TE OGH 2020/8/6 2Ob54/20k

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Veröffentlicht am 06.08.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** H*****, vertreten durch Dr. Martin Brandstetter Rechtsanwalt GmbH in Amstetten, gegen die beklagte Partei Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs, Wien 3, Schwarzenbergplatz 7, vertreten durch Mag. Erik Focke, Rechtsanwalt in Wien, wegen 7.419 EUR sA und Feststellung (Streitwert 1.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 11. Dezember 2019, GZ 21 R 224/19b-68, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Amstetten vom 2. August 2019, GZ 20 C 650/17z-59, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, die im Umfang der rechtskräftigen Abweisung des Feststellungsbegehrens sowie eines Zahlungsbegehrens von 699 EUR samt 4 % Zinsen seit 20. 12. 2017 und des rechtskräftigen Zuspruchs von 2.240 EUR samt 4 % Zinsen aus 1.650 EUR von 20. 12. 2017 bis 25. 4. 2019 und aus 2.240 EUR seit (richtig) 26. 4. 2019 unberührt bleiben, werden im Übrigen, das ist im Umfang des Zuspruchs weiterer 4.480 EUR samt 4 % Zinsen aus 3.300 EUR von 20. 12. 2017 bis 25. 4. 2019 und aus 4.480 EUR seit 26. 4. 2019 aufgehoben.

Die Rechtssache wird insoweit an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1]       Am 23. 9. 2016 um etwa 0:45 Uhr fuhr ein Fahrzeuggespann, bestehend aus einem weißen Klein-LKW und einem Anhänger auf dem ersten Fahrstreifen der A1 Westautobahn in Fahrtrichtung Wien. Auf dem Anhänger war ein Maisgebiss eines Mähdreschers geladen, welches mit Zurrgurten gesichert war. Zur gleichen Zeit lenkte ein deutscher Staatsbürger einen weißen Klein-LKW mit deutschem Kennzeichen, für den in Österreich die Beklagte haftpflichtig ist, ebenfalls in Fahrtrichtung Wien. Auch er fuhr im ersten Fahrstreifen der Westautobahn, übersah aus Unaufmerksamkeit das vor ihm gelenkte Fahrzeuggespann und entschied sich erst zu spät, dieses zu überholen. Es kam zur Kollision zwischen der rechten Frontecke seines Fahrzeugs und der linken hinteren Ecke des Anhängers, wodurch das Fahrzeuggespann ins Schleudern geriet. Der Anhänger löste sich vom Zugfahrzeug, schleuderte, prallte etwa 166 m nach dem Beginn der Spurenzeichnung gegen die Betonleitwand und kam 208 m nach dem Beginn der Spurenzeichnung schräg auf der Betonleitwand stehend zum Stillstand. Das Zugfahrzeug kam ebenfalls ins Schleudern und letztendlich etwa 262 m nach dem Beginn der Spurenzeichnung auf der linken Seite liegend, gegen die ursprüngliche Annäherungsrichtung zeigend, auf dem Pannenstreifen zum Stillstand. Das deutsche Fahrzeug wurde erst etwa 498 m nach dem Beginn der Spurenzeichnung auf dem Pannenstreifen abgestellt. Durch den Anstoß des Anhängers an die Betonleitwand rissen die Zurrgurte des auf dem Anhänger transportierten Maisgebisses und dieses fiel auf die Fahrbahn der Westautobahn. Es lag zunächst auf dem dritten Fahrstreifen und ragte in den zweiten Fahrstreifen hinein. Es hatte keinerlei reflektierende Elemente und war daher aus größerer Entfernung ebenso wie der gegen die Annäherungsrichtung verdrehte Anhänger äußerst schlecht erkennbar.

[2]       In einem nicht mehr genau feststellbaren zeitlichen Abstand zum zuvor beschriebenen Unfallgeschehen näherte sich ein weiteres Fahrzeug mit etwa 90 km/h auf dem zweiten Fahrstreifen. Dessen Lenkerin nahm zwar die etwas weiter vor ihr leuchtenden Bremslichter von mehreren Fahrzeugen wahr, bemerkte aber zu spät das auf der Fahrbahn liegende Maisgebiss. Sie versuchte nach rechts auszuweichen, wobei ihr Fahrzeug streifend mit dem Maisgebiss kollidierte und ins Schleudern geriet. Ihr Fahrzeug stieß gegen die Betonleitwand am Mittelstreifen und kam nach ca 147 m auf dem Pannenstreifen zum Stillstand. Das Maisgebiss wurde durch den Anstoß verdreht und in Richtung des zweiten Fahrstreifens geschoben.

[3]       Nachfolgend fuhr ein blauer LKW, dessen Lenker aufgrund der vor ihm erfolgten Kollision abrupt abbremste, vom zweiten Fahrstreifen nach rechts in den ersten Fahrstreifen lenkte, dabei das Maisgebiss streifte und sein Fahrzeug auf dem Pannenstreifen zum Stillstand brachte.

[4]       Ebenfalls im „zeitlichen und örtlichen Nahebereich“ zu diesem Unfallgeschehen fuhr die Klägerin mit ca 130 km/h auf dem zweiten Fahrstreifen. An ihrem Fahrzeug war die automatische Lichtregelung eingeschaltet, die das Abblendlicht aktiviert hatte. Etwa bei Straßenkilometer 129 nahm die Klägerin einen LKW wahr, der vom ersten auf den zweiten Fahrstreifen wechselte. Sie entschloss sich, diesen gleichzeitig zu überholen, blinkte nach links und wechselte vom zweiten auf den dritten Fahrstreifen. Nachdem der Fahrstreifenwechsel abgeschlossen war, bemerkte die Klägerin plötzlich im Lichtkegel ihres Fahrzeugs etwa 50 m entfernt das im Wesentlichen (wieder) auf dem dritten Fahrstreifen liegende Maisgebiss. Sie leitete eine Bremsung ein und versuchte auszuweichen, konnte allerdings eine Kollision mit dem Maisgebiss nicht mehr vermeiden. Ihr Fahrzeug überschlug sich und kam auf dem Dach zu liegen. Im Zuge der Auslaufstrecke streifte es die gerade geöffnete Fahrertür des blauen LKW.

[5]            Die Anhaltestrecke bei 130 km/h beträgt bei trockener Fahrbahn 129 m, die Anhaltezeit beläuft sich auf 6,2 sec. Je nach Ausstattung des Abblendlichts liegt die Fahrgeschwindigkeit, mit der ein Fahrzeug innerhalb der durch das Abblendlicht ausgeleuchteten Wegstrecke zum Stillstand gebracht werden kann, im Bereich von 65 bis allenfalls 75 km/h.

[6]       Die Klägerin begehrte zuletzt 7.419 EUR sA an Schmerzengeld, Therapiekosten, Sachschäden und Spesen sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche zukünftige Unfallsfolgen, begrenzt mit der Haftpflichtversicherungsmindestdeckungssumme. Das Alleinverschulden an dem Unfall treffe den Lenker des deutschen Fahrzeugs. Für die Klägerin sei der Unfall unvorhersehbar und unabwendbar gewesen. Sie habe auch das Gebot des Fahrens auf Sicht nicht verletzt, die Fahrbahn sei durch die Vorderfahrzeuge entsprechend ausgehellt gewesen.

[7]       Die Beklagte bestritt jegliches Fehlverhalten des deutschen Lenkers und stützte sich auf das Alleinverschulden des Lenkers des Fahrzeuggespanns an der Primärkollision. Überdies habe die Klägerin eine überhöhte, den Sichtverhältnissen jedenfalls nicht angepasste Fahrgeschwindigkeit eingehalten. Sie treffe daher das alleinige Verschulden an ihrer Kollision mit dem Maisgebiss. Das Klagebegehren wurde der Höhe nach ebenso bestritten, wie die behaupteten unfallkausalen Spät- und Dauerfolgen.

[8]       Das Erstgericht gab dem Leistungsbegehren bis auf einen Betrag von 699 EUR sA statt, wies jedoch das Feststellungsbegehren mangels feststellbarer Spätfolgen ab. Es ging von einem Alleinverschulden des deutschen Lenkers aus und meinte, dass es der Klägerin in ihrer konkreten Situation nicht zumutbar gewesen sei, das Fernlicht einzuschalten, um eine Blendung des vorausfahrenden, überholten LKW zu vermeiden.

[9]       Das von der Klägerin hinsichtlich der Abweisung des Feststellungsbegehrens und von der Beklagten hinsichtlich eines Teilzuspruchs von 4.480 EUR sA angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es sprach zunächst aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

[10]     Zur Frage eines allfälligen Mitverschuldens der Klägerin führte es aus, für die Wahl der Geschwindigkeit sei nicht nur das eigene Abblendlicht, sondern auch das Licht aus anderen Lichtquellen von Bedeutung. Hier seien insgesamt fünf Fahrzeuge an den aufeinanderfolgenden Kollisionen beteiligt gewesen. Dazu komme zumindest noch jener LKW, an welchem die Klägerin „vorbeifahren“ habe wollen, sowie jener, dessen Lenker die Primärkollision beobachtet habe, sodass von einer gewissen Ausleuchtung der Fahrbahn ausgegangen werden könne. Wenn die Klägerin aber bei einer mit Abblendlicht noch zulässigen Fahrgeschwindigkeit von 75 km/h bereits 51 m gebraucht hätte, um ihr Fahrzeug zum Stillstand zu bringen, das Maisgebiss aber plötzlich nur 50 m vor ihr aufgetaucht sei, habe sie keine Möglichkeit zur Unfallvermeidung gehabt. Solange sich die Klägerin im Sichtbereich hinter dem vor ihr fahrenden LKW befunden habe, habe sie aufgrund der Blendwirkung das Fernlicht nicht einschalten dürfen. In dem Moment des Abschlusses des Fahrstreifenwechsels, als sie sich seitlich versetzt neben dem LKW befunden habe und das Fernlicht habe einschalten können, habe die Entfernung zum Maisgebiss nur noch 50 m betragen und daher keine Möglichkeit mehr bestanden, auf dieses Hindernis zu reagieren. Die Judikatur des Obersten Gerichtshofs betreffend die einzuhaltende Geschwindigkeit auf Autobahnen und das Fahren auf Sicht sei nicht dazu gedacht, ein Überholen auf Autobahnen grundsätzlich unmöglich zu machen. Es werde immer eine „Spanne von Sekunden“ verbleiben, wenn ein Lenker zulässig überhole, bis ihm dann das Einschalten des Fernlichts wieder möglich sei. Genau in diese Zeitspanne sei im konkreten Fall die Kollision gefallen. In dieser Konstellation sei kein Mitverschulden der Klägerin zu erkennen.

[11]     Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision nachträglich zu, weil die Frage des Fahrens auf Sicht in der Judikatur streng gesehen werde und diese in Bezug auf schwer wahrnehmbare, unvermutete und nicht vorhersehbare Hindernisse missinterpretiert worden sein könnte.

[12]     Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, das Leistungsbegehren zu zwei Drittel abzuweisen, hilfsweise, das Urteil in diesem Umfang aufzuheben. Das Berufungsgericht übersehe, dass kein Fahrzeuglenker gezwungen sei, zu überholen. Aus dem Gebot des Fahrens auf Sicht ergebe sich, dass bei schlechten Sichtverhältnissen davon Abstand genommen werden müsse. Bei einem Sekundenweg von rund 36 m bei 130 km/h ergebe sich bei der vom Berufungsgericht angesprochenen „Spanne von Sekunden“, bis bei einem Überholmanöver das Fernlicht eingeschalten werden könne, ein „Blindflug“ von rund 100 m. Die Frage, ob dies zulässig sei, gehe über den Einzelfall hinaus.

[13]     Die Klägerin strebt in ihrer Revisionsbeantwortung die Zurückweisung der Revision an und beantragt hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[14]     Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der Judikatur des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist. Sie ist auch berechtigt im Sinne des Aufhebungsantrags.

[15]     1. Gemäß § 20 Abs 1 StVO hat ein Fahrzeuglenker seine Geschwindigkeit den gegebenen Umständen, insbesondere auch den Sichtverhältnissen anzupassen. Der Fahrer hat auf Sicht zu fahren, das heißt seine Geschwindigkeit so einzurichten, dass er sein Fahrzeug beim Auftauchen eines Hindernisses rechtzeitig zum Stehen bringen oder zumindest das Hindernis umfahren kann (RS0074750).

[16]     2. Der Lenker eines Kraftfahrzeugs muss bei der Wahl seiner Fahrgeschwindigkeit auch solche Hindernisse in Betracht ziehen, mit denen er zu rechnen bei Beachtung aller gegebenen Umstände triftige Veranlassung hat. Er genügt seiner Pflicht, wenn er die Geschwindigkeit den Umständen anpasst, die ihm bei der Fahrt erkennbar werden oder mit denen er nach der Erfahrung des Lebens zu rechnen hat. Auf völlig unberechenbare Hindernisse und insbesondere auch auf Hindernisse, die aufgrund von nicht rechtzeitig erkennbaren Verkehrswidrigkeiten anderer Verkehrsteilnehmer in die Fahrbahn gelangen, braucht er aber seine Geschwindigkeit nicht einzurichten (2 Ob 160/16t; RS0074836). Ebenso wenig muss mit bloß abstrakt möglichen Gefahrenquellen gerechnet werden (RS0074836 [T5]).

[17]     3. Ein Kraftfahrer muss allerdings durchaus damit rechnen, dass sich ein unbeleuchtetes Hindernis auf der Fahrbahn befinden kann. Auch mit schwer wahrnehmbaren Hindernissen muss gerechnet werden (2 Ob 155/67 ZVR 1968/123; RS0074750 [T4 und T5]). Die daraus abzuleitende Pflicht des Fahrens auf Sicht besteht auch auf Autobahnen. Der Kraftfahrer darf auch auf der Autobahn bei Dunkelheit nur so schnell fahren, dass er innerhalb der überschaubaren Strecke rechtzeitig halten kann (2 Ob 65/05f; 2 Ob 227/12i; RS0074680). Bei Dunkelheit hat jeder Kraftfahrer grundsätzlich die Geschwindigkeit seines Fahrzeugs der verwendeten Beleuchtung anzupassen. Fährt er mit Abblendlicht, dann hat er, soweit nicht besondere Umstände die Sicht über die vom Abblendlicht erleuchtete Strecke hinaus ermöglichen, grundsätzlich mit einer Geschwindigkeit zu fahren, die ihm das Anhalten seines Fahrzeugs innerhalb der Reichweite des Abblendlichts gestattet (8 Ob 62/86; 2 Ob 32/10k mwN; RS0074769). Fährt er mit höherer Geschwindigkeit, dann hat er Fernlicht zu verwenden. Darf er dies nicht, zB weil der Lenker eines Fahrzeugs geblendet werden könnte, dann hat er mit entsprechend geringerer Geschwindigkeit zu fahren (8 Ob 62/86 mwN; 2 Ob 109/10h).

[18]           4. Für die Wahl der Geschwindigkeit ist allerdings nicht nur das eigene Abblendlicht, sondern auch das Licht aus anderen Lichtquellen von Bedeutung, wobei aber, wenn andere Lichtquellen eine Rolle spielen, besondere Aufmerksamkeit erforderlich ist. Wird die Fahrbahn durch vorausfahrende und entgegenkommende Fahrzeuge entsprechend ausgehellt, wird das Gebot des Fahrens auf Sicht nicht verletzt (2 Ob 32/10k; 2 Ob 109/10h; 2 Ob 85/11f; RS0074669).

[19]           5. Schließlich kann auf mehrspurigen Autobahnen eine Geschwindigkeit auch schon dann hinreichend angepasst iSd § 20 Abs 1 StVO sein, wenn der Kraftfahrer auf unvermutet in Sichtweite auftauchende Hindernisse (wenigstens) in einer beherrschter Fahrweise entsprechenden Art durch eine gezielte Ausweichbewegung ohne Gefährdung anderer Straßenbenützer unfallverhütend reagieren kann. Ein Kraftfahrzeuglenker, der seine Geschwindigkeit in diesen Grenzen hält, handelt damit innerhalb des für den Verkehr auf Autobahnen erlaubten Risikos. Dies gilt auch bei Fahren mit Abblendlicht bei Dunkelheit (2 Ob 154/88 = RS0074683 [T1 und T2]).

[20]           6. Welche Geschwindigkeit daher konkret zulässig ist, kann nur aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (2 Ob 213/02s = RS0074683 [T3]).

[21]     Hier steht fest, dass das von der Klägerin verwendete Abblendlicht maximal eine Geschwindigkeit von 75 km/h zugelassen hätte. Die Frage, ob sie dennoch die von ihr gewählte, auf Autobahnen höchstzulässige Geschwindigkeit von 130 km/h einhalten durfte, hängt daher entscheidend von der Ausleuchtungssituation der Autobahn bei ihrer Annäherung ab.

[22]     Ob die Ausleuchtung durch andere Fahrzeuge ausreichend war, um die eingehaltene Geschwindigkeit zu erlauben, ist eine Rechtsfrage, die auf ausreichenden Feststellungen basieren muss (vgl 2 Ob 32/10k; 2 Ob 85/11f). Die Klägerin hat dazu Vorbringen erstattet (AS 25), Feststellungen zur Sichtstrecke der Klägerin liegen jedoch nicht vor. Ebenso steht nicht fest, aus welcher Entfernung das Maisgebiss für die Klägerin bei der gebotenen Aufmerksamkeit bei ausreichender Ausleuchtung objektiv erkennbar war. Allein aufgrund der um die Unfallszeit im Unfallbereich jedenfalls anwesenden Fahrzeuge kann diese Rechtsfrage entgegen der Meinung des Berufungsgerichts nicht beantwortet werden, steht doch nicht fest, in welchem zeitlichen und wegmäßigen Abstand zur Klägerin diese Fahrzeuge unterwegs waren und welche Fahrbahnbereiche sie wann und wie gut ausleuchteten und ob die ausgeleuchtete Strecke dem Anhalteweg der Klägerin entsprach.

[23]           7. Zu all diesen Umständen wird das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren nach Erörterung mit den Parteien und der gebotenen Ergänzung des Beweisverfahrens geeignete Feststellungen zu treffen haben, um die Beurteilung zu ermöglichen, ob der Klägerin tatsächlich kein Mitverschulden anzulasten ist.

[24]     Dabei wird zu beachten sein: Sollte die Klägerin nach den vorstehenden Grundsätzen nicht auf Sicht gefahren sein, hätte sie die Schutznorm des § 20 Abs 1 StVO objektiv übertreten und es würde ihr der Beweis obliegen, dass sie entweder kein Verschulden daran traf oder derselbe rechnerische Schaden auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten eingetreten wäre (vgl RS0112234, RS0111706). Jede verbleibende Unklarheit in diese Richtung ginge zu Lasten der Klägerin. Dies gilt auch für die Frage, ob der Klägerin ein Beobachtungsfehler vorzuwerfen ist.

[25]     8. Der Kostenvorbehalt beruht auf §§ 50 Abs 1, 52 Abs 1 ZPO.

Textnummer

E129217

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0020OB00054.20K.0806.000

Im RIS seit

06.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

24.06.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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