TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/3 W220 1417622-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.07.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

03.07.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §58 Abs11 Z2
AsylG-DV 2005 §4 Abs1 Z3
AsylG-DV 2005 §4 Abs2
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

W220 1417622-2/7E

im namen der republik!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Daniela UNTERER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Indien, vertreten durch den Verein LegalFocus, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.11.2016, Zahl: 810016105-160313793, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 16.06.2020, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides lautet:

„Ihr Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vom 01.03.2016 wird gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 zurückgewiesen. Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wird gegen Sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen.“

II. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte II. bis IV. wird gemäß §§ 52 Abs. 9, 46 und 55 Abs. 1 bis 3 FPG und § 4 Abs. 1 Z 3 iVm Abs. 2 AsylG-DV als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte nach illegaler Einreise am 05.01.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz im österreichischen Bundesgebiet, welcher nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens mit Bescheid des vormals zuständigen Bundesasylamtes vom 11.01.2011, Zl.: 11 00.161-BAT, abgewiesen wurde und wurde der Beschwerdeführer unter einem nach Indien ausgewiesen. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 30.05.2011, GZl.: C13 417.622-1/2011/5E, zugestellt am 24.06.2011 als unbegründet abgewiesen.

Am 25.08.2011 wurde der Beschwerdeführer vor der Bundespolizeidirektion Wien niederschriftlich zu seinem Aufenthalt, der Anforderung eines Heimreisezertifikates sowie der Sicherung seiner Ausreise einvernommen. Dem Beschwerdeführer wurde dabei zur Kenntnis gebracht, dass sein Asylverfahren seit 24.06.2011 rechtskräftig negativ abgeschlossen sei und gegen ihn eine Ausweisung nach Indien bestehe. Dazu gab der Beschwerdeführer an, dass er dies wisse und sich im Klaren sei, sich derzeit illegal in Österreich zu befinden. Seine Familie lebe in Indien, in Österreich habe er keine Angehörigen. Er gehe keiner Beschäftigung nach, besitze kein Geld und beziehe keine Leistungen aus der Grundversorgung. Unterkunft genommen habe er an einer näher genannten Adresse, behördlich gemeldet sei er an einer anderen näher genannten Adresse. Der Beschwerdeführer wurde darauf hingewiesen, dass er bereits am 09.08.2011 von seinem illegalen Aufenthalt verständigt worden sei und weder Schritte gesetzt habe, freiwillig auszureisen, noch eine Rückkehrberatung in Anspruch genommen habe. Der Beschwerdeführer erklärte dazu ausdrücklich, dass er Österreich freiwillig nicht verlassen würde; zur Ausfüllung der für die Beantragung eines Heimreisezertifikates erforderlichen Unterlagen sei er bereit. Er besitze weder Dokumente noch Kopien.

Für den Beschwerdeführer wurde am 19.09.2011 bei der indischen Botschaft in Wien die Ausstellung eines Heimreisezertifikates beantragt und am 10.11.2011 urgiert.

Der Beschwerdeführer wurde wiederholt wegen unrechtmäßigen Aufenthaltes im österreichischen Bundesgebiet angezeigt.

Am 01.03.2016 stellte der Beschwerdeführer gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 und legte erstmals eine Geburtsurkunde, lautend auf die von ihm im bisherigen Verfahren angegebenen Identitätsdaten, vor.

Am 04.03.2016 wurde bei der indischen Botschaft in Wien neuerlich die Ausstellung eines Heimreisezertifikates urgiert.

Mit Verfahrensanordnung vom 02.03.2016 wurde der Beschwerdeführer zu seinem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 aufgefordert, einen Reisepass im Original in Vorlage zu bringen.

Der Beschwerdeführer ersuchte diesbezüglich mit Schreiben vom 31.03.2016 um Fristerstreckung bis vorerst 31.05.2016, da die entsprechenden Unterlagen noch nicht vorlägen; der Beschwerdeführer sei bemüht, mit der indischen Botschaft Kontakt bezüglich des Nachweises seiner Identität aufzunehmen.

Mit Schreiben vom 31.05.2016 ersuchte der Beschwerdeführer um neuerliche Fristerstreckung bis zum 01.08.2016; innerhalb dieses Zeitraumes würde sich der ausgewiesene Vertreter des Beschwerdeführers zum Zweck der Erörterung der Sach- und Rechtslage sowie Besprechung der weiteren Vorgangsweise persönlich mit dem zuständigen Referenten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in Verbindung setzen.

Mit Schreiben vom 18.07.2016 legte der Beschwerdeführer Nachweise betreffend sein Einkommen vor und wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer um seine Selbsterhaltungsfähigkeit im Bundesgebiet bemüht sei und noch weitere Integrationsunterlagen „in nächster Zeit“ in Vorlage bringen würde.

Mit Schreiben vom 02.08.2016 ersuchte der Beschwerdeführer neuerlich um Fristerstreckung zur Vorlage seines Reisepasses bis Ende September; bis dahin würde der ausgewiesene Rechtsvertreter unaufgefordert Mitteilung über den bezüglichen, aktuellen Verfahrensstand machen. Der Beschwerdeführer sei seitens des Rechtsvertreters angeleitet worden, sich nochmals mit der indischen Botschaft in Verbindung zu setzen, da offensichtlich die Ausstellung des Dokuments „noch einige Zeit in Anspruch nehmen dürfte“.

Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 08.08.2016 wurde dem Beschwerdeführer seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl mitgeteilt, dass – mit näherer Begründung – beabsichtigt sei, seinen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 abzuweisen und Gelegenheit zur Abgabe einer Stellungnahme innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung dieser Verständigung gegeben.

Mit Schreiben vom 25.08.2016 ersuchte der Beschwerdeführer um Erstreckung der Frist zur Abgabe einer Stellungnahme bis zum 12.09.2016.

Am 12.09.2016 nahm der Beschwerdeführer schriftlich Stellung zur Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 08.08.2016 und führte zusammengefasst aus, dass er stets um seine Integration in Österreich bemüht gewesen sei und sein Aufenthalt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen würde.

Am 28.09.2016 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich zu seinem Antrag gemäß § 55 AsylG 2005 vom 01.03.2016 einvernommen. Der Beschwerdeführer gab dabei im Wesentlichen an, dass er hier viele Freunde habe und ihm ein Arbeitsplatz versprochen worden sei; er habe auch auf seinem Auto einen Sticker mit der Aufschrift „ich liebe Österreich“. Er halte sich seit Jänner 2011 durchgehend im österreichischen Bundesgebiet auf. Über einen Reisepass verfüge er nicht; er sei schon bei der Botschaft gewesen, welche ihm mitgeteilt habe, dass er einen Reisepass erhalte, sobald er ein Visum bekomme. In Indien habe der Beschwerdeführer einen Reisepass gehabt. Er arbeite in Österreich als Zeitungszusteller, verdiene pro Monat 800,00 bis 900,00 Euro und sei krankenversichert. Er verfüge über ein Sprachzertifikat auf dem Niveau A2. In Österreich wohne er gemeinsam mit zwei Freunden; seine Familie lebe in Indien, Familienangehörige in Österreich habe er nicht. Der Beschwerdeführer wurde aufgefordert, bis spätestens 28.10.2016 einen gültigen Reisepass vorzulegen.

Mit Schreiben vom 27.10.2016 beantragte der Beschwerdeführer, den Mangel der Nichtvorlage eines gültigen Reisepasses zu heilen, da dem Beschwerdeführer seitens der indischen Botschaft mitgeteilt worden wäre, dass die Ausstellung eines Reisepasses nur möglich sei, wenn der Beschwerdeführer über ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verfüge; der Antrag des Beschwerdeführers sei von der indischen Botschaft nicht entgegengenommen worden. Auch die Ausstellung einer schriftlichen Bestätigung über die Vorsprache des Beschwerdeführers bei der indischen Botschaft sei dem Beschwerdeführer verweigert worden.

Mit oben genanntem Bescheid vom 03.11.2016, Zahl: 810016105-160313793, wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vom 01.03.2016 gemäß § 55 AsylG 2005 ab, erließ gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG (Spruchpunkt I.), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt II.), legte für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist von vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt III.) und wies den Antrag des Beschwerdeführers auf Heilung vom 27.10.2016 gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 iVm Abs. 2 AsylGDV ab (Spruchpunkt IV.).

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

Am 16.06.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in welcher der Beschwerdeführer zu seinen persönlichen Lebensumständen befragt und unter einem die Gelegenheit geboten wurde, zur aktuellen Situation in Indien Stellung zu nehmen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und zum bisherigen Verfahren:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Indien, stammt aus dem Punjab und gehört der Religionsgemeinschaft der Skih sowie der Volksgruppe der Jat an. Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Punjabi. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder.

Der Beschwerdeführer ist im Punjab in Indien geboren und lebte dort bis zu seiner Reise nach Europa gemeinsam mit seinen Eltern und seinem Bruder in einem Haus. Er hat Schulbildung im Umfang von zehn Jahren und verfügt über ein Schulabschlusszeugnis; im Anschluss hat er rund drei Jahre ein Studium betrieben, dieses aber nicht abgeschlossen. In Indien leben nach wie vor die Mutter und der Bruder des Beschwerdeführers; der Beschwerdeführer hat zu seinen Familienangehörigen Kontakt.

Der Beschwerdeführer ist illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist. Er hält sich seit der Stellung seines Antrages auf internationalen Schutz am 05.11.2011 im Bundesgebiet auf.

Dem Beschwerdeführer war seit Zustellung des Erkenntnisses des Asylgerichtshofes vom 30.05.2011, GZl.: C13 417.622-1/2011/5E, am 24.06.2011 bewusst, dass er sich seit diesem Zeitpunkt unrechtmäßig in Österreich aufhielt und zur Ausreise verpflichtet war.

Am 01.03.2016 stellte der Beschwerdeführer gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 und legte erstmals eine Geburtsurkunde, lautend auf die von ihm im bisherigen Verfahren angegebenen Identitätsdaten, vor. Der Beschwerdeführer wurde seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl belehrt, dass er zur Mitwirkung am Verfahren verpflichtet sei, es jedoch unterlassen hätte, die erforderlichen Personaldokumente vorzulegen. Der Beschwerdeführer wurde zur Vorlage eines Reisepasses aufgefordert und darüber in Kenntnis gesetzt, dass für den Fall der Nichtvorlage sein Antrag zurückgewiesen würde.

Der Beschwerdeführer hat im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl oder dem Bundesverwaltungsgericht keinen Reisepass vorgelegt. Die Beschaffung eines Reisepasses ist dem Beschwerdeführer nicht nachweislich unmöglich oder unzumutbar.

Der Beschwerdeführer lebt in Österreich gemeinsam mit drei Freunden in einer Zwei-Zimmer-Wohnung. Er hat Deutschkurse besucht und am 08.02.2016 die Prüfung ÖSD Zertifikat A2 bestanden. Er kann sich in gebrochenem Deutsch ausdrücken. Seit seiner Einreise bis zum Jahr 2015 hat der Beschwerdeführer etwa zwanzig bis fünfundzwanzig Stunden pro Woche bei der Zustellung von Zeitungen ausgeholfen; seit dem Jahr 2015 arbeitet er rund dreißig Stunden pro Woche selbständig als Zeitungszusteller und verdient dabei zwischen 600,00 und 1.000,00 Euro pro Monat. Der Beschwerdeführer ist in Österreich kranken- und unfallversichert. Er verfügt weiters für den Fall der Erteilung einer Arbeitsbewilligung über einen arbeitsrechtlichen Vorvertrag als Aushilfe in einer Pizzeria. Der Beschwerdeführer bezieht keine Leistungen aus der Grundversorgung. In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über soziale Anknüpfungspunkte in Form eines Freundeskreises, wobei das Bestehen besonders intensiver Bindung nicht hervorgekommen ist. Er geht regelmäßig in einen Sikh-Tempel und hat an einem Seminar zum Thema Menschenrechte im internationalen Kontext teilgenommen.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zur Lage in Indien sowie einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers dorthin:

Der Beschwerdeführer läuft nicht konkret Gefahr, in seinem Herkunftsstaat der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe beziehungsweise der Todesstrafe unterworfen zu werden oder in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Notlage zu geraten.

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zu Indien vom 04.02.2019, zuletzt aktualisiert am 09.08.2019, gekürzt auf die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen:

„[…]

Sicherheitslage

Indien ist reich an Spannungen entlang von Ethnien, Religionen, Kasten und auch Lebensperspektiven, die sich oft in kommunal begrenzten Ausschreitungen entladen (GIZ 3.2018a). Terroristische Anschläge in den vergangenen Jahren (Dezember 2010 in Varanasi, Juli 2011 in Mumbai, September 2011 in New Delhi und Agra, April 2013 in Bangalore, Mai 2014 in Chennai und Dezember 2014 in Bangalore) und insbesondere die Anschläge in Mumbai im November 2008 haben die Regierung unter Druck gesetzt. Von den Anschlägen der letzten Jahre wurden nur wenige restlos aufgeklärt und die als Reaktion auf diese Vorfälle angekündigten Reformvorhaben zur Verbesserung der indischen Sicherheitsarchitektur wurden nicht konsequent umgesetzt (AA 24.4.2015). Aber auch im Rest des Landes gab es Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund. Im März 2017 platzierte eine Zelle des "Islamischen Staates" (IS) in der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh eine Bombe in einem Passagierzug. Die Terrorzelle soll laut Polizeiangaben auch einen Anschlag auf eine Kundgebung von Premierminister Modi geplant haben (BPB 12.12.2017).

Die Spannungen im Nordosten des Landes gehen genauso weiter wie die Auseinandersetzung mit den Naxaliten (GIZ 3.2018a). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der „Naxaliten“ in Frage gestellt (AA 18.9.2018).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 898 Todesopfer durch terrorismus-relevante Gewalt. Im Jahr 2017 wurden 803 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2018 wurden 935 Menschen durch Terrorakte getötet. Bis zum 13.1.2019 wurden 12 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 13.1.2019).

Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir, die nordöstlichen Regionen und der maoistische Gürtel. In Jharkhand und Bihar setzten sich die Angriffe von maoistischen Rebellen auf Sicherheitskräfte und Infrastruktur fort. In Punjab kam es bis zuletzt durch gewaltbereite Regierungsgegner immer wieder zu Ermordungen und Bombenanschlägen. Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten (maoistische Untergrundkämpfer) zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People’s Liberation Front etc.) einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie. Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, sondern vielmehr als „communal violence“ bezeichnet (ÖB 12.2018).

Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 18.9.2018).

Folter und unmenschliche Behandlung

Indien hat im Jahr 1997 das VN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe unterzeichnet, jedoch bisher nicht ratifiziert (AA 18.9.2018). Es sind außerdem keine für die Ratifizierung notwendigen Änderungen der nationalen Gesetzgebung eingeleitet worden (BICC 12.2018). Ein Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Folter (Bill on the Prevention of Torture), welcher innerstaatliche Voraussetzung der Ratifizierung der VN Anti-Folterkonvention ist, wurde vom Parlament bisher nicht verabschiedet (AA 18.9.2018).

Folter ist in Indien jedoch verboten (AA 18.9.2018) und der indische Staat verfolgt Folterer grundsätzlich und veranstaltet Kampagnen zur Bewusstseinserhöhung der Sicherheitskräfte, doch bleiben Menschenrechtsverletzungen von Polizeibeamten und paramilitärischen Einheiten häufig ungeahndet und führen nicht einmal zu Ermittlungsverfahren. Besonders gefährdet sind Angehörige unterer Kasten und andere sozial benachteiligte Bevölkerungsschichten (ÖB 12.2018). Aufgrund von Folter erlangte Aussagen sind vor Gericht nicht zur Verwertung zugelassen (AA 18.9.2018). Das Gesetz verbietet somit Folter, aber es gibt Berichte von NGOs, dass solche Praktiken verbreitet sind, speziell in Konfliktgegenden (USDOS 20.4.2018). Folter durch Polizeibeamte, Armee und paramilitärische Einheiten bleibt häufig ungeahndet, weil die Opfer ihre Rechte nicht kennen, eingeschüchtert werden oder die Folter nicht überleben (AA 18.9.2018).

Menschenrechtsexperten zufolge versuchte die Regierung auch weiterhin Personen festzunehmen und ihnen einen Verstoß nach dem - aufgehobenen - Gesetz zur Bekämpfung von Terrorismus, terroristischer Akte und zerstörenden Handlungen anzulasten. Dieses Gesetz besagte, dass Geständnisse, die vor einem Polizisten abgelegt wurden, als zulässige Beweise im Gericht behandelt werden (USDOS 20.4.2018).

Nach glaubwürdigen, vertraulichen Schätzungen des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK) kommt es weiterhin zu systematischer Folter in den Verhörzentren in Jammu und Kaschmir. Für den Zeitraum Januar bis August 2017 beziffert Amnesty International die Zahl der Todesfälle in Haftanstalten auf 894, in Polizeigewahrsam auf 74 (AA 18.9.2018).

Trotz der Trainings für senior police officers, bleiben willkürliche Verhaftungen, Folter und erzwungene Geständnisse durch Sicherheitskräfte verbreitet (ÖB 12.2018).

Es kommt immer wieder zu willkürlichen Übergriffen der Staatsorgane, insbesondere der Polizeikräfte, vor allem gegenüber Häftlingen in Polizeigewahrsam. In einigen Fällen wird von willkürlichen und nicht gemeldeten Verhaftungen berichtet, bei denen dem Verhafteten mitunter ausreichend Wasser und Nahrung vorenthalten werden. Von etlichen Ausnahmen abgesehen, werden gesetzeswidrige Handlungen in diesem Bereich geahndet. Die angerufenen Gerichte haben hierbei in den letzten Jahren verstärkt Verantwortung gezeigt, zumal NGOs und die Presse kritisch über die ihnen bekannt gewordenen Fälle berichten. Auch über Übergriffe der Militärs und der paramilitärischen Gruppen bei ihren Einsätzen im Inneren (vor allem in Jammu und Kaschmir sowie in Indiens Nordosten) berichten Menschenrechtsorganisationen und die Nationale Menschenrechtskommission. Auch diese werden vereinzelt (militär-) gerichtlich geahndet, Prozess und Prozessausgang bleiben allerdings geheim (ÖB 12.2018).

Allgemeine Menschenrechtslage

Indien hat 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet (AA 18.9.2018). Die nationale Gesetzgebung in Menschenrechtsangelegenheiten ist breit angelegt. Alle wichtigen Menschenrechte sind verfassungsrechtlich garantiert (ÖB 12.2018). Die Umsetzung dieser Garantien ist allerdings häufig nicht in vollem Umfang gewährleistet (AA 18.9.2018). Eine Reihe von Sicherheitsgesetzen schränken die rechtsstaatlichen Garantien, z.B. das Recht auf ein faires Verfahren, aber ein. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt. Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden. Es gibt glaubhafte Berichte über extralegale Tötungen (AA 18.9.2018).

Die wichtigsten Menschenrechtsprobleme sind Missbrauch durch Polizei und Sicherheitskräfte einschließlich außergerichtlicher Hinrichtungen, Folter und Vergewaltigung. Korruption bleibt weit verbreitet und trägt zur ineffektiven Verbrechensbekämpfung bei, insbesondere auch von Verbrechen gegen Frauen, Kinder und Mitglieder registrierter Kasten und Stämme sowie auch gesellschaftlicher Gewalt aufgrund von Geschlechts-, Religions-, Kasten- oder Stammeszugehörigkeit (USDOS 20.4.2018).

Eine verallgemeinernde Bewertung der Menschenrechtslage ist für Indien kaum möglich: Drastische Grundrechtsverletzungen und Rechtsstaatsdefizite koexistieren mit weitgehenden bürgerlichen Freiheiten, fortschrittlichen Gesetzen und engagierten Initiativen der Zivilgesellschaft. Vor allem die Realität der unteren Gesellschaftsschichten, die die Bevölkerungsmehrheit stellen, ist oftmals von Grundrechtsverletzungen und Benachteiligung geprägt (AA 18.9.2018). Ursache vieler Menschenrechtsverletzungen in Indien bleiben tiefverwurzelte soziale Praktiken wie nicht zuletzt das Kastenwesen (AA 18.9.2018). Frauen, Mitglieder ethnischer und religiöser Minderheiten sowie niederer Kasten werden systematisch diskriminiert (BICC 12.2018). Während die Bürger- und Menschenrechte von der Regierung größtenteils respektiert werden, ist die Lage in den Regionen, dort wo es interne Konflikte gibt, teilweise sehr schlecht. Dies trifft insbesondere auf Jammu und Kaschmir und den Nordosten des Landes zu. Den Sicherheitskräften, aber auch den nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen, seien es separatistische Organisationen oder regierungstreue Milizen, werden massive Menschenrechtsverletzungen angelastet. Dem Militär und den paramilitärischen Einheiten werden Entführungen, Folter, Vergewaltigungen, willkürliche Festnahmen und außergerichtliche Hinrichtungen vorgeworfen. Insbesondere hinsichtlich der Spannungen zwischen Hindus und Moslems, welche im Jahr 2002 zu Tausenden von Todesfällen führten, wird den Sicherheitskräften Parteilichkeit vorgeworfen. Die Stimmung wird durch hindu-nationalistische Parteien angeheizt, welche auch in der Regierung vertreten sind (BICC 12.2018).

Separatistische Rebellen und Terroristen in Jammu und Kaschmir, den nordöstlichen Bundesstaaten und im „Maoistengürtel“ begingen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen, darunter Morde an Zivilisten, Polizisten, Streitkräften und Regierungsbeamten. Aufständische sind für zahlreiche Fälle von Entführung, Folter, Vergewaltigung, Erpressung und den Einsatz von Kindersoldaten verantwortlich (USDOS 20.4.2018).

In manchen Bundesstaaten schränkt das Gesetz die religiöse Konversion ein, Einschränkungen in Bezug auf die Bewegungsfreiheit dauern an (USDOS 20.4.2018).

Bewegungsfreiheit

Das Gesetz gewährt landesweite Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Migration und Repatriierung, und die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 20.4.2018). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der „Naxaliten“ in Frage gestellt. Abgesehen davon ist Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes gewährleistet (AA 18.9.2018).

Die Regierung lockerte Einschränkungen für ausländische Reisende in Bezug auf Reisen nach Arunachal Pradesh, Nagaland, Mizoram, Manipur und Teilen von Jammu und Kaschmir, außer für Ausländer aus Pakistan, China und Burma. Das Innenministerium und die Bundesstaatenregierungen verlangen vor Reiseantritt von den Bürgern spezielle Genehmigungen einzuholen, um in bestimmte gesperrte Regionen bzw. Sperrzonen zu reisen (USDOS 20.4.2018).

Es gibt kein staatliches Melde- oder Registrierungssystem, so dass ein Großteil der Bevölkerung keinen Ausweis besitzt. Dies begünstigt die Niederlassung in einem anderen Landesteil im Falle von Verfolgung. Auch bei laufender strafrechtlicher Verfolgung ist nicht selten ein unbehelligtes Leben in ländlichen Bezirken eines anderen Landesteils möglich, ohne dass die Person ihre Identität verbergen muss (AA 18.9.2018).

In den großen Städten ist die Polizei jedoch personell und materiell besser ausgestattet, so dass die Möglichkeit, aufgespürt zu werden, dort größer ist. Bekannte Persönlichkeiten („high profile“ persons) können nicht durch einen Umzug in einen anderen Landesteil der Verfolgung entgehen, wohl aber weniger bekannte Personen („low profile“ people) (ÖB 12.2018).

Grundversorgung und Wirtschaft

In Indien lebt etwa ein Viertel der Bevölkerung unter dem veranschlagten Existenzminimum der Vereinten Nationen. Sofern es nicht zu außergewöhnlichen Naturkatastrophen kommt, ist jedoch eine das Überleben sichernde Nahrungsversorgung auch der untersten Schichten der Bevölkerung zum Großteil gewährleistet. Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer, Sozialhilfe gibt es nicht, die Rückkehrer sind auf die Unterstützung der eigenen Familie oder von Bekannten angewiesen (ÖB 12.2018).

Das Wirtschaftswachstum lag im Haushaltsjahr 2016/2017 bei 7,1 Prozent und in 2017/18 bei 6,75 Prozent mit wieder steigender Tendenz. Indien zählt damit nach wie vor zu den am stärksten expandierenden Volkswirtschaften der Welt (AA 11.2018a).

2016 lag die Erwerbsquote laut Schätzungen der ILO bei 55,6 Prozent. Der Hauptteil der Menschen arbeitet im Privatsektor. Es gibt immer noch starke Unterschiede bei der geschlechtlichen Verteilung des Arbeitsmarktes. Indien besitzt mit 478,3 Millionen Menschen die zweitgrößte Arbeitnehmerschaft der Welt (2012). Jährlich kommen 12,8 Millionen Arbeitskräfte hinzu. Im Jahr 2015 lag die Arbeitslosenquote bei 3,4 Prozent (nach ILO 2016) (BAMF 3.9.2018).

Schätzungen zufolge stehen nur circa 10 Prozent aller Beschäftigten in einem vertraglich geregelten Arbeitsverhältnis. Die übrigen 90 Prozent werden dem sogenannten „informellen Sektor“ zugerechnet – sie sind weder gegen Krankheit oder Arbeitsunfälle abgesichert, noch haben sie Anspruch auf soziale Leistungen oder Altersversorgung (AA 11.2018a). Die überwiegende Mehrheit der indischen Bevölkerung lebt in ländlich-bäuerlichen Strukturen und bleibt wirtschaftlich benachteiligt. Der Anteil der Landwirtschaft an der indischen Wirtschaftsleistung sinkt seit Jahren kontinuierlich und beträgt nur noch etwa 16,4 Prozent (2017/18) der Gesamtwirtschaft, obgleich fast 50 Prozent der indischen Arbeitskräfte in diesem Bereich tätig sind (AA 11.2018a).

Die Regierung hat überall im Land rund 1.000 Arbeitsagenturen (Employment Exchanges) eingeführt um die Einstellung geeigneter Kandidaten zu erleichtern. Arbeitssuchende registrieren sich selbständig bei den Arbeitsagenturen und werden informiert sobald eine geeignete Stelle frei ist (BAMF 3.9.2018; vgl. PIB 23.7.2018). Das Nationale Mahatma Gandhi Beschäftigungsgarantieprogramm für die ländliche Bevölkerung (Mahatma Gandhi National Rural Employment Guarantee Act, MGNREGA), läuft bis 2019. Das Ziel des laufenden Programms besteht darin, die ländliche Infrastruktur zu verbessern, die Land- und Wasserressourcen zu vergrößern und der armen Landbevölkerung eine Lebensgrundlage zu bieten: Jedem Haushalt, dessen erwachsene Mitglieder bereit sind, manuelle Arbeiten zu verrichten, welche keiner besonderen Qualifikation bedarf, wird mindestens 100 Tage Lohnarbeit pro Haushaltsjahr garantiert (SNRD 26.3.2018). Einige Staaten in Indien geben Arbeitssuchenden eine finanzielle Unterstützung für die Dauer von drei Jahren. Für weitere Informationen sollte die jeweilige lokale Vermittlungsagentur kontaktiert werden. Diese bieten auch Beratungen an, bei denen sie Informationen zu Verfügung stellen (BAMF 3.9.2018).

Indien steht vor gewaltigen Herausforderungen bei der Armutsbekämpfung und in der Bildungs- und Infrastrukturentwicklung. Das durchschnittliche jährliche Pro-Kopf-Einkommen liegt bei rund 1.970 USD. Auf dem Human Development Index der UNDP (Stand: September 2016) steht Indien auf Platz 130 unter 188 erfassten Staaten. Während es weltweit die meisten Millionäre und Milliardäre beheimatet, liegt Indien bei vielen Sozialindikatoren deutlich unter den Durchschnittswerten von Subsahara-Afrika. Gleichzeitig konnten in den letzten beiden Jahrzehnten hunderte Millionen Menschen in Indien der Armut entkommen (AA 11.2018a).

Die Regierung betreibt eine Vielzahl von Programmen zur Finanzierung von Wohnungen. Diese richten sich jedoch zu meist an Personen unterhalb der Armutsgrenze. Weiters bieten die Regierungen eine Vielzahl an Sozialhilfen an, welche sich jedoch an unterprivilegierte Gruppen, wie die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze richten. Diese Programme werden grundsätzlich durch die lokalen Verwaltungen umgesetzt (Panchayat) (BAMF 3.9.2018).

Die Arbeitnehmerrentenversicherung ist verpflichtend und mit der Arbeit verknüpft. Das staatliche Sozialversicherungsprogramm (National Social Assistance Programme) erfasst nur die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze oder physisch Benachteiligte. Das staatliche Rentensystem National Pension System (NPS) ist ein freiwilliges, beitragsbasiertes System, welches es den Teilnehmer ermöglicht systematische Rücklagen während ihres Arbeitslebens anzulegen (BAMF 3.9.2018).

55,3 Prozent der Bevölkerung (642,4 Mio.) lebt in multi-dimensionaler Armut (HDI 2016). Sofern es nicht zu außergewöhnlichen Naturkatastrophen kommt, ist jedoch eine für das Überleben ausreichende Nahrungsversorgung auch den schwächsten Teilen der Bevölkerung grundsätzlich sichergestellt. Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer, Sozialhilfe oder ein anderes soziales Netz. Rückkehrer sind auf die Unterstützung der Familie oder Freunde angewiesen. Vorübergehende Notlagen können durch Armenspeisungen im Tempel, insbesondere der Sikh-Tempel, die auch gegen kleinere Dienstleistungen Unterkunft gewähren, ausgeglichen werden (AA 18.9.2018).

Im September 2018 bestätigte der Oberste Gerichtshof die Verfassungsmäßigkeit des biometrischen Identifikationsprojekts Aadhaar (HRW 17.1.2019). Als Teil einer Armutsbekämpfungsinitiative wurde seit 2010 Millionen indischer Bürger eine Aadhaar-ID Nummer ausgestellt. Ursprünglich wurde das System eingeführt, um Steuerbetrug entgegenzuwirken. In den folgenden Jahren wurde der Umfang jedoch stark ausgeweitet: In einigen indischen Bundesstaaten werden mittels Aadhaar Pensionen, Stipendien und die Essensausgabe für arme Menschen abgewickelt (ORF 27.9.2018). Aadhaar stellt für den Großteil der Bevölkerung den einzigen Zugang zu einem staatlich anerkannten Ausweis dar. Diejenigen, die sich bei Aadhaar angemeldet haben, erhielten nach der Übermittlung ihrer Fingerabdrücke und Netzhautscans eine eindeutige zwölfstellige Identifikationsnummer (BBC 26.9.2018).

Menschenrechtsgruppen äußern Bedenken, dass die Bedingungen zur Registrierung für Aadhaar, arme und marginalisierte Menschen daran hindern, wesentliche, verfassungsmäßig garantierte Dienstleistungen wie etwa Nahrung und Gesundheitsversorgung zu erhalten (HRW 18.1.2018).

Medizinische Versorgung

Eine gesundheitliche (Minimal)-Grundversorgung wird vom Staat im Prinzip kostenfrei gewährt. Sie ist aber durchweg unzureichend. Von den Patienten wird viel Geduld abverlangt, da der Andrang auf Leistungen des staatlichen Gesundheitssektors sehr groß ist. Die privaten Gesundheitsträger genießen wegen fortschrittlicher Infrastruktur und qualifizierterem Personal einen besseren Ruf, ein Großteil der Bevölkerung kann sich diesen aber nicht leisten. In allen größeren Städten gibt es Einrichtungen, in denen überlebensnotwendige Maßnahmen durchgeführt werden können. Dies gilt mit den genannten Einschränkungen auch für den öffentlichen Bereich. Fast alle gängigen Medikamente sind in Indien (meist als Generika westlicher Produkte) auf dem Markt erhältlich. Für den (relativ geringen) Teil der Bevölkerung, welche sich in einem formellen Arbeitsverhältnis befindet, besteht das Konzept der sozialen Absicherung aus Beitragszahlungen in staatliche Kassen sowie einer Anzahl von – vom Arbeitgeber zu entrichtenden – diversen Pauschalbeträgen. Abgedeckt werden dadurch Zahlungen für Renten, Krankenversicherung, Mutter-Karenz sowie Abfindungen für Arbeitslosigkeit bzw. Arbeitsunfähigkeit (ÖB 12.2018).

[…]

Rückkehr

Allein die Tatsache, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, führt nicht zu nachteiligen Konsequenzen nach der Abschiebung. Auch in jüngerer Zeit wurden bei rückgeführten abgelehnten indischen Asylbewerbern keine Benachteiligungen nach Rückkehr bekannt. Polizeilich gesuchte Personen müssen allerdings bei Einreise mit Verhaftung und Übergabe an die Sicherheitsbehörden rechnen (AA 18.9.2018).

[…]“

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen hinsichtlich der Person des Beschwerdeführers und zum bisherigen Verfahren:

Die Feststellungen zum Namen sowie zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen bisherigen Angaben im Verfahren (Seite 4 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung; AS 70, 83 und 131) in Verbindung mit der vom Beschwerdeführer vorgelegten Geburtsurkunde (AS 138ff).

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zur Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit, zur Muttersprache und dem Familienstand des Beschwerdeführers ergeben sich aus den eigenen Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren (Seiten 4 und 6f der Niederschrift der Verhandlung).

Die Feststellungen des Beschwerdeführers zu seinem Geburtsort, seinen Aufenthaltsorten sowie dem Aufenthaltsort seiner Familienangehörigen und dem Kontakt zu diesen und seiner Schulbildung beruhen auf den plausiblen Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren (Seiten 6f der Niederschrift der Verhandlung), an denen kein Grund zu zweifeln besteht.

Die Feststellungen zur illegalen Einreise des Beschwerdeführers ins österreichische Bundesgebiet sowie zur Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz und seinem Aufenthalt in Österreich ergeben sich aus der fehlenden Vorlage eines gültigen Reisepasses samt Visum für Österreich, einem Auszug aus der Asylwerberinformationsdatei des Bundesministeriums für Inneres vom 07.02.2011 (AS 4ff) und einer Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister.

Dass dem Beschwerdeführer seit Zustellung des Erkenntnisses des Asylgerichtshofes vom 30.05.2011, GZl.: C13 417.622-1/2011/5E (AS 10ff), am 24.06.2011 (vgl. AS 9) bewusst war, dass er sich seit diesem Zeitpunkt unrechtmäßig in Österreich aufhielt und zur Ausreise verpflichtet war, ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers vor der Bundespolizeidirektion Wien am 25.08.2011 (AS 70f).

Die Feststellungen zur Stellung des gegenständlichen Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 am 01.03.2016 samt erstmaliger Vorlage einer Geburtsurkunde, der Belehrung des Beschwerdeführers über seine Mitwirkungspflichten sowie Aufforderung des Beschwerdeführers zur Vorlage eines Reisepasses bei sonstiger Zurückweisung seines Antrages ergeben sich aus dem Antrag des Beschwerdeführer auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 vom 01.03.2016 (AS 131), der dem Verwaltungsakt in Kopie einliegenden Geburtsurkunde bzw. deren in Kopie einliegender beglaubigter Übersetzung (AS 138ff), der Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.03.2016 (AS 182) und der Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 08.08.2016 (AS 199f). Der Beschwerdeführer wurde schließlich auch in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 28.09.2016 persönlich noch einmal zur Vorlage eines gültigen Reisepasses aufgefordert (AS 224).

Dass der Beschwerdeführer im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl oder dem Bundesverwaltungsgericht keinen Reisepass vorgelegt hat, ergibt sich aus dem Akteninhalt sowie den eigenen Angaben des Beschwerdeführers (Seite 4 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung). Der Beschwerdeführer hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihm die Beschaffung eines Reisepasses nachweislich unmöglich oder unzumutbar ist:

Der Beschwerdeführer tätigte zunächst bereits zum Aufsuchen der Botschaft widersprüchliche Angaben: In seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 28.09.2016 behauptete der Beschwerdeführer, dass er bereits bei der Botschaft gewesen wäre, wo ihm allerdings mitgeteilt worden sei, dass er einen Reisepass erhielte, sobald er ein Visum bekomme (AS 224). Mit Schreiben vom 27.10.2016 wurde vorgebracht, dass der Beschwerdeführer am 14.10.2016 (sohin nach seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 28.09.2016) die indische Botschaft aufgesucht habe, um einen Reisepass zu beantragen; ihm sei jedoch mitgeteilt worden, dass dies nur möglich sei, wenn er über ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verfügen würde (AS 231). In der mündlichen Verhandlung schließlich vermeinte der Beschwerdeführer demgegenüber mit seinen bisherigen Ausführungen im Verfahren nicht im Einklang stehend, dass er lediglich einmal bei der Botschaft gewesen wäre und ihm dort gesagt worden sei, dass er keinen Reisepass bekommen würde, solange er keine Aufenthaltsberechtigung habe; er sei am 08.07.2017 bei der Botschaft gewesen. Auf die Frage, ob er seitdem noch einmal zur Botschaft gegangen sei, gab der Beschwerdeführer ausdrücklich an, nicht noch einmal zur Botschaft gegangen zu sein. Auf Vorhalt, dass eingangs der Verhandlung eine diesbezügliche Bestätigung der indischen Botschaft, datiert vom 12.06.2020, vorgelegt worden sei, vermeinte der Beschwerdeführer nur, er sei dieses Jahr schon hingegangen; explizit erklärte der Beschwerdeführer dabei weiters – wiederum widersprüchlich zu seinen bisherigen Angaben – davor nicht mehr hingegangen zu sein (Seite 5 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung). Auch die abschließende Behauptung des Beschwerdeführers, er sei insgesamt dreimal bei der indischen Botschaft gewesen, steht im Widerspruch zu den zuvor getätigten, unstimmigen Ausführungen des Beschwerdeführers.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers ist auch insofern nicht glaubhaft, als in der Stellungnahme vom 27.10.2016 unsubstantiiert behauptet wurde, dass dem Beschwerdeführer die Ausstellung einer schriftlichen Bestätigung über seine Vorsprache bei der indischen Botschaft verweigert worden sei (AS 231), der Beschwerdeführer jedoch in der mündlichen Verhandlung eine derartige Bestätigung vorlegte (Beilage./A der Niederschrift der mündlichen Verhandlung).

Der Beschwerdeführer hat in der mündlichen Verhandlung einen Ladungsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.05.2017 vorgelegt, laut welchem er sich am 08.06.2017 bei der Konsularabteilung der Botschaft Indiens einfinden sollte. Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers gab dazu an, dass er selbst damals dabei gewesen wäre und der Beschwerdeführer nach seinem Namen, seinem Geburtsort und der Dauer seines Aufenthaltes in Österreich sowie seiner Integration befragt worden sei (Seite 5 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung). Der Beschwerdeführer suchte diesem Vorbringen zufolge die indische Botschaft auf Aufforderung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl auf; dass der Beschwerdeführer dabei die Ausstellung eines Reisepasses beantragt hätte, ist diesen Ausführungen nicht zu entnehmen.

Der Beschwerdeführer hat damit insgesamt nicht glaubhaft dargelegt, dass er sich – abgesehen von einem einmaligen Aufsuchen der indischen Botschaft zu nicht näher spezifizierten Visa-/Reisepass-/Konsularangelegenheiten (Bestätigungsschreiben der indischen Botschaft vom 12.06.2020 – Beilage ./1 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung) – bis zu diesem Zeitpunkt jemals konkret um die Ausstellung eines Reisepasses bemüht hat. Dass ihm die Beschaffung eines Reisepasses nachweislich unmöglich oder unzumutbar wäre, hat der Beschwerdeführer insgesamt nicht glaubhaft dargelegt.

Die Feststellungen zu den Lebensumständen, den sozialen und wirtschaftlichen Anknüpfungspunkten sowie den Aktivitäten des Beschwerdeführers in Österreich und dem Nichtbezug von Grundversorgungsleistungen ergeben sich aus den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren (Seiten 7 bis 11 der Niederschrift der Verhandlung) in Verbindung mit den vom Beschwerdeführer im Verfahren vorgelegten Unterlagen (insbesondere Beilage ./A der Niederschrift der mündlichen Verhandlung; AS 145 bis 177) sowie den Einsichtnahmen in das Zentrale Melderegister und das Betreuungsinformationssystem. Die Feststellung zu den Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer diesbezüglichen Prüfung der Kenntnisse des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung (Seite 8 der Niederschrift der Verhandlung).

Dass der Beschwerdeführer gesund und arbeitsfähig ist, ergibt sich aus den eigenen Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Gesundheitszustand (AS 224; Seite 3 der Niederschrift der Verhandlung) in Verbindung mit den in Österreich verrichteten Tätigkeiten.

Die Feststellung zur Unbescholtenheit ergibt sich aus einer Einsichtnahme in das Strafregister.

2.2. Zu den Feststellungen hinsichtlich der Lage in Indien sowie einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers dorthin:

Es sind im gesamten Verfahren keine Umstände hervorgekommen, denen zu entnehmen wäre, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat konkret Gefahr liefe, dort der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe beziehungsweise der Todesstrafe unterworfen zu werden oder in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Notlage zu geraten. Der Beschwerdeführer ist fast zweiunddreißig Jahre alt, gesund und arbeitsfähig. Ihm ist im Fall einer Rückkehr nach Indien aufgrund der dortigen Lage, die sich aus den dem gegenständlichen Erkenntnis zugrundeliegenden Länderfeststellung ergibt, und unter Berücksichtigung seiner persönlichen Verhältnisse die Teilnahme am dortigen Erwerbsleben möglich und zumutbar und ist davon auszugehen, dass der junge, gesunde und arbeitsfähige Beschwerdeführer, der über langjährige Schulbildung verfügt, seinen Lebensunterhalt im Herkunftsstaat erwirtschaften können wird. Der Beschwerdeführer verfügt in Indien zudem nach wie vor über familiäre Anknüpfungspunkte in Form seiner Mutter und seines Bruders, zu welchen der Beschwerdeführer Kontakt hat, sodass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr zudem auf ein familiäres Netz zurückgreifen könnte. Bis zu seiner Ausreise aus Indien lebte der Beschwerdeführer gemeinsam mit seinen Eltern und seinem Bruder in einem Haus.

Eine Gefährdung des Beschwerdeführers im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat wurde zudem in der Beschwerde in keiner Weise behauptet.

Auch im Hinblick auf die weltweite Ausbreitung des COVID-19-Erregers kann unter Zugrundelegung der medial ausführlich kolportierten, notorischen Entwicklungen (auch) im Herkunftsland des Beschwerdeführers bislang keine derartige Entwicklung erkannt werden, die eine entscheidungsrelevante Lageänderung erkennen lässt und wurde dies auch vom Rechtsvertreter des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung mit dem pauschalen Verweis auf die durch COVID-19 bedingte Situation in Indien nicht dargetan. Was die Folgen der COVID-19-Pandemie in Indien betrifft, so ist überdies festzuhalten, dass es sich hierbei definitionsgemäß um eine weltweite Problematik handelt und kein Staat absolute Sicherheit vor dieser Erkrankung bieten kann; dies wird etwa auch durch die aktuellen Entwicklungen in der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika belegt. Der junge und gesunde Beschwerdeführer gehört überdies jedenfalls keiner Risikogruppe an.

Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht (wesentlich) geändert haben.

In der mündlichen Verhandlung wurde das dem gegenständlichen Erkenntnis zugrundeliegende Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 04.02.2019, zuletzt aktualisiert am 09.08.2019, verlesen und erörtert und dem Beschwerdeführer Gelegenheit zu Abgabe einer Stellungnahme gegeben, wozu dieser ausführte, dass er aus einer unteren Schicht komme, seine Familie arm und nicht wohlhabend sei; in Österreich gehe es ihm gut und sehe er hier eine bessere Zukunft (Seite 12 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung). Der Rechtsvertreter verwies pauschal auf die durch COVID-19 bedingte Situation in Indien (siehe dazu oben) und beantragte im Übrigen eine zweiwöchige Frist zwecks Einbringung einer Stellungnahme. Mit schriftlicher Stellungnahme vom 21.06.2020 beantragte der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers die Übermittlung von aktuellsten Berichten und aktuellsten Feststellungen zur Lage in Indien im Zusammenhang mit COVID-19, insbesondere im Hinblick auf die Auswirkungen der Pandemie betreffend das Gesundheitswesen, die Versorgungslage sowie die allgemeinen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Belange bzw. die Zumutbarkeit einer Rückkehr nach Indien unter Berücksichtigung dessen. Angesichts der notorischen und medial hinreichend kolportierten Entwicklung der Lage in Indien im Zusammenhang mit COVID-19 sowie unter Berücksichtigung des lediglich pauschalen Verweises auf möglicherweise zu erwartende Auswirkungen, dies rund zwei Wochen nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in welcher diesbezüglich ebenfalls keinerlei substantiierte Ausführungen erstattet wurden, war diesem Antrag nicht stattzugeben; im Übrigen wird auf die Ausführungen oben zur COVID-19-Pandemie unter Bedachtnahme auf die individuellen Umstände des Beschwerdeführers verwiesen.

Insgesamt wurde damit den gegenständlichen Feststellungen zur Lage in Indien nicht substantiiert entgegengetreten.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Die Beschwerde ist rechtzeitig und zulässig.

3.2. Zu A) II. – Abweisung der Beschwerde hinsichtlich des Spruchpunktes IV. des angefochtenen Bescheides (Abweisung des Antrages auf Heilung gemäß § 4 AsylG-DV):

3.2.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des AsylG-DV lauten:

„§ 4. (1) Die Behörde kann auf begründeten Antrag von Drittstaatsangehörigen die Heilung eines Mangels nach § 8 und § 58 Abs. 5, 6 und 12 AsylG 2005 zulassen:

1. im Fall eines unbegleiteten Minderjährigen zur Wahrung des Kindeswohls,

2. zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK oder

3. im Fall der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden oder Nachweise, wenn deren Beschaffung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

(2) Beabsichtigt die Behörde den Antrag nach Abs. 1 zurück- oder abzuweisen, so hat die Behörde darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.“

„§ 8. (1) Folgende Urkunden und Nachweise sind - unbeschadet weiterer Urkunden und Nachweise nach den Abs. 2 und 3 - im amtswegigen Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels (§ 3) beizubringen oder dem Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels (§ 3) anzuschließen:

1. gültiges Reisedokument (§ 2 Abs. 1 Z 2 und 3 NAG);

2. Geburtsurkunde oder ein dieser gleichzuhaltendes Dokument;

3. Lichtbild des Antragstellers gemäß § 5;

4. erforderlichenfalls Heiratsurkunde, Urkunde über die Ehescheidung, Partnerschaftsurkunde, Urkunde über die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft,

Urkunde über die Annahme an Kindesstatt, Nachweis oder Urkunde über das Verwandtschaftsverhältnis, Sterbeurkunde.

[...]“

3.2.2. Nach dem Heilungstatbestand des § 4 Abs. 1 Z 2 der AsylG-DV 2005 „kann“ die Behörde die Heilung eines Mangels (u.a.) nach § 8 der AsylG-DV 2005 (unterbliebene Vorlage der dort genannten Urkunden) „auf begründeten Antrag“ des Drittstaatsangehörigen zulassen, wenn das (gemeint: die Erteilung des Aufenthaltstitels) zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK erforderlich ist. Letzteres ist freilich in jenen Konstellationen, in denen von Amts wegen ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen ist, schon voraussetzungsgemäß der Fall. Dann kann es aber weder auf das Vorliegen eines „begründeten Antrags“ ankommen, noch stehen dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl andere Alternativen zur Verfügung als die an die Erteilung anschließende Ausfolgung des Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005. Vor diesem Hintergrund erwiese sich die Stellung eines Heilungsantrages als reiner Formalismus, was es nahelegt, die „Heilung“ dann auch ohne einen solchen Antrag eintreten zu lassen (Hinweis E 14.04.2016, Ra 2016/21/0077).

Das – durch § 8 AsylG-DV 2005 näher konkretisierte – Erfordernis der Klärung der Identität des Fremden wäre gegebenenfalls schon dann als erfüllt anzusehen, wenn (bloß) eine eindeutige „Verfahrensidentität“ dergestalt besteht, dass es sich bei jener Person, der der Aufenthaltstitel erteilt bzw. ausgefolgt wird, mit Sicherheit um jene handelt, in Bezug auf die die dauerhafte Unzulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung ausgesprochen wurde (VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0187).

3.2.3. Der Beschwerdeführer hat dem in § 8 AsylG-DV normierten Erfordernis der Vorlage eines gültigen Reisedokuments nicht entsprochen. Der Beschwerdeführer hat im Verfahren vor der Behörde zu keinem Zeitpunkt einen Reisepass vorgelegt und ist die Beschaffung eines Reisepasses dem Beschwerdeführer nicht nachweislich unmöglich oder unzumutbar.

Damit ist der Tatbestand des § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV, wonach auf begründeten Antrag im Fall der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden oder Nachweise, wenn deren Beschaffung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war, eine Heilung eintreten kann, nicht erfüllt.

Zum Verweis des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.05.2020, GZl.: W220 1409224-4/13E, in welcher „es um die Heilung eines Mangels gegangen“ und diesem Antrag stattgegeben worden sei (Seite 11 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung), ist darauf hinzuweisen, dass mit dieser zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes der in diesem Verfahren beschwerdeführenden Partei eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ gemäß § 54 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 iVm § 55 Abs. 1 AsylG 2005 erteilt wurde, weil dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens der beschwerdeführenden Partei geboten war (vgl. das zitierte Erkenntnis, Seite 18); auf die Nichtvorlage eines Reisepasses kam es in der zitierten Entscheidung demnach ebenso wenig wie auf die Stellung eines begründeten (Heilungs-)Antrages an (vgl. die oben wiedergegebene diesbezügliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes), weshalb das zitierte Erkenntnis für die Frage einer Heilung der Nichtvorlage eines Reisepasses aufgrund des § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV nicht relevant ist.

Da der Beschwerdeführer volljährig ist, konnte auch eine Heilung nach § 4 Abs. 1 Z 1 AsylG-DV nicht eintreten.

Zur Heilung nach § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass die Bedingung, wonach die Erteilung des Aufenthaltstitels zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK erforderlich sein muss, in jenen Konstellationen, in denen von Amts wegen ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen ist, voraussetzungsgemäß erfüllt ist (vgl. E 15.09.2016, Ra 2016/21/0187). Auch im Fall eines Antrags auf Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels gilt, dass die Voraussetzungen für die verfahrensrechtliche Heilung nach § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV 2005 die gleichen sind wie für die materielle Stattgabe des verfahrenseinleitenden Antrags. Die Prüfung, ob einem Heilungsantrag nach § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV 2005 stattzugeben ist, unterscheidet sich also inhaltlich nicht von der Beurteilung, ob der Titel nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen ist. Daraus folgt auch, dass bei einem Antrag nach § 55 AsylG 2005 in Bezug auf die Heilung nach § 4 Abs. 1 AsylG-DV 2005 in erster Linie und vorrangig die Voraussetzungen der Z 2 der genannten Bestimmung zum Tragen kommen und dass es unzulässig ist, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 trotz Vorliegens der hierfür erforderlichen Voraussetzungen wegen Nichtvorlage von Identitätsdokumenten zurückzuweisen (vgl. B 17.11.2016, Ra 2016/21/0314) (VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0168).

Eine Heilung aufgrund § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV (zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK) kann aufgrund folgender Erwägungen nicht eintreten:

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung – nunmehr Rückkehrentscheidung – nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Bei dieser Interessenabwägung sind – wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird –insbesondere zu berücksichtigen: 1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, 2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, 3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, 4. der Grad der Integration, 5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, 6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit, 7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, 8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, 9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (vgl. auch VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

Das nach Art. 8 EMRK geschützte Familienleben ist nicht auf durch Heirat rechtlich formalisierte Beziehungen beschränkt, sondern erfasst auch faktische Familienbindungen, bei welchen die Partner außerhalb des Ehestandes zusammenleben. Auch eine aufrechte Lebensgemeinschaft fällt unter das von Art 8 EMRK geschützte Familienleben (VwGH 9.9.2013, 2013/22/0220 mit Hinweis auf E vom 19.3.2013, 2012/21/0178, E vom 30.8.2011, 2009/21/0197, und E vom 21.4.2011, 2011/01/0131). Vom Prüfungsumfang des Begriffes des „Familienlebens“ in Artikel 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern beispielsweise auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben im Sinne des Artikels 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des „Familienlebens“ in Artikel 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

Der Beschwerdeführer verfügt weder über Familienangehörige in Österreich noch befindet er sich in einer Lebensgemeinschaft. Ein Eingriff in das Familienleben des Beschwerdeführers ist demnach zu verneinen.

Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen eines Menschen zu verstehen (vgl. EGMR 15.01.2007, Sisojeva ua. gegen Lettland, Appl. 60654/00). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst der verstrichene Zeitraum im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art 8 MRK, ÖJZ 2007, 852 ff). Die zeitliche Komponente ist insofern wesentlich, als – abseits familiärer Umstände – eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/01/0479, davon aus, dass „der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahr

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten