TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/10 W196 2163008-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.07.2020
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Entscheidungsdatum

10.07.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W196 2163008-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Maga. Ursula SAHLING als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.05.2017, Zl. 1053372606-150260129, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 3 Abs. 1

AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wird XXXX der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia zuerkannt.

II. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von einem Jahr erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Somalia, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 12.03.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Am selben Tag wurde der Beschwerdeführer einer Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterzogen, wobei er zu seiner Person angab, aus XXXX in Somalia zu stammen und ledig zu sein. Seine Muttersprache sei Somalisch und er beherrsche sie in Wort und Schrift gut. Eine (Schul)Ausbildung habe er nicht erhalten. Seine Eltern seien in Äthiopien wohnhaft. Er habe noch drei Brüder und vier Schwestern. Er habe in XXXX in Äthiopien gelebt und vor dort seine Flucht angetreten. Einen Reisepass habe er nicht besessen. Er sei über den Sudan, Libyen und Italien schlepperunterstützt nach Österrech gelangt.

Zu seinen Fluchtgründen befragt, schilderte der Beschwerdeführer, dass seine Familie Somalia bereits 2006 wegen der unsicheren Lage nach XXXX in Äthiopien verlassen habe. Da sie dort keine Einheimischen gewesen seien, hätte man ihnen unterstellt, sie seien eine Rebellenfamilie bzw. Al-Shabaab-Angehörige. Deshalb seien sie immer wieder von der Polizei verfolgt worden und hätten dieser Schutzgeld bezahlen müssen. 2010 sei er einmal für einen Monat und 20 Tage in Untersuchungshaft gewesen, worauf er nach Somalia zurückgekehrt sei, aber dort alleine nicht überleben habe können. Er habe dort vergeblich versucht, eine Arbeit zu finden, sodass er sich zur Flucht entschlossen habe. Im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat fürchte er um sein Leben bzw. befürchte er lebenslange Haft.

Am 23.05.2017 wurde der Beschwerdeführer unter Beiziehung eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Somalisch vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen und er gab dabei zunächst an, gesund zu sein. Er spreche neben seiner Muttersprache Somali noch Englisch und ein bisschen Deutsch. Englisch habe er in einer Privatschule in XXXX gelernt. Seine bisherigen Angaben entsprächen der Wahrheit und seien korrekt protokolliert worden. Zu seinen Personalien befragt, brachte er vor, XXXX in XXXX (westlich von XXXX ) geboren und in der Nähe von XXXX aufgewachsen zu sein. Sie seien Nomaden gewesen und hätten immer verschiedene Plätze in Äthiopien aufgesucht, wo es geregnet habe. Er habe sieben Jahre eine die Schule besucht (zwei Jahre in XXXX , sonst in XXXX in der Nähe von XXXX ). Sie hätten viele Tiere (Schafe, Ziegen, Kühe, Kameele) und auch Plantagen gehabt. 2006 sei er nach XXXX zu seinem Großvater väterlicherseits übersiedelt und habe dort bis zu seiner Ausreise mit seinen Eltern und Geschwistern in einem Haus gelebt. Sein Vater habe in XXXX auf dem Markt gearbeitet und die Familie versorgt. Er sei Angehöriger des Hauptclans der Dir, Clan der XXXX , Subclan XXXX , Subsubclan XXXX , und sunnitischer Moslem. Seine Familie lebe bis auf einen Bruder noch in XXXX und sein Vater arbeite und ernähre die Familie. Im Herkunftsland gebe es viele Onkel und Tanten samt Familien. Seine Familie besitze im Heimatland ein Haus und Plantagen, wo Mais, Hirse und anderes Getreide angebaut werde. Er sei am 07.09.2014 ausgereist und habe die Kosten für die Reise durch Arbeit in Libyen finanziert. Er habe telefonischen Kontkt mit seiner Familie, welcher es gut gehe. Er habe unbedingt nach Europa gelangen wollen.

Zu seinen Fluchtgründen brachte er zusammengefasst vor, dass er am 12.08.2010 in XXXX verhaftet und in XXXX für einen Monat und 20 Tage inhaftiert worden sei. Dort sei er geschlagen, misshandlet, gefoltert und immer nach seinem Onkel befragt worden, welcher Soldat des äthiopischen Militärs gewesen und vor vielen Jahren verschleppt und an irgendeinem Ort gefangengehalten worden sei, ehe er habe flüchten können. Er sei auch gefragt worden, ob sein Onkel sich der Al Shabaab oder ONLF angeschlossen hätte. Er sei dann entlassen worden, mit dem Auftrag einen Bericht über den Aufenthaltsort seines Onkels zu schreiben. Aus Angst vor einer neuerlichen Verhaftung sei er dann zu seinem Großvater väterlicherseits gezogen, wo er in der Landwirtschaft gearbeitet habe. 2014 habe es in der Nähe eine Auseinandersetzung der New Police mit ONLF gegeben. Die Angehörigen der ONLF seinen fast alle umgekommen, die Flüchtenden seien an ihrem Haus vorbeigelaufen. Der Beschwerdeführer sei zu dieser Zeit nicht zu Hause gewesen, sei aber von der New Police mitgenommen und beschuldigt worden, der ONLF anzugehören. Er sei vor seinem Großvater geschlagen worden. Seinen Großvater hätten sie wegen seiner Aufforderung, den Beschwerdeführer in Ruhe zu lassen, getötet. Er sei auf einen Stützpunkt südlich von XXXX , nach XXXX gebracht und immer morgens um 6 Uhr befragt und geschlagen worden. Es habe geheißen, man müsse immer etwas aussagen, um an einen anderen Ort gebracht zu werden. Dies habe er gemacht und sei dann in ein anderes Gefängnis gebracht worden, von wo er habe flüchten können. Sein Großvater habe in einem Dorf namens XXXX südlich von XXXX gelebt. Sein Onkel sei bereits 2007 weggelaufen. In so einem Fall würden immer die Verwandten verdächtigt. Man habe alle Familienangehörigen befragt. Seine Schwester lebe deswegen nun in Saudi Arabien. Inhaftiert worden sei nur er selbst, weil nur er im August 2010 bei der Hausdurchsuchung der New Police wegen der ONLF zu Hause gewesen sei. Er habe im Gefängnis schwere Verletzungen erlitten. Er sei mit dem Gewehrkolben auf den Hinterkopf geschlagen worden, die Verletzung sei von selbst geheilt. Die Verhaftung hätte 15 Minuten nach der Auseinanderetzung mit ONLF stattgefunden. Aus der Haft im Jahr 2014 habe er flüchten können, weil es sich nur um eine Blechhüte gehandelt habe, welche sie zerlegt hätten. Auch habe man den Zaun leicht übersteigen können. Die letzen drei Jahre habe die Polizei nicht mehr nach ihm gesucht, es habe niemand bei seiner Familie nach ihm gefragt. Er sei arbeitsfähig. Sodann machte er auf Nachfrage Angaben zur Integration in Österreich.

Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. dieses Bescheides wurde der Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Äthiopien gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Ferner wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Äthiopien gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Unter Spruchpunkt IV. wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

In der Begründung führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen aus, dass seine Identität mangels Vorlage von Dokumenten nicht feststehe; ferner, dass eine Verfolgung des ledigen Beschwerdeführers in Äthiopien durch den Staat oder Private nicht habe festgestellt werden können und auch eine Verfolgung im Sinne der GFK im Fall der Rückkehr nicht festzustellen sei. Weiters sei nicht festzustellen gewesen, dass er im Fall der Rückkehr einer realen Gefahr der Verletzung von Art. 2, 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention oder als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts ausgesetzt wäre oder in Äthiopien einer existenzbedrohenden Notlage ausgesetzt wäre. Er habe eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinne der GFK nicht glaubhaft machen können. Internationaler Schutz habe nicht gewährt werden können (zu Spruchpunkt I). Auch lägen die Voraussetzungen für die Gewährung von subsidiären Schutz in Bezug auf Äthiopien, wo er Familie habe, sich niemand schon alleine auf Grund der allgemeinen Lage in einer Gefährdungslage befinde und er seinen Lebensunterhalt durch eine Tätigkeit erwirtschaften könne, nicht vor (zu Spruchpunkt II.). Mangels schützenswerten Privat- und Familienlebens in Österreich seien eine Rückkehrentscheidung zu erlassen und seine Abschiebung nach Äthiopien zulässig gewesen. Mangels feststellbaren Gründen betrage die Frist gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zutreffend 14 Tage (zu Spruchpunkt IV.)

Mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.05.2017 wurde dem Beschwerdeführer für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

Mit Schreiben vom 12.06.2017 erhob der Beschwerdeführer im Wege seines bevollmächtigen Vertreters vollumfänglich Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens. Er sei entgegen den Ausführungen im angefochtenen Bescheid somalischer Staatsangehöriger. Im Hinblick darauf hätte die Behörde in Ansehung der prekären Sicherheitslage und der desaströsen Wirtschaftlage in Somalia sowie des Umtandes, dass er in diesem Staat noch nie gelebt habe und über kein soziales Netzwerk verfüge, jedenfalls den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen müssen. Die Ausführungen zur fehlenden Glaubwürdigkeit seines Vorbringens seien unzureichend und werde eine mündliche Verhandlung beantragt.

Der Beschwerdeführer legte am 30.10.2017 Integrationsunterlagen vor.

Am 27.09.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beiziehung eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Somalisch statt, an der der Beschwerdeführer sowie seine rechtsfreundliche Vertretung teilnahmen. Der Befragung des Beschwerdeführers sind folgende Passagen zu entnehmen:

„R: Sie sind in XXXX geboren und haben im Ogadengebiet, im Norden von Äthiopien gelebt und Sie haben Schwierigkeiten mit der „äthiopischen Regierung“, erzählen Sie bitte diese Sache genau.

BF: Ich wurde in XXXX geboren, das befindet sich im Somalibundesland Äthiopien. Ich habe zwei Schwierigkeiten gehabt. Das erste war, ich war zu Hause und es war abends und die Bundeslandpolizei ist zu mir nach Hause gekommen und die haben mich festgenommen, mich zuerst im neunten Bezirk verhaftet, in XXXX und dann wurde ich zum XXXX -Gefängnis weitergeschickt.

R: Was wurde Ihnen vorgeworfen?

BF: Ich musste Informationen über meinen Onkel sagen, den Bruder meines Vaters, der war ein Militärangehöriger der äthiopischen Armee. Er ist im Jahr 2007, als das äthiopische Militär Somalia attackiert haben, nicht mehr gegen Somalia kämpfen wollte und ist desertiert. Ich musste Information über ihn sagen.

R: Haben Sie etwas über den Onkel gewusst?

BF: Nein, ich hatte keine Ahnung, ich habe auch nichts ausgesagt.

R: Wann sind Sie da festgenommen worden, in welchem Jahr, an diesem Abend?

BF: Im Jahr 2010.

R: Die Frage des BFA war, warum drei Jahre zu warten, um den Onkel zu suchen.

BF: Warum sie zu mir gekommen sind nach den drei Jahren? Das kann ich nicht verstehen, ich verstehe auch nicht, warum sie erst nach Jahren zu uns gekommen sind, ich weiß es auch nicht, wieso sind sie nicht früher zu uns gekommen, das kann ich nicht sagen.

R: Das war das eine Problem, was war das andere Problem? Sie haben gesagt, dass Sie zwei Probleme gehabt haben?

BF: Ich wurde aus dem Gefängnis entlassen und bin zu meinem Großvater gekommen, ich war bei ihm und es gab Kämpfe zwischen ONLF-Milizen und der Polizei, die Kämpfe befanden sich in XXXX . Dann haben die ONLF-Kämpfer verloren und hat die Polizei Hausdurchsuchungen an diesem Ort gemacht und haben sie mich auch festgenommen, weil sie mir vorgeworfen haben, dass ich an den Kämpfen teilgenommen hätte und gegen die Polizei gekämpft hätte. Ich war zu Hause, als die Polizei mit festgenommen hat, bei meinem Großvater. Ich wurde geschlagen und mein Großvater wurde am Ort getötet und dann wurde ich nach XXXX gebracht und sechs Tage lange gefangen gehalten. Ich wurde gefoltert und weiter geschlagen. Dann wurde ich zu einem Polizeistützpunkt namens XXXX gebracht und zwei Tage habe ich die Möglichkeit gehabt zu flüchten.

R: Wie Sie festgenommen wurden, wurde Ihr Großvater getötet, wie ist er getötet worden und warum?

BF: Als die Polizei zu uns nach Hause gekommen ist, haben sie mich geschlagen und mich gefoltert und der Großvater war dagegen, er hat gesagt, dass ich nichts gesagt habe, dass sie mich ohne Grund geschlagen haben und dann haben sie zu ihm gesagt: „Du musst leise sein.“, das hat er aber nicht gemacht.

R: Was haben sie dann gemacht, wie haben sie ihm getötet?

BF: Sie haben auf ihn geschossen.

R: Sie haben ihn gleich erschossen?

BF: Die haben einfach auf ihn geschossen, wie er etwas gesagt hat und dazwischen gegangen ist.

R: Er war dann tot?

BF: Ja.

R: Haben sie einmal oder mehrfach geschossen?

BF: Ich lag schon am Boden und die Polizei hat mich auf den Boden gedrückt und ich konnte nicht gesehen, wie oft sie auf ihn geschossen haben, ich habe die Schüsse gehört und ich habe seine Leiche nicht mehr gesehen.

R: Wie haben diese Sie geschlagen, dass Sie verletzt wurden?

BF: Ich wurde verletzt in XXXX . Ich wurde mit dem Gewehr geschlagen, mehrmals auf den Hinterkopf.

BFV: Ist Ihnen von diesen Misshandlungen etwas geblieben?

BF: Ja, eine Narbe am Kopf.

R: Ihr Vater heißt XXXX und die Mutter XXXX leben noch in XXXX ?

BF: Die Mutter war zuletzt in XXXX , aber seit vier Monaten weiß ich nicht, wo sie sich befindet. Mit dem Vater haben wir seit längerer Zeit, seit Jahren keinen Kontakt.

R: Wieso das?

BF: Ich weiß es nicht, wie ich mich mit kontaktieren kann, ich weiß es nicht.

R: Sie sind vom Clan Dir, geben Sie bitte die Sub- und Subsubclans an.

BF: Dir – XXXX – XXXX – XXXX .

R: Seit wann haben Sie Ihren Vater nicht mehr gesehen, wieso wissen Sie nicht – seit vielen Jahren – wo der Vater ist?

BF: Ich habe meinen Vater zuletzt vor vier Jahren gesehen und den letzten Kontakt hatten wir im Jahr 2016 telefonisch.

R: Ist er bei der Mutter oder nicht, wo ist der Vater?

BF: Jetzt ist mein Vater verschwunden und ich weiß auch nicht, ob meine Mutter inzwischen weiß, wo er ist.

R: Sie sind Somalier?

BF: 100 %-ig, ja.

R: Haben Sie irgendwelche Verwandte in Somalia, z. B. im Norden?

BF: Keiner von meiner Familie lebt in Nordsomalia. Es kann sein, dass weitschichtige Verwandte zwar dort sind, die ich aber nicht kenne. Ich kenne niemanden dort. Niemand meiner näheren Verwandten lebt in Nordsomalia oder Südsomalia. Auch mein Subsubsubclan kann meine Sicherheit in XXXX nicht gewährleisten, denn sie sind nicht meine Familie, ich bin dort auch unsicher und niemand hilft mir wegen meinem Clan, das gibt es nicht.

BFV an BF: Welche konkreten befürchten Sie bei einer Rückkehr nach Somalia?

BF: Ich befürchte, ich habe Angst, dass ich getötet werde von Äthiopier, weil Somalia liefert die ONLF-Mitglieder nach Äthiopien aus.

BFV: Der BF hat seine Fluchtgeschichte detailliert, glaubwürdig und objektiv nachvollziehbar geschildert. Zudem verfügt der BF in Somalia weder über ein familiäres noch über eine soziales Netzwerk. Somalische Staatsangehörige aus dem Ogadengebiet werden von Somaliland ausgeliefert und dies wäre – wenn überhaupt – das Gebiet ( XXXX ), in dem er auf ein Clannetzwerk zurückgreifen könnte. Eine IFA in Mogadischu existiert für den BF nicht, weil er hier weder ein familiäres, ein soziales, noch ein Clannetzwerk hätte. Deshalb ist es für den BF nicht möglich, sich in Somalia niederzulassen und sich dort eine Existenz aufzubauen.

Vorgelegt wird:

-        ein Empfehlungsschreiben des Jungendleiters FC Blau Weiss Linz vom 25.09.2018.

-         Zertifikat ÖSD B1 vom 22.05.2018 – nicht bestanden

-        Kursbestätigung betreffend Deutsch B1, Teil 2 für AsylwerberInnen von der VHS OOE vom 17.04.2018

welche als Beilagen der Verhandlungsschrift beigefügt werden.“

Am 29.04.2019 und 20.08.2019 langten weitere Integrationsunterlagen für den Beschwerdeführer beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Somalia, Zugehöriger zum Clan der Dir und bekennt sich zum muslimischen Glauben. Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos. Er wurde im Ogadengebiet in Äthiopien geboren und ist dort aufgewachsen. 2006 zog er mit seiner Familie zu seinem Großvater in einen anderen Ort im Ogadengebiet, von wo er am 07.09.2014 ausreiste und schließlich schlepperunterstützt nach Österreich gelangte. Der Beschwerdeführer reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 12.03.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Angehörigen (Vater, Mutter, Geschwister) besteht kein Kontakt mehr.

Der Beschwerdeführer machte eine Verfolgung durch die staatlichen Behörden in Äthiopien wegen seines 2007 aus der äthiopischen Armee desertierten Onkels sowie ihm unterstellter Zugehörigkeit zur ONLF geltend. Deswegen sei er 2010 und 2014 infhaftiert und misshandelt worden, weshalb er beschlossen habe zu flüchten. Seither habe die Polizei nicht mehr nach ihm gesucht, es habe niemand bei seiner Familie nach ihm gefragt.

Dieser Sachverhalt wird der Entscheidung zugrunde gelegt. Der Beschwerdeführer hat mit seinem Vorbringen keine aktuelle Verfolgung in Äthiopien geltend gemacht.

Es kann daher nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer wegen der ihm in Äthiopien zuletzt vor etwa sechs Jahren unterstellten Zugehörigkeit zur ONLF bei einer Rückkehr nach Somalia von den Behörden seines Herkunftsstaates aktuell dorthin ausgeliefert wird.

Nicht festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr nach Somalia aus Gründen seiner Clanzugehörigkeit bzw. seiner Glaubensrichtung oder aus sonst in seiner Person gelegenen Gründen (etwa wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Gesinnung) einer asylrelevanten Gefährdung ausgesetzt wäre. Auch eine drohende asylrelevante Verfolgung aus anderen Gründen ist nicht hervorgekommen und zwar weder aufgrund des Vorbringens des Beschwerdeführers noch aus amtswegiger Wahrnehmung.

Festgestellt wird, dass dem Beschwerdeführer aufgrund der prekären Lage in Somalia infolge der allgemeinen problematischen Sicherheits- und Versorgungslage im gesamten Staatsgebiet, sowie aufgrund des Umstandes, dass der Beschwerdeführer noch nie in seinem Herkunftsstaat gelebt hat und dort auch nicht über familiäre bzw. soziale Kontakte verfügt, bei einer Rückkehr nach Somalia die Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK droht bzw. ihn eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes treffen würde.

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.

Zur verfahrensrelevanten Situation in Somalia:

1.       Politische Lage

Hinsichtlich der meisten Tatsachen ist das Gebiet von Somalia faktisch zweigeteilt, nämlich in: a) die somalischen Bundesstaaten; und b) Somaliland, einen 1991 selbst ausgerufenen unabhängigen Staat, der international nicht anerkannt wird (AA 4.3.2019, S.5), aber als autonomer Staat mit eigener Armee und eigener Rechtsprechung funktioniert (NLMBZ 3.2019, S.7). Während Süd-/Zentralsomalia seit dem Zusammenbruch des Staates 1991 immer wieder von gewaltsamen Konflikten betroffen war und ist, hat sich der Norden des Landes unterschiedlich entwickelt (BS 2018, S.4).

Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2018, S.5). Seit damals gibt es eine politische Entwicklung, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markiert. Am 1.8.2012 wurde in Mogadischu eine vorläufige Verfassung angenommen. Seitdem ist die Staatsbildung kontinuierlich vorangeschritten (AA 5.3.2019b). Das Land hat bei der Bildung eines funktionierenden Bundesstaates Fortschritte erzielt (UNSC 15.5.2019, Abs.78), staatliche und regionale Regierungsstrukturen wurden etabliert (ISS 28.2.2019). Der Aufbau von Strukturen auf Bezirksebene geht hingegen nur langsam voran (UNSC 15.5.2019, Abs.50).

Somalia ist damit zwar kein failed state mehr, bleibt aber ein fragiler Staat. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind sehr schwach, es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt (AA 4.3.2019, S.4f). Die Regierung verfügt kaum über eine Möglichkeit, ihre Politik und von ihr beschlossene Gesetze im Land durch- bzw. umzusetzen (FH 5.6.2019b, C1). Das Land befindet sich immer noch mitten im Staatsbildungsprozess (BS 2018, S.33).

Die Herausforderungen sind dabei außergewöhnlich groß, staatliche Institutionen müssen von Grund auf neu errichtet werden. Zusätzlich wird der Wiederaufbau durch die Rebellion von al Shabaab, durch wiederkehrende Dürren und humanitäre Katastrophen gehemmt. Außerdem sind Teile der staatlichen Elite mehr mit der Verteilung von Macht und Geld beschäftigt, als mit dem Aufbau staatlicher Institutionen (BS 2018, S.33). In vielen Bereichen handelt es sich bei Somalia um einen „indirekten Staat“, in welchem eine schwache Bundesregierung mit einer breiten Palette nicht-staatlicher Akteure (z.B. Clans, Milizen, Wirtschaftstreibende) verhandeln muss, um über beanspruchte Gebiete indirekt Einfluss ausüben zu können (BS 2018, S.23). Zudem ist die Bundesregierung finanziell von Katar abhängig, das regelmäßig außerhalb des regulären Budgets Geldmittel zur Verfügung stellt (SEMG 9.11.2018, S.30).

Somalia ist keine Wahldemokratie, auch wenn die Übergangsverfassung eine Mehrparteiendemokratie und Gewaltenteilung vorsieht (BS 2018, S.13f). Es gibt keine freien und fairen Wahlen auf Bundes- (USDOS 13.3.2019, S.23; vgl. FH 5.6.2019b, A1) und auch keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler oder regionaler Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clan-Strukturen) vergeben (AA 4.3.2019, S.5f). Allgemeine Wahlen sind für das Jahr 2020 geplant (AA 5.3.2019b). Angesichts der bestehenden Probleme bleibt aber abzuwarten, ob diese Wahlen wirklich stattfinden werden (NLMBZ 3.2019, S.9). Bei den Vorbereitungen dafür wurden bisher nur wenige Fortschritte gemacht (FH 5.6.2019b, A3).

Eigentlich sollte die Bundesregierung auch die Übergangsverfassung noch einmal überarbeiten, novellieren und darüber ein Referendum abhalten. Dieser Prozess ist weiterhin nicht abgeschlossen (USDOS 13.3.2019, S.23), und es gibt diesbezüglich Konflikte mit den Bundesstaaten (NLMBZ 3.2019, S.7).

Die beiden Kammern des Parlaments wurden mittels indirekter Wahlen durch ausgewählte Älteste Ende 2016 / Anfang 2017 besetzt (USDOS 13.3.2019, S.1/23). Über 14.000 Wahlmänner und -frauen waren an der Wahl der 275 Abgeordneten beteiligt. Zuvor waren Abgeordnete unmittelbar durch einzelne Clanälteste bestimmt worden (AA 4.3.2019, S.6; vgl. AA 5.3.2019b). Das Unterhaus wurde nach Clan-Zugehörigkeit besetzt, das Oberhaus nach Zugehörigkeit zu Bundesstaaten. Die Wahlen zu beiden Häusern wurden generell als von Korruption durchsetzt und geschoben erachtet (USDOS 13.3.2019, S.1/23). Sie wurden von Schmiergeldzahlungen, Einschüchterungen, Stimmenkauf und Manipulation begleitet (BS 2018, S.14/19). Dieses Wahlsystem ist zwar noch weit von einer Demokratie entfernt und unterstreicht die Bedeutung der politischen Elite (BS 2018, S.22). Trotz allem waren die Parlamentswahlen ein bemerkenswerter demokratischer Fortschritt (AA 4.3.2019, S.6; vgl. AA 5.3.2019b; BS 2018, S.22).

Insgesamt erfolgte die Zusammensetzung des Unterhauses entlang der 4.5-Formel, wonach den vier Hauptclans jeweils ein Teil der Sitze zusteht, den kleineren Clans und Minderheiten zusammen ein halber Teil (USDOS 13.3.2019, S.26; vgl. BS 2018, S.13f). Die 4.5-Formel hat zwar politischen Fortschritt gewährleistet, ist aber zugleich Ursprung von Ressentiments (SRSG 13.9.2018, S.2).

Die Präsidentschaftswahl fand am 8.2.2017 statt. Die beiden Parlamentskammern wählten den früheren Premierminister Mohamed Abdullahi Mohamed „Farmaajo“ zum Präsidenten (AA 4.3.2019, S.6; vgl. BS 2018, S.14; USDOS 13.3.2019, S.1). Seine Wahl wurde als fair und transparent erachtet (USDOS 13.3.2019, S.1). Im März 2017 bestätigte das Parlament Hassan Ali Kheyre als Premierminister (AA 5.3.2019b; vgl. BS 2018, S.14). Die aktuelle Regierung agiert wie eine Regierung der nationalen Einheit. Sie wurde so zusammengesetzt, dass alle relevanten Clans und Gruppen sich in ihr wiederfinden (AA 4.3.2019, S.10).

Gemäß einer Quelle üben aber salafistische Netzwerke zunehmend Einfluss auf die Regierung aus (NLMBZ, S.8f). Nach anderen Angaben kann von Salafismus keine Rede sein, vielmehr sind der Präsident und seine Entourage Moslembrüder bzw. deren Ideologie sehr nahestehend (ME 27.6.2019). Wieder eine andere Quelle berichtet, dass die politische Basis des Präsidenten eine nationalistische ist (ICG 12.7.2019, S.10). Gleichzeitig unterwandert al Shabaab das System, indem sie Wahldelegierte zur Kooperation zwingt (Mohamed 17.8.2019).

Das Konzept einer politischen Opposition ist nur schwach ausgeprägt, die Regeln der Politik sind abgestumpft. Misstrauensanträge, Amtsenthebungsverfahren und Wahlen werden zur Bereicherung und zum politischen Machtausbau missbraucht (SRSG 13.9.2018, S.4). Generell sind die Beziehungen zwischen Bundesregierung und Parlament problematisch. Außerdem kam es 2018 zu einer großen Zahl an Personaländerungen, so wurde etwa der Bürgermeister von Mogadischu, zahlreiche Minister und der Chief Justice ersetzt (NLMBZ, S.8f).

Gegen Ende 2018 war vom Parlament ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Farmaajo eingeleitet worden. Dieses Verfahren wurde jedoch Mitte Dezember 2018 aus formalen Gründen für ungültig erklärt bzw. zurückgezogen (VOA 20.12.2018; vgl. FH 5.6.2019b, A1; UNSC 15.5.2019, Abs.3). Auch zwischen Ober- und Unterhaus ist es zu politischen Auseinandersetzungen gekommen (AMISOM 15.1.2019a; vgl. UNSC 15.5.2019, Abs.3). Diese wurden im Juli 2019 vorläufig beigelegt (UNSC 15.8.2019, Abs.3).

Ein nationaler Versöhnungsprozess ist in Gang gesetzt worden. Dieser wird international unterstützt (UNSC 21.12.2018, S.6).

Föderalisierung: Während im Norden bereits die Gliedstaaten Somaliland und Puntland etabliert waren, wurden im Rahmen eines international vermittelten Abkommens von 2013 bis 2016 die Bundesstaaten Jubaland, South West State (SWS), Galmudug und HirShabelle neu gegründet (AA 5.3.2019b; vgl. USDOS 13.3.2019, S.1; BS 2018, S.4f/12). Offen sind noch der finale Status und die Grenzen der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (AA 5.3.2019b; vgl. UNSC 15.5.2019, Abs.22). Mit der Gründung der Bundesstaaten und einem relativ demokratisch erfolgten Machtwechsel konnten wichtige Weichen in Richtung Demokratisierung, legitimer Staatsgewalt und Föderalismus gestellt werden (AA 4.3.2019, S.4). Beim Prozess der Föderalisierung gab es in den letzten Jahren signifikante Fortschritte (BS 2018, S.3). Allerdings hat keine dieser Verwaltungen die volle Kontrolle über die ihr nominell unterstehenden Gebiete (USDOS 13.3.2019, S.1; vgl. BS 2018, S.15).

Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clan-Balance: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir. Allerdings finden sich in jedem Bundesstaat Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden (BFA 8.2017, S.55f).

Wichtige Detailfragen zur föderalen Staatsordnung sind weiterhin ungeklärt, z.B. die Einnahmenverteilung zwischen Bund und Bundesstaaten; die jeweiligen Zuständigkeiten im Sicherheitsbereich; oder die Umsetzung der für 2020 geplanten Wahlen (AA 5.3.2019b; vgl. NLMBZ 3.2019, S.7) – und die gesamte Frage der Machtverteilung zwischen Bund und Bundesstaaten (UNSC 15.5.2019, Abs.25; vgl. UNSC 21.12.2018, S.5).

Die Bundesregierung tut sich schwer, in den Bundesstaaten Macht und Einfluss geltend zu machen (NLMBZ 3.2019, S.7). Außerdem kommt es in den Beziehungen zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesstaaten immer wieder zu (politischen) Spannungen (AA 5.3.2019b; vgl. NLMBZ 3.2019, S.7), die manchmal auch in Gewalt eskalierten (BS 2018, S.4).

Zusätzlich haben die Bundesstaaten abseits des Nationalen Sicherheitsrates 2017 einen Kooperationsrat der Bundesstaaten (CIC) geschaffen, welcher unter Ausschluss der Bundesregierung arbeitet (SEMG 9.11.2018, S.5; vgl. AA 5.3.2019b). Während andere Mitglieder des CIC den Dialog mit der Bundesregierung verweigerten (AMISOM 12.10.2018), hat der Präsident von HirShabelle, Mohamed Abdi Waare, diesen zwischenzeitlich gesucht (AMISOM 12.10.2018; vgl. UNSC 21.12.2018, S.1). Der CIC hat bereits zweimal die Kooperation mit der Bundesregierung suspendiert (SEMG 9.11.2018, S.31f), so etwa im September 2018. Im Oktober 2018 haben alle Bundesstaaten außer HirShabelle angekündigt, gemeinsame Sicherheitskräfte aufzustellen (UNSC 21.12.2018, S.1). Generell herrscht zwischen Bundesregierung und Bundesstaaten ein besorgniserregendes Maß an Misstrauen (SRSG 13.9.2018, S.3). Dadurch wird auch die Lösung von Schlüsselfragen zu Politik und Sicherheit behindert (UNSC 15.5.2019, Abs.2; vgl. SRSG 3.1.2019, S.2).

Bei dieser Auseinandersetzung kommt u.a. die Krise am Golf zu tragen: In Somalia wird eine Art Stellvertreterkrieg ausgetragen, bei welchem die unterschiedlichen Interessen und Einflüsse speziell von Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) eine Rolle spielen. Dies hat die schon bestehenden Spannungen zwischen der Bundesregierung und den Bundesstaaten weiter verschärft, erstere ist in zunehmende Isolation geraten (SEMG 9.11.2018, S.4/30; vgl. ICG 12.7.2019, S.9; FH 5.6.2019b, C1). Diese Entwicklung hat zur Destabilisierung Somalias beigetragen (NLMBZ 3.2019, S.10). Allerdings gibt es zumindest Anzeichen für eine Verbesserung der Situation (UNSC 15.5.2019, Abs.80). So hat sich Präsident Farmaajo für die Verschlechterung der Beziehungen zu den Bundesstaaten öffentlich entschuldigt (ICG 12.7.2019, S.9). Die Bundesregierung versucht insbesondere HirShabelle und Galmudug in ihr Lager zu ziehen (BMLV 3.9.2019). Trotzdem bleiben die Spannungen bestehen (UNSC 15.8.2019, Abs.2).

1) Jubaland (Gedo, Lower Juba, Middle Juba): Jubaland wurde im Jahr 2013 gebildet, damals wurde auch Ahmed Mohamed Islam „Madobe“ zum Präsidenten gewählt (USDOS 13.3.2019, S.24). Bis Anfang August hatten sich für die Neuwahl des Präsidenten neun Kandidaten registrieren lassen (UNSC 15.8.2019, Abs.6). Am 22.8.2019 wurde dann Ahmed Madobe als Präsident bestätigt. Die Wahl war allerdings umstritten: Da die Bundesregierung mehr Kontrolle gewinnen möchte, hat sie erklärt, die Wahl nicht anzuerkennen und den Wahlkandidaten der Opposition, Abdirashif Mohamad Hidig, zu unterstützen (BAMF 26.8.2019, S.6). Der Verwaltung von Jubaland ist es gelungen, zumindest in Kismayo eine Verwaltung zu etablieren. Dadurch, dass die Ogadeni auch mit anderen Clans kooperieren und diese in Strukturen einbinden, wurde die Machtbalance verbessert (BFA 8.2017, S.57ff). Diese Inkorporation funktioniert auch . Außerdem konnten durch die Kooperation mit Teilen der Marehan auch die nicht der al Shabaab zuneigenden Gebiete von Gedo gefestigt werden (ME 27.6.2019).

2) South West State (SWS; Bay, Bakool, Lower Shabelle): Der SWS wurde in den Jahren 2014/2015 etabliert, Sharif Hassan Sheikh Adam zum ersten Präsidenten gewählt (USDOS 13.3.2019, S.24). Im Dezember 2018 wurde im SWS neu gewählt (AA 5.3.2019b). In der Folge ist im Jänner 2019 mit Abdulaziz Hassan Mohamed „Lafta Gareen“ ein neuer Präsident angelobt worden (AMISOM 17.1.2019a; vgl. UNSC 27.12.2018; UNSC 15.5.2019, Abs.4). Zuvor war es zu Anschuldigungen gegen die Bundesregierung gekommen, sich in den Wahlkampf eingemischt zu haben. Ein Kandidat – der ehemalige stv. Kommandant der al Shabaab, Mukhtar Robow – war verhaftet worden, was zu gewaltsamen Demonstrationen geführt hat (SRSG 3.1.2019, S.2f; vgl. UNSC 21.12.2018, S.2). Beim Aufbau der Verwaltung konnten Fortschritte erzielt werden (BMLV 3.9.2019).

3) HirShabelle (Hiiraan, Middle Shabelle): HirShabelle wurde 2016 etabliert. Zum Präsidenten wurde Ali Abdullahi Osoble gewählt. Anführer der Hawadle hatten eine Teilnahme verweigert (USDOS 13.3.2019, S.24f). Im Oktober 2017 wurde Mohamed Abdi Waare zum neuen Präsidenten, nachdem sein Vorgänger des Amtes enthoben worden war (UNSOM, 24.10.2017). Nach politischen Spannungen haben sich die Beziehungen zwischen Exekutive und Legislative verbessert (UNSC 15.5.2019, Abs.8). Die im Zuge der Bildung des Bundesstaates neu aufgeflammten Clankonflikte sind gegenwärtig weitgehend abgeflaut (ME 27.6.2019). Dazu beigetragen haben Bemühungen des Premierministers und Katars, wobei letzteres Investitionen in Aussicht gestellt hat. Man ist auf die Hawadle zugegangen. Die Clans – v.a. in Middle Shabelle – haben daraufhin ihre Proteste gegen die Regionalverwaltung reduziert. Unklar ist, ob diese neue Haltung Bestand haben wird. In Belet Weyne hingegen treffen Vertreter von HirShabelle nach wie vor auf unverminderte Ablehnung (BMLV 3.9.2019). Sowohl in den von HirShabelle in Middle Shabelle kontrollierten Gebieten wie auch in Belet Weyne ist eine Verbesserung der Verwaltung zu verzeichnen (BMLV 3.9.2019).

4) Galmudug (Galgaduud, Teile von Mudug): Im Jahr 2015 wurde die Regionalversammlung von Galmudug vereidigt. Sie wählte Abdikarim Hussein Guled zum ersten Präsidenten. Dieser trat im Feber 2017 zurück. Unter dem neuen Präsidenten Ahmed Duale Gelle „Haaf“ wurden Friedensgespräche mit der Ahlu Sunna Wal Jama’a (ASWJ) initiiert. Die Gruppe kontrolliert Teile von Galgaduud (USDOS 13.3.2019, S.24). Ende 2017 wurde mit der ASWJ ein Abkommen zur Machtteilung abgeschlossen (UNSC 15.5.2019, Abs.7; vgl. AMISOM 5.7.2019). Ab September 2018 wuchsen die politischen Spannungen. Im Oktober 2018 wurde in Cadaado ein Gegenpräsident gewählt, während Ahmed „Haaf“ weiterhin von Dhusamareb aus regiert (UNSC 21.12.2018, S.2). In der Folge kam es zu Diskussionen und Spannungen über das Datum der nächsten Wahlen. Im März 2019 hat die NISA sogar die Kontrolle über das Gelände des Präsidentensitzes übernommen (UNSC 15.5.2019, Abs.7). Während Haaf das Abkommen mit der ASWJ für nichtig erklärt hat, hat diese mit der Bundesregierung eine Einigung erzielt (UNSC 15.8.2019, Abs.5). Galmudug wird von Hawiye/Habr Gedir/Sa'ad dominiert (EASO 2.2016, S.17).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (4.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

-AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (5.3.2019b): Somalia – Innenpolitik, URL, Zugriff 10.4.2019

-AMISOM (5.7.2019): Somalia starts process to integrate Ahlu Sunna forces into the Somali Security Forces, URL, Zugriff 16.7.2019

-AMISOM (17.1.2019a): 17 January 2019 - Morning Headlines [Quelle: Halbeeg News], Newsletter per E-Mail

-AMISOM (15.1.2019a): 15 January 2019 - Daily Monitoring Report [Quelle: Halbeeg News], Newsletter per E-Mail

-AMISOM (12.10.2018): 12 October 2018 - Daily Monitoring Report [Quelle: Jowhar News], Newsletter per E-Mail

-BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (26.8.2019): Briefing Notes 26. August 2019

-BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, URL, Zugriff 31.5.2019

-BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung (Österreich) (3.9.2019): Anfragebeantwortung an die Staatendokumentation

-BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019

-EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation, URL, Zugriff 24.6.2019

-FH - Freedom House (5.6.2019b): Freedom in the World 2019 - Somalia, URL, Zugriff 22.7.2019

-ICG - International Crisis Group (12.7.2019): Somalia-Somaliland: The Perils of Delaying New Talks - Africa Report N°280, URL, Zugriff 8.7.2019

-ISS - Institute for Security Studies / Meressa K Dessu / Dawit Yohannes (28.2.2019): Is this the right time to downsize AMISOM?, URL, Zugriff 13.3.2019

-ME - Militärstrategischer Experte (27.6.2019): Interview mit der Staatendokumentation

-Mohamed, Abdirizak Omar / Hiiraan.com (17.8.2019): The Recent Al-Shabab Resurgence: Policy Options for Somalia, URL, Zugriff 23.8.2019

-NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf URL, 18.6.2019

-SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group / UN Security Council (9.11.2018): Report of the Monitoring Group on Somalia and Eritrea submitted in accordance with resolution 2385 (2017), URL, Zugriff 8.1.2019

-SRSG - Special Representative of the Secretary-General for Somalia, Mr. Nicholas Haysom (3.1.2019): Statement to the Security Council on Somalia, URL, Zugriff 6.5.2019

-SRSG - Special Representative of the Secretary-General for Somalia, Mr. Michael Keating (13.9.2018): Briefing to the Security Council on Somalia, URL, Zugriff 6.5.2019

-UNSC - UN Security Council (15.8.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 22.8.2019

-UNSC - UN Security Council (15.5.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 15.7.2019

-UNSC - UN Security Council (27.12.2018): January 2019 Monthly Forecast, URL, Zugriff 15.7.2019

-UNSC - UN Security Council (21.12.2018): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 7.5.2019

-UNSOM - United Nations Assistance Mission in Somalia (24.10.2017): Mohamed Abdi Waare inaugurated as the second President of HirShabelle state, URL, Zugriff 4.9.2019

-USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019

-VOA - Voice of America / Mohamed Olad Hassan (20.12.2018): Somalia's Parliament Drops Impeachment of President, URL, Zugriff 22.1.2019

2.1.Puntland

Puntland hat sich 1998 mit internationaler Unterstützung konstituiert. Es strebte nie eine Unabhängigkeit von Somalia an und wurde vielmehr zum Vorbild bei der Bildung weiterer Bundesstaaten (BS 2018, S.4/12). Heute ist Puntland einer von fünf Bundesstaaten Somalias – allerdings mit größerer Autonomie. Es konnten einigermaßen stabile staatliche Strukturen etabliert werden (AA 4.3.2019, S.5; vgl. AA 5.3.2019b; BS 2018, S.4), und damit ist Puntland insgesamt weniger fragil als die südlicher gelegenen Bundesstaaten (AA 4.3.2019, S.11; vgl. LIFOS 3.7.2019, S.33f).

Bereits im Jahr 2014 kam es zu einem friedlichen Machtwechsel an der Staatsspitze (USDOS 13.3.2019, S.24). Anfang 2019 wählte das Parlament Saed Abdullahi Deni zum neuen Präsidenten. Er hat sich in mehreren Wahlgängen gegen insgesamt 20 Konkurrenten durchgesetzt. Der bisherige Präsident Abdiweli Mohamed Ali „Gaas“ wurde abgewählt (VOA 8.1.2019; vgl. UNSC 15.5.2019, Abs.5). Auch dieser Machtwechsel verlief friedlich (AA 5.3.2019b; vgl. UNSC 15.5.2019, Abs.5). Zuvor war im Dezember 2018 das Parlament neu besetzt worden. Die Clans haben 66 Mitglieder als Abgeordnete nominiert (UNSC 21.12.2018, S.2; vgl. UNSC 15.5.2019, Abs.5).

Im Jahr 2012 hat das Parlament eine Verfassung verabschiedet, welche ein Mehrparteiensystem vorsieht (USDOS 13.3.2019, S.24).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (5.3.2019b): Somalia – Innenpolitik, URL, Zugriff 10.4.2019

-AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (4.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

-BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019

-LIFOS - Lifos/Migrationsverket (Schweden) (3.7.2019): Säkerhetssituationen i Somalia, URL, Zugriff 29.8.2019

-UNSC - UN Security Council (15.5.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 15.7.2019

-UNSC - UN Security Council (21.12.2018): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 7.5.2019

-USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019

-VOA - Voice of America / Mohamed Olad Hassan (8.1.2019): Somalia's Puntland Region Elects New President, URL, Zugriff 22.1.2019

2.       Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten

Die Sicherheitslage bleibt instabil und unvorhersagbar (AMISOM 7.8.2019, S.2). Zwar ist es im Jahr 2018 im Vergleich zu 2017 zu weniger sicherheitsrelevanten Zwischenfällen und auch zu einer geringeren Zahl an Todesopfern gekommen, doch ist die Sicherheitslage weiterhin schlecht. Sie ist vom bewaffneten Konflikt zwischen AMISOM (African Union Mission in Somalia), somalischer Armee und alliierten Kräften auf der einen und al Shabaab auf der anderen Seite geprägt. Zusätzlich kommt es in ländlichen Gebieten zu Luftschlägen (NLMBZ 3.2019, S.17). Weiterhin führt der Konflikt unter Beteiligung der genannten Parteien zu zivilen Todesopfern, Verletzten und Vertriebenen (USDOS 13.3.2019, S.1). Wer sich in Somalia aufhält, muss sich der Gefährdung durch Terroranschläge, Kampfhandlungen, Piraterie sowie kriminell motivierte Gewaltakte bewusst sein (AA 17.9.2019). Auch der Konflikt um Ressourcen (Land, Wasser etc.) führt regelmäßig zu Gewalt (BS 2018, S.31).

Die Regierung und ihre Verbündeten kontrollieren zwar viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das „urban island scenario“ besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AMISOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben. Folglich befinden sich große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss der al Shabaab (BFA 8.2017, S.21; vgl. BMLV 3.9.2019).

Dahingegen können nur wenige Gebiete in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden – etwa Dhusamareb oder Guri Ceel. In Puntland gilt dies für größere Gebiete, darunter Garoowe (BFA 8.2017, S.21/91f; vgl. BMLV 3.9.2019).

Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen (ACLED 2019). Auch das Maß an Kontrolle über bzw. Einfluss auf einzelne Gebiete variiert. Während Somaliland die meisten der von ihm beanspruchten Teile kontrolliert, ist die Situation in Puntland und – in noch stärkerem Ausmaß – in Süd-/Zentralsomalia komplexer. In Mogadischu und den meisten anderen großen Städten hat al Shabaab keine Kontrolle, jedoch eine Präsenz. Dahingegen übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes Kontrolle aus. Zusätzlich gibt es in Süd-/Zentralsomalia große Gebiete, wo unterschiedliche Parteien Einfluss ausüben; oder die von niemandem kontrolliert werden; oder deren Situation unklar ist (LIFOS 9.4.2019, S.6).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (17.9.2019): Somalia – Reise- und Sicherheitshinweise – Reisewarnung, URL, Zugriff 17.9.2019

-ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2019): Africa (Data through 19 January 2019), URL, Zugriff 23.1.2019

-AMISOM (7.8.2019): Progress Report of the Chairperson of the Commission on the situation in Somalia/AMISOM, URL, Zugriff 22.8.2019

-BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019

-BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, URL, Zugriff 31.5.2019

-LIFOS - Lifos/Migrationsverket (Schweden) (9.4.2019): Somalia – Folkbokförning, medborgarskap och identitetshandlngar, URL, Zugriff 8.5.2019

-NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf URL, 18.6.2019

. -USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019

3. Sicherheitsbehörden

3.1.Ausländische Kräfte

Die African Union Mission in Somalia (AMISOM) ist seit zwölf Jahren in Somalia stationiert. Das prinzipielle Mandat von AMISOM ist es, die durch al Shabaab und andere Rebellengruppen gegebenen Bedrohungen zu reduzieren und Stabilisierungsanstrengungen zu unterstützen. Das hat AMISOM zu einem gewissen Maß auch geschafft (ISS 28.2.2019). Allerdings hängt die Bundesregierung in großem Maße von den Kräften der AMISOM ab (BS 2018, S.7).

AMISOM hat eine militärische, eine polizeiliche und eine zivile Komponente. Truppenstellerstaaten für die militärische Komponente sind gegenwärtig Uganda, Burundi, Dschibuti, Kenia und Äthiopien (BMLV 3.9.2019). Nach einer Angabe gab es im Dezember 2018 an 78 Orten ca. 21.600 uniformiertes und 70 ziviles AMISOM-Personal (UNSC 21.12.2018, S.9). Bis Mai 2019 wurde die Truppenstärke auf 20.626 Mann reduziert. Ob es zu einer weiteren Verringerung kommt, ist unklar. Eine solche steht zumindest im Raum (UNSC 31.5.2019). Nach anderen Angaben wurde eine weitere Reduzierung bereits vorgenommen, und so betrug die Truppenstärke ab Feber 2019 nur noch 19.586 Mann. Laut UN-Resolution ist eine weitere Reduzierung um 1.000 Mann bis Ende Feber 2020 geplant – allerdings unter der Voraussetzung, dass die somalische Armee in der Lage ist, zwölf Stützpunkte der AMISOM zu übernehmen (BMLV 3.9.2019).

Trotzdem soll die Präsenz auf Galmudug ausgedehnt werden (AMISOM 7.8.2019, S.7). Eigentlich soll die somalische Armee im Jahr 2020 die Aufgaben von AMISOM übernehmen (TIND 15.1.2019). Der Exit-Plan von AMISOM sieht vor, dass die Truppe mit Dezember 2021 das Land verlässt (ISS 28.2.2019). Der kenianische Präsident hat angekündigt, dass er seine Truppen aus Somalia erst abziehen wird, wenn dort Frieden und Stabilität herrscht (AMISOM 15.10.2018a).

Die Stärke betrug im Feber 2019:

?Äthiopien: 4.123

?Burundi: 3.922

?Dschibuti: 1.797

?Kenia: 3.860

?Uganda: 5.759

?Hauptquartier: 125 (BMLV 3.9.2019)

Rund 1.000 AMISOM-Soldaten erhielten eine Ausbildung durch Kräfte aus Großbritannien, dies hat u.a. zur Einsatzfähigkeit beigetragen (UNSC 9.5.2017). Eine derartige Ausbildung erfolgt laufend auch im Rahmen der Einsatzvorbereitung in den Herkunftsländern und in Somalia, maßgeblich durch Großbritannien, die USA, Frankreich und die EU (BMLV 3.9.2019). In manchen Gebieten kooperiert AMISOM eng mit lokalen Milizen oder anderen Kräften (BFA 8.2017, S.16). AMISOM erhält von der UN-Agentur UNSOS an 77 Stützpunkten logistische Unterstützung (UNSC 15.8.2019, Abs.68). Die Schlagkraft von AMISOM wird u.a. dadurch gehemmt, dass eine Luftkomponente nicht bzw. kaum gegeben ist (ME 27.6.2019).

Im Land befindet sich auch eine mehrere hundert Mann starke AMISOM-Polizeikomponente unterschiedlicher afrikanischer Teilnehmerstaaten (Uganda, Nigeria, Ghana, Sierra Leone, Kenia und Sambia). Dabei ist die im AMISOM-Auftrag vorgesehene Aufstockung auf 1.040 Mann noch nicht erreicht worden; insgesamt wären fünf sogenannte Formed Police Units vorgesehen (FPU; je 160 Mann) (BMLV 3.9.2019), allerdings sind nur drei vorhanden. Diese stammen aus Nigeria, Sierra Leone und Uganda (BMLV 3.9.2019; vgl. UNSC 21.12.2018, S.10). AMISOM unterstützt die somalische Polizei bei ihrer Arbeit in Mogadischu. Mehr als 300 AMISOM-Polizisten bilden die somalischen Polizisten in den Bereichen Polizeiarbeit; Menschenrechte; Verbrechensprävention; Gemeindepolizei und Fahndungsmethoden weiter (USDOS 13.3.2019, S.7). Mit der Reduktion des militärischen Teils von AMISOM wurde die Polizeikomponente verstärkt (ISS 28.2.2019).

Neben AMISOM operieren auch noch bilateral eingesetzte Truppen unterschiedlicher Staaten auf somalischem Territorium (BFA 8.2017, S.17). Äthiopien hat sein bilateral eingesetztes Kontingent reduziert. Derartige Truppen finden sich in Bakool, Gedo und Galgaduud (BMLV 7.6.2019). Die Stärke dieser Kräfte wird mit ca. 2.000 Mann beziffert. Zusätzlich kommt die Ethiopian Air Force vermehrt in Somalia zum Einsatz (BMLV 3.9.2019). Generell hat Äthiopien kein Problem damit, bilateral eingesetzte Truppen zu verschieben oder abzuziehen (BFA 8.2017, S.17f). Die bilateral von Kenia eingesetzten Truppen wurden im März 2019 mehrheitlich in die Nähe der gemeinsamen Grenze zurückgezogen. Die Stärke dieser Kräfte beläuft sich derzeit vermutlich auf ca. 250-300 Mann (BMLV 3.9.2019). Die USA verfügen in Somalia über rund 500 Mann (TIND 15.1.2019).

Die Liyu Police aus dem äthiopischen Somali Regional State operierte – zumindest in der Vergangenheit – auch innerhalb Somalias, dort v.a. im grenznahen Gebiet (BFA 8.2017, S.18f; vgl. LWJ 3.9.2018). Nach August 2018 wurde der Einsatz der Liyu Police in Somalia weitgehend eingestellt. Anfang 2019 gab es keine ständige Stationierung mehr in Somalia. Trotzdem wird die Liyu Police auch weiterhin für Einsätze zur Unterstützung der äthiopischen Armee herangezogen. Diese werden allerdings von Standorten in Äthiopien aus mit einem Zeitrahmen von wenigen Tagen durchgeführt (BMLV 7.6.2019). Die Einsätze der Liyu werden aber offenbar wesentlich zurückhaltender als in den vergangenen Jahren geführt (BMLV 3.9.2019).

Quellen:

-AMISOM (7.8.2019): Progress Report of the Chairperson of the Commission on the situation in Somalia/AMISOM, URL, Zugriff 22.8.2019

-AMISOM (15.10.2018a): 15 October 2018 - Morning Headlines [Quelle: Halbeeg News], Newsletter per E-Mail

-BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, URL, Zugriff 31.5.2019

-BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung (Österreich) (3.9.2019): Anfragebeantwortung an die Staatendokumentation

-BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung (Österreich) (7.6.2019): Anfragebeantwortung an die Staatendokumentation

-BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019

-ISS - Institute for Security Studies / Meressa K Dessu / Dawit Yohannes (28.2.2019): Is this the right time to downsize AMISOM?, URL, Zugriff 13.3.2019

-LWJ - Long War Journal / Bill Roggio / Caleb Weiss (3.9.2018): Shabaab attacks focus on Somali military, African Union forces, URL, Zugriff 21.1.2019

-ME - Militärstrategischer Experte (27.6.2019): Interview mit der Staatendokumentation

-TIND - The Independent / Joe Sommerlad (15.1.2019): Al-Shabaab: Who are the East African jihadi group and what are their goals?, URL, Zugriff 30.1.2019

-UNSC - UN Security Council (15.8.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 22.8.2019

-UNSC - UN Security Council (31.5.2019): June 2019 Monthly Forecast, URL, Zugriff 15.7.2019

-UNSC - UN Security Council (21.12.2018): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 7.5.2019

-USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019

3.2.Somalische Kräfte

Zwar hat es auf Bundes- und Bundesstaatsebene etwas Fortschritt gegeben, um die Rollen und Verantwortlichkeiten im Sicherheits- und Justizsektor zu klären; allerdings haben politische Grabenkämpfe dringend nötige große Reformen verhindert (HRW 17.1.2019). Auch hinsichtlich der Nationalen Sicherheitsarchitektur gibt es weiterhin offene Fragen – etwa zur Integration oder Entwaffnung und Demobilisierung regionaler Kräfte und Clanmilizen. Der Status regionaler (Streit-)Kräfte (Darawish) bleibt damit weiterhin unklar (SEMG 9.11.2018, S.33).

Die somalischen Sicherheitskräfte befinden sich nach wie vor im Aufbau. Polizei und Armee sind nicht in der Lage, bei einem Rückzug der AMISOM deren Aufgaben zu übernehmen (BFA 8.2017, S.6/11). Der Bundesregierung ist es nicht gelungen, das Gewaltmonopol des Staates wiederherzustellen (BS 2018, S.7), die Regierung ist nach wie vor auf den Schutz durch AMISOM angewiesen (BS 2018, S.39). Zudem hat al Shabaab Polizei und Armee infiltriert und korrumpiert (LIFOS 3.7.2019, S.42).

Zivile Kontrolle: Es mangelt an effektiver Kontrolle ziviler Behörden über die Sicherheitskräfte (USDOS 13.3.2019, S.1/6). Aktionen der staatlichen Sicherheitskräfte entziehen sich oftmals der zivilen Kontrolle. Dies gilt insbesondere für die National Intelligence and Security Agency (NISA), aber auch für die Polizeikräfte. Gleichzeitig bekennt sich die Regierung zu ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen (AA 4.3.2019, S.8/18). Die justizielle Verantwortlichkeit einzelner Mitglieder der Sicherheitsorgane ist zumeist schwach bis inexistent (AA 4.3.2019, S.7). Denn auch wenn manchen Angehörigen der Sicherheitskräfte vor Militärgerichten der Prozess gemacht wird, herrscht eine Kultur der Straflosigkeit (USDOS 13.3.2019, S.6).

Polizei: Die Polizei untersteht einer Mischung von lokalen und regionalen Verwaltungen und der Bundesregierung (USDOS 13.3.2019. S.6; vgl. BFA 8.2017, S.12f). Die nationale Polizei untersteht dem Ministerium für Innere Sicherheit. Die von regionalen Behörden geführten Polizeikräfte unterstehen den jeweiligen regionalen Innen- oder Sicherheitsministerien. Die Bundespolizei ist in allen 17 Bezirken Mogadischus präsent (USDOS 13.3.2019. S.6f). Generell ist die Polizei außerhalb von Mogadischu nur eingeschränkt präsent (NLMBZ 3.2019, S.34).

Aktuelle Mannstärke der Polizei:

?Benadir/Mogadischu: Stand August 2017 - 6.146 Mann (BFA 8.2017, S.12). Durch Neuausbildungen wurde die Stärke massiv erhöht, alleine im Feber 2019 wurden 1.400 neue Polizeirekruten in den Dienst übernommen. Außerdem wurden Angehörige der NISA der Polizei unterstellt. Nun verfügt die Polizei in Benadir über 8.000-9.000 Mann (BMLV 3.9.2019).

?Galmudug: Stand August 2017 - 500 Mann (BFA 8.2017, S.12). Seither hat sich die Stärke nur minimal durch die Übernahme von ASWJ-Angehörigen erhöht; vermutlich auf 500-550 Mann (BMLV 3.9.2019).

?HirShabelle: Stand August 2017 - 550 (BFA 8.2017, S.13). Im Feber 2019 wurden ca. 200 neue Polizeirekruten in Dienst gestellt, Ende August 2019 weitere rd. 200. Weitere 400 Neurekrutierungen sind geplant. Die Gesamtstärke der HirShabelle Police dürfte sich aktuell auf rd. 800 Mann belaufen (BMLV 3.9.2019).

?Jubaland: Zum Stand vom August 2017 - 500-600 Mann - gib

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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