Entscheidungsdatum
18.06.2020Norm
BBG §40Spruch
W261 2231741-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und die Richterin Mag. Karin RETTENHABER-LAGLER sowie den fachkundigen Laienrichter Herbert PICHLER als Beisitzerin und Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 22.03.2020, betreffend die amtswegige Neufestsetzung des Gesamtgrades der Behinderung mit 30% zu Recht erkannt:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin war seit 20.09.2004 Inhaberin eines Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 50 von Hundert (v.H.).
Die Beschwerdeführerin stellte am 19.12.2019 einen Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (auch Sozialministeriumservice, in der Folge belangte Behörde) und legte ein Konvolut an medizinische Befunden bei.
Die belangte Behörde holte zur Überprüfung des Antrages ein Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie und Ärztin für Allgemeinmedizin ein. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 17.02.2020 erstatteten Gutachten vom 20.02.2020 stellte die medizinische Sachverständige bei der Beschwerdeführerin die Funktionseinschränkungen Hüfttotalendoprothese beidseits, Knietotalendoprothese beidseits, Polyarthrose der Fingergelenke, nicht insulinpflichtiger Diabetes mellitus, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Autoimmunthyreopathie Hashimoto und Bluthochdruck, und einen Gesamtgrad der Behinderung in Höhe von 30 von Hundert (in der Folge vH) fest.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 22.03.2020 legt die belangte Behörde den Gesamtgrad der Behinderung von Amts wegen mit 30 % neu fest. Die belangte Behörde legte dem Bescheid das eingeholte Sachverständigengutachten in Kopie bei.
Die belangte Behörde forderte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 11.05.2020 und vom 29.05.2020 auf, den Behindertenpass innerhalb von vier Wochen zurückzusenden.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde und brachte zusammengefasst vor, dass sie nicht nachvollziehen könne, dass sich ihr Gesundheitszustand innerhalb der letzten Jahre verbessert haben soll. Die Untersuchung habe liegend stattgefunden, ihre Probleme würden nicht im Liegen, sondern im Gehen auftreten. Treppensteigen komme für sie nicht mehr in Frage. Aus den von ihr vorgelegten Befunden vom April 2020 sei keine Besserung, sondern eine Verschlechterung herauszulesen. Drei ihrer ursprünglichen Leiden, ein dreimal operierter Bachwanddurchbruch, ein Deszensus vesicae minimale Inkontinenzproblematik und Zustand nach rezidivierender Pankreatitis und Fettleber seien nicht mehr berücksichtigt worden, und die Beschwerdeführerin ersuche, diese Leiden bei einer Neubeurteilung (wieder) zur berücksichtigen. Die Beschwerdeführerin legte der Beschwerde den genannten medizinischen Befund eines MRT der Lendenwirbelsäule vom 29.04.2020 und einen aktuellen Blutbefundbericht vom 04.03.2020 bei.
Die belangte Behörde legte den Aktenvorgang dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 08.06.2020 vor, wo dieser am selben Tag einlangte.
Das Bundesverwaltungsgericht führte am 16.06.2020 eine Abfrage im Zentralen Melderegister durch, wonach die Beschwerdeführerin österreichische Staatsbürgerin ist, und ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hat.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Beschwerdeführerin ist seit 20.09.2004 Inhaberin eines unbefristet ausgestellten Behindertenpasses.
Der verfahrensgegenständliche Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung im Behindertenpass langte am 19.12.2019 bei der belangten Behörde ein.
Die belangte Behörde führte ein Ermittlungsverfahren mit dem Ergebnis, dass der Grad der Behinderung in Höhe von 30 vH neu bewertet wurde.
Mit dem angefochtenen Bescheid legte die belangte Behörde den Gesamtgrad der Behinderung mit 30 % von Amts wegen neu fest.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen, widerspruchsfreien und unbestrittenen Inhalt des von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsaktes.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
1. Zur Entscheidung in der Sache
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten:
„§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
…
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.
§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3) oder ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.
(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.
…
§ 43 (1) Treten Änderungen ein, durch die behördliche Eintragungen im Behindertenpaß berührt werden, hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen diese zu berichtigen oder erforderlichenfalls einen neuen Behindertenpaß auszustellen. Bei Wegfall der Voraussetzungen ist der Behindertenpaß einzuziehen.
(2) Der Besitzer des Behindertenpasses ist verpflichtet, dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen binnen vier Wochen jede Änderung anzuzeigen, durch die behördliche Eintragungen im Behindertenpaß berührt werden, und über Aufforderung dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen den Behindertenpaß vorzulegen.
…
§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
§ 46 Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung der Beschwerdevorentscheidung beträgt 12 Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.“
Gegenständlich beantragte die Beschwerdeführerin die Neufestsetzung des Grades der Behinderung in ihrem unbefristet ausgestellten Behindertenpass.
Nach Einholung eines medizinischen Sachverständigenbeweises wurde mit dem angefochtenen Bescheid von Amts wegen der Gesamtgrad der Behinderung mit 30 % neu festgelegt.
In seinem Erkenntnis vom 13.12.2018, Ra 2018/11/0204, sprach der Verwaltungsgerichtshof im Zusammenhang mit einem ähnlich gelagerten Fall aus, dass ein Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung, wie sich aus § 41 Abs. 2 BBG ergibt, – innerhalb zeitlicher Schranken – zulässig ist. Im Falle einer solchen Neufestsetzung des Grades der Behinderung ist, solange der Grad der Behinderung weiterhin wenigstens 50 v.H. beträgt, gemäß § 43 Abs. 1 erster Satz BBG der Behindertenpass zu korrigieren (bzw. erforderlichenfalls ein neuer mit geänderten Eintragungen auszustellen). Demgegenüber regelt § 43 Abs. 1 zweiter Satz BBG, wie vorzugehen ist, wenn sich herausstellt, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses weggefallen sind. In einem solchen Fall „ist der Behindertenpass einzuziehen“ (vgl. etwa VwGH 29.03.2011, 2008/11/0191). Die Einziehung hat gemäß § 45 Abs. 2 BBG durch Bescheid zu erfolgen. § 43 Abs. 1 zweiter Satz BBG enthält hingegen keine Ermächtigung für einen gesonderten Ausspruch der Behörde, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht mehr vorliegen (anders als etwa § 14 Abs. 2 BEinstG) oder dass ein Grad der Behinderung von weniger als 50 v.H. besteht. Der Wegfall der Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses ist vielmehr als Vorfrage im Einziehungsverfahren zu klären. Da mithin ein eigenes Verfahren vorgesehen ist, in dem die Frage, ob weiterhin ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 v.H. vorliegt, zu beantworten ist, fehlt es auch an einer Grundlage für die Erlassung eines Feststellungsbescheides über das Nichtbestehen dieser Voraussetzung.
Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung erweist sich die amtswegige Festsetzung des Gesamtgrades der Behinderung in Höhe von 30 vH durch den angefochtenen Bescheid als rechtswidrig.
Den Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes folgend hätte die belangte Behörde – bei Ermittlung eines Grades der Behinderung von weniger als 50 vH – vielmehr amtswegig ein Einziehungsverfahren einleiten, und in der Folge gemäß § 45 Abs. 2 BBG die Einziehung des Behindertenpasses mit Bescheid aussprechen müssen.
Abschließend wird angemerkt, dass es dem Bundesverwaltungsgericht verwehrt ist, aus eigenem die Einziehung des Behindertenpasses (allenfalls nach Durchführung ergänzender Ermittlungen) zu verfügen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist „Sache“ des Berufungs- bzw. (nach Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012) Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht – ungeachtet des durch § 27 VwGVG vorgegebenen Prüfumfangs – jedenfalls nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches der vor dem Verwaltungsgericht belangten Verwaltungsbehörde gebildet hat (vgl. dazu etwa VwGH 17.12.2014, Ra 2014/03/0049; VwGH 17.12.2014, Ro 2014/03/0066; VwGH 22.01.2015, Ra 2014/06/0055; VwGH 26.03.2015, Ra 2014/07/0077; VwGH 27.04.2015, Ra 2015/11/0022, VwGH 17.02.2017, Ra 2017/11/0008).
Da der angefochtene Bescheid keinen Abspruch über die Einziehung des Behindertenpasses enthält, ist auch das Bundesverwaltungsgericht aufgrund dieser Beschränkung des Beschwerdeverfahrens, dazu nicht befugt.
Demgemäß war spruchgemäß zu entscheiden und der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit ersatzlos zu beheben.
2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung
Das Verwaltungsgericht hat gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Die Verhandlung kann gemäß § 24 Abs. VwGVG entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder
2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.
Im vorliegenden Fall stand bereits aufgrund der Aktenlage fest, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist, weshalb eine Verhandlung gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 zweiter Fall VwGVG unterbleibt.
Zu Spruchteil B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
Behindertenpass Einziehung Grad der Behinderung Neufestsetzung RechtswidrigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W261.2231741.1.00Im RIS seit
09.10.2020Zuletzt aktualisiert am
09.10.2020