TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/8 W196 2143469-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.07.2020
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Entscheidungsdatum

08.07.2020

Norm

AsylG 2005 §58 Abs10
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W196 2143469-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. SAHLING als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.12.2016, Zl. 831822608-161619823 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin, russische Staatsangehörige und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe muslimischen Glaubens, stellte, ebenso wie ihr Ehemann und ihre zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährigen Söhne, nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 19.09.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz. Anlässlich der Antragstellung wurde der russische Inlandsreisepass in Vorlage gebracht.

Der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz wurde im Beschwerdeweg mit Erkenntnis des Asylgerichthofes vom 26.11.2013, Zl. D4 435309-1/2013, hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten sowie subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Russische Föderation rechtskräftig als unbegründet abgewiesen und die Beschwerdeführerin aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen. Das Erkenntnis wurde der Beschwerdeführerin am 04.12.2013 zugestellt und erwuchs in Rechtskraft.

Am 11.12.2013 stellte die Beschwerdeführerin einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.11.2014, zugestellt am 01.12.2014, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und ihr der Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf die Russische Föderation nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Zudem wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt, gegen die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist; unter einem wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise auf 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt III.).

Zur Situation im Falle einer Rückkehr führte das Bundesamt aus, dass der Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat weder Verfolgung noch anderswertige Gefahren drohen würden, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würden.

Mit Erkenntnis vom 12.08.2016, W112 1435309-2/24E, wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 iVm 10 Abs. 1 Z 3, 55, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF und §§ 46 iVm 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9 FPG idgF als unbegründet ab.

Zur Zurückweisung des Folgeantrages führte das Bundesverwaltungsgericht begründend aus, dass die Beschwerdeführerin sich mit ihrem Folgeantrag auf dieselben Gründe bezogen hätte, die bereits vor Rechtskraft des ersten Verfahrens bestanden hätten, weshalb diese nicht geeignet wären, einen neuen Antrag zu begründen, sondern vielmehr die Rechtskraft der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes einer neuerlichen Sachentscheidung entgegenstünde. Zur Begründung der Rückkehrentscheidung wurde im Wesentlichen festgehalten, dass die Beschwerdeführerin seit ihrer Einreise ununterbrochen im Bundesgebiet aufhältig sei. Eine ausgeprägte und verfestigte, entscheidungserhebliche individuelle Integration der Beschwerdeführer in Österreich sei nicht festzustellen. Die Beschwerdeführerin sei unbescholten, sei unrechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist und wäre vom 05.12.2013 bis 11.12.2013 unrechtmäßig entgegen einer aufrechten Ausweisung in Österreich aufhältig. Sie habe nie über ein Aufenthaltsrecht in Österreich außerhalb des Asylverfahrens verfügt und habe sich ihres unsicheren Aufenthaltes bewusst sein müssen. Die Kernfamilie bestehe aus dem Ehemann sowie den minderjährigen Söhnen. Die Beschwerdeführerin lebe mit ihren Familienangehörigen im gemeinsamen Haushalt. Da die Anträge der Beschwerdeführerin als auch ihrer Kernfamilie auf internationalen Schutz sowohl im Hinblick auf die Zuerkennung des Status von Asylberechtigten, als auch im Hinblick auf die Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen worden und keinem ein Aufenthaltsrecht in Österreich außerhalb des Asylverfahrens zugekommen sei oder zukomme, stelle eine Rückkehrentscheidung zeitgleich mit den genannten Familienangehörigen vollzogen keinen Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens dar. Die Beschwerdeführerin beziehe Grundversorgung und wäre in Österreich nie legal erwerbstätig. Sie leiste keine ehrenamtliche Tätigkeit. Sie habe die Deutschprüfungen auf dem Niveau A1 und A2 absolviert und besuche aktuell einen weiteren Deutschkurs. Weiters habe sie Kontakt zu ihrer Cousine, die in XXXX lebe, und ihrem Bruder, wobei mit der Cousine vor der Einreise der Beschwerdeführerin nach Österreich kein Kontakt bestanden habe. Darüber hinaus bestehe nach wie vor starke Bindungen zum Herkunftsstaat, wo sie den Großteil ihres Lebens verbracht hätte, die Landessprache spreche und ihre Schul- und Hochschulbildung genossen hätte. Im Gegensatz dazu sei davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin in Österreich nach wie vor nur schwach integriert wäre. In diesem Zusammenhang sei zu betonen, dass die Beschwerdeführerin über Verwandte im Herkunftsstaat, insbesondere den Vater, drei Schwestern, zwei Brüder sowie die Schwiegerfamilie, verfüge. Im Herkunftsstaat habe die Beschwerdeführerin die Grundschule und die Universität besucht und als freie Mitarbeiterin eines Unternehmens in der Kosmetikbranche im Kundendienst gearbeitet. In Österreich wäre sie nie legal erwerbstätig, sei nicht selbsterhaltungsfähig und beziehe Grundversorgung. Sie leiste keine ehrenamtliche Arbeit abgesehen von den sozialen Aktivitäten rund um ihr Grundversorgungsquartier und engagiere sich sonst auch nicht in Vereinen. Die Freundschaften zu Nachbarn und Betreuern wären überdies in der Zeit entstanden, in der sie sich ihres unsicheren Aufenthalts bewusst sein habe müssen. Zum Bruder und zur Cousine bestehe Kontakt, der jedoch auch über Telefonate oder Briefe aufrechterhalten werden könne und nicht schwerer wiege, als der Kontakt zu ihrem Vater und den fünf Geschwistern, die weiterhin im Herkunftsstaat leben würden, wobei betreffend die Cousine noch hinzukomme, dass der Kontakt zu ihr erst entstanden sei, als die Beschwerdeführerin nach Österreich gezogen sei. Zu dem in Österreich als anerkannter Flüchtling lebenden Bruder sowie zu der Cousine der Beschwerdeführerin bestehe kein wie auch immer geartetes Abhängigkeitsverhältnis. Das Interesse der Beschwerdeführerin an der Aufrechterhaltung ihrer privaten Kontakte in Österreich sei noch zusätzlich dadurch geschwächt, dass sie sich bei allen Integrationsschritten ihres unsicheren bzw. unrechtmäßigen Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit ihrer Integrationsschritte bewusst sein habe müssen.

Am 01.12.2016 stellte die Beschwerdeführerin den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG ("Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK") bei der belangten Behörde.

Die Beschwerdeführerin gab im Antragsformular und der Stellungzahme zu ihrem Antrag, datiert mit 30.11.2016, im Wesentlichen an, dass sie mit ihrem Mann und ihren drei Kindern im gemeinsamen Haushalt lebe. Ferner brachte sie Unterlagen, darunter zwei Bestätigungen über die ehrenamtliche Tätigkeit, die Anerkennung durch das Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft des in der Russischen Föderation abgeschlossenen Studiums sowie ein Prüfungszeugnis B1 in Vorlage.

Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 02.12.2016 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vom 01.12.2016 gemäß § 58 Abs. 10 AsylG zurückgewiesen (Spruchpunkt I.).

Mit Schriftsatz vom 20.12.2016 erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und begründete diese mit einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung des Sachverhaltes durch die belangte Behörde sowie der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und stellte unter andrem den Antrag den Bescheid dahingehend abzuändern, dass dem Antrag der Beschwerdeführerin gemäß § 57 Abs.1 AsylG stattgegeben werde.

Die für den 12.06.2020 anberaumte mündliche Beschwerdeverhandlung wurde aufgrund des Umstandes, dass die Beschwerdeführerin laut Schreiben ihrer rechtsfreundlichen Vertretung vom 12.06.2020, wonach die Beschwerdeführerin nicht in Österreich, sondern seit zweieinhalb Jahren in Deutschland aufhältig sei, abberaumt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Identität der Beschwerdeführerin steht fest. Sie ist russische Staatsangehörige, Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe und bekennt sich zum muslimischen Glauben.

Die Beschwerdeführer war ab der Stellung ihres ersten Antrags auf internationalen Schutz, am 19.09.2012 bis 01.02.2018 in Österreich aufhältig. Die Beschwerdeführerin ist standesamtlich verheiratet. Während ihres Aufenthaltes in Österreich lebte sie mit ihren Familienangehörigen, ihrem Ehmann, ihren beiden Söhnen und ihrer im österreichischen Bundesgebiet geborenen Tochter, im gemeinsamen Haushalt. Die Beschwerdeführerin und ihre drei Kinder sind seit 01.02.2018 nicht mehr in Österreich gemeldet. Der Ehemann der Beschwerdeführer ist seit 13.04.2018 nicht mehr in Österreich aufhältig.

In Österreich verfügt die Beschwerdeführerin über einen Bruder und eine Cousine, eine Beziehung von maßgeblicher Intensität besteht nicht.

Die Beschwerdeführerin ging in Österreich zu keinem Zeitpunkt einer legalen Erwerbstätigkeit nach und bestritt ihren Lebensunterhalt über die staatliche Grundversorgung.

Die Beschwerdeführerin spricht Deutsch auf B1-Niveau und hat in Österreich ehrenamtliche Tätigkeiten geleistet. Seit dem Jahr 2016 hat sie keinen Deutsch-Kurs mehr besucht oder sonstige Integrationsschritte gesetzt.

Aus dem begründeten Antragsvorbringen der Beschwerdeführerin gemäß § 55 AsylG geht im Vergleich zur rechtskräftigen Ausweisung vom 12.08.2016 ein im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervor.

Gegen die Beschwerdeführerin, eine nicht zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigten Drittstaatsangehörige, wurde zuletzt mit rechtskräftigem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.08.2016 - in Bestätigung einer diesbezüglichen Entscheidung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.11.2014- eine Rückkehrentscheidung für rechtmäßig erkannt. Die Beschwerdeführerin ist ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen.

Am 01.12.2016 stellte die Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005. Die Beschwerdeführerin hat nicht vorgebracht, dass sich im Hinblick auf ihr Privat- und Familienleben seit der Erlassung des oben angeführten Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts eine maßgebliche Änderung ergeben hätte. Ihre familiäre und private Situation im Bundesgebiet sowie ihre Bindungen zum Heimatland stellen sich im Wesentlichen als unverändert dar.

Aus dem begründeten Antragsvorbringen der Beschwerdeführers gemäß § 55 AsylG geht im Vergleich zur rechtskräftigen Ausweisung vom 12.08.2016 ein im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervor.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Die Beschwerdeführerin bestreitet den von der belangten Behörde festgestellten Sachverhalt nicht substantiiert und erstattete in der Beschwerde auch kein konkretes sachverhaltsbezogenes Vorbringen, sodass das Bundesverwaltungsgericht den maßgeblichen Sachverhalt als ausreichend ermittelt ansieht und sich der von der belangten Behörde vorgenommenen, nachvollziehbaren Beweiswürdigung vollumfänglich anschließt.

Die belangte Behörde hat ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse dieses Verfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst. Das Bundesverwaltungsgericht verweist daher zunächst auf diese schlüssigen und nachvollziehbaren beweiswürdigenden Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid. Auch der Beschwerde vermag das Bundesverwaltungsgericht keine neuen Sachverhaltselemente zu entnehmen, welche geeignet wären, die von der erstinstanzlichen Behörde getroffenen Entscheidungen in Frage zu stellen.

Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die bereits angesetzte mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht abberaumt wurde, da die Beschwerdeführerin und ihre drei minderjährigen Kinder seit 01.02.2018 und der Ehemann seit 13.04.2018 nicht mehr in Österreich gemeldet sind. Dies ergibt sich aus Auszügen des Zentralen Melderegisters vom 24.06.2020 und der schriftlichen im Akt erliegenden Korrespondenz mit der rechtsfreundlichen Vertretung der Beschwerdeführerin.

Da die Beschwerdeführerin den österreichischen Behörden identitätsbezeugenden Dokumente vorlegte, steht ihre Identität fest.

Die Feststellungen zu den Lebensumständen der Beschwerdeführerin in Österreich beruhen auf den diesbezüglich vorgelegten Dokumenten der Beschwerdeführerin. Hierzu ist anzumerken, dass das Studium der Beschwerdeführerin, das sie in der Russischen Föderation abgeschlossen hat in Österreich zwar anerkannt wurde, wobei sie dennoch keiner beruflichen Tätigkeit nachging. Die Angaben zu den Deutschkenntnissen ergeben sich aus den vorliegenden Bestätigungen.

Die Feststellungen zu den Lebensumständen der Beschwerdeführerin beruhen auf den diesbezüglich bereits als glaubwürdig erachteten Angaben der Beschwerdeführerin im vorangegangen Verfahren.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

Gemäß § 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 57/2018 (in Folge: VwGVG), hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 in der Fassung BGBl. I Nr. 22/2018 (in Folge: B-VG), in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Wenn die belangte Behörde einen Antrag zurückgewiesen hat, ist Sache des Beschwerdeverfahrens lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung (VwGH 18.12.2014, Ra 2014/07/0002, 0003; VwGH 23.06.2015, Ra 2015/22/0040; VwGH 16.09.2015, Ra 2015/22/0082 bis 0084). Eine erstmalige inhaltliche Entscheidung über die zugrundeliegenden Anträge würde demgegenüber den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens überschreiten (VwGH 12.10.2015, Ra 2015/22/0115).

Gegenstand des nunmehrigen Beschwerdeverfahrens ist daher auf Grund der zurückweisenden Entscheidung in dem im Spruch bezeichneten Bescheid nur, ob diese Zurückweisung zu Recht erfolgte.

Gemäß § 55 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018 (in Folge: AsylG), ist einem im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag ein Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK ("Aufenthaltsberechtigung plus" oder "Aufenthaltsberechtigung") zu erteilen, wenn dies zumindest gemäß § 9 Abs. 2 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018 (in Folge: BFA-VG), zur Aufrechterhaltung des Privat und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist.

Gemäß § 58 Abs. 10 AsylG sind Anträge gemäß § 55 leg. cit. als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht.

Gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war; das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens; die Schutzwürdigkeit des Privatlebens; der Grad der Integration; die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden; die strafgerichtliche Unbescholtenheit; Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts; die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren sowie die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 22.07.2011, 2011/22/0127; VwGH 05.05.2015, Ra 2014/22/0115) liegt ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht erst dann vor, wenn der vorgebrachte Sachverhalt auch konkret dazu führt, dass nunmehr der begehrte Aufenthaltstitel erteilt werden müsste. Vielmehr läge ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nur dann nicht vor, wenn die geltend gemachten Umstände von vornherein keine solche Bedeutung aufgewiesen hätten, die eine Neubeurteilung aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK geboten hätte. Nur in einem solchen Fall ist eine - der Sache nach der Zurückweisung wegen entschiedener Sache nachgebildete - Zurückweisung (nunmehr) gemäß § 58 Abs. 10 AsylG zulässig (VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

Im gegenständlichen Fall hat sich die belangte Behörde im Spruch des angefochtenen Bescheides auf § 58 Abs. 10 AsylG als Grundlage für die Zurückweisung bezogen. Das Bundesverwaltungsgericht war im gegenständlichen Fall dazu berufen, die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung zu prüfen. Es liegt mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.08.2016 eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung vor, wobei aus den rechtlichen Erwägungen hervorgeht, dass im Fall der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Entscheidung zwar eine dreijährige Aufenthaltsdauer, jedoch keine maßgebliche Integrationsverfestigung vorgelegen hätte. Die Beschwerdeführerin hätte keine engen sozialen Bindungen im Bundesgebiet, habe ihren Lebensunterhalt ausschließlich durch staatliche Unterstützungsleistungen bestritten und keine tiefgreifende Integration dargetan.

Seit dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.08.2016, in dem von einem Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung gegenüber den privaten Interessen der Beschwerdeführerin am Verbleib im Bundesgebiet ausgegangen wurde, ist keine Veränderung in Bezug auf die Integration der Beschwerdeführerin eingetreten, die einer Zurückweisung des gegenständlichen Antrags gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 entgegenstünde. Dieser hat im gegenständlichen Verfahren lediglich auf seine seither längere Aufenthaltsdauer verwiesen, sowie den Umstand, dass er nunmehr über Deutschkenntnisse B1, ehrenamtlich tätig war und ihr Studium, das sie in der Russischen Föderation absolvierte, anerkannt wurde. Diesen Aspekten kommt jedoch kein maßgebliches Gewicht zu. Zudem erfolgten seit dem Jahr 2016 keine Integrationsschritte, da die Beschwerdeführerin seit Jänner 2018 nicht mehr in Österreich aufhältig ist.

So ging der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 27.01.2015, Ra 2014/22/0094, davon aus, dass weder ein Zeitablauf von ca. zwei Jahren zwischen der rechtskräftigen Ausweisung und dem Zurückweisungsbeschluss der Behörde, noch verbesserte Deutschkenntnisse und Arbeitsplatzzusagen eine maßgebliche Sachverhaltsänderung iSd § 44b NAG 2005 idF vor 2012/I/097 darstellen. Die Bestimmung des § 58 Abs. 10 AsylG entspricht im Wesentlichen dem § 44b NAG idF BGBl I Nr. 38/2011, weshalb die in Bezug auf die genannte Vorgängerbestimmung ergangene höchstgerichtliche Judikatur auch im gegenständlichen Fall anzuwenden ist (vgl. Filzwieser et al, Asyl- und Fremdenrecht, § 58 E11; mwN).

Im Lichte dieser Judikatur sind gegenständlich sohin weder der Zeitablauf von vier Monaten seit Erlassung der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung, noch die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Bestätigungen über die Prüfung B1, die ehrenamtliche Tätigkeit und der Vorweis der Anerkennung eines Studiums, ohne jedoch aufgrund der Berechtigung in diesem Bereich einer beruflichen Tätigkeit nachgegangen zu sein, geeignet, eine maßgebliche Sachverhaltsänderung zu begründen. Die vorgelegten Unterlagen sind wenig geeignet, eine wesentliche Sachverhaltsänderung aufzuzeigen, zumal aus deren Inhalt keine Anhaltspunkte für das Vorliegen besonders berücksichtigungswürdiger sozialer Bindungen oder das Bestehen allfälliger Abhängigkeitsverhältnisse hervorgehen. Änderungen hinsichtlich der beruflichen Integration der Beschwerdeführerin oder hinsichtlich ihrer Bindung zum Herkunftsstaat wurden nicht vorgebracht. Auch in Bezug auf die allgemeine Situation im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin hat sich keine wesentliche Änderung ergeben, wobei dies im gegenständlichen Verfahren zu keinem Zeitpunkt behauptet wurde.

Überdies stellte die Beschwerdeführerin den verfahrensgegenständlichen Antrag infolge unrechtmäßigen Verbleibs im Bundessgebiet in Missachtung ihrer mit hg. Erkenntnis vom 12.08.2016 ausgesprochenen Ausreiseverpflichtung. Seither allenfalls erfolgte weitergehende Integrationsbemühungen der Beschwerdeführerin konnten nur aufgrund der Missachtung seiner rechtskräftigen Ausreiseverpflichtung und im Bewusstsein der Unsicherheit eines weiteren Aufenthalts erfolgen.

Wenn in der Beschwerde moniert wird, dass die Beschwerdeführerin eine maßgebliche Integration im Bundesgebiet aufweist und daher die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 beantragt, wird verkannt, dass Gegenstand des nunmehrigen Beschwerdeverfahrens lediglich die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung des verfahrensgegenständlichen Antrags ist und eine (neuerliche) inhaltliche Entscheidung schon aus diesem Grund unzulässig wäre.

Da aufgrund der obigen Erwägungen nicht von einem geänderten Sachverhalt auszugehen ist, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, war die durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ausgesprochene Zurückweisung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK nicht zu beanstanden.

Die für den 12.06.2020 angesetzte mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde aufgrund der Ortsabwesenheit der Beschwerdeführerin außerhalb des österreichischen Bundesgebietes wieder abberaumt.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Aufenthaltstitel Folgeantrag mangelnder Anknüpfungspunkt Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W196.2143469.1.00

Im RIS seit

06.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

06.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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