TE Vwgh Erkenntnis 1997/11/6 97/20/0307

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Veröffentlicht am 06.11.1997
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

ABGB §1294;
ABGB §1297;
AsylG 1991 §1 Z1;
AVG §71 Abs1 Z1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §46 Abs1;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 97/20/0308

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über 1. den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (protokolliert zu hg. Zl. 97/20/0307) und 2. die Beschwerde des S in Wien, vertreten durch Dr. Hans Lesigang, Rechtsanwalt in Wien I, Wollzeile 36, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 7. März 1997, Zl. 4.351.079/3-III/13/97, betreffend Asylgewährung (protokolliert zu hg. Zl. 97/20/0308) beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

I. Dem Beschwerdeführer wird gemäß § 46 VwGG die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen Versäumung der Beschwerdefrist bewilligt.

II. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I. Zur Wiedereinsetzung:

Den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründet der Beschwerdeführer im wesentlichen damit, der Bestellungsbeschluß der Rechtsanwaltskammer Wien sowie der anzufechtende Bescheid der belangten Behörde sei dem Verfahrenshelfer Rechtsanwalt Dr. Hans Lesigang am 7. April 1997 zugestellt worden. Bei Eintragung in den Fristenvormerk sei diesem aus im Antrag näher dargelegten Gründen ein Fehler unterlaufen. Dem Antrag waren Ablichtungen des Fristenvormerkkalenders, einer eidesstattliche Erklärung des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers sowie zwei Aktenvermerke angeschlossen.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG kann einer Partei über ihren Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen Versäumung der Beschwerdefrist bewilligt werden, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Der Verwaltungsgerichtshof sieht keine Veranlassung, die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Gründe ihrem Inhalte nach anzuzweifeln. Geht man aber von der Darstellung des Beschwerdeführers aus, daß die unrichtige Eintragung in den Fristenvormerk durch seinen Rechtsvertreter persönlich erfolgt war und ihre Ursache in der glaubhaft gemachten Überlastung im Zusammenhalt mit schwersten persönlichen privaten Problemen des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers hatte, ist zwar nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes die Versäumung der Frist auf ein Verschulden des Rechtsvertreters der Partei - und damit dieser zurechenbar - zurückzuführen, das aber im Hinblick auf die Besonderheiten des vorliegenden Falles den Umfang eines minderen Grad des Versehens nicht überschritt. Aus diesen Gründen war gemäß § 46 VwGG die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen Versäumung der Beschwerdefrist im Sinne des § 26 VwGG zu bewilligen.

II. Zur Frage der Asylgewährung:

Anläßlich seiner am 7. Jänner 1997 vor dem Bundesasylamt erfolgten niederschriftliche Befragung gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen an, er habe bis zu seinem 6. Lebensjahr in Herat gelebt, danach sei er nach Kabul übersiedelt. Am 7. November 1989 sei er gemeinsam mit seiner Familie nach Indien gereist. Zwei Schwestern lebten in den USA, drei Brüder in Kanada und ein Bruder in Indien. Er habe keiner politischen Partei angehört und sei auch nicht politisch tätig gewesen. Im Jahre 1989 seien zur Zeit Najibullahs junge Burschen direkt aus der Schule geholt und als Soldaten an die Front geschickt worden. Die meisten seien dann auch getötet worden. Außerdem habe es ständige Raketenangriffe auf Kabul gegeben. Die Regierung habe die Mujaheddin beschuldigt und umgekehrt. Die Lage habe sich zusehends verschlechtert. Auch in der Schule sei es schlecht gegangen. Die Lehrer hätten in den Krieg ziehen müssen, die weiblichen Lehrpersonen seien nicht um die Schüler bemüht gewesen. Aus diesen Gründen habe sich seine Familie entschlossen, nach Indien zu ziehen und von dort vielleicht nach Kanada zu seinen Brüdern. Während seines Aufenthaltes in Afghanistan habe er Probleme mit den dortigen Behörden nicht gehabt. Er habe sich vom 7. November 1989 bis zum 20. Dezember 1996 in Indien aufgehalten. Indien habe er verlassen, weil die Polizei kein gutes Verhältnis zu Flüchtlingen aus Afghanistan gehabt habe. Das Leben in Indien sei auch sehr teuer gewesen. Er habe keine Chance gehabt, dort die Schule zu besuchen. Es hätte daher in Indien für ihn keine Zukunft gegeben. Auch in Indien habe er während seines dortigen Aufenthaltes keine Probleme mit den dortigen Behörden gehabt. Er sei am 20. Dezember 1996 von Bombay direkt nach Teheran geflogen. Er sei nicht vorbestraft, weder in Afghanistan noch in Indien. Er sei Schiite. Es gäbe große Konflikte zwischen den Schiiten und den Taliban. Im Falle der Rückkehr nach Afghanistan befürchte er, von den Taliban festgenommen und an die Front geschickt zu werden, um dort gegen die Mujaheddin zu kämpfen. Sollte er dies ablehnen, würden die Taliban ihn umbringen.

Mit Bescheid vom 31. Januar 1997 wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers, ihm Asyl zu gewähren, ab. Voraussetzung für die Gewährung von Asyl sei, daß den vom Asylwerber vorgebrachten Argumenten entnommen werden könne, er müsse konkrete, individuell gegen ihn selbst gerichtete staatliche Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes oder die Gefahr einer solchen Verfolgung befürchten. Die Bürgerkriegssituation im Heimatstaat indiziere für sich allein nicht die Flüchtlingseigenschaft. Das Asylrecht habe nicht die Aufgabe, vor allgemeinen Unglücksfolgen zu bewahren, die aus Krieg, Bürgerkrieg, Revolution und sonstigen Unruhen hervorgingen. Auch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen oder religiösen Minderheit allein ergebe als solche noch keinen Grund für die Gewährung von Asyl. Nach seinen eigenen Angaben habe der Beschwerdeführer während seines Aufenthaltes in Afghanistan keinerlei Probleme mit den dortigen Behörden gehabt. Es würde auch nicht nach ihm gefahndet. Eine aktuelle Verfolgungsgefahr könne schon aus dem Grunde nicht glaubhaft sein, weil sich der Beschwerdeführer bereits seit November 1989 außerhalb seines Heimatlandes befinde. Im übrigen nahm die Behörde erster Instanz den Asylausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 als gegeben an, da der Beschwerdeführer vor Einreise in das Bundesgebiet bereits in Iran vor Verfolgung sicher gewesen sei.

In seiner gegen diesen Bescheid gerichteten Berufung brachte der Beschwerdeführer ergänzend vor, er sei in Indien vor einer Abschiebung nach Afghanistan nicht sicher gewesen, weil er dort keinen gesicherten Rechtsstatus innegehabt habe und sohin eine gesicherte Lebensplanung nicht möglich gewesen sei. Er sei von den dortigen Behörden unterdrückt worden, weshalb er Indien verlassen habe. Zu der von der Behörde erster Instanz angenommenen Verfolgungssicherheit führte er aus, auch im Iran sei er nicht sicher gewesen, da es dort kein Asylverfahren gebe, das mit westlichem Standard verglichen hätte werden können. Allein die Mitgliedschaft des Iran bei der Genfer Flüchtlingskonvention heiße noch nicht, daß es dort ein faires Asylverfahren gebe.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Nach Darstellung des Verfahrensganges und der von ihr in Anwendung erbrachten Rechtslage sowie ausgehend von den Ermittlungsergebnissen des Verfahrens erster Instanz im Sinne des § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 - einen der Fälle des § 20 Abs. 2 leg. cit. erachtete die belangte Behörde nicht als vorliegend - führte sie begründend aus, die vom Beschwerdeführer relevierte Befürchtung, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan von den Taliban festgenommen und in einen Kampf gegen die Mujaheddin geschickt zu werden, sei durch die Bürgerkriegssituation in seiner Heimat bedingt. Von einer derartigen Beeinträchtigung bedroht bzw. betroffen sei die gesamte männliche Bevölkerung im entsprechenden Alter in gleichem Maße, weshalb eine solche möglicherweise bestehende Bedrohung keine individuell gegen ihn gerichtete Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes darstelle. Auch der bloße, nicht näher konkretisierte Verweis auf Konflikte zwischen Schiiten, denen der Beschwerdeführer angehöre, und den Taliban, vermöchte keine Anhaltspunkte für eine ihm drohende Verfolgungsgefahr aus Konventionsgründen zu ergeben.

Auf den Asylausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 ging die belangte Behörde nicht mehr ein.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften macht der Beschwerdeführer im wesentlichen geltend, der dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegende Sachverhalt sei unvollständig festgestellt worden. Die Behörde habe lediglich seine Staatsangehörigkeit und sein Einreisedatum festgestellt und ansonsten - mit Ausnahme der Feststellungen über die allgemeine politische Situation in Afghanistan - die Feststellungen der Behörde erster Instanz übernommen. Sie habe nicht festgestellt, daß der Beschwerdeführer Flüchtling sei. In Hinblick darauf, daß am 22. Juni 1990 seinem Vater von den Vereinten Nationen, UNHCR in New Delhi, Indien, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden sei, somit auch seiner Mutter und ihm selbst, sei es nicht möglich, daß die Behörde ohne ausreichendes Verfahren und ohne Begründung lapidar das Gegenteil feststelle. Daher liege Mangelhaftigkeit vor. Unter einem legte der Beschwerdeführer der Beschwerde auch die Kopien der Zertifikate seiner Eltern über die Feststellung als Mandatsflüchtlinge durch den UNHCR New Delhi bei. Unter dem Gesichtspunkt einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung (einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit) des angefochtenen Bescheides bekämpft der Beschwerdeführer die Ansicht der belangten Behörde, die Befürchtung im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan von den Taliban festgenommen und in einen Kampf gegen die Mujaheddin geschickt zu werden, sei eine die gesamte männliche Bevölkerung entsprechende altersbedingte Beeinträchtigung, nicht jedoch eine individuelle gegen den Beschwerdeführer selbst gerichtete Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes. Diese Ansicht sei "fast sarkastisch". Es sei insbesondere nicht nachvollziehbar, warum ihm keine Flüchtlingseigenschaft zukommen solle, wenn auch viele andere von derselben Gefahr bedroht seien. In Afghanistan seien eben alle Schiiten aufgrund ihrer religiösen und ethnischen Zugehörigkeit bedroht, so werde er auch deswegen verfolgt. Wegen eben dieser Bedrohung seien auch seine Eltern geflüchtet, und es sei ihnen von den Vereinten Nationen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden. Der Umstand, daß tausend Gleichgesinnte auch verfolgt würden, könne nicht bedeuten, daß keine individuell gegen ihn gerichtete Verfolgung vorliege. Im übrigen bestreitet der Beschwerdeführer die - von der belangten Behörde gar nicht mehr zur Bescheidbegründung herangezogene - Annahme der Verfolgungssicherheit des Beschwerdeführers im Iran.

Bei seinen Ausführungen unter beiden genannten Gesichtspunkten übersieht der Beschwerdeführer die Bestimmung des § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991, wonach die Berufungsbehörde (der Bundesminister für Inneres) ihrer Entscheidung in der Sache selbst die Ermittlungsergebnisse des Verfahrens erster Instanz zugrundezulegen hat und eine Ergänzung oder Wiederholung des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens nur unter den Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 leg. cit. geboten gewesen wäre. Weder der Berufung noch den Verwaltungsakten lassen sich aber Hinweise dafür entnehmen, daß die Behörde erster Instanz ihrer Ermittlungspflicht im Sinne des § 16 Asylgesetz 1991 nicht ausreichend Rechnung getragen hat, zumal auch der Beschwerdeführer in seiner Berufung keine über die erstinstanzlichen Feststellungen hinausgehenden wesentlichen Umstände dargetan hat. Ausgehend von den Ermittlungsergebnissen des Verfahrens erster Instanz kann aber in der rechtlichen Beurteilung der Behörden, die lediglich abstrakten Hinweise auf die im Heimatland des Beschwerdeführers nach wie vor aufrecht bestehende Konfliktsituation zwischen ethnischen bzw. religiösen Minderheiten allein ließen keine Schlußfolgerung auf seine Flüchtlingseigenschaft zu, kein Rechtsirrtum erkannt werden. Insbesondere bedeutet der - möglicherweise gedanklich verkürzte - Hinweis auf die allgemeine Bürgerkriegssituation und die allen jungen Männern im Alter des Beschwerdeführers drohende Involvierung in die Bürgerkriegshandlungen keineswegs, daß damit allein die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ausgeschlossen sei. Der Beschwerdeführer übersieht vielmehr, daß es - unabhängig davon, wieviele andere Personen von derselben Verfolgungsgefahr bedroht werden - dafür, ob eine Person Flüchtling im Sinne des AsylG 1991 ist, immer auf den Einzelfall ankommt, das heißt auf eine (zusätzlich zu den allgemeinen politischen oder sozialen Gegebenheiten) den Asylwerber selbst betreffende individuell gegen diesen gerichtete konkrete und aktuelle Verfolgungsgefahr. Gerade eine derartige auf seine Person selbst Bezug nehmende Konkretisierung einer Verfolgungsgefahr lassen aber die erstinstanzlichen Angaben des Beschwerdeführers vermissen.

Abgesehen davon, daß das erstmals in der Beschwerde vorgebrachte Argument, die Eltern des Beschwerdeführers seien bereits in Indien als Mandatsflüchtlinge anerkannt worden, der belangten Behörde gar nicht bekannt bzw. vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren nicht geltend gemacht worden war, sie diesen Umstand daher auch nicht berücksichtigen konnte, vermag es auch der Verwaltungsgerichtshof in Hinblick auf das aus § 41 VwGG abgeleitete Neuerungsverbot nicht, sich damit inhaltlich auseinanderzusetzen.

Insgesamt erweist sich daher die Beschwerde inhaltlich als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1997200307.X00

Im RIS seit

03.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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