TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/29 W282 2231320-2

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Veröffentlicht am 29.06.2020
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Entscheidungsdatum

29.06.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W282 2231320-2/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Florian KLICKA, BA als Einzelrichter im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Zahl: XXXX , über die weitere Anhaltung von XXXX , geb. XXXX , alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX , geb. XXXX , StA. Marokko, in Schubhaft zu Recht erkannt:

A)

Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG idgF wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

B)

II. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführer (BF) reiste zu einem nicht bekannten Zeitpunkt in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 07.05.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er gab damals finanzielle Gründe für die Antragstellung an, sowie die Tatsache, dass sein Bruder einen Mord begangen habe und die Familie des getöteten Mannes auf Rache sinnen würde.

Aufgrund eines einschlägigen „EURODAC-Treffers“ richtete das zum damaligen Zeitpunkt zuständige Bundesasylamt am 10.05.2013 ein Wiederaufnahmeersuchen an die Republik Ungarn. Mit Schreiben vom 17.05.2013 stimmte die Republik Ungarn der Wiederaufnahme der Verfahrenspartei zu.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 04.06.2013 wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 07.05.2013 ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II-VO die Republik Ungarn zuständig sei. Gleichzeitig wurde der BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Ungarn ausgewiesen und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Ungarn zulässig sei. Eine dagegen erhobene Beschwerde an den Asylgerichtshof wurde mit Beschluss vom 10.09.2013 als verspätet zurückgewiesen.

2. In weiterer Folge war der BF für die Behörden nicht mehr greifbar; der BF war somit ab September 2013 untergetaucht.

3. Am 04.02.2020 reiste der BF von Italien aus per Bus in das Bundesgebiet ein. Der BF wurde aufgrund der Feststellung seines unrechtmäßigen Aufenthalts festgenommen und in Folge in das Polizeianhaltezentrum Innsbruck eingeliefert, wo er am XXXX vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge Bundesamt oder belangte Behörde) einvernommen wurde. Er gab dabei zusammengefasst an, er sei von Italien aus eingereist, wo ihm vor längere Zeit ein Gift verabreicht worden wäre, das nur ganz langsam wirke. Man habe ihm dann sein Geld und seine Dokumente gestohlen. Das Gift sei ihm von der Mafia und anderen „Leuten“ verabreicht worden. Es sei ihm verabreicht worden, weil er „Steine“ im Wert von 70.000.000 gelagert habe, diese hätten „Sie“ genommen und seien damit nach Marokko gegangen. Er stimmte weiters zu, dass das Bundesamt und auch das Bundesverwaltungsgericht Einsicht seine medizinischen Befunde nehme. Er besitze nur eine marokkanische Identitätskarte. Er habe nur einen Zettel, dass er medizinische Hilfe brauche, die Italiener hätten ihm aber nicht helfen wollen. Er halte sich seit 7 Jahren illegal in Europa auf, weil ihm der Pass gestohlen worden wäre; in eine Botschaft oder ein Konsulat gehe er nicht, weil diese mit der Mafia kooperieren würden. Er habe im Bundesgebiet nie legal gearbeitet, er habe keinen Wohnsitz und keine Verwandten im Bundesgebiet. Seine Eltern und Geschwister befänden sich in Marokko. Abschließend meinte der BF, ein Abschiebung nach Marokko sei für ihn kein Problem.

Mit Bescheid vom XXXX wurde über den BF die Schubhaft gemäß § 76 Abs 2 Z 2 FPG zur Sicherung des Verfahrens in Hinblick auf die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und zur Sicherung der Abschiebung angeordnet. Die Schubhaftverhängung wurde vom Bundesamt im Wesentlichen auf die Verschleierung der Identität, auf das Untertauchen während des ersten Asylverfahrens, auf die unrechtmäßige Einreise nach Österreich, die Annahme der Weiterreise der Verfahrenspartei, den Mangel an Barmitteln zur Bestreitung des Lebensunterhalts und auf die fehlende soziale Verankerung in Österreich in Hinblick auf die Wohn- und Familiensituation gestützt.

4. Weiters wurde mit Bescheid des Bundesamts vom XXXX gegen den BF eine Rückkehrentscheidung iVm einem auf 5 Jahre befristeten Einreiseverbot erlassen wobei einer Beschwerde gegen diesen Bescheid die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG aberkannt wurde. Zu diesem Bescheid ist festzuhalten, dass in dessen Spruchpunkt III., in dem gemäß § 46 FPG über die Zulässigkeit der Abschiebung abgesprochen wird, kein Land angegeben ist, hinsichtlich dessen die Zulässigkeit der Abschiebung festgestellt wird (AS 391)

5. Am 06.02.2020 wurde vom Bundesamt bei der marokkanischen Botschaft Verfahren zur Ausstellung eines Heimreisezertifikates begonnen.

6. Der BF wurde am 13.02.2020 ins Polizeianhaltezentrum Roßauer Lände nach Wien überstellt.

7. Während der Schubhaft stellte der BF am 18.02.2020 einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, dass er in Marokko keine Probleme gehabt habe, sondern in Europa habe leben wollen, weshalb er im Jahr 2013 nach Italien gereist sei und dort 7 Jahre illegal lang gelebt habe. Mit Aktenvermerk gemäß § 76 Abs. 6 FPG wurde dem BF mitgeteilt, dass der gestellte Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt worden sei und die Schubhaft aus diesem Grund aufrechterhalten werde.

7. Mit Bescheid des Bundesamtes vom XXXX wurde der Antrag auf internationalen Schutz negativ beschieden und gegen den Fremden eine neuerliche Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot erlassen. Gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 und 4 BFA-VG wurde einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt. Dieser Bescheid wurde dem BF am 04.03.2020 persönlich zugestellt. Gegen diesen Bescheid wurde keine Beschwerde erhoben, der Bescheid erwuchs somit in Rechtskraft.

8. Am 11.03.2020 stellte der BF einen Antrag auf freiwillige Rückkehr nach Marokko. Ein Termin zur Identitätsprüfung wurde über den Verein Menschenrechte Österreich koordiniert.

9. Am 27.05.2020 legte das Bundesamt aufgrund des Erreichen des vierten Monats der Anhaltung in Schubhaft den Akt gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG dem Bundesverwaltungsgericht vor. Mit Erkenntnis vom 04.06.2020, GZ W154 2231320-1/17E traf das Bundesverwaltungsgericht einen Fortsetzungsausspruch nach § 22a Abs. 4 BFA-VG und stelle somit fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und diese auch verhältnismäßig sei.

9. Am 08.06.2020 beantrage der BF durch seine Vertretung erneut die Kostenübernahme für eine freiwillige Ausreise nach Marokko. Das Bundesamt erteilte am 09.06.2020 seine grundsätzliche Zustimmung zur freiwilligen Ausreise bis 30.07.2020, wenn der BF ein entsprechendes Reisedokument vorlege, was bis dato nicht geschehen ist.

10. Ebenfalls am 08.06.2020 trat der BF ohne Angaben näherer Gründe in den Hungerstreik.

11. Das Bundesamt legte dem Bundesverwaltungsgericht am 23.06.2020 die Akten gemäß §22a Abs. 4 BFA-VG zur neuerlichen Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft vor. Unter einem erstatte das Bundesamt eine Stellungnahme zur Verhältnismäßigkeit der Schubhaft und brachte vor, der BF habe sich niemals ein Reisedokument selbstständig besorgt und habe am weiteren Verfahren in keinster Weise teilgenommen. Anstelle seiner Mitwirkung hätte der BF einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich gestellt um die Verzögerung der Vollstreckung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme zu erwirken. Das Bundesamt gehe derzeit begründet davon aus, dass seitens der Botschaft demnächst ein Heimreisezertifikat ausgestellt werde, da der Fremde über eine marokkanische Identitätskarte verfüge. Aufgrund des vom Fremden gestellten Antrags auf internationalen Schutz im Stande der Schubhaft konnte jedoch seitens des Bundesamtes kein Termin zur Vorführung an die marokkanische Botschaft organisiert werden. Es wurde nach rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahren unverzüglich ein Antrag an die marokkanische Botschaft zur Ausstellung eines Heimreisezertifikates gestellt. Letztmalig wurde dieses HRZ-Verfahren am 15.06.2020 urgiert.

12. Auf Anforderung des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.06.2020 wurde der BF im Hinblick auf seinen Hungerstreik seit 08.06.2020 am 24.06.2020 der Amtsärztin im Polizeianhaltezentrum Roßauer Länder vorgeführt. Am selben Tag langte Befund und Gutachten der Amtsärztin ein, in dem festgehalten wird, der BF sei hinsichtlich des Hungerstreiks in stabilem Zustand. Der BF werde hinsichtlich einer paranoiden Schizophrenie medikamentös behandelt und sei diesbezüglich medikamentös „gut eingestellt“. Der BF sei haftfähig. Unter einem wurde eine Behandlungsübersicht der aufgrund des Hungerstreiks des BF bedingten ärztlichen Untersuchungen vorgelegt, aus der hervorgeht, dass der BF seit 08.06.2020 durchgehend ärztlich überwacht wird.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat von Amts wegen erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers:

Der BF ist marokkanischer Staatsbürger, er ist volljährig und bis auf eine nunmehr medikamentös behandelte paranoide Schizophrenie gesund. Er ist weiters psychisch und physisch stabil und haftfähig. Der BF wird derzeit im Polizeianhaltezentrum Roßauer Lände in Schubhaft angehalten. Der BF ist nicht Asylwerber oder subsidiär Schutzberechtigter. Der BF verfügt über eine marokkanische Identitätskarte. Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten. Vor seiner Einreise hielt sich der BF mehrere Jahre unrechtmäßig in Italien auf.

1.2. Zum sozialen Umfeld:

Der BF in Österreich in keiner Form integriert, verfügt über keine substanziellen sozialen, beruflichen oder familiären Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet. Zudem verfügt er über keine gesicherte Unterkunft, über kein Barvermögen und über keinen gesicherten Wohnsitz.

1.3. Zum Vorverfahren

Über den BF wurde mit Bescheid vom XXXX die Schubhaft zur Sicherung der Erlassung einer Rückkehrentscheidung und zur Sicherung der Abschiebung angeordnet. Er wird seit XXXX in Schubhaft angehalten. Während der Schubhaft stellte der BF – in der Absicht seine Abschiebung zu verzögern – am 18.02.2020 erneut einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesamtes vom XXXX zur Zahl XXXX als unbegründet abgewiesen wurde. Die Schubhaft wurde während des Verfahrens gemäß § 76 Abs. 6 FPG aufrechtherhalten. Mit selbigem Bescheid wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot erlassen und ausgesprochen, das die Abschiebung des BF nach Marokko zulässig ist. Dieser Bescheid wurde dem BF am 04.03.2020 zugestellt und erwuchs mangels Bekämpfung Ende Mai 2020 in Rechtskraft. Es liegt daher eine rechtskräftige und durchsetzbare Rückkehrentscheidung gegen den BF vor.

Mit Erkenntnis vom 04.06.2020, GZ W154 2231320-1/17E traf das Bundesverwaltungsgericht einen Fortsetzungsausspruch nach § 22a Abs. 4 BFA-VG und stelle somit fest, dass zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und diese verhältnismäßig sei.

1.4 Zur Schubhaft:

Der BF hat bis dato nicht am Verfahren zur Durchsetzung seiner Ausreise mitgewirkt, er hat kein Reisedokument vorgelegt und hat Alias-Identitäten angegeben. Der BF hat den Antrag auf internationalen Schutz aus dem Stande der Schubhaft am 18.02.2020 in der Absicht gestellt, seine Abschiebung zu verzögern. Der BF hat sich in Summe seit sieben Jahren unrechtmäßig im Schengenraum aufgehalten. Zwischenzeitig hat der BF erneut eine Kostenübernahme für die freiwillige Heimreise beantragt, der seitens der Bundesamtes auch zugestimmt wurde; diese ist jedoch mangels eines gültigen Reisedokuments des BF derzeit nicht möglich.

Aufgrund der Tatsache, dass der BF über eine marokkanische Identitätskarte verfügt, kann davon ausgegangen werden, dass seitens der marokkanischen Botschaft demnächst ein Heimreisezertifikat ausgestellt werden wird, da durch die Identitätskarte seine Identität grundsätzlich geklärt ist. Ein Termin zur Vorführung vor eine Delegation der marokkanischen Botschaft ist bis dato aufgrund des Umstandes unterblieben, dass der BF durch seine Antragstellung den Status des Asylwerbers innegehabt hat. Nach rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahren wurde das Verfahren mit der marokkanischen Botschaft zur Ausstellung eines Heimreisezertifikates weiterbetrieben. Letztmalig wurde dieses am Verfahren am 15.06.2020 vom Bundesamt urgiert.

Festgestellt wird, dass das Bundesamt nachhaltige und angemessene Bemühungen zur Erlangung eines Heimreisezertifikates für den BF vorgenommen hat. Es ist in diesem Zusammenhang als gerichtsnotorisch festzuhalten, dass die Ausstellung von Heimreisezertifikaten für das Königreich Marokko iaR einen längeren Zeitraum benötigt als bei anderen vergleichbaren Staaten.

Seit Mitte März 2020 wurde im Zusammenhang mit der COVID-19 Pandemie der Flugverkehr und die transnationale Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt; auch der internationale Postverkehr war nur eingeschränkt möglich. Mittlerweile sind diese Beschränkungen der Reisefreiheit wieder weitestgehend aufgehoben und mit der Möglichkeit der Durchführung von Abschiebungen ua. nach Marokko ist in den Sommermonaten des Jahres 2020 zu rechnen.

Es ist daher festzustellen, dass eine Abschiebung innerhalb der gesetzlichen Schubhafthöchstdauer realistisch und wahrscheinlich ist.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang, die getroffenen Feststellungen zur Nicht-Kooperation und die Haftfähigkeit des BF ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt der Behörde und dem genannten Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes, insbesondere dem zitierten Vorerkenntnis. Die Haftfähigkeit wurde letztmalig am 24.06.2020 von einer Amtsärztin des Polizeianhaltezentrums Roßauer Lände überprüft und der BF trotz seines Hungerstreiks im entsprechenden Gutachten (OZ 6) für hafttauglich befunden. Die Negativ-Feststellungen zu familiären Beziehungen, zum Wohnsitz und zur Erwerbstätigkeit basieren auf dem Bescheid des Bundesamtes vom XXXX zur GZ XXXX und der Einvernahme des BF vor dem Bundesamt im Verfahren über seinen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesverwaltungsgericht teilt aufgrund der Verfahrenshistorie die Meinung des Bundesamtes, dass der BF den Antrag auf internationalen Schutz am 18.02.2020 ausschließlich in Verschleppungsabsicht gestellt hat, zumal er die Abweisung seines Antrages auch nicht weiter bekämpft hat.

Im Besonderen ist hervorzuheben, dass die Behörde fortgesetzt darlegt hat, dass sie sich im vorliegenden Fall um die Ausstellung eines Heimreisezertifikates nach Kräften bemüht und nach Erfahrungswerten davon auszugehen ist, dass ein solches auch von der marokkanischen Botschaft erlangt werden kann. Da der BF über eine marokkanische Identitätskarte verfügt, seine Identität somit geklärt ist und daher eines der größten Hemmnisse in Verfahren zur Erlangung von Heimreisezertifikaten entfällt, ist mit der baldigen Ausstellung eines solchen zu rechnen. Die Ausstellung des Heimreisezertifikates wurde durch das BFA auch bereits am 15.06.2020 erneut urgiert.

Zur Möglichkeit einer baldigen Abschiebung ist festzuhalten, dass die Maßnahmen zur Beschränkung des Reiseverkehrs durch die COVID-19 Pandemie mittlerweile weitestgehend zurückgenommen sind und Austrian Airlines mit 15.06.2020 den Flugbetrieb wiederaufgenommen hat. Es ist daher auch davon auszugehen, dass im Sommer 2020 und somit noch deutlich innerhalb der in diesem Fall zulässigen Schubhafthöchstdauer von 18 Monaten mit der Durchführung der Abschiebung zu rechnen ist.

Weiters bringt das BFA zutreffend vor, dass der BF durch seine mangelnde Kooperationsbereitschaft zur Vorlage eines Reisedokuments bzw. durch die Angabe von Alias-Identitäten für die nun eingetretenen Verzögerungen bei seiner Abschiebung und somit auch für die nun längere Anhaltung in Schubhaft mitverantwortlich ist.

3. Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchteil A):

3.1 Fortsetzung der Schubhaft:

3.1.1 Gesetzliche Bestimmungen und Judikatur:

Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG idgF die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

§§ 76, 77 und 80 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), § 22a Abs. 4 Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Verfahrensgesetz (BFA-VG) lauten auszugsweise:

Schubhaft (§ 76 FPG)


„§ 76 (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1.         dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
2.         dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3.         die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen. 

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.         ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a.         ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.         ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.         ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.         ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.         ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.         ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.         ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.         ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebiets-beschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.         der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

Gelinderes Mittel (§ 77 FPG)

„§ 77 (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1.

(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,
1.         in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,
2.         sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder
2.         eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen;

(4) Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird

(5) Die Anwendung eines gelinderen Mittels steht der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

(6) Zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 hat sich der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

(7) Die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, kann der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

(8) Das gelindere Mittel ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(9) Die Landespolizeidirektionen können betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.“

Dauer der Schubhaft (§ 80 FPG)

„(1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.

(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich
1.         drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;
2.         sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt.

(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.

(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil
1.         die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,
2.         eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,
3.         der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder
4.         die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint,

kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.

(5) Abweichend von Abs. 2 und vorbehaltlich der Dublin-Verordnung darf die Schubhaft, sofern sie gegen einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, angeordnet wurde, bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Durchsetzbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Dauer von 10 Monaten nicht überschreiten. Wird die Schubhaft über diesen Zeitpunkt hinaus aufrechterhalten oder nach diesem Zeitpunkt neuerlich angeordnet, ist die Dauer der bis dahin vollzogenen Schubhaft auf die Dauer gemäß Abs. 2 oder 4 anzurechnen.

(5a) In den Fällen des § 76 Abs. 2 letzter Satz ist auf die Schubhaftdauer gemäß Abs. 5 auch die Dauer der auf den Festnahmeauftrag gestützten Anhaltung anzurechnen, soweit sie nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz gemäß § 40 Abs. 5 BFA VG aufrechterhalten wurde. Die Anrechnung gemäß Abs. 5 letzter Satz bleibt davon unberührt.

(6) Das Bundesamt hat von Amts wegen die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft längstens alle vier Wochen zu überprüfen. Ist eine Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG anhängig, hat diesfalls die amtswegige Überprüfung zu entfallen.

(7) Das Bundesamt hat einen Fremden, der ausschließlich aus den Gründen des Abs. 3 oder 4 in Schubhaft anzuhalten ist, hievon unverzüglich schriftlich in Kenntnis zu setzen.“

Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft (§§ 22a BFA-VG)

„§ 22a (4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.“

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen.

Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise - wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG - erreicht werden ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig.

Zur Judikatur:

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Das Bestehen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme per se vermag zwar keinen Tatbestand zu verwirklichen, der in tauglicher Weise "Fluchtgefahr" zum Ausdruck bringt. Der Existenz einer solchen Maßnahme kommt jedoch im Rahmen der gebotenen einzelfallbezogenen Bewertung der Größe der auf Grund der Verwirklichung eines anderen tauglichen Tatbestandes des § 76 Abs. 3 FPG grundsätzlich anzunehmenden Fluchtgefahr Bedeutung zu (vgl. VwGH vom 11.05.2017, Ro 2016/21/0021). In einem schon fortgeschrittenen Verfahrensstadium reichen grundsätzlich weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung aus, weil hier die Gefahr des Untertauchens eines Fremden erhöht ist (VwGH vom 20.02.2014, 2013/21/0178).

Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FPG ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Der Behörde kommt aber dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043).

Eine Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kann stets nur dann rechtens sein, wenn eine Abschiebung auch tatsächlich infrage kommt. Die begründete Annahme, dass eine Aufenthaltsbeendigung erfolgen wird, ist dabei ausreichend. Dass die Effektuierung mit Gewissheit erfolgt, ist nicht erforderlich (vgl. dazu etwa VwGH 07.02.2008, Zl. 2006/21/0389; VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/21/0039). Steht hingegen von vornherein fest, dass diese Maßnahme nicht durchführbar ist, so darf die Schubhaft nicht verhängt werden. Anderenfalls erwiese sich die Schubhaft nämlich als für die Erreichung des Haftzweckes (der Abschiebung) "nutzlos". Umgekehrt schadet es - wie sich aus den Verlängerungstatbeständen des § 80 FPG ergibt - nicht, wenn der ins Auge gefassten Abschiebung zeitlich befristete Hindernisse entgegenstehen. Den erwähnten Verlängerungstatbeständen liegt freilich zugrunde, dass die infrage kommenden Hindernisse längstens innerhalb der zulässigen Schubhaftdauer beseitigt werden. Ist hingegen bereits bei Beginn der Schubhaft absehbar, dass das Abschiebehindernis nicht binnen dieser Frist zu beseitigen ist, so soll die Schubhaft nach den Vorstellungen des Gesetzgebers von Anfang an nicht verhängt werden. Dasselbe gilt, wenn während der Anhaltung in Schubhaft Umstände eintreten, aus denen erkennbar ist, dass die Abschiebung nicht in der restlichen noch zur Verfügung stehenden Schubhaftdauer bewerkstelligt werden kann. (vgl. VwGH 11.06.2013, Zl. 2013/21/0024, zum Erfordernis einer Prognosebeurteilung, ob die baldige Ausstellung eines Heimreisezertifikates trotz wiederholter Urgenzen durch das Bundesministerium für Inneres angesichts der Untätigkeit der Vertretungsbehörde des Herkunftsstaates zu erwarten ist; vgl. VwGH 18.12.2008, Zl. 2008/21/0582, zur rechtswidrigen Aufrechterhaltung der Schubhaft trotz eines ärztlichen Gutachtens, wonach ein neuerlicher Versuch einer Abschiebung des Fremden in den nächsten Monaten aus medizinischen Gründen nicht vorstellbar sei).

3.1.2 Zum konkret vorliegen Fall:

Aufgrund der zitierten gesetzlichen Bestimmungen hat die Behörde nach § 22a Abs. 4 BFA-VG dem Bundesverwaltungsgericht den Verwaltungsakten rechtzeitig zur amtswegigen Überprüfung der Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit der weiteren Anhaltung, welche über die Viermonatsfrist hinausgehen soll, vorzulegen. Diese Überprüfung hat nach Überschreiten der Viermonatsfrist in vierwöchigen Intervallen zu erfolgen. Die letzte Überprüfung erging mit Erkenntnis vom 04.06.2020, die ggst. vierwöchige Frist endet daher am 02.07.2020. Unter einem hat das Bundesamt darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig wäre. Es ist Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichtes hierüber im Verfahren eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit durchzuführen und hat sich im Rahmen dieser Überprüfung auch im Hinblick auf die vorzunehmende Zukunftsprognose für das Gericht ergeben, dass eine weitere Anhaltung weiter als verhältnismäßig angesehen werden kann.

Der Verwaltungsgerichthof führte hierzu Folgendes aus: „In einem gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG 2014 ergangenen Erkenntnis wird entsprechend dem Wortlaut der genannten Bestimmung (nur) ausgesprochen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist. Diese Entscheidung stellt - ebenso wie ein Ausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG 2014 - einen neuen Hafttitel dar. Über vor oder nach der Entscheidung liegende Zeiträume wird damit nicht abgesprochen. Ein Erkenntnis nach § 22a Abs. 4 BFA-VG 2014 steht daher einer Beschwerde nach § 22a Abs. 1 BFA-VG 2014, mit der die Überprüfung der Rechtmäßigkeit von vor oder nach der Erlassung des Erkenntnisses liegenden Haftzeiten begehrt wird, nicht entgegen.“ (VwGH vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0111)

Aufgrund der Kriterien des § 76 Abs. 3 Z 1, 3, 5 und Z 9 FPG liegt beim BF fortgesetzt Fluchtgefahr vor und ist auch Sicherungsbedarf gegeben. Es ist insbesondere zu berücksichtigen, ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert. Die Schubhaft ist jedenfalls wegen Fluchtgefahr aufrechtzuerhalten, weil aus dem vergangenen und aktuellen Verhalten des Beschwerdeführers – insbesondere der Angabe von Alias-Identitäten mit höchster Wahrscheinlichkeit geschlossen werden kann, dass der BF seine Abschiebung zu verhindern oder jedenfalls zu behindern beabsichtigt (§ 76 Abs. 3 Z 1 leg. cit.). Weiters besteht gegen den BF eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme (§ 76 Abs. 3 Z 3 leg. cit.), was für sich allein genommen noch keine Fluchtgefahr begründet. In Zusammenhang damit, dass sich der BF aber bereits der Durchsetzung einer solchen Maßnahme im Jahr 2013 entzogen hat, in dem er nach Italien ausgereist und dort untergetaucht ist, begründet auch dieser Umstand gegenständlich Fluchtgefahr. Weiters hat der BF, als er sich bereits in Schubhaft befand und gegen ihn eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, erneut in der Absicht seine Abschiebung zu verzögern einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt (§ 76 Abs. 3 Z 5 FPG), weswegen auch aus diesem Grund Fluchtgefahr anzunehmen ist. Zu Guter Letzt ist der BF im Bundesgebiet auf keine Weise sozial ober beruflich verankert, da er keine Familienangehörigen und keinen festen Wohnsitz hat oder je hatte, weiters im Bundesgebiet nie legal erwerbstätig war und er über keine Mittel zur Sicherung seines Unterhalts verfügt (§ 76 Abs. 3 Z 9 FPG).

Es sind iSd oben dargelegten Judikatur des VwGH zu § 80 FPG weiterhin keine Umstände ersichtlich, die darauf hindeuten, dass die zwischenzeitige temporäre Unmöglichkeit der Durchführung der Abschiebung nach Marokko durch die durch COVID 19 bedingten Maßnahmen, nicht bloß ein zeitlich befristetes Hindernis darstellen. Die Einschränkungen im internationalen Reiseverkehr wurden mit Mitte Juni 2020 weitgehend zurückgenommen und der Flugbetrieb der Austrian Airlines wurde mit 15.06.2020 wiederaufgenommen, weshalb mit der Möglichkeit der Durchführung der Abschiebung des BF noch im Sommer 2020 – wenn diesem ein Heimreisezertifikat ausgestellt worden ist – zu rechnen ist. Diesbezüglich ist festzuhalten, dass das Bundesamt auch angemessene Anstrengungen unternimmt um ein Heimreisezertifikat von der marokkanischen Botschaft zu erlangen, zumal die Identität des BF durch seine marokkanische Identitätskarte geklärt ist. Insbesondere letzterer Umstand wird daher die Dauer des Verfahrens erheblich verkürzen, da eines der größten Hindernisse in solchen Verfahren die (unzweifelhafte) Identifizierung des jeweiligen Fremden durch sein Heimatland darstellt.

Der Beschwerdeführer hat demgegenüber keine berücksichtigungswürdigen Umstände dargetan, wonach die Schonung seiner Freiheit das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung überwiegen würde. Die Aufrechterhaltung der Schubhaft ist unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände und vor dem Hintergrund - dass sich die Behörde um die Ausstellung eines Heimreisezertifikates nachhaltig bemüht, auch verhältnismäßig.

Das Verhalten des Beschwerdeführers in der Vergangenheit – insbesondere, dass er sich bereits einmal seinem Verfahren durch Untertauchen entzogen hat - schließt auch die Anordnung gelinderer Mittel aus.

Es war daher spruchgemäß festzustellen, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und diese verhältnismäßig ist.

Zu Spruchteil B):

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Es finden sich im keine schlüssigen Hinweise auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Fluchtgefahr Fortsetzung der Schubhaft Identität Mittellosigkeit öffentliche Interessen Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Untertauchen Verhältnismäßigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W282.2231320.2.00

Im RIS seit

07.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

07.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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