TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/10 L511 2224741-1

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Veröffentlicht am 10.06.2020
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Entscheidungsdatum

10.06.2020

Norm

AlVG §10
AlVG §38
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

L511

2224741

–1/5E

Im Namen der Republik!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a JICHA als Vorsitzende und die fachkundigen Laienrichter*innen Mag. SIGHARTNER und Mag.a WOLTRAN als Beisitzer*innen über die Beschwerde

von

XXXX , gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice XXXX vom

13.08.2019

, Zahl: XXXX , nach Beschwerdevorentscheidung vom

27.09.2019

, Zahl: XXXX , zu Recht erkannt:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der Bescheid des Arbeitsmarktservice XXXX vom 27.09.2019, Zahl XXXX , gemäß § 28 Abs. 2 und Abs. 5 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I.       Verfahrensgang und Verfahrensinhalt

1.       Verfahren vor dem Arbeitsmarktservice [AMS]

1.1.    Die Beschwerdeführerin bezog verfahrensgegenständlich ab 17.07.2018 mit Unterbrechungen Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung (Aktenzahl der elektronisch übermittelten Aktenteile [im Folgenden: AZ] 9).

1.2.    Mit Bescheid des AMS vom 13.08.2019, Zahl: XXXX , wurde festgestellt, dass die Beschwerdeführerin den Anspruch auf Notstandshilfe gemäß § 38 iVm § 10 AlVG für den Zeitraum von

19.07.2019

bis

29.08.2019

verloren habe. Der Zeitraum verlängere sich um die in ihm liegenden Zeiträume, während derer Krankengeld bezogen wurde. Nachsicht wurde nicht erteilt (AZ 3).

Begründend wurde ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe an einer Jobbörse am 19.07.2019 nicht teilgenommen und damit die mögliche Aufnahme einer Beschäftigung vereitelt.

1.3.    Mit Schreiben vom

30.08.2019

, erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde [Bsw] gegen den oben bezeichneten Bescheid (AZ 3-4).

Begründend führte die Beschwerdeführerin zusammengefasst aus, es sei ein Versehen gewesen, den Termin am 19.07.2019 nicht wahrgenommen zu haben. In letzter Zeit habe sie sämtliche Bewerbungen eigenständig vorgenommen und sie werde ab 03.09.2019 einer Beschäftigung nachgehen können.

1.4.    Mit Bescheid vom 27.09.2019, Zahl: XXXX , zugestellt am 15.02.2019, wies das AMS im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung [BVE] gemäß § 14 VwGVG iVm § 56 AlVG die beim AMS am 30.08.2019 eingelangte Beschwerde ab (AZ 7).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Zumutbarkeit der angebotenen Beschäftigungen sei vorgelegen, Sorgepflichten gegenüber der Familie könnten nicht zu einer Nachsicht vom Verlust der Notstandshilfe führen und die Beschwerdeführerin habe bis zum Erstellen der Beschwerdevorentscheidung auch keine andere Beschäftigung aufgenommen, weshalb eine Nachsicht nicht erteilt werden könne.

1.5.    Mit Schreiben vom 13.10.2019 beantragte die Beschwerdeführerin fristgerecht die Vorlage der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (AZ 8).

2.       Die belangte Behörde legte am 24.10.2019 dem Bundesverwaltungsgericht [BVwG] die Beschwerde samt Auszügen aus dem Verwaltungsakt in elektronischer Form vor (Ordnungszahl des Gerichtsverfahrensaktes [OZ] 1 [=AZ 1-9]).

2.1.    Das BVwG ersuchte das AMS um Vorlage von weiteren Aktenteilen (OZ 2) und führte eine Abfrage beim Dachverband der österreichischen Sozialversicherung [DSV] betreffend die Beschwerdeführerin durch (OZ 3).

II.      Zu A) Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       entscheidungswesentliche Feststellungen

1.1.    Die Beschwerdeführerin steht verfahrensgegenständlich seit dem Jahr 2014 mit Unterbrechungen im Leistungsbezug des AMS (AZ 9/3-4).

1.2.    Am 11.07.2019 erhielt die Beschwerdeführerin in ihr e-AMS Konto eine Einladung zu einer am 19.07.2019 an ihrem Wohnort stattfindenden Jobbörse welche speziell für Frauen veranstaltet wurde. Dabei wurden Stellen im Produktions-, Lager-, Versand und Kommissionierungsbereich sowohl in Teil- und Vollzeit als auch in Schichtarbeit angeboten (AZ 1, OZ 2).

1.3.    Die Beschwerdeführerin nahm an der Jobbörse am 19.07.2019 nicht teil, weil sie die Einladung des AMS zu spät in ihrem eAMS-Konto bemerkt hatte (AZ 2, BVE 6).

1.4.    Die Beschwerdeführerin hat sich bei allen ihr vom AMS vermittelten Stellen beworben und es ist vor dem gegenständlich ausgesprochenen Verlust zumindest seit Dezember 2014 noch zu keinem Verlust der Notstandshilfe gekommen (AZ 9, OZ 2).

2.       Beweisaufnahme und Beweiswürdigung

2.1.    Die Beweisaufnahme erfolgte durch Einsicht in die dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Auszüge aus dem Verwaltungsverfahrensakt und dem Gerichtsakt, aus denen sich auch der unter I. dargelegte Verfahrensgang ergibt (OZ 1 [=AZ 1-9], OZ 2). Zur Entscheidungsfindung wurden vom BVwG insbesondere folgende Unterlagen herangezogen:

?        Bescheid und Beschwerdevorentscheidung des AMS (AZ 3, 7)

?        Beschwerde und Vorlageantrag der Beschwerdeführerin (AZ 6, 8)

?        Einladung Jobbörse (AZ 1)

?        Niederschrift vom 06.08.2019 (AZ 2)

?        DVS-Datenauszug (OZ 3)

2.2.    Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich unmittelbar ohne weitere Interpretation aus den jeweils zitierten Aktenteilen, wobei weder die Beschwerdeführerin noch das AMS diesen entgegengetreten sind.

2.2.1.  Die Gründe des Versäumens der Jobbörse (Punkt 1.3.) ergeben sich aus der Niederschrift (AZ 2) und sind vom AMS nicht in Zweifel gezogen worden.

3.       Entfall der mündlichen Verhandlung

3.1.    Der Anspruch einer Partei auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist kein absoluter (§ 24 VwGVG unter Hinweis auf Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, [EMRK] noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 [GRC]). Nach der Rechtsprechung des EGMR und ihm folgend des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt unumstritten und nur eine Rechtsfrage zu entscheiden ist oder wenn die Sache keine besondere Komplexität aufweist (vgl. dazu für viele EGMR 12.11.2002, Döry / S, Rn37; VfGH 20.02.2015, B1534; sowie jüngst VwGH 18.12.2018, Ra 2018/03/0132, jeweils mwN).

3.2.    Im gegenständlichen Fall ergab sich klar aus der Aktenlage, dass von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten war. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich zur Gänze aus den den Verfahrensparteien bekannten vorliegenden Aktenteilen und war weder ergänzungsbedürftig noch erschien er in entscheidenden Punkten als nicht richtig.

4.       Rechtliche Beurteilung

4.1.1.  Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch einen Senat ergeben sich aus § 6 Bundesgesetz über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes [BVwGG] iVm § 56 Abs. 2 AlVG (vgl. VwGH vom 07.09.2017, Ra2017/08/0081). Das Verfahren des Bundesverwaltungsgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) geregelt. Verfahrensgegenständlich sind demnach neben dem VwGVG auch die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, sowie jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen sinngemäß anzuwenden, die das AMS im erstinstanzlichen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (§ 17 VwGVG).

4.1.2.  Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die an die Stelle des Ausgangsbescheides getretene Beschwerdevorentscheidung, wobei der Ausgangsbescheid Maßstab dafür bleibt, ob die Beschwerde berechtigt ist oder nicht, da sich diese gegen den Ausgangsbescheid richtet und ihre Begründung auf diesen beziehen muss (VwGH 20.05.2015, Ra2015/09/0025; 17.12.2015, Ro2015/08/0026).

4.1.3.  Die Beschwerde und der Vorlageantrag sind rechtzeitig und auch sonst zulässig.

4.2.    Stattgabe der Beschwerde

4.2.1.  Mit der verfahrensgegenständlichen Beschwerdevorentscheidung wurde festgestellt, dass die Beschwerdeführerin den Anspruch auf Leistungsbezug von 19.07.2019 bis 29.08.2019 verloren habe, da die Abweisung der Beschwerde im Rahmen der Beschwerdevorentscheidung als Erlassung eines mit dem Erstbescheid spruchmäßig übereinstimmenden Bescheides anzusehen ist (vgl. VwGH 18.03.2014, 2013/22/0332 mwN).

4.2.2.  Gemäß § 10 Abs. 1 Z1 AlVG verliert eine arbeitslose Person für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die Dauer der auf die Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld, wenn sie sich weigert, eine ihr von der regionalen Geschäftsstelle oder einen vom Arbeitsmarktservice beauftragten, die Arbeitsvermittlung im Einklang mit den Vorschriften der §§ 2 bis 7 AMFG durchführenden Dienstleister zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt.

4.2.2.1. Unter "Vereitelung" im Sinn des § 10 Abs. 1 AlVG ist ein auf das zugewiesene Beschäftigungsverhältnis bezogenes Verhalten des Vermittelten zu verstehen, das (bei Zumutbarkeit der Beschäftigung) das Nichtzustandekommen des konkret angebotenen Beschäftigungsverhältnisses herbeiführt. Es ist dabei nicht Voraussetzung, dass das Beschäftigungsverhältnis ohne die Vereitelungshandlung in jedem Fall zustande gekommen wäre; vielmehr ist Kausalität bereits dann gegeben, wenn die Chancen für das Zustandekommen eines Beschäftigungsverhältnisses aufgrund der Vereitelungshandlung jedenfalls verringert wurden (VwGH 18.06.2014, 2012/08/0187; 15.10.2014, 2013/08/00248; 08.09.2014, 2013/08/0005 jeweils mwN). Ist die Kausalität zwischen dem Verhalten des Vermittelten und dem Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses zu bejahen, dann muss geprüft werden, ob der Vermittelte vorsätzlich gehandelt hat, wobei bedingter Vorsatz (dolus eventualis) genügt. Ein bloß fahrlässiges Handeln, also die Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt, reicht zur Verwirklichung des Tatbestandes hingegen nicht hin (VwGH 19.10.2011, 2008/08/0251 mwN). Bedingter Vorsatz (dolus eventualis) ist dann gegeben, wenn der Betroffene den tatbestandsmäßigen Erfolg zwar nicht bezweckt, den Eintritt auch nicht als gewiss voraussieht, den Erfolg aber für möglich hält und sich mit ihm abfindet (VwGH 25.03.2010, 2007/09/0268 mwN). Fahrlässig handelt, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den Umständen verpflichtet und nach seinen geistigen und körperlichen Verhältnissen befähigt ist und die ihm zuzumuten ist (VwGH 27.05.2014, 2011/11/0025).

4.2.3.  Gegenständlich ist unstrittig, dass die Beschwerdeführerin an der Jobbörse vom 19.07.2019 nicht teilnahm, worin somit die Vereitelungshandlung lag (vgl. VwGH 23.03.2015, Ro2014/08/0023).

4.2.4.  Entgegen der Ansicht des AMS geht der erkennende Senat aber aus den folgenden Gründen nicht vom Vorliegen eines (zumindest) bedingten Vorsatzes aus:

4.2.4.1. Die Beschwerdeführerin hat ihren Leistungsbezug zumindest seit Dezember 2014 kein einziges Mal verloren. Die Beschwerdeführerin hat somit seit über fünf Jahren keine ihr angebotene oder ihr sonst sich bietende Beschäftigung ausgeschlagen und sie hat auch keinen Kontrolltermin versäumt. Auch das beim AMS dokumentierte Bewerbungsverhalten zeigt kein Fehlverhalten auf.

4.2.4.2. Vor diesem Hintergrund liegt im einmaligen Übersehen eines Termins nach Ansicht des erkennenden Senates noch nicht einmal der Grad der groben Fahrlässigkeit vor. Diese läge etwa vor, wenn das Versehen mit Rücksicht auf seine Schwere oder Häufigkeit nur bei besonderer Nachlässigkeit und nur bei besonders nachlässigen oder leichtsinnigen Menschen vorkommt sowie nach den Umständen die Vermutung des "bösen Vorsatzes" naheliegt (vgl. dazu VwGH 27.05.2014, 2011/11/0025). Das sich aus den vorliegenden Aktenteilen ergebenden Gesamtverhalten der Beschwerdeführerin – Einhaltung aller Kontrolltermine seit 2015 und keine Verweigerungs- bzw. Vereitelungshandlungen seit 2013, laufendes Durchführen von Bewerbungen – deutet im Gegenteil weder auf eine systematische Sorgfaltslosigkeit noch auf einen Mangel an Arbeitswillen hin.

4.2.4.3. Dass die Beschwerdeführerin eine Nichteinstellung aufgrund der Nichtteilnahme an der Jobbörse durch ihr Verhalten zumindest mit dolus eventualis in Kauf genommen hätte, kann ihr daher angesichts der dargestellten Gesamtumstände nicht angelastet werden.

4.2.5.  Da ein bloß fahrlässiges Verhalten zur Verwirklichung des Tatbestandes der Vereitelung nicht hinreicht (VwGH 19.10.2011, 2008/08/0251 mwN), ist der Beschwerde stattzugeben.

4.2.5.1. Gegenständlich ist (ausschließlich) die Beschwerdevorentscheidung zu beheben (siehe dazu im Detail VwGH 17.12.2015, Ro2015/08/0026), da in Fällen in denen ohne Parteienantrag ein widerrechtlicher Entzug eines Rechtes oder einer Leistung erfolgt, der dem materiellen Recht entsprechende Zustand nur durch ersatzlose Behebung des rechtswidrigen Bescheides hergestellt werden kann (vgl. VwGH 08.10.2010, 2005/04/0002; 21.02.2014, 2013/06/0159).

III.    ad B) Unzulässigkeit der Revision:

Die sich aus dem festgestellten Sachverhalt ergebende rechtliche Subsumtion bedurfte angesichts der einheitlichen im Zuge der rechtlichen Ausführungen ausführlich wiedergegebenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 9 und § 10 AlVG, keiner Lösung einer erheblichen Rechtsfrage. Zum Erfordernis des Vorliegens von dolus eventualis bei der Verwirklichung einer Vereitelungshandlung, etwa VwGH 25.03.2010, 2007/09/0268 mwN; VwGH 27.05.2014, 2011/11/0025; VwGH 19.10.2011, 2008/08/0251 mwN.

Der Entfall der mündlichen Verhandlung steht weder mit der Judikatur der Höchstgerichte noch mit der Judikatur des EGMR in Widerspruch, siehe dazu insbesondere VwGH 26.01.2017, Ra2016/07/0061 mwN, und es ergeben sich auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage, so dass insgesamt die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht vorliegen.

Schlagworte

Bewerbung Fahrlässigkeit Notstandshilfe Vereitelung zumutbare Beschäftigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L511.2224741.1.00

Im RIS seit

08.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

08.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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