TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/19 W238 2224769-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.06.2020
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Entscheidungsdatum

19.06.2020

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W238 2224769-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Claudia MARIK als Vorsitzende und die Richterin Mag. Julia JERABEK sowie die fachkundige Laienrichterin Mag. Bettina PINTER als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 02.10.2019, OB XXXX , betreffend Abweisung des Antrags auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass zu Recht erkannt:

A)       Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG in Verbindung mit § 42 Abs. 1 BBG und § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen stattgegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass dem Antrag der Beschwerdeführerin vom 18.06.2019 auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass Folge gegeben wird.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die nunmehrige Beschwerdeführerin stellte am 18.06.2019 unter Vorlage medizinischer Beweismittel einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO (Parkausweis). Folgender Hinweis ist im Antragsformular der Behörde enthalten:

„Wenn Sie noch nicht im Besitz eines Behindertenpasses mit der Zusatzeintragung ‚Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel‘ sind, gilt dieser Antrag auch als Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses bzw. auf Vornahme der Zusatzeintragung ‚Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel‘ in den Behindertenpass.“

2. Die belangte Behörde holte in weiterer Folge ein Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin ein. In dem – auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 05.08.2019 erstatteten – Sachverständigengutachten vom 02.09.2019 wurde im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

„Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand: gut

Ernährungszustand: gut

Größe: 165,00 cm  Gewicht: 69,50 kg  Blutdruck: 120/70

Klinischer Status – Fachstatus:

Aus- und Ankleiden wird selbstständig im Stehen durchgeführt.

Caput/Hals: unauffällig, keine Lippenzyanose, Sprache unauffällig, keine Halsvenenstauung, Schilddrüse schluckverschieblich.

Cor: reine Herztöne, rhythmische Herzaktion.

Pulmo: V.A., sonorer KS, Basen atemversch., keine Sprechdyspnoe, keine maßgebliche Kurzatmigkeit bei Bewegungsprüfung im Untersuchungszimmer.

Abdomen: unauffällig, weich, keine Druckpunkte, keine path. Resistenzen palp., Leber am Ribo palp., Milz n.p., Darmgeräusche normal und unauffällig, Nierenlager bds. frei.

HWS: Kopfdrehung und -seitneigung: nach rechts und links frei, Inkl. und Rekl. frei.

BWS: gerade, LWS: Rumpfdrehung und -seitneigung frei.

Extremitäten:

Obere Extremitäten:

Schultergelenk rechts: Armvorheben und Armseitheben frei, Nackengriff frei, Schürzengriff frei durchführbar.

Schultergelenk links: Beweglichkeit frei, Nackengriff durchführbar, Schürzengriff durchführbar.

Ellenbogengelenk rechts: Beugung und Streckung frei.

Ellenbogengelenk links: Beugung und Streckung frei.

Handgelenke frei beweglich.

Fingergelenke bds. frei, Daumengelenke bds. frei, Faustschluss bds. komplett durchführbar, Zangengriff bds. durchführbar, Greif- und Haltefunktion beidseits gut durchführbar.

Untere Extremitäten:

Hüftgelenk rechts: Flexion 95°, Abd. endlagig eingeschränkt und Add. altersentsprechend frei.

Hüftgelenk links: Flexion 95°, Abd. endlagig eingeschränkt und Add. altersentsprechend frei.

Kniegelenk rechts: Beugung 95° und Streckung frei, bandstabil, vergröbert.

Kniegelenk links: Beugung 100° und Streckung frei, bandstabil, blande Narbe nach Kniegelenksersatz links und Schenkelhalsfraktur links.

Sprunggelenk links: frei, Fußheben und -senken links frei durchführbar.

Sprunggelenk rechts: frei, Fußheben und -senken rechts frei durchführbar.

Zehenbeweglichkeit unauffällig, Hammerzehen dig. II und III beidseits, Hallux valgus beidseits, Hocke durchführbar, die Hände erreichen Kniegelenkshöhe, beide UE können von der Unterlage abgehoben werden, Beinpulse beidseits tastbar, Fußpulse beidseits tastbar.

Venen: unauffällig, Ödeme: keine.

Stuhl: normal, Harn: unauffällig.

Neuro:

Obere Extremitäten: Armvorhalte-Versuch unauffällig, kein Absinken der oberen Extremitäten, Finger-Nase-Versuch beidseits zielsicher, kein Tremor der oberen Extremitäten, Bradykinese rechts, geringe Tonuserhöhung der linken oberen Extremität.

Untere Extremitäten: Romberg unauffällig, Unterberger: unauffällig, keine Drehtendenz.

Gesamtmobilität – Gangbild:

Links hinkendes, etwas verlangsamtes, etwas kleinschrittigeres, mit 2 Nordic Walking Stöcken sicheres Gangbild. Der Oberkörper etwas nach vorne gebeugt. Freies Stehen möglich, Aufstehen aus sitzender und liegender Körperhaltung selbstständig möglich. Freies Gehen im Untersuchungszimmer hinkend und etwas verlangsamt, sicher möglich. Konfektionsturnschuhe werden getragen.

Status Psychicus:

Anamneseerhebung und Kommunikation unauffällig und gut möglich. Klar, wach, in allen Qualitäten orientiert. Stimmung ausgeglichen. Denkziel wird erreicht.“

Als Ergebnis der Begutachtung wurden die Funktionseinschränkungen den Leidenspositionen

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden

Pos.Nr.

GdB%

1

Morbus Parkinson

Wahl dieser Position mit dem unteren Rahmensatz, da motorische Fluktuationen dokumentiert sind bei jedoch Fehlen maßgeblicher Demenzzeichen.

04.09.02

50

2

Degenerative Veränderungen beider Kniegelenke bei Zustand nach Gelenksersatz links

Oberer Rahmensatz dieser Position, da geringgradiges Beugedefizit bei freier Streckfunktion beidseits.

02.05.19

30

3

Funktionseinschränkung beider Hüftgelenke bei Zustand nach operativ versorgter Schenkelhalsfraktur links

Unterer Rahmensatz dieser Position, da geringgradiges funktionelles Defizit beidseits.

02.05.08

20

zugeordnet und nach der Einschätzungsverordnung ein Gesamtgrad der Behinderung von 60 v.H. festgestellt. Begründend wurde ausgeführt, dass die Leiden 2 und 3 maßgebliche zusätzliche Leiden darstellen würden und das führende Leiden 1 gemeinsam um eine Stufe erhöhen würden. Es liege ein Dauerzustand vor.

Zu den Auswirkungen der festgestellten Gesundheitsschädigungen nach Art und Schwere auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wurde vom befassten Sachverständigen ausgeführt, dass im Rahmen der klinischen Untersuchung ein guter Allgemeinzustand und ein guter Ernährungszustand festgestellt worden seien. Weder würden erhebliche funktionelle Einschränkungen der Gelenke der unteren Extremitäten noch erhebliche funktionelle Einschränkungen der Wirbelsäulenfunktion oder erhebliche funktionelle Einschränkungen der Gelenke der oberen Extremitäten vorliegen. Die Greif- und Haltefunktion sei beidseits gegeben. Auch ohne Hilfsmittelverwendung stelle sich ein etwas verlangsamtes und etwas kleinschrittigeres, jedoch flüssiges und sicheres Gangbild dar. Die Verwendung von zwei Nordic-Walking-Stöcken erschwere die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht auf erhebliche Weise. Eine erheblich ausgeprägte kardiopulmonale Funktionsstörung lasse sich nicht erheben. Ein psychisches Leiden, das die sichere Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf erhebliche Weise erschwere, liege nicht vor. Die im Rahmen des Parkinsonleidens passager auftretenden Fluktuationen – eine Besserung nach Therapieumstellung sei beschrieben – erreiche kein Ausmaß, welches die sichere Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf erhebliche Weise erschwere. Das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke von 300 bis 400 Metern, das Überwinden von Niveauunterschieden, das Be- und Entsteigen und die sichere Benützung öffentlicher Verkehrsmittel seien nicht auf erhebliche Weise erschwert. Auch liege keine schwere Erkrankung des Immunsystems vor. Die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung würden derzeit daher nicht vorliegen.

3. Das Sachverständigengutachten wurde mit Schreiben der belangten Behörde vom 02.09.2019 (lediglich) im Verfahren zur Ausstellung eines Behindertenpasses dem Parteiengehör unterzogen.

4. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 04.10.2019 wurde der Beschwerdeführerin ein unbefristeter Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 60 v.H. und der Zusatzeintragung „Die Inhaberin des Passes ist Trägerin einer Prothese“ ausgestellt.

5. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 02.10.2019 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass gemäß §§ 42 und 45 BBG abgewiesen. Begründend wurde unter Bezugnahme auf das medizinische Sachverständigengutachten vom 02.09.2019 im Wesentlichen ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die begehrte Zusatzeintragung nicht vorliegen würden. Als Beilage zum Bescheid übermittelte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin erneut das Gutachten vom 02.09.2019.

6. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde. Darin führte sie aus, dass ihr die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel schwerfalle. Schon das Einsteigen bereite ihr Schwierigkeiten. Zudem könne sie nur kurze Wegstrecken bewältigen und müsse sich dann hinsetzen. Sie brauche auch lange für das Aufstehen und Weitergehen.

7. Die Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht seitens der belangten Behörde am 25.10.2019 vorgelegt.

8. Am 27.11.2019 wurde im Wege der belangten Behörde ein von der Beschwerdeführerin vorgelegter neurologischer Befundbericht vom 14.11.2019 nachgereicht.

9. Das Bundesverwaltungsgericht richtete in der Folge ein Ersuchen an den mit der Erstellung des Sachverständigengutachtens vom 02.09.2019 befassten Arzt für Allgemeinmedizin, sein Gutachten unter Berücksichtigung der anlässlich der Beschwerde erhobenen Einwendungen und des nachgereichten Befundes zu ergänzen. In dem daraufhin aufgrund der Aktenlage erstellten Gutachten vom 24.01.2020 führte der Sachverständige auszugsweise Folgendes aus (ergänzt um die Fragestellungen des Bundesverwaltungsgerichtes):

„1.) Diagnoseliste:

1.       Morbus Parkinson

2.       Degenerative Veränderungen beider Kniegelenke bei Zustand nach Gelenksersatz  links

3.       Funktionseinschränkung beider Hüftgelenke bei Zustand nach operativ versorgter  Schenkelhalsfraktur links

Bei bekanntem Morbus Parkinson ließen sich im Rahmen der am 5. August 2019 durchgeführten klinischen Untersuchung keine maßgeblichen funktionellen Einschränkungen der Gelenke der unteren Extremitäten objektivieren. Das Gangbild stellte sich links hinkend, etwas verlangsamt und etwas kleinschrittiger, jedoch bei Benützung von zwei Nordic Walking Stöcken sicher dar. Ein Aufstehen aus sitzender und liegender Körperhaltung, ebenso wie das freie Stehen war selbstständig möglich. Auch ohne Verwendung von Hilfsmitteln zeigte sich ein sicheres Gangbild. Die objektivierbaren funktionellen Einschränkungen im Rahmen der neurologischen Grunderkrankung (Morbus Parkinson) stellten sich im Rahmen der klinischen Untersuchung bei Fehlen einer erheblichen Gangbildstörung sowie Fehlen erheblicher motorischer Defizite als insgesamt mittelgradig dar und erreichen kein Ausmaß, welches die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf erhebliche Weise erschwert.

Bei degenerativen Veränderungen beider Kniegelenke mit Zustand nach Gelenksersatz links konnten im Rahmen der klinischen Untersuchung an beiden Kniegelenken ein geringgradiges Defizit der Beugung bei unauffälliger Streckfunktion objektiviert werden. Insgesamt stellte sich eine geringgradige funktionelle Einschränkung der Kniegelenke dar, welche die sichere Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht auf erhebliche Weise erschwert.

Bei Zustand nach operativ versorgter Schenkelhalsfraktur links ließen sich im Rahmen der klinischen Untersuchung am 5. August 2019 insgesamt geringgradige funktionelle Einschränkungen an beiden Hüftgelenken objektivieren. Die vorliegenden Funktionsstörungen der Hüftgelenke erschweren die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht auf erhebliche Weise.

2.) Liegen erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten vor?

Im Rahmen der klinischen Untersuchung am 5. August 2019 ließen sich keine erheblichen funktionellen Einschränkungen der unteren Extremitäten objektivieren. An beiden Hüftgelenken konnten geringgradige Funktionseinschränkungen objektiviert werden. An beiden Kniegelenken konnten geringgradige funktionelle Einschränkungen erhoben werden. Maßgebliche Funktionseinschränkungen an den Sprunggelenken bzw. den Zehen lagen nicht vor.

3.) Liegen erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit vor?

Im Rahmen der klinischen Untersuchung am 5. August 2019 ließen sich keine erheblichen Einschränkungen der Herzfunktion bzw. der Lungenfunktion erheben. Im Rahmen der klinischen Untersuchung ließen sich eine auskultatorisch unauffällige Herzfunktion sowie eine unauffällige Lungenfunktion bei gutem Allgemein- und gutem Ernährungszustand objektivieren. Maßgebliche Dekompensationszeichen lagen nicht vor. Eine erhebliche Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit ließ sich nicht objektivieren und liegt nicht vor.

4.) Liegen erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten/Funktionen vor?

Im Rahmen der klinischen Untersuchung am 5. August 2019 ließen sich keine erheblichen und andauernden Einschränkungen neurologischer Funktionen erheben. So ließ sich ein auch ohne Hilfsmittelverwendung etwas verlangsamtes und etwas kleinschrittigeres, jedoch flüssiges und sicheres Gangbild erheben. Bei Verwendung von zwei Nordic Walking-Stücken war das Gangbild ausreichend sicher. Im Rahmen der Parkinson-Erkrankung ließen sich keine erheblichen neurologischen Defizite, insbesondere an den oberen und unteren Extremitäten erheben.

Erhebliche Einschränkungen psychischer oder intellektueller Fähigkeiten sind nicht dokumentiert und liegen nicht vor.

5.) Liegt eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems vor?

Eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems liegt nicht vor.

6.) Liegt eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit vor?

Eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit liegt nicht vor.

7.) Im Ergänzungsgutachten möge zu den im Rahmen der Beschwerde erhobenen Einwendungen Stellung genommen werden. Bedingen diese eine abweichende Beurteilung der bisherigen Einschätzung betreffend die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel?

Laut vorliegendem Beschwerdeschreiben der BF … könne sie nur kurze Strecken gehen und müsse sich hinsetzen. Sie benötige länger Zeit beim Aufstehen und Weitergehen, das Aufstehen sei erschwert. Zudem könne sie nicht weitergehen, da der Fuß ‚stoppe‘ und sie dadurch nicht in öffentliche Verkehrsmittel einsteigen könne.

Im Rahmen der am 5. August 2019 durchgeführten klinischen Untersuchung ließen sich keine erheblichen Funktionsstörungen infolge des Parkinson-Syndroms bzw. erheblichen neurologischen Defizite objektivieren. Auch ohne Hilfsmittelverwendung ließ sich ein sicheres und flüssiges Gangbild erheben. Erhebliche neurologische Defizite an den unteren bzw. den oberen Extremitäten ließen sich auch unter Berücksichtigung der Funktionseinschränkungen beider Kniegelenke und beider Hüftgelenke nicht objektivieren. Die in der Beschwerde erhobenen Einwendungen bedingen keine abweichende Beurteilung der Einschätzung laut Sachverständigengutachten vom 02.09.2019 betreffend die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel.

8.) Bitte um Stellungnahme über die konkrete Fähigkeit der Beschwerdeführerin zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel und zwar unter Berücksichtigung:

- der hiebei zurückzulegenden größeren Entfernungen (ca. 300 bis 400 Meter ohne fremde Hilfe),

- der Zugangsmöglichkeit sowie der Ein- und Aussteigemöglichkeit,

- der zu überwindenden Niveauunterschiede bei Aus- und Einsteigen,

- der Schwierigkeiten beim Stehen,

- der Schwierigkeiten bei der Sitzplatzsuche,

- der Schwierigkeiten bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt – Bestehen ausreichende Stand- und Gangsicherheit sowie ausreichende Kraft zum Anhalten?

- Welche Schmerzen sind allenfalls mit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel verbunden? Sind diese zumutbar?

- Welche Hilfsmittel sind behinderungsbedingt erforderlich und wie wirkt sich deren Verwendung auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aus?

Bei Beachtung der Neuerungsbeschränkung ist – unter Berücksichtigung der im Rahmen der klinischen Untersuchung am 5. August 2019 objektivierbaren funktionellen Einschränkungen bei Parkinson-Syndrom und degenerativen Veränderungen der Hüft- und Kniegelenke – die konkrete Fähigkeit der BF zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht auf erhebliche Weise erschwert. Das Zurücklegen größerer Entfernungen (von ca. 300-400 m ohne fremde Hilfe), die Zugangsmöglichkeit sowie die Ein- und Aussteigemöglichkeit, ebenso wie das Überwinden von Niveauunterschieden beim Aus- und Einsteigen sind unter Berücksichtigung der am 5. August 2019 durchgeführten klinischen Untersuchung nicht auf erhebliche Weise erschwert. Auch bestehen keine erheblichen Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche sowie bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt. Eine ausreichende Stand- und Gangsicherheit ist gegeben. Zudem besteht eine ausreichende Kraft zum Anhalten. Eine maßgebliche Schmerzsymptomatik, welche mit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel verbunden ist, liegt nicht vor (im Rahmen der Anamneseerhebung wurde keine Schmerzsymptomatik berichtet). Im Rahmen der klinischen Untersuchung zeigte sich bei Benützung von zwei Nordic Walking Stöcken ein sicheres Gangbild. Auch ohne Hilfsmittelbenützung zeigt sich ein sicherer Gang. Die Verwendung von Nordic Walking Stöcken erschwert die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht auf erhebliche Weise.

9.) Feststellung, ob bzw. wann eine Nachuntersuchung erforderlich ist.

Eine Nachuntersuchung ist nicht erforderlich.

10.) Die Beschwerdevorlage an das Bundesverwaltungsgericht erfolgte am 25.10.2019. Es wird ersucht, allfällige neue Funktionseinschränkungen, die erst nach dem 25.10.2019 entstanden sind, getrennt auszuweisen und anzumerken, falls solche neuen Leiden eine veränderte Einschätzung hinsichtlich der begehrten Zusatzeintragung ergeben würden.

Per E-Mail durch das BVwG am 27. November 2019 vorgelegt wird ein ärztlicher Befundbericht des Nervenfacharztes XXXX vom 14. November 2019. Dieser beschreibt ein idiopathisches Parkinson-Syndrom im fortgeschrittenen Krankheitsstadium mit hochgradiger Gangstörung bei ‚freezing‘-Episoden. Auch komme es in diesen ohne Vorankündigung auftretenden ‚off-Phasen‘ und ‚freezing‘-Phasen zu einer hochgradigen Sturzgefahr. Im Rahmen der klinischen Untersuchung durch den behandelnden Nervenfacharzt am 14. November 2019 ist dokumentiert, dass die BF für eine Strecke von 3 Metern 50 Sekunden benötige. Der aktuell vorgelegte nervenärztliche Befundbericht vom 14. November 2019 dokumentiert somit aktuell eine erhebliche Einschränkung der neurologischen Funktionen mit erheblicher Gangbildstörung sowie Sturzgefahr.

Der neu vorgelegte nervenärztliche Befundbericht vom 14. November 2019 würde zu einer abweichenden Beurteilung der bisherigen Einschätzung betreffend die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel führen, da sich im Vergleich zum Vorbefund sowie zur klinischen Untersuchung vom 5. August 2019 eine Verschlechterung des Parkinson-Syndroms objektivieren lässt. Insgesamt wäre – aufgrund der im aktuellen Befundbericht vom 14. November 2019 bestehenden Funktionseinschränkungen – die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf erhebliche Weise erschwert, sodass sich eine geänderte Einschätzung ergeben würde und die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung ‚Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel‘ vorliegen würden.“

10. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.01.2020 wurden die Beschwerdeführerin und die belangte Behörde über das Ergebnis der Beweisaufnahme informiert und ihnen in Wahrung des Parteiengehörs die Gelegenheit eingeräumt, dazu binnen zwei Wochen eine Stellungnahme abzugeben. Weiters wurde in diesem Zusammenhang mitgeteilt, dass das Bundesverwaltungsgericht in Aussicht nehme, über die Beschwerde ohne Abhaltung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung aufgrund der Aktenlage zu entscheiden, sofern eine mündliche Verhandlung vor Gericht nicht ausdrücklich beantragt wird.

11. Mit Eingabe vom 13.02.2020 beantragte die Beschwerdeführerin die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Am 18.06.2019 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO, der von der belangten Behörde auch als Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses und auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass gewertet wurde (vgl. zum entsprechenden Hinweis im Antragsformular Punkt I.1.).

Der Beschwerdeführerin wurde am 04.10.2019 ein unbefristeter Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 60 v.H. und der Zusatzeintragung „Die Inhaberin des Passes ist Trägerin einer Prothese“ ausgestellt.

Bei der Beschwerdeführerin bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

1)       Idiopathisches Parkinson-Syndrom im fortgeschrittenen Krankheitsstadium mit „off-Phasen“ und „freezing-Episoden“ sowie hochgradiger Gangstörung und hochgradiger Sturzgefahr;

2)       Degenerative Veränderungen beider Kniegelenke mit geringgradigen funktionellen Einschränkungen an beiden Kniegelenken bei Zustand nach Gelenksersatz links, geringgradiges Defizit der Beugung bei unauffälliger Streckfunktion;

3)       Funktionseinschränkung beider Hüftgelenke bei Zustand nach operativ versorgter Schenkelhalsfraktur links, geringgradige funktionelle Einschränkungen an beiden Hüftgelenken.

Hinsichtlich der bei der Beschwerdeführerin festgestellten Gesundheitsschädigungen, ihrer Art und Schwere sowie ihrer Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel werden die – in einer Zusammenschau schlüssigen – Beurteilungen im Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 02.09.2019, insbesondere in dessen Ergänzungsgutachten vom 24.01.2020 zugrunde gelegt.

Die Parkinsonerkrankung der Beschwerdeführerin hat sich seit der letzten Begutachtung am 05.08.2019 maßgeblich verschlechtert. Bei der Beschwerdeführerin liegen nun erhebliche Einschränkungen neurologischer Funktionen vor. Sie leidet an einem idiopathischen Parkinson-Syndrom im fortgeschrittenen Krankheitsstadium mit „off-Phasen“ und „freezing-Episoden“. Damit gehen eine hochgradige Gangstörung und eine hochgradige Sturzgefahr einher.

Das Erreichen öffentlicher Verkehrsmittel, das Be- und Entsteigen, das Überwinden von Niveauunterschieden und die Fortbewegung in fahrenden öffentlichen Verkehrsmitteln sind der Beschwerdeführerin nicht mehr möglich. Der sichere Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln ist nicht gewährleistet.

Aufgrund der festgestellten Funktionseinschränkungen kann der Beschwerdeführerin die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung aus medizinischer Sicht nicht zugemutet werden.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zur Einbringung und Wertung des Anbringens der Beschwerdeführerin sowie zur Ausstellung eines Behindertenpasses ergeben sich aus dem Akteninhalt.

2.2. Die Feststellungen zum Vorliegen erheblicher – die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel bewirkender – Funktionseinschränkungen gründen sich auf die in einer Zusammenschau schlüssigen Beurteilungen im Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 02.09.2019, insbesondere in dessen Ergänzungsgutachten vom 24.01.2020.

Im Lichte des nachgereichten neurologischen Befundberichts vom 14.11.2019 wurde – im Vergleich zur letzten Begutachtung – eine erhebliche Verschlechterung der bei der Beschwerdeführerin bestehenden Parkinsonerkrankung objektiviert. Die Erkrankung ist nunmehr fortgeschritten und bewirkt eine hochgradige Gangstörung und Sturzgefahr. Seitens des befassten Sachverständigen wurde im Ergänzungsgutachten schlüssig ausgeführt, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel angesichts der im neurologischen Befundbericht vom 14.11.2019 dokumentierten Funktionseinschränkungen auf erhebliche Weise erschwert ist.

Der eingeholte Sachverständigenbeweis wurde der belangten Behörde und der Beschwerdeführerin unter Einräumung einer Frist zur Äußerung übermittelt. Keine der Parteien hat Einwände dagegen erhoben.

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des ergänzenden – hinsichtlich Art und Ausmaß der festgestellten Gesundheitsschädigungen auf dem Gutachten vom 02.09.2019 aufbauenden – Sachverständigengutachtens vom 24.01.2020. Dieses wird in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch einen Senat unter Mitwirkung einer fachkundigen Laienrichterin ergeben sich aus §§ 6, 7 BVwGG iVm § 45 Abs. 3 und 4 BBG.

3.2. Zur Wertung des Anbringens vom 18.06.2019

Im vorliegenden Fall wurde die Eingabe der Beschwerdeführerin vom 18.06.2019 auf Ausstellung eines Parkausweises nach § 29b StVO von der belangten Behörde auch als Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses und auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass gewertet. Dazu ist zunächst auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen.

Demnach ist bei der Beurteilung von Parteienanbringen grundsätzlich das erkennbare oder zu erschließende Ziel des Parteischrittes maßgebend und es kommt darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszweckes und der vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss, wobei Parteienerklärungen im Zweifel nicht so auszulegen sind, dass ein von vornherein aussichtsloses Rechtsschutzbegehren unterstellt wird (VwGH 24.07.2008, 2008/07/0060 mwH).

Dabei sind Parteienerklärungen im Zweifel so auszulegen, dass die sie abgebende Partei nicht um ihren Rechtsschutz gebracht wird (VwGH 19.05.1994, 92/07/0070), und es ist der Behörde nicht gestattet, einem unklaren Antrag von vornherein einen für den Antragsteller ungünstigen Inhalt zu unterstellen (VwGH 16.12.1992, 89/12/0146). In einem solchen Fall hat die Behörde vielmehr von Amts wegen den wahren Willen der Partei und damit den Gegenstand des Anbringens von Amts wegen zu ermitteln und klarzustellen (VwGH 27.07.1994, 90/10/0046).

Im vorliegenden Fall wurde von der Beschwerdeführerin am 18.06.2019 ein Antrag auf Ausstellung eines Parkausweises gemäß § 29b StVO eingebracht.

Dieses Anbringen wurde von der belangten Behörde – wie sich zweifelsfrei aus der nachfolgenden Ausstellung eines Behindertenpasses und aus dem angefochtenen Bescheid ergibt – auch als Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses mit der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass gewertet. Im Übrigen findet sich diesbezüglich im Antragsformular ein ausdrücklicher Hinweis (vgl. dazu Punkt I.1.).

Nach Ansicht des erkennenden Gerichtes wurde die Beurteilung des Parteienanbringens seitens der belangten Behörde schon deshalb in nachvollziehbarer Weise vorgenommen, weil die Beschwerdeführerin mit ihrer Eingabe erkennbar das Ziel verfolgt hat, letztlich in den Genuss der Berechtigungen nach § 29b Abs. 2 bis 4 StVO zu kommen. Angesichts des Umstandes, dass dies ausschließlich Inhabern eines Behindertenpasses nach dem Bundesbehindertengesetz möglich ist, die bereits über die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ verfügen, wurde das Anbringen seitens der belangten Behörde im Lichte einer rechtsschutzfreundlichen und für das Ziel der Beschwerdeführerin günstigen Weise ausgelegt.

Die Beschwerdeführerin ist der Wertung ihres Anbringens – ausweislich des Verwaltungsaktes – weder im vorangegangenen Verwaltungsverfahren noch im Rahmen der Beschwerde entgegengetreten.

Die Behörde konnte daher zu Recht davon ausgehen, dass das Anbringen der Beschwerdeführerin vom 18.06.2019 auf die Ausstellung eines Behindertenpasses mit der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ und letztlich auf die Ausstellung eines Parkausweises nach § 29b StVO gerichtet war.

Zu A) Stattgebung der Beschwerde:

3.3. Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten auszugsweise:

„§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

(…)“

„§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluß der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

(…)“

„§ 47. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpaß und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen.“

3.4.1. Die in Ausübung der Ermächtigung des § 47 BBG erlassene Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013, ist am 01.01.2014 in Kraft getreten und wurde mit 22.09.2016, BGBl. II Nr. 263/2016, novelliert. § 1 dieser Verordnung lautet auszugsweise:

„§ 1. …

(4) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:

3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

-        erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten

-        erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

-        erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

-        eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

-        eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach Abs. 4 Z 1 lit. b oder d

vorliegen.

(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

…“

3.4.2. In den Erläuterungen zur Stammfassung der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen wird hinsichtlich der hier maßgeblichen Bestimmung des § 1 Abs. 4 Z 3 (vormals: § 1 Abs. 2 Z 3) – soweit im gegenständlichen Fall relevant – insbesondere Folgendes ausgeführt:

„Zu § 1 Abs. 2 Z 3:

Mit der vorliegenden Verordnung sollen präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt.

Die Voraussetzung des vollendeten 36. Lebensmonats wurde deshalb gewählt, da im Durchschnitt auch ein nicht behindertes Kind vor dem vollendeten 3. Lebensjahr im Zusammenhang mit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel Wegstrecken nicht ohne Begleitung selbständig gehen kann.

Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Menschen mit Behinderung sind therapeutische Möglichkeiten zu berücksichtigen. Therapierefraktion – das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen – ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des Hausarztes/der Hausärztin ist nicht ausreichend.

Durch die Verwendung des Begriffes ‚dauerhafte Mobilitätseinschränkung‘ hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.

Nachfolgende Beispiele und medizinische Erläuterungen sollen besonders häufige, typische Fälle veranschaulichen und richtungsgebend für die ärztlichen Sachverständigen bei der einheitlichen Beurteilung seltener, untypischer ähnlich gelagerter Sachverhalte sein. Davon abweichende Einzelfälle sind denkbar und werden von den Sachverständigen bei der Beurteilung entsprechend zu begründen sein.

Die Begriffe ‚erheblich‘ und ‚schwer‘ werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleich bedeutend.

Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen.

Zusätzlich vorliegende Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensationsmöglichkeiten sind zu berücksichtigen. Eine erhebliche Funktionseinschränkung wird in der Regel ab einer Beinverkürzung von 8 cm vorliegen.

Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:

- arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option

- Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen

- hochgradige Rechtsherzinsuffizienz

- Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie

- COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie

- Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie

- mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss nachweislich benützt werden

Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen umfassen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel folgende Krankheitsbilder:

- Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr,

- hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten,

- schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen,

- nachweislich therapierefraktäres, schweres, cerebrales Anfallsleiden – Begleitperson ist erforderlich.

Eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems, die eine Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wegen signifikanter Infektanfälligkeit einschränkt, liegt vor bei:

- anlagebedingten, schweren Erkrankungen des Immunsystems (SCID – sever combined immundeficiency),

- schweren, hämatologischen Erkrankungen mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit (z.B: akute Leukämie bei Kindern im 2. Halbjahr der Behandlungsphase, Nachuntersuchung nach Ende der Therapie),

- fortgeschrittenen Infektionskrankheiten mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit,

- selten auftretenden chronischen Abstoßungsreaktionen nach Nierentransplantationen, die zu zusätzlichem Immunglobulinverlust führen.

Bei Chemo- und/oder Strahlentherapien im Rahmen der Behandlung onkologischer Erkrankungen kommt es im Zuge des zyklenhaften Therapieverlaufes zu tageweisem Absinken der Abwehrkraft. Eine anhaltende Funktionseinschränkung resultiert daraus nicht.

Anzumerken ist noch, dass in dieser kurzen Phase die Patienten in einem stark reduzierten Allgemeinzustand sind und im Bedarfsfall ein Krankentransport indiziert ist.

Bei allen frisch transplantierten Patienten kommt es nach einer anfänglichen Akutphase mit hochdosierter Immunsuppression, nach etwa 3 Monaten zu einer Reduktion auf eine Dauermedikation, die keinen wesentlichen Einfluss auf die Abwehrkräfte bei üblicher Exposition im öffentlichen Raum hat.

…“

3.5.1. Nach der (noch zur Rechtslage nach der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen, BGBl. 86/1991, ergangenen) ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Behörde, um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aufgrund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung“ regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; VwGH 20.04.2004, 2003/11/0078 [= VwSlg. 16.340 A/2004]; VwGH 01.06.2005, 2003/10/0108; VwGH 29.06.2006, 2006/10/0050; VwGH 18.12.2006, 2006/11/0211; VwGH 17.11.2009, 2006/11/0178; VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142; VwGH 23.05.2012, 2008/11/0128; VwGH 17.06.2013, 2010/11/0021; VwGH 27.05.2014, Ro 2014/11/0013; 27.01.2015, 2012/11/0186; 01.03.2016, Ro 2014/11/0024, je mwN).

Ein solches Sachverständigengutachten muss sich mit der Frage befassen, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321 [= VwSlg. 15.577 A/2001]). Dabei ist auf die konkrete Fähigkeit des Beschwerdeführers zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel einzugehen, dies unter Berücksichtigung der hiebei zurückzulegenden größeren Entfernungen, der zu überwindenden Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, der Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt etc. (VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; VwGH 14.05.2009, 2007/11/0080).

Dabei kommt es entscheidend auf die Art und die Schwere der dauernden Gesundheitsschädigung und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel im Allgemeinen an, nicht aber auf andere Umstände, die die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aus sonstigen, von der Gesundheitsbeeinträchtigung unabhängigen Gründen erschweren, wie etwa die Entfernung des Wohnorts des Beschwerdeführers vom nächstgelegenen Bahnhof (vgl. VwGH 22.10.2002, 2001/11/0258 und VwGH 27.05.2014, Ro 2014/11/0013).

3.5.2. Diese (zur Rechtslage vor Erlassung der Verordnung BGBl. II Nr. 495/2013 idF BGBl. II Nr. 263/2016 ergangene) Rechtsprechung ist zur Beurteilung der Voraussetzungen der Zusatzeintragung nach § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen unverändert von Bedeutung. Dies folgt bereits daraus, dass die zitierte Verordnungsbestimmung jene rechtlich relevanten Gesichtspunkte der Benützung eines Verkehrsmittels, auf die die bisherige Rechtsprechung abstellt (Zugangsmöglichkeit, Ein- und Aussteigemöglichkeit, Stehen, Sitzplatzsuche etc.), nicht modifiziert oder beseitigt hat, sondern weiterhin auf den Begriff der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel abstellt und lediglich ergänzend regelt, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen „insbesondere“ als solche in Betracht kommen, die die Unzumutbarkeit nach sich ziehen können.

3.6. Zur behördlichen Unterlassung des Parteiengehörs und zur Anwendung der Neuerungsbeschränkung des § 46 BBG:

3.6.1. Im vorliegenden Fall wurde das Sachverständigengutachten vom 02.09.2019 seitens der belangten Behörde zwar dem Parteiengehör unterzogen, dies jedoch ausdrücklich nur im Hinblick auf das von ihr geführte Passverfahren, nicht auch bezüglich des – von der Behörde ebenfalls durchgeführten – Verfahrens zur Vornahme der begehrten Zusatzeintragung.

Zwar ist die Unterlassung des Parteiengehörs dann, wenn die dem Parteiengehör zuzuführenden Informationen im Bescheid (oder als Beilage dazu) mitgeteilt werden, im Regelfall saniert, weil der Beschwerdeführer die Möglichkeit hat, sich im Rahmen des Beschwerdeverfahrens zu diesen Ermittlungsergebnissen zu äußern (z.B. VwSlg. 13.692 A/1992; VwGH 30.01.1995, 93/07/0112 mwN; zum VwGVG s. VwGH 29.01.2015, Ra 2014/07/0102; VwGH 26.02.2015, Ra 2015/07/0005; 10.09.2015, Ra 2015/09/0056, Dworak, Die Heilung der Verletzung des Parteiengehörs im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, ZVG 2015, 314). Dies ändert jedoch nichts daran, dass diese Vorgangsweise gesetzwidrig ist.

3.6.2. Mit der Novelle BGBl. I 57/2015 hat der Gesetzgeber für Verfahren nach dem Bundesbehindertengesetz (§ 46 BBG) ein – eingeschränktes – Neuerungsverbot eingeführt, das in den Gesetzesmaterialien als „Neuerungsbeschränkung“ bezeichnet wird. Nach dem im Beschwerdefall anwendbaren § 46 dritter Satz BBG dürfen in Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.

Die Einführung der Neuerungsbeschränkung erfolgte mit der gleichen Gesetzesnovelle, mit der auch eine (vom VwGVG abweichende) Verlängerung der dem Sozialministeriumservice eingeräumten Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung festgelegt wurde. Aus den parlamentarischen Materialien folgt, dass der Gesetzgeber zwischen der Schaffung großzügigerer Möglichkeiten der Erlassung von Beschwerdevorentscheidungen einerseits und der Beschränkung neuer Tatsachen und Beweise im verwaltungsgerichtlichen Verfahren einen unmittelbaren Zusammenhang („im Gegenzug“) gesehen hat. Die Regierungsvorlage erläutert dies wie folgt (527 BlgNR 25. GP, 4-5):

„In der Praxis hat sich gezeigt, dass neu vorgelegte medizinische Befunde und die oftmals erforderliche Beiziehung von neuen Sachverständigen häufig einen zeitnahen Abschluss der Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wesentlich erschweren. Es soll daher die derzeit für Beschwerdevorentscheidungen vorgesehene zweimonatige Entscheidungsfrist auf zwölf Wochen verlängert werden. Hierdurch bleibt es einerseits Menschen mit Behinderung unbenommen, im Verfahren vor dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen bzw. in einer allfälligen Beschwerde gegen einen Bescheid alle Tatsachen und Beweismittel vorzubringen. Außerdem wird es dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen ermöglicht in erster Instanz eine fundierte Entscheidung zu treffen, sodass die Menschen mit Behinderung durch eine gesamt zu erwartende kürzere Verfahrensdauer schneller zu ihrem Recht kommen. Im Gegenzug soll eine auf das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht begrenzte Neuerungsbeschränkung geschaffen werden. ..."

Im Gesetzeswortlaut („in Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht“) kommt zum Ausdruck, dass die Neuerungsbeschränkung nicht für das Beschwerdeverfahren als Ganzes (d.h. einschließlich des behördlichen Beschwerdevorverfahrens), sondern erst ab dem Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (somit ab Vorlage an das Bundesverwaltungsgericht und somit nicht bereits im behördlichen Beschwerdevorverfahren) gelten soll. Neuerungen, die bereits in der Beschwerde vorgebracht werden, sind daher von vornherein nicht von der Beschränkung erfasst und können (müssen) auch vom Bundesverwaltungsgericht noch berücksichtigt werden. Besonders klar kommt die entsprechende Gesetzesintention im Ausschussbericht (564 BlgNR 25. GP) zum Ausdruck, wo es heißt:

„Der Ausschuss für Arbeit und Soziales stellt dazu fest, dass dieses Neuerungsverbot nur unmittelbar für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht, nicht jedoch für die Beschwerdevorentscheidung gilt. Weiters geht der Ausschuss davon aus, dass das Sozialministeriumsservice die Möglichkeit der Beschwerdevorentscheidung einschließlich einer allfälligen Beweisergänzung im Sinne einer sozialen Rechtsanwendung und der Verfahrensökonomie nutzen wird, auf jeden Fall jedoch bei Vorbringen neuer Tatsachen oder Beweismittel in der Beschwerde eine Beschwerdevorentscheidung zu ergehen hat.“

3.6.3. Eine weitere Einschränkung des Neuerungsverbots ergibt sich aus dem Wesen des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes und dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. zu dem Ganzen betreffend § 19 Abs. 1 BEinstG z.B. BVwG 26.01.2016, I402 2115648-1/10E): Unterlässt es die Behörde, ein vollständiges Verfahren zu führen, darf das Neuerungsverbot nicht so verstanden werden, dass es auch diesbezüglich den Weg der gebotenen Bereinigung des Mangels mittels ergänzender Ermittlungen des Verwaltungsgerichtes versperrt. Der Verfassungsgerichtshof ging bei der Beurteilung der Verfassungskonformität eines Neuerungsverbots im Berufungsverfahren von folgenden Überlegungen aus (VfSlg. 17.340/2004 zur AsylG-Novelle 2003, BGBl. I 101/2003): „Nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofs erfordert das Rechtsstaatsprinzip, dass ein Verfahren in der Weise gestaltet sein muss, dass es gewährleistet, letztlich zu einem rechtlich richtigen Ergebnis zu führen. Dabei kann die Verfassungsmäßigkeit von Beschränkungen im Rechtsmittelverfahren nicht rein abstrakt für alle denkbaren Fälle beurteilt werden. Beschränkungen, die bloß dazu führen, die Parteien zu einer Mitwirkung an der raschen Sachverhaltsermittlung zu verhalten, stehen im Allgemeinen der Effektivität des Rechtsschutzes nicht entgegen. Es liegt schließlich in der Hand der Parteien selbst, effektiv am Verfahren mitzuwirken und ihr Vorbringen ehestens umfangreich und rechtzeitig zu erstatten, um Rechtsnachteile zu vermeiden. Voraussetzung ist aber die Gewähr, dass die Partei im Verfahren tatsächlich eine solche Möglichkeit effektiv wahrnehmen kann.“ Daraus folgt, dass eine Auslegung der Neuerungsbeschränkung in der Weise geboten ist, dass im Verfahren der Verwaltungsbehörde unterlaufene Verfahrensmängel vom Verwaltungsgericht jedenfalls ohne Rücksicht auf die Neuerungsbeschränkung korrigiert werden können (müssen).

3.6.4. Mangelhaft war das Verfahren der belangten Behörde im vorliegenden Fall schon deshalb, weil sie der Beschwerdeführerin zu dem von ihr eingeholten eingeholten Gutachten vor Erlassung des angefochtenen Bescheides kein Parteiengehör gewährt hat, wobei die Einräumung von Parteiengehör in einem anderen Verfahren daran nichts ändert.

Mit der Erstellung des im verwaltungsgerichtlichen Verfahren eingeholten Ergänzungsgutachtens und der Einräumung von Parteiengehör dazu ist der Mangel des behördlichen Verfahrens behoben. Der von der Beschwerdeführerin nachgereichte Befund vom 14.11.2019, der ausschlaggebend für die geänderte Einschätzung war, war noch zu berücksichtigen, weil er erst im Zuge der Erstellung dieses Gutachtens eingeflossen ist.

Hingegen würde ein nach diesem Zeitpunkt erstattetes Vorbringen von neuen Tatsachen ebenso wie die Vorlage neuer Beweismittel dem Neuerungsverbot unterfallen, was im Ergebnis dem Zweck dieser Regelung, wie er in der Regierungsvorlage skizziert wurde, entsprechen dürfte. Beschwerdeführer haben jedoch die Möglichkeit, allenfalls neue Befunde oä. – sollten sie daraus ein anderes Verfahrensergebnis ableiten wollen – im Wege eines neuen Antrags bei der belangten Behörde geltend zu machen.

3.7. Wie oben unter Punkt II.2.2. eingehend ausgeführt wurde, wird der gegenständlichen Entscheidung das ergänzende Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 24.01.2020 zugrunde gelegt, welches hinsichtlich Art und Ausmaß der festgestellten Leidenszustände auf das Gutachten vom 02.09.2019 aufbaut. Unter Berücksichtigung der gutachterlichen medizinischen Beurteilung ist der Beschwerdeführerin zum Entscheidungszeitpunkt – angesichts der bei ihr festgestellten fortgeschrittenen Parkinsonerkrankung – die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar.

Der Beschwerde war daher stattzugeben.

Die belangte Behörde hat die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass der Beschwerdeführerin vorzunehmen und in weiterer Folge dem – bislang offenbar unerledigt gebliebenen – Antrag der Beschwerdeführerin auf Ausstellung eines Parkausweises stattzugeben.

3.8. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung

Nach § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen (§ 24 Abs. 1 VwGVG). Wurde kein entsprechender Antrag gestellt, ist die Frage, ob von Amts wegen eine Verhandlung durchgeführt wird, in das pflichtgemäße – und zu begründende – Ermessen des Verwaltungsgerichts gestellt, wobei die in § 24 Abs. 2, 3, 4 und 5 leg.cit. normierten Ausnahmebestimmungen als Anhaltspunkte der Ermessensübung anzusehen sind (vgl. zur insofern gleichartigen Regelungsstruktur des § 67d Abs. 1 und 2 bis 4 AVG [alte Fassung] die Darstellung bei Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 17 und 29, mwH). Gemäß Abs. 3 leg.cit. hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Gemäß Abs. 4 leg.cit. kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde sowie aus einer Zusammenschau der im Verfahren eingeholten – vom erkennenden Gericht als schlüssig erachteten – Gutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin, insbesondere aus dessen Ergänzungsgutachten, das von den Verfahrensparteien im Rahmen des Parteiengehörs unwidersprochen zur Kenntnis genommen wurde. Vor dem Hintergrund dieses schlüssigen, von den Verfahrensparteien letztlich nicht mehr bestrittenen Sachverständigenbeweises ist der entscheidungsrelevante Sachverhalt als geklärt anzusehen, sodass im Sinne der Judikatur des EGMR und des Verwaltungsgerichtshofes eine mündliche Verhandlung – trotz deren Beantragung – nicht geboten war. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 GRC stehen dem Absehen von ei

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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