Entscheidungsdatum
08.07.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs2Spruch
W124 2127303-2/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. FELSEISEN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Vorverfahren:
1.1 Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein somalischer Staatsangehöriger, gelangte am XXXX unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz. Noch am gleichen Tag wurde er vom Stadtpolizeikommando XXXX , Polizeiinspektion XXXX Bahnhof, einer Erstbefragung unterzogen. Dabei gab er zu seinen Fluchtgründen an, dass die Al-Shabaab ihn habe rekrutieren wollen, er dies aber nicht gewollt habe. Da Leute, die sich geweigert hätten, getötet worden seien, habe er aus Angst das Land verlassen, seine Familie habe ihn dabei finanziell unterstützt.
1.2 Nach Zulassung zum Asylverfahren wurde die gesetzliche Vertretung des damals noch minderjährigen BF vom zuständigen Jugendwohlfahrtsträger an namentlich genannte Mitarbeiter der Caritas XXXX übertragen. Am XXXX erfolgte eine ausgiebige Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Regionaldirektion Steiermark.
Eingangs der Befragung gab der Antragsteller an, dass er in Österreich wegen seiner Zähne operiert worden sei, sonst aber nicht in ärztlicher Behandlung sei und eine Deutschkursbestätigung vorlegen wolle. Er habe bis zu seiner Ausreise in XXXX mit seiner Mutter und insgesamt sechs Geschwistern gelebt. Sein Vater lebe noch, er sei psychisch krank, seine Eltern hätten sich aber getrennt.
Er habe am XXXX XXXX verlassen und sei dann über Äthiopien und den Sudan nach Libyen, dort habe er sich fünf Monate aufgehalten. Nach der Übersetzung des Mittelmeeres sei er von Italien nach Österreich gelangt. Mit seinen Angehörigen habe er ca. einmal im Monat telefonischen Kontakt. Zu ihren Vermögensverhältnissen führte er aus, dass sie arm sein würden. Er selbst habe als Frisör gearbeitet und die Familie versorgt. Seine Mutter sei Diabetikerin. Von XXXX habe er eine normale Schule besucht. Er gehöre dem Clan Madhiban an, sie wären eine Minderheit.
Für die Ausreise habe er behauptet, einem anderen Stamm anzugehören und sie hätten bezahlt. Mit staatlichen Behördenorganen habe er keine Probleme gehabt, auch nicht wegen seiner Religion. Wegen seiner Clanzugehörigkeit habe er aber schon Probleme gehabt und in der Schule hätten ihn die Mitschüler an den Haaren gerissen. Sie hätten auch gesagt, dass er seinen Mitschülern die Haare schneiden solle und sie ihn bezahlen würden. Nachdem er das getan habe, hätten sie nicht gezahlt. Dann habe seine Mutter zu ihm gesagt, dass er das Land verlassen solle. Wegen der Verletzung sei er mit sieben Stichen genäht worden. Er habe den Vorfall nicht angezeigt, denn es gäbe keine Polizei in Somalia. Den Vorfall in der Schule habe er der Lehrerin gemeldet. Sie habe mit den Kindern geredet, aber als sie weggewesen sei, hätten sie ihn wieder geschlagen. Er habe jeden Tag Schläge erhalten.
Zu Hause habe er in einem kleinen Geschäft gearbeitet, wo man auch Zigaretten verkauft habe. Manche hätten ihm etwas gezahlt, manche nicht und manche hätten ihn angespuckt, weil er einer Minderheit angehöre. Sonstige Vorfälle habe es nicht gegeben. Sie hätten ihm aber auch Brandwunden und eine Messerverletzung zugefügt. Am Vormittag sei er an der Schule gewesen und am Nachmittag habe er gearbeitet. Er könne auch nicht in Mogadishu leben, denn überall in Somalia würde er diskriminiert werden. Er habe auch noch nie in Mogadishu gelebt. Für die Ausreise habe er nicht gesagt, dass er ein Madhiban sei, sondern einen anderen Stamm angegeben, um Hilfe zu erhalten. Bei der Flucht frage man nicht so genau, aber sonst würde er überall aufgrund seines Berufes als Madhiban erkannt werden.
In Österreich erhalte er Grundversorgung, besuche einen Deutschkurs, zudem spiele er in Gratwein Fußball.
1.3 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX wurde unter Spruchteil I. der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, unter Spruchteil II. dieser Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia abgewiesen und unter Spruchpunkt III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Somalia zulässig sei sowie unter Spruchpunkt IV. die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen festgelegt.
1.4 Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller gegen alle Spruchteile, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
1.5 In der am XXXX vor dem BVwG durchgeführten mündlichen Beschwerdeverhandlung gab er zusammengefasst an, er sei am XXXX in XXXX geboren und habe dort bis zur Ausreise im Bezirk XXXX gelebt. Dies sei ein Bezirk der Stadt XXXX . Sein Vater sei schon verstorben, seine Mutter lebe noch. Sein Vater sei vor 8 Monaten verstorben. Die wirtschaftliche Situation seiner Familie sei sehr schlecht gewesen.
Politisch betätigt habe er sich in Somalia nicht, er habe aber Probleme mit der Al-Shabaab gehabt, dies seien Teile seiner Ausreisegründe, denn sein Koranlehrer sei ein Mitglied der Al-Shabaab gewesen. Näher gefragt gab er an, dass dieser XXXX geheißen habe und dieser ihm oft gesagt habe, dass die Al-Shabaab richtig sei und er mit dieser Gruppe zusammenarbeiten solle. Das erste Mal habe er mit ihm im Jahr XXXX oder XXXX gesprochen. Er habe versprochen, darüber mit seinen Eltern zu sprechen, er meinte jedoch, er solle darüber nicht mit seinen Eltern sprechen. Ein paar Tage später habe er wieder angefangen, mit ihm über die Al-Shabaab zu sprechen. Das letzte Mal sei dies im Jahr XXXX gewesen. Dann habe der Koranlehrer seine Koranschule zugesperrt und sei verschwunden. Gefragt, ob er persönlich von der Al-Shabaab bedroht worden sei, gab der BF an, dass eines Tages im Jahre XXXX einige Mitglieder der Al-Shabaab zu ihm nach Hause gekommen seien und versucht hätten ihn mitzunehmen. Da er sich jedoch geweigert und geweint habe, hätten sie ihn losgelassen. Sie hätten dann an seiner statt Nahrungsmittel mitgenommen und seien weggegangen. Von der Al-Shabaab sei er niemals mitgenommen worden. Der Besuch der Al-Shabaab Mitglieder XXXX bei ihnen zu Hause sei der letzte Kontakt mit der Al-Shabaab gewesen. Über Vorhalt, dass er bei der Erstbefragung als Fluchtgrund eine versuchte Zwangsrekrutierung durch die Al-Shabaab erwähnt habe, während er beim BFA von Problemen mit der Al-Shabaab nichts erwähnt habe, gab er an, dass er mit der versuchten Zwangsrekrutierung gemeint habe, dass sein damaliger Lehrer ihn oft auf eine Mitgliedschaft bei der Al-Shabaab angesprochen habe und aufgefordert habe, darüber nichts zu erzählen.
Gefragt, ob er persönlich konkrete Probleme wegen seiner Clanzugehörigkeit gehabt habe, bejahte er dies. Aufgefordert, dies näher zu erzählen, gab er an, dass er auf seiner Stirn eine Narbe habe und er auch auf seinem Brustkorb eine Narbe habe. Er sei mit einem Messer attackiert worden. Aufgefordert, die Vorfälle, bei denen diese Verletzungen entstanden seien, näher zu schildern, gab er an, dass man ihm diese bei mehreren Vorfällen zugefügt habe. Er sei ohne Grund auf der Straße angegriffen worden. Die Verletzung im Brustbereich sei ihm in der Schule zugefügt worden, jene auf der Stirn und die anderen Verletzungen auf der Straße. Die Verletzung im Brustbereich sei 2005 gewesen, die Stirnverletzung 2010 und die Verletzung am Hals und an der Hand 2012. Die Vorfälle in der Schule habe er seinen Lehrern gemeldet, aber diese hätten ihm auch nicht geholfen. Die Schüler hätten ihn auch auf dem Nachhauseweg geschlagen. Gefragt nach dem unmittelbaren Anlass der Ausreise, gab er an, dass in Somalia schon längere Zeit Bürgerkrieg herrsche und es keine Zukunft für ihn gebe, weil er ein Angehöriger der Madhiban sei. Er hätte auch Angst, getötet zu werden. Deshalb habe er sich entschieden-, das Land zu verlassen. Er sei am XXXX mit dem LKW nach Äthiopien gefahren, dann sei er über den Sudan nach Libyen und über das Mittelmeer nach Italien gereist. Gefragt, wie er seine Ausreise habe finanzieren können, obgleich er angegeben habe, arm gewesen zu sein, gab er an, dass ein paar Landsleute für ihn Geld gesammelt hätten, weil er sie gebeten habe, ihm zu helfen.
Gefragt, was mit ihm geschehen würde, würde er nach Somalia zurückkehren, gab er an, die Lage in Somalia sei noch immer sehr schlecht und er habe Angst, entführt oder getötet zu werden. Über Vorhalt, dass sein Heimatort XXXX relativ ruhig und sicher sei, die Nahrungsmittelsituation dort nicht so dramatisch sei und es wenig Clanprobleme gebe, führte er aus, dass dies stimme, aber er gehöre einer Minderheit an und werde in Somalia diskriminiert. In Mogadischu sei er noch nicht gewesen. Es sei wohl seine Cousine dort gewesen, aber er habe keinen Kontakt mehr zu ihr. Die anderen, die ihm bei der Ausreise Geld gegeben hätten, hätten nicht gewusst, welchem Clan er angehöre, sie hätten auch nicht nachgefragt. Er habe auch eine andere Clanzugehörigkeit angegeben. Länger könne er seine Clanzugehörigkeit aber nicht verbergen.
1.6 Mit Erkenntnis vom XXXX wurde die Beschwerde gemäß § 3 Abs. 1, 8 Abs.1, 57 und 10 Abs. 1 Z3 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG und 52 Abs. 2 und 9, 46 FPG als unbegründet abgewiesen.
Das Bundesverwaltungsgericht stellte Folgendes fest: „Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger von Somalia und gehört dem Clan Madhiban an. Er wurde am XXXX in XXXX geboren. Er hat von seiner Geburt bis zur Ausreise im Bezirk XXXX in XXXX gelebt. Sein Vater ist vor ca. 10 Monaten verstorben, seine Mutter lebt noch. Zu seiner Ausbildung und seiner beruflichen Tätigkeit können mangels glaubhafter Angaben keine Feststellungen getroffen werden. Der Beschwerdeführer hatte in Somalia wirtschaftliche Probleme. Er hat sich nicht politisch betätigt und hatte auch keine Probleme mit staatlichen Behördenorganen. In den Jahren 2008 bis 2009 wurde versucht, den Beschwerdeführer dazu zu überreden, der Al-Shabaab beizutreten. XXXX wollte die Al-Shabaab den Beschwerdeführer mitnehmen, da er sich weigerte nahm diese anstatt dessen Nahrungsmittel mit. Über die sonstigen Ausreisegründe könne mangels glaubhafter Angaben keine Feststellungen getroffen werden.
Der Beschwerdeführer verließ am XXXX mit einem LKW Somalia und gelangte über den Sudan, Libyen und das Mittelmeer nach Italien und von dort nach Österreich, wo er unter Umgehung der Grenzkontrolle am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Der Beschwerdeführer führt in Österreich kein Familienleben, er hat bereits mehrere Deutschkurse absolviert, aber kein Deutschdiplom vorgelegt. Die Mutter und die Geschwister des Beschwerdeführers sind nach wie vor in XXXX aufhältig, der Beschwerdeführer hat auch zu ihnen Kontakt. Er hat auch schon bei einem Verein Fußball gespielt, derzeit spielt er nur hobbymäßig. Er hat auch mehrfach ehrenamtlich gearbeitet, meistens als Straßenkehrer. Er wurde mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX wegen § 218 Abs. 1a, § 27 Abs. 2 und 2a SMG zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten, davon 5 Monate bedingt auf 3 Jahre verurteilt. Darüber hinaus liegen Anzeigen wegen Urkundenfälschung im Akt.“
1.7 Die dagegen mit Schriftsatz vom XXXX erhobene Revision des BF, in der dieser geltend machte, das Bundesverwaltungsgericht habe ohne entsprechende Deckung in den Länderfeststellungen geschlussfolgert, die Dürresituation in Somalia habe sich gebessert und es sei eine deutliche Entspannung der Nahrungsmittelknappheit eingetreten bzw. zu erwarten, und damit den BF in seinen Rechten nach Art. 3 EMRK verletzt, wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) vom XXXX mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zurückgewiesen.
Begründend führte der VwGH zusammengefasst aus, die Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK im Fall einer Rückkehr sei – wie er bereits wiederholt ausgesprochen habe – nicht ausreichend; vielmehr sei zur Begründung einer drohenden Verletzung des Art. 3 EMRK eine detaillierte und konkrete Darlegung des Bestehens exzeptioneller Umstände notwendig. Den vom Bundesverwaltungsgericht getroffenen Feststellungen entgegenstehende bzw. widersprechende Berichte oder das Vorliegen exzeptioneller Umstände im Sinne der Rechtsprechung des VwGH seien in der Revision nicht dargelegt worden.
1.8 Trotz rechtskräftiger Rückkehrentscheidung verließ der BF das Bundesgebiet nicht und stellte am XXXX während aufrechter Strafhaft vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Folgeantrag, den er in der Erstbefragung vom XXXX damit begründete, dass ihm die Diakonie gesagt habe, er könne einen neuerlichen Asylantrag stellen; er habe von dieser diverse Informationsblätter betreffend die Beantragung einer Duldungskarte erhalten, da er jedoch damals über keinen festen Wohnsitz verfügt habe, sei ihm von der Diakonie geraten worden, einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen.
Seine Volksgruppe bzw. sein Clan der Madhiban sei in Somalia eine Minderheit. Er befürchte, im Fall einer Rückkehr getötet zu werden. Diese Gefahr habe schon 2014 bestanden, hinzugekommen sei die nun vorherrschende Dürre und Hungersnot in Somalia. Nach konkreten Hinweisen für eine im Fall einer Rückkehr drohende unmenschliche Behandlung bzw. Bestrafung oder Todesstrafe gefragt, gab er an, sein Clan sei eine Minderheit; im Oktober 2018 habe er mit seinem in Kenia aufhältigen Cousin telefoniert, welcher ihm mitgeteilt habe, seine Geschwister seien vom Mehrheitsclan der Isaaq geschlagen worden. Beweise oder Bescheinigungsmittel könne er nicht vorlegen. Im Rahmen der Einvernahme vor dem BFA vom XXXX begründete er seinen Folgeantrag wie folgt: Er fühle sich in XXXX wohl, wolle in Österreich bleiben. Ihm sei gesagt worden, er solle es noch ein drittes Mal probieren; er wolle angeben, dass seine zwei Schwestern gesagt hätten, sie hätten Probleme mit den Volksgruppen der Isaaq und der Sheekhal, weswegen sie Somalia vor sechs Monaten verlassen hätten.
1.9 Mit Bescheid vom XXXX wurde der Folgeantrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkte I. und II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV), gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde die Zulässigkeit der Abschiebung nach Somalia festgestellt (Spruchpunkt V), das BFA stellte fest, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI.) und es erließ gegen den BF gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot.
Begründet wurde die Zurückweisung seines Folgeantrags im Wesentlichen damit, dass sich seit Eintritt der Rechtskraft des bundesverwaltungsgerichtlichen Erkenntnisses vom XXXX weder der entscheidungswesentliche Sachverhalt noch die maßgeblichen Rechtsvorschriften geändert hätten; darüber hinaus habe der BF kein neues asylrelevantes Vorbringen erstattet. Da er im Bundesgebiet über keine maßgeblichen familiären Anknüpfungspunkte bzw. privaten Interessen verfüge, stelle eine Rückkehrentscheidung keinen Eingriff in sein durch Art. 8 EMRK gewährleistetes Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens dar. Das verhängte Einreiseverbot wurde im Wesentlichen mit seiner Straffälligkeit und der Tatsache, dass er nicht in der Lage sei, den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nachzuweisen, begründet.
Da gegen den genannten Bescheid keine Beschwerde erhoben wurde, erwuchs dieser am XXXX in Rechtskraft.
Gegenständliches Verfahren:
2.1 Am XXXX stellte der BF erneut einen Folgeantrag, den er in der Erstbefragung vom selben Tag wie folgt begründete: Es bestünden dieselben Gründe – Verfolgung durch eine Miliz – wie beim ersten Mal; nach dem Negativbescheid des BFA habe er seine Unterkunft und seine Aufenthaltsberechtigungskarte verloren, woraufhin er Österreich in Richtung Deutschland verlassen habe, wo er einen Asylantrag gestellt habe, weil jener in Österreich abgelehnt worden sei. Er habe in Deutschland neu anfangen wollen. Im Falle einer Rückkehr werde er wie sein Vater getötet; dieser sei XXXX getötet worden; wenn er zurückkehre, werde er wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit unmenschlich behandelt. Die Frage, seit welchem Zeitpunkt ihm Änderungen der Fluchtgründe bekannt seien, beantwortete er mit der Angabe „Keine Änderung der Fluchtgründe“.
2.2 Mit Verfahrensanordnung vom XXXX wurde dem BF, der zu diesem Zeitpunkt bereits dort wohnhaft war, aufgetragen, ab sofort in einem näher bezeichneten Quartier des Bundes Unterkunft zu nehmen (§ 15b AsylG 2005).
2.3 In der am XXXX vom BFA durchgeführten niederschriftlichen Einvernahme zur Klärung seiner Identität gab der BF im Wesentlichen an, dass er von Geburt an somalischer Staatsangehöriger sei. Somalisch als Muttersprache beherrsche, Arabisch, Englisch sowie Deutsch, jeweils in Wort und Schrift. Er sei Muslim, gehöre der Volksgruppe der Madhiban an und sei verlobt. Seine Verlobte heiße XXXX , sei 25 Jahre alt, ebenfalls somalische Staatsangehörige und wohne zum Zeitpunkt der Einvernahme in XXXX . Sie hätten vorgehabt, zu heiraten, er sei jedoch inzwischen nach Österreich (zurück-)gebracht worden.
Befragt zum letzten Kontakt zu seinen im Herkunftsstaat lebenden Angehörigen gab er an, er habe vor ca. vier Monaten über ein näher bezeichnetes soziales Medium mit seiner in Libyen aufhältigen Schwester und vor ca. zwei Monaten mit seiner in Somalia aufhältigen Mutter Kontakt gehabt. Seinen Herkunftsstaat habe er zuletzt im XXXX verlassen – dies sei die einzige Ausreise aus diesem gewesen. Weder habe er jemals ein Visum besessen noch habe er die Ausstellung eines solchen beantragt. Ebenso wenig sei er je im Besitz eines identitätsbezeugenden Dokuments gewesen. Die Frage, ob er in Österreich oder einem anderen EU-Staat eine familiäre Beziehung habe, bejahte er; in Deutschland lebe seine Verlobte.
2.4 In der am selben Tag durchgeführten niederschriftlichen Einvernahme zu seinem nunmehr dritten Antrag auf internationalen Schutz gab er im Wesentlichen an, er sei noch sehr jung gewesen, als er sein Heimatland verlassen habe. XXXX sei dann sein Vater verstorben und jetzt habe er Angst, ebenso getötet zu werden. Er sei damals in Somalia misshandelt bzw. geschlagen worden; man habe auch auf ihn eingestochen; auch seien einige seiner Cousins wie sein Vater erschlagen worden. Sein Vater habe seine jüngeren Schwestern vor Vergewaltigungen bzw. Vergewaltigungsversuchen schützen wollen, woraufhin er erschlagen worden sei. Der BF sei nunmehr der älteste Sohn der Familie – zwar habe er einen älteren Bruder, dieser halte sich jedoch nicht mehr in Somalia auf – und habe deshalb Angst, auch getötet zu werden, da man auch ihm unterstellen werde, seine Schwestern beschützen zu wollen. Den Tod bzw. die angebliche Ermordung seines Vaters habe er bereits im ersten Asylverfahren vorgebracht. Der BF habe in Somalia kein schönes Leben gehabt, er sei regelmäßig geschlagen worden.
Über Nachfrage, ob sich bezüglich der Ausreisegründe, die er bereits im ersten Verfahren geltend gemacht habe, etwas geändert habe, gab er an, die Angst sei noch größer geworden, seine ältere Schwester sei fast vergewaltigt worden, eine Schwester befinde sich nunmehr in Libyen, eine andere in Saudi-Arabien. Das einvernehmende Organ des BFA hielt ihm des weiters vor, er sei am XXXX von Deutschland nach Österreich rücküberstellt worden und habe nachgefragt, in welchem Zeitraum er sich in Deutschland aufgehalten habe. Der BF gab an, er habe Österreich im XXXX verlassen und sei bis XXXX in Deutschland gewesen. Ihm wurde sodann vom einvernehmenden Organ mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen und ihm die Gelegenheit gegeben, dazu Stellung zu nehmen, woraufhin der BF zunächst angab, auch in Österreich kein einfaches Leben gehabt zu haben, ansonsten habe er schon alles erzählt. Über wiederholte Nachfrage gab er an, seine Familie sei auch nicht mehr in Somalia; er habe sie vor etwa zwei Monaten kontaktiert, sie hätten ihm gesagt, sie würden Somalia verlassen. Seine Mutter wolle nach Kenia reisen, da sie jedoch an Diabetes erkrankt sei, könne sie kaum gehen und habe sich nach einer Hilfsorganisation umsehen müssen; zusätzlich herrsche wegen der Dürre große Unsicherheit. Sein Vater sei bereits verstorben, sein Bruder habe Somalia noch vor ihm verlassen, seine beiden älteren Schwestern ebenso – nun sei seine Mutter alleine mit drei kleinen Kindern in Somalia.
Dem BF wurde die Möglichkeit eingeräumt, in die aktuellen Länderfeststellungen zu Somalia Einsicht zu nehmen, von welcher er auch Gebrauch machte. Zudem legte er zwei Artikel aus dem „Standard“ vor, die dem Verfahrensakt als Beilage „A“ beigelegt wurden; die Zeitungsberichte betreffen zwei von der Terrormiliz Al-Shabaab unternommene Angriffe in Mogadishu, einen vom 28.12.2019, bei welchem etwa 100 Personen getötet worden seien, und einen vom 11.12.2019, bei welchem mindestens elf Personen getötet worden seien. Der BF brachte ferner vor, es gebe in Somalia keinen Schutz vom Staat, da der Staat selbst Schutz benötige und deshalb Nichtpolitiker nicht schützen könne. Die ganze Regierung sei eine Katastrophe; jeden Tag gebe es Anschläge und der Staat könne nichts dagegen unternehmen. Man höre aber nie, dass ein Politiker durch einen Anschlag getötet werde; diese werden im Unterschied zur Bevölkerung geschützt.
2.5 Mit Verfahrensanordnung des BFA vom XXXX , welche dem BF am selben Tag persönlich ausgefolgt wurde, wurde ihm gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG 2005 mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen.
2.6 Am XXXX fand im Beisein einer Rechtsberaterin eine erneute niederschriftliche Einvernahme zur Wahrung des Parteiengehörs statt. Der BF verzichtete ausdrücklich auf die Abgabe einer Stellungnahme zu den ihm im Rahmen der letzten Einvernahme ausgefolgten Feststellungen zur allgemeinen Lage in Somalia und gab an, bereits alles ihm relevant Erscheinende bereits vorgebracht zu haben.
2.7 Mit Bescheid vom XXXX wurde der gegenständliche Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkte I und II). Ferner stellte das BFA fest, dass dem BF gemäß § 15b AsylG 2005 aufgetragen wurde, vom XXXX an in einem näher bezeichneten Quartier des Bundes Unterkunft zu nehmen. Eine Rückkehrentscheidung bzw. damit zusammenhängende Nebenaussprüche wurden nicht erlassen.
Begründet wurde die Abweisung seines Folgeantrags im Wesentlichen damit, dass sich seit Eintritt der Rechtskraft des bundesverwaltungsgerichtlichen Erkenntnisses vom XXXX weder der entscheidungswesentliche Sachverhalt noch die maßgeblichen Rechtsvorschriften geändert hätten; darüber hinaus habe der BF kein neues asylrelevantes Vorbringen erstattet.
Zur aktuellen COVID-19-Pandemie stellte das BFA fest, dass dieses durch das Virus „SARS-CoV-2“ verursacht werde und in seinem Herkunftsstaat, Somalia, bisher 60 Fälle von mit diesem Virus infizierten Personen nachgewiesen worden seien, wobei bisher zwei diesbezügliche Todesfälle bestätigt worden seien. Wie gefährlich der Erreger sei, könne zum Entscheidungszeitpunkt jedoch nicht genau beurteilt werden; man gehe aber von einer Sterblichkeitsrate von bis zu drei Prozent aus, wobei v. a. ältere Menschen und immungeschwächte Personen betroffen seien. Das BFA stützte sich dabei auf eine Statistik der John Hopkins University in Baltimore, Maryland, Vereinigte Staaten (www.coronavirus.jhu.edu/map.html, abgerufen am 14.04.2020) sowie auf einen Beitrag des österreichischen Bundesministeriums für Sozial, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus/Coronavirus---Haeufig-gestellte-Fragen.html, abgerufen am 14.04.2020).
In rechtlicher Hinsicht führte das BFA hierzu aus, die aktuelle Pandemie erfordere gegenständlich nicht die Zuerkennung subsidiären Schutzes; eine Epidemie im Herkunftsstaat eines Fremden sei zwar grundsätzlich unter dem Aspekt des Art. 3 EMRK beachtlich. Da es sich aber eben nicht nur um eine Epidemie im Herkunftsstaat des BF, sondern um eine Pandemie handle, sei das allgemeine Lebensrisiko, an COVID-19 zu erkranken, weltweit, folglich sowohl in Somalia als auch in Österreich, erhöht. Hinzu komme noch, dass das individuelle Risiko des BF, daran schwer oder gar tödlich zu erkranken, sehr gering sei; das Risiko eines derartigen Verlaufes sei nämlich im Falle junger, nichtimmungeschwächter Menschen. Auch wenn daher nicht ausgeschlossen werden könne, dass er sich mit dem Erreger infiziere – was jedoch genauso für den Fall seines Verbleibs in Österreich gelten würde – sei das Risiko eines schweren oder gar tödlichen Verlaufs der Erkrankung äußerst gering. Ein „real risk“ einer Verletzung des Art. 3 EMRK drohe ihm in seinem Herkunftsstaat aufgrund der COVID-19-Pandemie daher nicht.
2.8 Mit Verfahrensanordnung vom XXXX wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE-Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberaterin von Amts wegen zur Seite gestellt, welche ihn in weiterer Folge im Beschwerdeverfahren vertrat.
2.9 Mit Schriftsatz vom XXXX erhob der BF durch seine bevollmächtigte Vertreterin Beschwerde in vollem Umfang und machte Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend. Nach Wiederholung des (unstrittigen) bisherigen Verfahrensganges führte der BF im Wesentlichen aus, die belangte Behörde sei ihrer Ermittlungspflicht iSd § 18 Abs. 1 AsylG 2005 nicht nachgekommen. Inhaltlich habe die Behörde den Folgeantrag des BF insofern zu Unrecht zurückgewiesen, als er einen geänderten Sachverhalt samt „nachgewiesenem glaubhaften Kern“ vorgebracht habe, weswegen kein Fall einer entschiedenen Sache iSd § 68 Abs. 1 AVG vorliege.
2.10 Das BFA legte dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde sowie den Verfahrensakt am XXXX vor, wo diese am XXXX einlangten.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des BF
Der BF ist somalischer Staatsangehöriger, stammt aus Kismyao und ist Angehöriger des Clans der Madhiban. Der BF hat in der Zeit XXXX die Schule besucht und später mit diversen verschiedenen Arbeiten seinen Lebensunterhalt und jenen seiner Mutter bzw. Geschwister erwirtschaftet. Der BF beherrscht die Sprache Somalia, darüber hinaus die Sprachen arabisch, Englisch sowie etwas Deutsch.
Ob sich die Mutter des BF mit den drei kleineren Geschwistern noch in Somalia aufhält kann nicht festgestellt werden. Der ältere Bruder und zwei seiner Schwestern haben Somalia verlassen. Der Vater des BF ist bereits im Jahr XXXX verstorben.
Es kann nicht festgestellt werden, dass zwischenzeitlich eine entscheidungswesentliche Änderung der Situation in Somalia eingetreten ist.
Der BF ist keiner Verfolgung auf Grund der Zugehörigkeit der Minderheit des Clans der Madhiban ausgesetzt.
Der BF verfügt im Bundesgebiet über keinerlei Familienangehörige. Er gehört keinem Verein, keiner religiösen Verbindung und keiner sonstigen Gruppierung an. Der BF leidet an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten und steht im erwerbsfähigen Alter.
Der BF wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten (davon 5 Monate bedingt) wegen § 218 Abs. 1 a, § 27 Abs. 2a 2 Fall SMG und §§ 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall, 27 Abs. 2 SMG verurteilt. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX wurde der BF neuerlich wegen der §§ 27 Abs. 2a 2. Fall, 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall und § 27 Abs.2 SMG zu einer Freiheitsstrafe zu 10 Monaten (7 Monate bedingt) verurteilt.
1.2. COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In O?sterreich gibt es laut Johns Hopkins University mit Stand 07.07.2020, 15:45 Uhr, 18.412 besta?tigte Fa?lle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen mit 706 Todesfa?llen und 16.686 Genesenen; in Somalia wurden zu diesem Zeitpunkt 3.006 Fa?lle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei 92 diesbezu?gliche Todesfa?lle besta?tigt wurden und bereits 1051 Personen Genesen sind. (coronavirus.jhu.edu/map.html).
Die Wahrscheinlichkeit von schweren Erkrankungen und Todesfa?llen steigt bei Personen u?ber 65 Jahren und bei Personen mit definierten Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislauf- Erkrankungen, chronischen Atemwegserkrankungen, geschwa?chtem Immunstatus, Krebs und Fettleibigkeit deutlich an. Diese Risikogruppen sind bis heute fu?r die Mehrheit der schweren Erkrankungen und Todesfa?lle verantwortlich. Nach der Infektion gibt es aktuell (noch) keine spezifische Behandlung fu?r COVID-19, jedoch kann eine fru?hzeitige unterstu?tzende Therapie, sofern die Gesundheitsfu?rsorge dazu in der Lage ist, die Ergebnisse verbessern. Zusammenfassend la?sst sich sagen, dass der Krankheitsverlauf des COVID-19, sofern es durch das Coronavirus ausgelo?st wurde, fu?r die Allgemeinbevo?lkerung als mild bis moderat, fu?r a?ltere Menschen mit definierten Risikofaktoren jedoch als gravierend bis to?dlich eingescha?tzt wird (s. www.who.int/health topics/coronavirus).
1.3 Zum Verfahrensgang
1.3.1. Am XXXX stellte der BF nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Als Fluchtgrund gab er im Wesentlichen Diskriminierungen wegen der Zugehörigkeit seines Clans an.
Dieser Antrag wurde mit Bescheid des BFA vom XXXX gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Z 13 AsylG idgF abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Somalia abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG idgF wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG idgF erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung nach Somalia gemäß § 46 FPG nach Somalia zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde dem BF eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung aufgetragen.
1.3.2. Eine dagegen eingebrachte Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG vom XXXX als unbegründet abgewiesen.
1.3.3. Am XXXX stellte der BF den zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des BFA vom XXXX wurde dieser Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 68 AVG zurückgewiesen (Spruchpunkt I. und II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Somalia zulässig sei (Spruchpunkt IV). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde dem BF keine Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt (Spruchpunkt VI.) und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG gegen den BF ein Einreiseverbot in der Dauer von 5 Jahren erlassen.
1.3.4. Am XXXX stellte der BF den nunmehr gegenständlichen dritten Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde mit Bescheid des BFA vom XXXX gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Ebenso wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zurückgewiesen (Spruchpunkt II.). Gleichzeitig wurde dem BF gem. § 15b Abs. 1 AsylG 2005 aufgetragen ab XXXX in einer namentlich genannten Unterkunft Quartier zu nehmen (Spruchpunkt III.).
Dagegen wurde fristgerecht eine Beschwerde eingebracht.
1.4. Zu den Flucht-, und Verfolgungsgründen im Herkunftsstaat
1.4.1. Der BF konnte seit der Entscheidung über seinen ersten Asylantrag bzw. den in der Folge darauf inhaltlich aufbauenden zweiten Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des BFA vom XXXX rechtskräftig negativ abgewiesen wurde kein neues entscheidungsrelevantes individuelles Vorbringen glaubhaft dartun.
1.4.2. In der Zwischenzeit sind auch keine Umstände eingetreten, wonach dem BF in Somalia aktuell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit seiner Person drohen würde oder ihm im Falle einer Rückkehr nach Somalia die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre. Der BF leidet an keiner zwischenzeitlich aufgetretenen lebensbedrohlichen oder im Herkunftsland nicht behandelbaren Krankheit.
1.4.3. Der BF ist arbeitsfähig und in der Lage im Herkunftsstaat seinen notwendigen Unterhalt zu sichern. Der BF beherrscht die somalische Sprache, welche in weiten Teilen Somalias gesprochen wird. Es sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass der BF nicht arbeitsfähig ist.
1.4.4. Es kann nicht festgestellt werden, dass zwischenzeitlich eine entscheidungswesentliche Änderung in Somalia eingetreten ist.
1.5 Zur Lage im Herkunftsstaat Somalia werden die vom BFA herangezogenen Länderberichte dem Verfahren zu Grunde gelegt:
Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformationen
KI vom 20.11.2019: Neues Programm für freiwillige Rückkehr aus Österreich
In das europäische Programm zur freiwilligen Rückkehr ERRIN (European Return and Reintegration Network), an welchem Österreich bereits zu mehreren anderen Herkunftsstaaten partizipiert, wurden mit November 2019 auch die Destinationen Somalia und Somaliland aufgenommen. Umgesetzt wird das Programm vor Ort von der Organisation IRARA (International Return and Reintegration Assistance) mit Büros in Mogadischu und Hargeysa (BMI 8.11.2019).
Das Programm umfasst – neben den direkt von Österreich zur Verfügung gestellten Mitteln – pro Rückkehrer 200 Euro Bargeld sowie 2.800 Euro Sachleistungen. Letztere umfassen (je nach Wunsch des Rückkehrers) eine vorübergehende Unterbringung, medizinische und soziale Unterstützung, Beratung in administrativen und rechtlichen Belangen, Unterstützung bei der Gründung eines Kleinunternehmens sowie schulische und berufliche Bildung (BMI 8.11.2019).
Quellen:
- BMI (8.11.2019): ERRIN Reintegrationsprojekt Somalia und Somaliland ab 8. November 2019, per e-Mail
Sicherheitslage
Die Sicherheitslage bleibt instabil und unvorhersagbar (AMISOM 7.8.2019, S.2). Zwar ist es im Jahr 2018 im Vergleich zu 2017 zu weniger sicherheitsrelevanten Zwischenfällen und auch zu einer geringeren Zahl an Todesopfern gekommen, doch ist die Sicherheitslage weiterhin schlecht. Sie ist vom bewaffneten Konflikt zwischen AMISOM (African Union Mission in Somalia), somalischer Armee und alliierten Kräften auf der einen und al Shabaab auf der anderen Seite geprägt. Zusätzlich kommt es in ländlichen Gebieten zu Luftschlägen (NLMBZ 3.2019, S.17). Weiterhin führt der Konflikt unter Beteiligung der genannten Parteien zu zivilen Todesopfern, Verletzten und Vertriebenen (USDOS 13.3.2019, S.1). Wer sich in Somalia aufhält, muss sich der Gefährdung durch Terroranschläge, Kampfhandlungen, Piraterie sowie kriminell motivierte Gewaltakte bewusst sein (AA 17.9.2019). Auch der Konflikt um Ressourcen (Land, Wasser etc.) führt regelmäßig zu Gewalt (BS 2018, S.31).
Die Regierung und ihre Verbündeten kontrollieren zwar viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das „urban island scenario“ besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AMISOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben. Folglich befinden sich große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss der al Shabaab (BFA 8.2017, S.21; vgl. BMLV 3.9.2019).
Dahingegen können nur wenige Gebiete in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden – etwa Dhusamareb oder Guri Ceel. In Puntland gilt dies für größere Gebiete, darunter Garoowe (BFA 8.2017, S.21/91f; vgl. BMLV 3.9.2019).
Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen (ACLED 2019). Auch das Maß an Kontrolle über bzw. Einfluss auf einzelne Gebiete variiert. Während Somaliland die meisten der von ihm beanspruchten Teile kontrolliert, ist die Situation in Puntland und – in noch stärkerem Ausmaß – in Süd-/Zentralsomalia komplexer. In Mogadischu und den meisten anderen großen Städten hat al Shabaab keine Kontrolle, jedoch eine Präsenz. Dahingegen übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes Kontrolle aus. Zusätzlich gibt es in Süd-/Zentralsomalia große Gebiete, wo unterschiedliche Parteien Einfluss ausüben; oder die von niemandem kontrolliert werden; oder deren Situation unklar ist (LIFOS 9.4.2019, S.6).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (17.9.2019): Somalia – Reise- und Sicherheitshinweise – Reisewarnung, URL, Zugriff 17.9.2019
- ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2019): Africa (Data through 19 January 2019), URL, Zugriff 23.1.2019
- AMISOM (7.8.2019): Progress Report of the Chairperson of the Commission on the situation in Somalia/AMISOM, URL, Zugriff 22.8.2019
- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019
- BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, URL, Zugriff 31.5.2019
- LIFOS - Lifos/Migrationsverket (Schweden) (9.4.2019): Somalia – Folkbokförning, medborgarskap och identitetshandlngar, URL, Zugriff 8.5.2019
- NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf URL, 18.6.2019
- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019
Sicherheitsbehörden
Ausländische Kräfte
Die African Union Mission in Somalia (AMISOM) ist seit zwölf Jahren in Somalia stationiert. Das prinzipielle Mandat von AMISOM ist es, die durch al Shabaab und andere Rebellengruppen gegebenen Bedrohungen zu reduzieren und Stabilisierungsanstrengungen zu unterstützen. Das hat AMISOM zu einem gewissen Maß auch geschafft (ISS 28.2.2019). Allerdings hängt die Bundesregierung in großem Maße von den Kräften der AMISOM ab (BS 2018, S.7).
AMISOM hat eine militärische, eine polizeiliche und eine zivile Komponente. Truppenstellerstaaten für die militärische Komponente sind gegenwärtig Uganda, Burundi, Dschibuti, Kenia und Äthiopien (BMLV 3.9.2019). Nach einer Angabe gab es im Dezember 2018 an 78 Orten ca. 21.600 uniformiertes und 70 ziviles AMISOM-Personal (UNSC 21.12.2018, S.9). Bis Mai 2019 wurde die Truppenstärke auf 20.626 Mann reduziert. Ob es zu einer weiteren Verringerung kommt, ist unklar. Eine solche steht zumindest im Raum (UNSC 31.5.2019). Nach anderen Angaben wurde eine weitere Reduzierung bereits vorgenommen, und so betrug die Truppenstärke ab Feber 2019 nur noch 19.586 Mann. Laut UN-Resolution ist eine weitere Reduzierung um 1.000 Mann bis Ende Feber 2020 geplant – allerdings unter der Voraussetzung, dass die somalische Armee in der Lage ist, zwölf Stützpunkte der AMISOM zu übernehmen (BMLV 3.9.2019).
Trotzdem soll die Präsenz auf Galmudug ausgedehnt werden (AMISOM 7.8.2019, S.7). Eigentlich soll die somalische Armee im Jahr 2020 die Aufgaben von AMISOM übernehmen (TIND 15.1.2019). Der Exit-Plan von AMISOM sieht vor, dass die Truppe mit Dezember 2021 das Land verlässt (ISS 28.2.2019). Der kenianische Präsident hat angekündigt, dass er seine Truppen aus Somalia erst abziehen wird, wenn dort Frieden und Stabilität herrscht (AMISOM 15.10.2018a).
Die Stärke betrug im Feber 2019:
- Äthiopien: 4.123
- Burundi: 3.922
- Dschibuti: 1.797
- Kenia: 3.860
- Uganda: 5.759
- Hauptquartier: 125 (BMLV 3.9.2019)
Rund 1.000 AMISOM-Soldaten erhielten eine Ausbildung durch Kräfte aus Großbritannien, dies hat u.a. zur Einsatzfähigkeit beigetragen (UNSC 9.5.2017). Eine derartige Ausbildung erfolgt laufend auch im Rahmen der Einsatzvorbereitung in den Herkunftsländern und in Somalia, maßgeblich durch Großbritannien, die USA, Frankreich und die EU (BMLV 3.9.2019). In manchen Gebieten kooperiert AMISOM eng mit lokalen Milizen oder anderen Kräften (BFA 8.2017, S.16). AMISOM erhält von der UN-Agentur UNSOS an 77 Stützpunkten logistische Unterstützung (UNSC 15.8.2019, Abs.68). Die Schlagkraft von AMISOM wird u.a. dadurch gehemmt, dass eine Luftkomponente nicht bzw. kaum gegeben ist (ME 27.6.2019).
Im Land befindet sich auch eine mehrere hundert Mann starke AMISOM-Polizeikomponente unterschiedlicher afrikanischer Teilnehmerstaaten (Uganda, Nigeria, Ghana, Sierra Leone, Kenia und Sambia). Dabei ist die im AMISOM-Auftrag vorgesehene Aufstockung auf 1.040 Mann noch nicht erreicht worden; insgesamt wären fünf sogenannte Formed Police Units vorgesehen (FPU; je 160 Mann) (BMLV 3.9.2019), allerdings sind nur drei vorhanden. Diese stammen aus Nigeria, Sierra Leone und Uganda (BMLV 3.9.2019; vgl. UNSC 21.12.2018, S.10). AMISOM unterstützt die somalische Polizei bei ihrer Arbeit in Mogadischu. Mehr als 300 AMISOM-Polizisten bilden die somalischen Polizisten in den Bereichen Polizeiarbeit; Menschenrechte; Verbrechensprävention; Gemeindepolizei und Fahndungsmethoden weiter (USDOS 13.3.2019, S.7). Mit der Reduktion des militärischen Teils von AMISOM wurde die Polizeikomponente verstärkt (ISS 28.2.2019).
Neben AMISOM operieren auch noch bilateral eingesetzte Truppen unterschiedlicher Staaten auf somalischem Territorium (BFA 8.2017, S.17). Äthiopien hat sein bilateral eingesetztes Kontingent reduziert. Derartige Truppen finden sich in Bakool, Gedo und Galgaduud (BMLV 7.6.2019). Die Stärke dieser Kräfte wird mit ca. 2.000 Mann beziffert. Zusätzlich kommt die Ethiopian Air Force vermehrt in Somalia zum Einsatz (BMLV 3.9.2019). Generell hat Äthiopien kein Problem damit, bilateral eingesetzte Truppen zu verschieben oder abzuziehen (BFA 8.2017, S.17f). Die bilateral von Kenia eingesetzten Truppen wurden im März 2019 mehrheitlich in die Nähe der gemeinsamen Grenze zurückgezogen. Die Stärke dieser Kräfte beläuft sich derzeit vermutlich auf ca. 250-300 Mann (BMLV 3.9.2019). Die USA verfügen in Somalia über rund 500 Mann (TIND 15.1.2019).
Die Liyu Police aus dem äthiopischen Somali Regional State operierte – zumindest in der Vergangenheit – auch innerhalb Somalias, dort v.a. im grenznahen Gebiet (BFA 8.2017, S.18f; vgl. LWJ 3.9.2018). Nach August 2018 wurde der Einsatz der Liyu Police in Somalia weitgehend eingestellt. Anfang 2019 gab es keine ständige Stationierung mehr in Somalia. Trotzdem wird die Liyu Police auch weiterhin für Einsätze zur Unterstützung der äthiopischen Armee herangezogen. Diese werden allerdings von Standorten in Äthiopien aus mit einem Zeitrahmen von wenigen Tagen durchgeführt (BMLV 7.6.2019). Die Einsätze der Liyu werden aber offenbar wesentlich zurückhaltender als in den vergangenen Jahren geführt (BMLV 3.9.2019).
Quellen:
- AMISOM (7.8.2019): Progress Report of the Chairperson of the Commission on the situation in Somalia/AMISOM, URL, Zugriff 22.8.2019
- AMISOM (15.10.2018a): 15 October 2018 - Morning Headlines [Quelle: Halbeeg News], Newsletter per E-Mail
- BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, URL, Zugriff 31.5.2019
- BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung (Österreich) (3.9.2019): Anfragebeantwortung an die Staatendokumentation
- BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung (Österreich) (7.6.2019): Anfragebeantwortung an die Staatendokumentation
- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019
- ISS - Institute for Security Studies / Meressa K Dessu / Dawit Yohannes (28.2.2019): Is this the right time to downsize AMISOM?, URL, Zugriff 13.3.2019
- LWJ - Long War Journal / Bill Roggio / Caleb Weiss (3.9.2018): Shabaab attacks focus on Somali military, African Union forces, URL, Zugriff 21.1.2019
- ME - Militärstrategischer Experte (27.6.2019): Interview mit der Staatendokumentation
- TIND - The Independent / Joe Sommerlad (15.1.2019): Al-Shabaab: Who are the East African jihadi group and what are their goals?, URL, Zugriff 30.1.2019
- UNSC - UN Security Council (15.8.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 22.8.2019
- UNSC - UN Security Council (31.5.2019): June 2019 Monthly Forecast, URL, Zugriff 15.7.2019
- UNSC - UN Security Council (21.12.2018): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 7.5.2019
- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019
Somalische Kräfte
Zwar hat es auf Bundes- und Bundesstaatsebene etwas Fortschritt gegeben, um die Rollen und Verantwortlichkeiten im Sicherheits- und Justizsektor zu klären; allerdings haben politische Grabenkämpfe dringend nötige große Reformen verhindert (HRW 17.1.2019). Auch hinsichtlich der Nationalen Sicherheitsarchitektur gibt es weiterhin offene Fragen – etwa zur Integration oder Entwaffnung und Demobilisierung regionaler Kräfte und Clanmilizen. Der Status regionaler (Streit-)Kräfte (Darawish) bleibt damit weiterhin unklar (SEMG 9.11.2018, S.33).
Die somalischen Sicherheitskräfte befinden sich nach wie vor im Aufbau. Polizei und Armee sind nicht in der Lage, bei einem Rückzug der AMISOM deren Aufgaben zu übernehmen (BFA 8.2017, S.6/11). Der Bundesregierung ist es nicht gelungen, das Gewaltmonopol des Staates wiederherzustellen (BS 2018, S.7), die Regierung ist nach wie vor auf den Schutz durch AMISOM angewiesen (BS 2018, S.39). Zudem hat al Shabaab Polizei und Armee infiltriert und korrumpiert (LIFOS 3.7.2019, S.42).
Zivile Kontrolle: Es mangelt an effektiver Kontrolle ziviler Behörden über die Sicherheitskräfte (USDOS 13.3.2019, S.1/6). Aktionen der staatlichen Sicherheitskräfte entziehen sich oftmals der zivilen Kontrolle. Dies gilt insbesondere für die National Intelligence and Security Agency (NISA), aber auch für die Polizeikräfte. Gleichzeitig bekennt sich die Regierung zu ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen (AA 4.3.2019, S.8/18). Die justizielle Verantwortlichkeit einzelner Mitglieder der Sicherheitsorgane ist zumeist schwach bis inexistent (AA 4.3.2019, S.7). Denn auch wenn manchen Angehörigen der Sicherheitskräfte vor Militärgerichten der Prozess gemacht wird, herrscht eine Kultur der Straflosigkeit (USDOS 13.3.2019, S.6).
Polizei: Die Polizei untersteht einer Mischung von lokalen und regionalen Verwaltungen und der Bundesregierung (USDOS 13.3.2019. S.6; vgl. BFA 8.2017, S.12f). Die nationale Polizei untersteht dem Ministerium für Innere Sicherheit. Die von regionalen Behörden geführten Polizeikräfte unterstehen den jeweiligen regionalen Innen- oder Sicherheitsministerien. Die Bundespolizei ist in allen 17 Bezirken Mogadischus präsent (USDOS 13.3.2019. S.6f). Generell ist die Polizei außerhalb von Mogadischu nur eingeschränkt präsent (NLMBZ 3.2019, S.34).
Aktuelle Mannstärke der Polizei:
? Benadir/Mogadischu: Stand August 2017 - 6.146 Mann (BFA 8.2017, S.12). Durch Neuausbildungen wurde die Stärke massiv erhöht, alleine im Feber 2019 wurden 1.400 neue Polizeirekruten in den Dienst übernommen. Außerdem wurden Angehörige der NISA der Polizei unterstellt. Nun verfügt die Polizei in Benadir über 8.000-9.000 Mann (BMLV 3.9.2019).
? Galmudug: Stand August 2017 - 500 Mann (BFA 8.2017, S.12). Seither hat sich die Stärke nur minimal durch die Übernahme von ASWJ-Angehörigen erhöht; vermutlich auf 500-550 Mann (BMLV 3.9.2019).
? HirShabelle: Stand August 2017 - 550 (BFA 8.2017, S.13). Im Feber 2019 wurden ca. 200 neue Polizeirekruten in Dienst gestellt, Ende August 2019 weitere rd. 200. Weitere 400 Neurekrutierungen sind geplant. Die Gesamtstärke der HirShabelle Police dürfte sich aktuell auf rd. 800 Mann belaufen (BMLV 3.9.2019).
? Jubaland: Zum Stand vom August 2017 - 500-600 Mann - gibt es keine neuen Erkenntnisse (BFA 8.2017, S.12; vgl. BMLV 3.9.2019).
? South West State: Zum Stand vom August 2017 - 600-700 - gibt es keine neuen Erkenntnisse (BFA 8.2017, S.12; vgl. BMLV 3.9.2019).
Die Kapazitäten werden mit Ausbildungsmaßnahmen verbessert. In einem international unterstützten Programm werden 700 Polizisten für Galmudug, 400 für den SWS, 600 für Jubaland und 800 für HirShabelle rekrutiert und ausgebildet (UNSC 15.5.2019, Abs.47; vgl. UNSC 21.12.2018, S.11). Z.B. wurden bereits von UNSOM gemeinsam mit somalischer Polizei und AMISOM mit EU-Finanzierung in Jowhar 200 Polizisten für HirShabelle ausgebildet (UNSOM 12.2018, S.2; vgl. UNSOM 3.2019, S.2). AMISOM betreut über 3.200 somalische Polizisten an 31 Polizeistationen (AMISOM 7.8.2019, S.4). Weitere internationale Unterstützung für die Polizei: Bau von Polizeistationen und Bezahlung von Gehältern (Jubaland); Schenkung von Fahrzeugen und Bezahlung von Gehältern (SWS); Bezahlung von Gehältern (Galmudug); Einrichtung elektronisch erfasster Gehaltslisten (Puntland); Bau des Hauptquartiers der Kriminalpolizei, Renovierung von Polizeistationen, Schenkung von Fahrzeugen und Kommunikationsausrüstung (Mogadischu) (UNSC 21.12.2018, S.11).
Die Polizei ist generell nicht effektiv, es mangelt an Ausrüstung und Ausbildung. Es gibt auch Berichte über Korruption (USDOS 13.3.2019, S.6; vgl. NLMBZ 3.2019, S.34) und Infiltration durch al Shabaab (LIFOS 3.7.2019. S.42). Im Fall einer kriminalitätsbedingten Notlage fehlen weitgehend funktionierende staatliche Stellen, die Hilfe leisten könnten (AA 17.9.2019). Die Polizei verfügt zwar über einige Kapazitäten, hat aber auch Probleme, sich an den Menschenrechten zu orientieren. Die Bezahlung von Polizisten erfolgt meist nur unregelmäßig, die Korruption ist hoch. Dass die Bevölkerung die Polizei nicht unbedingt als eine Kraft erachtet, welche sie schützt, scheint sich in manchen größeren Städten langsam zu ändern. Dort wurden Polizeikräfte lokal – und die lokale Clandynamik berücksichtigend – rekrutiert. Das hat zu Verbesserungen geführt. Dies betrifft etwa Kismayo, Jowhar oder Belet Weyne (BFA 8.2017, S.13; vgl. BMLV 3.9.2019).
Armee: Das Verteidigungsministerium ist für die Kontrolle der somalischen Armee verantwortlich. Dabei bleibt die ausgeübte Kontrolle dürftig, hat sich aber mit Hilfe internationaler Partner etwas verbessert. Letzteres gilt etwa für die Kräfte im Großraum Mogadischu, Lower Shabelle, in der Region Bay bis Baidoa und nördlich bis Jowhar (USDOS 13.3.2019, S.7). Die Armee gilt als chaotischer Zusammenschluss zahlreicher bewaffneter Gruppen, es mangelt an einheitlichen Führungsstrukturen. Fußtruppen sind oft eher gegenüber dem Clan loyal als gegenüber der Regierung. Die meisten Bataillone sind entlang von Clans organisiert, es kommt mitunter zu Rivalitäten zwischen einzelnen Bataillonen (Williams, S.18ff).
Der Armee kam und kommt beachtliche internationale Unterstützung zugute, damit sie AMISOM ersetzen kann (BS 2018, S.7). Trotzdem zeigen die Ergebnisse einer Studie zur Einsatzfähigkeit der somalischen Armee vom Dezember 2017 den schlechten Zustand der Streitkräfte (SEMG 9.11.2018, S.33). Trotz der mehr als zehn Jahre dauernden (internationalen) Bemühungen ist die somalische Armee nicht in der Lage, selbständige Operationen durchzuführen (ME 14.3.2019), ihr Zustand wird als „work in progress“ beschrieben (ICG 27.6.2019, S.4). Sie ist auf defensive und lokale Operationen beschränkt und in großem Maße vom Schutz und Versorgung durch AMISOM und UN abhängig (Williams, S.2). Immerhin wurden bei der Operation Badbaado 2019 in Lower Shabelle schon mehrheitlich somalische Truppen herangezogen (ME 27.6.2019).
Das Verhältnis zwischen Bundesregierung und Armee ist von einem hohen Maß an Misstrauen geprägt, das durch kontinuierliche Rückstände bei der Auszahlung des Soldes, Korruption, Missmanagement und Entwendung von Versorgungsgütern genährt wird. Zudem hat die Armee keine zentralen Kommandostrukturen etablieren können (BS 2018, S.7f). Sie gleicht einer Koalition unterschiedlicher Kontingente (AQ1 5.2019) bzw. Clanmilizen, deren Loyalität eher beim Clan als bei der Bundesregierung liegt (BS 2018, S.7; vgl. ICG 27.6.2019, S.4). Manchmal sucht sich die Armee lokale oder Clanmilizen als Alliierte und heizt dadurch bereits bestehende Konflikte weiter an (BS 2018, S.7).
Der Armee mangelt es an Ausbildung und Ausrüstung, Korruption ist verbreitet (LIFOS 3.7.2019, S.22). Das Operational Readiness Assessment über die somalische Armee vom Dezember 2017 hat ergeben, dass diese sich in einem schlimmen Zustand befindet. Die vorhandenen Bataillone sind durchschnittlich nur zu 63% aufgefüllt, Rekrutierungsmethoden sind inkonsistent, es mangelt selbst an grundlegender Ausrüstung (Williams, S.1). Es kommt vor, dass Soldaten nur sehr unregelmäßig bezahlt werden (AA 4.3.2019, S.7). Es gibt mehrere Berichte, wonach unbezahlte Angehörige der Sicherheitskräfte ihre Waffen verkaufen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können (SEMG 9.11.2018, S.15). Korruption, Misswirtschaft und finanzielle Einschränkungen beeinträchtigen die Wirksamkeit der Armee (AA 4.3.2019, S.8). Mitunter kam es 2019 in den Regionen Middle und Lower Shabelle zu Meutereien, weil der Staat bei der Auszahlung des Soldes schon fast chronisch versagt (AQ1 5.2019). Das hohe Maß an Korruption und Missmanagement bei den Sicherheitskräften und das damit verbundene Unterbleiben von Soldzahlungen hat wiederholt zu schweren Sicherheitsproblemen geführt (BS 2018, S.20). Die stockende oder ausbleibende Auszahlung des Soldes hat Soldaten immer wieder dazu verführt, ihr Einkommen auf andere Art zu sichern: durch Erpressung, Nebentätigkeiten, Betrug oder den Verkauf von Ausrüstung (Williams, S.11f). U.a. haben die USA Ende