TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/20 W180 2232954-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.07.2020
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Entscheidungsdatum

20.07.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs1 Z3
BFA-VG §22a Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §76 Abs2 Z2
VwGVG §35

Spruch

W180 2232954-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Georg PECH als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Nigeria, vertreten durch ARGE Rechtsberatung – Diakonie Flüchtlingsdienst GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.07.2020, Zl. XXXX , sowie gegen die Anhaltung in Schubhaft seit 08.07.2020 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG stattgegeben, der Schubhaftbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.07.2020, Zl. XXXX aufgehoben, sowie die Anhaltung in Schubhaft seit 08.07.2020 für rechtwidrig erklärt.

II. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

III. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Kostenersatz wird gemäß § 35 VwGVG abgewiesen.

IV. Der Antrag der belangten Behörde auf Kostenersatz wird gemäß § 35 VwGVG abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.




Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben im Dezember 2019 aus Italien kommend ins Bundesgebiet ein.

Der Beschwerdeführer wurde am 08.01.2020 wegen des Verdachtes der Begehung einer strafbaren Handlung nach dem SMG festgenommen und in eine Justizanstalt eingeliefert. Am 10.01.2020 wurde über den Beschwerdeführer die Untersuchungshaft verhängt.

Bereits am 09.01.2020 wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) ein Festnahmeauftrag gemäß § 34 Abs. 1 Z 2 BFA-VG erlassen, mit dem angeordnet wurde, den Beschwerdeführer nach Entlassung aus der U-Haft/Strafhaft festzunehmen.

Mit Schreiben des BFA vom 05.02.2020 wurde der Beschwerdeführer vom Ergebnis der Beweisaufnahme in der Angelegenheit „Erlassung einer Rückkehrentscheidung iVm Einreiseverbot, in eventu Erlassung eines ordentlichen Schubhaftbescheides gemäß § 76 FPG“ verständigt und ihm dazu Parteiengehör gewährt. Mit dem Schreiben wurde auch ein konkreter Fragenkatalog zur Beantwortung und Stellungnahme übermittelt. Das Schreiben wurde vom Beschwerdeführer nachweislich übernommen, er machte von der Möglichkeit, eine Stellungnahme abzugeben, jedoch keinen Gebrauch.

Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 17.03.2020 wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall, Abs. 2 Z 3 SMG, § 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten verurteilt, wobei 12 Monate unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen wurden.

Mit Schreiben vom 24.03.2020 verständigte die Justizanstalt XXXX das BFA davon, dass der Beschwerdeführer am 17.03.2020 in Strafhaft übernommen wurde. Mit einem weiteren Schreiben der Justizanstalt vom gleichen Tag erfolgte eine Verständigung des BFA von der voraussichtlichen Entlassung des Beschwerdeführers am 08.07.2020 (Entlassungsgrund: Strafende).

Der Beschwerdeführer wurde am 08.07.2020 aus der Strafhaft entlassen, aufgrund des Festnahmeauftrages des BFA vom 09.01.2020 festgenommen, dem BFA vorgeführt und vom BFA am selben Tag niederschriftlich einvernommen.

Mit angefochtenem Mandatsbescheid vom 08.07.2020 wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und zur Sicherung der Abschiebung verhängt. Mit Verfahrensanordnung vom gleichen Tag wurde ihm ein Rechtsberater für ein allfälliges Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.

Der Beschwerdeführer wird seitdem in Schubhaft angehalten.

Gegen den Mandatsbescheid vom 08.07.2020 erhob der Beschwerdeführer die gegenständliche Schubhaftbeschwerde vom 13.07.2020, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, dass der Beschwerdeführer im Dezember 2019 legal in das Bundesgebiet eingereist sei. Er verfüge über einen gültigen italienischen Aufenthaltstitel, dies sei auch „aus der Sicht der Behörde unstrittig“. Am 17.03.2020 sei der Beschwerdeführer wegen Suchgifthandel rechtskräftig zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt worden. Da der Beschwerdeführer mit einem gültigen italienischen Aufenthaltstitel, einem gültigen Reisepass sowie mit einem Geldbetrag von € 500,- und somit mit ausreichenden Barmitteln in das Bundesgebiet eingereist sei, sei sein Aufenthalt rechtmäßig gewesen. Selbst wenn man davon ausginge, dass sich der Beschwerdeführer nicht rechtmäßig in Österreich aufgehalten habe, sei in Hinblick auf seinen Aufenthaltstitel in Italien nicht gemäß § 52 Abs. 1 FPG vorzugehen gewesen, sondern der Drittstaatsangehörige sei gemäß § 52 Abs. 6 FPG zu verpflichten gewesen, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates zu begeben, dessen Aufenthaltsrecht er besitzt. Im vorliegenden Fall sei der Beschwerdeführer vom BFA bisher nicht zu seiner Ausreise nach Italien verpflichtet worden. Auch hier weist die Beschwerde abermals auf Folgendes hin: „es ist unstrittig, dass er über eine Aufenthaltsberechtigung für diesen Mitgliedstaat verfügt.“ Auch stelle der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich keine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dar, weshalb eine sofortige Ausreise des Beschwerdeführers aus diesen Gründen im Sinne des § 52 Abs. 6 letzter Satz 2. Fall FPG nicht erforderlich sei. Eine Inschubhaftnahme des Beschwerdeführers sei unzulässig, weil der Beschwerdeführer sich entweder rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe oder im Falle eines rechtswidrigen Aufenthalts er gemäß § 52 Abs. 6 FPG zu verpflichten wäre, sich unverzüglich nach Italien zu begeben. Im Übrigen sei der Verhängung rechtswidrig, da im vorliegenden Fall weder Fluchtgefahr noch Verhältnismäßigkeit der Haft vorliege. Der Beschwerdeführer habe nie behauptet, dass er sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme entziehen würde, lediglich die Ausreise nach Italien würde er bevorzugen. Auch würde eine fehlende berufliche oder soziale Verankerung nach ständiger Judikatur insbesondere bei noch nicht lange in Österreich befindlichen Asylwerbern keine besonderen Umstände darstellen, um ein Schubhaft abzudeckendes Sicherungsbedürfnis zu begründen. Auch habe der Beschwerdeführer zu seiner Identität und zu seinen Reisebewegungen stets richtige Angaben gemacht. Zur Unverhältnismäßigkeit der Schubhaft verweist die Beschwerde auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) vom 15.10.2015, Ro 2015/21/0026, in dem der VwGH festgestellt habe, dass Schubhaft in Folge einer längeren Strafhaft zu vermeiden sei und die Behörde schon während der Anhaltung in Strafhaft die Abschiebung durch Einholung eines Heimreisezertifikates vorzubereiten habe. Im vorliegenden Fall habe es nicht einmal der Einholung eines solchen bedurft, da der Beschwerdeführer im Besitz eines Reisepasses sei. Es hätte für die Behörde ein leichtes sein sollen, die Rückreise des Beschwerdeführers in sein Heimatland zu organisieren. Dieser Verpflichtung sei die Behörde aber nicht nachgekommen. Zudem gelte der Vorrang des gelinderen Mittels. Im Falle des Beschwerdeführers kämen gelindere Mittel in Betracht, nämlich eine periodische Meldepflicht oder eine Unterkunftnahme in bestimmten Räumlichkeiten. Der Bescheid enthalte zu dieser Frage nur wenige allgemein gehaltene Sätze; entsprechende Ausführungen oder Begründungen seien im Bescheid nicht zu finden. Auch durch die mangelnde Prüfung der gelinderen Mittel erweise sich die Schubhaft als unverhältnismäßig.

Beantragt wurde die Behebung des Bescheides samt Ausspruch, dass die Anordnung der Schubhaft und die bisherige Anhaltung in Schubhaft in rechtswidriger Weise erfolgte, der Ausspruch, dass die Voraussetzungen zur weiteren Anhaltung des Beschwerdeführers nicht vorliegen, die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zur Einvernahme des Beschwerdeführers, insbesondere zur Klärung seiner Kooperationsbereitschaft, zum Beweis des Nichtvorliegens eines Sicherungsbedarfs und zur Frage des Vorliegens der Voraussetzungen für die Anordnung eines gelinderen Mittels, und der gesetzmäßige Kostenersatz.

Die belangte Behörde legte am 13.07.2020 den Verwaltungsakt vor, gab eine Stellungnahme ab und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen und den Beschwerdeführer zum Ersatz näher genannter Kosten zu verpflichten. In der Stellungnahme führte die Behörde u.a. zur in der Beschwerde monierten Unverhältnismäßigkeit der Schubhaft aus, dass die Behörde eine Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme dem Beschwerdeführer am 05.02.2020 übermittelt habe, woraus klar hervorgehe, dass die Erlassung eines ordentlichen Schubhaftbescheides angedacht gewesen sei, jedoch sei der Beschwerdeführer „spontan am 08.07.2020 aus der Gerichtshaft entlassen“ worden. Aus diesem Grund sei die nun bekämpfte Schubhaft mittels Mandatsbescheid angeordnet worden.

Das Bundesverwaltungsgericht wies die Behörde mit Mitteilung vom 15.07.2020 darauf hin, dass das Vorbringen, der Beschwerdeführer sei am 08.07.2020 spontan aus der Gerichtshaft entlassen worden, für das Gericht angesichts der im Akt befindlichen Verständigung der Justizanstalt XXXX vom 24.03.2020 betreffend die voraussichtliche Entlassung des Beschwerdeführers am 08.07.2020 und einer weiteren im Akt befindlichen Verständigung des Landesgerichtes XXXX von der rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers vom 16.04.2020 nicht nachvollziehbar sei. Das BFA wurde aufgefordert, dazu eine Stellungnahme abzugeben. Zudem wurde die Behörde ersucht, den Verfahrensakt betreffend die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme elektronisch vorzulegen.

In ihrer Stellungnahme vom 15.7.2020 führte die Behörde aus, dass es zutreffend sei, dass sie seitens der Justizanstalt am 24.03.2020 von der voraussichtlichen Entlassung des Beschwerdeführers informiert worden war. Da in der Folge jedoch kein Urteil bei der Behörde eingelangt sei, habe man dieses am 30.06.2020 beim Landesgericht XXXX angefordert. Aufgrund dieser Urteilsanforderung sei (auch) bekannt geworden, dass eine Verständigung des Gerichts von der rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers zwar an die Landespolizeidirektion XXXX , nicht jedoch an das BFA erfolgt sei. Im Zuge der vor dem Hintergrund der Covid-19-Maßnahmen im Bundesgebiet angeordneten starken Personalreduktion dürfte – so die weitere Ausführung des BFA dazu in der Stellungnahme – die sofortige Weiterleitung des Urteils an das BFA unterblieben sein. Das Urteil sei folglich erst am 01.07.2020 in der Applikation „Integrierte Fremdenadministration“ des BFA hochgeladen worden. Zudem übermittelte das BFA elektronisch den Akt betreffend das Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und wies darauf hin, dass dieses Verfahren durch den zuständigen Referenten am selben Tag, also am 15.07.2020, finalisiert worden sei.

Mit Bescheid des BFA vom 15.07.2020, Zl. XXXX , zugestellt am selben Tag, wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde dem Beschwerdeführer nicht gewährt und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person:

1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Republik Nigeria und führt den im Spruch genannten Namen. Seine Identität steht fest. Er besitzt einen gültigen Reisepass der Republik Nigeria. Er ist nicht österreichischer Staatsbürger, sohin Fremder im Sinne des FPG.

1.2. Er ist weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter.

1.3. Der Beschwerdeführer verfügt nicht über einen Aufenthaltstitel in Österreich.

1.4. Der Beschwerdeführer verfügt über kein Aufenthaltsrecht in Italien. Er besaß eine Aufenthaltsberechtigung (Permesso di Soggiorno Nr. XXXX ), deren Gültigkeit ist mit 13.12.2019 abgelaufen.

1.5. Mit rechtskräftigem Urteil eines Landesgerichtes vom 17.03.2020 wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall, Abs. 2 Z 3 SMG, § 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten verurteilt, davon 6 Monate unbedingt. Dieser Verurteilung liegen folgende Taten zugrunde: Der Beschwerdeführer hat in XXXX vorschriftswidrig Suchtgift (Kokain, Heroin und Cannabiskraut) anderen in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge übersteigenden Menge (I.) überlassen, und zwar an 26 im Urteil namentlich angeführte Personen in jeweils näher genannten Zeiträumen (in einem Fall ab Februar 2018 bis Jänner 2020, in sieben Fällen in Zeiträumen, die in der ersten Jahreshälfte 2019 beginnen, überwiegend in ab der zweiten Jahreshälfte 2019 beginnenden Zeiträumen) und (II.) versucht zu überlassen, indem er am 08.01.2020 16,9 Gramm brutto Heroin und 9,2 Gramm brutto Kokain zum unmittelbaren Weiterverkauf bereithielt und bei sich führte.

Bei der Strafbemessung wertete das Gericht als erschwerend den längeren Tatzeitraum, als mildernd, das teilweise Geständnis, die Unbescholtenheit und dass es teilweise beim Versuch geblieben ist.

1.6. Der Beschwerdeführer leidet an keinen nennenswerten gesundheitlichen Einschränkungen.

Feststellungen zum Verfahrensgang:

2.1. Das BFA erließ am 09.01.2020 betreffend den in Gerichtsverwahrungshaft befindlichen Beschwerdeführer einen Festnahmeauftrag gemäß § 34 Abs. 1 Z 2 BFA-VG und eröffnete ein Verfahren zu Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme (VZ XXXX ).

2.2. Mit Schreiben vom 05.02.2020 verständigte die Behörde den Beschwerdeführer vom Ergebnis der Beweisaufnahme in der Angelegenheit „Erlassung einer Rückkehrentscheidung iVm Einreiseverbot, in eventu Erlassung eines ordentlichen Schubhaftbescheides gemäß § 76 FPG“.

2.3. Mit Schreiben vom 24.03.2020 informierte die Justizanstalt XXXX das BFA davon, dass der Beschwerdeführer in Strafhaft übernommen wurde. Mit einer weiteren Verständigung vom 24.03.2020 teilte die Justizanstalt – unter Bezugnahme auf das Urteil des Landesgerichts XXXX vom 17.03.2020 und Nennung des Strafausmaßes von sechs Monaten Freiheitsstrafe, des Strafantritts am 17.03.2020 und der Vorhaften vom 08.01.2020 bis 17.03.2020 – die voraussichtliche Entlassung des Beschwerdeführers am 08.07.2020 mit. Die beiden Verständigungen wurden von der Justizanstalt XXXX dem BFA mit einem E-Mail vom 24.03.2020 übermittelt.

Am 30.06.2020 forderte das BFA vom Landesgericht XXXX das den Beschwerdeführer betreffende Urteil vom 17.03.2020 an.

2.4. Der Beschwerdeführer wurde am 08.07.2020 aus der Strafhaft entlassen und aufgrund des Festnahmeauftrages des BFA festgenommen. Er wurde dem BFA vorgeführt und am selben Tag niederschriftlich einvernommen. Mit angefochtenem Mandatsbescheid vom 08.07.2020 wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

2.5. Der Beschwerdeführer wird seit dem 08.07.2020 in Schubhaft angehalten.

2.6. Das Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme wurde von der Behörde mit Bescheid vom 15.07.2020 abgeschlossen.

Zu den allgemeinen Voraussetzungen der Schubhaft:

3.1. Gegen den Beschwerdeführer wurde im Jänner 2020 ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eingeleitet. Im Zeitpunkt der Schubhaftverhängung war dieses Verfahren offen.

3.2. Nunmehr liegt mit Bescheid des BFA vom 15.07.2020, dem Beschwerdeführer zugestellt am selben Tag, eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem auf sieben Jahre befristeten Einreiseverbot gegen den Beschwerdeführer vor. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde dem Beschwerdeführer nicht gewährt und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt.

3.3. Die realistische Möglichkeit einer Überstellung des Beschwerdeführers innerhalb der höchstzulässigen Schubhaftdauer besteht zum Zeitpunkt dieser Entscheidung in hinreichendem Maße. Die Abschiebung des Beschwerdeführers innerhalb der höchstzulässigen Schubhaftdauer ist möglich.

3.4. Der Beschwerdeführer ist haftfähig.

Zum Sicherungsbedarf und zur familiären/sozialen/beruflichen Komponente:

4.1. Der Beschwerdeführer reiste nach eigenen Angaben (erst) im Dezember 2019 von Italien kommend ins Bundesgebiet ein. Fest steht, dass der Beschwerdeführer schon zuvor, zumindest für mehrere Monate in Österreich aufhältig gewesen ist. Der Beschwerdeführer finanzierte seinen Aufenthalt bzw. seine Aufenthalte in Österreich durch Verkauf von Suchtmitteln. Er war in Österreich bis zur seiner Festnahme am 08.01.2020 nie gemeldet.

4.2. Der Beschwerdeführer ist nicht vertrauenswürdig.

4.3. Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine Familienangehörigen.

Er ist nach seinen Angaben verheiratet und hat keine Kinder. Seine Frau lebt nach seinen Angaben in Nigeria.

Der Beschwerdeführer hat in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union keine Familienangehörigen.

4.4. Der Beschwerdeführer hat in Österreich keinen gesicherten Wohnsitz.

4.5. Der Beschwerdeführer ging in Österreich nie einer legalen Beschäftigung nach. Er verfügt über keine ausreichenden finanziellen Mittel zur Existenzsicherung. Er ist nicht selbsterhaltungsfähig.

4.6. Der Beschwerdeführer ist in Österreich nicht nennenswert sozial verankert. Er weist keine besonderen Integrationsmerkmale auf.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in die Verwaltungsakten des BFA zur Schubhaftverhängung (Zahl XXXX ) und zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme (Zahl XXXX ), in das Strafregister, in das zentrale Melderegister sowie in die Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung des Bundesministeriums für Inneres.

2.1. Zur Person:

Die Identität des Beschwerdeführers steht aufgrund des vorliegenden gültigen nigerianischen Reisepasses fest. Dass er nicht österreichischer Staatsbürger, nicht Asylberechtigter oder subsidiär Schutzberechtigter ist und in Österreich über keinen Aufenthaltstitel verfügt, gründet sich auf die Aktenlage; Gegenteiliges wurde auch nicht behauptet.

Dass der Beschwerdeführer über kein Aufenthaltsrecht (mehr) in Italien verfügt, ergibt sich ebenfalls aus den Verwaltungsakten. Der Beschwerdeführer gab in der Einvernahme am 08.07.2020 zwar an, er habe in Italien einen humanitären Aufenthaltstitel, was die Behörde zu einer entsprechenden Nachfrage beim Polizeikoordinationszentrum für Österreich, Italien und Slowenien am 08.07.2020 veranlasste. Aus der Anfragebeantwortung des Polizeikoordinationszentrums vom selben Tag, beim BFA per E-Mail um 12:08 Uhr und damit nach Beendigung der Einvernahme des Beschwerdeführers um 10:00 Uhr eingelangt, geht hervor, dass der Aufenthaltstitel am 13.12.2019 abgelaufen ist. Das BFA stellte im angefochtenen Schubhaftbescheid (Seite 7) entsprechend fest, dass der Beschwerdeführer über keinen gültigen italienischen Aufenthaltstitel verfügt und nicht mehr zum Aufenthalt in Italien berechtigt sei; der Aufenthaltstitel sei am 13.12.2019 abgelaufen.

Dieser Feststellung tritt die Beschwerde nicht substanziiert entgegen. Sie legt weder einen gültigen Aufenthaltstitel des Beschwerdeführers vor noch erstattet sie irgendein Vorbringen, welches die Richtigkeit der Anfragebeantwortung des Polizeikoordinationszentrums vom 08.07.2020 in Zweifel ziehen würde. Die Beschwerde übersieht vielmehr diese Feststellung der Behörde und stützt die Beschwerdeausführungen in weiten Teilen auf die Annahme, dass der Beschwerdeführer über einen gültigen italienischen Aufenthaltstitel verfügen würde. Wenn in der Beschwerde in diesem Zusammenhang ausgeführt wird, das Vorliegen eines gültigen italienischen Aufenthaltstitels sei „aus Sicht der Behörde unstrittig“ und hierzu auf den Bescheid Seite 4 verwiesen wird, so ist klarzustellen, dass sich dort nicht die von der Behörde getroffenen Feststellungen finden, sondern die Einvernahme des Beschwerdeführers am 08.07.2020 wiedergegeben wird. Wie ausgeführt wird auf Seite 7 im Bescheid die Feststellung getroffen, dass der Beschwerdeführer über keinen gültigen Aufenthaltstitel verfügt und wird diese Feststellung in der Folge der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt. Die Behauptung des Gegenteils, also die Behörde sei im Schubhaftbescheid von einem gültigen Aufenthaltstitel ausgegangen, ist unzutreffend und es wird damit die entsprechende Feststellung im Bescheid – wenn überhaupt – nur unsubstanziiert bestritten. Ebenso wie die belangte Behörde legt das Gericht daher dem Sachverhalt zu Grunde, dass der Beschwerdeführer sein Aufenthaltsrecht in Italien verloren hat, und stützt dies auf die Aktenlage.

Die Feststellungen zur strafrechtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem im Verwaltungsakt einliegenden Protokollsvermerk und der gekürzten Urteilsausfertigung des Landesgerichtes XXXX vom 17.03.2020.

Die Feststellung zum Gesundheitszustand stützt das Gericht auf die diesbezüglichen Aussagen des Beschwerdeführers in der Einvernahme am 08.07.2020. Der Beschwerdeführer gab an, gesund zu sein und keine Medikamente zu nehmen. Anhaltspunkte dafür, dass dies nicht der Fall ist, sind auch der Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung des Bundesministeriums für Inneres nicht zu entnehmen.

2.2. Feststellungen zum Verfahrensgang:

Die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus den Verwaltungsakten des BFA zur Schubhaftverhängung und zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme. Dass das BFA bereits am 24.03.2020 über die voraussichtliche Entlassung des Beschwerdeführers am 08.07.2020 informiert war, ergibt sich aus der diesbezüglichen Verständigung der Justizanstalt XXXX vom selben Tag. Das E-Mail vom 24.03.2020, mit dem die Verständigung dem BFA übermittelt wurde, befindet sich im Verwaltungsakt. Das BFA ist dem in der Stellungnahme vom 15.07.2020 auch nicht entgegengetreten.

Wenn die belangte Behörde in der erwähnten Stellungnahme darauf hinweist, dass das Urteil des Landesgerichts XXXX der Behörde nicht übermittelt worden ist, sondern erst angefordert werden musste, so ändert das nichts daran, dass die Behörde seit 24.03.2020 darüber Kenntnis hatte, dass der Beschwerdeführer am 08.07.2020 voraussichtlich entlassen werden würde. Davon, dass die Entlassung des Beschwerdeführers am 08.07.2020 für das BFA überraschend erfolgt sei, kann daher keine Rede sein.

2.3. Zu den allgemeinen Voraussetzungen der Schubhaft:

Die Feststellungen zum Fortgang des gegen den Beschwerdeführer geführten Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ergeben sich aus dem diesbezüglichen Verwaltungsakt des BFA.

Aufgrund der Covid-19-Pandemie kommt es zwar weiterhin zu Einschränkungen bzw. Verzögerungen im internationalen Flugverkehr. Die realistische Möglichkeit einer Überstellung des Beschwerdeführers nach Nigeria innerhalb der gesetzlichen Höchstdauer der Schubhaft besteht jedoch aus aktueller Sicht. Die schrittweise Rücknahme der Restriktionen in Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie ist bereits angelaufen. Anhaltspunkte, dass innerhalb der Höchstdauer der Schubhaft keine Abschiebung des Beschwerdeführers möglich wäre, sind nicht gegeben. Ferner ist festzuhalten, dass eine Abschiebung mittels Charterfluges nicht die Wiederaufnahme des Linienflugverkehrs voraussetzt.

Die bestehende Haftfähigkeit des Beschwerdeführers ergibt sich aus der Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung des Bundesministeriums für Inneres, aus der sich keine Anhaltspunkte für eine Haftuntauglichkeit ergeben haben. Gegenteiliges wurde auch in der Beschwerde nicht behauptet.

2.4. Zum Sicherungsbedarf und zur familiären/sozialen/beruflichen Komponente:

Der Beschwerdeführer gab in seiner Einvernahme am 08.07.2020, er sei im Dezember 2019 aus Italien nach XXXX gekommen, um einen Freund zu besuchen, er wollte drei Monate lang bleiben. Eine Einreise aus Italien im Dezember 2019 ist aus Sicht des Gerichts glaubhaft, korrespondiert sie doch mit entsprechenden Einreise- und Ausreisestempeln im Reisepass des Beschwerdeführers (Ausreise Nigeria 04.12.2019, Einreise XXXX 05.12.2019). Soweit der Beschwerdeführer aber vorbringt, er sei im Dezember 2019 erstmals nach Österreich gekommen und habe erst nach drei Wochen, als der von ihm mitgebrachte Geldbetrag aufgebraucht war, mit dem Verkauf von Drogen begonnen, beurteilt dies das Gericht als nicht glaubwürdig, steht es doch im krassen Widerspruch zur rechtskräftigen Verurteilung durch das Landesgericht XXXX vom 17.03.2020, mit dem er wegen des Verbrechens des versuchten und des vollendeten Suchtgifthandels verurteilt wurde, wobei die Zeiträume, in denen er laut Urteil Suchtgift an 26 näher genannte Abnehmer abgab, ganz überwiegend vor dem Dezember 2019 beginnen. Wenn der Beschwerdeführer dazu angibt, er habe ihm vorgeworfene Taten bei Gericht eingestanden, obwohl sie in Wahrheit nicht vorgelegen seien, so beurteilt das erkennende Gericht als bloße Schutzbehauptung. Wie die belangte Behörde gelangt das Gericht zur Feststellung, dass der Beschwerdeführer sich nicht erst ab Dezember 2019 in Österreich aufgehalten hat und seinen Aufenthalt mit Suchtgifthandel finanziert hat. Dass der Beschwerdeführer in Österreich nie behördlich gemeldet war, ergibt sich aus einem aktuellen Auszug aus dem Melderegister.

Dass der Beschwerdeführer nicht vertrauenswürdig ist, ergibt sich unzweifelhaft aus der zwar einzigen, dafür aber gravierenden strafrechtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers in Österreich. Der Beschwerdeführer hat das Verbrechen des Suchtgifthandels begangen. Er hat damit deutlich aufgezeigt, sich nicht an die Rechtsordnung halten zu wollen.

Die Feststellungen zur Familiensituation des Beschwerdeführers stützt das Gericht auf seine Angaben in der Einvernahme am 08.07.2020. Er gab an, keine Familienangehörigen in Österreich oder anderen Staaten der Europäischen Union zu haben, seine Frau lebe in Nigeria.

Dass der Beschwerdeführer keinen gesicherten Wohnsitz in Österreich hat, stützt das Gericht auf die Einvernahme am 08.07.2020, in der der Beschwerdeführer weder den Namen des Freundes, den er besuchte, noch eine Adresse angeben konnte oder wollte. Wenn in der Beschwerde dazu vorgebracht wird, der Beschwerdeführer könne bei seinem Freund in einer näher genannten Straße Unterkunft beziehen und der Beschwerdeführer habe aus der unbegründeten Angst, seinem Freund Schwierigkeiten zu machen, bei der Einvernahme vor dem BFA die konkrete Adresse nicht angeführt, so ist zu entgegnen, dass auch in der Beschwerde keine konkrete Adresse genannt wird, sondern bloß eine Straße in XXXX ohne Hausnummer und Wohnungsnummer und dass der Name des Freundes, bei dem er Unterkunft beziehen könnte, abermals nicht offen gelegt wird.

Hinweise darauf, dass der Beschwerdeführer in Österreich einer legalen Beschäftigung nachgegangen wäre, sind den Verwaltungsakten nicht zu entnehmen. Eine bisherige legale Beschäftigung wird auch in der Beschwerde nicht behauptet. Eine nachhaltige Existenzsicherung ist aufgrund der in der Anhaltedatei ausgewiesenen Geldreserven in der Höhe von € 466,96 nicht zu erblicken. Einer Selbsterhaltungsfähig steht entgegen, dass der Beschwerdeführer in Österreich mangels entsprechenden Aufenthaltstitels keiner legalen Erwerbstätigkeit nachgehen kann.

Eine nennenswerte soziale Verankerung in Österreich wurde vom Beschwerdeführer in der Einvernahme am 08.07.2020 nicht vorgebracht. Er verneinte die Frage nach nennenswerten Bindungen zum Bundesgebiet. Gegenteiliges wird auch in der Beschwerde nicht vorgetragen. Besondere Integrationsmerkmale sind in der Einvernahme am 08.07.2020 nicht hervorgekommen, auch dazu hat die Beschwerde nichts Gegenteiliges vorgebracht.

2.5. Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht mehr aufzunehmen:
Von einer Anberaumung einer mündlichen Verhandlung konnte im Hinblick auf die geklärte Sachlage Abstand genommen werden.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I – Schubhaftbescheid, Anhaltung in Schubhaft:

3.1.1. §§ 76 und 77 Fremdenpolizeigesetz (FPG), § 22a Abs. 4 Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - Verfahrensgesetz (BFA-VG) lauten auszugsweise:

Schubhaft (FPG)


„§ 76 (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1.         dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
2.         dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3.         die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen. 

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.         ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a.         ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.         ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.         ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.         ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.         ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.         ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.         ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.         ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebiets-beschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.         der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

Gelinderes Mittel (FPG)

§ 77 (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1.

(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,
1.         in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,
2.         sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder
2.         eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen;

(4) Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird

(5) Die Anwendung eines gelinderen Mittels steht der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

(6) Zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 hat sich der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

(7) Die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, kann der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

(8) Das gelindere Mittel ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(9) Die Landespolizeidirektionen können betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.

Zur Judikatur:

3.1.2. Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

„Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs. 1 FrPolG 2005 ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (Hinweis E 28.05.2008, 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich liegt eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde“ (VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, vgl. auch VwGH vom 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

„Je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt, umso weniger bedarf es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis wird dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt. Das wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere beim Vorliegen von gegen ein Untertauchen sprechenden Umständen, wie familiäre Bindungen oder Krankheit, angenommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22.05.2007, Zl. 006/21/0052, und daran anknüpfend das Erkenntnis vom 29.04.2008, Zl. 2008/21/0085; siehe auch die Erkenntnisse vom 28.02.2008, Zl. 2007/21/0512, und Zl. 2007/21/0391) und wird weiters auch regelmäßig bei Bestehen eines festen Wohnsitzes oder ausreichender beruflicher Bindungen zu unterstellen sein. Mit bestimmten gelinderen Mitteln wird man sich insbesondere dann auseinander zu setzen haben, wenn deren Anordnung vom Fremden konkret ins Treffen geführt wird“ (VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

Schubhaft darf stets nur "ultima ratio" sein (vgl. VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0054; VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, VwGH 24.02.2011, Zl. 2010/21/0502; VwGH 17.03.2009, Zl. 2007/21/0542; VwGH 30.08.2007, 2007/21/0043).

3.1.3. Der Beschwerdeführer besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft, er ist daher Fremder im Sinne des FPG. Er verfügt über kein Aufenthaltsrecht in Österreich. Ein Aufenthaltsrecht in Italien ist am 19.12.2019 abgelaufen. Zum Zeitpunkt der Verhängung der laufenden Schubhaft am 08.07.2020 war gegen den Beschwerdeführer ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung anhängig. Die Schubhaft wurde von der Behörde zur Sicherung des Verfahrens und zur Sicherung der Abschiebung erlassen. Nunmehr liegt gegen den Beschwerdeführer seit 15.07.2020 eine Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem auf sieben Jahre befristeten Einreiseverbot vor. Einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung wurde von der Behörde die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Voraussetzung für die Anordnung einer Schubhaft gemäß der von der Behörde herangezogenen Bestimmung des § 76 Abs. 2 Z 2 FPG sind Fluchtgefahr, die Verhältnismäßigkeit der Schubhaft und das Nichtvorliegen eines gelinderen Mittels gemäß § 77 FPG.

Fluchtgefahr/Sicherungsbedarf:

3.1.4. Die Behörde begründete die festgestellte Fluchtgefahr mit dem Aufenthalt des Beschwerdeführers im Verborgenen und damit, dass Anknüpfungspunkte im Sinne der Z 9 des § 76 Abs. 3 FPG im Falle des Beschwerdeführers durchwegs nicht gegeben sind. Die Behörde sah damit die Fluchtgrundtatbestände des § 76 Abs. 3 Z 1 und Z 9 FPG als erfüllt an.

Auch das Gericht sieht Fluchtgefahr im Sinne des § 76 Abs. 3 FPG, näherhin im Sinne der Z. 1 und 9 dieses Absatzes, für gegeben an.

Der Beschwerdeführer hielt sich durch mehrere Monate in Österreich auf, ohne gemeldet zu sein. Seinen Aufenthalt finanzierte er durch Suchtgifthandel. Er führte ein Leben im Verborgenen und hat sich bewusst einem etwaigen behördlichen Zugriff entzogen. Damit ist der Tatbestand der Z 1 des § 76 Abs. 3 FPG erfüllt, da er seine Rückkehr oder Abschiebung umging oder behinderte.

Dagegen, dass sich der Beschwerdeführer in Österreich im Verborgenen aufhielt, wird in der Beschwerde nichts vorgebracht.

Auch die Z 9 des § 76 Abs. 3 FPG ist erfüllt: Wie sich aus den Feststellungen ergibt, hat der Beschwerdeführer keinen gesicherten Wohnsitz in Österreich und es bestehen keine familiären und keine legalen beruflichen Anknüpfungspunkte. Eine nennenswerte soziale Verankerung hat das Verfahren nicht ergeben. Der Beschwerdeführer kann in Österreich keiner legalen Erwerbstätigkeit nachgehen und er verfügt nicht über ausreichende Existenzmittel. Bindungen in Österreich, die den Beschwerdeführer dazu veranlassen könnten, sich den Behörden zur Verfügung zu halten, sind nicht ersichtlich und werden solche auch in der Beschwerde nicht vorgebracht. Wie die Behörde sieht das Gericht daher die Z 9 des § 76 Abs. 3 als erfüllt an.

Wenn die Beschwerde dagegen Judikatur des VwGH ins Treffen führt, wonach die fehlende berufliche und soziale Verankerung bei noch nicht lange in Österreich befindlichen Asylwerbern keine besonderen Umstände darstellen, um Fluchtgefahr zu begründen, so ist darauf zu verweisen, dass der Beschwerdeführer kein Asylwerber ist. Auch gründete die Behörde die Erfüllung der Z 9 nicht auf das Vorliegen eines (einzelnen) „Anknüpfungspunktes“ dieser Bestimmung, sondern darauf, dass sämtliche „Anknüpfungspunkte“ durchwegs nicht gegeben sind. Es ist daher nicht zu erkennen, inwiefern das in der Beschwerde genannte Erkenntnis des VwGH vom 24.10.2007, 2006/21/0239, wonach weder eine illegale Einreise, noch das Fehlen beruflicher Integration oder einer Krankenversicherung noch der Mangel finanzieller Mittel „für sich genommen“ als Schubhaftgründe zu werten sind, der Bejahung der Fluchtgefahr im vorliegenden Fall entgegenstehen soll. Wenn die Beschwerde schließlich unter Hinweis auf das Erkenntnis des VwGH vom 30.08.2011, 2008/21/0498, der Behörde vorwirft, sie hätte bei der Beurteilung der Fluchtgefahr würdigen müssen, dass der Beschwerdeführer richtige Angaben zu seiner Identität und – wie die Beschwerde behauptet – zu seinen Reisebewegungen gemacht habe, genügt der Hinweis, dass das genannte Erkenntnis in einem anderen Zusammenhang ergangen ist, nämlich zur Schubhaft gegen einen Asylwerber mit Dublinbezug. Das Vorbringen der Beschwerde gegen das Vorliegen des Fluchtgrundtatbestandes der Z 9 geht daher ins Leere.

Die Behörde bejahte somit zu Recht, dass Fluchtgefahr gemäß den Kriterien der Z 1 und 9 des § 76 Abs. 3 FPG vorliegt.

Verhältnismäßigkeit:

3.1.5. Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes darf Schubhaft stets nur "ultima ratio" sein. Dem entspricht nicht nur die in § 80 Abs. 1 FPG ausdrücklich festgehaltene behördliche Verpflichtung, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauere, vielmehr ist daraus auch abzuleiten, dass die Behörde schon von vornherein angehalten ist, im Fall der beabsichtigten Abschiebung eines Fremden ihre Vorgangsweise nach Möglichkeit so einzurichten, dass Schubhaft überhaupt unterbleiben kann. Unterlässt sie das, so ist die Schubhaft unverhältnismäßig.

Demzufolge erweist sich die Verhängung von Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung im Anschluss an eine Strafhaft regelmäßig als unverhältnismäßig, wenn das BFA auch zum absehbaren Ende einer Strafhaft hin mit der versuchten Beschaffung eines Heimreisezertifikates untätig bleibt. (vgl. VwGH 15.10.2015, Ro 2015/21/0026).

Eine sich aus Umständen des Einzelfalles ergebende andere Sicht ist nach der Rechtsprechung des VwGH jedenfalls nachvollziehbar zu begründen gewesen (abermals VwGH 15.10.2015, Ro 2015/21/0026 mit Hinweis auf VwGH 19.05.2011, 2008/21/0527; 25.04.2014, 2013/21/0209 und 19.05.2015, Ro 2015/21/0008).

Im Fall, der der Entscheidung VwGH 15.10.2015, Ro 2015/21/0026, zugrunde lag, verhängte das BFA unmittelbar nach Entlassung eines Fremden aus einer dreimonatigen Strafhaft Schubhaft. Die Behörde erließ am selben Tag ein Aufenthaltsverbot und leitete ein Verfahren zur Ausstellung eines Heimreisezertifikates ein. Der VwGH behob das die Schubhaft bestätigende Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichs wegen Unverhältnismäßigkeit der Schubhaft und merkte an, es im Bescheid bzw. im Erkenntnis „keine Umstände ins Treffen geführt [worden], die es im vorliegenden Fall ausnahmsweise gestattet hätten, mit dem Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbots und den weiteren Schritten zur Organisation der Abschiebung erst nach dem Ende der Strafhaft zu beginnen“.

Im verfahrensgegenständlichen Fall besitzt der Beschwerdeführer einen Reisepass, weshalb sich gegenständlich die Beschaffung eines Heimreisezertifikates erübrigt. Die Behörde eröffnete zwar zu Beginn der Untersuchungs-/Strafhaft des Beschwerdeführers ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und übermittelte ihm mit Schreiben vom 05.02.2020 ein Parteiengehör. Von 24.03.2020 – an diesem Tag wurde die Behörde von der voraussichtlichen Entlassung des Beschwerdeführers am 08.07.2020 informiert – bis zur tatsächlichen Entlassung des Beschwerdeführers am 08.07.2020 aus der sechsmonatigen Strafhaft, sohin für mehr als drei Monate, blieb die Behörde, abgesehen von der Anforderung des Strafurteils am 30.06.2020, untätig. Die Behörde verhängte über den Beschwerdeführer am 08.07.2020 die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme (und zur Sicherung der Abschiebung). Umstände, die es im vorliegenden Fall ausnahmsweise gestattet hätten, das Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, welches durch die Strafhaft des Beschwerdeführers gesichert war, nicht weiter zu betreiben, werden im angefochtenen Schubhaftbescheid nicht angeführt. Derartige Umstände werden auch in der abgegebenen Stellungnahme des BFA nicht angegeben.

Da das BFA seiner Verpflichtung, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert, nicht entsprochen hat, erweist sich die mit dem angefochtenen Bescheid angeordnete Schubhaft als unverhältnismäßig.

Es war daher der Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG stattzugeben.

War der Schubhaftbescheid rechtswidrig, so muss das auch für die auf den Schubhaftbescheid gestützte Anhaltung gelten (VwGH 11.06.2013, 2012/21/0114). Die auf den Schubhaftbescheid gestützte Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft seit 08.07.2020 ist daher rechtswidrig.

3.2. Zu Spruchpunkt II. – Vorliegen der Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft:

Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht, sofern die Anhaltung noch andauert, jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen. Der Beschwerdeführer befindet sich Zeitpunkt der Entscheidung in Schubhaft, es ist daher eine Entscheidung über die Fortsetzung der Schubhaft zu treffen.

Im Rahmen der Beurteilung des Fortsetzungsausspruches nach § 22a Abs. 3 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht die Zulässigkeit der Fortsetzung der Schubhaft nach allen Richtungen zu prüfen. Diese Prüfung hat unabhängig von der Frage der Rechtmäßigkeit der bisherigen Schubhaft zu erfolgen (vgl. VwGH 19.3.2013, 2011/21/0246) und ermächtigt das Verwaltungsgericht auf Basis der aktuellen Sach- und Rechtslage in der Sache zu entscheiden und damit gegebenenfalls einen neuen Schubhafttitel zu schaffen (vgl. VwGH 5.10.2017, Ro 2017/21/0007).

Wie sich oben aus Pkt. 3.1.4. ergibt, hat das BFA zu Recht Fluchtgefahr festgestellt. Diese Fluchtgefahr ist nach wir vor gegeben, gegenwärtig ist durch das Vorliegen einer durchsetzbaren Rückkehrentscheidung auch § 76 Abs. 3 Z 3 FPG erste Alternative erfüllt.

Der Schubhaftbescheid war wegen Unverhältnismäßigkeit der Schubhaft, die zu Sicherung eines Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme angeordnet wurde, in dem die belangte Behörde während der letzten drei Monate der Strafhaft des Beschwerdeführers untätig geblieben ist bzw. keine Umstände ins Treffen führte, die ein Zuwarten in diesem Verfahren ausnahmsweise gestattet hätte, zu beheben. Zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung ist das Verfahren in erster Instanz abgeschlossen und es liegt seit 15.07.2020 eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung vor. Eine Schubhaft dient nunmehr der Sicherung der Abschiebung. In dieser besonderen Konstellation schlägt nach dem Dafürhalten des erkennenden Richters die Unverhältnismäßigkeit der Schubhaftverhängung nicht auf den Fortsetzungsausspruch durch.

Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist gemäß § 76 Abs. 2a FPG ein allfälliges strafrechtliches Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen. Der Beschwerdeführer ist wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels verurteilt, weshalb ein hohes staatliches Interesse an der Sicherstellung seiner Abschiebung zu bejahen ist.

Betrachtet man die Interessen des Beschwerdeführers an den Rechten seiner persönlichen Freiheit in Bezug auf seine familiären bzw. sozialen Verhältnisse im Inland zeigt sich, dass der Beschwerdeführer keine familiären Bindungen und keine beruflichen und sozialen Kontakte vorweisen konnte, die geeignet wären, im Rahmen der Abwägung die Entscheidung zu Gunsten seiner Freilassung zu beeinflussen. Wie festgestellt, ist auch davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer gesund ist.

Die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und eines geordneten Fremdenwesens überwiegen daher im vorliegenden Fall die Interessen des Beschwerdeführers an der Abstandnahme von der Anordnung der Schubhaft.

Durch die derzeitige Covid-19-Pandemie kommt es auch weiterhin zu Einschränkungen im internationalen Flugverkehr. Gleichzeitig treten hier nun systematisch Lockerungen ein. Die realistische Möglichkeit der Überstellung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat (innerhalb der gesetzlichen Höchstdauer für die Anhaltung in Schubhaft) besteht damit aus aktueller Sicht.

Aufgrund der mit der massiven Straffälligkeit einhergehenden fehlenden Vertrauenswürdigkeit des Beschwerdeführers ergibt sich auch, dass im gegenständlichen Fall die Anwendung eines gelinderen Mittels nicht ausreichend ist, um den Sicherungsbedarf zu decken.

Damit liegt auch die geforderte „ultima-ratio-Situation“ für die Fortsetzung der Schubhaft vor und erweist sich diese im gegenwärtigen Zeitpunkt auch als verhältnismäßig.

Es war daher spruchgemäß festzustellen, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

3.3. Zu Spruchpunkt III. und IV. – Kostenbegehren

Beide Parteien begehrten den Ersatz ihrer Aufwendungen entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen.

Da der Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid und die andauernde Anhaltung in Schubhaft einerseits stattgegeben wurde, der Schubhaftbescheid behoben und die Anhaltung seit 08.07.2020 für rechtswidrig erklärt wurde, jedoch andererseits das Vorliegen der Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft festgestellt wurde, obsiegte keine Partei vollständig, sodass beide Anträge abzuweisen waren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 35 VwGVG und auf der dazu ergangenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wonach aufgrund der zu § 79a AVG ergangenen Rechtsprechung zum Kostenersatz im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, bei einem bloß teilweisen Obsiegen hinsichtlich von mehreren als Einheit zu wertenden Amtshandlungen ein Kostenersatz nicht stattfindet. Die Frage nach der Übertragung dieser Rechtsprechung auf § 35 VwGVG wurde vom VwGH bejahet, weil § 79a AVG dem § 35 VwGVG entspricht (VwGH 04.05.2015, Ra 2015/02/0070, zuletzt VwGH 19.09.2019, Ra 2019/21/0169).

3.4. Im vorliegenden Fall konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben, da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt war und Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die für die gegenständliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen. Der in der Beschwerde vorgebrachten Kooperationsbereitschaft des Beschwerdeführers, dem Nichtvorliegen eines Sicherungsbedarfes und der Voraussetzung für die Anordnung eines gelinderen Mittels steht das unstrittige Verhalten des Beschwerdeführers gegenüber, nämlich seine massive Straffälligkeit und die nicht erfolgte behördliche Meldung während seines Aufenthalts in Österreich. In der Beschwerde finden sich auch keine substanziellen Hinweise auf einen sonstigen möglicherweise unvollständig ermittelten entscheidungswesentlichen Sachverhalt. Es war daher von einer mündlichen Verhandlung abzusehen.

Zu Spruchpunkt B. – Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Wie zu Spruchpunkt I. und II. ausgeführt sind keine Auslegungsfragen hinsichtlich der anzuwendenden Normen hervorgekommen. Die Revision war daher in Bezug auf beide Spruchpunkte nicht zuzulassen. Im Hinblick auf die eindeutige Rechtslage in den übrigen Spruchpunkten war die Revision gleichfalls nicht zuzulassen.

Schlagworte

Dauer Einreiseverbot Entlassung Fluchtgefahr Fortsetzung der Schubhaft Kenntnis öffentliche Interessen Rechtswidrigkeit Rückkehrentscheidung Schubhaft Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Teilstattgebung Untätigkeit Untertauchen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W180.2232954.1.00
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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