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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
BAO §20Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Nowakowski und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Karlovits, LL.M., über die Revision des K in F, vertreten durch Mag. Daniel Vonbank, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Reichsstraße 9, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom 13. Dezember 2018, Zl. LVwG-358-5/2018-R10, betreffend Haftung gemäß §§ 9 und 80 BAO (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Stadt Feldkirch), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Bürgermeister der Stadt F als Abgabenbehörde erster Instanz setzte mit Bescheiden vom 21. Jänner 2013 und 2. September 2013 gegenüber der TP GmbH Kriegsopferabgabe samt Säumniszuschlägen für das Aufstellen und den Betrieb von Wettterminals für die Zeiträume März bis November 2011 sowie August bis Dezember 2012 fest.
2 Mit Bescheiden der Vorarlberger Landesregierung vom 26. November 2013 wurden die Berufungen der TP GmbH gegen diese Bescheide als unbegründet abgewiesen. Die dagegen eingebrachten Beschwerden wurden vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnissen vom 21. August 2014, Ro 2014/17/0034, und vom 18. Mai 2016, 2013/17/0913, als unbegründet abgewiesen.
3 Mit Beschluss des zuständigen Landesgerichtes vom 20. Oktober 2015 wurde über das Vermögen der TP GmbH der Konkurs eröffnet.
4 Die Gemeinde F meldete die offenen Forderungen im Insolvenzverfahren der TP GmbH an.
5 Mit Beschluss des Landesgerichtes vom 3. Mai 2018 wurde der Konkurs nach Schlussverteilung (Quote 1,3%) aufgehoben.
6 Der Bürgermeister der Stadt F teilte dem Revisionswerber mit Schreiben vom 21. März 2018 mit, dass er beabsichtige, ihn in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der TP GmbH gemäß § 9 iVm §§ 80 ff BAO zur Haftung heranzuziehen, weil der Rückstand bei der Primärschuldnerin nicht mehr einbringlich sei. Er werde aufgefordert nachzuweisen, dass ihm die Erfüllung seiner Pflichten nicht möglich gewesen sei. Nach einer Replik des Revisionswerbers, in der er mit näherer Begründung beantragte, ihn nicht zur Haftung heranzuziehen, setzteder Bürgermeister der Stadt F mit Bescheid vom 16. April 2018 gegenüber dem Revisionswerber eine Ausfallshaftung gemäß § 9 iVm §§ 80 ff BAO fest. In der Begründung dieses Bescheides wurde u.a. ausgeführt, die Abgabenforderung sei gegenüber der TP GmbH als Primärschuldnerin spätestens seit der Aufhebung des Konkurses nicht mehr einbringlich. Der Geschäftsführer einer GmbH hafte als Vertreter bei einer Uneinbringlichkeit der Abgaben. Der Revisionswerber habe trotz Aufforderung nicht nachgewiesen, dass ihm die Erfüllung seiner abgabenrechtlichen Pflichten nicht möglich gewesen sei. Trotz „Verfügung der Mittel“ sei der Abgabengläubiger schlechter behandelt worden als die übrigen Schulden (gemeint: Gläubiger). Der Vertreter habe darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten unmöglich gewesen sei, widrigenfalls angenommen werde, dass die Pflichtverletzung schuldhaft gewesen sei. Habe der Geschäftsführer schuldhaft seine Pflicht verletzt, für die Abgabenentrichtung aus den Mitteln der Gesellschaft zu sorgen, so dürfe die Abgabenbehörde davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung Ursache für die Uneinbringlichkeit gewesen sei.
7 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber fristgerecht Beschwerde, in der er insbesondere ausführte, die Abgabenbehörde habe es verabsäumt, vor Insolvenzeröffnung über das Vermögen der TP GmbH Betreibungsmaßnahmen zu setzen. Auch sei ein langer Zeitabstand zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld und der Inanspruchnahme der Haftung zu berücksichtigen. Die Ansprüche seien verjährt. Eine schuldhafte Pflichtverletzung des Revisionswerbers liege nicht vor, weil er die seinerzeitige Geschäftsführertätigkeit stets lege artis ausgeführt habe; es sei ein Gutachten eingeholt worden, das zum Ergebnis gelangt sei, es liege kein „Wettterminal“ vor.
8 Mit Beschwerdevorentscheidung vom 23. Mai 2018 gab der Bürgermeister der Beschwerde keine Folge. Der Revisionswerber beantragte die Vorlage der Beschwerde an das Verwaltungsgericht. Im Vorlagebericht verwies die belangte Behörde u.a. darauf, dass es dem Revisionswerber bereits im Rahmen des bisherigen Ermittlungsverfahrens möglich gewesen wäre, aufzuzeigen, inwieweit die vorhandenen liquiden Mittel zur gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger im Zeitpunkt der Fälligkeit ausgereicht hätten. Dem sei er nach wie vor nicht nachgekommen.
9 Das Verwaltungsgericht führte eine mündliche Verhandlung durch, in der der Revisionswerber u.a. Vorbringen bezüglich der Ermessensübung erstattete. Er führte dazu aus, dass bei der Festsetzung der Ausfallshaftung im Rahmen des Ermessens die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Haftungspflichtigen, der Grad des Verschuldens des Vertreters, ein allfälliges Mitverschulden der Abgabenbehörde an der Uneinbringlichkeit bei der Primärschuldnerin sowie eine Unbilligkeit aufgrund des zwischenzeitlich verstrichenen Zeitraumes zu beachten sei. Der Revisionswerber sei arbeitslos und in prekären Verhältnissen, der Grad seines Verschuldens sei, wenn überhaupt, äußerst gering, die Abgabenbehörde treffe ein Mitverschulden an der Uneinbringlichkeit bei der Primärschuldnerin, weil sie nicht unverzüglich eine Zwangsvollstreckung in deren Vermögen geführt habe.
10 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde teilweise Folge und setzte den Haftungsbetrag unter Berücksichtigung der Insolvenzquote neu fest. Im Übrigen gab es der Beschwerde keine Folge und sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig sei.
11 Nach Wiedergabe des Verfahrensgangs führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, der Revisionswerber sei von 1. Jänner 2001 bis 8. Jänner 2015 Geschäftsführer der TP GmbH gewesen. Die - eingangs genannten - Bescheide betreffend die Festsetzung der Kriegsopferabgabe seien in Rechtskraft erwachsen. Anfang 2013 sei der Stadt F seitens der TP GmbH mitgeteilt worden, dass beabsichtigt sei, aufgrund der schwierigen Situation die Kriegsopferabgabe in Raten zu bezahlen. Aus dem Konkurs der TP GmbH ergebe sich eine Quote von 1,3%. Die Bilanz der TP GmbH weise seit 2012 ein negatives Eigenkapital auf. Weiters stellte das Verwaltungsgericht die Forderungen, Verbindlichkeiten und Kassastände in den Bilanzen der Jahre 2012 bis 2014 fest.
12 Der Revisionswerber habe nicht glaubhaft dargestellt, weshalb eine schuldhafte Pflichtverletzung nicht vorliege. Er habe dargetan, dass die Kriegsopferabgabe nicht bezahlt worden sei, weil die TP GmbH der Ansicht gewesen sei, es handle sich dabei nicht um Wettterminals. Diese Ansicht sei allerdings von der Abgabenbehörde und den Gerichten nicht geteilt worden. Die TP GmbH habe bereits Anfang 2013 die Stadt F informiert, dass sie eine Ratenzahlung beabsichtige, und damit von der Abgabenschuld Kenntnis gehabt.
13 Die Bilanz der TP GmbH weise seit dem Jahr 2012 ein negatives Eigenkapital in Höhe von über € 6 Millionen auf. Trotzdem habe der Revisionswerber, der bis zum 8. Jänner 2015 Geschäftsführer gewesen sei, keinen Insolvenzantrag eingebracht. Er habe die beim Firmenbuch eingereichten Bilanzen unterzeichnet und sei somit über die finanzielle Situation informiert gewesen. Eine Gefährdung des Unternehmens sei nicht auszuschließen gewesen. Für das Verwaltungsgericht sei es nicht glaubhaft, wenn der Revisionswerber vorbringe, er habe in den Jahren seiner Geschäftsführung nicht gewusst, dass die TP GmbH sich in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation befinde, zumal schon im Jänner 2013 von Ratenzahlungen gesprochen worden sei und aus den Bilanzen hervorgehe, dass seit 2012 eine Überschuldung vorgelegen war. Die Abgaben seien im Jahr 2013 festgesetzt worden, als der Revisionswerber noch Geschäftsführer der Primärschuldnerin gewesen sei.
14 Wenn der Revisionswerber angebe, die finanziellen Angelegenheiten der TP GmbH seien von jemand anderen erledigt worden, so sei dem entgegen zu halten, dass ein Geschäftsführer sich nicht dadurch entschuldigen könne, dass er angeblich nichts über die finanzielle Situation in der Firma gewusst habe. Wer wisse, dazu nicht in der Lage zu sein, und dessen ungeachtet die Funktion eines Geschäftsführers übernehme, handle schon deswegen schuldhaft, weil ihm bewusst sein müsse, dass er der gesetzlichen Sorgfaltspflicht nicht entsprechen könne. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes habe der Vertreter darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten unmöglich gewesen sei, widrigenfalls angenommen werde, dass die Pflichtverletzung schuldhaft war. Dies sei im gesamten Verfahren nicht erfolgt.
15 Der Revisionswerber habe zudem vorgebracht, die Abgabenbehörde habe es unterlassen, Einbringungsmaßnahmen zu setzen. Die Unterlassung von Exekutionsmaßnahmen gegen die Primärschuldnerin begründe allerdings noch keinen Ermessensmissbrauch. Bei Eröffnung eines Insolvenzverfahrens liege jedenfalls eine objektive Uneinbringlichkeit vor, und Exekutionsmaßnahmen wären ohnedies erfolglos gewesen. Die Haftung sei daher zu Recht geltend gemacht worden.
16 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Begründung der Zulässigkeit ausführt, dass das Erkenntnis in mehreren Punkten von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Haftung gemäß § 9 BAO abweiche. Insbesondere wird geltend gemacht, das angefochtene Erkenntnis enthalte keine Erwägungen zur Ermessensentscheidung betreffend die Haftungsinanspruchnahme.
17 Der Verwaltungsgerichtshof hat das Vorverfahren eingeleitet. Seitens der Vorarlberger Landesregierung wurde eine Revisionsbeantwortung erstattet.
18 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
19 Die Revision ist zulässig und begründet.
20 Der vorliegende Fall gleicht in weiten Teilen jenem ebenfalls diesen Revisionswerber betreffenden Fall (Inanspruchnahme der Haftung wegen Kriegsopferabgabe durch eine andere Gemeinde), über den mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Mai 2020, Ra 2020/13/0027, entschieden wurde. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz in Verbindung mit Abs. 9 VwGG wird auf die Begründung jener Entscheidung verwiesen. Anders als das dort angefochtene Erkenntnis des Verwaltungsgerichts enthält die hier angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts aber keine Ausführungen zur Ermessensübung. Die Haftungsinanspruchnahme liegt im Ermessen der Abgabenbehörde; die Ermessensübung ist zu begründen (vgl. Ritz, BAO6, § 7 Tz 5 ff). Der Revisionswerber hatte in der Beschwerdeverhandlung zur Ermessensübung näheres Vorbringen erstattet. Eine Auseinandersetzung des Verwaltungsgerichts mit diesem Vorbringen erfolgte nicht. Damit entzieht sich das angefochtene Erkenntnis in diesem Punkt einer inhaltlichen Prüfung (vgl. VwGH 27.7.2016, Ra 2015/13/0051, mwN).
21 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben.
22 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 27. August 2020
Schlagworte
Ermessen VwRallg8European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019130035.L00Im RIS seit
12.10.2020Zuletzt aktualisiert am
12.10.2020