TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/19 W238 2227477-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.06.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

19.06.2020

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W238 2227477-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Claudia MARIK als Vorsitzende und die Richterin Mag. Julia JERABEK sowie die fachkundige Laienrichterin Mag. Bettina PINTER als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 09.12.2019, OB XXXX , betreffend Abweisung des Antrags auf Ausstellung eines Behindertenpasses zu Recht erkannt:

A)       Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen und der Spruch des angefochtenen Bescheides mit der Maßgabe bestätigt, dass es zu lauten hat:

„Der Antrag von XXXX vom 06.09.2019 auf Ausstellung eines Behindertenpasses wird gemäß §§ 40, 41 und 45 BBG aufgrund eines festgestellten Grades der Behinderung von 40 von Hundert (40 v.H.) abgewiesen.“

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der nunmehrige Beschwerdeführer stellte am 06.09.2019 beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien (im Folgenden als belangte Behörde bezeichnet), einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses. Unter einem beantragte er die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass sowie die Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO.

2. Die belangte Behörde holte in weiterer Folge ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Orthopädie ein. In dem – auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 30.10.2019 erstatteten – Gutachten vom 05.11.2019 wurden als Ergebnis der Begutachtung die Funktionseinschränkungen den Leidenspositionen

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos.Nr.

GdB %

1

Hüftgelenke: Zustand nach Implantation einer Totalendoprothese beidseits

Auswahl dieser Position mit dem mittleren Rahmensatz, da mäßige klinische Beschwerden und mäßige radiologische Veränderungen vorliegen, jedoch nur eine geringgradige Funktionseinschränkung beidseits besteht.

02.05.08

30

2

Diabetes mellitus, nicht insulinpflichtig

Auswahl dieser Position mit dem mittleren Rahmensatz, da mit Einzelmedikation eine gute Stoffwechsellage erreicht wird.

09.02.01

20

3

Mäßige Hypertonie

Auswahl dieser Position mit dem fixen Rahmensatz, da mit einer Kombinationsmedikation eine gute Einstellung erreicht wird.

05.01.02

20

zugeordnet und nach der Einschätzungsverordnung ein Gesamtgrad der Behinderung von 30 v.H. festgestellt. Begründend wurde ausgeführt, dass Leiden 1 den Gesamtgrad der Behinderung festlege. Die Leiden 2 und 3 würden zu keiner Erhöhung des Grades der Behinderung führen, da kein wechselseitiges ungünstiges Zusammenwirken in behinderungsrelevantem funktionsbeeinträchtigendem Ausmaß vorliege. Weiters wurde festgehalten, dass die angeführten Veränderungen der Kniegelenke im Sinne einer Varusgonarthrose und das unspezifische lumbale Schmerzsyndrom nicht durch radiologische Befunde belegt seien, einer geringgradigen altersentsprechenden Abnützung entsprechen und derzeit keine relevante funktionelle Einschränkung aufweisen würden, weshalb sie keinen Grad der Behinderung erreichen würden. Es handle sich um einen Dauerzustand.

Dieses Gutachten wurde mit Schreiben der belangten Behörde vom 05.11.2019 dem Parteiengehör unterzogen.

3. Mit Schreiben vom 18.11.2019 erhob der Beschwerdeführer Einwendungen gegen das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens. Er brachte im Wesentlichen vor, dass bei ihm bereits im Jahr 1996 nach Operation der linken Hüfte eine Gesundheitsschädigung (bzw. ein Grad der Behinderung) im Ausmaß von 30 v.H. festgestellt worden sei. Im Jahr 2011 habe er eine künstliche rechte Hüfte bekommen. Er leide zudem seit Jahren an immer stärker werdenden Rückenschmerzen, sodass er die ihm zur Kenntnis gebrachte Einschätzung nicht nachvollziehen könne. Diverse Befunde seien im Zuge der Untersuchung nicht eingesehen worden.

4. Zu den Einwendungen erstattete der bereits befasste Sachverständige für Orthopädie am 04.12.2019 eine Stellungnahme. Darin führte er aus, dass die vom Beschwerdeführer angegebenen Rückenschmerzen berücksichtigt worden seien. Da durch den Einbau eines totalen Gelenksersatzes eine Besserung der klinischen Beschwerden und der Beweglichkeit des betroffenen Gelenks zu erwarten sei, könne damit bei nur geringgradiger Funktionsbeeinträchtigung keine Erhöhung des Grades der Behinderung einhergehen. Auch unter Berücksichtigung der Einwände des Beschwerdeführers und der nachgereichten Auflistung der Gesundheitsschädigungen ergebe sich keine Änderung der Einschätzung.

5. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 09.12.2019 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß §§ 40, 41 und 45 BBG abgewiesen, da der Beschwerdeführer mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 30 v.H. die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfülle. Die wesentlichen Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien dem Sachverständigengutachten zu entnehmen, das einen Bestandteil der Begründung bilde. Die im Zuge des Parteiengehörs erhobenen Einwände vermochten keine Änderung des Grades der Behinderung zu bewirken. Die Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt worden. Als Beilagen zum Bescheid wurden dem Beschwerdeführer das Gutachten vom 05.11.2019 sowie die Stellungnahme vom 04.12.2019 übermittelt.

Am Ende des Bescheides wurde angemerkt, dass über den Antrag auf Ausstellung eines Ausweises nach § 29b StVO nicht abgesprochen werde, da die grundsätzlichen Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ nicht vorliegen würden. Die Durchführung der beantragten Zusatzeintragung in den Behindertenpass sei nicht möglich, da die rechtliche Grundlage dafür, nämlich der Behindertenpass, nicht gegeben sei.

6. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde. Darin führte er im Wesentlichen aus, dass sich sein Gesundheitszustand seit der letzten Einschätzung des Bundessozialamtes im Bescheid vom 11.03.1996, in dem ein Grad der Behinderung von 30 v.H. festgestellt worden sei, nach Einbau einer weiteren künstlichen Hüfte sowie in Folge seines Wirbelsäulenleidens verschlechtert habe. Schmerzfreies Gehen sei nicht mehr möglich, sodass seine Gehleistung an guten Tagen 200 Meter betrage. Der beschriebene Gesundheitszustand habe dazu geführt, dass er sich seit 01.02.2017 in Berufsunfähigkeitspension befinde.

7. Die Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt langten am 14.01.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

8. Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes wurde in weiterer Folge eine Begutachtung des Beschwerdeführers durch eine Fachärztin für Unfallchirurgie und Ärztin für Allgemeinmedizin veranlasst. In dem – auf Basis einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 05.03.2020 erstatteten – Gutachten vom 06.03.2020 wurde auszugsweise Folgendes ausgeführt (Wiedergabe ergänzt um die zugehörigen Fragestellungen des Bundesverwaltungsgerichtes):

„STATUS:

Allgemeinzustand gut, Ernährungszustand adipös.

Größe 176 cm, Gewicht 135 kg, Alter: 63 Jahre.

Caput/Collum: klinisch unauffälliges Hör- und Sehvermögen.

Thorax: symmetrisch, elastisch Atemexkursion seitengleich, sonorer Klopfschall, VA. HAT rein, rhythmisch.

Abdomen: Bauchdecke über Thoraxniveau, klinisch unauffällig, keine pathologischen Resistenzen tastbar, kein Druckschmerz.

Integument: unauffällig.

Schultergürtel und beide obere Extremitäten:

Rechtshänder. Der Schultergürtel steht horizontal, symmetrische Muskelverhältnisse. Die Durchblutung ist ungestört, die Sensibilität wird als ungestört angegeben. Die Benützungszeichen sind seitengleich vorhanden. Sämtliche Gelenke sind bandfest und klinisch unauffällig.

Aktive Beweglichkeit: Schultern, Ellbogengelenke, Unterarmdrehung, Handgelenke, Daumen und Langfinger seitengleich frei beweglich. Grob- und Spitzgriff sind uneingeschränkt durchführbar. Der Faustschluss ist komplett, Fingerspreizen beidseits unauffällig, die grobe Kraft in etwa seitengleich, Tonus und Trophik unauffällig. Nacken- und Schürzengriff sind uneingeschränkt durchführbar.

Becken und beide untere Extremitäten:

Freies Stehen sicher möglich, Zehenballengang und Fersengang beidseits ohne Anhalten und ohne Einsinken durchführbar. Der Einbeinstand ist ohne Anhalten möglich. Die tiefe Hocke ist zur Hälfte möglich. Die Beinachse ist im Lot. Symmetrische Muskelverhältnisse. Beinlänge ident, keine Beinlängendifferenz feststellbar.

Die Durchblutung ist ungestört, geringgradige Ödeme, Pigmentverschiebung beider unterer Extremitäten, braune Pigmentierung nach distal zunehmend, trocken schuppende Haut, die Sensibilität wird im Bereich beider Fußsohlen als geringgradig herabgesetzt angegeben. Die Beschwielung ist in etwa seitengleich.

Hüftgelenk beidseits: Narbe Hüfttotalendoprothese beidseits, kein Stauchungsschmerz, kein Rotationsschmerz.

Kniegelenk beidseits: keine Umfangsvermehrung, keine Überwärmung, kein Erguss, stabil, endlagige Beugeschmerzen.

Sämtliche weiteren Gelenke sind bandfest und klinisch unauffällig.

Aktive Beweglichkeit:

Hüften S beidseits 0/110, IR/AR 15/0/30, Knie beidseits 0/0/120 (Überlagerung durch Adipositas), Sprunggelenke und Zehen sind seitengleich frei beweglich. Das Abheben der gestreckten unteren Extremität ist beidseits bis 60° bei KG 5 möglich.

Wirbelsäule:

Schultergürtel und Becken stehen horizontal, in etwa im Lot, regelrechte Krümmungsverhältnisse. Die Rückenmuskulatur ist symmetrisch ausgebildet, kein Hartspann, mäßig Druckschmerz untere LWS und paralumbal.

Aktive Beweglichkeit:

HWS: in allen Ebenen frei beweglich.

BWS/LWS: FBA: 20 cm, Rotation und Seitneigen bis 20°.

Lasegue bds. negativ, Muskeleigenreflexe: PSR beidseits negativ Kraft proximal und distal KG 5/5 beide oberen und unteren Extremitäten.

Gesamtmobilität — Gangbild:

Kommt selbständig gehend mit Halbschuhen mit 2 Walkingstöcken, das Gangbild mit Stöcken ist zügig, keine relevante Belastungsübernahme durch die Walkingstöcke beim Gehen, das Gehen im Untersuchungszimmer barfuß ohne Gehhilfe und ohne Anhalten ist unelastisch bis behäbig, etwas verlangsamt bei Adipositas. Richtungswechsel unauffällig. Das Aus- und Ankleiden wird selbständig im Sitzen durchgeführt.

Status psychicus: Allseits orientiert; Merkfähigkeit, Konzentration und Antrieb unauffällig; Stimmungslage ausgeglichen.

STELLUNGNAHME:

1. Gesonderte Einschätzung des Grades der Behinderung für jede festgestellte Gesundheitsschädigung:

1)       Hüfttotalendoprothese beidseits     02.05.08  30 %

Eine Stufe über dem unteren Rahmensatz, da beidseits geringe Einschränkung des  Bewegungsumfangs ohne Hinweis für Lockerung.

2)       Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Wirbelgleiten L5/S1, Lumboischialgie        02.01.02  30 %

Unterer Rahmensatz, da rezidivierende Beschwerden bei fortgeschrittenen radiologischen Veränderungen mit mäßigen funktionellen Einschränkungen ohne sichere Wurzelkompressionszeichen.

3)       Degenerative Veränderungen beider Kniegelenke  02.05.19  20 %

Unterer Rahmensatz, da rezidivierende Beschwerden, jedoch keine relevanten funktionellen Einschränkungen und radiologischen Veränderungen vorliegen.

4)       Chronisch venöse Insuffizienz     05.08.01  20 %     

Eine Stufe über dem unteren Rahmensatz, da geringgradige Schwellung und Pigmentverschiebung.

5)       Diabetes mellitus, nicht insulinpflichtig   09.02.01  20 %

Eine Stufe über dem unteren Rahmensatz, da mit Diät und medikamentöser Therapie ausgeglichene Stoffwechsellage, und ohne Nachweis von Folgeschäden.

6)       Mäßiger Bluthochdruck     05.01.02  20 %

Wahl dieser Position, da unter Kombinationstherapie stabil.

2. Einschätzung und Begründung des Gesamtgrades der Behinderung:

Gesamtgrad der Behinderung: 40 %

Leiden 1 wird durch Leiden 2 bis 4 um eine Stufe erhöht, da im Zusammenwirken dieser Leiden eine maßgebliche ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung mit führendem Leiden 1 besteht, da funktionell das gleiche Organsystem betreffend. Die weiteren Leiden erhöhen nicht, da keine ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung mit führendem Leiden 1 vorliegt.

3. Stellungnahme, ab wann der Gesamtgrad der Behinderung anzunehmen ist (ab Antrag – 06.09.2019? Wenn später, bitte begründen):

Der Gesamtgrad der Behinderung ist ab 5.3.2020 anzunehmen, da zum Zeitpunkt der aktuellen Begutachtung die für die Einschätzung relevanten klinischen Untersuchungsergebnisse festgestellt werden konnten.

4. Stellungnahme zu den im Verfahren vorgelegten Unterlagen und Befunden:

Abl. 1 Befund XXXX Facharzt für Orthopädie 15.12.2017 (Hüfttotalendoprothese beidseits, stabil, fortgeschrittene beidseitige Varusgonarthrose, hochgradige Arthrose LWS, Pseudolisthese L5/S1, Mehretagendiskopathie, klinisch kein radikuläres Defizit) – sämtliche aufgelisteten Diagnosen werden in der Einstufung berücksichtigt.

5. Stellungnahme zu den Einwendungen in der Beschwerde:

Im Beschwerdevorbringen des BF vom 3.1.2020, Abl. 20, wird eingewendet, dass bereits 1996 ein Grad der Behinderung von 30 % festgestellt worden sei. Seither sei auch die zweite Hüfte durch eine künstliche ersetzt worden und die Wirbelsäule habe sich verschlechtert. Er könne nicht mehr schmerzarm gehen, die Gehleistung an guten Tagen betrage 200 Meter, er sei seit 1.2.2017 in Berufsunfähigkeitspension.

Dem wird entgegengehalten, dass die Versorgung der Hüftgelenksarthrose beidseits jeweils mit Totalendoprothese zu keiner Verschlechterung des Leidenszustandes geführt hat. Insbesondere konnte kein Hinweis für eine Prothesenlockerung festgestellt werden. Das Hüftleiden beidseits mit entsprechenden geringen funktionellen Einschränkungen wurde in korrekter Höhe eingestuft.

Das Wirbelsäulenleiden wird entsprechend den rezidivierenden Beschwerden und mäßigen funktionellen Einschränkungen neu eingestuft (Neueinstufung steht in Einklang mit den bei der aktuellen Begutachtung nachgereichten radiologischen Befunden).

Eine maßgebliche Einschränkung der Gehleistung auf 10 oder 150 oder 200 Meter, wie vorgebracht, ist weder anhand des aktuellen klinischen Untersuchungsergebnisses und der vorgelegten Befunde noch anhand des festgestellten Gangbilds nachvollziehbar.

6. Stellungnahme zu allfälligen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten vom 20.12.1995:

Leiden 1 des Vorgutachtens wird nach erfolgten Operationen neu bezeichnet, keine Änderung der Höhe der Einstufung, da geringe funktionelle Einschränkung und rezidivierende Beschwerden vorliegen. Hinzukommen von Leiden 2-6.

7. Begründung einer allfälligen zum angefochtenen Sachverständigengutachten vom 5.11.2019 inkl. Stellungnahme vom 4.12.2019 abweichenden Beurteilung:

Hinzukommen von Leiden 2-4, da objektivierbar bzw. nun dokumentiert. Der Gesamtgrad der Behinderung wird um eine Stufe angehoben, da durch die neu einzustufenden Leiden eine Verschlimmerung vorliegt.

8. Stellungnahme, ob bzw. wann eine Nachuntersuchung erforderlich ist:

Eine Nachuntersuchung ist nicht erforderlich.

Im Rahmen der aktuellen Begutachtung nachgereichte Befunde:

Arztbrief XXXX Facharzt für Orthopädie 4.3.2020 (Diagnoseliste, mit 2 Walkingstöcken vorstellig, Gehstrecke auf 150 m eingeschränkt, ohne Stöcke keine Gehstrecke möglich, Beschwerdesymptomatik derzeit von der LWS ausgehend, sensibel und neurologisch derzeit keine Auffälligkeiten. Belastbarkeit stark reduziert.)

Röntgen LWS, Beckenübersicht, beide Kniegelenke 26.2.2020 (LWS: ausgedehnte Spondylarthrose LWS, Anterolisthese LWK5 gegenüber S1 um 1 cm, Verdacht auf Spondylolyse, ausgedehnte Spondylarthrose der LWS in allen lumbalen Segmenten. Tiefertreten der linken Beckenschaufel um 1,4 cm, Totalendoprothese mit gutem knöchernen Kontakt. Varusgonarthrose beidseits, links ausgedehnter als rechts, Femoropatellararthrose.)

Nachgereichte Befunde stehen in Einklang mit den aktuell getroffenen Einstufungen und untermauern diese.“

9. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24.03.2020 wurden der Beschwerdeführer und die belangte Behörde über das Ergebnis der Beweisaufnahme informiert und ihnen in Wahrung des Parteiengehörs Gelegenheit eingeräumt, binnen zwei Wochen eine Stellungnahme dazu abzugeben. Weiters wurde in diesem Zusammenhang mitgeteilt, dass das Bundesverwaltungsgericht in Aussicht nehme, über die Beschwerde ohne Abhaltung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung aufgrund der Aktenlage zu entscheiden, sofern eine mündliche Verhandlung vor Gericht nicht ausdrücklich beantragt wird.

10. Die Verfahrensparteien ließen dieses Schreiben unbeantwortet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer brachte am 06.09.2019 (u.a.) einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses ein.

Der Beschwerdeführer hat seinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.

Beim Beschwerdeführer bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

1)       Hüfttotalendoprothese beidseits mit geringer Einschränkung des Bewegungsumfangs ohne Hinweis auf eine Lockerung;

2)       Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Wirbelgleiten L5/S1 und Lumboischialgie, rezidivierende Beschwerden bei fortgeschrittenen radiologischen Veränderungen mit mäßigen funktionellen Einschränkungen ohne sichere Wurzelkompressionszeichen;

3)       Degenerative Veränderungen beider Kniegelenke mit rezidivierenden Beschwerden ohne relevante funktionelle Einschränkungen und radiologische Veränderungen;

4)       Chronisch venöse Insuffizienz mit geringgradiger Schwellung und Pigmentverschiebung;

5)       Nicht insulinpflichtiger Diabetes mellitus mit ausgeglichener Stoffwechsellage bei Diät und medikamentöser Therapie ohne Nachweis von Folgeschäden;

6)       Mäßiger und unter Kombinationstherapie stabiler Bluthochdruck.

Hinsichtlich der beim Beschwerdeführer bestehenden Funktionseinschränkungen, ihres Ausmaßes, medizinischer Einschätzung und wechselseitiger Leidensbeeinflussung werden die diesbezüglichen Beurteilungen im Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie und Ärztin für Allgemeinmedizin vom 06.03.2020 der nunmehrigen Entscheidung zugrunde gelegt.

Der Gesamtgrad der Behinderung des Beschwerdeführers beträgt seit 05.03.2020 ein Ausmaß von 40 v.H.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellung zum Zeitpunkt der Einbringung des Antrags stützt sich auf den Akteninhalt. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer seinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, ergibt sich aus dem seitens des Bundesverwaltungsgerichtes erstellten Auszug aus dem Zentralen Melderegister.

2.2. Der festgestellte Gesamtgrad der Behinderung gründet sich auf das im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeholte Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie und Ärztin für Allgemeinmedizin vom 06.03.2020. Darin wird auf die Leiden des Beschwerdeführers, deren Ausmaß und wechselseitige Leidensbeeinflussung vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen.

Einbezogen wurden von der befassten Sachverständigen die im Verfahren vorgelegten Befunde, die im Übrigen nicht in Widerspruch zur gutachterlichen Beurteilung stehen und kein höheres Funktionsdefizit dokumentieren, als anlässlich der Begutachtung festgestellt werden konnte. Im Gutachten erfolgte eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Befundlage und mit den vom Beschwerdeführer im Verfahren erhobenen Einwendungen.

Der vorliegende Sachverständigenbeweis vom 06.03.2020 wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes für schlüssig erachtet. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf dem im Rahmen einer persönlichen Untersuchung erhobenen Befund, entsprechen den festgestellten Funktionseinschränkungen (diesbezüglich wird auch auf die auszugsweise wiedergegebenen Ausführungen im Gutachten verwiesen); die Gesundheitsschädigungen wurden nach den Bestimmungen der Einschätzungsverordnung auch korrekt eingestuft.

Diesbezüglich ist im Lichte der in der nachfolgenden rechtlichen Beurteilung teilweise wiedergegebenen Anlage zur Einschätzungsverordnung festzuhalten, dass im unfallchirurgischen Sachverständigengutachten betreffend die beim Beschwerdeführer festgestellte – in Leiden 1 erfasste – Hüfttotalendoprothese beidseits zutreffend die Positionsnummer 02.05.08 unter Heranziehung eines Rahmensatzes von 30 v.H. (eine Stufe über dem unteren Rahmensatz) gewählt wurde. Berücksichtigt wurde bei der Einschätzung, dass beidseits nur eine geringe Einschränkung des Bewegungsumfangs vorliegt und keine Hinweise für eine Prothesenlockerung bestehen.

Die unter Leiden 2 berücksichtigten degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, das Wirbelgleiten L5/S1 und die Lumboischialgie wurden mit Blick auf die rezidivierenden Beschwerden, die mäßigen funktionellen Einschränkungen und das Fehlen von Wurzelkompressionszeichen korrekt der Positionsnummer 02.01.02 unter Heranziehung des unteren Rahmensatzes von 30 v.H. zugeordnet.

Hinsichtlich der in Leiden 3 erfassten degenerativen Veränderungen beider Kniegelenke wurde im Gutachten angesichts der rezidivierenden Beschwerden ohne relevante funktionelle Einschränkungen und radiologische Veränderungen zutreffend die Positionsnummer 02.05.19 mit dem unteren Rahmensatz von 20 v.H. gewählt.

Die chronisch venöse Insuffizienz wurde im Sachverständigengutachten als Leiden 4 schlüssig der Positionsnummer 05.08.01 unter Heranziehung eines Rahmensatzes von 20 v.H. (eine Stufe über dem unteren Rahmensatz) zugeordnet, da lediglich eine geringgradige Schwellung und Pigmentverschiebung bestehen.

Hinsichtlich des nicht insulinpflichtigen Diabetes mellitus wurde in Leiden 5 zutreffend Positionsnummer 09.02.01 unter Heranziehung eines Rahmensatzes von 20 v.H. (eine Stufe über dem unteren Rahmensatz) gewählt, da mit Diät und medikamentöser Therapie eine ausgeglichene Stoffwechsellage besteht und kein Nachweis für Folgeschäden gegeben ist.

Der mäßige – unter Anwendung einer Kombinationstherapie stabile – Bluthochdruck wurde in Leiden 6 erfasst und korrekt der Positionsnummer 05.01.02 unter Heranziehung des dafür vorgesehenen fixen Rahmensatzes von 20 v.H. zugeordnet.

Hinsichtlich des Gesamtgrades der Behinderung im Ausmaß von 40 v.H. wurde im Sachverständigengutachten schlüssig ausgeführt, dass Leiden 1 durch die Leiden 2 bis 4 um eine Stufe erhöht wird, da im Zusammenwirken dieser Leiden und mit Blick auf die funktionelle Betroffenheit des gleichen Organsystems eine maßgebliche ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung mit dem führenden Leiden besteht. Die übrigen Leiden bewirken mangels ungünstiger wechselseitiger Leidensbeeinflussung mit dem führenden Leiden keine weitere Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung.

Die Einwendungen im Rahmen der Beschwerde waren nicht geeignet, eine Änderung des Ermittlungsergebnisses herbeizuführen, zumal diese von der befassten Sachverständigen in ihrem Gutachten vom 06.03.2020 gehörig gewürdigt und in fachlicher Hinsicht entkräftet wurden. Auch wurden im Beschwerdeverfahren keine Befunde vorgelegt, die das Ergebnis des Gutachtens widerlegen könnten.

Der Beschwerdeführer, dem es der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zufolge freigestanden wäre, durch Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl die getroffenen Einschätzungen der Sachverständigen zu entkräften, ist dem Sachverständigengutachten vom 06.03.2020 nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten.

Er hat zu diesem Gutachten im Rahmen des Parteiengehörs auch nicht mehr Stellung genommen.

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des Sachverständigengutachtens vom 06.03.2020. Es wird in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch einen Senat unter Mitwirkung einer fachkundigen Laienrichterin ergeben sich aus §§ 6, 7 BVwGG iVm § 45 Abs. 3 und 4 BBG.

Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig. Sie ist aber nicht begründet.

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

3.2. Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten auszugsweise:

„BEHINDERTENPASS

§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.“

„§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.

(…)“

„§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

(…)“

„§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluß der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

(…)“

3.3. §§ 2 und 3 der Einschätzungsverordnung, BGBl. II 261/2010 idF BGBl. II 251/2012, sehen Folgendes vor:

„Grad der Behinderung

§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.

(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.“

„Gesamtgrad der Behinderung

§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.

Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn

-        sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,

-        zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.

(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.“

3.4. Die Anlage zur Einschätzungsverordnung, BGBl. II 261/2010 idF BGBl. II 251/2012, sieht – soweit für den Beschwerdefall relevant – auszugsweise Folgendes vor (geringfügige Formatierungsänderungen durch das Bundesverwaltungsgericht):

„02.01    Wirbelsäule

02.01.02 Funktionseinschränkungen mittleren Grades   30 – 40 %

Rezidivierende Episoden (mehrmals pro Jahr) über Wochen andauernd

maßgebliche radiologische Veränderungen

andauernder Therapiebedarf wie Heilgymnastik, physikalische Therapie, Analgetika

Beispiel: Bandscheibenvorfall ohne Wurzelreizung (pseudoradikuläre Symptomatik)

30 %: Rezidivierende Episoden (mehrmals pro Jahr) über Wochen andauernd, maßgebliche radiologische Veränderungen

andauernder Therapiebedarf wie Heilgymnastik, physikalische Therapie, Analgetika

40 %: Rezidivierend und anhaltend, Dauerschmerzen eventuell episodische Verschlechterungen, maßgebliche radiologische und/oder morphologische Veränderungen

maßgebliche Einschränkungen im Alltag und Arbeitsleben“

„02.05    Untere Extremitäten

Hüftgelenke

02.05.08  Funktionseinschränkung geringen Grades beidseitig  20 – 40 %

Streckung/Beugung bis zu 0-10-90° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit“

„02.05    Kniegelenk

02.05.19  Funktionseinschränkung geringen Grades beidseitig  20 – 30 %

Streckung/Beugung bis 0-0-90°“

„05            Herz und Kreislauf

05.01     Hypertonie

05.01.02  Mäßige Hypertonie       20 %“

„05.08  Venöses und lymphatisches System

Lymphödem nach Operationen (z.B. Mammacarcinom, Entfernung inguinaler Lymphknoten etwa wegen fortgeschrittenen Melanoms) ist im Rahmen der Grundkrankheit einzuschätzen und wirkt als erhöhender Faktor innerhalb des Rahmensatzes. Besenreiser begründen keinen GdB

05.08.01 Funktionseinschränkung leichten Grades    10 – 40 %

10 %:

Sichtbare Varizen ohne sonstige Schäden

20 %: ausgeprägte Schwellungsneigung

Lymphödem ohne wesentliche Beeinträchtigung der Gelenksbeweglichkeit

30 %: Postthrombotisches Syndrom

40 %: Narbig abgeheilte Ulcera, Stauungsekzem

Lymphödem mit geringer Beeinträchtigung der Gelenksbeweglichkeit“

„09.02    Diabetes mellitus

Eine Unterscheidung in insulinpflichtigen und nicht insulinpflichtigen Diabetes mellitus ist wegen der unterschiedlichen Handhabung notwendig. Die Insulinapplikation beeinträchtigt den Tagesablauf (insbesondere im Erwerbsleben) mehr als eine rein orale Einstellung mit Antidiabetika.

09.02.01  Nicht insulinpflichtiger Diabetes mellitus    10 – 30 %

10 %: Bei Kostbeschränkung ohne Medikation

20 – 30 %: Je nach Ausmaß der medikamentösen Therapie und des HbA1c Wertes“

3.5. Zunächst ist festzuhalten, dass der Grad der Behinderung im Beschwerdefall – wie dies auch die belangte Behörde zu Recht annahm – nach der Einschätzungsverordnung einzuschätzen war. Die Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen hat nicht im Wege der Addition der einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen zu erfolgen, sondern es ist bei Zusammentreffen mehrerer Leiden zunächst von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für welche der höchste Wert festgestellt wurde, und dann ist zu prüfen, ob und inwieweit durch das Zusammenwirken aller zu berücksichtigenden Funktionsbeeinträchtigungen eine höhere Einschätzung des Grades der Behinderung gerechtfertigt ist (vgl. den eindeutigen Wortlaut des § 3 Einschätzungsverordnung sowie die auf diese Rechtslage übertragbare Rechtsprechung, VwGH 17.07.2009, 2007/11/0088; 22.01.2013, 2011/11/0209 mwN). Bei ihrer Beurteilung hat sich die Behörde eines oder mehrerer Sachverständiger zu bedienen, wobei es dem Antragsteller freisteht, zu versuchen, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. VwGH 30.04.2014, 2011/11/0098; 21.08.2014, Ro 2014/11/0023; 20.05.2015, 2013/11/0200).

Gegenständlich wurde seitens des Bundesverwaltungsgerichtes zwecks Beurteilung des Beschwerdevorbringens ein Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie und Ärztin für Allgemeinmedizin eingeholt, das auf Basis einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers erstattet wurde und – sowohl hinsichtlich der Einschätzung der einzelnen Funktionseinschränkungen als auch hinsichtlich der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung – den von der Judikatur (sowie von der Einschätzungsverordnung) aufgestellten Anforderungen entspricht.

3.6. Wie oben unter Punkt II.2.2. eingehend ausgeführt, wird der gegenständlichen Entscheidung das schlüssige Sachverständigengutachten vom 06.03.2020 zugrunde gelegt, wonach der Grad der Behinderung des Beschwerdeführers seit 05.03.2020 (Tag der Begutachtung) ein Ausmaß von 40 v.H. beträgt. Wie ebenfalls bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt wurde, waren die Einwendungen in der Beschwerde nicht geeignet, den Sachverständigenbeweis zu entkräften, zumal das seitens des Bundesverwaltungsgerichtes eingeholte Gutachten vom Beschwerdeführer letztlich unwidersprochen blieb.

Es ist daher davon auszugehen, dass der Grad der Behinderung des Beschwerdeführers zum Entscheidungszeitpunkt – entgegen der Feststellung im angefochtenen Bescheid – 40 v.H. beträgt.

Mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 40 v.H. sind jedoch die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG, wonach behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 v.H. ein Behindertenpass auszustellen ist, weiterhin nicht erfüllt.

Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass bei einer Verschlechterung des Leidenszustandes die neuerliche Einschätzung des Grades der Behinderung nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 BBG in Betracht kommt.

3.7. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung

3.7.1. Nach § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen (§ 24 Abs. 1 VwGVG). Wurde – wie im vorliegenden Fall – kein entsprechender Antrag gestellt, ist die Frage, ob von Amts wegen eine Verhandlung durchgeführt wird, in das pflichtgemäße – und zu begründende – Ermessen des Verwaltungsgerichts gestellt, wobei die in § 24 Abs. 2, 3, 4 und 5 leg.cit. normierten Ausnahmebestimmungen als Anhaltspunkte der Ermessensübung anzusehen sind (vgl. zur insofern gleichartigen Regelungsstruktur des § 67d Abs. 1 und 2 bis 4 AVG [alte Fassung] die Darstellung bei Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 17 und 29, mwH). Gemäß Abs. 3 leg.cit. hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Gemäß Abs. 4 leg.cit. kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

3.7.2. Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde und dem im Beschwerdeverfahren eingeholten Gutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie und Ärztin für Allgemeinmedizin. Diesem – vom erkennenden Gericht als schlüssig erachteten – Gutachten ist der Beschwerdeführer nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten. Das über Veranlassung des Bundesverwaltungsgerichtes eingeholte Gutachten, das auf die Einwendungen des Beschwerdeführers in fachlicher Hinsicht eingeht, wurde im Rahmen des Parteiengehörs vielmehr unwidersprochen zur Kenntnis genommen. Die strittigen Tatsachenfragen gehören dem Bereich an, der von Sachverständigen zu beleuchten ist. All dies lässt – gerade auch vor dem Hintergrund des Umstandes, dass eine Verhandlung nicht beantragt wurde – die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

3.7.3. Ergänzend ist im Beschwerdefall aus dem Blickwinkel von Art. 6 EMRK (Art. 47 GRC) auf den Umstand hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer vom Bundesverwaltungsgericht bei Einräumung des Parteiengehörs auf die Möglichkeit hingewiesen wurde, die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu beantragen, indem ihm seitens des Verwaltungsgerichtes mitgeteilt wurde, dass – sollte er eine mündliche Verhandlung vor Gericht nicht ausdrücklich beantragen – eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung in Aussicht genommen werde. Der Beschwerdeführer hat sich daraufhin nicht mehr geäußert.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung bereits in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Zu den einen Entfall der Verhandlung nach Art. 6 EMRK rechtfertigenden Umständen gehört auch der (ausdrückliche oder schlüssige) Verzicht auf die mündliche Verhandlung. Nach der Rechtsprechung kann die Unterlassung eines Antrags auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung von der Rechtsordnung unter bestimmten Umständen als (schlüssiger) Verzicht auf eine solche gewertet werden. Zwar liegt ein solcher Verzicht dann nicht vor, wenn eine unvertretene Partei weder über die Möglichkeit einer Antragstellung belehrt wurde, noch Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie von dieser Möglichkeit hätte wissen müssen (vgl. VfSlg. 16.894/2003 und 17.121/2004; VwGH 26.04.2010, 2004/10/0024; VwGH 12.08.2010, 2008/10/0315; VwGH 30.01.2014, 2012/10/0193). Dies ist hier aber angesichts des erwähnten Umstands eines entsprechenden Hinweises an den Beschwerdeführer und der ihm explizit eingeräumten Gelegenheit zur Antragstellung nicht der Fall. Die unterbliebene Antragstellung kann vor diesem Hintergrund als schlüssiger Verzicht im Sinne der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 EMRK gewertet werden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die angewendeten Teile des Bundesbehindertengesetzes und der Einschätzungsverordnung sind – soweit im Beschwerdefall relevant – eindeutig. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W238.2227477.1.00

Im RIS seit

09.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

09.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten