Entscheidungsdatum
06.07.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z4Spruch
W103 2168112-2/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. AUTTRIT als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.07.2019, Zl. 1091591508-190293409/ BMI BFA_WIEN_RD, zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 7 Abs. 1 Z 1 und Abs. 4, 8 Abs. 3a iVm 9 Abs. 2, 57, 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005, § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 2 Z 3 und Abs. 9 FPG, §§ 53 Abs. 1 Z 1 und 55 FPG, jeweils idgF, als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein minderjähriger Staatsangehöriger Somalias, reiste gemeinsam mit seiner Mutter und seinen Geschwistern illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 20.10.2015 durch seine gesetzliche Vertreterin einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Mutter des Beschwerdeführers gab anlässlich ihrer polizeilichen Erstbefragung am 20.10.2015 sowie ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 10.07.2017 zu den Gründen der Antragstellung der Familie im Wesentlichen an, sie habe in Mogadischu als Angehörige einer Minderheit gelebt, ihre Brüder und ihr Vater seien von Al Shabaab getötet worden. Sie habe mit ihrem Ex-Mann zuletzt elf Jahre lang in Kuwait gelebt und könne auch deshalb nicht nach Somalia zurückkehren, da sie Angst vor einer Beschneidung ihrer Töchter hätte.
2. Am 04.05.2017 wurde durch den bevollmächtigten Vertreter der Familie des Beschwerdeführers eine Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht eingebracht, welche dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt wurde.
Mit Beschluss eines Bezirksgerichts vom XXXX wurde die Obsorge für den minderjährigen Beschwerdeführer im Bereich Pflege und Erziehung dem Kinder- und Jugendhilfeträger übertragen.
Am 09.10.2017 fand im Verfahren des Beschwerdeführers und seiner Familie eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt.
3. Mit rechtskräftigen Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.10.2017 wurde – infolge Stattgabe der Säumnisbeschwerden – den drei minderjährigen Schwestern des Beschwerdeführers der Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 zuerkannt. Dem Beschwerdeführer, seiner Mutter sowie seinem ebenfalls minderjährigen Bruder wurde der Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 AsylG 2005 im Wege des Familienverfahrens zuerkannt.
4. Am 18.03.2019 wurde über den minderjährigen Beschwerdeführer die Untersuchungshaft verhängt.
5. Am 01.04.2019 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein einer Dolmetscherin sowie seiner gesetzlichen Vertreterin zur Prüfung einer möglichen Aberkennung des Status des Asylberechtigten niederschriftlich einvernommen. Der Beschwerdeführer gab über entsprechende Befragung zusammengefasst zu Protokoll, er sei gesund, stünde nicht in ärztlicher Behandlung, er habe bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben getätigt und befinde sich seit fast vier Jahren in Österreich. Auf die Frage, weshalb er Asyl erhalten hätte, antwortete der Beschwerdeführer: „Wegen der Zukunft, weil ich wegen der Familie hier bin.“ Die Frage, ob ihn seine Mutter über die Gründe für die Zuerkennung des Asylstatus in Kenntnis gesetzt hätte, wurde vom Beschwerdeführer verneint. Dieser sei ledig, seine Mutter und seine Geschwister befänden sich in Österreich, der Beschwerdeführer lebe mit diesen jedoch nicht zusammen. Seine Großmutter hielte sich noch in Somalia auf, weitere Verwandte würden in verschiedenen Staaten Europas leben. Nachgefragt, würden auch noch Onkeln und Tanten in Somalia leben, über diese sei dem Beschwerdeführer jedoch nichts Näheres bekannt. Der Vater des Beschwerdeführers lebe in Schweden. Welchem Clan dieser angehöre, sei dem Beschwerdeführer nicht bekannt. In Österreich lebe er in einem Krisenzentrum, er sei in keinen Vereinen Mitglied und habe hier eineinhalb Jahre lang die Mittelschule und im Anschluss ein Jahr ein Polytechnikum besucht. Er habe sich im Jugendcollege und in einer Produktionsschule anmelden wollen, habe dies jedoch bis dato nicht gemacht. Er habe keine besonderen Bindungen zu Österreich. Er wolle eine Lehre machen. Ob ihm im Falle einer Abschiebung nach Somalia Verfolgung, unmenschliche Behandlung oder die Todesstrafe drohen würde, wisse der Beschwerdeführer nicht.
Am 08.04.2019 wurde der Beschwerdeführer aus der Untersuchungshaft entlassen.
Mit Eingabe vom 15.04.2019 wurde von der gesetzlichen Vertreterin des Beschwerdeführers eine schriftliche Stellungnahme eingebracht, in der zusammengefasst ausgeführt wurde, die Ladung zur Einvernahme sei der gesetzlichen Vertretung einen Werktag vor der geplanten Einvernahme übermittelt worden, wodurch eine entsprechende Vorbereitung nicht möglich gewesen wäre; es werde daher beantragt, die Einvernahme nach zeitgerechter Ladung zu wiederholen. Zu einer möglichen Aberkennung des Asylstatus sei auszuführen, dass sich im Strafverfahren herausstellen werde, ob es tatsächlich zu einer Verurteilung komme. Selbst im Falle einer solchen sei auf das Vorleben des Beschwerdeführers, das Strafausmaß sowie Milderungsgründe Bezug zu nehmen. Eine Aberkennung dürfe nur im Falle einer festgestellten Wiederholungsgefahr erfolgen. Der Beschwerdeführer sei noch jugendlich und werde erst in eineinhalb Jahren die Volljährigkeit erreichen. Dieser habe nie in Somalia gelebt und sei mit den Gegebenheiten in Mogadischu, wo noch seine 60-jährige Großmutter lebe, nicht vertraut. Somalia sei nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt. Die Gewalt in Somalia sei hoch, es würden Nahrungsmittelknappheit und Arbeitslosigkeit herrschen. Da der Beschwerdeführer ohne familiäres und soziales Netz sowie ohne Clanzugehörigkeit nach Somalia zurückkehren müsste, wäre eine Integration de facto unmöglich, zumal die Möglichkeit, durch eigene Erwerbstätigkeit einen Lebensunterhalt zu verdienen, bei einer Jugendarbeitslosigkeit von beinahe 70 Prozent faktisch nicht vorhanden sei. Zudem sei der Beschwerdeführer aufgrund seiner persönlichen Umstände einem erhöhten Risiko ausgesetzt, in Somalia Opfer einer Zwangsrekrutierung zu werden. Eine Rückkehrentscheidung würde eine Verletzung des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers darstellen. Dieser habe ausschließlich in Österreich ein Familienleben, er habe hier die Schule besucht und spreche die Landessprache.
Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX Zahl XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Hausfriedensbruchs nach § 109 Abs. 1 und Abs. 3 Z 1, Z 2 und Z 3 StGB sowie des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 1 zweiter Fall StGB schuldig befunden und zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von achtzehn Monaten verurteilt, von der ihm ein Teil in der Höhe von vierzehn Monaten unter Setzung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurde.
6. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer der mit Erkenntnis vom 10.10.2017, Zahl: W142 2168112-1/10E, zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 festgestellt, dass diesem die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.). Weiters wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 3a iVm 9 Abs. 2 AsylG nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und ausgesprochen, dass dessen Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Somalia gemäß § 8 Abs. 3a AsylG iVm § 9 Abs. 2 AsylG und § 52 Abs. 9 FPG unzulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).
Die Aberkennung des Status des Asylberechtigten wurde mit der Verurteilung des Beschwerdeführers wegen eines besonders schweren Verbrechens begründet, aufgrund derer er als gemeingefährlicher Täter anzusehen wäre.
Zur Rückkehrsituation des Beschwerdeführers wurde erwogen, dass eine erfolgreiche Rückkehr und Reintegration in Somalia im erheblichen Maß von der Clanzugehörigkeit sowie lokalen Beziehungen der zurückkehrenden Person abhängig sei. Der Beschwerdeführer habe seinen Herkunftsstaat als Minderjähriger verlassen, seine Kernfamilie sei in Österreich aufhältig. In Somalia habe dieser keine sozialen Anknüpfungspunkte. Eine Gefährdung seiner Person könne im Falle einer Rückkehr nach Somalia nicht ausgeschlossen werden. Da der Beschwerdeführer wegen eines Verbrechens verurteilt worden wäre, sei er gemäß § 9 Abs. 2 AsylG von der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ausgeschlossen.
Dieser lebe mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in keinem gemeinsamen Haushalt und verfüge entsprechend seinen Angaben über kein umfangreiches Privatleben im Bundesgebiet. Dieser habe in Bezug auf den behaupteten Schulbesuch und Spracherwerb keinerlei Unterlagen in Vorlage gebracht. Ein überdurchschnittliches Engagement hinsichtlich einer Integration lasse sich auch vor diesem Hintergrund nicht erkennen. Demgegenüber stünde sein strafrechtswidriges Verhalten.
Die Verhängung eines Einreiseverbotes wurde auf die strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers gestützt. Aufgrund der Schwere des Verbrechens sei der Beschwerdeführer als Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu qualifizieren, zumal er seine Gleichgültigkeit gegenüber der österreichischen Rechtsordnung klar zum Ausdruck gebracht hätte. Demgemäß müsse auch eine Zukunftsprognose negativ ausfallen und es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer in Hinkunft keine weiteren strafbaren Handlungen der geschilderten Art begehen werde. Angesichts der gezeigten Gewaltbereitschaft sowie der Mehrzahl an verwirklichten Straftatbeständen lasse sich ein Wegfall der von ihm ausgehenden Gefährdung zum Entscheidungszeitpunkt nicht prognostizieren.
7. Mit am gleichen Tag eingelangtem Schriftsatz vom 05.09.2019 wurde durch die gesetzliche Vertretung des Beschwerdeführers die gegenständliche Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis IV. sowie VI bis VII. des dargestellten Bescheides erhoben. In dieser wurde begründend zusammenfassend ausgeführt, die Behörde habe sich mit der Tatsache der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers nur unzureichend auseinandergesetzt und kinderspezifische Standards unberücksichtigt gelassen, zumal im Bescheid überhaupt keine Erwägungen zu den individuellen Tatumständen und allfälligen sonstigen Zusammenhängen angestellt worden seien. Wie bereits aus dem Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen, sowohl der GFK als auch des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005, klar hervorginge, reiche alleine das Vorliegen eines schweren Verbrechens nicht aus, um den Asylstatus aberkennen zu können, sondern es bedürfe dazu auch einer vom Täter ausgehenden Gefahr für die Gemeinschaft. Der Beschwerdeführer sei zu 18 Monaten Haft verurteilt worden, wobei hiervon lediglich vier Monate unbedingt verhängt worden seien. Der Strafrahmen für schweren Raub betrage ein bis fünfzehn Jahre, sodass die verhängte Strafe im unteren Bereich des Strafrahmens angesiedelt und der Strafrahmen bei weitem nicht ausgeschöpft sei. Der Beschwerdeführer habe die Tat bereits bei der polizeilichen Einvernahme gestanden. Es seien ihm sowohl das Geständnis als auch der bisherige ordentliche Lebenswandel mildernd angerechnet worden, zudem sei er nicht derjenige gewesen, der den Tatplan entwickelt hätte. Die begangene Tat habe zudem keine Folgewirkungen nach sich gezogen. Als Motiv habe der Jugendliche angegeben, Geld zu benötigen. Im Ergebnis sei daher im gegenständlichen Fall unter Berücksichtigung des verhängten Strafausmaßes, der Folgenlosigkeit der Tat, des bisherigen ordentlichen Lebenswandels und der Reue des Beschwerdeführers davon auszugehen, dass die Tat kein „besonders schweres Verbrechen“ im Sinne des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG darstelle. Zudem hätte die Behörde nicht alleine aufgrund der Tatsache der rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers darauf schließen dürfen, dass dieser eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle. Im bisherigen Verhalten des Beschwerdeführers liege keine Wiederholungsgefahr. Der Beschwerdeführer besuche seit Mitte Mai 2019 eine Produktionsschule, die Haft sei für diesen ein einschneidendes Erlebnis gewesen. Der Beschwerdeführer besuche seine Mutter alle zwei Tage und unterstütze diese auf dem Weg zum und vom Spital, tätige Einkäufe für sie oder helfe ihr zuhause. Auch der dem Beschwerdeführer durch Beschluss des Strafgerichts gewährte Strafaufschub sei ein Anhaltspunkt für eine günstige Zukunftsprognose. Mangels zulasten des Beschwerdeführers ausgehender Interessensabwägung dürfte überhaupt keine Asylaberkennung erfolgen, da Art. 3 EMRK bereits bei der Interessensabwägung Teil des Prüfmaßstabs sein müsste und dort Berücksichtigung hätte finden müssen. Die Verhängung eines dreijährigen Einreiseverbotes (das im Falle der Ausreise sofort aktiviert würde) verhindere die Aufrechterhaltung des Familienlebens, das vor allem im Interesse des Beschwerdeführers im Verhältnis zu seiner Mutter sehr stark ausgeprägt sei. Der Beschwerdeführer arbeite laufend an seiner fortschreitenden Integration. Aufgrund der fehlenden Ermittlungen zu den Begleitumständen der Straftat, zum nachfolgenden Lebenswandel und zu den persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers habe die Behörde keine nachvollziehbaren Erwägungen zur Asylaberkennung, zur Nichtgewährung subsidiären Schutzes und zur Verhängung des Einreiseverbotes angestellt. Beiliegend wurde ein Bericht der Bewährungshilfe übermittelt.
8. Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 09.08.2019 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der Beschwerdeführer ist ein minderjähriger Staatsangehöriger Somalias, welcher dem moslemisch-sunnitischen Glauben angehört. Die Identität des Beschwerdeführers steht in Ermangelung entsprechender Dokumente nicht fest. Der Beschwerdeführer wurde in Kuwait geboren, wo seine aus Mogadischu stammende Mutter im Vorfeld der Ausreise Richtung Europa und bis zur Trennung vom Vater des Beschwerdeführers gemeinsam mit diesem gelebt hat. Der Beschwerdeführer hat sich bislang nie in Somalia aufgehalten. Der Beschwerdeführer reiste gemeinsam mit seiner Mutter und seinen ebenfalls minderjährigen Geschwistern illegal in das Bundesgebiet ein, stellte durch seine Mutter und damalige gesetzliche Vertreterin am 20.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz und erhielt mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.10.2017, Zahl W142 2168112-1, - infolge Stattgabe einer eingebrachten Säumnisbeschwerde – den Status des Asylberechtigten im Wege des Familienverfahrens gemäß §§ 3 iVm 34 AsylG 2005 zuerkannt. Eine dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat individuell drohende Verfolgung wurde weder im Verfahren über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten noch im gegenständlichen Verfahren zur Aberkennung des Status ins Treffen geführt.
1.2. Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX Zahl XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Hausfriedensbruchs nach § 109 Abs. 1 und Abs. 3 Z 1, Z 2 und Z 3 StGB sowie des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 1 zweiter Fall StGB schuldig befunden und zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von achtzehn Monaten verurteilt, von der ihm ein Teil in der Höhe von vierzehn Monaten unter Setzung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurde.
Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit drei Mittätern den Eintritt in die Wohnung einer namentlich genannten Person erzwungen hat, indem sie die Türe, die von der in der Wohnung anwesenden Person nur einen Spalt geöffnet worden war, aufstießen, wobei die in der Wohnung anwesende Person nach hinten gestoßen worden war, und sie gegen die dort befindlichen Personen Gewalt zu üben beabsichtigten, einen Baseballschläger, sohin eine Waffe, mitführten, um den Widerstand zu überwinden oder zu verhindern und das Eindringen mehrerer Personen erzwangen. Im Anschluss an die geschilderte Tat haben die Täter unter Verwendung einer Waffe, nämlich eines Baseballschlägers, mit Gewalt gegen eine Person und mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben anderen bewegliche Sachen mit dem Vorsatz weggenommen bzw. abgenötigt, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem sie Schläge mit dem Baseballschläger angedroht hätten und einer der Mittäter dem Wohnungsinhaber auch ein- oder zweimal mit dem Baseballschläger gegen das Gesicht geschlagen hat, die Herausgabe von Wertgegenständen forderten, die Wohnung nach solchen durchsuchten und sodann mehrere näher dargestellte elektronische Gegenstände mit einer Gesamtsumme von ca. EUR 1.500,- weggenommen haben.
Ein weiterer Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet würde eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstellen.
1.3. Aufgrund der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers in Zusammenschau mit dem Nichtvorhandensein sozialer Unterstützungsmöglichkeiten sowie der fehlenden Vertrautheit des Beschwerdeführers mit den Gegebenheiten in Mogadischu kann im konkreten Fall nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Niederlassung in Mogadischu in der Lage sein wird, seinen Lebensunterhalt durch eigenständige Erwerbstätigkeit selbständig zu bestreiten. Fallgegenständlich kann daher unter Berücksichtigung der prekären Sicherheits- und Versorgungslage in Somalia nicht festgestellt werden, dass es dem Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit möglich sein wird, in Mogadischu – nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten –, Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.
1.4. Im Bundesgebiet leben die Mutter sowie die vier minderjährigen Geschwister des Beschwerdeführers als Asylberechtigte. Der Beschwerdeführer lebt mit den Genannten in keinem gemeinsamen Haushalt, er besucht seine Mutter jedoch regelmäßig und unterstützt diese bei Verrichtungen im Alltag. Die Pflege und Erziehung des minderjährigen Beschwerdeführers wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX Zahl XXXX dem XXXX übertagen. Am 03.04.2019 hat die Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers auch die gesetzliche Vertretung für den Beschwerdeführer übertragen. Der Vater des Beschwerdeführers, zu welchem dieser gelegentlich in telefonischem Kontakt steht, lebt in Schweden. Der Beschwerdeführer hat sich Kenntnisse der deutschen Sprache angeeignet und seinen unbelegten Angaben zufolge im Bundesgebiet eineinhalb Jahre lang eine Neue Mittelschule sowie ein Polytechnikum besucht. Seit Mitte Mai 2019 besucht er eine Produktionsschule der Volkshochschule. Der Beschwerdeführer ging bislang keiner Erwerbstätigkeit nach, hat eine solche auch nicht unmittelbar in Aussicht und ist in keinem Verein Mitglied. Er hat keine Kurse oder Ausbildungen abgeschlossen. Es konnten keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden Integration des Beschwerdeführers in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt werden.
Der Beschwerdeführer leidet weder an einer schweren Krankheit, noch ist er längerfristig pflege- oder rehabilitationsbedürftig.
1.4. Zur Lage in
Somalia wird unter Heranziehung der im angefochtenen Bescheid zitierten Länderberichte Folgendes festgestellt:
KI vom 17.9.2018: Positiver Trend bei Versorgungslage (betrifft: Abschnitt 21/Grundversorgung und Abschnitt
21.1/Dürresituation)
Nach den überdurchschnittlichen Gu-Regenfällen 2018 wird die Getreideernte die größten Erträge seit 2010 einbringen. Die Lage bei der Nahrungsversorgung hat sich weiter verbessert (UN OCHA 11.9.2018; vgl. UN OCHA 5.9.2018), dies gilt auch für Einkommensmöglichkeiten und Marktbedingungen (FSNAU 1.9.2018). Die Preise für unterschiedliche Grundnahrungsmittel haben sich in Mogadischu gegenüber dem Vorjahr drastisch verbilligt und liegen nunmehr unter dem Fünfjahresmittel. Dies betrifft namentlich Bohnen (cowpea), rotes Sorghum und Mais (FEWS NET 31.8.2018). Insgesamt hat sich die Ernährungssituation verbessert, auch wenn es im ganzen Land noch eine hohe Rate an Unterernährung gibt – speziell unter IDPs (UN OCHA 11.9.2018). Die Dürre ist zwar offiziell vorbei, es braucht aber mehr als eine gute Regenzeit, bevor sich die Menschen davon erholen (UN OCHA 2.9.2018). Vor allem vom Verlust ihres Viehs, von Überschwemmungen (im April/Mai 2018, Juba- und Shabelle-Täler) und vom Zyklon Sagar (Mai 2018, Nordsomalia) betroffene Gemeinden werden noch längere Zeit für eine Rehabilitation brauchen. Zwischen Februar und Juli 2018 konnten humanitäre Organisationen 1,9 Millionen Menschen pro Monat erreichen (UN OCHA 5.9.2018).
Die Stufe für akute Unterernährung hat sich verbessert. Die Zahl von an schwerer akuter Unterernährung Betroffenen ist nur bei zwei Gruppen kritisch: Bei den IDPs in Mogadischu und in der Guban Pastoral Livelihood in West-Somaliland (UN OCHA 5.9.2018). Allerdings werden auch noch andere Teile oder Gruppen Somalias als Hotspots genannt, wo Interventionen als dringend erachtet werden. Dies sind im ländlichen Raum: Northern Inland Pastoral of Northeast (Teile von Sanaag, Sool und Bari); Hawd Pastoral of Northeast (Teile von Togdheer, Sool und Nugaal); Northwest Guban Pastoral (Teile von Awdal); der Bezirk Belet Weyne (Shabelle-Tal und agro-pastorale Teile); Agro-pastorale Teile und das Juba-Tal in Gedo; die Bezirke Mataban, Jalalaqsi und Buulo Burte in Hiiraan; Teile des Juba-Tals in Middle Juba. An Gruppen sind es die IDPs in Bossaso, Garoowe, Galkacyo, Qardho, Mogadischu, Baidoa, Kismayo und Doolow (FSNAU 1.9.2018). Überhaupt bleiben IDPs die am meisten vulnerable Gruppe (UN OCHA 11.9.2018).
In Nordsomalia werden aus einigen Gebieten immer noch Wasser- und Weidemangel berichtet, da die Gu-Regenzeit dort auch im Jahr 2018 nicht ertragreich ausgefallen ist. Es handelt sich um Teile der Regionen Bari und Nugaal (Puntland) sowie von Sool und Sanaag (Somaliland). Dort findet die Wasserversorgung teils immer noch mit Tanklastwagen statt, rund 48.000 Haushalte sind betroffen. Humanitäre Organisationen wie ACTED sind dort aktiv und konnten für über 31.000 Haushalte samt Vieh die Wasserversorgung wiederherstellen (ACTED 12.9.2018). Die Prognose für den Zeitraum August-Dezember 2018 in IPC-Stufen stellt sich wie folgt dar:
…
Insgesamt sind ca. 4,6 Millionen Menschen weiter auf Unterstützung angewiesen, im Februar 2018 waren es noch 5,4 Millionen gewesen (UN OCHA 11.9.2018). Von den 4,6 Millionen befinden sich ca. 1,4 Millionen auf IPC-Stufe 3 (IPC = Klassifizierung zur Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung), weitere ca. 170.000 auf IPC-Stufe 4 (FSNAU 1.9.2018). Darunter scheinen sich viele Kinder zu finden. Ca. 240.000 Kinder gelten als akut unterernährt, weiter 55.000 als schwer unterernährt (UN OCHA 2.9.2018).
Für die Deyr-Regenzeit 2018 (Oktober-Dezember) wird eine überdurchschnittliche Niederschlagsmenge prognostiziert (UN OCHA 5.9.2018; vgl. FAO 6.9.2018). Damit wird auch eine weitere Verbesserung bei den Weideflächen und bei der Wasserverfügbarkeit und i.d.F. Verbesserungen bei der Viehzucht und in der Landwirtschaft einhergehen (FAO 6.9.2018).
Zusätzliche Ernten und weiter verbesserte Marktbedingungen werden zu weiteren Verbesserungen führen (FSNAU 1.9.2018)
Allerdings werden auch für das äthiopische Hochland höhere Niederschlagsmengen prognostiziert, was das Überschwemmungsrisiko entlang von Juba und Shabelle steigen lässt. Gegenwärtig sind einige Flussufer bzw. Flusseinfassungen beschädigt, was selbst bei normalen Regenmengen eine Gefahr darstellt (FAO 6.9.2018). Immerhin hat Somalia 2018 die schwersten Überschwemmungen seit 60 Jahren erlebt (WB 6.9.2018).
Quellen:
? ACTED (12.9.2018): Drought conditions continue to persist in Badhan district, https://reliefweb.int/report/somalia/droughtconditions- continue-persist-badhan-district, Zugriff 14.9.2018
? FAO – FAO SWALIM / FSNAU (6.9.2018): Somalia Rainfall Outlook for 2018 Deyr (October-December) - Issued: 6 September 2018, https://reliefweb.int/report/somalia/somalia-rainfall-outlook-deyr-2018-october-december-issued-6- september-2018, Zugriff 14.9.2018
? FEWS NET – Famine Early Warning Systems Network (31.8.2018): Somalia Price Bulletin, August 2018, https://reliefweb.int/report/somalia/somalia-price-bulletin-august-2018, Zugriff 14.9.2018
? FSNAU – Food Security and Nutrition Analysis Unit / Famine Early Warning System Network (1.9.2018): FSNAU-FEWS NET 2018 Post Gu Technical Release, https://reliefweb.int/report/somalia/fsnau-fews-net-2018-post-gu-technical-release- 01-sep-2018, Zugriff 14.9.2018
? UN OCHA – UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (11.9.2018): Somalia - Humanitarian Snapshot (as of 11 September 2018), https://reliefweb.int/report/somalia/somalia-humanitarian-snapshot-11-september-2018, Zugriff 14.9.2018
? UN OCHA – UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (5.9.2018): Humanitarian Bulletin Somalia, 1 August - 5 September 2018, https://reliefweb.int/report/somalia/humanitarian-bulletin-somalia-1-august-5-september-2018, Zugriff 14.9.2018
? UN OCHA – UN UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (2.9.2018): Somalia - Food security improving but recovery remains fragile, https://reliefweb.int/report/somalia/somalia-food-security-improving-recovery-remains-fragile, Zugriff 14.9.2018
? WB – Worldbank (6.9.2018): World Bank’s Flagship Infrastructure Project Launched in Somalia, https://reliefweb.int/report/somalia/world-bank-s-flagship-infrastructure-project-launched-somalia, Zugriff 14.9.0218
…
Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten
Vergleicht man die Areas of Influence der Jahre 2012 und 2017, hat es kaum relevante Änderungen gegeben. Die Regierung und ihre Verbündeten kontrollieren zwar viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das „urban island scenario“ besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AMISOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben. Folglich befinden sich Große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss der al Shabaab (BFA 8.2017).
Dahingegen können nur wenige Gebiete in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden – etwa Dhusamareb oder Guri Ceel. In Puntland gilt dies für größere Gebiete, darunter Garoowe (BFA 8.2017).
Hinsichtlich der Lesbarkeit untenstehender Karte sind die folgenden Kommentare zu berücksichtigen:
Eine vollständige und inhaltlich umfassende Darstellung kann nicht gewährleistet werden; die Gebietsgrenzen sind relativ, jedoch annähernd (z.B. Problematik der unterschiedlichen Einflusslage bei Tag und Nacht; der Fluktuation entlang relevanter Nachschubwege). Um die Karten übersichtlich zu gestalten, wurde eine Kategorisierung der auf somalischem Boden operierenden (Konflikt-)Parteien vorgenommen (BFA 8.2017):
a) Alle auf irgendeine Art und Weise mit der somalischen Regierung verbundenen und gleichzeitig gegen al Shabaab gestellten Kräfte wurden als „anti-al-Shabaab Forces“ zusammengefasst. Diese Kategorie umfasst neben Bundeskräften (SNA) auch Kräfte der Bundesstaaten (etwa Jubaland, Galmudug, Puntland) sowie AMISOM und bi-lateral eingesetzte Truppen (und damit de facto auch die Liyu Police).
b) Die ASWJ wurde nicht in diese Kategorie aufgenommen, da sie zwar gegen al Shabaab kämpft, die Verbindung zur Bundesregierung aber momentan unklar ist.
c) Einige Clans verfügen über relative Eigenständigkeit, die auch mit Milizen abgesichert ist. Dies betrifft in erster Linie die Warsangeli (Sanaag), Teile der Dulbahante (Sool) und die Macawusleey genannte Miliz in Hiiraan. Keine dieser Milizen ist mit Somaliland, einem somalischen Bundesstaat, mit der somalischen Bundesregierung oder al Shabaab verbunden; sie agieren eigenständig, verfügen aber nur über eingeschränkte Ressourcen.
Operational Areas
d) Operationsgebiete, in welchen die markierten Parteien über relevanten Einfluss verfügen (einfarbig): Dort können die Parteien auf maßgebliche Mittel (Bewaffnung, Truppenstärke, Finanzierung, Struktur, Administration u.a.) zurückgreifen, um auch längerfristig Einfluss zu gewährleisten. Es sind dies die Republik Somaliland; Puntland; teilweise auch Galmudug; AMISOM in Tandem mit der somalischen Regierung bzw. mit Bundesstaaten; äthiopische Kräfte im Grenzbereich; al Shabaab; Ahlu Sunna Wal Jama’a in Zentralsomalia;
e) Einige Gebiete (schraffiert) – vorwiegend in Süd-/Zentralsomalia – unterliegen dabei dem Einfluss von zwei dermaßen relevanten Parteien.
f) Alle in der Karte eingetragenen Städte und Orte wurden einer der o.g. Parteien zugeordnet. Sie gelten als nicht schraffiert, die Kommentare unter 4.1.2 sind zu berücksichtigen. Soweit bekannt wurden den Städten AMISOM-Stützpunkte oder Garnisonen bi-lateral eingesetzter Truppen zugeordnet. In den Städten ohne eine derartige Präsenz gibt es eine SNA-Präsenz, oder aber Sicherheitskräfte der einzelnen Bundesstaaten; oder Somalilands.
g) Operationsgebiete, in welchen kleinere Parteien über eingeschränkten Einfluss verfügen (strichliert): Dort sind neben den o.g. relevanten Parteien noch weitere Parteien mit eingeschränkter Ressourcenlage aktiv. Ihr Einfluss in diesen Operationsgebieten ist von wechselnder Relevanz und hängt von den jeweiligen verfügbaren Ressourcen und deren Einsatz ab (BFA 8.2017).
(BFA 8.2017)
Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen (ACLED 2016; vgl. ACLED 2017).
Quellen:
- ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2017): Africa Data, Version 8 (1997-2017), https://www.acleddata.com/data/, Zugriff 10.1.2018
- ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2016): Africa Data, Version 7 (1991-2016), http://www.acleddata.com/data/, Zugriff 21.12.2017
- BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017
1.1. Süd-/Zentralsomalia
Die Präsenz von AMISOM in Somalia bleibt auch mittelfristig essentiell, um die Sicherheit in Somalia zu gewährleisten. Sollte AMISOM überhastet abziehen oder die Verantwortung zu früh an somalische Sicherheitsbehörden übergeben, besteht das Risiko von Rückschritten bei der Sicherheit (UNSC 5.9.2017; vgl. ICG 20.10.2017).
AMISOM hat große Erfolge erzielt, was die Einschränkung der territorialen Kontrolle der al Shabaab anbelangt (ICG 20.10.2017). Weite Teile des Landes wurden durch AMISOM und durch die somalische Armee aus den Händen der al Shabaab zurückgeholt (UNHRC 6.9.2017), und AMISOM hat al Shabaab weitgehend zurückgedrängt (ÖB 9.2016). AMISOM und die somalische Regierung konnten ihre Kontrolle in zurückgewonnenen Gebieten etwas konsolidieren (AI 22.2.2017). Es ist aber kaum zur Einrichtung von Verwaltungen gekommen (BFA 8.2017).
Gleichzeitig hat AMISOM ihre Kräfte überdehnt. Die Mission tut sich schwer dabei, nunmehr den Kampf gegen eine Rebellion führen zu müssen, welche sich von lokalen Konflikten nährt. Die al Shabaab ist weiterhin resilient (ICG 20.10.2017). Außerdem beherrschen einige der neu errichteten Bundesstaaten nicht viel mehr, als ein paar zentrale Städte. Der effektive Einfluss von AMISOM und den somalischen Verbündeten bleibt jedoch in vielen Fällen auf das jeweilige Stadtgebiet konzentriert, auch wenn es teils zu weiteren Exkursionen kommt. In einigen Städten ist es in jüngerer Vergangenheit zu Verbesserungen gekommen. Dies gilt mehrheitlich auch für Mogadischu (BFA 8.2017).
Seit Beginn des Bürgerkrieges 1991 gab es in weiten Landesteilen kaum wirksamen Schutz gegen Übergriffe durch Clan- und andere Milizen sowie bewaffnete kriminelle Banden. In Süd-/Zentralsomalia herrscht weiterhin in vielen Gebieten Bürgerkrieg. Die somalischen Sicherheitskräfte kämpfen mit Unterstützung der Mission der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM) gegen die radikalislamistische Miliz al Shabaab. Die Gebiete sind teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle der al Shabaab oder anderer Milizen (AA 1.1.2017; vgl. ÖB 9.2016) oder sind von AMISOM Offensiven betroffen (ÖB 9.2016). Kämpfe – vor allem unter Beteiligung von al Shabaab, aber auch unter Beteiligung von Clans – sowie Zwangsräumungen haben zu Vertreibungen und Verlusten geführt (HRW 12.1.2017). Dabei haben AMISOM und die somalische Armee seit Juli 2015 keine großen Offensive mehr geführt (SEMG 8.11.2017). Im Jahr 2016 gab es zwar Kämpfe zwischen AMISOM/Regierung und al Shabaab, es kam aber kaum zu Gebietswechseln (AI 22.2.2017). Im Jahr 2017 ist es zu weniger direkten militärischen Auseinandersetzungen zwischen al Shabaab und AMISOM gekommen. Die am meisten vom militärischen Konflikt betroffenen Gebiete sind die Frontbereiche, wo Ortschaften und Städte wechselnder Herrschaft unterworfen sind; sowie das Dreieck Mogadischu-Afgooye-Merka (BFA 8.2017).
Die reduzierten Kapazitäten der al Shabaab haben dazu geführt, dass sich die Gruppe auf Guerilla-Taktik und asymmetrische Kriegsführung verlegt hat. Al Shabaab begeht verübt komplexe Angriffe, Selbstmordattentate, und gezielte Attentate auf Einzelpersonen (UKHO 7.2017). Die Gruppe setzt den Guerillakampf im ländlichen Raum Süd-/Zentralsomalias fort. Regelmäßig kommt es zu Angriffen auf somalische und AMISOM-Truppen, die sich auf Verbindungsstraßen bewegen (UNSC 5.9.2017; vgl. UNSC 9.5.2017).
Al Shabaab kontrolliert weiterhin wichtige Versorgungsrouten und hält gegen Städte unter Kontrolle von AMISOM und Regierungskräften Blockaden aufrecht (HRW 12.1.2017). Durch Guerilla-Aktivitäten isoliert al Shabaab mehrere Städte, die teils als Inseln im Gebiet der Gruppe aufscheinen (BFA 8.2017). AMISOM muss an vielen Einsatzorten von UNSOS aus der Luft versorgt werden, da die Überlandrouten nicht ausreichend abgesichert sind (UNSC 5.9.2017).
Es hat mehrere Fälle gegeben, wo internationale Truppen Gebiete in Bakool, Galgaduud, Hiiraan und Lower Shabelle ohne große Ankündigung geräumt haben. In der Folge ist al Shabaab unmittelbar in diese Gebiete zurückgekehrt und hat an der lokalen Bevölkerung zahlreiche Menschenrechtsverletzungen (Mord, Folter, Entführung, Vernichtung humanitärer Güter, Zwangsrekrutierung) begangen (SEMG 8.11.2017). Die Vergangenheit hat gezeigt, dass eben jene Orte, aus denen die ENDF oder AMISOM rasch abgezogen sind, am meisten unter dem Konflikt leiden. Sobald die Regierungskräfte abziehen, füllt nämlich al Shabaab das entstandene Vakuum auf. Vergeltungsmaßnahmen gegen Zivilisten folgen umgehend. Es gibt regelmäßig Berichte darüber, dass AS mutmaßliche Kollaborateure hingerichtet hat. Die Menschen dort leben unter ständiger Bedrohung (BFA 8.2017).
Im September 2017 überrannte al Shabaab mehrere Stützpunkte der somalischen Armee, namentlich in Bulo Gaduud, Belet Xawo, Ceel Waaq und Bariire (19.12.2017 VOA).
Eine Infiltration von unter Kontrolle der Regierung stehenden Städten mittels größerer Kampfverbände der al Shabaab kommt nur in seltenen Fällen vor. Bisher wurden solche Penetrationen innert Stunden durch AMISOM und somalische Verbündete beendet. Eine Infiltration der Städte durch verdeckte Akteure der al Shabaab kommt in manchen Städten vor (BFA 8.2017). Al Shabaab ist dadurch nach wie vor in der Lage, auch auf die am schwersten bewachten Teile von Mogadischu oder anderer Städte tödliche Angriffe zu führen (AI 22.2.2017).
Die Unsicherheit in den von der Regierung kontrollierten Gebieten, einschließlich Mogadischu, sowie politische Machtkämpfe behindern Fortschritte im Bereich der Justiz und die Reform des Sicherheitssektors (ÖB 9.2016). Politische Anstrengungen zur Etablierung bzw. Stärkung von Bundesländern verstärkten Clankonflikte in manchen Bereichen (ÖB 9.2016; vgl. BS 2016, BFA 8.2017). Auch dabei kommen Zivilisten zu Schaden (HRW 12.1.2017).
Auch Regierungstruppen und Clanmilizen geraten regelmäßig aneinander. Dadurch werden viele Zivilisten schwerverletzt bzw. getötet. In solchen Fällen bleibt Zivilisten nichts andres übrig als die Flucht zu ergreifen, da weder Clan- noch staatlicher Schutz gegeben ist (ÖB 9.2016).
Gezielte Angriffe auf Zivilisten und zivile Infrastruktur mittels Selbstmordattentätern und anderen Sprengstoffanschlägen durch die al Shabaab haben weiterhin gravierende Folgen (HRW 12.1.2017). Zivilisten kommen im Kreuzfeuer, bei gezielten Attentaten, durch Sprengsätze oder Handgranaten und bei komplexen Anschlägen ums Leben oder werden verwundet (AI 22.2.2017). Generell hat al Shabaab vermehrt Gewalt gegen Zivilisten angewandt, nötigt oder bestraft in den Gebieten unter ihrer Kontrolle ganze Gemeinden. Aufgrund der durch die Dürre verstärkten Ressourcenknappheit hat al Shabaab Dörfern niedergebrannt und Älteste enthauptet, um ihre Steuerforderungen durchzusetzen – so z.B. im Raum Xaradheere im November 2016 (SEMG 8.11.2017). Im ersten Trimester 2017 wurden von al Shabaab 36 Personen entführt, davon wurden 15 später wieder freigelassen (UNSC 9.5.2017).
UNSOM hat für den Zeitraum 1.1.2016-14.10.2017 insgesamt 2.078 getötete zivile Opfer in Somalia dokumentiert; hinzu kommen 2.507 Verletzte. Für 60% der Opfer ist die al Shabaab verantwortlich (UNHRC 10.12.2017a).
(UNHRC 10.12.2017b)
Für das Jahr 2016 berichtet das UN Mine Action Service von 267 durch Sprengstoffanschläge getötete und 727 verletzte Personen. Bei Kämpfen kamen zwischen Jänner und August 2016 492 Zivilisten ums Leben (USDOS 3.3.2017). Andererseits beruft sich die SEMG auf Zahlen von ACLED. Demnach seien im Zeitraum Jänner 2016 bis Mitte August 2017 bei 533 Zwischenfällen mit improvisierten Sprengsätzen insgesamt 1.432 Zivilisten zu Schaden gekommen, 931 davon wurden getötet (SEMG 8.11.2017). Das Rote Kreuz wiederum berichtet, dass im Jahr 2016 ca. 5.300 durch Waffen verletzte Personen in vom IKRK unterstützten Spitälern eine Behandlung erhalten haben; v.a. in Mogadischu, Baidoa und Kismayo (ICRC 23.5.2017). Es ist offenbar schwierig, die genaue Zahl festzustellen (AI 22.2.2017).
Im ersten Trimester 2017 wurden 646 Zivilisten getötet oder verletzt (UNSC 9.5.2017), im zweiten Trimester waren es 582 (ca. die Hälfte der letztgenannten Zahl ist al Shabaab zuzuschreiben, 12 Opfer der AMISOM, 41 den staatlichen Sicherheitskräften; bei durch die Dürre verschärften Ressourcenkonflikten kamen 175 Zivilisten zu Schaden) (UNSC 5.9.2017). Bei einer geschätzten Bevölkerung von rund 11 Millionen Einwohnern (CIA 6.11.2017) liegt die Quote getöteter Zivilisten:Gesamtbevölkerung für Gesamtsomalia im ersten Trimester 2017 bei ca. 1:17.000, im zweiten Trimester bei 1:18.900.
Auch wenn die Zahl von Gewalt gegen Zivilisten seit dem Jahr 2013 relativ konstant bleibt, so hat sich die Letalität – etwa aufgrund der Proliferation von destruktiveren Methoden – erhöht. Im Durchschnitt kommen bei jedem Vorfall also mehr Menschen zu Schaden (SEMG 8.11.2017). Absolutes Beispiel dieses Trends ist der Anschlag vom 14.10.2017 in Mogadischu, bei welchem mehr als 500 Menschen getötet wurden – wiewohl sich al Shabaab bislang nicht zu dem Anschlag bekannt hat (DS 2.12.2017).
Dahingegen ist bei den staatlichen Sicherheitskräften ein positiver Trend zu erkennen. Sie sind in keine größeren Angriffshandlungen gegen Zivilisten verwickelt (SEMG 8.11.2017).
Die Grafik zeigt, dass der Trend hinsichtlich der Anzahl an gewalttätigen Vorfällen gegen Zivilisten nach unten zeigt, während sich die Anzahl an Todesopfern pro Vorfall erhöht hat (SEMG 8.11.2017).
Die Anzahl an Sprengstoffanschlägen hat zugenommen, ihre Letalität ist hingegen kaum gestiegen (SEMG 8.11.2017).
Im zweiten Trimester 2017 kam es in ganz Somalia zu 16 Luftangriffen, die meisten davon in den Regionen Gedo (8), Lower Shabelle (4) und Lower Juba (3). Insgesamt kamen dabei 18 Zivilisten zu Schaden (UNSC 5.9.2017). Eine andere Quelle nennt als Gesamtzahl für die ersten beiden Trimester 2017 32 Luftangriffe durch Kenia, die USA und nicht identifizierte Kräfte (SEMG 8.11.2017). Insgesamt sollen alleine die USA im Jahr 2017 30 Luftschläge in Somalia durchgeführt haben (BBC 22.12.2017). Jedenfalls haben die USA ihre Angriffe verstärkt: Während sie im gesamten Jahr 2016 nur dreizehn Luftschläge führte, waren es alleine im Zeitraum Juni-September 2017 neun. Seit 2016 haben sich die Auswirkungen von Luftschlägen auf Zivilisten aufgrund gezielterer Angriffe verringert. Insgesamt wurden im Zeitraum Jänner 2016 bis Juni 2017 bei 58 Luftschlägen 36 zivile Opfer dokumentiert (SEMG 8.11.2017).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
- AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/336580/479258_de.html, Zugriff 14.9.2017
- BBC (22.12.2017): Who are Somalia's al-Shabab? http://www.bbc.com/news/world-africa-15336689, Zugriff 5.1.2018
- BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017
- BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Somalia.pdf, Zugriff 20.11.2017
- CIA - Central Intelligence Agency (6.11.2017): The World Factbook – Somalia, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/so.html, Zugriff 10.11.2017
- DS - Der Standard (2.12.2017): Neue Bilanz: Mehr als 500 Tote bei verheerendem Anschlag in Mogadischu, http://derstandard.at/2000068930378/Neue-Bilanz-Mehr-als-500-Tote-bei-verheerendem-Anschlag-in?ref=rec, Zugriff 21.12.2017
- HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/334750/476503_de.html, Zugriff 14.9.2017
- ICG - International Crisis Group (20.10.2017): Managing the Disruptive Aftermath of Somalia's Worst Terror Attack , http://www.refworld.org/docid/59e9b7e74.html, Zugriff 11.11.2017
- ICRC - International Committee of the Red Cross (ICRC) (23.5.2017): Annual Report 2016 - Somalia, http://www.refworld.org/docid/59490dab2.html, Zugriff 11.11.2017
- ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia
- SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group (8.11.2017): Report of the SEMG on Somalia, https://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/2017/924, Zugriff 14.11.2017
- UKHO - UK Home Office (7.2017): Country Policy and Information Note Somalia (South and Central): Fear of Al Shabaab, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1500368455_somalia-al-shabaab-cpin-v2-0.pdf, Zugriff 15.12.2017
- UNHRC - UN Human Rights Council (10.12.2017a): Protection of Civilians: Building the Foundation for Peace, Security and Human Rights in Somalia, https://reliefweb.int/report/somalia/protection-civilians-building-foundation-peace-security-and-human-rights-somalia, Zugriff 12.1.2018
- UNHRC - UN Human Rights Council (10.12.2017b): Protection of Civilians in Somalia 2016-2017, https://reliefweb.int/report/somalia/protection-civilians-somalia-2016-2017, Zugriff 12.1.2018
- UNHRC - UN Human Rights Council (6.9.2017): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia http://www.refworld.org/docid/59c12bed4.html, Zugriff 11.11.2017
- UNSC - UN Security Council (5.9.2017): Report of the Secretary-General on Somalia, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1505292097_n1726605.pdf, Zugriff 8.11.2017
- UNSC - UN Security Council (9.5.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1496910356_n1712363.pdf, Zugriff 10.11.2017
- USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2016&dlid=265300, Zugriff 13.9.2017
- VOA - Voice of America (19.12.2017): Somalia: Up to 30 Percent of Soldiers Unarmed, https://www.voanews.com/a/somali-government-says-up-thirty-percent-its-soldiers-unarmed/4170388.html, Zugriff 5.1.2018
1.1.1. Benadir / Mogadischu
Mogadischu bleibt weiterhin unter Kontrolle von Regierung und AMISOM (AI 22.2.2017). Die Stadtverwaltung von Mogadischu ist verhältnismäßig präsent und aktiv (BFA 8.2017). Schritte von Stadt- und Bundesregierung haben bei der Sicherheitslage zu einer Verbesserung geführt – speziell durch die Aufstellung der Mogadishu Stabilization Mission (MSM). Die Zahl von Angriffen der al Shabaab im jeweiligen Ramadan ist von 269 im Jahr 2015 auf 208 im Jahr 2017 zurückgegangen. Andererseits scheint sich die al Shabaab aufgrund der Erfolge der Sicherheitskräfte zunehmend auf Sprengstoffanschläge zu verlegen, welche unter der Zivilbevölkerung ein höheres Maß an Schaden verursachen (UNSC 5.9.2017). Regelmäßig kommt es zu sogenannten komplexen Anschlägen in Mogadischu, wobei ein Sprengstoffanschlag mit dem Einsatz einiger weniger bewaffneter Selbstmordkämpfer kombiniert wird. Ziele sind i.d.R. Hotels oder Restaurants, die häufig von Behördenbediensteten oder Sicherheitskräften frequentiert werden (SEMG 8.11.2017).
Der Einsatz von Artillerie (Mörsern) mit Ziel Mogadischu ist wieder im Steigen begriffen. Im ersten Halbjahr 2017 kam es zu zwölf derartigen Angriffen, im Gesamtjahr 2016 waren es 17 (SEMG 8.11.2017). Am 12.6. und am 4.7.2017 wurden insgesamt neun Mörsergranaten auf Stadtgebiet abgeschossen (UNSC 5.9.2017). Dabei verfügt al Shabaab nunmehr auch über schwere, von AMISOM erbeutete Mörser (120mm), was ihre Möglichkeiten erweitert (SEMG 8.11.2017). Es ist höchst unwahrscheinlich, dass al Shabaab wieder die Kontrolle über Mogadischu erlangt (DIS 9.2015; vgl. EASO 2.2016). Es gibt in der Stadt auch kein Risiko mehr, von der al Shabaab zwangsrekrutiert zu werden (BFA 8.2017; vgl. UKUT 3.10.2014, vgl. EGMR 10.9.2015). Es besteht zwar gemäß mehreren Berichten kein Risiko, alleine aufgrund der eigenen Clanzugehörigkeit angegriffen zu werden. Trotzdem sind Clan und Clanzugehörigkeit in Mogadischu nach wie vor relevant (SEM 31.5.2017).
Die Sicherheitslage hat sich also verbessert (UNSOM 13.9.2017; vgl. UNNS 13.9.2017), bleibt aber volatil (UNSC 5.9.2017). Die MSM hat einige Erfolge verzeichnet, darunter Maßnahmen zur Entwaffnung von Milizen und Zivilisten. Auch die Polizei in Mogadischu funktioniert merklich besser, als vor drei oder vier Jahren. Das Polizeikontingent der AMISOM ist aktiv. Es werden in der ganzen Stadt regelmäßig Patrouillen durchgeführt. Zusätzlich befinden sich Stützpunkte der Armee an neuralgischen Punkten der Stadt. Auch die National Intelligence and Security Agency (NISA) und ihre Spezialeinheiten werden in Mogadischu eingesetzt. Der wichtigste Faktor in Mogadischu ist aber die Präsenz der AMISOM. Sie ist in Mogadischu mit je einem Bataillon aus Uganda und Burundi, mit dem militärischen Stab und mit rund 300 Polizisten präsent. In einem gewissen Ausmaß stellt sie für al Shabaab einen Abschreckungsfaktor dar. Sie macht es für AS schwieriger, in die Stadt zu gelangen (BFA 8.2017). Auch die Regierung zeigt einige Bemühungen, die Sicherheit in der Stadt zu verbessern. Allerdings sind diese ungenügend; korrupte, unbezahlte Soldaten und unzufriedene Clans in der Peripherie ermöglichen es der al Shabaab, Mogadischu zu infiltrieren (ICG 20.10.2017).
Mogadischu ist folglich nicht absolut abgeschottet (BFA 8.2017). Der Amniyat ist schon seit Jahren in der Stadt aktiv und konnte Sicherheitsstrukturen unterwandern (ICG 20.10.2017). Insgesamt reicht die in Mogadischu gegenwärtig gegebene Stärke der unterschiedlichen Sicherheitskräfte nicht aus, um eine flächeneckende Präsenz sicherzustellen. Al Shabaab hingegen verfügt eindeutig über eine Präsenz in der Stadt (BFA 8.2017). Diese Präsenz ist aber keine offen militärische, sondern eine verdeckte (DIS 3.2017). Diese ist in den Außenbezirken stärker, als in den inneren. Zentral-Mogadischu ist relativ konsolidiert. Gleichzeitig hängt die Präsenz der Gruppe auch von der Tageszeit ab. Die nördlichen Bezirke – v.a. Dayniile und Heliwaa – werden in der Nacht von al Shabaab kontrolliert (BFA 8.2017).
Insgesamt scheint sich die al Shabaab bei der Durchführung von Attentaten von Quantität auf Qualität verlegt zu haben. Dabei sucht die al Shabaab ihre Ziele v.a. im Bereich der Regierung. Für die Zivilbevölkerung ist das größte Risiko, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein (DIS 3.2017; vgl. LI 1.4.2016). Ob Mogadischu als sicher oder unsicher bezeichnet wird, hängt maßgeblich von der subjektiven Wahrnehmung und von persönlichen Erfahrungen ab (BFA 8.2017). Die Situation in Mogadischu ist nicht derartig, dass jeder Mensch in der Stadt einem Risiko entsprechend Artikel 3 EMRK ausgesetzt wäre (EGMR 10.9.2015; vgl. UKUT 3.10.2014).
Mindestens einmal pro Monat kommt es zu einem signifikanten Sprengstoffanschlag. Tödliche, von al Shabaab inszenierte Zwischenfälle ereignen sich regelmäßig. Pro Monat töten die Islamisten ca. 20 Personen in Mogadischu. Dabei richten sich die Aktivitäten vorwiegend gegen die Regierung. Zusätzlich sind neben der al Shabaab auch andere Akteure für Morde und Attentate verantwortlich (BFA 8.2017). Bis in den Oktober 2017 hat Mogadischu eine moderate Verbesserung der Sicherheitslage erlebt. Die Zahl an Attentaten und Anschlägen ging zurück, die Sicherheitskräfte konnten einige Angriffe erfolgreich verhindern (ICG 20.10.2017). Andererseits schien sich al Shabaab später aus taktischen Überlegungen heraus auf Mogadischu zu konzentrieren. Dort sollen Anschläge – speziell auf sogenannte „soft targets“ (z.B. Hotels und Märkte) – verstärkt werden (UNHRC 6.9.2017). In welche Richtung sich die Sicherheitslage mittelfristig entwickeln wird, ist schwer einschätzbar (BFA 8.2017).
An der im September 2015 dargestellten Situation hat sich gemäß der Informationen der Fact Finding Mission 2017 nichts Wesentliches geändert (BFA 3./4.2017):
(BFA 10.2015; vgl. EASO 2.2016)
In Mogadischu lebten einer Schätzung im Jahr 2014 zufolge ca. 1,65 Millionen Menschen (UNFPA 10.2014). Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2016 insgesamt 120 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie „violence against civilians“). Bei 102 dieser 120 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2017 waren es 217 derartige Vorfälle (davon 186 mit je einem Toten). Die Zahl an Zwischenfällen mit Todesopfern (meist ein Todesopfer) in der Region Benadir entwickelte sich in den vergangenen Jahren folgendermaßen (es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann; die Zahl der Todesopfer wird aufgrund der ca. 50% betragenden Ungenauigkeit von ACLED nicht berücksichtigt):
Vorfälle (mit Todesopfern) - gesamt
BENADIR
2013
2014
2015
2016
2017