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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, in der Revisionssache des A B in C, vertreten durch Univ.-Prof. Dr. Christian Rabl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Tuchlauben 7A, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Juni 2019, W220 2152343-1/13E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 15. Juni 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, von den Taliban infolge Verratsvorwürfen verfolgt und verletzt worden zu sein.
2 Mit Bescheid vom 20. März 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 5. Juni 2019 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 9. Juni 2020, E 2694/2019-17, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Der Revisionswerber ficht das angefochtene Erkenntnis zwar ausdrücklich „seinem gesamten Inhalt und Umfang“ nach an, macht unter „4. Revisionspunkte“ jedoch nur die „Verletzung des Rechts auf Zuerkennung des Status als subsidiär Schutzberechtigter“ und die „Verletzung des Rechts auf amtswegige Ermittlung des wesentlichen Sachverhalts durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und das Bundesverwaltungsgericht“ geltend. Hinzuweisen ist darauf, dass es sich bei Letzterem um keinen Revisionspunkt, sondern um einen Revisionsgrund handelt.
9 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hängt eine Revision nur dann von der Lösung einer Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG ab, wenn sich die Rechtsfrage innerhalb des Revisionspunktes, also des vom Revisionswerber selbst definierten Prozessthemas, stellt (vgl. VwGH 30.6.2020, Ra 2019/20/0492, mwN).
10 In Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten hängt die Revision daher schon aus diesem Grund nicht von einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung ab. Vor diesem Hintergrund muss auf das diesbezügliche Zulässigkeitsvorbringen der Revision nicht mehr eingegangen werden.
11 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit weiters vor, das Bundesverwaltungsgericht sei bei der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul und der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme derselben von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen. Den Richtlinien des UNHCR vom 30. August 2018 sei nicht die vom Verwaltungsgerichtshof geforderte Beachtung („Indizwirkung“) geschenkt worden. Das Bundesverwaltungsgericht sei ohne hinreichende Würdigung des Falls davon ausgegangen, dass Kabul als innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe. Aus dem herangezogenen EASO-Bericht „Country-Guidance Afghanistan June 2018“ ergebe sich, dass für den Revisionswerber Kabul nicht als innerstaatliche Fluchtalternative in Betracht komme. Schließlich handle es sich bei dem Revisionswerber um einen gesundheitlich beeinträchtigten Mann ohne finanzielle Mittel, der jahrelang außerhalb von Afghanistan gelebt habe und keine Unterstützung von seinen Verwandten in Afghanistan, insbesondere in Kabul, erwarten könne. Für diese Personengruppe verneine auch der EASO-Bericht Kabul als innerstaatliche Fluchtalternative.
12 Soweit die Revision hinsichtlich der Annahme der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative eine unzureichende Auseinandersetzung mit den „UNHCR-Richtlinien“, der „Lage“ des Revisionswerbers und den „EASO-Leitlinien“ rügt, macht sie einen Verfahrensmangel geltend. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes reicht es aber nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der genannten Verfahrensmängel darzulegen. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 8.7.2020, Ra 2020/14/0292; 19.5.2020, Ra 2019/14/0599; jeweils mwN).
13 Mit ihrem allgemein gehaltenen Vorbringen vermag die Revision keinen relevanten Verfahrensfehler geltend zu machen.
14 Die Frage der Zumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative stellt letztlich eine - von der Asylbehörde bzw. dem Verwaltungsgericht zu treffende - Entscheidung im Einzelfall dar, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit zu treffen ist (vgl. VwGH 6.8.2020, Ra 2020/20/0273, mwN).
15 Dabei hat sich das Bundesverwaltungsgericht auch mit den Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 sowie den Vorgaben der EASO Country Guidance Notes zu Afghanistan in adäquater Weise auseinanderzusetzen (vgl. VwGH 22.7.2020, Ra 2020/18/0090, mwN).
16 Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung liegt nur vor, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt (vgl. VwGH 29.6.2020, Ra 2020/01/0182, mwN).
17 Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigte im angefochtenen Erkenntnis die UNHCR-Richtlinien und den EASO-Länderleitfaden, ging von einer Rückkehrmöglichkeit des Revisionswerbers in die Stadt Kabul aus und traf sowohl zur Lage des Revisionswerbers als auch zur Erreichbarkeit der Stadt entsprechende Feststellungen. So führte es insbesondere aus, dass es sich beim Revisionswerber - trotz seiner körperlichen Einschränkung - um einen arbeitsfähigen Mann handle, dem die Teilnahme am Erwerbsleben grundsätzlich möglich sei, der über eine achtjährige Schuldbildung und mehrere Jahre Berufserfahrung als Lieferant verfüge, in Kabul selbst ein familiäres Netz vorfinde, das ihn unterstützen könne und wolle und der ferner durch seinen leistungsfähigen und leistungswilligen Schwager von Pakistan aus finanziell unterstützt werden könne. Aufgrund der den Revisionswerber erwartenden Lebenssituation, in der es ihm möglich sei, seine Existenz zu sichern, sei ihm die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in der Stadt Kabul auch zumutbar.
18 Es gelingt der Revision nicht aufzuzeigen, dass das Bundesverwaltungsgericht mit seiner Begründung von der hg. Rechtsprechung abgewichen ist.
19 Mit dem Vorbringen, wonach der Revisionswerber keine Unterstützung von seinen Verwandten in Afghanistan, insbesondere in Kabul, erwarten könne, entfernt sich die Revision vom festgestellten Sachverhalt. Ausgangspunkt der Prüfung, ob eine grundsätzliche Rechtsfrage vorliegt, ist der festgestellte Sachverhalt. Entfernt sich der Revisionswerber in der Zulässigkeitsbegründung vom festgestellten Sachverhalt, wird schon deshalb keine fallbezogene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt (vgl. etwa VwGH 27.5.2020, Ra 2019/14/0394, mwN).
20 Soweit auf die weiteren Revisionsausführungen verwiesen wird, ist festzuhalten, dass die Gründe für die Revisionszulässigkeit gesondert anzuführen sind und ein Verweis auf sonstige Revisionsausführungen nicht genügt (vgl. etwa VwGH 4.7.2016, Ra 2016/04/0047, mwN).
21 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 14. September 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019140350.L00Im RIS seit
02.11.2020Zuletzt aktualisiert am
02.11.2020