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90 Straßenverkehrsrecht, KraftfahrrechtNorm
B-VG Art18 Abs2Leitsatz
Keine gesetzwidrige Erlassung einer Halte- und ParkverbotsV für die Durchführung von Bauarbeiten; ausreichende Wahrung des Anhörungsrechts der gesetzlichen Interessenvertretungen durch eine allgemein gehaltene, auch an die Rechtsanwaltskammer ergangene Einladung zur AnhörungSpruch
Die Anträge werden abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.1. Beim Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark sind Berufungsverfahren gegen Bescheide anhängig, mit denen der Berufungswerber bestraft wurde, weil er jeweils seinen PKW in dem durch Verordnung des Grazer Stadtsenates vom 19. Juli 1993, Z A10/1-Fa 1-467/1993, im Bereich der Neutorgasse im Abschnitt vom Andreas-Hofer-Platz bis zur Murgasse eingerichteten Halte- und Parkverbot (im folgenden: Halte- und Parkverbot), abgestellt hat. Aus Anlaß dieser Verfahren begehrt der unabhängige Verwaltungssenat in den zu V69/95, V71-74/95 und V125/95 protokollierten Anträgen gemäß Art139 B-VG in Verbindung mit Art129 a Abs3 und Art89 Abs2 B-VG, "die Verordnung des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz vom 19.07.1993, GZ.: A10/FA-1-467/1993, ... aufzuheben, und auszusprechen, daß die Rechtsvorschrift gesetzwidrig war".
1.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark erblickt die Gesetzwidrigkeit des Halte- und Parkverbots in der mangelnden Anhörung der gemäß §94 f Abs1 litb StVO 1960 zu hörenden gesetzlichen Interessenvertretungen jener Berufsgruppen, deren Interessen durch die betreffende Verordnung berührt wurden. Das Halte- und Parkverbot sei im Zusammenhang mit der Durchführung von Arbeiten auf und neben der Straße erlassen worden. Auf Grund dieses Ansuchens fand eine "Begehung dieses Straßenstückes durch das Straßen- und Brückenbauamt" statt. Laut Gedächtnisniederschrift vom 16. Juli 1993 seien an dieser "Begehung lediglich Vertreter des Straßen- und Brückenbauamtes, der BPD Graz, des Gaswerkes, der Grazer Stadtwerke AG, der Fernwärme, der Firma S und des Gartenbauamtes anwesend" gewesen. Das Ermittlungsverfahren und insbesondere die Einsichtnahme in den Verordnungsakt hätten ergeben, daß die Verordnung "ohne Anhörung der Interessenvertretung, der Rechtsanwaltskammer Steiermark," erlassen worden sei, obwohl Aufgrabungsarbeiten im Zusammenhang mit Sanierungsarbeiten längerfristig geplant würden und daher der Ausnahmefall "Gefahr im Verzug" nicht vorliege.
§94 f Abs1 StVO 1960 normiere ein "rein formales Anhörungsrecht", welches bei jedwelcher möglichen Berührtheit in den jeweiligen Interessenlagen zu wahren sei. Ohne weitere Begründung meint der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark, daß "gerade Interessen der Rechtsanwaltskammer ... von dieser Verordnung ... berührt" werden.
2. Der Stadtsenat der Landeshauptstadt Graz hat unter Vorlage der Verordnungsakten Äußerungen zu diesen Verfahren erstattet, in denen er die Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Verordnung verteidigt.
Im Straßen- und Brückenbauamt würden im Jahr mehrere tausend Verordnungen (zB 1994: ca. 5.200) auf Grund von verschiedensten Baumaßnahmen auf öffentlichem Gut im Stadtgebiet von Graz erlassen. Diese Maßnahmen würden jeweils Dienstag und Freitag in der Zeit von ca. 8.30 Uhr bis 9.30 Uhr im Straßen- und Brückenbauamt straßenrechtlich verhandelt, wobei in der Bauhauptsaison bis zu 80 Anträge pro Verhandlungstag von den Baufirmen eingebracht würden. Bei umfangreicheren Verkehrsmaßnahmen werde bei Antragstellung ein Verhandlungstermin an Ort und Stelle vereinbart. Teilweise komme es auch bei den Verhandlungen zur Vereinbarung eines Ortsaugenscheines, um zu gewährleisten, daß durch die bauausführende Firma die verordneten Verkehrsmaßnahmen richtig umgesetzt würden.
Da vom Straßen- und Brückenbauamt bei 5.200 Verkehrsmaßnahmen im Jahre 1994 nicht abgeschätzt werden könne, durch welche Maßnahme welches Kammermitglied betroffen sein könnte, sei am 3. Juli 1992 ein Schreiben an sämtliche Interessenvertretungen ergangen, mit der Aufforderung, einen Vertreter zu den Verhandlungsterminen des Straßen- und Brückenbauamtes zu entsenden.
In der Regel könnten die Baufirmen ein paar Tage nach Antragstellung mit den notwendigen Arbeiten auf dem öffentlichen Gut beginnen. Da die erforderlichen Verkehrsmaßnahmen vor Antragstellung nicht bekannt seien, würde bei Zusenden der Verordnungsentwürfe an die einzelnen Interessenvertretungen eine Verzögerung des Baubeginns von drei bis vier Wochen eintreten. Inwieweit die Bauwirtschaft sich auf eine derartig starre Vorgangsweise einstellen kann, könne vom Straßen- und Brückenbauamt nicht beurteilt werden. Viele Arbeiten würden auch relativ kurzfristig notwendig, da Behinderungen im öffentlichen Straßenraum soweit als möglich koordiniert werden müßten bzw. die Bauwirtschaft, da sie im Freien arbeite, auch von der Witterung abhängig sei.
Da bei jeder Verkehrsbeschränkung für Arbeiten auf bzw. neben der Straße gemäß §43 Abs1 a StVO 1960 durch die angeordneten Verkehrsbeschränkungen die Interessen von Mitgliedern aller möglichen Berufsgruppen berührt sein könnten, müßte in jedem Fall zunächst geprüft werden, welche Berufsgruppen überhaupt in Frage kommen. Bei ca. 5.200 zu erlassenden Verordnungen im Jahr würde das einen ungeheuren Verwaltungsaufwand mit sich bringen. Die vom Stadtsenat der Landeshauptstadt Graz gewählte Vorgangsweise, allen Interessenvertretungen durch Teilnahme an den jeweiligen "Verhandlungsterminen" für die jeweils zu erlassenden Verordnungen die Möglichkeit einzuräumen, die Interessen der von ihnen vertretenen Berufsgruppen geltend zu machen, sei ein gesetzeskonformer Weg, der dem Formerfordernis des §94 f StVO 1960 entspreche.
Nach Auffassung des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz diene die Anhörungsverpflichtung dazu, der verordnungserlassenden Behörde die Gelegenheit zu geben, bei "manifester und schwerwiegender Berührung von Interessen" einer oder mehrerer Berufsgruppen abzuwägen, ob dieses berufsgruppenbedingte Interesse so gewichtig ist, daß es das öffentliche Interesse an der zu treffenden Verkehrsmaßnahme bedeutend überwiegt und daher allenfalls von einer Verordnungserlassung Abstand zu nehmen ist. Bei Verordnungen zwecks Durchführung von Arbeiten auf und neben der Straße sei die "Lösung eines Interessenkonfliktes zugunsten einer Berufsgruppe nahezu undenkbar: Auch wenn die mit einer Verordnung für Arbeiten auf oder neben der Straße verbundenen Verkehrsbeschränkungen, Verkehrsverbote und/oder -gebote es mehreren Mitgliedern einer Berufsgruppe unmöglich machen würden, ihr Kraftfahrzeug im Gebiet der Verordnung abzustellen bzw bestimmte Teile der Fahrbahn zu benützen, würde dieses 'verletzte Interesse' der Mitglieder der Berufsgruppe niemals schwerer wiegen, als das öffentliche Interesse, die zur Verwirklichung geplanter Arbeiten auf oder neben der Straße unbedingt erforderlichen Verkehrsmaßnahmen zu treffen, weil - was einen schon die allgemeine Lebenserfahrung lehrt - Arbeiten auf und neben der Straße ohne diesbezügliche Verkehrsmaßnahmen schlechthin unmöglich sind."
Der Stadtsenat der Landeshauptstadt Graz beantragt daher die Abweisung der Verordnungsprüfungsanträge.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Der Stadtsenat der Landeshauptstadt Graz hat mit Verordnung vom 19. Juli 1993, Z A10/1-Fa 1-467/1993, im Bereich der Neutorgasse im Abschnitt vom Andreas-Hofer-Platz bis zur Murgasse ein Halte- und Parkverbot verordnet. In der Verordnung selbst wurde der zeitliche Geltungsbereich für das gegenständliche Halte- und Parkverbot für den Zeitraum vom 19. Juli 1993 bis 13. September 1993 festgelegt.
2. Es ist offenkundig, daß der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark bei seinen Entscheidungen über die bei ihm anhängigen Berufungen gegen Straferkenntnisse der Bundespolizeidirektion betreffend Verwaltungsübertretungen vom 2. August 1993, 7. August 1993, 11. August 1993, 30. Juli 1993, 9. August 1993 und 13. August 1993 die Verordnung des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz vom 19. Juli 1993, Z A10/1-Fa 1-467/1993, deren Übertretung Voraussetzung für die Bestrafung des Berufungswerbers ist, anzuwenden hat. Die Verordnungsprüfungsverfahren sind gemäß Art139 Abs1 B-VG und Art129 a Abs3 iVm. Art89 Abs2 und 3 B-VG zulässig.
3. Gemäß §94 f Abs1 litb Z2 StVO 1960 ist (außer bei Gefahr im Verzuge) vor Erlassung einer straßenpolizeilichen Verordnung die gesetzliche Interessenvertretung einer Berufsgruppe anzuhören, "wenn Interessen von Mitgliedern einer Berufsgruppe berührt werden" (VfSlg. 5784/1968, 7781/1976, 8086/1977, 9818/1983, 10965/1986, 11581/1987, 11920/1988; VfGH 17.6.1994, V65/94; VfGH 3.3.1995, V150/94 ua.). Wird diese Anhörungspflicht verletzt, haftet der Verordnung ein formaler Mangel an.
4. Die vom Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark angefochtene Halte- und Parkverbotsverordnung stützt sich auf §43 Abs1 a StVO 1960 idF der 15. StVO-Novelle, BGBl. 86/1989. Danach hat die Behörde zur Durchführung von Arbeiten auf oder neben einer Straße, die zwar vorhersehbar sind und entsprechend geplant werden können, bei denen aber die für die Arbeitsdurchführung erforderlichen Verkehrsregelungen örtlich und/oder zeitlich nicht genau vorherbestimmbar sind, durch Verordnung die erforderlichen Verkehrsbeschränkungen zu erlassen. In diesen Fällen sind die Organe des Bauführers ermächtigt, nach Maßgabe der Arbeitsdurchführung den örtlichen und zeitlichen Umfang der von der Behörde verordneten Verkehrsmaßnahme mit der Wirkung zu bestimmen, als ob der örtliche und zeitliche Umfang von der Behörde bestimmt worden wäre.
Die Notwendigkeit einer derart flexiblen Verordnungsregelung wird in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (93 BlgNR 17. GP, S. 4 f) damit begründet, daß bei Straßenarbeiten die erforderlichen Verkehrsbeschränkungen zwar dem Inhalt nach, nicht aber hinsichtlich des genauen örtlichen und zeitlichen Umfangs vorhersehbar sind, sodaß künftig die Organe des Bauführers ermächtigt sind, an Ort und Stelle die notwendige Entscheidung zu treffen, wobei sie als Gehilfen der Behörden tätig werden.
Angesichts dieses besonderen Charakters von Verordnungen über Verkehrsbeschränkungen, Verkehrsverbote oder Verkehrsgebote nach §43 Abs1 a StVO 1960 im Zuge von Straßenbaumaßnahmen erscheint der von der Behörde gewählte Weg der Anhörung gesetzlicher Interessenvertretungen von Berufsgruppen, deren Interessen von der beabsichtigten Verordnung berührt werden, dem Verfassungsgerichtshof als - noch - der Bestimmung des §94 f Abs1 litb StVO 1960 genügend.
Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in VfSlg. 5670/1968 (S. 79) zur gesetzlich vorgesehenen Anhörung gesetzlicher Interessenvertretungen vor Erlassung einer (Preis-)Verordnung festgestellt hat, trifft die Verwaltungsbehörde, sofern "über die Art der Durchführung dieses Anhörens ... im Gesetz keine besonderen Vorschriften enthalten (sind)", keine Verpflichtung, "daß den Kammern die Möglichkeit zu einer schriftlichen Äußerung gegeben werden müßte. Sie wurden angehört, wenn sie die Möglichkeit hatten, ihre Stellungnahme in irgendeiner Form bekanntzugeben, ... . Es ist auch keineswegs erforderlich, daß bereits ein fertiger Verordnungsentwurf im Zeitpunkt dieses Anhörens vorliegt."
Den Ausführungen des Stadtsenats der Landeshauptstadt Graz als Antragsgegner zufolge können die für die Durchführung von Bauarbeiten notwendigen verkehrsbeschränkenden Verordnungen inhaltlich häufig erst in mündlichen Verhandlungen mit der zuständigen Fachabteilung des Magistrates, - vereinzelt nach Durchführung eines Ortsaugenscheines -, näher präzisiert und zur Diskussion gestellt werden. Da sich die Durchführung der Straßenbauarbeiten dann zumeist als relativ kurzfristig notwendig erweist, gilt es, die erforderlichen Verordnungen schnell zu erlassen, um die Abwicklung jener Bauarbeiten nicht zu gefährden. Der Stadtsenat der Landeshauptstadt Graz hat sohin mit Schreiben vom 3. Juli 1992 sämtliche in Betracht kommenden gesetzlichen Interessenvertretungen ganz allgemein eingeladen, zur Wahrung ihres Anhörungsrechts bei "prov. Verkehrsmaßnahmen, bedingt durch z. B. Leitungsverlegungen und Straßeninstandsetzungen" gemäß §94 f Abs1 StVO 1960 an allen Verhandlungen über derartige Verkehrsmaßnahmen, darunter inbesondere auch die zu erlassenden Verordnungen, zu von vornherein bestimmten Zeiten teilzunehmen.
Der Verfassungsgerichtshof verkennt nicht, daß durch eine derartige Vorgangsweise die Feststellungslast, ob "Interessen von Mitgliedern einer Berufsgruppe berührt werden" (so §94 f Abs1 litb Z2 StVO 1960), von der Behörde auf die jeweiligen gesetzlichen Interessenvertretungen überwälzt wird und daß dadurch die ansonsten notwendige Einladung zu der im Zuge der gebotenen Anhörung der gesetzlichen Interessenvertretung eröffneten Stellungnahme zu einem jeweiligen konkreten behördlichen Verordnungsentwurf entfällt. Gleichwohl wird durch die allgemeine Einladung zur Anhörung im Schreiben des Stadtsenates vom 3. Juli 1992 dem Zweck der in §94 f Abs1 StVO 1960 unter dem Titel "Mitwirkung" gebotenen Möglichkeit zur Stellungnahme vor Erlassung straßenpolizeilicher Verordnungen ebenso Rechnung getragen wie dem besonderen Charakter jener straßenpolizeilichen Verordnungen, die gemäß §43 Abs1 a StVO 1960 im Zuge von Straßenbauarbeiten erlassen werden müssen.
Zu bedenken bleibt schließlich auch, daß bei Erlassung straßenpolizeilicher Verordnungen, die im Zuge von Straßenbauarbeiten notwendig sind, das Anhörungsrecht der in Betracht kommenden gesetzlichen Interessenvertretungen wegen des damit zwangsläufig verbundenen Verzögerungseffekts häufig auch wegen Gefahr im Verzuge entfallen kann (vgl. VfSlg. 7781/1976). Eine allgemeine, für bestimmte, regelmäßig stattfindende Verhandlungstermine geltende Einladung zur Anhörung entspricht daher der Intention des §94 f Abs1 StVO 1960 über die Mitwirkung gesetzlicher Interessenvertretungen vor Erlassung einer Verordnung jedenfalls mehr als der sonst häufige gänzliche Entfall der Anhörungspflicht wegen Gefahr im Verzuge, weil mit der Erlassung der Verordnung wegen der Dringlichkeit der Straßenbauarbeiten nicht bis zur Abwicklung des Anhörungsverfahrens zugewartet werden kann.
Der gesetzlichen Verpflichtung der Behörde zur Anhörung gesetzlicher Interessenvertretungen vor Erlassung der vom Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark angefochtenen Verordnung vom 19. Juli 1993, Z A10/Fa 1-467/1993, wurde durch die ua. auch an die Rechtsanwaltskammer ergangene Einladung zur Anhörung vom 3. Juli 1992 - gleichgültig ob davon Gebrauch gemacht wurde oder nicht - in ausreichendem Maße Rechnung getragen. Es treffen daher die vom Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark vorgetragenen Bedenken gegen die genannte Verordnung nicht zu, ohne daß vom Verfassungsgerichtshof zu prüfen war, ob durch das angefochtene Halte- und Parkverbot Aberhaupt die Interessen von Mitgliedern der Rechtsanwaltskammer im Sinne des §94 f Abs1 litb Z2 StVO 1960 berührt wurden. Die Anträge auf Aufhebung dieser Verordnung waren somit abzuweisen.
5. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Anhörungsrecht (bei Verordnungserlassung), Verordnungserlassung, Straßenpolizei, Halte(Park-)verbot, VerkehrsbeschränkungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1995:V69.1995Dokumentnummer
JFT_10048796_95V00069_00