers ist jedoch die Bestätigung des Pfarramtes XXXX in XXXX , wonach der Beschwerdeführer im August 2018 in das Katechumenat aufgenommen wurde. Zu diesem Schreiben führte der Beschwerdeführer an, dass er sich damals für den katholischen Glauben interessiert habe, jedoch weiterhin Atheist sei. Aus Sicht des Gerichts ist somit erwiesen, dass der Beschwerdeführer nicht nur den im Iran bzw. in Afghanistan gelebten Islam, sondern – wie er stets vorgebracht hat – auch das in Österreich gelebte Christentum ablehnt, welches er hier kennen gelernt hat. Insgesamt sind nach der mündlichen Verhandlung keine Zweifel an der inneren Überzeugung des Beschwerdeführers, keiner Religion angehören zu wollen, hervorgekommen und war somit festzustellen, dass der Beschwerdeführer Atheist ist.
2.3. Zur Verfolgungsgefahr im gesamten Herkunftsstaat
Angesichts der Seriosität der Quelle und der Plausibilität des LIB vom 13.11.2019 besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur hier interessierenden Situation in Afghanistan zugrunde gelegt werden konnten. Sie erweisen sich für das Vorbringen des Beschwerdeführers auch als hinreichend aktuell und hat sich die Situation seither aufgrund des Amtswissens die Lage im Heimatland nicht maßgeblich geändert, sodass das zitierte LIB, das dem Bf durch die Ladung und der belangten Behörde durch ihre Organsiation bekannt ist, den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zugrunde gelegt werden konnte. Der zitierte Länderbericht enthält eine Vielzahl von Berichten, legt damit ein ausgewogenes Bild betreffend die Situation in Afghanistan dar und bezieht sich zudem auch auf die persönlichen Umstände des Beschwerdeführers.
Zu A) Abweisung der Beschwerde
3. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides
Asyl
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 i.V.m. Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung droht.
Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen (VwGH 31.07.2018, Ra 2018/20/0182). Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119; VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011).
Für eine „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, 95/01/0454; VwGH 09.04.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse, sondern erfordert eine Prognose (VwGH 16.02.2000, 99/01/0397). Verfolgungshandlungen die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (VwGH 09.03.1999, 98/01/0318).
Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 15.03.2001, 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.06.1994, 94/19/0183). Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Erlassung der Entscheidung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
Einer von Privatpersonen und privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (VwGH 21.04.2011, 2011/01/0100). Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119; 28.10.2009, 2006/01/0793, mwN). Die Richtlinie (EU) 2011/95 (Statusrichtlinie) sieht einerseits vor, dass die staatliche Schutzfähigkeit zwar generell bei Einrichtung eines entsprechenden staatlichen Sicherheitssystems gewährleistet ist, verlangt aber anderseits eine Prüfung im Einzelfall, ob der Asylwerber unter Berücksichtigung seiner besonderen Umstände in der Lage ist, an diesem staatlichen Schutz wirksam teilzuhaben (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119).
Abgesehen davon, dass einer derartigen, nicht vom Staat sondern von Privatpersonen ausgehenden Bedrohung nur dann Asylrelevanz zuzubilligen wäre, wenn solche Übergriffe von staatlichen Stellen geduldet würden (VwGH 10.03.1993, 92/01/1090) bzw. wenn der betreffende Staat nicht in der Lage oder nicht gewillt wäre, diese Verfolgung hintanzuhalten, hat der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang ausdrücklich klargestellt, dass die Asylgewährung für den Fall einer solchen Bedrohung nur dann in Betracht kommt, wenn diese von Privatpersonen ausgehende Verfolgung auf Konventionsgründe zurückzuführen ist (vgl. etwa VwGH 23.11.2006, 2005/20/0551).
Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Im Falle der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers können positive Feststellungen von der Behörde nicht getroffen werden (vgl. VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0058). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051). Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (VwGH 15.03.2016, Ra 2015/01/0069, Rz 16).
Gemäß § 3 Abs. 3 Z 1 und § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Asylantrag abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann („innerstaatliche Fluchtalternative“). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen kann (vgl. zur Rechtslage vor dem AsylG 2005 z.B. VwGH 15.03.2001, 99/20/0036 und 15.03.2001, 99/20/0134, wonach Asylsuchende nicht des Schutzes durch Asyl bedürfen, wenn sie in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen). Damit ist – wie der Verwaltungsgerichtshof zur GFK judiziert – nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen – mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates – im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer „inländischen Flucht- oder Schutzalternative“ (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal wirtschaftliche Benachteiligungen auch dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 29.03.2001, 2000/20/0539; VwGH 08.09.1999, 98/01/0614).
Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 22.10.2002, 2000/01/0322; VwGH 09.03.1999, 98/01/0370;). Dabei reicht für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (VwGH 23.02.2017, Ra 2016/20/0089).
Auch aus einer Mehrzahl allein jeweils nicht ausreichender Umstände im Einzelfall kann sich bei einer Gesamtschau die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus einem oder mehreren von asylrelevanten Gründen ergeben (vgl. dazu VwGH 26.06.1996, 95/20/0423).
Daraus ergibt sich in der Sache:
Im gegenständlichen Fall sind nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes die dargestellten Voraussetzungen, nämlich eine „begründete Furcht vor Verfolgung“ im Sinne von Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK, gegeben. Dies hier unter dem Gesichtspunkt, dass der Beschwerdeführer glaubhaft machen konnte, dass er Atheist und damit Apostat ist. Aus dem obzitierten Länderbericht der Staatendokumentation des BFA ergibt sich, dass Atheisten mit Verfolgung von erheblicher Intensität (bis hin zur Todesstrafe) aus Gründen der Ablehnung des Islam zu rechnen haben und dies für das gesamte Staatsgebiet Afghanistans gilt - § 11 AsylG, weshalb dem Beschwerdeführer auch keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht. Gründe, die die Zuerkennung von Asyl ausschließen würden, liegen ebenfalls nicht vor. Eine Rückführung des Beschwerdeführers nach Afghanistan würde für ihn einen unzumutbaren Eingriff in seine durch Art 2, 3, 9 und 10 EMRK geschützten Rechte bedeuten, weshalb mit Asylgewährung vorzugehen war und die Feststellung gemäß § 3 Abs 5 AsylG zu treffen war, nachdem Asylausschlussgründe weder substantiiert vorgebracht noch sonst bekannt sind.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.
Schlagworte
Apostasie asylrechtlich relevante Verfolgung gesamtes Staatsgebiet Religion staatliche Verfolgung wohlbegründete FurchtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W131.2162294.1.00Im RIS seit
06.10.2020Zuletzt aktualisiert am
06.10.2020