Entscheidungsdatum
23.06.2020Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
W189 1436063-5/2E
W189 2219742-2/2E
W189 2219743-2/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. RIEPL als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) XXXX , geboren am XXXX (BF1), 2.) XXXX , geb. XXXX (BF2), gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , und 3.) XXXX , geb. XXXX (BF3), gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , alle StA. Russische Föderation, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.04.2020, 1.) Zl. XXXX , 2.) ZI. XXXX und 3.) ZI. XXXX zu Recht:
A)
Den Beschwerden wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG iVm § 88 Abs. 2a FPG stattgegeben und die bekämpften Bescheide behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1. Der BF1, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, stellte nach illegaler Einreise in Österreich am 05.02.2013 den ersten Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid vollinhaltlich abgewiesen und mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.09.2016, Zl. XXXX , rechtskräftig mit 14.10.2016, bestätigt wurde.
2. Der BF1 stellte am 16.11.2017 einen Folgeantrag auf internationalen Schutz.
Der BF2 wurde am XXXX im Bundesgebiet nachgeboren und stellte seine gesetzliche Vertreterin für ihn am 02.03.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Die BF3 wurde am XXXX im Bundesgebiet nachgeboren und stellte ihre gesetzliche Vertreterin für sie am 09.04.2018 einen Antrag auch internationalen Schutz.
3. Mit Bescheiden des BFA wurden die Anträge der BF1-BF3 gemäß § 3 Abs. 1 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Den BF1-BF3 wurde gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der BF1-BF3 gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde innerhalb des Spruches ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der BF1-BF3 gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).
4. Die dagegen erhobenen Beschwerden vom 24.05.2019, wurden mit Erkenntnis vom 09.12.2019, GZ XXXX und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm Abs. 2 AsylG 2005 abgewiesen, ihnen wurde jedoch insoweit stattgegeben, als dem BF1, dem BF2 und der BF3 gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 und 4 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde.
Dem Erkenntnis ist im Wesentlichen zu entnehmen, dass der BF1 im Bundesgebiet an vier Demonstrationen gegen die Regierung in Tschetschenien sowie auch gegen Putin teilgenommen habe. Diese seien nach den Feststellungen jedoch nicht nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung gewesen. Der BF1 sei auch auf Videos und Fotos, welche die Demonstrationen festhalten würden, deutlich zu sehen, weshalb in Verbindung mit den Länderberichten nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden könne, dass ihm in der Russischen Föderation Verfolgung drohe. Nach den Ausführungen in der rechtlichen Beurteilung könne die exilpolitische Tätigkeit des BF1 einen Nachfluchtgrund bilden. Nach Ansicht des erkennenden Gerichts sei mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der BF1 im Falle einer Rückkehr nach Tschetschenien der Gefahr einer Verfolgung aus (unterstellten) politischen Gründen ausgesetzt sei. Eine innerstaatliche Fluchtalternative sei nicht gegeben, weil sich die Demonstrationen auch gegen Putin gerichtet hätten. Nach § 3 Abs. 2 AsylG werde im Falle eines Folgeantrags der Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf selbstgeschaffenen Umständen beruhen würden, die nicht Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung seien. Da es dem BF1 nicht gelungen sei den Missbrauchsverdacht auszuräumen, sei die Gewährung von Asyl gemäß § 3 Abs. 2 AsylG nicht in Frage gekommen, weshalb dem BF1 subsidiärer Schutz gewährt worden sei. Dem BF2 und der BF3 wurde der Status der subsidiär Schutzberechtigten vom BF1 abgeleitet.
5. Der BF1 stellte gegenständlichen Antrag auf Ausstellung eines Fremdenpasses für subsidiär Schutzberechtigte am 28.01.2020. Er gab an, weder einen österreichischen Fremden- oder Konventionsreisepass zu besitzen, noch einen ausländischen Reisepass. In einem Beibrief wies er darauf hin, dass ihm aufgrund seiner exilpolitischen Aktivität folglich politische bzw. staatliche Verfolgung wegen seiner regimekritischen Aktivitäten drohe. Diese führte als Nachfluchtgrund gemäß § 3 Abs. 2 AsylG nicht zur Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, doch sei seine Situation wie die eines Asylberechtigten zu sehen, weshalb er nicht in der Lage sei, bei der Botschaft seines Herkunftsstaates, durch den ihm Verfolgung drohe, einen Reisepass zu beantragen. Deshalb könne auch keine schriftliche Bestätigung der Botschaft über die Nichtmöglichkeit der Erlangung eines Reisepasses erbracht werden.
Für den BF2 und die BF3 erfolgte die Antragstellung am 28.01.2020 durch ihre gesetzliche Vertreterin.
6. Am 07.02.2020 ging dem BF1 die Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme zu, in der ihm mitgeteilt wurde, dass das BFA beabsichtige, seinen Antrag abzuweisen und räumte ihm dazu eine 2-wöchige Stellungnahmefrist ein.
7. Mit Stellungnahme vom 27.02.2020 wurde für die BF1-BF3 zusammenfassend ausgeführt, dass dem BF1 landesweit staatliche Verfolgung drohe, die jedoch zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten geführt habe, weshalb es ihm nicht zumutbar sei, sich zur Erlangung eines Reisedokuments an die russische Botschaft zu wenden. Er sei nach § 88 Abs. 2a FPG nicht in der Lage ein gültiges Reisedokument seines Heimatstaates zu beschaffen, weshalb seinem Antrag vom 28.01.2020 stattzugeben sei.
8. Mit Bescheiden des BFA vom 03.04.2020, wurden die Anträge der BF1-BF3 auf Ausstellung eines Fremdenpasses gemäß § 88 Abs. 2a FPG abgewiesen.
Die belangte Behörde führte dazu im Wesentlichen aus, dass nicht festgestellt werden konnte, dass dem BF1 in der Russischen Föderation, konkret in Tschetschenien, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine an asylrelevanten Merkmalen anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität – oder eine sonstige Verfolgung maßgeblicher Intensität – in der Vergangenheit gedroht habe bzw. aktuell drohe. Aus Sicht des Bundesamtes sei die Vorsprache bei der russischen Botschaft in Wien zumutbar. Der BF1 habe keinen schriftlichen Nachweis erbracht, dass er kein Reisedokument seines Herkunftsstaates erlangen könne. Nach Ansicht der Behörde sei die Ausstellung des Fremdenpasses im privaten Interesse des BF1 und sei er im Besitz eines nationalen Führerscheins.
9. Am 14.05.2020 wurde mit für alle Beschwerdeführer gleichlautendem Schriftsatz das Rechtsmittel der Beschwerde erhoben und darin zusammenfassend vorgebracht, dass die Annahme der Behörde, die BF1-BF3 seien in der Lage sich einen Reisepass ihres Herkunftsstaates zu beschaffen, weil ihre Vorsprache bei der russischen Botschaft zumutbar sei, nicht zutreffe. Die Annahme beruhe auf groben Mängeln in der Beweiswürdigung und Begründung. Der BF1 habe darauf hingewiesen, dass ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten deshalb zuerkannt wurde, weil ihm politische Verfolgung in seinem Herkunftsstaat drohe. Das gehe aus dem Erkenntnis des BVwG vom 09.12.2019 hervor. Dass dies nicht zur Gewährung des Status des Asylberechtigten geführt habe, sei allein darauf zurückzuführen, dass das BVwG nicht geglaubt habe, dass die exilpolitische Aktivität, die Grund für die Verfolgung sei, auf einer bereits bestehenden politischen Überzeugung beruhe. Das ändere jedoch nichts daran, dass ihm dennoch Verfolgung drohe. An keiner Stelle des Bescheides sei ausgeführt, wie die belangte Behörde dennoch zu ihrer abweichenden Feststellung komme. Bei korrekter Würdigung hätte die Behörde zum Schluss kommen müssen, dass dem BF1 ein Vorsprechen nicht zumutbar sei, weshalb ihren Anträgen stattzugeben gewesen wäre.
10. Die Beschwerdevorlage vom 20.05.2020 und die Verwaltungsakte langten beim Bundesverwaltungsgericht am 22.05.2020 elektronisch ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
Bei den Beschwerdeführen handelt es sich um Staatsangehörige der Russischen Föderation. Die Identitäten der BF1-BF3 stehen fest.
Der BF1 befindet sich seit Jänner 2013 in Österreich. BF2 und BF3 befinden sich seit deren Geburt im Februar 2018 und im März 2019 in Österreich. Sie sind die gemeinsamen Kinder des BF1 und seiner mit ihm, nach traditionellem muslimischen Recht, verheirateten Frau.
Der BF1 wurde am 24.06.2015 vom LG St. Pölten, GZ XXXX , zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 5 Monaten wegen § 288 Abs. 4 StGB verurteilt. Der Verurteilung lag zugrunde, dass er vor der Kriminalpolizei falsch ausgesagt hat, indem er im Zusammenhang mit seiner Reisebewegung verschwiegen hat, einen Auslandsreisepass zu besitzen.
Mit Erkenntnis vom 09.12.2019, GZ XXXX und XXXX wurden die Beschwerden der BF1-BF3 gegen die abweisenden Bescheide des BFA gemäß § 3 Abs. 1 iVm Abs. 2 AsylG 2005 abgewiesen, ihnen wurde jedoch insoweit stattgegeben, als dem BF1, dem BF2 und der BF3 gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 und 4 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde. Diesbezüglich wird auf die rechtlichen Erwägungen verwiesen und ist dem Folgendes (kursiv) zu entnehmen:
„3.1.4. Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an (vgl. jüngst etwa VwGH 30.09.2015, Ra 2015/19/0066). Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der BF bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher BF im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, dass sie im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. des VwG) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 13.12.2016, Ro 2016/20/0005); die entfernte Gefahr einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).
3.1.5. Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr iSd Genfer Flüchtlingskonvention. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (vgl. VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).
3.1.6. Umgelegt auf den konkreten Fall folgt daraus, dass – wie bereits in der Beweiswürdigung ausführlich dargelegt wurde – dass das Vorbringen des BF1, soweit er sich auf seine bereits im ersten Asylverfahren als nicht glaubwürdig erachteten Fluchtgründe bezog, über keinen glaubhaften Kern verfügt. Darüber hinaus sind diese Gründe bereits von der Rechtskraft der Entscheidung über den ersten Antrag auf internationalen Schutz umfasst, sodass insoweit zudem entschiedene Sache vorliegt.
Neu ist hingegen das Vorbringen über die exilpolitische Tätigkeit des BF1, die einen asylrelevanten Nachfluchtgrund bilden kann (vgl. noch zum AsylG 1997: VwGH 14.01.2003, 2001/01/0398; VwGH 19.01.2016, Ra 2015/01/0070; zu den Nachfluchtgründen auch Art. 5 der RL 2011/95/EU (in der Folge: StatusRL)). Demnach kommt es bei der Beurteilung der Gefährdungssituation darauf an, ob der Asylwerber infolge seiner exilpolitischen Betätigung in das Blickfeld der für die Staatssicherheit zuständigen Behörden seines Herkunftsstaates geraten konnte. Zur Beantwortung dieser Frage sind zwei Gesichtspunkt zu berücksichtigen: Einerseits, ob der Asylwerber auffällig regimekritisch in Erscheinung getreten ist, andererseits, ob er aus der Sicht der Behörden des Herkunftsstaates als Gefahr für das Regime eingeschätzt werden konnte.
Nach Ansicht des erkennenden Gerichts ist aufgrund der vorgebrachten Teilnahme des BF1 an mehreren Demonstrationen in Zusammenschau mit den Länderberichten und insbesondere auch den Aussagen von Kadyrov über Demonstrationsteilnehmer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der BF1 im Falle einer Rückkehr nach Tschetschenien der Gefahr einer Verfolgung aus (unterstellten) politischen Gründen ausgesetzt ist. Auch ist die notwendige Intensität der Verfolgung aufgrund der Lage in Tschetschenien indiziert.
Zwar verfügt der BF1 über Verwandte in anderen Teilen der Russischen Föderation, jedoch ist eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht gegeben, da den Länderberichten zu entnehmen ist, dass die tschetschenischen Sicherheitsbehörden jedenfalls dann auch in anderen Teilen Russlands aktiv werden können, wenn eine entsprechende Unterstützung der föderalen oder lokalen Behörden vorhanden ist. Dies ist gegenständlich anzunehmen, da sich die Demonstrationen, an denen der BF1 teilnahm, nicht nur allein gegen Kadyrov, sondern auch eindeutig gegen Putin richteten.
Im Hinblick auf § 3 Abs. 2 AsylG ist jedoch – wie ebenso ausführlich gewürdigt – nicht hervorgekommen, dass es sich bei der nach Abschluss des ersten Asylverfahrens aufgenommenen Teilnahme des BF1 an den Demonstrationen in Österreich um Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestandenen Überzeugung handelt. Dies auch deshalb nicht, da das Vorbringen im ersten Asylverfahren, als ehemaliger Widerstandskämpfer verfolgt worden zu sein, als unglaubwürdig erachtet wurde (ebenso: BVwG 20.09.2016, W117 1425941-3).
Gemäß § 3 Abs. 2 zweiter Satz AsylG wird im Falle eines Folgeantrags in der Regel der Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf derartigen selbstgeschaffenen Umständen beruht, die nicht Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind. Damit wurde Art. 5 Abs. 3 StatusRL umgesetzt, wonach die Mitgliedstaaten unbeschadet der Genfer Flüchtlingskonvention festlegen können, dass ein Antragsteller, der einen Folgeantrag stellt, in der Regel nicht als Flüchtling anerkannt wird, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Antragsteller nach Verlassen des Herkunftslandes selbst geschaffen hat.
Im Entwurf der Europäischen Kommission zur StatusRL wird dazu folgendes festgehalten: „Dieser Absatz betrifft außerdem die Problematik des Missbrauchs in Sur-place-Fällen. Die Tatsache, dass die Furcht davor, Verfolgung oder einen sonstigen ernsthaften Schaden zu erleiden, durch eigenes Zutun erzeugt wurde, bedeutet nicht unbedingt, dass sie unbegründet ist, d. h., sie kann unter Umständen einen internationalen Schutz rechtfertigen. Lässt sich jedoch mit hinreichender Sicherheit nachweisen, dass der Betreffende seit Verlassen des Herkunftslandes nur deshalb mit bestimmten Aktivitäten begonnen hat, weil er die erforderlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung eines internationalen Schutzstatus schaffen wollte, können die Mitgliedstaaten davon ausgehen, dass diese Aktivitäten in der Regel die Gewährung eines solchen Schutzes nicht begründen, und die Glaubwürdigkeit des Antragstellers berechtigterweise in Zweifel zu ziehen ist. Allerdings sollten die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass die zuständigen Behörden Antragsteller als schutzbedürftig anerkennen, wenn mit hinreichender Sicherheit davon auszugehen ist, dass die Behörden des Herkunftslandes Kenntnis von den in diesem Absatz erwähnten Aktivitäten erlangen und sie als Hinweis für eine konträre politische oder sonstige abweichende Meinung oder Verhaltensweise betrachten, sodass Anlass zu begründeter Furcht besteht, Verfolgung oder einen ernsthaften nicht gerechtfertigten Schaden erleiden zu müssen.“ (KOM/2001/0510 endg. – CNS/2001/0207, Amtsblatt Nr. 051 E vom 26.02.2002, S. 0325 – 0334)
In der englischen Version dieses Entwurfs wird das in der deutschen Fassung enthaltene Wort „schutzbedürftig“ mit „in need of international protection“ wiedergegeben, d.h. internationalen Schutzes bedürftig, wobei sowohl iSd des § 2 Z 13 AsylG wie auch des Art. 2 lit. a StatusRL der Begriff „internationaler Schutz“ sowohl den Status des Asylberechtigten als auch den Status des subsidiär Schutzberechtigten umfasst.
Damit übereinstimmend wird die in der StatusRL enthaltene Wortfolge „unbeschadet der Genfer Flüchtlingskonvention“ so zu interpretieren sein, dass in den von der Ausnahmebestimmung erfassten Fällen zumindest das Refoulement-Verbot des Art. 33 Genfer Flüchtlingskonvention zu beachten sein wird (Feßl/Holzschuster, Kommentar Asylgesetz 2005, S. 100).
In Deutschland hat sich das Bundesverwaltungsgericht auf Basis einer vergleichbaren Rechtslage bereits ausführlich mit gleichgelagerten Fällen beschäftigt und ist zum Ergebnis gekommen, dass eine Flüchtlingsanerkennung nur dann in Betracht kommt, wenn der Antragsteller zur Widerlegung dieser Vermutung (vgl. § 3 Abs 2 zweiter Satz AsylG: „in der Regel“) gute Gründe anführen kann, warum er seine Aktivitäten nach Abschluss des vorangegangenen Verfahrens ausgeweitet bzw. begonnen hat (BVwerG 18.12.2008, 10 C 27.07 (OVG 11 LB 75/06); BVwergG 24.09.2009, 10 C 25.08 und 10 C 26.08).
Im Ergebnis bleibt somit die Anwendung des § 3 Abs. 2 zweiter Satz AsylG auf Fälle beschränkt, die eine risikolose Verfolgungsprovokation durch Schaffung subjektiver Nachfluchtgründe nach Abschluss des Asylverfahrens darstellen und damit regelmäßig unter Missbrauchsverdacht stehen. Der Antragsteller (bzw. Beschwerdeführer) hat zur Widerlegung der Regelvermutung gute Gründe geltend und glaubhaft zu machen, die den Missbrauchsverdacht ausräumen. Gelingt ihm dies nicht, ist allerdings die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ausgeschlossen und es bleibt lediglich die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten, wenn eine Verfolgungsgefahr dennoch nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann (vgl. AsylGH 24.02.2010, E1 219.563-2/2009).“
Demnach könnte die exilpolitische Tätigkeit des BF1, nämlich die Teilnahme an regime- und regierungskritischen Demonstrationen, die sich sowohl gegen Kadyrov, als auch gegen Putin richteten – weshalb eine innerstaatliche Fluchtalternative ausschied, einen Nachfluchtgrund bilden. Der Entscheidung zufolge war mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der BF1 im Falle einer Rückkehr nach Tschetschenien der Gefahr einer Verfolgung aus (unterstellten) politischen Gründen ausgesetzt ist. Da nach § 3 Abs. 2 AsylG im Falle eines Folgeantrags der Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt wird, wenn die Verfolgungsgefahr auf selbstgeschaffenen Umständen beruht, die nicht Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung ist und eine solche betreffend den BF1 nicht glaubhaft war, wurde ihm gemäß § 3 Abs. 2 AsylG nicht der Status des Asylberechtigten, sondern der Status des subsidiärer Schutzberechtigten zuerkannt.
Dem BF2 und der BF3 kam im Familienverfahren abgeleitet von ihrem Vater, dem BF1, der Status der subsidiär Schutzberechtigten zu.
Dem BF1 ist die Vorsprache bei der Botschaft der Russischen Föderation aufgrund seiner exilpolitischen Tätigkeit daher nicht zumutbar. Es bestehen keine zwingenden Gründe der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung gegen die Ausstellung eines Fremdenpasses.
2. Beweiswürdigung
Der gesamte Verfahrensgang sowie die Feststellungen zu Staatsbürgerschaft, Identität und Aufenthalt der Beschwerdeführer im Bundesgebiet ergeben sich aus dem Verwaltungsakt (insbesondere einem IFA-Auszug) und den Vorverfahren, insbesondere zu W189 1436063-4, W189 2219742-1, W189 2219743-1.
Dass der BF strafrechtlich verurteilt wurde, ergibt sich aus dem Akteninhalt und einem Strafregisterauszug.
Die Feststellungen bezüglich des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts, beruhen auf der zitierten Entscheidung.
Dass zwingenden Gründe der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung gegen die Ausstellung eines Fremdenpasses sprechen, sind im gesamten Verfahren nicht hervorgekommen.
Zu A)
1. Zuständigkeit, Entscheidung durch Einzelrichter:
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.
2. Anzuwendendes Verfahrensrecht
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss. Gemäß Abs. 3 sind auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes § 29 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 4 und § 30 sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z2).
3. Zur Entscheidungsbegründung:
§ 88 des Bundesgesetzes über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG), BGBl. I Nr. 100/2005, in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013, lautet:
"Ausstellung von Fremdenpässen
§ 88. (1) Fremdenpässe können, sofern dies im Hinblick auf die Person des Betroffenen im Interesse der Republik gelegen ist, auf Antrag ausgestellt werden für
1. Staatenlose oder Personen ungeklärter Staatsangehörigkeit, die kein gültiges Reisedokument besitzen;
2. ausländische Staatsangehörige, die über ein unbefristetes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verfügen und nicht in der Lage sind, sich ein gültiges Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen;
3. ausländische Staatsangehörige, die nicht in der Lage sind, sich ein gültiges Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen und bei denen im Übrigen die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt - EU" (§ 45 NAG) gegeben sind;
4. ausländische Staatsangehörige, die nicht in der Lage sind, sich das für die Auswanderung aus dem Bundesgebiet erforderliche Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen oder
5. ausländische Staatsangehörige, die seit mindestens vier Jahren ununterbrochen ihren Hauptwohnsitz im Bundesgebiet haben, sofern der zuständige Bundesminister oder die Landesregierung bestätigt, dass die Ausstellung des Fremdenpasses wegen der vom Fremden erbrachten oder zu erwartenden Leistungen im Interesse des Bundes oder des Landes liegt.
(2) Fremdenpässe können auf Antrag weiters ausgestellt werden für Staatenlose, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, oder Personen ungeklärter Staatsangehörigkeit, die kein gültiges Reisedokument besitzen und sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten.
(2a) Fremdenpässe sind Fremden, denen in Österreich der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukommt und die nicht in der Lage sind, sich ein gültiges Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen, auf Antrag auszustellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.
(3) Die Gestaltung der Fremdenpässe wird entsprechend den für solche Reisedokumente international üblichen Anforderungen durch Verordnung des Bundesministers für Inneres bestimmt. Im Übrigen hat die Verordnung den für Reisepässe geltenden Regelungen des Passgesetzes 1992, BGBl. Nr. 839, zu entsprechen.
(4) Hinsichtlich der weiteren Verfahrensbestimmungen über die Ausstellung eines Fremdenpasses, der Bestimmungen über die Verarbeitung und Löschung von personenbezogenen Daten und der weiteren Bestimmungen über den Dienstleister gelten die Bestimmungen des Passgesetzes entsprechend."
Aus den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (2144 BlgNR XXIV. GP) geht zu Abs. 2 und Abs. 2a des § 88 FPG Folgendes hervor:
"Die Statusrichtlinie sieht die Angleichung der Rechte von Asylberechtigten und subsidiär Schutzberechtigten, unter anderem in Bezug auf den Anspruch auf Ausstellung von Reisedokumenten durch den schutzgewährenden Mitgliedstaat, vor. Art. 25 Abs. 2 Statusrichtlinie sieht diesbezüglich vor, dass subsidiär Schutzberechtigten, die keine Reisedokumente ihres Herkunftsstaates erhalten können, durch den schutzgewährenden Mitgliedstaat Reisedokumente auszustellen sind, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen. Diese Richtlinienbestimmung wird durch § 88 Abs. 2a umgesetzt, indem subsidiär Schutzberechtigten nunmehr ein Rechtsanspruch auf Ausstellung eines Fremdenpasses eingeräumt wird, der nur aus Gründen der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung beschränkt werden kann. Humanitäre Gründe für die Anwesenheit in einem anderen Staat sind nicht mehr erforderlich."
Subsidiär Schutzberechtigte sind dann nicht in der Lage, sich ein Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen, wenn dessen Vertretungsbehörde die Ausstellung verweigert. Mit der Ausstellung eines Fremdenpasses an den Betroffenen übernimmt Österreich die völkerrechtliche Rücknahmeverpflichtung. Die "zwingenden Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung" müssen sich auf die den Betroffenen mit dem Fremdenpass eröffnete Reisefreiheit beziehen (Szymanski in Schrefler-König/Szymanski, Fremdenpolizei- und Asylrecht § 88 FPG 2005 [Stand 01.01.2015, rdb.at] Anm 2).
Das in § 88 Abs. 2a normierte Erfordernis, dass der Fremde nicht in der Lage ist, sich ein Reisedokument seines Herkunftsstaates zu beschaffen, ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Ausstellung eines Fremdenpasses einen massiven Eingriff in die Hoheitsrechte des Herkunftsstaates bedeutet, weshalb dem Gesetz die Prämisse zugrunde liegt, dass Fremde sich zuerst an ihre Heimatvertretung hinsichtlich der Ausstellung eines Reisedokumentes wenden müssen. Dem Fremden muss es konkret (tatsächlich) möglich sein, ein Reisedokument seines Herkunftsstaates zu erlangen. Dies ist jedenfalls dann nicht möglich, wenn dem Antragsteller die Ausstellung eines Reisedokumentes seitens der Vertretungsbehörde tatsächlich verweigert wird (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht (2016), § 88 FPG K 8 und 9).
Konkret wurde den BF1-BF3 gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte bis zum 09.12.2020 erteilt. Wie festgestellt, ist es dem BF1 nicht zumutbar und ist er daher nicht in der Lage, sich ein Reisedokument seines Herkunftsstaates zu beschaffen, weil er vielmehr einen Nachfluchtgrund gesetzt hat, der jedoch rein rechtlich nicht zur Gewährung des Status des Asylberechtigten, sondern des subsidiär Schutzberechtigten führte. Ihm war nur deshalb der Status des Asylberechtigten nicht zuzuerkennen, weil für das erkennende Gericht nicht glaubhaft war, dass die exilpolitische Tätigkeit des BF1 Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung war. Dennoch hat er sich öffentlichkeitswirksam für Dritte erkennbar an Demonstrationen gegen Kadyrov und Putin beteiligt, weshalb auch eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht in Frage kam und die Gefahr einer Verfolgung aus (unterstellten) politischen Gründen im Falle einer Rückkehr daher als wahrscheinlich angesehen wurde.
Nach Ansicht des erkennenden Gerichts ist es dem BF1 daher, ebenso wie einem Asylberechtigten, nicht zumutbar, sich aufgrund der drohenden Verfolgung durch seinen Herkunftsstaat, in die Botschaft der Russischen Föderation zu begeben. Dass ihm rechtlich lediglich der Status eines subsidiär Schutzberechtigten aufgrund der fehlenden Glaubhaftigkeit einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung, zuerkannt wurde, vermag am Vorliegen von Verfolgungsgefahr nichts zu ändern. Im Ergebnis ist es dem BF1 daher nach Ansicht des erkennenden Gerichts nicht zumutbar (und ist BF1 nicht in der Lage) sich in die russische Vertretungsbehörde zu begeben bzw. mit der russischen Vertretungsbehörde Kontakt aufzunehmen, um sich ein gültiges Reisedokument seines Heimatstaates zu beschaffen. Aufgrund des abgeleiteten Status der subsidiär Schutzberechtigten, gilt das ebenso für die minderjährigen BF2 und BF3.
Grundsätzlich kann ein Fremdenpass nur ausgestellt werden, wenn die Identität des Fremden feststeht. In Fällen, in denen ein Identitätsdokument ohne Verschulden des Fremden nicht erlangbar ist, muss dieses Erfordernis aber an die tatsächlichen Gegebenheiten angepasst und somit als relativiert zu gelten haben, wenn insgesamt von der Glaubwürdigkeit des Betreffenden auszugehen ist (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht (2016), § 88 FPG K 10). Die belangte Behörde und das Bundesverwaltungsgericht sind im asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren von der Identität und der Staatsangehörigkeit der Russischen Föderation der BF1-BF3 ausgegangen.
Von der belangten Behörde wurden zum Entscheidungszeitpunkt keine zwingenden Gründe der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung festgestellt, die gegen die Ausstellung eines Reisedokumentes sprechen würden. Solche sind auch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht hervorgekommen, zumal die Verurteilung des BF1 wegen § 288 Abs. 4 StGB keine solche Gründe darstellen, die die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung in Bezug auf die Reisefreiheit des BF1 gefährden würden. Die unmündigen minderjährigen BF2 und BF3 sind nicht deliktsfähig, weshalb ihrerseits ebenso keine zwingenden Gründe der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung der Ausstellung eines Reisedokumentes widersprechen.
Somit liegen die Voraussetzungen des § 88 Abs. 2a FPG vor und es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erschien, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben. Es haben sich aufgrund der Angaben in der Beschwerde in Zusammenschau mit den vorliegenden Verfahrensunterlagen auf Sachverhaltsebene keine Fragen ergeben, die mit dem BF1 im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zu erörtern wären, und hat das Bundesverwaltungsgericht schließlich lediglich Rechtsfragen anders beurteilt als die belangte Behörde.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B) Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil es an entsprechender Rechtsprechung fehlt. Im vorliegenden Fall ist die Revision hinsichtlich der Frage zulässig, ob es einem Beschwerdeführer dann zumutbar, und dieser somit in der Lage ist, sich bei der Botschaft ein gültiges Reisedokument seines Heimatstaates zu beschaffen, als er zwar einen Nachfluchtgrund gesetzt, ihm aber rechtlich gemäß § 3 Abs. 2 AsylG lediglich der Status des subsidiär Schutzberechtigten zugekommen ist.
Es ist somit spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung Nachfluchtgründe Reisedokument Revision zulässig Voraussetzungen Wegfall der GründeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W189.1436063.5.00Im RIS seit
09.10.2020Zuletzt aktualisiert am
09.10.2020