Entscheidungsdatum
16.06.2020Norm
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13Spruch
G311 2221582-1/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Eva WENDLER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit: Litauen, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.06.2019, Zahl: XXXX , betreffend die Zurückweisung seines Antrages auf internationalen Schutz, zu Recht:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
Der Beschwerdeführer reiste am 14.04.2019 auf dem Luftweg in das Bundesgebiet ein. Am 15.04.2019 stellte er einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005. Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers nach dem Asylgesetz statt.
Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er sei litauischer Jude, Jurist sowie Menschenrechtsaktivist, und habe in XXXX eine Gedenktafel für einen litauischen General zerstört, der im Jahr 1941 in Litauen für das Zusammentreiben in Ghettos und die Ermordung von 14.000 Juden verantwortlich gewesen sei, darunter seien auch 22 Verwandte des Beschwerdeführers gewesen. Der Beschwerdeführer sei deswegen von der litauischen Polizei festgenommen und länger XXXX als die erlaubten 48 Stunden (nämlich 53 Stunden) festgehalten worden. Man habe ihn dann entlassen und angezeigt. Er sei zur Zahlung von EUR 33.000,00 und den Ersatz der Gedenktafel verurteilt worden. Bezahle er die Strafe nicht, würde er verhaftet werden. Weiters gäbe es in XXXX (im Folgenden: V.) eine Nazigruppe, die den Beschwerdeführer töten wolle. Deswegen habe er sich entschieden, Litauen zu verlassen.
Zugleich legte der Beschwerdeführer auch einen auf Englisch verfassten Schriftsatz vom 14.04.2019 vor, in welchem er seine Gründe für die Stellung des Antrages auf internationalen Schutz noch einmal schriftlich darlegte und seiner Ansicht nach maßgebliche Beweismittel für die Taten des litauischen Generals im zweiten Weltkrieg vorlegte. Weiters legte er Dokumente aus dem litauischen Strafverfahren vor.
Am 12.06.2019 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle Ost, niederschriftlich einvernommen. Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, er sei der Meinung, Österreich solle sich darum kümmern, dass nicht Mörder von österreichischen Juden glorifiziert würden. Er habe ein Nazi-Denkmal zerstört und solle dafür eine 75-tätige Haftstrafe verbüßen. Solche Denkmäler seien in Österreich nach dem Verbotsgesetz verboten. Die jüdische Gemeinschaft in Litauen habe 22 Jahre erfolglos darum gekämpft, die Gedenktafel zu entfernen. Nachdem er die Gedenktafel mit einem Hammer zerstört habe, sei er für 54 Stunden unter unmöglichen Bedingungen festgenommen worden, obwohl eine Festnahme nur für 48 Stunden zulässig sei. Er sei geschlagen worden, habe lediglich Schweinefleisch serviert bekommen (was er als Jude aus religiösen Gründen nicht essen könnte), habe sich eine zwei Quadratmeter große Zelle mit einem weiteren Insassen teilen müssen, ohne duschen zu können oder eine Toilette mit Privatsphäre benützen zu können. Er habe seinen Anwalt nicht sprechen können und sei direkt zu Gericht gefahren worden, ohne dass es ihm möglich gewesen wäre, seinen Fall vorzubereiten. Es gebe auch viele Aufrufe litauischer Nazis, ihn zu töten. Eine Anzeige bei der Polizei habe er gemacht, aber ohne Ergebnis. An den EGMR habe er sich nicht gewandt, das Verfahren würde acht Jahre dauern, das wäre zu lange. Nach Belehrung über die Rechtslage (Protokoll Nr. 24 über die Gewährung von Asyl für Staatsangehörige von Mitgliedsstaaten der Europäischen Union) gab der Beschwerdeführer an, es liege eine Entscheidung der Vereinten Nationen vor, wonach Litauen litauischen Juden diskriminiere. Diese Entscheidung stehe rechtlich über dem EU-Vertrag. Alternativ wolle er in Deutschland oder Israel um Asyl ansuchen.
Im Zuge der Einvernahme vor dem Bundesamt legte der Beschwerdeführer einen auf Englisch formulierten Schriftsatz zur Begründung seines Antrages auf internationalen Schutz samt Beilagen im Umfang von 122 Seiten vor.
Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes wurde der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz gemäß Protokoll Nr. 24 über die Gewährung von Asyl für Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Union zum EU-Vertrag von Lissabon vom 13.12.2007, Amtsblatt (EG) Nr. C 306 bzw. BGBl. III Nr. 132/2009 zurückgewiesen.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz seiner bevollmächtigten Rechtsvertretung vom 02.07.2019 das Rechtsmittel der Beschwerde gegen den ihn betreffenden Bescheid. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung durchführen, der Beschwerde stattgeben und gemäß lit. d des einzigen Artikels des Protokolls Nr. 24 über die Gewährung von Asyl für Staatsangehörige von Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zum EU-Vertrag von Lissabon den Beschluss fassen, den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz inhaltlich zu prüfen und dem Beschwerdeführer Asyl zu gewähren; in eventu den angefochtenen Bescheid beheben und zur Verfahrensergänzung an das Bundesamt zurückverweisen, in eventu die ordentliche Revision zulassen. Nach neuerlicher Darstellung des Sachverhalts wurde zur Begründung zusammengefasst ausgeführt, dass, obwohl das Bundesamt unter Berücksichtigung der österreichischen Rechtsprechung zu lit. d des Protokolls Nr. 24 zu prüfen gehabt hätte, ob die Fluchtgeschichte mit den Zuständen im Herkunftsstaat in Einklang zu bringen seien, habe die belangte Behörde keine Länderfeststellungen zu Litauen getroffen (insbesondere nicht zur Situation von Juden, Antisemitismus und diesbezüglichen Rechtsschutzmöglichkeiten). Diesbezüglich wurden Auszüge aus einem aktuellen Bericht des Anti-Folter-Komitees des Europarates (CPT) vom 25.07.2019, des Jahresberichtes des US State Department zur Religionsfreiheit in Litauen vom 21.06.2019 und des Menschenrechtsjahresberichtes des US State Department zu Litauen vom 13.03.2019 wiedergegeben. Die Regelvermutung zu Litauen liege im gegenständlichen Fall daher nicht vor. Das umfangreiche Vorbringen sowie die vorgelegten Beweismittel seien in einer mangelhaften Beweiswürdigung nicht gewürdigt worden. Da der Beschwerdeführer den litauischen innerstaatlichen Instanzenzug noch nicht ausgeschöpft habe, würden auch die Voraussetzungen für die Anrufung des EGMR nicht vorliegen. Der Beschwerdeführer habe eine glaubwürdige, nachvollziehbare und mit den Zuständen im Herkunftsstaat in Einklang zu bringende Fluchtgeschichte dargelegt und zudem umfassendes Beweismaterial vorgelegt. Sein Vorbringen sei im Sinne der lit. d des Protokolls Nr. 24 mit den Zuständen im Herkunftsstaat in Einklang zu bringen, wie sich aus den vorgelegten Länderberichten ergebe. Das Bundesamt hätte daher zum Schluss kommen müssen, den Antrag des Beschwerdeführers inhaltlich zu prüfen.
Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt und langten dort am 22.07.2019 ein.
Mit Beweismittelvorlage vom 31.07.2019 wurde ein Schreiben der Israelitischen Kultusgemeinde XXXX vom 30.07.2019 vorgelegt.
Mit Schreiben vom 25.09.2019, beim Bundesverwaltungsgericht am 26.09.2019 einlangend, legte der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Rechtsvertretung weitere Beweismittel zur antisemitischen, rechtsextremistischen Gesinnung des verfahrensgegenständlich relevanten Generals im zweiten Weltkrieg vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
Der Beschwerdeführer führt die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und ist Staatsangehöriger der Republik Litauen. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Russisch und er bekennt sich zum jüdischen Glauben (vgl aktenkundige Kopie des Reisepasses des Beschwerdeführers, AS 23 ff; Erstbefragung vom 15.04.2019, AS 3 ff).
Der Beschwerdeführer ist daher Unionsbürger.
Der Beschwerdeführer reiste am 14.04.2019 von Litauen auf dem Luftweg direkt in das Bundesgebiet ein, wo er am 15.04.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte (vgl aktenkundiges Flugticket, AS 47 ff; Erstbefragung vom 15.04.2019, AS 3 ff).
In Frankreich beantragte der Beschwerdeführer bereits am 07.01.2014 sowie am 04.07.2018 erfolglos internationalen Schutz (vgl EURODAC-Treffer, Erstbefragung vom 15.04.2019, AS 10).
Der Beschwerdeführer ist Jurist und bekämpft gemeinsam mit der litauischen jüdischen Gemeinschaft die Verehrung von litauischen Unterstützern des Nazi-Regimes während des zweiten Weltkrieges in Litauen, darunter des litauischen Generals „ XXXX “ (im Folgenden: J.N.) (vgl etwa Angaben Beschwerdeführer, schriftlicher Asylantrag vom 14.04.2019, AS 35 ff; aktenkundiger Auszug aus wikipedia.org vom 13.04.2019, AS 61 ff, und weitere aktenkundige Unterlagen; darüber hinaus unstrittig).
Am 08.04.2019 hat der Beschwerdeführer mit einem Vorschlaghammer eine Gedenktafel für den litauischen General J.N., dem antisemische Verbrechen im Zuge des zweiten Weltkrieges vorgeworfen werden, vor einem jüdischen Friedhof zerstört, indem er etwa 14 Mal auf die Tafel einschlug. Der Beschwerdeführer wurde am 08.04.2019 von der Polizei festgenommen, angehalten und angezeigt. Mit Beschluss der litauischen Staatsanwaltschaft wurde dem Beschwerdeführer während des Strafverfahrens das Verlassen Litauens untersagt (vgl etwa eigene Angaben des Beschwerdeführers im gesamten Verfahren; Auszug aus der litauischen Presse vom 09.04.2019, AS 111, vom 08.04.2019, AS 183 ff; aktenkundige englische Übersetzung der Anzeige vom 10.04.2019, AS 101; des Beschlusses vom 09.04.2019, AS 105).
Mit litauischem Gerichtsurteil vom 08.05.2019 wurde der Beschwerdeführer wegen des Beschädigens der Gedenktafel und damit einhergehender Verletzung der Artikel 284 und 312 Abs. 2 des litauischen Strafgesetzes zu einer Freiheitsstrafe von 75 Tagen und einem Schadenersatz in der Höhe von EUR 2.342,00 verurteilt. Dagegen hat der Beschwerdeführer ein Rechtsmittel erhoben (vgl Beschwerdevorbringen, AS 527 f; sowie Rechtsmittelschrift des Beschwerdeführers gegen das Strafurteil, Beilage 1 zur Beschwerde, AS 541 ff). Der Beschwerdeführer fühlte sich während seiner Festnahme und Anhaltung zischen 08.04.2019 und 10.04.2019 ungerecht behandelt und durch die Haftbedingungen in seinen Menschenrechten verletzt. Auch dagegen erhob der Beschwerdeführer in Litauen Beschwerde (vgl Beschwerde des Beschwerdeführers gegen die Anhaltung und Haftbedingungen, Beilage 2 zur Beschwerde, AS 559 f). Entscheidungen über Rechtsmittel und Beschwerde liegen aktuell noch nicht vor.
Der Beschwerdeführer ist ledig, hat keine Kinder und er lebt alleine in Österreich. Seinen Unterhalt bestreitet er aus seinen Einkünften als Rechtsanwalt. Seine Freundin, seine Mutter rund seine Schwester leben in Litauen (vgl Niederschrift Bundesamt vom 12.06.2019, AS 237 f).
In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über keinerlei familiäre oder private Bezüge. Eine maßgebliche Integration in sprachlicher und gesellschaftlicher Hinsicht liegt nicht vor.
Die Republik Litauen gilt als sicherer Herkunftsstaat und ist seit 01.05.2004 Mitglied der Europäischen Union.
Die Republik Litauen hat seit ihrem Beitritt zur Europäischen Union mit 01.05.2004 alle nachfolgenden Verträge – zuletzt den Reformvertrag von Lissabon – unterzeichnet, der nunmehr in seinem Art. 6 EUV die verbindliche Wirkung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 07.12.2000 in der am 12.12.2007 angepassten Fassung vorschreibt. Art. 2 EUV normiert darüber hinaus die Werte, auf die sich die Union gründet vor, die allen Mitgliedsstaaten der Union gemeinsam sind und die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtstaatlichkeit und Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Minderheitenrechte umfassen sowie einer Gesellschaft gemeinsam sind, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und durch Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet. Sowohl die Republik Litauen als auch die Europäischen Union haben jeweils für sich die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) unterzeichnet. In Litauen trat die EMRK mit 20.06.1995 in Kraft. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat durch die von ihm mit seiner Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Rechtsgrundsätze die Bindung der Mitgliedstaaten an den gemeineuropäischen Grundrechtsbestand ausgesprochen und wurde diese Bedingung im Reformvertrag von Lissabon nunmehr auch normativ festgelegt, wobei sich dieser Grundrechtsbestand aktuell insbesondere aus der schon angeführten Grundrechtecharta sowie der EMRK speist (Art. 6 EUV). Die für den Beitritt neuer EU-Staaten zur Europäischen Union vorgesehenen Voraussetzungen (Art. 49 EUV iVm. Art. 6 EUV), darunter auch die untrennbare positive Beurteilung der jeweiligen allgemeinen Menschenrechtslage im jeweiligen beitrittswilligen Staat, beruhen daher auf den von den Gründungsmitgliedern abgeschlossenen Verträgen, die zur Gründung der Europäischen Union und damit auch zur den von der Europäischen Union selbstständig erlassenen und großteils bindenden Sekundärrechtsakten führten. Der Beitritt von neuen EU-Staaten zur Europäischen Union am 01.05.2004 war daher bereits vor Abschluss des Vertrages von Lissabon untrennbar mit einer positiven Beurteilung der allgemeinen Menschenrechtslage in diesen Staaten verbunden.
All dies geht auch aus den Erwägungsgründen des Protokolls Nr. 24 zum EU-Vertrag (Protokoll über die Gewährung von Asyl für Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Union) hervor, in welchen ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass die Union nach Art. 6 Abs. 1 EUV die Recht, Freiheiten und Grundsätze anerkennt, die in der Charta der Grundrechte der EU enthalten sind, die Grundrechte nach Art. 6 Abs. 3 EUV, wie sie in der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) gewährleistet sind, als allgemeine Grundsätze zum Unionsrecht gehören und, dass der Gerichtshof der Europäischen Union dafür zuständig ist, sicherzustellen, dass die Union bei der Auslegung und Anwendung des Art. 6 Abs. 1 bis 3 EUV die Rechtsvorschriften einhält. Das in Art. 7 EUV vorgesehene Verfahren zur Aussetzung bestimmter Rechte ist nur für den Fall einer schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung dieser Werte durch einen Mitgliedstaat vorgesehen und zwar unter dem Hinweis darauf, dass jeder Staatsangehörige eines Mitgliedstaates als Unionsbürger einen besonderen Status und einen besonderen Schutz genießt, welche die Mitgliedstaaten gemäß dem zweiten Teil des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) gewährleisten sowie, dass die Verträge einen Raum ohne Binnengrenzen schaffen und jedem Unionsbürger das Recht gewähren, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten.
Als Unionsmitglied ist die Republik Litauen daher auch Teil des geltenden Unionsrechts, somit ein Rechtsstaat und eine Demokratie im Sinne der Standards der EU. Es kann daher auch von der grundsätzlichen Schutzgewährungsfähigkeit und Schutzgewährungswilligkeit der Sicherheitsbehörden und des Vorhandenseins eines funktionierenden rechtsstaatlichen Systems im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers - so wie auch in anderen EU-Mitgliedstaaten - ausgegangen werden (zur Frage des ausreichenden staatlichen Schutzes vor Verfolgung auch von nichtstaatlicher bzw. privater Seite s. für viele VwGH 10.03.1993, Zl. 92/01/1090, 14.05.2002, Zl. 2001/01/140 bis 143; s.a. VwGH 04.05.2000, Zl. 99/20/0177, u.a.).
Darüber hinaus wendet die Republik Litauen weder Art. 15 EMRK samt Außerkraftsetzung der damit verbundenen Verpflichtungen an, noch ist ein Verfahren gemäß Art. 7 Abs. EUV eingeleitet worden oder hat der Rat oder ein Mitgliedstaat dazu einen Beschluss nach Art. 7 Abs. 2 erlassen.
2. Beweiswürdigung:
Zum Verfahrensgang:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesasylamtes und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
Zur Person der beschwerdeführenden Partei:
Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität (Namen, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit) des Beschwerdeführers getroffen wurden, beruhen diese auf den Angaben des Beschwerdeführers und den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde.
Eine Kopie des litauischen Reisepasses ist aktenkundig. Das Bundesverwaltungsgericht nahm weiters Einsicht in das Fremdenregister, das Strafregister und das Zentrale Melderegister des Beschwerdeführers.
Die übrigen Feststellungen ergeben sich einerseits aus den Angaben des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren und im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht, dabei insbesondere im Rahmen mündlichen Einvernahme vor dem Bundesamt, sowie andererseits aus den im Verwaltungs- bzw. Gerichtsakt einliegenden Beweismitteln, welche in der jeweiligen Klammer konkret angeführt und weder vom Beschwerdeführer noch dem Bundesamt bestritten wurden.
Das Recht zur Einreise und zum Aufenthalt kommt ihm schon aufgrund seines Freizügigkeitsrechtes als Unionsbürger grundsätzlich zu.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
Protokoll (Nr.24)
über die Gewährung von Asyl für Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der europäischen Union lautet:
„Die hohen Vertragsparteien – in der Erwägung, dass die Union nach Artikel 6 Absatz 1 des Vertrags über die Europäische Union die Rechte, Freiheiten und Grundsätze anerkennt, die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union enthalten sind, in der Erwägung, dass die Grundrechte nach Artikel 6 Absatz 3 des Vertrags über die Europäische Union, wie sie in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind, als allgemeine Grundsätze zum Unionsrecht gehören, in der Erwägung, dass der Gerichtshof der Europäischen Union dafür zuständig ist, sicherzustellen, dass die Union bei der Auslegung und Anwendung des Artikels 6 Absätze 1 und 3 des Vertrags über die Europäische Union die Rechtsvorschriften einhält, in der Erwägung, dass nach Artikel 49 des Vertrags über die Europäische Union jeder europäische Staat, der beantragt, Mitglied der Union zu werden, die in Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union genannten Werte achten muss, eingedenk dessen, dass Artikel 7 des Vertrags über die Europäische Union ein Verfahren für die Aussetzung bestimmter Rechte im Falle einer schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung dieser Werte durch einen Mitgliedstaat vorsieht, unter Hinweis darauf, dass jeder Staatsangehörige eines Mitgliedstaats als Unionsbürger einen besonderen Status und einen besonderen Schutz genießt, welche die Mitgliedstaaten gemäß dem zweiten Teil des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union gewährleisten, in dem Bewusstsein, dass die Verträge einen Raum ohne Binnengrenzen schaffen und jedem Unionsbürger das Recht gewähren, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, in dem Wunsch, zu verhindern, dass Asyl für andere als die vorgesehenen Zwecke in Anspruch genommen wird, in der Erwägung, dass dieses Protokoll den Zweck und die Ziele des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge beachtet – sind über folgende Bestimmungen Übereinkommen, die dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union beigefügt sind:
Einziger Artikel
In Anbetracht des Niveaus des Schutzes der Grundrechte und Grundfreiheiten in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union gelten die Mitgliedstaaten füreinander für alle rechtlichen und praktischen Zwecke im Zusammenhang mit Asylangelegenheiten als sichere Herkunftsländer. Dementsprechend darf ein Asylantrag eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats von einem anderen Mitgliedstaat nur berücksichtigt oder zur Bearbeitung zugelassen werden,
a. wenn der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehöriger der Antragsteller ist, nach Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam Artikel 15 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten anwendet und Maßnahmen ergreift, die in seinem Hoheitsgebiet die in der Konvention vorgesehenen Verpflichtungen außer Kraft setzen;
b. wenn das Verfahren des Artikels 7 Absatz 1 des Vertrags über die Europäische Union eingeleitet worden ist und bis der Rat oder gegebenenfalls der Europäische Rat diesbezüglich einen Beschluss im Hinblick auf den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehöriger der Antragsteller ist, gefasst hat;
c. wenn der Rat einen Beschluss nach Artikel 7 Absatz 1 des Vertrags über die Europäische Union im Hinblick auf den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehöriger der Antragsteller ist, erlassen hat, oder wenn der Europäische Rat einen Beschluss nach Artikel 7 Absatz 2 des genannten Vertrags im Hinblick auf den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehöriger der Antragsteller ist, erlassen hat;
d. wenn ein Mitgliedstaat in Bezug auf den Antrag eines Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats einseitig einen solchen Beschluss fasst; in diesem Fall wird der Rat umgehend unterrichtet; bei der Prüfung des Antrags wird von der Vermutung ausgegangen, dass der Antrag offensichtlich unbegründet ist, ohne dass die Entscheidungsbefugnis des Mitgliedstaats in irgendeiner Weise beeinträchtigt wird.“
Der Punkt d lässt die individuelle Einzelfallüberprüfung eines Schutzersuchens zu, allerdings ist vor einer genauen Prüfung zu entscheiden, ob der Antrag - von dessen offensichtlicher Unbegründetheit auszugehen ist - so viel Substanz hat, dass eine Prüfung notwendig ist, um die Verpflichtungen Österreichs nach der Genfer Flüchtlingskonvention einzuhalten. Dazu muss der Asylwerber allerdings eine glaubwürdige, nachvollziehbare und mit den Zuständen im Herkunftsstaat in Einklang zu bringende Fluchtgeschichte darlegen, die mit Beweisangeboten bzw. mit dem Hinweis, wie die nötigen Beweise beschafft werden können, unterlegt sein muss. Darüber hinaus muss der Asylwerber nachvollziehbare und mit den Zuständen im Herkunftsstaat in Einklang zu bringende Ausführungen darbringen, warum er sich nicht des Schutzes des Staates - also insbesondere der Gerichte - bedient hat, um einer privaten oder punktuellen staatlichen Verfolgung zu entgehen. Erst dann kann davon gesprochen werden, dass der Asylwerber in der Lage war darzulegen, die - widerlegliche - Vermutung des Gesetzes, der Antrag sei offensichtlich unbegründet, stimme nicht (s.a. UBAS 16.02.2007, Zl. 254.648/0/25E-XIII/66/04).
Die Tatbestände der lit. a bis c des angeführten Protokolls trafen und treffen derzeit auf keinen EU-Mitgliedstaat zu. Ebenfalls ergab bereits eine Grobprüfung des zum vorliegenden Asylantrag erstatteten Vorbringens im Lichte der Anforderungen für eine individuelle Einzelprüfung nach lit. d des Protokolls nicht, dass die in lit. d des Protokolls Nr. 24 statuierte Vermutung im Falle des Beschwerdeführers unzutreffend ist.
Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten historischen Ereignisse insbesondere bezogen auf den General J.N. werden gegenständlich weder in Abrede gestellt noch verharmlost. Für das erkennende Gericht ist gegenständlich auch nachvollziehbar, dass sich die jüdische Gemeinde durch eine solche Gedenktafel provoziert und beleidigt fühlen mag.
Dennoch kann gegenständlich nicht erkannt werden, dass der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat Litauen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), nämlich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen der politischen Überzeugung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure bei fehlender Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit des Staates, weder seitens des Staates Litauen noch nichtstaatlicher litauischer Akteure, hinsichtlich deren der Staat den Beschwerdeführer nicht schützen kann oder schützen will, verfolgt würde.
Der Beschwerdeführer wurde entsprechend den strafgesetzlichen Bestimmungen Litauens festgenommen und strafgerichtlich zu einer Freiheitsstrafe von 75 Tagen und einem Schadenersatz in der Höhe von etwas über EUR 2.000,00 verurteilt. Dem Beschwerdeführer wurde gegen diese Verurteilung ein Rechtsmittel nicht verweigert und hat er dieses auch erhoben. Er hat weiters eine offizielle Beschwerde wegen der von ihm kritisierten Behandlung während seiner Festnahme und Anhaltung eingebracht. Die diesbezüglichen gerichtlichen Entscheidungen liegen noch nicht vor. Im Falle der vom Beschwerdeführer behaupteten (Menschen-)Rechtsverletzungen steht ihm – wie auch das Bundesamt bereits ausgeführt hat – nach Ausschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzuges auch ein Rechtsmittel beim EGMR zur Verfügung. Eine unrechtmäßige oder willkürliche Festnahme oder Bestrafung des Beschwerdeführers aus den in der GFK genannten Gründen liegt gegenständlich nicht vor, zumal es sich weder um eine Strafbestimmung handelt, die explizit auf Angehörige der jüdischen Gemeinschaft abzielt noch eine unverhältnismäßig hohe Strafe droht. Der Umstand, dass die Errichtung des vom Beschwerdeführer zerstörten Denkmals aufgrund der Eigenschaften der geehrten Person in Österreich möglicherweise unter das Verbotsgesetz fallen würde und somit hier nicht erlaubt wäre, ist für die Beurteilung der Strafbarkeit des Verhaltens des Beschwerdeführers in Litauen nicht relevant.
Da somit im vorliegenden Fall kein Anlass für eine Beschlussfassung iSd lit. d besteht und auch die Tatbestände der lit. a bis c des Protokolls Nr. 24 nicht erfüllt sind, darf der gegenständliche Asylantrag eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union gemäß dem einzigen Artikel des genannten Protokolls nicht berücksichtigt oder zur Bearbeitung zugelassen werden.
Die belangte Behörde hat den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß Protokoll Nr. 24 über die Gewährung von Asyl für Staatsangehörige von Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zum Vertrag von Lissabon vom 13.12.2007, Amtsblatt (EG) Nr. C 306 bzw. Bundesgesetzblatt III Nr. 132/2009 zu Recht als unzulässig zurückzuweisen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden und die an sich zulässige Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Sein Vorbringen wurde der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt. Insgesamt ergibt sich aus dem gesamten Verwaltungs- und Gerichtsakt, dass im konkreten Fall die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu keiner weiteren Klärung des Sachverhalts beitragen würde. Der Sachverhalt ist im Gegenstand aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt, weshalb gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben konnte.
Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.
Schlagworte
Flughafenverfahren mangelnder Anknüpfungspunkt Mitgliedstaat Voraussetzungen Wegfall der GründeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G311.2221582.1.00Im RIS seit
06.10.2020Zuletzt aktualisiert am
06.10.2020