TE Bvwg Beschluss 2020/6/23 W132 2230653-1

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Veröffentlicht am 23.06.2020
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Entscheidungsdatum

23.06.2020

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W132 2230653-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ursula GREBENICEK als Vorsitzende und die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS sowie die fachkundige Laienrichterin Dr. Regina BAUMGARTL als Beisitzerinnen, über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Niederösterreich, vom 09.04.2020, OB: 62938083600015, in Form von Ausstellung eines unbefristeten Behindertenpasses gemäß § 40, § 41 und § 45 Bundesbehindertengesetz (BBG), beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:
1.         Der Beschwerdeführer hat am 10.03.2020 beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung: Sozialministeriumservice; in der Folge belangte Behörde genannt) unter Vorlage eines Befundkonvolutes einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses gestellt.
1.1.         Im zur Überprüfung des Antrages von der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten wird von Dr. XXXX Arzt für Allgemeinmedizin, basierend auf der Aktenlage, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

„Lfd. Nr.

Funktionseinschränkung

Position

GdB

01

Multiples Myelom vom Leichtkettentyp Kappa, Stadium 3 (ED:01/2016)

Zwei Stufen über dem unteren Rahmensatz, da Verschlechterung der Erythropoese und Myelopoese im Knochenmark, mit Thrombozytopenie bei Zustand nach Stammzellentransplantation und Zustand nach Chemotherapien

10.03.10

70 vH

 

Gesamtgrad der Behinderung

70 vH“

         1.2.    Ohne dem Beschwerdeführer die Möglichkeit zu geben, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen, hat die belangte dem Beschwerdeführer am 09.04.2020 einen unbefristeten Behindertenpass ausgestellt, und einen Grad der Behinderung in Höhe von 70 vH eingetragen.
2.         Gegen diesen Bescheid wurde vom Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde erhoben. Ohne Vorlage von Beweismitteln wurde unter Verweis auf die bereits vorgelegten Befunde im Wesentlichen vorgebracht, dass 2017 ein multiples Myelom Stadium III diagnostiziert worden sei, welches sich bis 2019 verschlechtert habe. Es handle sich dabei um eine chronische Erkrankung, bei der es keine Heilung gebe. Zusammen mit den in den Befunden angeführten Zusatzerkrankungen, sei der Grad der Behinderung in Höhe von 70 vH zu gering bemessen. Zu den häufigsten Symptomen würden Müdigkeit, rasche Erschöpfung bei geringster Anstrengung, Kurzatmigkeit, und hoher Puls gehören, und es bestehe eine erhöhte Gefahr von Knochenbrüchen. Weiters würden Knochenschmerzen im Bereich der Rippen, der Wirbelsäule und des Beckens vorliegen. Auch seien Myelom Patienten anfällig für bakterielle oder virale Infektionen, da immer weniger normale Immunglobuline zur Infektionsabwehr gebildet würden. Um die individuelle Funktionseinschränkung feststellen zu können, sei eine persönliche Untersuchung erforderlich, welche nicht durchgeführt worden sei. Es werde daher ersucht den Grad der Behinderung mit 80 vH festzusetzen, und den Zusatzvermerk „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ in den Behindertenpass einzutragen. Aufgrund seines Alters und seiner schweren chronischen Erkrankung, gehöre er auch zur Hochrisikogruppe hinsichtlich Covid 19. Es sei ihm fast unmöglich schon kürzeste Wege zu Fuß zurückzulegen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 17. Mai 1990 über die Beratung, Betreuung und besondere Hilfe für behinderte Menschen (Bundesbehindertengesetz - BBG), BGBl. Nr. 283/1990 idgF, hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Gemäß § 29 Abs. 1 zweiter Satz VwGVG sind die Erkenntnisse zu begründen. Für Beschlüsse ergibt sich aus § 31 Abs. 3 VwGVG eine sinngemäße Anwendung.

Zu A)

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,

1.       wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2.       die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes.

Der Verwaltungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung vom prinzipiellen Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte aus (vgl. u.a. 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, Ra 2015/01/0123 vom 06.07.2016).

Nach der Bestimmung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG kommt bereits nach ihrem Wortlaut die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht (vgl. auch Art. 130 Abs. 4 Z 1 B-VG). Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden.

Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.

Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f).

Der angefochtene Bescheid (in Form von Ausstellung eines Behindertenpasses) erweist sich in Bezug auf den zu ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als grob mangelhaft:

Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten. (§ 1 Abs. 2 BBG)

Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. (§ 4 Abs. 1 Einschätzungsverordnung BGBl. II Nr. 261/2010 auszugsweise)

Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten. (§ 4 Abs. 2 Einschätzungsverordnung BGBl. II Nr. 261/2010)

Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn

1.       ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2.       sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3.       sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4.       für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5.       sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderten-einstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(§ 40 Abs. 1 BBG)

Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376.

Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1.       nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2.       zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3.       ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

(§ 41 Abs. 1 BBG)

Maßgebend für die Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Behindertenpasses ist die Feststellung der Art und des Ausmaßes der beim Beschwerdeführer vorliegenden Gesundheitsschädigungen sowie in der Folge die Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung.

Dazu hat die belangte Behörde im angefochtenen Verfahren nur ansatzweise Ermittlungen geführt.

Der Beschwerdeführer hat bereits mit seinem Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses vorgebracht, an einem Zustand bei multiplem Myelom zu leiden, und hat diese Gesundheitsschädigungen dokumentierende medizinische Beweismittel vorgelegt.

Die belangte Behörde hat zur Überprüfung der vorliegenden Gesundheitsschädigungen jedoch lediglich ein auf der Aktenlage basierendes allgemeinmedizinisches Sachverständigengutachten eingeholt. Zwar besteht kein Anspruch auf die Zuziehung von Sachverständigen eines bestimmten medizinischen Teilgebietes, jedoch ist im vorliegenden Fall das von der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten zur Beurteilung des beim Beschwerdeführer vorliegenden komplexen internistischen Beschwerdebildes - insbesondere auch im Hinblick auf gegebenenfalls aus der Haupterkrankung und deren Therapie resultierende Zusatzerkrankungen bzw. Funktionseinschränkungen - nicht geeignet.

Aufgrund der vorgelegten medizinischen Beweismittel liegen konkrete Anhaltspunkte vor, dass jedenfalls die Einholung eines auf persönlicher Untersuchung basierenden Sachverständigengutachtens der Fachrichtung Innere Medizin erforderlich ist, um eine vollständige und ausreichend qualifizierte Prüfung des Gesamtleidenszustandes des Beschwerdeführers zu gewährleisten. Die Heranziehung eines auf der Aktenlage basierenden Sachverständigengutachtens der Fachrichtung Allgemeinmedizin durch die belangte Behörde ist somit offensichtlich sachwidrig erfolgt.

Auch ist eine schlüssige und nachvollziehbare Auseinandersetzung mit den vom Beschwerdeführer vorgelegten medizinischen Beweismitteln durch den befassten Sachverständigen nicht im ausreichenden Maße erfolgt, da in dem der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegten Sachverständigengutachten auf die vom Beschwerdeführer vorgelegten medizinischen Unterlagen nicht konkret eingegangen worden ist. Es wurde lediglich auszugsweise aus den vorgelegten Befunden zitiert, Aussagen über die Schwere der darin beschriebenen Gesundheitsschädigungen bzw. Feststellungen hinsichtlich deren Auswirkungen und Einfluss auf den Grad der Behinderung, sind nicht getroffen worden.

Dies wiegt umso schwerer als die belangte Behörde nur ein auf der Aktenlage basierendes Sachverständigengutachten eingeholt hat, und es dem Sachverständigen daher nicht möglich war sich ein Bild vom Gesamtleidenszustand des Beschwerdeführers zu machen.

Auch die Aussage im Gutachten, dass keine erheblichen Einschränkungen der Funktion des Immunsystems dokumentiert sind, ist nicht geeignet, die volle Funktionsfähigkeit des Immunsystems des Beschwerdeführers schlüssig darzustellen. Hätte die belangte Behörde zur Objektivierung von Funktionseinschränkungen des Immunsystems weitere medizinische Beweismittel benötigt, wäre es geboten gewesen, den Beschwerdeführer aufzufordern, diese Gesundheitsbeeinträchtigung dokumentierende Unterlagen in Vorlage zu bringen.

Der eingeholte medizinische Sachverständigenbeweis vermag daher die verwaltungsbehördliche Entscheidung nicht zu tragen. Ein Gutachten bzw. eine medizinische Stellungnahme, welche Ausführungen darüber vermissen lässt, aus welchen Gründen der ärztliche Sachverständige zu einer Beurteilung gelangt ist, stellt keine taugliche Grundlage für die von der belangten Behörde zu treffende Entscheidung dar (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321).

Die seitens des Bundesverwaltungsgerichtes erforderliche Überprüfung im Rahmen der freien Beweiswürdigung ist auf dieser Grundlage daher nicht möglich.

Aufgrund des vorliegenden Sachverhaltes ist nicht nachvollziehbar, warum die belangte Behörde darauf verzichtet hat, das Ermittlungsverfahren dahingehend zu erweitern, ein Sachverständigengutachten der Fachrichtung Innere Medizin, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers, einzuholen, da - wie bereits oben ausgeführt - zur schlüssigen und umfassenden Einschätzung der beim Beschwerdeführer vorliegenden Gesundheitsschädigung, und den daraus resultierenden Funktionseinschränkungen, jedenfalls die Einholung eines Fachgutachtens erforderlich ist.

Das Verwaltungsgericht hat im Falle einer Zurückverweisung darzulegen, welche notwendigen Ermittlungen die Verwaltungsbehörde unterlassen hat. (Ra 2014/20/0146 vom 20.05.2015)

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde sohin unter Einbeziehung des Beschwerdevorbringens ein Sachverständigengutachten der Fachrichtung Innere Medizin, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers, zu den oben dargelegten Fragestellungen einzuholen, und die Ergebnisse bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen haben.

Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird der Beschwerdeführer mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.

Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat und sich der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung des Grades der Behinderung als so mangelhaft erweist, dass weitere Ermittlungen bzw. konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG - nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht „im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden“ wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes, und angesichts der im gegenständlichen Fall unterlassenen Sachverhaltsermittlungen - nicht ersichtlich.

Im Übrigen scheint die Zurückverweisung der Rechtssache an die belangte Behörde auch vor dem Hintergrund der seit 01.07.2015 geltenden Neuerungsbeschränkung in Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 46 BBG zweckmäßig. Dies insbesondere im Hinblick darauf, dass dem Beschwerdeführer im Rahmen des verwaltungsbehördlichen Verfahrens keine Möglichkeit gegeben wurde, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen. Der Beschwerdeführer hatte sohin keine Gelegenheit, der sachverständigen Beurteilung konkret und substantiiert entgegenzutreten und auszuführen ob, gegebenenfalls welche, gutachterlichen Ausführungen dem tatsächlichen Leidensausmaß widersprechen.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall des Beschwerdeführers noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rasch und kostengünstig festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückzuverweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

In den rechtlichen Ausführungen zu Spruchteil A) wurde ausführlich unter Bezugnahme auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, Ra 2015/01/0123 vom 06.07.2016, Ra 2014/20/0146 vom 20.05.2015, Ra 2015/08/0171 vom 27.01.2016, Ra 2015/10/0106 vom 24.02.2016) ausgeführt, warum die Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen geboten war.

Schlagworte

Behindertenpass Ermittlungspflicht Grad der Behinderung Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W132.2230653.1.00

Im RIS seit

08.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

08.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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