TE Vwgh Beschluss 2020/9/9 Ra 2020/22/0066

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Veröffentlicht am 09.09.2020
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

B-VG Art133 Abs4
FrG 1997 §14 Abs5
NAG 2005 §19 Abs8 Z3
VwGG §34 Abs1
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 27. Jänner 2020, Zl. LVwG-750775/4/ER, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: H S, vertreten durch Dr. Benno Wageneder, Rechtsanwalt in 4910 Ried im Innkreis, Promenade 3), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Mitbeteiligte, ein armenischer Staatsangehöriger, beantragte am 1. August 2019 die Verlängerung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ gemäß § 41a Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG).

2        Mit Schreiben vom 16. Oktober 2019 verständigte die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land (belangte Behörde, Revisionswerberin) den Mitbeteiligten über das Ergebnis der Beweisaufnahme und teilte ihm mit, es sei beabsichtigt, den Antrag zurückzuweisen, weil der Mitbeteiligte mit den Verbesserungsaufträgen vom 2. August 2019 und vom 28. August 2019 aufgefordert worden sei, einen gültigen Reisepass vorzulegen, ein gültiger Reisepass jedoch nicht vorgelegt worden sei.

3        Mit dem mit 4. November 2019 datierten Schriftsatz stellte der Mitbeteiligte einen Antrag gemäß § 19 Abs. 8 NAG mit der Begründung, er würde vor Ableistung eines Wehrdienstes in Armenien keinen Reisepass erhalten und es sei ihm unzumutbar, aus Österreich auszureisen.

4        Mit Bescheid vom 5. November 2019 wies die belangte Behörde den Antrag des Mitbeteiligten auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ zurück (Spruchpunkt I.). Ferner wurde sein Antrag gemäß § 19 Abs. 8 NAG auf Heilung eines Mangels abgewiesen (Spruchpunkt II.).

5        Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 27. Jänner 2020 gab das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten statt und änderte den Bescheid dahingehend ab, dass Spruchpunkt I. aufgehoben wird und Spruchpunkt II. zu lauten hat: „Ihrem Antrag vom 4. November 2019 auf Heilung eines Mangels wird gemäß § 19 Abs 8 Z 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz BGBl. I Nr 100/2005 idF BGBl. I Nr 56/2018 stattgegeben“. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es für unzulässig.

6        Das Verwaltungsgericht stellte nach Darlegung des Verfahrensganges fest, dass für den Mitbeteiligten am 19. November 2003 ein Asylerstreckungsantrag gestellt worden sei. Seither würde er sich rechtmäßig in Österreich aufhalten. Zumindest seit 29. August 2014 habe er einen Aufenthaltstitel gemäß § 41a Abs. 9 NAG inne. Der verfahrensgegenständliche Antrag sei auf die Verlängerung dieses Aufenthaltstitels gerichtet.

Der Mitbeteiligte verfüge über keinen gültigen armenischen Reisepass. Zur Erlangung eines armenischen Reisepasses müsse er entweder einen Nachweis über den abgeleisteten Militärdienst oder ein Zertifikat über die Registrierung zum Militärdienst vorlegen. Den Militärdienst habe der Mitbeteiligte nicht abgeleistet, ein Zertifikat über die Registrierung könne er nur in Armenien erlangen.

7        In seiner rechtlichen Beurteilung verwies das Verwaltungsgericht zunächst auf das - einen vergleichbaren Fall betreffende und auf den vorliegenden Fall übertragbare - Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Oktober 2001, 2001/19/0014, dem zufolge (auch hinsichtlich des damals maßgeblichen § 14 Abs. 5 FrG 1997) darauf abzustellen gewesen sei, ob einem Fremden die Beschaffung eines Reisedokumentes faktisch unmöglich oder unzumutbar sei; sollte die Ausstellung eines Reisepasses nur daran scheitern, dass der seit mehr als zehn Jahren rechtmäßig in Österreich aufhältige Fremde seinen Wehrdienst im Herkunftsstaat noch nicht abgeleistet habe, sei davon auszugehen, dass er nicht in der Lage sei, sich ein Reisedokument zu beschaffen. Weiters verwies das Verwaltungsgericht auf das Erkenntnis VwGH 22.3.2011, 2009/21/0232.

Der Mitbeteiligte sei seit 2003 durchgängig in Österreich aufhältig. Den Militärdienst habe er in Armenien noch nicht abgeleistet und die Registrierung dafür könnte er nur in Armenien vornehmen. Die Ableistung des Militärdienstes oder die Registrierung dazu seien jedoch Voraussetzung für die Beschaffung eines Reisepasses. Die Ausstellung eines Reisepasses scheitere daran, dass der Mitbeteiligte, der sich bereits seit mehr als zehn Jahren in Österreich rechtmäßig aufhalte, seinen Wehrdienst in seinem Herkunftsstaat noch nicht abgeleistet habe. Da er alternativ gezwungen wäre, unter erheblichem finanziellen und zeitlichen Aufwand nach Armenien zu reisen, um sich zum Militärdienst registrieren zu lassen, sei nach einer derart langen rechtmäßigen Aufenthaltsdauer in Österreich im Sinn der zitierten Judikatur davon auszugehen, dass dem Mitbeteiligten die Beschaffung eines Reisedokuments durch die Registrierung zum Militärdienst in Armenien nicht zumutbar sei.

8        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der belangten Behörde.

9        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

10       Hat das Verwaltungsgericht – wie im vorliegenden Fall – im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichts die Revision für zulässig erachtet wird.

11       Da der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG nur im Rahmen der dafür in der Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG gesondert vorgebrachten Gründe zu überprüfen hat, ist er weder verpflichtet, solche anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit der Revision hätten führen können, aufzugreifen. Dementsprechend erfolgt nach der Rechtsprechung die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision durch den Verwaltungsgerichtshof ausschließlich anhand des Vorbringens in der Zulassungsbegründung (vgl. zu allem VwGH 27.2.2020, Ra 2020/22/0032).

12       Die Revisionswerberin behauptet in der Zulassungsbegründung zum einen, die Entscheidung verstoße „im Spruchpunkt II gegen die Rechtsprechung und das Gesetz“. Zum anderen wird das Fehlen von Rechtsprechung „zum Zumutbarkeitskriterium des § 19 Abs. 8 Z 3 NAG“ geltend gemacht. Mit diesem pauschalen Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision jedoch nicht dargetan:

13       Einerseits trifft die Behauptung, es fehle zum Zumutbarkeitskriterium des § 19 Abs. 8 Z 3 NAG Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in dieser Allgemeinheit nicht zu. So hat der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen, dass die fehlende Absolvierung eines Wehrdienstes (bzw. dort insbesondere die Möglichkeit eines „Freikaufs“ hiervon) im Rahmen des Zumutbarkeitskalküls nach § 19 Abs. 8 Z 3 NAG jedenfalls Berücksichtigung finden kann (vgl. VwGH 22.3.2011, 2009/21/0232). Es ist auch nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht die im Erkenntnis VwGH 2001/19/0014 zur alten Rechtslage (nach § 14 Abs. 5 FrG 1997) erfolgten Ausführungen zur Beachtlichkeit des Umstandes, dass ein seit mehr als zehn Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Fremder seinen Wehrdienst im Herkunftsstaat noch nicht abgeleistet hat, als auf die geltende Rechtslage übertragbar angesehen hat.

14       Andererseits hat der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung festgehalten, dass in der gesonderten Zulassungsbegründung konkret darzulegen ist, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht bzw. konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat. Lediglich pauschale Behauptungen erfüllen diese Voraussetzungen nicht (siehe VwGH 27.2.2020, Ra 2020/22/0032, Rn. 8). Diesen Anforderungen entspricht weder der - nicht näher substantiierte - Hinweis auf einen Verstoß gegen die Rechtsprechung noch das ins Treffen geführte Fehlen von Rechtsprechung „zum Zumutbarkeitskriterium des § 19 Abs. 8 Z 3 NAG“. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG wird damit nicht aufgezeigt.

15       Das weitere, ebenfalls lediglich abstrakte Zulässigkeitsvorbringen, es sei unklar, aufgrund welcher Umstände es für einen wehrfähigen männlichen armenischen Staatsangehörigen nicht zumutbar wäre, für die Ausstellung eines armenischen Reisepasses (zumindest) eine Bestätigung über die „Registrierung“ zum Militärdienst in Armenien zu beschaffen, richtet sich gegen das Ergebnis der Beurteilung der Unzumutbarkeit der Beschaffung.

16       Die Beurteilung der (Un)Zumutbarkeit bzw. der faktischen (Un)Möglichkeit stellt eine einzelfallbezogene Beurteilung dar, die - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht erfolgreich mit Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG bekämpft werden kann (vgl. - im Zusammenhang mit der Zumutbarkeit der Auslandsantragstellung - VwGH 26.2.2015, Ra 2015/22/0025, bzw. - im Zusammenhang mit der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative - VwGH 8.7.2020, Ra 2020/14/0292). Eine derartige Unvertretbarkeit bzw. krasse Fehlbeurteilung der - unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles und insbesondere des erheblichen finanziellen und zeitlichen Aufwandes erfolgten - Beurteilung zeigt die Revision in ihrem nicht weiter substantiierten Zulässigkeitsvorbringen nicht auf.

17       In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

18       Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 9. September 2020

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020220066.L00

Im RIS seit

20.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

20.10.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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