TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/23 W171 2227065-5

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.06.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

23.06.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W171 2227065-5/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor Morawetz, MBA als Einzelrichter im am 15.06.2020 amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Zahl XXXX , über die weitere Anhaltung von XXXX , geb. XXXX , Russische Föderation, vertreten durch RA Dr. Wolfgang Blaschitz, in Schubhaft zu Recht erkannt:

A)

Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge als BF bezeichnet), ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, reiste im Jahr 2005 mit seinen Eltern in das Bundesgebiet ein. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge auch als BFA oder Behörde bezeichnet) vom 25.01.2018 wurde dem Beschwerdeführer der 2009 verliehene Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt und mit einer Rückkehrentscheidung in den Herkunftsstaat verbunden. Eine dagegen eingebrachte Beschwerde wurde seitens des Bundesverwaltungsgerichts mit Beschluss vom 04.05.2018 als verspätet zurückgewiesen.

2. Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 14.02.2018 wurde der (bereits vorbestrafte) Beschwerdeführer gemäß §§ 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 1 1. Fall StGB, §§ 15, 83 Abs. 1 StGB sowie § 50 Abs. 1 Z 3 WaffG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von achtzehn Monaten rechtskräftig verurteilt. Mit Urteil eines Bezirksgerichtes vom 02.05.2018 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 50 Abs. 1 Z 3 WaffG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Wochen rechtskräftig verurteilt.

3. Mit rechtskräftigem Bescheid des Bundesamtes vom 07.03.2018 wurde dem BF gemäß § 94 Abs. 5 iVm § 93 Abs. 1 Z 1 FPG sein Konventionsreisepass entzogen und ihm aufgetragen, das Dokument gemäß § 93 Abs. 2 FPG unverzüglich dem Bundesamt vorzulegen. Am 10.09.2018 wurde dem Beschwerdeführer während seiner Anhaltung in Strafhaft der Konventionsreisepass abgenommen.

4. Während sich der Beschwerdeführer in Strafhaft befand, wurde vom BFA bei der Vertretungsbehörde der Russischen Föderation ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates für den Beschwerdeführer eingeleitet. Zu diesem Zweck wurde der Beschwerdeführer am 14.11.2018 während seiner Anhaltung in Strafhaft vom BFA niederschriftlich einvernommen. Er verweigerte jedoch die Beantwortung der an ihn gestellten Fragen, sodass die Einvernahme ergebnislos abgebrochen werden musste.

5. Am 03.06.2019 kehrte der Beschwerdeführer von einem Haftausgang nicht mehr in die Justizanstalt zurück und wurde daraufhin zur Fahndung ausgeschrieben. Nach seiner erneuten Festnahme befand sich der Beschwerdeführer bis 06.12.2019 in Strafhaft.

6. Am 11.11.2019 richtete das Bundesamt im Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates ein Schreiben an die Vertretungsbehörde der Russischen Föderation zwecks Vorführung des Beschwerdeführers zur Identitätsfeststellung.

7. Mit Bescheid vom 26.11.2019 ordnete das Bundesamt gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG über den Beschwerdeführer die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung an. Dieser Bescheid wurde nach der Entlassung des Beschwerdeführers aus der Strafhaft am 06.12.2019 in Vollzug gesetzt und der Beschwerdeführer wird seither in Schubhaft angehalten. Die vom Beschwerdeführer gegen diesen Schubhaftbescheid vom 26.11.2019 erhobene Beschwerde wurde mit mündlich verkündetem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 03.01.2020 als unbegründet abgewiesen und festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen.

Begründend wurde dabei insbesondere auf das Entziehen aus der Strafhaft (im Zuge eines Freiganges) und das besondere Interesse des Staates an der Sicherstellung einer Überstellung verwiesen.

8. Am 26.03.2020 legte das Bundesamt dem Bundesverwaltungsgericht den Verwaltungsakt gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft vor. Mit Erkenntnis vom 31.03.2020 erkannte das Bundesverwaltungsgericht, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft zum Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig war. Begründend wurde insbesondere auf die fehlende Kooperationsbereitschaft sowie die fehlende Vertrauenswürdigkeit des Beschwerdeführers verwiesen. Von der Erlangung eines Heimreisezertifikats (HRZ) und der Überstellung im Rahmen der zulässigen Anhaltedauer in Schubhaft sei auszugehen gewesen.

9. Am 27.04.2020 legte das Bundesamt dem Bundesverwaltungsgericht den Verwaltungsakt gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG neuerlich zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft vor. Mit Erkenntnis vom 28.04.2020 sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft zum Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig war. Am entscheidungsrelevanten Sachverhalt habe sich nichts geändert; die Haftfähigkeit sei durch ein amtsärztliches Schreiben vom 28.04.2020 ausdrücklich bestätigt.

10. In weiterer Folge legte das Bundesamt dem Bundesverwaltungsgericht den Verwaltungsakt gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG neuerlich zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft vor. Mit Erkenntnis vom 26.05.2020 sprach das Bundesverwaltungsgericht abermals aus, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft zum Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig war.

11. Das Bundesamt legte am 15.06.2020 erneut die Akten zur amtswegigen Verhältnismäßigkeitsprüfung vor und legte dar, dass insbesondere das Vorverhalten des Beschwerdeführers und die fehlende Kooperationswilligkeit (auch seiner Familienangehörigen) des BF eine weitere Anhaltung des BF erfordern würden. Zwischenzeitlich sei der Vater des Beschwerdeführers von den russischen Behörden identifiziert worden. Dieser sei jedoch mittlerweile untergetaucht, sodass eine Identifizierung des BF durch seinen Vater aktuell nicht möglich sei. Der Vater sei allerdings zur Festnahme ausgeschrieben und selbst bereits als russischer Staatsangehöriger identifiziert. Es sei daher die Chance auf eine Identifizierung des BF weiter gestiegen. Zudem habe man neuerlich bei der Botschaft urgiert. Der Beschwerdeführer sei wegen gesundheitlicher Beschwerden am 09.06.2020 im Spital untersucht worden, lehnte jedoch eine konkrete Abklärung der Ursachen seiner Beschwerden trotz eingehender ärztlicher Beratung aufgrund der Empfehlung seines Rechtsvertreters ab. Eine Haftunfähigkeit sei jedoch nach der Sanitätsstelle des PAZ nicht gegeben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt er nicht. Der BF ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter. Es besteht gegen den BF eine rechtskräftige aufenthaltsbeendende Maßnahme, die mit einem auf 10 Jahre befristeten Einreiseverbot verbunden ist. Seit der Entlassung aus der jüngsten Strafhaft am 06.12.2019 befindet sich der Beschwerdeführer in Schubhaft.

1.2. Der Beschwerdeführer wurde in Österreich seit 2013 sechsmal – vorrangig wegen Gewalt- und Vermögensdelikten – zu weitestgehend unbedingten Freiheitsstrafen von knapp 70 Monaten, umgerechnet fast 6 Jahren verurteilt. Er wurde in dieser Zeit – bis zum Vollzug der Schubhaft – auch praktisch durchgehend in Justizanstalten angehalten. Einen genehmigten Freigang nutzte er, um sich der Strafhaft zu entziehen.

1.3. Er ist im Zusammenhang mit der Organisation seiner Abschiebung in keiner Form kooperativ und in besonderem Maße vertrauensunwürdig. Mit der Ausstellung eines Heimreisezertifikats und der Abschiebung ist jedenfalls im Verlauf der rechtlich zulässigen Anhaltedauer zu rechnen.

Der BF achtet die österreichische Rechtsordnung insgesamt nicht. Bei einer Entlassung aus der Schubhaft wird er mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit untertauchen und sich vor den Behörden verborgen halten um einer Abschiebung zu entgehen.

1.4. In Österreich leben die Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers. Er ging jedenfalls in den letzten sechs Jahren keiner legalen Beschäftigung (außerhalb der Strukturen der Justizanstalten) nach. Er konnte seit 2014 soziale Kontakte außerhalb der Justizanstalten nur in sehr reduziertem Maße pflegen, verfügt jedoch über einen gesicherten Wohnsitz im Bundesgebiet.

1.5. Der Beschwerdeführer litt an einer Pilzpneumonie (Lungenentzündung); ein Zusammenhang mit CoVid-19 besteht nicht. Er wurde am 09.06.2020 zu einer Untersuchung in ein Krankenhaus gebracht, weigerte sich dort jedoch nach eingehender Aufklärung durch die Ärzte, eine genaue Abklärung seiner Beschwerden durchführen zu lassen. Eine diesbezügliche Haftunfähigkeit besteht jedoch nicht. Der Beschwerdeführer hat in der Schubhaft Zugang zu allenfalls benötigter medizinischer Versorgung. Die Ausstellung eines Heimreisezertifikats innerhalb der höchstzulässigen Schubhaftdauer ist realistischerweise möglich. Diese verzögert sich vorrangig, da der BF nicht mit den Behörden zusammenarbeitet. Nach Ausstellung eines Heimreisezertifikats kann eine zeitnahe Abschiebung des BF erfolgen.

Eine Änderung der entscheidungswesentlichen Umstände für die Aufrechterhaltung der Schubhaft seit 03.01.2020 hat sich im Verfahren nicht ergeben.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen ergeben sich aus der Aktenlage im gegenständlichen Verfahren, aus den Gerichts- und Verwaltungsakten zu seinen Asylverfahren und den bisherigen Schubhaftprüfungen. Dies gilt insbesondere für die abgeschlossenen asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren des Beschwerdeführers, deren Status unstrittig ist. Die jüngste (mit einem Einreiseverbot verbundene) Rückkehrentscheidung wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.05.2018 rechtskräftig. Diese Entscheidung wurde vor den Höchstgerichten nicht in Beschwerde/Revision gezogen.

Die Feststellungen bezüglich der Anhaltungen ergeben sich aus der Aktenlage, insbesondere aus einer rezenten ZMR-Abfrage. Die aufrechte Hauptwohnsitzmeldung im familiären Umfeld ändert nichts an der faktischen (fast durchgehenden) Anhaltung in Strafhaft.

2.2. Aus der Einsichtnahme in das Strafregister ergeben sich die strafrechtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers, die im Übrigen auch nicht bestritten werden. Unstrittig ist auch, dass sich der Beschwerdeführer bei einem Freigang im Rahmen der Strafhaft dieser entzogen hat um eine Abschiebung in die Russische Föderation zu verhindern. Dies hat er in der mündlichen Beschwerdeverhandlung im ersten Schubhaftprüfungsverfahren ausdrücklich zu Protokoll gegeben.

2.3. Dass der Beschwerdeführer nicht bereit ist freiwillig in den Herkunftsstaat zurückzukehren oder am Verfahren zu seiner Abschiebung mitzuwirken, hat er selbst angegeben; dies ergibt sich auch aus der Aktenlage. Die in besonderem Maße fehlende Vertrauenswürdigkeit des Beschwerdeführers ergibt sich aus seiner Straffälligkeit, der zunächst erfolgreichen Flucht aus der Strafhaft (im Zuge eines Freigangs) und dem Verhalten in den bisherigen Verfahren.

Seit Anordnung der Schubhaft (und dem Schubhaftbeschwerdeverfahren) hat sich der Vater des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit seiner eigenen Rückkehr in die Russische Föderation kooperativ gezeigt. Nunmehr hat er gegen ein über ihn verhängtes gelinderes Mittel verstoßen und ist untergetaucht. Dadurch – insbesondere die schriftliche Bestätigung seiner Vaterschaft am 06.02.2020 – hat sich jedoch die Wahrscheinlichkeit einer HRZ-Ausstellung für den Beschwerdeführer weiter erhöht. Die Gesamtdauer dieses Vorganges hängt aber wesentlich von der Kooperationsbereitschaft des Beschwerdeführers selbst im Verfahren ab.

Die grundlegende Missachtung der österreichischen Rechtsordnung durch den Beschwerdeführer ergibt sich aus seinem Verhalten seit 2013. Er hat schon kurz nach Erreichen der Strafmündigkeit derart schwere Straftaten begangen, dass er sich ab dem 16. Lebensjahr fast durchgehend in Strafhaft befunden hat – darunter eine unbedingte Freiheitsstrafe von 18 Monaten 2014 und von 21 Monaten 2015; dies jeweils unter Anwendung des reduzierten (!) Strafrahmens im Jugendstrafrecht. Angesichts dieses Vorverhaltens und der vorübergehenden Flucht aus der Strafhaft im Juni 2019 sowie der weiterhin demonstrierten Kooperationsunwilligkeit besteht keinerlei Zweifel darüber, dass sich der Beschwerdeführer im Falle einer Entlassung aus der Schubhaft dem behördlichen Zugriff umgehend (erneut) entziehen würde.

2.4. Die Feststellungen zum gesicherten Wohnsitz und den familiären Anknüpfungspunkten im Bundesgebiet ergeben sich aus der Aktenlage und werden auch vom Bundesamt nicht bestritten. Die Feststellungen zur fehlenden legalen Beschäftigung und der deutlichen Reduktion sozialer Kontakte während der letzten 6 Jahre ergeben sich aus der unstrittigen, fast durchgehenden Anhaltung in Justizanstalten und Polizeianhaltezentren.

2.5. Aus der Aktenlage ergeben sich weiterhin keine Hinweise auf derart gravierende gesundheitliche Probleme des Beschwerdeführers, die zu einer Haftunfähigkeit führen könnten. Er wurde nach einer Untersuchung im Krankenhaus wieder in die Schubaft überstellt, unterliegt einer engmaschigen ärztlichen Kontrolle im PAZ und ist nach den Angaben in der Stellungnahme des BFA im Rahmen der Aktenvorlage vom 15.06.2020 weiterhin haftfähig. Die gegenwärtige Anhaltung in Schubhaft besteht erst seit knapp mehr als sechs Monaten, schöpfte also nur ein Drittel des gesetzlichen Rahmens aus. Es ist daher nach wie vor realistisch, dass die Erlangung eines Heimreisezertifikats und eine Abschiebung – ungeachtet der fehlenden Kooperationsbereitschaft des Beschwerdeführers – während der gesetzlich zulässigen Anhaltedauer möglich ist.

Für eine Änderung der entscheidungsrelevanten Umstände seit dem Beschwerdeverfahren gibt es – im Zusammenhang mit einem Wegfall der Verhältnismäßigkeit der Anhaltung - keinen Hinweis. Vielmehr hat sich durch die nunmehr (zumindest teilweise) gegebene Kooperationsbereitschaft des Vaters die Chance auf eine Beschleunigung der HRZ-Ausstellung erhöht. Die Tatsache des Untertauchens des Vaters (dieser hatte sich zuletzt einem gelinderen Mittel entzogen) zeigt einmal mehr, dass im vorliegendem Fall familiärer Konsens darüber bestehen dürfte, eine rechtmäßige Abschiebung des BF mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu torpedieren.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt I. (Vorliegen der Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft):

Entsprechend dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2015 – FrÄG 2015 vom 18.06.2015, BGBl. I Nr. 70/2015, lautet §22a Abs. 4 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG) wie folgt:

„§ 22a. (4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.“

§22a Abs. 4 bildet im gegenständlichen Fall die formelle Grundlage, da der Beschwerdeführer seit 06.12.2019 in Schubhaft angehalten wird.

Die in diesem Zusammenhang maßgeblichen (innerstaatlichen) verfassungsrechtlichen Bestimmungen des Art 5 Abs. lit. f EMRK und des Art 2 Abs. 1 Z. 7 PersFrBVG sowie einfachgesetzlichen Normen des mit 20. Juli 2015 im Rahmen des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2015 – FrÄG 2015 in Kraft getretenen Fremdenpolizeigesetzes 2005 lauten:

Art 5 Abs. 1 lit. F EMRK

(1) Jedermann hat ein Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf einem Menschen nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:
f)         wenn er rechtmäßig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird, um ihn daran zu hindern, unberechtigt in das Staatsgebiet einzudringen oder weil er von einem gegen ihn schwebenden Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren betroffen ist.

Art 2 Abs. 1 Z. 7 PersFrBVG

(1) Die persönliche Freiheit darf einem Menschen in folgenden Fällen auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:

7. wenn dies notwendig ist, um eine beabsichtigte Ausweisung oder Auslieferung zu sichern.

§ 76 FPG (in der nunmehr gültigen Fassung)

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1.         dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2.         dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3.         die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.         ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a.         ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.         ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.         ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.         ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.         ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.         ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.         ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.         ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.         der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

Gemessen also an § 76 Abs. 3, konkret an dessen ersten Satz „liegt eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 2 - immer noch - vor, da „bestimmte Tatsachen“, nämlich jene bereits im Rahmen der angeführten Beweiswürdigung relevierten, indizieren, dass sich der Beschwerdeführer einer drohenden Abschiebung in den Herkunftsstaat entziehen wird.

Die Gründe, aus denen das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Schubhaft anordnete, haben sich seither nicht geändert und erweisen sich als grundsätzlich nachvollziehbar. Insbesondere hat der Beschwerdeführer das Kriterium der Ziffer 1 des § 76 Abs. 3 FPG durch die Verweigerung jeder Kooperation im Zusammenhang mit der Umsetzung der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung erfüllt.

Mit der Anordnung gelinderer Mittel kann trotz des gesicherten Wohnsitzes und der familiären Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet weiterhin nicht das Auslangen gefunden werden. Angesichts (in besonderem Umfang) fehlender persönlicher Vertrauenswürdigkeit – siehe dazu das aktenkundige und unstrittige Vorverhalten des Beschwerdeführers, insbesondere die einschlägig motivierte Flucht aus der Strafhaft – kommen diese schon aus grundsätzlichen Erwägungen nicht in Betracht. Die mangelnde Wertschätzung des Beschwerdeführers gegenüber der österreichischen Rechtsordnung ist ein weiteres klares Indiz dafür, dass die Anordnung des gelinderen Mittels zur Erfüllung des Sicherungszweckes nicht einmal im Ansatz geeignet ist. Darüber hinaus zeigt das Untertauchen des Vaters des BF eindrucksvoll, dass das wohl bestehende familiäre Netz ganz offenbar nicht ausreichend in der Lage ist, Familienmitglieder vom Untertauchen abzuhalten. Damit liegt die zur Anhaltung in Schubhaft erforderliche ultima-ratio-Situation unverändert vor.

Der Beschwerdeführer war bei Anordnung der Schubhaft haftfähig und ist dies auch weiterhin.

Die mit der Erlangung eines Heimreisezertifikats verbundene Dauer der Anhaltung in Schubhaft hat der Beschwerdeführer durch seine mangelnde Kooperation im Wesentlichen selbst zu verantworten. Verzögerungen, die in die Sphäre des Bundesamtes fallen würden, sind im laufenden Prüfverfahren nicht ans Tageslicht gekommen. Es wird auch laufend bei der Botschaft urgiert.

Die (zum Entscheidungszeitpunkt) voraussichtliche Dauer der Anhaltung ergibt sich aus den oben angeführten Umständen und steht nach Ansicht des Gerichts im Wesentlichen nicht im Zusammenhang mit den gegenwärtigen Restriktionen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie. Diese bewirken im gegenständlichen Fall (derzeit) keine längere Anhaltedauer des Beschwerdeführers in Schubhaft.

Überdies kann gegenwärtig keine erhöhte Infektionsgefahr hinsichtlich Covid-19 während der laufenden Anhaltung in Schubhaft festgestellt werden. Substanzielle gesundheitliche Probleme des Beschwerdeführers - abseits der bisherigen medikamentösen Behandlung - sind im Übrigen nicht aktenkundig. Das Gericht geht diesbezüglich davon aus, dass aufgrund der im Rahmen der Schubhaft durchgeführten regelmäßigen ärztlichen Kontrollen, der weitere Verbleib des BF in Schubhaft nicht zu einer Erhöhung eines allenfalls bestehenden Gesundheitsrisikos für den BF führen wird.

Aus diesen Gründen ist festzustellen, dass im Zeitpunkt der Entscheidung die Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft weiterhin gegeben ist. Eine über die Frage der Verhältnismäßigkeit hinausgehende Prüfung der Schubhaft ist nach dem eindeutigen Wortlaut von § 22a Abs. 4 BFA-VG nicht vorgesehen.

Zu Spruchpunkt II.:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Im vorliegenden Akt findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Einbeziehung eines unstrittigen oder zweifelsfrei belegten Vorverhaltens entsprich der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes.

Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Fluchtgefahr Fortsetzung der Schubhaft öffentliche Interessen Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Untertauchen Verhältnismäßigkeit Vertrauenswürdigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W171.2227065.5.00

Im RIS seit

09.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

09.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten