TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/29 W228 2181087-1

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Veröffentlicht am 29.06.2020
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Entscheidungsdatum

29.06.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W228 2181087-1/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald WÖGERBAUER als Einzelrichter in der Beschwerdesache des XXXX , geboren am XXXX 1999, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den Rechtsanwalt Mag. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.11.2017, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, hat sein Heimatland verlassen, ist illegal in das Bundesgebiet eingereist und hat am 28.05.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 29.05.2015 gab der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund an, dass er hier in Österreich eine Schule besuchen wolle.

Aus dem Gutachten zur Altersfeststellung des Beschwerdeführers vom 23.06.2016 ergibt sich als spätestmögliches Geburtsdatum des Beschwerdeführers der XXXX 1999.

Der Beschwerdeführer wurde am 25.09.2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, dass er aus der Provinz Daikundi stamme. Als er noch ein kleines Kind gewesen sei, sei er mit seiner Familie in den Iran gegangen. Seine Eltern sowie sechs seiner Geschwister würden nach wie vor im Iran leben. Ein Bruder von ihm lebe in Österreich und eine Schwester lebe in Deutschland. Zu den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates führte der Beschwerdeführer aus, dass sein Vater Probleme gehabt habe; mehr wisse er darüber nicht. Der Beschwerdeführer sei damals noch klein gewesen. Befragt, was er im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan zu befürchten hätte, gab er an, dass er im Iran aufgewachsen sei und deshalb Schwierigkeiten bekommen würde. Außerdem habe er keine Familie in Afghanistan. Afghanistan sei ein fremdes Land für ihn.

Mit nunmehr angefochtenem Bescheid vom 15.11.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs.1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu seinem Fluchtgrund, zur Situation im Falle seiner Rückkehr und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Es habe keine glaubhafte Gefährdungslage festgestellt werden können. Der Beschwerdeführer habe keine Verfolgung glaubhaft machen können. Dem Beschwerdeführer könne eine Rückkehr nach Afghanistan zugemutet werden.

Gegen verfahrensgegenständlich angefochtenen Bescheid wurde mit Schreiben der damaligen Rechtsvertretung des Beschwerdeführers vom 21.12.2017 Beschwerde erhoben. Darin wurde zunächst ausgeführt, dass das gegenständliche Gutachten zur Altersfeststellung nicht die Anforderungen der Schlüssigkeit sowie Wissenschaftlichkeit erfülle und werde beantragt, das vom Beschwerdeführer angegebene Geburtsdatum 01.01.2002 als sein Geburtsdatum festzustellen. Des Weiteren wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer im Iran aufgewachsen sei und über kein Netzwerk in Afghanistan verfüge. Er wäre aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara sowie aufgrund seines langjährigen Aufenthalts im Iran einer Verfolgung ausgesetzt. In einer Gesamtschau wäre dem Beschwerdeführer Asyl, zumindest jedoch subsidiärer Schutz zu gewähren.

Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 28.12.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Am 19.03.2018 langte eine Verständigung der Behörde von der Anklageerhebung gegen den Beschwerdeführer beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Am 08.01.2019 langten Integrationsunterlagen betreffend den Beschwerdeführer beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Am 06.02.2019 langte eine Sachverhaltsdarstellung der LPD Wien vom 04.02.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Am 10.04.2019 langte eine Verständigung der Behörde von der Verhängung der Untersuchungshaft vom 02.04.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Am 23.12.2019 langte eine Beschwerdeergänzung sowie Urkundevorlage der damaligen Rechtsvertretung des Beschwerdeführers beim Bundesverwaltungsgericht ein. Darin wurden ausgeführt, dass der Beschwerdeführer durch seinen Bruder, der zum Christentum konvertiert sei und sich am 16.12.2018 taufen habe lassen, begonnen habe, sich für das Christentum zu interessieren und seit April 2019 die Baptistengemeinde seines Bruders besuche.

Am 06.02.2020 langte eine Verständigung der Behörde von der Anklageerhebung gegen den Beschwerdeführer beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Am 17.06.2020 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Vollmachtsbekanntgabe ein. Zudem wurden aktuelle Integrationsunterlagen, das Taufzeugnis des Beschwerdeführers vom 16.06.2020 sowie diverse medizinische Befunde vorgelegt.

Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde in der gegenständlichen Rechtssache am 18.06.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein des Beschwerdeführers und seiner Rechtsvertretung, eines Vertreters der belangten Behörde sowie eines Dolmetschers durchgeführt. Im Zuge der Verhandlung wurden drei Personen als Zeugen einvernommen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsbürger, geboren XXXX 1999. Er wurde in der Provinz Daikundi geboren. Im Kindesalter hat er gemeinsam mit seinen Eltern und seinen Geschwistern Afghanistan verlassen und ist in den Iran gezogen, wo er in der Folge bis zu seiner Ausreise nach Europa gelebt hat. Die Eltern sowie sechs Geschwister des Beschwerdeführers leben nach wie vor im Iran.

Der Beschwerdeführer hat im Iran drei Jahre lang eine afghanische Schule besucht.

Der Beschwerdeführer ist volljährig. Der Beschwerdeführer ist Hazara.

Der Beschwerdeführer leidet an Leukämie und war aus diesem Grund von 28.05.2020 bis 08.06.2020 in stationärer Behandlung.

Der Beschwerdeführer ist illegal spätestens am 28.05.2015 in das Bundesgebiet eingereist. Ein Bruder sowie ein Cousin des Beschwerdeführers leben in Österreich.

Der Beschwerdeführer wurde am 08.05.2019 zu Zl. 144 HV 75/2018g vom Landesgericht für Strafsachen Wien zu einer bedingten Freiheitstrafe von fünf Monaten, bedingt nachgesehen unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren, wegen §§ 15, 127 StGB, §§27 (1) Z 1 8. Fall, 27 (2a), 27 (3) SMG § 15 StGB rechtkräftig verurteilt.

In Afghanistan gehörte der Beschwerdeführer der schiitischen Glaubensrichtung des Islam an. In Österreich ist der Beschwerdeführer zum christlichen Glauben (Baptisten) übergetreten und bekennt sich offen dazu.

Der Beschwerdeführer ist seit 14.06.2020 getauft, ist ein aktives Mitglied der Baptistengemeinde XXXX und nimmt regelmäßig an Glaubenskursen sowie Gottesdiensten der Gemeinde (während Corona in Form von Online-Gottesdiensten und –kursen) teil.

Der Beschwerdeführer wäre in Afghanistan aufgrund seiner Religion, sowohl von staatlicher als auch von privater Seite einer asylrelevanten Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt, da die Konversion zum Christentum in Afghanistan als Akt der Abtrünnigkeit sowie als Verbrechen gegen den Islam gesehen wird und sogar mit dem Tod bestraft werden könnte.

Zur Situation im Herkunftsland Afghanistan wird Folgendes festgestellt:

Christentum und Konversionen zum Christentum:

Nichtmuslimische Gruppierungen wie Sikhs, Baha‘i, Hindus und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Genaue Angaben zur Größe der christlichen Gemeinschaft sind nicht vorhanden. USDOS schätzte im Jahresbericht zur Religionsfreiheit 2009 die Größe der geheimen christlichen Gemeinschaft auf 500 bis 8.000 Personen. Religiöse Freiheit für Christen in Afghanistan existiert; gemäß der afghanischen Verfassung ist es Gläubigen erlaubt, ihre Religion in Afghanistan im Rahmen der Gesetze frei auszuüben. Dennoch gibt es unterschiedliche Interpretationen zu religiöser Freiheit, da konvertierte Christen im Gegensatz zu originären Christen vielen Einschränkungen ausgesetzt sind. Religiöse Freiheit beinhaltet nicht die Konversion.

Tausende ausländische Christen und einige wenige Afghanen, die originäre Christen und nicht vom Islam konvertiert sind, werden normal und fair behandelt. Es gibt kleine Unterschiede zwischen Stadt und Land. In den ländlichen Gesellschaften ist man tendenziell feindseliger.

Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen. Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam. Laut islamischer Rechtsprechung soll jeder Konvertit drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken.

Konvertiten vom Islam zum Christentum werden von der Gesellschaft nicht gut behandelt, weswegen sie sich meist nicht öffentlich bekennen. Zur Zahl der Konvertiten gibt es keine Statistik. In den meisten Fällen versuchen die Behörden Konvertiten gegen die schlechte Behandlung durch die Gesellschaft zu unterstützen, zumindest um potenzielles Chaos und Misshandlung zu vermeiden.

Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens, da es keine öffentlich zugänglichen Kirchen im Land gibt. Einzelne christliche Andachtsstätten befinden sich in ausländischen Militärbasen. Die einzige legale christliche Kirche im Land befindet sich am Gelände der italienischen Botschaft in Kabul. Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung dieser katholischen Kapelle unter der Bedingung, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Missionierung vermieden werde.

Gemäß hanafitischer Rechtsprechung ist Missionierung illegal; Christen berichten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Es gibt keine Berichte zu staatlicher Verfolgung aufgrund von Apostasie oder Blasphemie.

Beobachtern zufolge hegen muslimische Ortsansässige den Verdacht, Entwicklungsprojekte würden das Christentum verbreiten und missionieren. Ein christliches Krankenhaus ist seit 2005 in Kabul aktiv; bei einem Angriff durch einen Mitarbeiter des eigenen Wachdienstes wurden im Jahr 2014 drei ausländische Ärzte dieses Krankenhauses getötet. Auch gibt es in Kabul den Verein „Pro Bambini di Kabul“, der aus Mitgliedern verschiedener christlicher Orden besteht. Dieser betreibt eine Schule für Kinder mit Behinderung.

Apostasie, Blasphemie und Konversion

Glaubensfreiheit, die auch eine freie Religionswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan de facto nur eingeschränkt. Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht.

Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Missionierung illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung „religionsbeleidigende Verbrechen“ verboten ist.

Es gibt keine Berichte über die Verhängung der Todesstrafe aufgrund von Apostasie (AA 2.9.2019); auch auf höchster Ebene scheint die afghanische Regierung kein Interesse zu haben, negative Reaktionen oder Druck hervorzurufen – weder vom konservativen Teil der afghanischen Gesellschaft, noch von den liberalen internationalen Kräften, die solche Fälle verfolgt haben und auch zur Strafverfolgung von Blasphemie existieren keine Berichte.

Es kann jedoch einzelne Lokalpolitiker geben, die streng gegen mutmaßliche Apostaten vorgehen und es kann auch im Interesse einzelner Politiker sein, Fälle von Konversion oder Blasphemie für ihre eigenen Ziele auszunutzen.

Gefahr bis hin zur Ermordung droht Konvertiten hingegen oft aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld. Die afghanische Gesellschaft hat generell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen werden. Obwohl es auch säkulare Bevölkerungsgruppen gibt, sind Personen, die der Apostasie beschuldigt werden, Reaktionen von Familie, Gemeinschaften oder in einzelnen Gebieten von Aufständischen ausgesetzt, aber eher nicht von staatlichen Akteuren. Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung.

2. Beweiswürdigung:

Hinsichtlich der Herkunft, der Volksgruppenzugehörigkeit, seinen Lebensumständen in Afghanistan und im Iran sowie dem Aufenthaltsort seiner Angehörigen stützt sich das Bundesverwaltungsgericht auf die Angaben des Beschwerdeführers.

Zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer angab, am 01.01.2002 geboren zu sein. Aufgrund des eingeholten Gutachtens vom 23.06.2016 steht jedoch fest, dass der Beschwerdeführer spätestens am XXXX 1999 geboren wurde und war daher dieses Datum als sein Geburtsdatum festzustellen. In der Beschwerde wurde diesem Gutachten zwar entgegengetreten; in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde das Vorbringen zur Bestreitung des Alters jedoch zurückgezogen.

Was die individuellen Feststellungen hinsichtlich der Konversion des Beschwerdeführers zum Christentum anbelangt, wird aus folgenden Erwägungen vom oben ersichtlichen Sachverhalt ausgegangen:

Gegenständlich kann dahingestellt bleiben, ob sich die Geschehnisse, die Flucht des Beschwerdeführers betreffend, tatsächlich in der Art und Weise ereignet haben, wie sie von ihm im Zuge seiner Einvernahme vor der belangten Behörde geschildert wurden.

Wie aus der vorgelegten Taufurkunde hervorgeht, hat sich der Beschwerdeführer in Österreich am 14.06.2020 in der Baptistengemeinde XXXX , der Taufe unterzogen und bekennt sich zum christlichen Glauben. Aus den glaubhaften Ausführungen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Zusammenschau mit den Zeugenaussagen wird ersichtlich, dass beim Beschwerdeführer auch eine innerliche Konversion erfolgte. Der Beschwerdeführer hat glaubhaft dargelegt, dass er aus freier persönlicher Überzeugung vom schiitischen Islam zum Christentum konvertiert ist, und er seinen Glauben nunmehr offen lebt. Er konnte seine Motivation für den Abfall vom Islam und die Zuwendung zum Christentum schlüssig darlegen. So führte er glaubhaft aus, dass er psychische Probleme gehabt habe und er keinen Sinn im Leben mehr gesehen habe. Als sein Bruder gemerkt habe, wie schlecht es dem Beschwerdeführer gehe, habe er ihn in die Kirche mitgenommen. Dort sei er warmherzig aufgenommen worden und habe ihm dies ein gutes Gefühl bereitet. Der Beschwerdeführer konnte sich nicht gleich von Anfang an mit dem Christentum identifizieren, zeigte jedoch Interesse und nahm immer häufiger an den Glaubenskursen teil. Gerade der Umstand, dass der Beschwerdeführer zunächst skeptisch war und seinem Bruder, der bereits früher zum Christentum konvertierte, nicht unreflektiert nachgefolgt ist, sondern sich die Zeit nahm um sich näher mit den Inhalten und Werten des Christentums auseinanderzusetzen, bei ihm sozusagen ein „Lernprozess“ stattgefunden hat und er Zeit brauchte um den für ihn richtigen Weg zu finden, verstärkt den glaubwürdigen Eindruck des Beschwerdeführers.

Der Beschwerdeführer legte glaubhaft dar, dass sein neuer Glaube ihm geholfen habe, seine psychischen Probleme zu überwinden. Zudem führte er aus, dass sein Glaube ihm nunmehr hilft, mit seiner Krebserkrankung besser umzugehen. Das Beten gebe ihm ein gutes Gefühl, sowie die Hoffnung, dass er mit der Erkrankung klarkommen könne.

Der Beschwerdeführer brachte glaubhaft vor, dass er seit April 2019 jeden Sonntag die Messe und regelmäßig einen Glaubenskurs besuche. Durch die Zeugenaussagen wurde bestätigt, dass der Beschwerdeführer ehrliches Interesse am Christentum hat, seine Konversion ernst nimmt, ein integraler Teil der Kirche geworden ist und bemüht ist, nach christlichen Grundsätzen zu leben. So wurde ausgeführt, dass beim Beschwerdeführer große Veränderungen in seinem Verhalten, insbesondere im Hinblick darauf, wie er Probleme löst, erkennbar seien und solche Veränderungen nicht vorhanden wären, wäre die Konversion nur zum Schein erfolgt.

Der Beschwerdeführer legte auch glaubhaft dar, dass er seinen Glauben auch nach außen trage. So führte er aus, dass er nicht nur Freunden und Bekannten in Österreich, sondern auch seiner Familie im Iran von seiner Konversion erzählt habe. Der Beschwerdeführer ist faktisch und für Dritte wahrnehmbar zum christlichen Glauben konvertiert. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Tatsache der Konversion des Beschwerdeführers zum Christentum über das persönliche Umfeld des Beschwerdeführers hinaus bekannt geworden ist, da er seinen Glauben auch gemäß den Zeugenangaben nach außen lebt. Nach Ansicht des erkennenden Richters besteht kein Grund, insgesamt an der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers in Bezug auf dessen Konversion zum Christentum und der Verinnerlichung dieser Konversion zu zweifeln.

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat ergeben sich aufgrund des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation (Gesamtaktualisierung am 13.11.2019) dem EASO-Bericht „Afghanistan Security Situation – Update“ vom Mai 2018 und der UNHCR-RL vom 30.08.2018.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn (Z 1) der der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder (Z 2) die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Letztere Variante traf unter Berücksichtigung der in ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG vertretenen Ansicht über den prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auf die gegenständliche Konstellation zu (vgl. dazu etwa VwGH 28.07.2016, Zl. Ra 2015/01/0123).

Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Artikel 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Die Voraussetzung der "wohlbegründeten Furcht" vor Verfolgung wird in der Regel aber nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. u.a. VwGH 20.06.2007, 2006/19/0265 mwN).

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des Beschwerdeführers, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, begründet ist:

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.

Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG 2005 kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Der Beschwerdeführer konnte glaubhaft darlegen, dass er sich während seines Aufenthalts in Österreich aus freier persönlicher Überzeugung und Entscheidung vom Islam abgewandt und dem Christentum zugewandt hat. Es sind auch keine Anhaltspunkte hervorgekommen, die den Schluss zulassen würden, dass die Konversion zum christlichen Glauben bloß zum Schein erfolgt wäre.

Aus dem oben festgestellten Sachverhalt und den Feststellungen zur Situation der Christen in Afghanistan, insbesondere der vom Islam zum Christentum konvertierten Personen, ergibt sich, dass der Beschwerdeführer als Person mit innerer christlicher Überzeugung, die er nicht verleugnen, sondern offen - sei es allein oder in Gemeinschaft - ausüben will, im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit massiven Einschränkungen und Diskriminierungen im persönlichen Bereich auf Grund ihrer religiösen Überzeugung sowie einem erheblichen Verfolgungsrisiko für seine persönliche Sicherheit und physische Integrität sowohl von privater Seite - ohne dass in dieser Hinsicht staatlicher Schutz zukäme - als auch von staatlicher Seite ausgesetzt wäre. Dass die Konversion des Beschwerdeführers zum Christentum den afghanischen Behörden oder anderen Personen in seinem familiären und sozialen Umfeld verborgen bleiben würde, kann nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden.

Im gegenständlichen Fall liegt daher das oben dargestellte Verfolgungsrisiko in der religiösen Überzeugung des Beschwerdeführers zum Christentum vor.

Auf Grund des in ganz Afghanistan gültigen islamischen Rechts nach der Scharia und der in der Praxis angewendeten islamischen Rechtsprechung sowie auf Grund der in der afghanischen Gesellschaft bestehenden Traditionen und Moralvorstellungen sowie der allgemein vorherrschenden Intoleranz gegenüber religiösen Minderheiten, insbesondere gegenüber Konvertiten, und den damit zusammenhängenden benachteiligenden Auswirkungen des traditionellen Gesellschaftssystems in ganz Afghanistan ist davon auszugehen, dass sich die oben dargestellte Situation für den Beschwerdeführer im gesamten Staatsgebiet Afghanistans ergibt. Es ist daher hinsichtlich dieses dargestellten Verfolgungsrisikos davon auszugehen, dass keine inländische Fluchtalternative besteht.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich der Beschwerdeführer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen seiner religiösen Überzeugung einer vom Islam zum Christentum konvertierten Person verfolgt zu werden, außerhalb Afghanistans befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in seinen Herkunftsstaat zurückzukehren.

Da weder eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, noch ein in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannter Endigungs- und Asylausschlussgrund hervorgekommen ist, war der Beschwerde stattzugeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs.4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung gesamtes Staatsgebiet Konversion Nachfluchtgründe Religion Schutzunwilligkeit staatliche Verfolgung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W228.2181087.1.00

Im RIS seit

06.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

06.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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