TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/7 W275 2216493-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.07.2020
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Entscheidungsdatum

07.07.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs1
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
VwGVG §35
VwGVG §35 Abs1

Spruch

W275 2216493-2/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Stella VAN AKEN als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. Pakistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.12.2018, Zahl 1112616407-181162852, sowie die Anhaltung in Schubhaft von 11.12.2018 bis 10.04.2019 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG stattgegeben und der Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.12.2018, Zahl 1112616407-181162852, sowie die Anhaltung in Schubhaft von 11.12.2018 bis 10.04.2019 für rechtswidrig erklärt.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) hat gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG iVm § 1 Z 1 VwG-AufwErsV dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von 737,60 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

III. Der Antrag der belangten Behörde auf Kostenersatz wird gemäß § 35 VwGVG abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Pakistans, reiste am 24.04.2016 unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein; er wurde am selben Tag festgenommen und in eine Justizanstalt eingeliefert. Zuvor hatte der Beschwerdeführer in Deutschland einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt; das diesbezügliche Verfahren wurde am 22.08.2017 eingestellt.

Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 29.06.2016 (rechtskräftig seit 28.03.2017) wurde der Beschwerdeführer wegen § 114 Abs. 1, Abs. 3 Z 2 und 3 und Abs. 4 FPG sowie wegen den §§ 223 Abs. 2, 224 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Für den 24.08.2018 war die bedingte Entlassung des Beschwerdeführers aus der Strafhaft vorgesehen (Beschluss des Vollzugsgerichtes vom 05.06.2018); der Beschwerdeführer flüchtete jedoch am 28.07.2018 aus der Strafhaft.

Am 06.11.2018 trat der Beschwerdeführer die Strafhaft freiwillig wieder an und wurde in weiterer Folge neuerlich in Strafhaft angehalten und am 11.12.2018 bedingt aus der Strafhaft entlassen.

Mit Beschluss vom 31.08.2018 hob das zuständige Landesgericht die bedingte Entlassung des Beschwerdeführers wegen dessen Flucht aus der Strafhaft wieder auf. Diesen Beschluss hob das zuständige Oberlandesgericht mit Beschluss vom 22.11.2018 aufgrund der Berufung des Beschwerdeführers aus formalen Gründen auf, weshalb die (bedingte) Entlassung des Beschwerdeführers mit 11.12.2018 feststand.

Am 22.11.2018 wurde der Beschwerdeführer seitens der pakistanischen Botschaft mit den Identitätsdaten XXXX , geboren am XXXX , als pakistanischer Staatsangehöriger identifiziert.

Mit Parteiengehör vom 04.12.2018 wurde der im Stande der Strafhaft befindliche Beschwerdeführer seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl davon in Kenntnis gesetzt, dass beabsichtigt sei, nach seiner Haftentlassung Schubhaft über ihn zu verhängen, um seine Abschiebung nach Pakistan sicherzustellen. Der Beschwerdeführer wurde unter Setzung einer Frist bis 07.12.2018 einlangend um Beantwortung näher angeführter Fragen ersucht. Der Beschwerdeführer nahm zu diesem Parteiengehör mit Schreiben vom 06.12.2018 Stellung und führte aus, dass er in Deutschland um Asyl angesucht habe, er auf Grund dessen eine Asyl-Karte ausgehändigt bekommen und dort bis zu seiner Einreise nach Österreich am 24.04.2016 gewohnt habe. Er verfüge über einen Geldbetrag in Höhe von EUR 641,59 und befinde sich in Lebensgemeinschaft mit Frau B., bei welcher er nach Haftentlassung wohnen könne. Da seine Rücküberstellung nach Deutschland beabsichtigt sei, werde auch Frau B. zu ihm nach Deutschland ziehen.

Mit oben genanntem Mandatsbescheid vom 11.12.2018 ordnete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG über den Beschwerdeführer die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung an. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer ursprünglich nur zur Erledigung von Schlepperfahrten eingereist und festgenommen worden sei. Der Beschwerdeführer befinde sich in Strafhaft, aus welcher er zwischenzeitig geflüchtet sei. Gegen den Beschwerdeführer bestehe seit 19.09.2018 eine rechtskräftige und infolge der Entlassung des Beschwerdeführers aus der Strafhaft durchsetzbare Rückkehrentscheidung. In Österreich habe der Beschwerdeführer keinen Wohnsitz und sei aufgrund seiner Vermögenslosigkeit auch nicht in der Lage, Unterkunft zu nehmen. Obwohl der Beschwerdeführer mit Parteiengehör davon in Kenntnis gesetzt worden sei, dass ein Verfahren zur Abschiebung nach Pakistan anhängig sei, habe er ausgeführt, gemeinsam mit Frau B. nach Deutschland reisen zu wollen; das Asylverfahren des Beschwerdeführers in Deutschland sei – unter Androhung einer Abschiebung – längst beendet. Bei der vom Beschwerdeführer angeführten Wohnmöglichkeit bei Frau B. handle es sich aufgrund der Tatsache, dass diese selbst bloß obdachlos gemeldet sei, um eine Schutzbehauptung.

Der Beschwerdeführer wurde am 11.12.2018 aus der Strafhaft entlassen, auf Basis des gegen ihn am 10.12.2018 gemäß § 34 Abs. 3 Z 1 BFA-VG erlassenen Festnahmeauftrages festgenommen und in Schubhaft genommen.

Die Abschiebung des Beschwerdeführers wurde bereits vor Inschubhaftnahme des Beschwerdeführers für den 05.02.2019 in Aussicht genommen; ein Heimreisezertifikat für den Beschwerdeführer wurde im Jänner 2019 mit Gültigkeit von 05.01.2019 bis 05.04.2019 ausgestellt. Der gebuchte Flug wurde jedoch aufgrund der Tatsache, dass der Beschwerdeführer am 10.01.2019 im Stand der Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz stellte, storniert. Mit Aktenvermerk vom 11.01.2019 wurde festgehalten, dass die Anhaltung in Schubhaft aufrecht bleibe, da im Sinn des § 76 Abs. 6 FPG Gründe zur Annahme bestünden, dass der gestellte Antrag auf internationalen Schutz zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt worden sei. Dieser Antrag auf internationalen Schutz wurde in der Folge abgewiesen und einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.02.2019; Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.03.2019). Eine Rückkehrentscheidung wurde aufgrund der bereits mit rechtskräftigem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.07.2018 erlassenen Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot für die Dauer von zehn Jahren nicht erlassen.

Am 22.03.2019 wurde die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Pakistan für den 16.04.2019 terminisiert; ein Heimreisezertifikat für den Beschwerdeführer wurde im April 2019 mit Gültigkeit von 16.04.2019 bis 16.07.2019 ausgestellt.

Mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom 10.04.2019 wurde gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

Der Beschwerdeführer wurde bis zu seiner Abschiebung nach Pakistan am 16.04.2019 in Schubhaft angehalten.

Gegen den oben genannten Schubhaftbescheid sowie die Anhaltung in Schubhaft von 11.12.2018 bis 10.04.2019 wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und insbesondere vorgebracht, dass es die belangte Behörde verabsäumt habe, ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchzuführen und die Schubhaft vielmehr mittels Mandatsbescheid angeordnet habe, obwohl der Beschwerdeführer vor Verhängung der Schubhaft nicht nur kurzfristig in Strafhaft angehalten worden sei. Das Vorliegen von Fluchtgefahr habe die Behörde unzureichend und ohne Einvernahme des Beschwerdeführers oder der Frau B. nur aufgrund einer Obdachlosenmeldung und dem Missverständnis über die bevorstehende Abschiebung sowie der fehlenden sozialen Verankerung des Beschwerdeführers begründet.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl legte in der Folge den Verwaltungsakt vor und gab dazu eine Stellungnahme ab. Zudem beantragte es, das Bundesverwaltungsgericht möge die Beschwerde als unbegründet abweisen und den Beschwerdeführer zum Ersatz der näher genannten Kosten verpflichten.

Das gegenständliche Verfahren wurde der Gerichtsabteilung W275 aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23.04.2020 mit Wirksamkeit vom 24.04.2020 zugewiesen.


II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer ist ein volljähriger Staatsangehöriger Pakistans; er wurde unter der Identität XXXX , geb. XXXX , seitens der pakistanischen Botschaft als pakistanischer Staatsangehöriger identifiziert.

1.2. Der Beschwerdeführer reiste am 24.04.2016 in das österreichische Bundesgebiet ein und wurde am selben Tag festgenommen und in eine Justizanstalt eingeliefert.

1.3. Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 29.06.2016, rechtskräftig seit 28.03.2017, wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der Schlepperei gemäß § 114 Abs. 1, Abs. 3 Z 2 und Z 3 und Abs. 4 FPG sowie wegen des Vergehens der Fälschung besonders geschützter Urkunden gemäß § 223 Abs. 2 und § 224 StGB zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Beschwerdeführer befand sich ab 26.04.2016 in Untersuchungs- bzw. Strafhaft. Für den 24.08.2018 war die bedingte Entlassung des Beschwerdeführers aus der Strafhaft vorgesehen (Beschluss des Vollzugsgerichtes vom 05.06.2018); der Beschwerdeführer flüchtete jedoch am 28.07.2018 aus der Strafhaft. Am 06.11.2018 trat der Beschwerdeführer die Strafhaft freiwillig wieder an und wurde in weiterer Folge am 11.12.2018 bedingt aus der Strafhaft entlassen. Der Beschwerdeführer wurde am selben Tag auf Basis des gegen ihn am 10.12.2018 gemäß § 34 Abs. 3 Z 1 BFA-VG erlassenen Festnahmeauftrages festgenommen und anschließend in Schubhaft genommen.

1.4. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat es unterlassen, bereits während der mehrjährigen Anhaltung des Beschwerdeführers in Strafhaft ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchzuführen und gegebenenfalls die Schubhaft mittels Bescheid über den Beschwerdeführer zu verhängen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erließ vielmehr den angefochtenen Schubhaftbescheid am 11.12.2018 gemäß § 57 Abs. 1 AVG als Mandatsbescheid; der Bescheid ist mit „Mandatsbescheid“ bezeichnet, sein Spruch stützt sich auf § 57 Abs. 1 AVG. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat nicht dargelegt, weshalb die Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens während der mehrjährigen Anhaltung des Beschwerdeführers in Strafhaft nicht möglich gewesen wäre.

1.5. Gegen den Beschwerdeführer bestand aufgrund des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.07.2018 eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in die Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, die Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes betreffend das gegenständliche Verfahren sowie das Verfahren 2215917-1, in das Zentrale Fremdenregister, in das Strafregister, in das Zentrale Melderegister und in die Anhaltedatei des Bundesministeriums für Inneres.

2.1. Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers sowie seiner Identifizierung als pakistanischer Staatsangehöriger ergeben sich aus dem E-Mail des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.12.2018 (AS 17 im Verfahren zur Beschaffung eines Heimreisezertifikates).

2.2. Die Feststellungen zur Einreise, Festnahme und Einlieferung des Beschwerdeführers in eine Justizanstalt ergeben sich aus dem Akteninhalt sowie Einsichtnahmen in die Anhaltedatei des Bundesministeriums für Inneres, das Zentrale Melderegister und Vollzugsinformationen betreffend die Strafhaft des Beschwerdeführers (AS 1 im Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot; AS 1 im Verfahren zur Erlassung eines Schubhaftbescheides).

2.3. Die Feststellungen zur Verurteilung des Beschwerdeführers, seiner Anhaltung in Straf- bzw. Untersuchungshaft, den Terminen für die bedingte Entlassung sowie der Flucht des Beschwerdeführers, dem Wiederantreten der Strafhaft und der bedingten Entlassung am 11.12.2018 aus der Strafhaft sowie zur Festnahme und Inschubhaftnahme beruhen auf Einsichtnahmen in das Strafregister, in die Vollzugsinformationen betreffend die Strafhaft des Beschwerdeführers (AS 1 im Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot; AS 1 im Verfahren zur Erlassung eines Schubhaftbescheides) und in die Anhaltedatei des Bundesministeriums für Inneres, einem E-Mail des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.12.2018 (AS 17 im Verfahren zur Beschaffung eines Heimreisezertifikates) und dem Mandatsbescheid vom 11.12.2018 (AS 59ff im Verfahren zur Erlassung eines Schubhaftbescheides).

2.4. Die Feststellungen zur Unterlassung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens bereits während der mehrjährigen Anhaltung des Beschwerdeführers in Strafhaft sowie der Anordnung von Schubhaft im Anschluss an die Strafhaft mittels Mandatsbescheid ergibt sich aus dem Akteninhalt. Insbesondere wurde der Beschwerdeführer zu den Voraussetzungen der Anordnung von Schubhaft zu keinem Zeitpunkt persönlich einvernommen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gewährte dem Beschwerdeführer lediglich mit Schreiben vom 04.12.2018, sohin eine Woche vor seiner (bedingten) Entlassung aus der mehrjährigen Freiheitsstrafe, schriftliches Parteiengehör. Weshalb dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und Erlassung eines Bescheides bereits während der mehrjährigen Anhaltung des Beschwerdeführers in Strafhaft – auch unter Berücksichtigung des dem Beschwerdeführer zuzurechnenden Umstandes, dass dieser etwa einen Monat vor seiner geplanten bedingten Entlassung aus der Strafhaft flüchtete und die Strafhaft erst etwa drei Monate später wieder antrat – nicht möglich gewesen sein sollte, hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nicht dargelegt.

2.5. Die Feststellungen zur gegen den Beschwerdeführer bestehenden rechtskräftigen Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot für die Dauer von zehn Jahren ergibt sich aus Akteninhalt, insbesondere dem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.07.2018, Zahl 1112616407-160581003.

Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht aufzunehmen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu Spruchteil A) – Spruchpunkt I. – Schubhaftbescheid und Anhaltung in Schubhaft:

3.1.1. Gesetzliche Grundlagen:

Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) lautet:

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c.es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

§ 77 FPG - Gelinderes Mittel

Gemäß § 77 Abs. 1 FPG hat das Bundesamt bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1 FPG.

Gemäß § 77 Abs. 2 FPG ist Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

Gemäß § 77 Abs. 3 FPG sind gelindere Mittel insbesondere die Anordnung, (Z 1) in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen, (Z 2) sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder (Z 3) eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.

Kommt der Fremde gemäß § 77 Abs. 4 FPG seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird.

Gemäß § 77 Abs. 5 FPG steht die Anwendung eines gelinderen Mittels der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

Gemäß § 77 Abs. 6 FPG hat sich zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

Gemäß § 77 Abs. 7 FPG können die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

Gemäß § 77 Abs. 8 FPG ist das gelindere Mittel mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

Gemäß § 77 Abs. 9 FPG können die Landespolizeidirektionen betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.

Der mit „Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft“ betitelte § 22a BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) lautet:

㤠22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig.“

3.1.2. Zur Judikatur:

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, 2008/21/0647; 30.08.2007, 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, 2005/21/0301; 23.09.2010, 2009/21/0280).

„Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs. 1 FrPolG 2005 ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (Hinweis E 28.05.2008, 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich liegt eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde“ (VwGH 11.06.2013, 2012/21/0114, vgl. auch VwGH vom 02.08.2013, 2013/21/0008).

„Je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt, umso weniger bedarf es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis wird dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt. Das wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere beim Vorliegen von gegen ein Untertauchen sprechenden Umständen, wie familiäre Bindungen oder Krankheit, angenommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22.05.2007, 006/21/0052, und daran anknüpfend das Erkenntnis vom 29.04.2008, 2008/21/0085; siehe auch die Erkenntnisse vom 28.02.2008, 2007/21/0512 und 2007/21/0391) und wird weiters auch regelmäßig bei Bestehen eines festen Wohnsitzes oder ausreichender beruflicher Bindungen zu unterstellen sein. Mit bestimmten gelinderen Mitteln wird man sich insbesondere dann auseinander zu setzen haben, wenn deren Anordnung vom Fremden konkret ins Treffen geführt wird“ (VwGH 02.08.2013, 2013/21/0008).

3.1.3. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat es, obwohl sich der Beschwerdeführer bei Einleitung des Verfahrens zur Erlassung eines Schubhaftbescheides nicht bloß kurzfristig in Strafhaft befand, unterlassen, ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchzuführen und den gegenständlich angefochtenen Schubhaftbescheid gemäß § 57 Abs. 1 AVG als Mandatsbescheid erlassen; der Bescheid ist als „Mandatsbescheid“ bezeichnet und stützt sich im Spruch auf § 57 Abs. 1. AVG.

Gemäß § 76 Abs. 4 FPG ist die Schubhaft schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft.

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 27.01.2010, Zahl 2009/21/0009, festgehalten, dass der Gesetzgeber die Verhängung der Schubhaft jedenfalls dann nicht im Mandatsverfahren zulassen habe wollen, wenn sich der Fremde bereits aus einem anderen Grund in Haft befinde und diese Anhaltung nicht bloß kurzfristig sei. In diesem Fall liege nämlich keine Gefahr im Verzug dahingehend vor, dass sich ein Fremder (etwa) seiner Abschiebung entziehen könnte. Es sei somit in den Fällen, in denen ein Fremder bei Einleitung des Verfahrens zur Erlassung eines die Schubhaft anordnenden Bescheides nicht bloß kurzfristig in Haft angehalten werde, geboten, im Fall der beabsichtigten Erlassung eines die Schubhaft anordnenden Bescheides ein Ermittlungsverfahren durchzuführen. Das Ergebnis dieses Verfahrens sei dem Fremden im Rahmen des ihm zustehenden Parteiengehörs zur Kenntnis zu bringen, um die rechtzeitige Wahrnehmung seiner Rechtsschutzbehelfe, die ihm nach Erlassung des Bescheides zustünden (§ 76 Abs. 7 iVm § 82 Abs. 1 Z 3 FrPolG 2005), nicht zu vereiteln.

Der Beschwerdeführer befand sich im Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens zur Erlassung eines die Schubhaft anordnenden Bescheides bereits seit über zwei Jahren in Haft, wenngleich mit Unterbrechung durch seine Flucht aus der Strafhaft am 28.07.2018 bis zum freiwilligen Wiederantritt am 06.11.2018. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat dem Beschwerdeführer eine Woche vor seiner bedingten Entlassung ein (bloß schriftliches) Parteiengehör gewährt, ihn jedoch nicht persönlich einvernommen und keine weiteren Ermittlungsschritte gesetzt. Weshalb die Durchführung eines ordentlichen Verfahrens samt ordnungsgemäßem Ermittlungsverfahren, insbesondere eine persönliche Einvernahme des Beschwerdeführers, sowie die Erlassung eines Bescheides (allenfalls auch bereits zu einem früheren Zeitpunkt während der mehrjährigen Haft des Beschwerdeführers) nicht möglich gewesen wäre, ist dem Akteninhalt nicht zu entnehmen und wurde von der Behörde auch nicht dargelegt. Aus der gesetzlichen Verpflichtung des Strafgerichtes gemäß § 30 Abs. 5 BFA-VG, rechtskräftige Verurteilungen von Fremden zum frühestmöglichen Zeitpunkt dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mitzuteilen und mangels einer anderslautenden Stellungnahme des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ist im gegenständlichen Fall auch davon auszugehen, dass dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Dauer der Strafhaft des Beschwerdeführers bekannt war.

Gemäß § 80 Abs. 1 FPG ist das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl überdies verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes darf Schubhaft stets nur „ultima ratio“ sein. Dem entspricht nicht nur die in § 80 Abs. 1 FPG ausdrücklich festgehaltene behördliche Verpflichtung darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauere, vielmehr ist daraus auch abzuleiten, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl schon von vornherein angehalten ist, im Fall der beabsichtigten Abschiebung eines Fremden die Vorgangsweise nach Möglichkeit so einzurichten, dass Schubhaft überhaupt unterbleiben kann. Unterlässt es das, so ist die Schubhaft unverhältnismäßig (siehe etwa VwGH 15.10.2015, Ro 2015/21/0026).

Der gegenständliche Schubhaftbescheid erweist sich damit im Ergebnis als rechtswidrig.

War der Schubhaftbescheid rechtswidrig, so muss das auch für die auf den Schubhaftbescheid gestützte Anhaltung gelten (VwGH vom 11.06.2013, 2012/21/0114). Die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft von 11.12.2018 bis 10.04.2019 war daher rechtswidrig.

3.2. Zu Spruchteil A) – Spruchpunkte II. und III. – Kostenersatz:

3.2.1. Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist (für die Zeit vor Inkrafttreten des § 22a Abs. 1a BFA-VG siehe VwGH 23.04.2015, Ro 2014/21/0077).

3.2.2. Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei.

3.2.3. Im gegenständlichen Verfahren wurde gegen den im Spruch genannten Schubhaftbescheid und gegen die Anhaltung in Schubhaft von 11.12.2018 bis 10.04.2019 Beschwerde erhoben. Sowohl der Beschwerdeführer als auch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl haben einen Antrag auf Kostenersatz entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen gestellt.

Der Beschwerdeführer ist aufgrund der Stattgabe der Beschwerde obsiegende Partei, weshalb er Anspruch auf Kostenersatz im beantragten Umfang hat. Der belangten Behörde gebührt als unterlegener Partei kein Kostenersatz.

Dem Beschwerdeführer gebührt daher gemäß § 35 Abs. 1 und 3 VwGVG iVm § 1 Z 1 VwG-AufwErsV Kostenersatz in der Höhe von EUR 737,60 für den Schriftsatzaufwand.

3.3. Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn (Z 1) der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder (Z 2) die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist. Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da der Sachverhalt aufgrund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt war und Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die für die gegenständliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen.

3.4. Zu Spruchteil B) – Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Weder in der Beschwerde noch in der Stellungnahme der belangten Behörde findet sich ein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt überdies der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Ermittlungsverfahren Mandatsbescheid persönliche Einvernahme Rechtswidrigkeit Schubhaft Strafhaft

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W275.2216493.2.00

Im RIS seit

08.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

08.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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