Entscheidungsdatum
14.07.2020Norm
BFA-VG §22a Abs4Spruch
W117 2230581-2/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Druckenthaner als Einzelrichter im amtswegig eingeleiteten Verfahren über die weitere Anhaltung von XXXX , geb. am XXXX , Staatsangehörigkeit: Türkei, in Schubhaft zu Recht erkannt:
I. Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG idgF wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.
II. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
Verfahrensgang:
Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14.05.2020, W180 2230581-1/30E,
wurde in Bezug auf den seit 17.03.2020 in Schubhaft angehaltenen Beschwerdeführer zuletzt unter anderem festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen. Das Bundesverwaltungsgericht führte u. a. Folgendes aus:
„1. Feststellungen:
Zur Person:
1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Republik Türkei, er wurde am XXXX in Carsamba geboren. Er ist nicht österreichischer Staatbürger, sohin Fremder im Sinne des FPG. Seine Identität steht fest. Er besitzt einen gültigen türkischen Reisepass. Der Beschwerdeführer ist weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter.
1.2. Seit 20.01.2018 verfügt der Beschwerdeführer nicht mehr über einen Aufenthaltstitel in Österreich.
1.3. Mit Bescheid des BFA vom 17.03.2020 wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot in der Dauer von sieben Jahren erlassen. Gegen diesen Bescheid wurde Beschwerde erhoben, die mit Beschwerdevorentscheidung vom 20.04.2020 vom BFA abgewiesen wurde. Die Frist zur Stellung eines Vorlageantrages ist zum Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung noch nicht abgelaufen, die Rückkehrentscheidung somit nicht rechtskräftig und das Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme im Stande der Beschwerde.
1.4. Der Beschwerdeführer wurde mehrfach in Österreich strafrechtlich verurteilt:
Mit (rechtskräftigem) Urteil eines Landesgerichtes vom 24.01.2008 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Hausfriedensbruches nach § 109 Abs. 3 Z 1 StGB, des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB und des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten, die unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde, verurteilt. Der Verurteilung liegt eine Tat zugrunde, die sich gegen die damalige Lebensgefährtin und Mutter seiner beiden Kinder richtete. Die bedingte Strafnachsicht wurde in der Folge mit Urteil eines Landesgerichtes vom 16.08.2011 widerrufen.
Mit (rechtskräftigem) Urteil eines Landesgerichtes vom 09.02.2009 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Der Verurteilung liegt eine gefährliche Drohung zugrunde, wonach er am 25.11.2008 seine frühere Lebensgefährtin und Mutter seiner beiden Kinder durch die telefonische Äußerung, er werde sie umbringen, gefährlich bedrohte, um sie in Frucht und Unruhe zu versetzen.
Mit (rechtskräftigem) Urteil eines Landesgerichtes vom 16.08.2011 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs. 1 StGB (§§ 125, 126 Abs. 1 Z 7 StGB) und des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Der Verurteilung nach § 287 StGB liegt folgende Tat zugrunde: Der Beschwerdeführer hat sich am 13.02.2011 durch den Genuss von Alkohol in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rausch versetzt und im Rausch bei einem Blutalkoholgehalt von 2,08 % fremde Sachen in einem Wettlokal (ua. Flachbildschirme) beschädigt, wobei der Schaden insgesamt 7.000,- betrug, somit eine Tathandlung begangen, die ihm außer diesem Zustand als Vergehen der schweren Sachbeschädigung nach §§ 125, 126 Abs. 1 Z 7 StGB zugerechnet werden würde.
Mit (rechtskräftigem) Urteil eines Landesgerichtes vom 07.10.2013 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB und des Vergehens des (versuchten) Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Dieser Verurteilung liegt die Tat zugrunde, wonach der Beschwerdeführer am 19.04.2013 zwei Personen durch die Äußerung, er werde sie erschießen, gefährlich bedrohte, wobei er ein Gasfeuerzeug in der Hand hielt und gegen die Anwesenden richtete, um diese in Furcht und Unruhe zu versetzen, sowie die einschreitenden Beamten mit Gewalt an einer Amtshandlung zu hindern versuchte, und zwar durch Versetzen von gezielten Kopfstößen und Fußtritten gegen diese, wobei die Beamten ausweichen konnten, um sich dadurch der Amtshandlung zu entziehen.
Mit (rechtskräftigem) Urteil eines Landesgerichtes vom 09.10.2014 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Der Verurteilung liegen Sachbeschädigungen zugrunde, indem der Beschwerdeführer dreimal die Eingangstür und einmal die Auslagenscheibe eines Geschäftslokales eintrat.
Mit (rechtskräftigem) Urteil eines Landesgerichtes vom 04.06.2019 wurde der Beschwerdeführer schließlich wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Dieser Verurteilung liegen folgende zwei Tathandlungen zugrunde: Am 16.09.2018 verletzte der Beschwerdeführer drei Personen, indem er mit einem ein Meter langen und im Durchschnitt 3 Zentimeter dicken Ast auf sie einschlug, sodass ein Opfer aus dem linken Ohr blutete, ein Opfer eine blutende Wunde über dem rechten Auge und das dritte Opfer eine Rissquetschwunde am Kopf davontrug. Der Beschwerdeführer hatte vor der Tat Alkohol konsumiert, sich dadurch jedoch nicht in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand versetzt. Am 16.03.2019 verletzte der Beschwerdeführer eine Person am Körper, indem er mit einem gerippten Brotmesser mit 10 Zentimeter Klingenlänge an deren Rücken entlang schnitt, wodurch diese eine 5 Zentimeter lange, z-förmige Schnittwunde am Rücken erlitt. Abermals hatte der Beschwerdeführer vor der Tat Alkohol konsumiert, sich wiederum aber nicht in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand versetzt. Beide Tathandlungen wurden an öffentlich zugänglichen Orten (Platz bzw. Park, Bahnhofshalle) begangen. Die vom Landesgericht verhängte Höchststrafe von einem Jahr wurde vom Berufungsgericht bestätigt, wobei dieses u.a. darauf hinwies, dass der Beschwerdeführer bei der letzten Tat seinem Opfer „ohne allgemein begreiflichen Anlass an einem öffentlichen Ort unter Einsatz eines Messer Verletzungen zufügte“. Auch wies das Berufungsgericht darauf hin, dass das vierte Opfer kaum Vorsicht gegen die Tat habe gebrauchen können, da der Beschwerdeführer es überraschend von hinten attackierte. Die wiederholte Gewaltanwendung erhellt nach der Beurteilung des Oberlandesgerichts eine gegenüber den rechtlich geschützten Werten besonders ablehnende oder gleichgültige Einstellung des Beschwerdeführers.
1.5. Am 07.03.2019 wurde gegen den Beschwerdeführer wegen ungebührlicher Lärmerregung, Verletzung des öffentlichen Anstandes und aggressiven Verhaltens von einer Landespolizeidirektion ein Straferkenntnis erlassen und eine Geldstrafe in der Höhe von 1.500,- Euro verhängt.
1.6. Seit 25.05.2002 besteht gegen den Beschwerdeführer ein rechtskräftiges Waffenverbot.
1.7. Der BF leidet an keinen nennenswerten gesundheitlichen Einschränkungen.
1.8. Der BF wird seit 17.03.2019 in Schubhaft angehalten. Er wurde am 16.03.2019 nach Entlassung aus der Strafhaft aufgrund eines Festnahmeauftrages des BFA vom 13.03.2020 festgenommen.
1.9. Der BF ist haftfähig.
Zum Sicherungsbedarf und zur familiären/sozialen Komponente:
2.1. Der Beschwerdeführer ist nicht vertrauenswürdig.
2.2. Der Beschwerdeführer ist nicht kooperativ.
2.3. Der Beschwerdeführer hat zwei erwachsene Kinder (geboren 1993 und 1996), die in Österreich leben. Es besteht kein gemeinsamer Wohnsitz und kein Abhängigkeitsverhältnis. Nur zu seinem Sohn besteht ein telefonischer Kontakt. Zu seinen beiden in Österreich lebenden Schwestern besteht kein enger Kontakt.
Zu seiner früheren Lebensgefährtin und Mutter seiner Kinder hat der Beschwerdeführer seit Jahren keinen Kontakt mehr.
Ein Onkel und ein Bruder des Beschwerdeführers leben in der Türkei, der Beschwerdeführer könnte bei seinem Bruder im Haus seines verstorbenen Vaters wohnen.
2.4. Der Beschwerdeführer hat keinen gesicherten Wohnsitz in Österreich. Die letzte Hauptwohnsitzmeldung an einer Privatadresse datiert von April bis August 2016. Seitdem war der Beschwerdeführer ausschließlich – und im Übrigen nicht durchgängig – in Haftanstalten, polizeilichen Anhaltezentren und an einer Obdachlosenkontaktstelle gemeldet.
2.5. Der Beschwerdeführerführer war letztmals für eine Woche im Oktober 2010 als geringfügig Beschäftigter sozialversicherungspflichtig erwerbstätig. Seitdem bezog der Beschwerde ausschließlich Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Überbrückungshilfe.
2.6. Er verfügt über keine ausreichenden finanziellen Mittel zur nachhaltigen Existenzsicherung. Er geht im Inland seit Jahren keiner Erwerbstätigkeit nach und ist nicht selbsterhaltungsfähig.
2.7. Der Beschwerdeführer weist keine besonderen Integrationsmerkmale auf.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zur Person:
Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers ergeben sich im Wesentlichen aus dem vorgelegten Verwaltungsakt der Behörde und dem Akt der NAG-Behörde MA 35 sowie der Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung des Bundesministeriums für Inneres. Daraus ergibt sich neben den angeführten Angaben zu den Bescheiden des BFA (Schubhaft und Rückkehrentscheidung) und zu den früheren Aufenthaltstiteln des Beschwerdeführers insbesondere auch, dass der Beschwerdeführer über einen gültigen türkischen Reisepass verfügt.
Im gesamten Verfahren gab es keine Anhaltspunkte für wesentliche Erkrankungen des Beschwerdeführers. Auch in der Anhaltedatei des Bundesministeriums für Inneres sind diesbezüglich keine Eintragungen vorhanden. In seiner Einvernahme vor dem BFA am 16.03.2020 gab der Beschwerdeführer an, keine Medikamente zu nehmen und arbeitsfähig zu sein. Er wies bloß darauf hin, schon dreimal an der Schulter operiert worden zu sein. Das Gericht geht daher von einem gesunden Beschwerdeführer aus.
Die Feststellungen zu den strafrechtlichen Verurteilungen ergeben sich aus dem im Akt der belangten Behörde einliegenden Strafregisterauszug in Zusammenhalt mit den ebenfalls dort vorhandenen Kopien der Gerichtsurteile. Die Feststellung, dass sich die erste Straftat des Beschwerdeführers gegen seine damalige Lebensgefährtin richtete (in der gekürzten Urteilsausfertigung wird das Opfer der strafbaren Handlung nicht genannt), ist dem Strafurteil vom 09.02.2009 bzw. dem dazu ergangenen Berufungsurteil vom 22.06.2009 zu entnehmen, wo auf die Vortat näher eingegangen wird.
Die Feststellungen zum Straferkenntnis einer Landespolizeidirektion vom 07.03.2019 stützen sich auf den Verwaltungsakt der belangten Behörde, das Waffenverbot vom 25.05.2002 ergibt sich aus der im Verwaltungsakt einliegenden Personeninformation.
Die bestehende Haftfähigkeit des Beschwerdeführers ergibt sich aus den Eintragungen in der Anhaltedatei, aus der sich keine Anhaltspunkte für eine Haftuntauglichkeit ergeben haben. Gegenteiliges wurde auch in der Beschwerde nicht behauptet.
2.2. Zum Sicherungsbedarf und zur familiären/sozialen Komponente:
Dass der Beschwerdeführer nicht vertrauenswürdig ist, ergibt sich unzweifelhaft aus den mehrfachen strafrechtlichen Verurteilungen. Der Beschwerdeführer wurde wiederholt wegen Gewaltdelikten zu Haftstrafen verurteil (Körperverletzung, Hausfriedensbruch, gefährliche Drohung, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Sachbeschädigungen) und ließ sich auch durch den Vollzug der Freiheitsstrafen nicht von weiteren strafbaren Handlungen abhalten. Dabei zeigt sich, dass er die Intensität seiner Gewaltdelikte steigerte, zuletzt beging einer Körperverletzung unter Verwendung einer Waffe (Messer) bzw. waffenähnlichen Mittels (Holzstock), wofür er unter Ausschöpfung des Strafrahmens (bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 39 StGB) des § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt wurde. Die wiederholten Gewaltausübungen zeigen eine gegenüber rechtlich geschützten Werten besonders ablehnende oder gleichgültige Einstellung des Täters auf. Dass der Beschwerdeführer die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet ergibt sich auch aus dem oben Pkt. 1.5. genannten Straferkenntnis wegen Lärmerregung, Verletzung des öffentlichen Anstandes und aggressiven Verhaltens.
Die mangelnde Kooperationsbereitschaft des Beschwerdeführers stützt das Gericht darauf, dass dem Beschwerdeführer im Rahmen des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Möglichkeit eines Parteiengehörs eingeräumt wurde. Ohne nähere Begründung verzichtete der Beschwerdeführer auf die Abgabe einer Stellungnahme.
Ebenso hielt er sich im Verfahren zur Verlängerung seines Aufenthaltstitels der Aufenthaltsbehörde nicht zur Verfügung, weshalb dieses Verfahren von der Behörde eingestellt wurde.
Befragt, ob er freiwillig in die Türkei zurückgehen würde, antwortete der Beschwerdeführer in der Einvernahme durch das BFA am 16.03.2020, mit „Nein, ich weigere mich, ich kenne mich nur in Österreich aus.“ Auch damit kommt klar zum Ausdruck, dass der Beschwerdeführer nicht kooperationsbereit ist. Der Beschwerdeführer weigerte sich auch ohne Angabe von Gründen, die Niederschrift über die Einvernahme am 16.03.2020 zu unterschreiben.
Die Feststellungen zur Familiensituation stützt das Gericht auf die Angaben des Beschwerdeführers in seiner Einvernahme am 16.03.2020. Er sagte dort aus, in der letzten, ein Jahr dauernden Strafhaft keinen Besuch von Verwandten erhalten zu haben, einzig mit seinem Sohn habe er telefoniert. Ein enger Kontakt zu seinen Kindern und seinen beiden Schwestern wird damit nicht aufgezeigt. Gemeinsame Wohnsitze liegen jedenfalls viele Jahre zurück. Dass der Beschwerdeführer zu seiner früheren Lebensgefährtin und Mutter seiner beiden Kinder seit Jahren keinen direkten Kontakt mehr hat, sagte er ebenfalls in der genannten Einvernahme aus und brachte dies in Zusammenhang damit, dass er „wegen ihr verurteilt“ und im Gefängnis gewesen sei.
Das Fehlen eines gesicherten Wohnsitzes ergibt sich aus dem im Verwaltungsakt der Behörde einliegenden Melderegisterauszug. Daraus geht hervor, dass der Beschwerdeführer seit August 2016 nur in Haftanstalten und bei einer Obdachlosenkontaktstelle, und das nicht durchgängig, gemeldet war. So war der Beschwerdeführer etwa im Sommer 2018 weder in einer Haftanstalt noch bei einer Kontaktstelle gemeldet, weshalb er für die Niederlassungsbehörde nicht erreichbar war.
Die Feststellungen zur Erwerbs- bzw. Nichterwerbstätigkeit des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem im Akt der Behörde einliegenden Versicherungsdatenauszug des Beschwerdeführers. Anhaltspunkte für eine nachhaltige Existenzsicherung des obdachlosen und beschäftigungslosen Beschwerdeführers hat das Verfahren nicht ergeben. Einer legalen Erwerbstätigkeit zur Erlangung einer Selbsterhaltungsfähigkeit steht – nach dem Wegfall der Aufenthaltsberechtigung – das Fehlen einer diesbezüglichen Bewilligung entgegen.
Besondere Integrationsmerkmale des Beschwerdeführers haben sich im Verfahren nicht ergeben und wurden in der Beschwerde auch nicht behauptet.
2.3. Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht mehr aufzunehmen:
Von einer Anberaumung einer mündlichen Verhandlung konnte im Hinblick auf die geklärte Sachlage Abstand genommen werden.
3. Rechtliche Beurteilung
(…)
Fluchtgefahr/Sicherungsbedarf:
3.1.4. Aufgrund des gerichtlichen Beweisverfahrens sieht das Gericht Sicherungsbedarf im Sinne des § 76 Abs. 3 FPG, näherhin im Sinne der Z. 9 dieses Absatzes, für gegeben an.
Der Beschwerdeführer hat keinen gesicherten Wohnsitz. Er ist seit mehreren Jahren obdachlos und bereits seit zehn Jahren beschäftigungslos. Ausreichende Mittel zur nachhaltigen Sicherung seiner Existenz liegen nicht vor. Zwar hat der Beschwerdeführer zwei erwachsene Kinder und zwei Schwestern in Österreich, er hat aber nur zu seinem Sohn telefonischen Kontakt. Auch dieser familiäre Kontakt hat ihn im Übrigen nicht davor bewahren können, obdachlos und straffällig zu werden. Gemeinsame Wohnsitze mit Familienmitgliedern liegen vielen Jahre zurück. Die familiären Beziehungen sind damit nur sehr schwach ausgeprägt. Eine sonstige soziale Verankerung des Beschwerdeführers hat das Verfahren nicht ergeben und wurde eine solche in der Beschwerde auch nicht behauptet.
Diese Tatsachen (Obdachlosigkeit, Beschäftigungslosigkeit, keine Existenzmittel, nur loser familiärer Kontakt, keine sonstige soziale Verankerung) rechtfertigen aus Sicht des Gerichts die Annahme, dass der Beschwerdeführer sich dem noch nicht abgeschlossenen Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung oder der Abschiebung entziehen wird. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer, wie das Verfahren ergeben hat, nicht vertrauenswürdig und nicht kooperativ ist. Selbst der mehrfache Vollzug von Haftstrafen haben den Beschwerdeführer bislang nicht davon abhalten können, wieder straffällig zu werden. Wie sich aus der letzten Verurteilung ergibt, hat die Intensität der von ihm eingesetzten Gewalt sogar zugenommen. Der Beschwerdeführer zeigt damit mehr als deutlich auf, dass er nicht gewillt bzw. nicht in der Lage ist, die österreichische Rechtsordnung einzuhalten. Der Beschwerdeführer gab auch an, sich zu weigern, in die Türkei zurückzugehen. Dem Beschwerdeführer ist es schon in der Vergangenheit nicht gelungen, die Meldung an einer Obdachlosenkontaktstelle so aufrecht zu erhalten, dass er für die NAG-Behörde erreichbar war. Ein familiäres Netz, dass ihn darin unterstützen könnte, für die belangte Behörde erreichbar zu bleiben und sich ihr zur Verfügung zu halten, ist beim Beschwerdeführer nicht vorhanden. In einer Gesamtbetrachtung beurteilt das Gericht daher den Beschwerdeführer als fluchtgefährlich.
Verhältnismäßigkeit:
3.1.4. Darüber hinaus ist die Verhältnismäßigkeit der Schubhaftnahme nach Ansicht des erkennenden Gerichtes ebenso gegeben. Betrachtet man die Interessen des Beschwerdeführers an den Rechten seiner persönlichen Freiheit in Bezug auf seine familiären bzw. sozialen Verhältnisse im Inland zeigt sich, dass der Beschwerdeführer keine engen familiären Bindungen und keine beruflichen und sozialen Kontakte vorweisen konnte, die geeignet wären, im Rahmen der gerichtlichen und behördlichen Abwägung die Entscheidung zu Gunsten einer Freilassung zu beeinflussen. Der Beschwerdeführer hat gegen verwaltungsstrafrechtliche und – zudem mit steigender Intensität – gegen strafrechtliche Bestimmungen verstoßen, er gefährdet massiv die öffentliche Ordnung und Sicherheit. Es besteht daher ein erhöhtes Interesse an der Außerlandesbringung des Beschwerdeführers. Das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung der Abschiebung des Beschwerdeführers überwiegt das Interesse des Beschwerdeführers am Schutz seiner persönlichen Freiheit.
3.1.5. In Zusammenhang mit der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft (…) ist jedoch zu bemerken, dass im gegenständlichen Fall die Beschaffung eines Heimreisezertifikates gar nicht erforderlich war, da der Beschwerdeführer über einen gültigen türkischen Reisepass verfügt. Auch trifft die Behörde nicht der weitere, allenfalls aus dem zweitzitierten Erkenntnis ableitbare Vorwurf, mit dem Verfahren zur Erlassung eines aufenthaltsbeendenden Verfahrens erst nach der Entlassung des Fremden aus der Strafhaft begonnen zu haben. Das Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung wurde schon zu Beginn der Strafhaft (bzw. Untersuchungshaft) eingeleitet und der Beschwerdeführer diesbezüglich um Stellungnahme, insbesondere um Bekanntgabe seiner Aufenthaltstitel, Visa etc. ersucht. Der Beschwerdeführer war aber nicht kooperativ und gab keine Stellungnahme ab. Die Behörde setzte das Verfahren fort und holte die Akten der NAG-Behörde, sowie Gerichturteile und weitere Informationen ein. Eine Verpflichtung der Behörde, ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegenüber einem im Strafhaft angehaltenen Fremden jedenfalls innerhalb der Zeit seiner Anhaltung in Strafhaft abzuschließen, ist aus den zitierten Judikaten aus Sicht des erkennenden Richters nicht abzuleiten.
Zudem ist im vorliegenden Fall als besonderer Umstand auf das erhöhte öffentliche Interesse an der Außerlandesbringung des Beschwerdeführers wegen Begehung von Gewaltdelikten und Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit hinzuweisen.
3.1.6. Ebenfalls in Zusammenhang mit der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft (…) aufgrund von Covid-19 (…) ist auszuführen, dass die Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie in Österreich als auch weltweit zu dramatischen Beschränkungen des öffentlichen Lebens und des Privatlebens geführt haben. Davon war und ist insbesondere auch der Reiseverkehr betroffen. Mittlerweile werden die Beschränkungen sowohl in Österreich als auch in anderen europäischen Staaten aber schrittweise wieder gelockert (vgl. für Österreich die am 30.04.2020 kundgemachte COVID-19-Lockerungsverordnung, BGBl. II Nr. 197/2020). Der Flugverkehr ist zwar weiterhin noch stark eingeschränkt. Aus derzeitiger Sicht ist aber mit weiteren Lockerungen auch in diesem Bereich in den nächsten Wochen zu rechnen. Die realistische Möglichkeit der Überstellung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat innerhalb der gesetzlichen Höchstdauer von sechs Monaten ist aus aktueller Sicht gegeben.
Gelinderes Mittel:
(…)
Die Kriterien, die bereits unter dem Punkt „Fluchtgefahr/Sicherungsbedarf“ erörtert wurden, zeigen eindeutig, dass eine jederzeitige Erreichbarkeit des Beschwerdeführers nicht mit der erforderlichen Sicherheit gewährleistet wäre. Der Beschwerdeführer ist nicht vertrauenswürdig, nicht kooperativ und missachtete bislang massiv die österreichische Rechtsordnung. Es ist daher nicht zu anzunehmen, dass er die aus der Anordnung einer Unterkunftnahme in bestimmten Räumlichkeiten oder der periodischen Meldung für ihn folgenden Beschränkungen und Auflagen einhalten würde. Die Behörde ist zutreffend davon ausgegangen, dass mit der Anordnung gelinderer Mittel das Auslangen nicht gefunden werden kann.
3.1.6. Die gegenständlich verhängte Schubhaft erweist sich daher auch als „ultima ratio“ und wird die Schubhaft auch bis zur Außerlandesbringung vorerst weiterzuführen sein. Auf Grund des zuvor Ausgeführten ergibt sich, dass sowohl Fluchtgefahr, als auch Verhältnismäßigkeit gegeben sind und die Anwendung eines gelinderen Mittels nicht als erfolgversprechend zu beurteilen war. In diesem Sinne ist auch das Kriterium der „ultima ratio“ im vorliegenden Schubhaftverfahren gegeben.
(…)
Die getroffenen Feststellungen und ihre rechtliche Würdigung lassen im Hinblick auf ihre Aktualität und ihres Zukunftsbezuges keine, die Frage der Rechtmäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft ändernde Umstände erkennen. Es war daher spruchgemäß festzustellen, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.“
Die Verwaltungsbehörde legte aktuell zur neuerlichen Überprüfung der Schubhaft den Akt vor und begehrte wiederum die Fortsetzung der Schubhaft.
Das Bundesverwaltungsgericht hat von Amts wegen erwogen:
1. Feststellungen:
Die vom Bundesverwaltungsgericht im oben angeführten Vorerkenntnis getroffenen und im Verfahrensgang dargestellten Feststellungen werden zum gegenständlichen Sachverhalt erhoben.
Ergänzend wird festgestellt:
Die begleitende Abschiebung ist für den 15.07.2020 vorgesehen.
Der Beschwerdeführer gab hinsichtlich einer während der Anhaltung in Schubhaft am 26.05.2020 vorgefallenen Auseinandersetzung mit einem Mithäftling folgendes sinngemäß an:
„Ich habe auf einen umgedrehten Zettel geschrieben, der auf dem Tisch lag. Dabei hatte ich nicht bemerkt, dass es sich dabei um den Wunschzettel von XXXX handelte. Als selbiger das bemerkte, begann er mich anzuschreien und zu beschimpfen. Ich nahm ein Buttermesser in meine Hand, damit er aufhört. Daraufhin hat er mir ins Gesicht geschlagen.“.
Nach Rücksprache mit dem diensthabenden OpV BezI. XXXX verfügte selbiger die Disziplinierungsmaßnahmen der beiden Beteiligten im Sinne der AnhO.
Auf der Tatsachenebene liegt daher zusätzlich aufgrund der vom Beschwerdeführer während der Anhaltung gezeigten Vertrauensunwürdigkeit keine Änderung - die Fluchtgefahr betreffend - vor.
Es sind sohin auch aktuell keinerlei Umstände aufgetreten, die zu einem vom Bescheid der Verwaltungsbehörde und den Vorerkenntnissen abweichenden und für die Freilassung des Beschwerdeführers sprechenden Sachverhalt führen könnten.
2. Beweiswürdigung:
Hinsichtlich der vom angeführten Vorerkenntnis übernommenen Feststellungen ist auf die diesbezügliche Beweiswürdigung zu verweisen.
Die Feststellung, dass zwischenzeitlich keinerlei für den Beschwerdeführer sprechende Änderung des Sachverhaltes eingetreten ist ergibt sich als Konsequenz daraus, wobei ergänzend der aktuelle Zwischenfall - der erneut die mangelnde Vertrauenswürdigkeitdes Beschwerdeführers zeigt - hervorzuheben ist.
Weiters ist hervorzuheben, dass die Abschiebung erfolgreich für den 15.07.2020 terminisiert wurde, wie die Abschiebunterlagen – Reiseplan etc. – zeigen.
3. Rechtliche Beurteilung
Zu Spruchpunkt I. – Fortsetzung der Schubhaft
Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG idgF die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.
Gemäß § 76 Abs 1 FPG idgF können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.
Die Schubhaft darf gemäß § 76 Abs 2 FPG idgF nur angeordnet werden, wenn
1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.
Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.
§ 76 Abs. 3 FPG idgF lautet:
Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.
Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen.
Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise - wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG - erreicht werden ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig.
§ 80 FPG idgF lautet:
(1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.
(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich
1. drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;
2. sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt.
(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.
(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil
1. die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,
2. eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,
3. der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder
4. die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint,
kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.
(5) Abweichend von Abs. 2 und vorbehaltlich der Dublin-Verordnung darf die Schubhaft, sofern sie gegen einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, angeordnet wurde, bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Durchsetzbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Dauer von 10 Monaten nicht überschreiten. Wird die Schubhaft über diesen Zeitpunkt hinaus aufrechterhalten oder nach diesem Zeitpunkt neuerlich angeordnet, ist die Dauer der bis dahin vollzogenen Schubhaft auf die Dauer gemäß Abs. 2 oder 4 anzurechnen.
(5a) In den Fällen des § 76 Abs. 2 letzter Satz ist auf die Schubhaftdauer gemäß Abs. 5 auch die Dauer der auf den Festnahmeauftrag gestützten Anhaltung anzurechnen, soweit sie nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz gemäß § 40 Abs. 5 BFA-VG aufrechterhalten wurde. Die Anrechnung gemäß Abs. 5 letzter Satz bleibt davon unberührt.
(6) Das Bundesamt hat von Amts wegen die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft längstens alle vier Wochen zu überprüfen. Ist eine Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG anhängig, hat diesfalls die amtswegige Überprüfung zu entfallen.
(7) Das Bundesamt hat einen Fremden, der ausschließlich aus den Gründen des Abs. 3 oder 4 in Schubhaft anzuhalten ist, hievon unverzüglich schriftlich in Kenntnis zu setzen.
Aufgrund der zitierten gesetzlichen Bestimmungen hat die Behörde nach § 22a Abs. 4 BFA-VG dem Bundesverwaltungsgericht die Verwaltungsakten zur amtswegigen Überprüfung der Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit der weiteren Anhaltung, welche über die Viermonatsfrist gehen solle, vorzulegen. Dabei hat sie darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig wäre. Es ist Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichtes hierüber im Verfahren eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit durchzuführen und hat sich im Rahmen dieser Überprüfung auch im Hinblick auf die vorzunehmende Zukunftsprognose für das Gericht ergeben, dass eine weitere Anhaltung weiter als verhältnismäßig angesehen werden kann.
Vor dem Hintergrund des aktuell feststehenden Sachverhaltes, welcher bereits der angeführten Vorentscheidung zugrunde gelegt wurde, waren daher mangels Vorliegen irgendwelcher für die Freilassung sprechender Umstände die rechtliche Beurteilung der Vorentscheidung zur rechtlichen Beurteilung des gegenständlichen Erkenntnisses zu erheben.
Die Schubhaft ist jedenfalls weiterhin wegen Fluchtgefahr aufrechtzuerhalten, weil aus dem vergangenen und aktuellen Verhalten des Beschwerdeführers mit Sicherheit geschlossen werden kann, dass der Beschwerdeführer seine Abschiebung zu verhindern oder jedenfalls zu behindern beabsichtigt. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass die Abschiebung am 15.07.2020 „begleitend“ durchgeführt wird.
Der Beschwerdeführer hatte keine berücksichtigungswürdigen Umstände dargetan, wonach die Schonung seiner Freiheit das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung überwiegen würde. Die Schubhaft ist unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände und vor dem Hintergrund, dass sie nur noch bis morgen dauern wird, auch verhältnismäßig.
Es war daher spruchgemäß festzustellen, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.
Zu Spruchpunkt II. – Revision
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.
Wie ausgeführt, sind keine Auslegungsfragen hinsichtlich der anzuwendenden Normen hervorgekommen, es waren auch keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen. Die Revision war daher nicht zuzulassen.
Schlagworte
Einreiseverbot Fluchtgefahr Fortsetzung der Schubhaft Kooperation Mittellosigkeit öffentliche Interessen Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Straffälligkeit strafrechtliche Verurteilung Verhältnismäßigkeit VertrauenswürdigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W117.2230581.2.00Im RIS seit
06.10.2020Zuletzt aktualisiert am
06.10.2020