Entscheidungsdatum
09.06.2020Norm
BDG 1979 §118 Abs1 Z2Spruch
W208 2228331-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Ewald SCHWARZINGER über die Beschwerde des XXXX , vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Thomas STOIBERER, gegen das Disziplinarerkenntnis der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Finanzen (DK), SENAT IV, vom 30.12.2019, G 8/29-DK-IV/2019 mit dem eine Geldstrafe in Höhe eines Monatsbezuges verhängt wurde, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Bescheid behoben und der Beschuldigte von dem dort erhobenen Tatvorwurf gemäß § 118 Abs 1 Z 2 BDG in Verbindung mit § 126 Abs 2 BDG freigesprochen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer und Beschuldigte (BF) steht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis im Universalschalterdienst der Post AG. Er ist auch Personalvertreter.
2. Am 20.10.2015 erstattete das Personalamt als Dienstbehörde Disziplinaranzeige gegen den BF. Er wurde beschuldigt diverse Lose für den Privatgebrauch entnommen, aber nicht als Eigenkauf abgerechnet zu haben (vgl zu diesem Verfahren W208 2170677-1/50E und den VwGH-Zurückweisungsbeschluss vom 22.05.2019, Ro 2019/09/0002).
Er rechtfertigte sich in diesem von der Disziplinarkommission (DK) geführten Disziplinarverfahrens unter anderem damit, dass seine Diskretions- und Dispositionsfähigkeit eingeschränkt, möglicherweise für den Zeitraum von einigen Stunden sogar aufgehoben, gewesen sei. Als Beweismittel legte er ein Gutachten eines Privatsachverständigen vor.
3. Die DK hielt dieses Gutachten nicht für schlüssig und entschloss sich einen von ihr bestellten Sachverständigen mit der Feststellung der Diskretions- und Dispositionsfähigkeit zum Tatzeitpunkt (16.07.2015) zu beauftragen. Der Vorsitzende der DK teilte der Dienstbehörde in der Folge den Namen des von ihm ausgewählten Sachverständigen mit - ohne den Verteidiger davor damit zu konfrontieren - und dieser lud den BF brieflich (ohne Zustellnachweis) zu einer Untersuchung am 11.10.2016.
4. Da der BF nicht erschien, wurde ihm in der Folge mit der hier verfahrensgegenständlichen Weisung vom 24.11.2016 der Dienstbehörde (die ihm am 05.12.2016 durch Hinterlegung zugestellt wurde) aufgetragen, zu einem neuerlichen Untersuchungstermin am 09.01.2017 beim Sachverständigen zu erscheinen (AS 17).
5. Dagegen brachte der BF am 22.12.20016 einen als "Widerspruch/Remonstration zur Weisung/Vorladung Antrag auf bescheidmäßige Feststellung" titulierten Schriftsatz ein. Zusammengefasst vertrat der - nunmehr rechtlich vertretene BF - die Ansicht, dass die Weisung aus folgenden Gründen rechtswidrig sei:
a) Die Weisung würde gegen sein verfassungsrechtlich gewährleistetes Recht verstoßen, nicht aktiv - durch Mitwirkung an der fachärztlichen Untersuchung - zur Schaffung ihn belastender Beweismittel beitragen zu müssen.
b) Die Befolgung der Weisung würde für ihn aufgrund seiner Vorerkrankungen (Herzkrankheit und Depression) eine vitale Bedrohung darstellen und sei unzumutbar.
c) Die Dienstbehörde sei im Disziplinarverfahren der DK unzuständig ihm Weisungen zu erteilen.
d) Der Gutachter sei weder fachlich geeignet noch unbefangen.
e) Die von der Dienstbehörde angeführte Rechtsgrundlage (§ 52 Abs 1 und Abs 2 BDG), sei nicht zutreffend. Er sei weder krankheitsbedingt vom Dienst abwesend (er sei suspendiert) noch gebe es Anhaltspunkte dafür, dass er für die Erfüllung der dienstlichen Aufgaben ungeeignet sei (AS 19).
6. Die Dienstbehörde wiederholte am 22.12.2016 (zugestellt an den RV am 23.12.2016) die Weisung schriftlich. Sie berief sich darin wiederum auf § 52 Abs 1 und Abs 2 BDG und führte zusätzlich an, dass sie als "unterstützendes Organ der Disziplinarbehörde tätig [sei]" (AS 31).
7. Der BF entschloss sich nach Beratung mit seinem Rechtsvertreter nicht zur Untersuchung am 09.01.2017 zu erscheinen.
8. Die Dienstbehörde lud ihn deshalb am 23.01.2017 zum Postanstaltsarzt vor, um abzuklären, ob er dem Termin aus gesundheitlichen Gründen ferngeblieben und ob er einvernahmefähig sei. Der Postanstaltsarzt untersuchte ihn, befand ihn für einvernahmefähig (BVwG, ON 5/4) und teilte ihm mit, dass er sich im Anschluss bei der Dienstbehörde zur Niederschrift melden solle. Dieser Aufforderung kam der BF nicht nach (AS 41). In der Folge wurde er mit Weisung vom 06.02.2017 zu einer Niederschrift bei der Dienstbehörde zum Sachverhalt geladen (AS 43). Er erschien dort aber nicht, weil er den Brief zu spät behob.
9. Am 25.04.2017 erstattete die Dienstbehörde eine Disziplinaranzeige gegen den BF, weil er die Weisung am 09.01.2017 beim gerichtliche-beeideten Sachverständigen zu erscheinen, nicht befolgt habe. Dadurch ergebe sich der Verdacht der schuldhaften Verletzung der Dienstpflichten nach §§ 44 Abs 1 und § 52 BDG (AS 45).
10. Nachdem der Vertrauenspersonenausschuss der Post die Zustimmung zur Verfolgung erteilt hatte (AS 49), leitete die DK mit unbekämpft gebliebenem Einleitungsbeschluss vom 07.07.2017 das Disziplinarverfahren ein. Die DK sah in der Nichtbefolgung der Weisung, sich am 09.01.2017 einer fachärztlichen Untersuchung zu unterziehen, den Verdacht der schuldhaften Verletzung von Dienstplichten gemäß §§ 44 Abs 1 und 43 Abs 2 BDG (AS 59).
11. Nach Durchführung einer Verhandlung am 10.10.2019 (AS 145-219) und am 19.12.2019 (AS 229), wurde der BF - der die Nichtbefolgung nicht bestritt, aber neuerlich auf die oa Gründe verwies und diverse Beweismittel vorlegte - schuldig gesprochen.
12. Am 30.12.2019 wurde das Disziplinarerkenntnis mit untenstehendem Spruch schriftlich ausgefertigt und am 07.01.2020 dem RV des BF zugestellt.
"FOI XXXX , Universalschalterdienst in der Postfiliale XXXX ist schuldig.
Er hat die Weisung des Personalamtes XXXX vom 24. November 2016, nach Remonstration des Beamten wiederholt am 22. Dezember 2016, sich am 9. Jänner 2017 um 14:00 Uhr im Landeskrankenhaus XXXX , XXXX , XXXX einer fachärztlichen Untersuchung durch den gerichtlich-beeideten Sachverständigen, Univ. Prof. Dr. Manfred W XXXX , Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, zu unterziehen nicht befolgt.
FOI XXXX hat dadurch die Dienstpflichten eines Beamten nach dem Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979, nämlich seine Vorgesetzten zu unterstützen und ihre Weisungen, soweit verfassungsgesetzlich nichts anderes bestimmt ist, zu befolgen (§ 44 Abs. 1 BDG 1979) sowie in seinem gesamten Verhalten auf das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben Bedacht zu nehmen (§ 43 Abs. 2 BDG 1979) schuldhaft verletzt und dadurch Dienstpflichtverletzungen im Sinne des § 91 BDG 1979 begangen.
Es wird daher über ihn gemäß § 126 Abs. 2 in Verbindung mit § 92 Abs. 1 Z 3 BDG 1979 die Disziplinarstrafe der Geldstrafe in der Höhe von 1 Bruttomonatsbezug verhängt.
Verfahrenskosten sind keine angefallen."
13. Dagegen erhob der BF am 27.01.2020 Beschwerde beim BVwG; im Wesentlichen unter Wiederholung der bereits in der Remonstration angeführten Gründe.
14. Mit Schreiben vom 04.02.2020 (eingelangt beim BVwG am 05.02.2020) wurden die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens - ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen - von der DK dem BVwG zur Entscheidung vorgelegt.
15. Am 04.06.2020 fand eine mündliche Verhandlung vor dem BVwG statt, bei der der BF und sein Rechtsvertreter sowie der Behördenvertreter und die Disziplinaranwältin anwesend waren.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Das Personalamt XXXX ist Dienstbehörde und die Leiterin Dr. Belina S XXXX (im Folgenden: S) ist Vorgesetzte des BF.
Folgende Weisung wurde dem BF am 24.11.2016 von S in ihrer Funktion als Leiterin der Dienstbehörde erteilt (AS 17 - Kürzung auf das Wesentliche durch BVwG):
"Sie werden für Montag den 9. Jänner 2017, 14:00 Uhr [...] zu einer fachärztlichen Untersuchung bei Herrn Univ.-Prof. Dr. Manfred W XXXX , [im Folgenden: W] FACA, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, vorgeladen. [...] Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass Sie gemäß § 52 Abs 1 und 2 Beamtendienstrechtsgesetz 1979 verpflichtet sind, sich auf Anordnung der Dienstbehörde einer ärztlichen Untersuchung (Facharzt) zu unterziehen und an dieser mitzuwirken. Der Termin ist daher unbedingt wahrzunehmen."
Nach einer Remonstration wurde die Weisung am 22.12.2016 durch S wie folgt mit folgender Einleitung wiederholt (AS 31 - Kürzung auf das Wesentliche und Hervorhebung durch BVwG):
"Sie sind gemäß § 52 Abs 1 und 2 BDG 1979 verpflichtet, sich auf Anordnung der Dienstbehörde einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Die Vorladung zur fachärztlichen Untersuchung erfolgt mit Weisung des Personalamtes [...], da das Personalamt hier als unterstützendes Organ der Disziplinarbehörde tätig ist."
Es folgt die Wiederholung der Weisung vom 24.11.2016 und wird weiter ausgeführt:
"[...] Wir weisen Sie ausdrücklich darauf hin, dass Sie bei Nichtbefolgung der vorliegenden Weisung mit disziplinären und besoldungsrechtlichen Konsequenzen zu rechnen haben. [...]"
1.2. Sowohl am 24.11.2016 als auch 22.12.2016 war ein Disziplinarverfahren gegen den BF bei der DK anhängig (vgl I.2.). Die fachärztliche Untersuchung sollte der Feststellung der Diskretions- und Dispositionsfähigkeit zum Zeitpunkt der dem BF vorgeworfenen Tat dienen, da dessen Rechtsvertreter in der dazu durchgeführten bereits dritten Disziplinarverhandlung am 31.08.2016 ua ein Gutachten des gerichtlich beeideten Sachverständigen für Psychiatrie und Neurologie Universitätsdozenten Dr. Christian G XXXX (im Folgenden: G), datiert mit 11.01.2016, vorgelegt hatte, der zum Schluss kam, dass zum Tatzeitpunkt (16.07.20015) "[...] die Diskretions- und Dispositionsfähigkeit nach Kenntnis der Krebsdiagnose der Ehefrau des [BF] deutlich eingeschränkt, möglicherweise sogar für einen kurzen Zeitraum von einigen Stunden völlig aufgehoben", gewesen sei (AS 177-197).
1.3. Der BF war zum Zeitpunkt der Erteilung der Weisungen (24.11.2016 und 22.12.2016) seit 27.10.2015 suspendiert und nicht wegen Dienstunfähigkeit im Krankenstand.
1.4. Es bestanden die folgenden Anhaltspunkte dafür, dass er die für die Erfüllung der dienstlichen Aufgaben erforderliche gesundheitliche Eignung nicht aufweisen könnte.
Er sollte sich nach Ansicht der ihn behandelnden Fachärztin für Psychiatrie, Dr. Johanna S XXXX vom 30.08.2016 (Verhandlungsunfähigkeitserklärung für 31.08.2016 - AS 159) und insbesondere des G (AS 197), wegen seiner koronaren Herzerkrankung (Setzung von 3 Stents im August 2013), seiner Depression (F32.1), sowie den Veränderungen in seiner Arbeitssituation, keinen zusätzlichen bzw unnötigen Stressoren ausgesetzt werden, die eine vitale Bedrohung darstellen könnten.
Die Dienstbehörde hat den BF deswegen mit Weisung vom 07.11.2016 aufgefordert zu einer Untersuchung bei der PVA zu gehen (AS 23a bzw Seite 6 der Remonstration):
"Wir teilen Ihnen mit, dass die PVA zur Befunderhebung und Gutachtenserstellung über Ihre gesundheitliche Verfassung beauftragt wurde. Sie werden aufgefordert, den von der PVA angeordneten Untersuchungseinladungen zu den angegebenen Terminen unbedingt nachzukommen. [...]"
Gegen diese Weisung und jene vom 24.11.2016 hat der BF einen Feststellungsantrag (AS 27, Schriftsatz vom 22.12.2016, vorne I.5.) eingebracht, dass er sie nicht befolgen muss und ist gegen die Zurückweisung des Feststellungsantrages durch die Dienstbehörde eine Beschwerde in einer anderen Gerichtsabteilung des BVwG anhängig (W221 2203026-1), über die bis dato noch nicht entschieden wurde.
1.5. Aus den Ausführungen der Dienstbehörde und den Aussagen in der Verhandlung beim BVwG ergibt sich eindeutig, dass die beiden Weisungen vom 24.11.2016 und 22.12.2016 zur Erlangung eines Beweismittels für die Diskretions- und Dispositionsfähigkeit im bei der DK anhängigen Disziplinarverfahren (vgl I.2.) ergangen sind, und nicht zur Feststellung, ob der BF die erforderliche gesundheitliche Eignung zur Bewältigung seiner dienstlichen Aufgaben (im Falle einer Aufhebung der Suspendierung, die letztlich erst mit dem Erkenntnis des BVwG vom 08.01.2019, W208 2170677-1/50E erfolgte) noch aufweist oder nicht.
1.6. Der BF war zum Zeitpunkt der Nichtbefolgung der Weisung am 09.01.2017, aufgrund der Auskunft seines Rechtsvertreters und den ihm vorliegenden ärztlichen Meinungen, überzeugt der Weisung nicht nachkommen zu müssen und hat seine Entscheidung ganz bewusst getroffen (VHS BVwG, 8, 11).
2. Beweiswürdigung:
Es wird auf die in Klammern im Verfahrensgang und in den jeweiligen Feststellungen angeführten Beweismittel verwiesen. Der Sachverhalt ist unstrittig. Ob der BF zum Zeitpunkt der Nichtbefolgung der Weisung am 09.01.2017 physisch und psychisch in der Lage gewesen wäre, nach XXXX zu fahren und sich durch W untersuchen zu lassen, kann aus ua rechtlichen Gründen dahingestellt bleiben. Die Beweisanträge des Rechtsvertreters in der Verhandlung (VHS BVwG, 11) auf Einvernahme von Zeugen und Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Diskretions- und Dispositionsfähigkeit am 09.01.2017 bzw zu seinen körperlichen Symptomen, werden daher abgewiesen.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zulässigkeit und Verfahren
Gemäß § 7 Abs 4 VwGVG beträgt die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid einer Behörde beim BVwG vier Wochen. Die Beschwerde wurde fristgerecht eingebracht. Gründe für eine Unzulässigkeit der Beschwerde sind nicht ersichtlich.
Dass das BVwG über die Beschwerde des BF gegen die Zurückweisung des Feststellungsantrages, dass er die Weisung vom 24.11.2016 nicht befolgen muss, im Verfahren W221 2203026-1 noch nicht entschieden hat, hindert den erkennenden Richter nicht über diese Vorfrage gemäß § 38 AVG im hier anhängigen Disziplinarverfahren selbst zu entscheiden.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gemäß § 135a BDG ist im vorliegenden Fall - Beschwerde (nur) des Beschuldigten gegen eine Geldstrafe - keine Senatsentscheidung vorgesehen. Es besteht daher Einzelrichterzuständigkeit.
Zu A)
3.2. Beurteilung des konkreten Sachverhaltes
3.2.1. Der BF bringt sinngemäß zunächst vor, dass weder die Dienstbehörde noch die Disziplinarkommission zuständig sei, ihm im Disziplinarverfahren Weisungen iSd § 44 Abs 1 BDG zu erteilen, die darauf hinauslaufen, dass er sich einer Untersuchung (durch Befragung durch einen aus seiner Sicht befangenen sachverständigen Facharzt für Neurologie und Psychiatrie) unterziehen muss, wenn er Gefahr liefe, dass die so erzielten Beweisergebnisse, ihn im anhängigen Disziplinarverfahren belasten würden.
3.2.2. Dazu ist festzustellen, dass § 44 Abs 2 BDG eine Ausnahme vom Grundsatz der Weisungsgebundenheit normiert, wenn die Weisung von einem unzuständigen Organ erteilt wird. In diesen Fällen besteht keine Gehorsamspflicht und handelt es sich dabei um "absolut nichtige" Weisungen (vgl Kucsko-Stadlmayer, Das Disziplinarrecht der Beamten, 4. Auflage, 224, 232).
Eine wegen Unzuständigkeit unverbindliche Weisung liegt nur dann vor, wenn der oder dem Anweisenden in dieser Verwaltungsangelegenheit überhaupt keine Zuständigkeit zukommt. Dies ist unter anderem im Bereich der subjektiv - auch verfassungsgesetzlich gewährleisteten - Rechte des Beamten der Fall. Maßgeblich ist die abstrakte Zuständigkeit (vgl Kucsko-Stadlmayer, Das Disziplinarrecht der Beamten, 4. Auflage, 235 mit Verweis auf VwGH 07.05.1996, 95/09/0004).
3.2.3. Zunächst ist festzuhalten, dass der DK bzw dessen Vorsitzenden mangels Vorgesetzteneigenschaft keine Weisungsbefugnis über eine beschuldigte Person im Disziplinarverfahren zukommt.
§ 124 Abs 7 BDG sieht ausdrücklich vor, dass Beschuldigte zur Beantwortung der an sie gestellten Fragen nicht gezwungen werden dürfen.
Die DK kann im Rahmen ihrer Ermittlungsbefugnis bzw Ermittlungsverpflichtung (vgl § 37ff AVG iVm §§ 105 und 123 BDG) der beschuldigten Person nur auftragen Beweismittel für ihre Behauptungen vorzulegen und die Aufnahme von Beweismitteln - hier durch einen Sachverständigen gemäß §§ 52ff AVG - zu veranlassen. Die Nichtvorlage aufgetragener Beweismittel oder die Nichtmitwirkung des Beschuldigten bei der Beweisaufnahme ist im Rahmen der Beweiswürdigung gemäß § 45 Abs 2 AVG nach freier Überzeugung zu beurteilen.
3.2.4. Im konkreten Fall wurde die Weisung von der Leiterin der Dienstbehörde als "unterstützendes Organ der Disziplinarbehörde" erteilt. Disziplinarbehörde im anhängigen Verfahren, war nach Vorlage der Anzeige durch die Dienstbehörde und Erlassung eines Einleitungsbeschlusses im Verfahren wegen Nichtverrechnung von Losen die DK. Nach Weiterleitung der Disziplinaranzeige kommt der Dienstbehörde daher keine Zuständigkeit im Disziplinarverfahren mehr zu und kann sie nur mehr im Auftrag der DK tätig werden, das ergibt sich aus § 123 BDG (vgl Kucsko-Stadlmayer, Das Disziplinarrecht der Beamten, 4. Auflage, 564).
3.2.5. Aus § 123 BDG ergibt sich zwar, dass die Dienstbehörde für die DK Ermittlungen durchzuführen hat. Weisungen die in das subjektive Aussageverweigerungsrecht des Beschuldigten eingreifen sind dazu jedoch nicht zulässig (vgl Kucsko-Stadlmayer, Das Disziplinarrecht der Beamten, 4. Auflage, 229 unter Hinweis auf den VwGH, VwSlgNF 13.340 A/1990).
Der VwGH hat zu diesem Thema unter anderem das Folgendes ausgeführt (Hervorhebungen durch BVwG):
"Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR zu Art 6 Abs 1 EMRK kommt dem Beschuldigten im Strafverfahren grundsätzlich das Recht zu, sich selbst nicht belasten zu müssen. Die Garantie ist nicht lediglich auf Aussagen beschränkt, sondern umfasst auch den Zwang zur eigenhändigen Herausgabe von Beweismaterial. Das Schweigerecht (Selbstbezichtigungsverbot) ist aber kein absolutes Recht, sondern kann Beschränkungen unterworfen werden. Für deren Zulässigkeit hat der EGMR nach der Art eines beweglichen Systems folgende Kriterien als maßgeblich erachtet: Art und Schwere des Zwangs zur Beweiserlangung, das Gewicht des öffentlichen Interesses an der Verfolgung der Straftat und der Bestrafung des Täters, die Existenz angemessener Verfahrensgarantien und die Verwertung der so erlangten Beweismittel. Auskunftspflichten gegenüber der Behörde können eine (allenfalls unzulässige) Beschränkung des Rechts, sich nicht selbst belasten zu müssen, bedeuten, wenn auf der Grundlage der so erlangten Fakten Sanktionen gegenüber dem Pflichtigen verhängt werden. Ein solcher Eingriff ist aber nach der Rechtsprechung mit Art 6 Abs 1 EMRK vereinbar wenn die Auskunftspflichten zum angestrebten Zweck nicht unverhältnismäßig sind und den Kerngehalt des Verbots nicht verletzen (vgl. Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention5, Rz 123 zu Art. 6 EMRK, mwN;)." (VwGH vom 24.02.2014, 2013/17/0834)
"Der allgemeine Grundsatz, dass niemand gezwungen ist, gegen sich selbst auszusagen, verbietet seinem Wesen und seiner Bedeutung nach eine Beschränkung seines Geltungsbereiches auf ein bestimmtes Verfahren. Wenn der Beamte in jedem Stadium des Disziplinarverfahrens seine Aussage verweigern darf, zuvor aber zur wahrheitsgemäßen Auskunft auch dann verpflichtet sein soll, wenn er sich dadurch der Gefahr einer strafrechtlichen oder disziplinarrechtlichen Verfolgung aussetzt, so wird er gezwungen, die Tatsachen und Beweismittel für ein gegen ihn einzuleitendes Disziplinarverfahren zu liefern, nach dessen Einleitung er dann jede Aussage verweigern darf. Ein Aussageverweigerungsrecht innerhalb des Disziplinarverfahrens scheint wenig sinnvoll, wenn vor Einleitung des Disziplinarverfahrens eine unbeschränkte Offenbarungspflicht bestünde. Daher kann aus § 124 Abs 7 BDG 1979 kein Umkehrschluss für das dem Disziplinarverfahren vorgelegte Stadium gezogen werden. Aus diesen Gründen folgt, dass die Auskunftspflicht des Beamten außerhalb eines Disziplinarverfahrens ihre Grenzen dort hat, wo der Beamte sich selbst durch eine wahrheitsgemäße Aussage belasten würde. Dieser Zusammenhang wird im Einzelfall bei objektiver Betrachtung erkennbar sein." (VwGH vom 18.06.2014, 2014/09/0037, mit Verweis auf den Stammrechtssatz VwGH vom 13.12.1990, 90/09/0152, VwSlg 13340 A/1990 RS 7)
"Innerhalb eines Disziplinarverfahrens (dh ab seiner Anhängigkeit bis zum förmlichen Abschluss) ist der (beschuldigte) Beamte gegenüber der Aufforderung zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme (Sachverhaltsdarstellung) bzw zu einer Aussage zu einem Vorfall berechtigt, eine Auskunft zu verweigern. Dieses in § 124 Abs 7 BDG 1979 geregelte Recht ist auf ein allgemeines Auskunftsverweigerungsrecht im Falle einer sanktionsbedrohten Selbstbezichtigung zurückzuführen ("nemo tenetur se ipsum accusare"), das auch im Disziplinarverfahren, und zwar in allen Stadien, also auch für die Vorermittlungen gilt". (VwGH 13.12.1990, 90/09/0152).
Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall, dass das Verbot des Zwangs zur Selbstbezichtigung jedenfalls in einem Disziplinarverfahren zu beachten ist. Da sich diese Garantie nicht nur auf Aussagen beschränkt, sondern auch den Zwang zur Herausgabe von Beweismaterial umfasst, ist darunter auch die Mitwirkung an einer fachärztlichen Untersuchung zum Zwecke der Feststellung der Diskretions- und Dispositionsfähigkeit zu verstehen, die ein Gespräch mit dem Facharzt und die Beantwortung von Fragen voraussetzt und deren Ergebnis in Form eines Gutachtens an die Disziplinarbehörde weitergeleitet wird. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass das Ergebnis dieser Untersuchung, den Beschuldigten belastet, wenn sich dabei herausstellt, dass entgegen seines Privatgutachtens und seiner Angaben, keine Anhaltspunkte für eine Einschränkung der Diskretions- und Dispositionsfähigkeit vorliegen (wie im Gegenstand dann auch geschehen, weil die vom BVwG mit Zustimmung des BF beauftragte Sachverständige zu diesem Ergebnis kam und der BF nicht zuletzt deshalb rechtskräftig zu einer Disziplinarstrafe verurteilt bzw kein diesbezüglicher Milderungsgrund nach § 34 Abs 1 Z 11 StGB angenommen wurde, vgl BVwG W208 2170677-1/50E).
Mit der Bestimmung des § 52 Abs 1 BDG gibt es zwar eine entsprechende gesetzliche Grundlage für die Anordnung einer ärztlichen Untersuchung durch die Dienstbehörde, weil mit einer eingeschränkten Dispositions- und Diskretionsfähigkeit wegen einer Herzkrankheit und gleichzeitig Depressionen auch berechtigte Zweifel an der für die Erfüllung der dienstlichen Aufgaben erforderlichen gesundheitlichen Eignung des Beamten bestehen können. Dieser Zweck stand aber bei der Erteilung der hier verfahrensgegenständlichen Weisung gerade nicht im Vordergrund, wie das Beweisverfahren ergeben hat. Dem BF wurde zu diesem Zweck bereits am 07.11.2016 eine (hier nicht verfahrensgegenständliche) Weisung gegeben sich Untersuchungen durch die PVA zu unterziehen und er war suspendiert, sodass eine Aufnahme des Dienstes bis zum Abschluss des Disziplinarverfahrens (wo er in erster Instanz entlassen wurde) nicht in Betracht kam.
Vor dem Hintergrund, dass im vorliegenden Fall die DK, bei einer unbegründeten Weigerung des BF sich freiwillig untersuchen zu lassen, in freier Beweiswürdigung davon ausgehen konnte, dass keine Einschränkung der Dispositions- und Diskretionsfähigkeit vorliegt, weil das Privatgutachten ihrer Ansicht nach unzureichend war, war eine Weisung auch gar nicht notwendig und damit unverhältnismäßig.
Mit der Weisung der Dienstbehörde wurde im Ergebnis der Kerngehalt des im Verfassungsrang stehenden Selbstbezichtigungsverbotes verletzt, weil von vornherein feststeht, dass das Gutachten im Disziplinarverfahren uU auch zu seinem Nachteil verwendet werden wird und der BF durch die Strafdrohung bei Nichtbefolgung einer Weisung dazu gezwungen würde.
Zusammengefasst stellt die Weisung und die aufgrund deren Nichtbefolgung verhängte Geldstrafe einen unzulässigen Eingriff in die durch Art 6 EMRK geschützten Rechte des BF dar und lag keine Zuständigkeit der Dienstbehörde oder der DK zu deren Erteilung vor, weshalb die Weisung als "absolut nichtig" auch nicht befolgt werden musste.
3.2.6. Für das angefochtene Disziplinarerkenntnis bedeutet dies, dass dem BF weder eine Verletzung seiner Dienstpflicht nach § 44 Abs 1 BDG noch nach § 43 Abs 2 BDG vorgeworfen werden kann. Es liegt folglich keine für einen Schuldspruch erforderlich schuldhafte Dienstpflichtverletzung iSd § 91 BDG vor und ist der BF daher von dem Vorwürfen spruchgemäß freizusprechen.
Im Übrigen wäre der BF, hätte es sich beim Disziplinarvergehen um einen Weisungsverstoß gehandelt, nicht auch wegen Übertretung des § 43 Abs 2 BDG, sondern nur wegen Übertretung des § 44 BDG zu bestrafen gewesen (vgl VwGH 08.08.2008, 2008/09/0042).
Auf die übrigen Argumente des BF zum Vorliegen eines nicht vorzuwerfenden Rechtsirrtums (§ 9 Abs 1 StGB) sowie zur Unzumutbarkeit sich in seinem physischen und psychischen Zustand unter (zumindest vermeintlicher) Lebensgefahr einer mit einer Dienstreise verbundenen Untersuchung zu unterziehen (Entschuldigungsgrund nach § 10 StGB), braucht vor diesem Hintergrund nicht mehr eingegangen werden.
Zu B) Zulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig, weil die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.
Soweit vom BVwG überblickbar, liegt keine konkrete Rechtsprechung des VwGH zur Frage vor, ob eine Weisung der Dienstbehörde, sich einer fachärztlichen Untersuchung durch einen von der Disziplinarbehörde ausgewählten ärztlichen Sachverständigen zur Feststellung der Diskretions- und Dispositionsfähigkeit in einem Disziplinarverfahren zu unterziehen, zulässig ist, wenn der Beschuldigte selbst ein Gutachten eines Privatsachverständigen einbringt oder ob dies mit dem aus § 6 EMRK abgeleiteten Verbot des Zwanges zur Selbstbelastung unvereinbar ist.
In Disziplinarverfahren wird oft der Einwand vorgebracht, die beschuldigte Person sei hinsichtlich der Diskretions- und Dispositionsfähigkeit zum Tatzeitpunkt eingeschränkt gewesen oder würde diese gar nicht vorliegen, sodass es sich bei dieser Rechtsfrage um keinen Einzelfall handelt.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung Dienstbehörde Dienstpflicht Dienstpflicht - Nichtbestehen Dienstpflichtverletzung Diskretions -und Dispositionsfähigkeit Disziplinarverfahren Freispruch Gesundheitszustand Postbeamter rechtliche Grundlage Remonstration Revision zulässig Sachverständigengutachten Selbstbelastungsverbot Vorgesetzter Weisung WeisungsbefugnisEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W208.2228331.1.00Im RIS seit
06.10.2020Zuletzt aktualisiert am
06.10.2020