TE OGH 2020/8/25 8Ob56/20y

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.08.2020
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G ***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Ralph Trischler, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A*****, wegen Herausgabe (Streitwert 5.200 EUR), über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 10. Juni 2020, GZ 64 R 37/20v-5, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 14. April 2020, GZ 41 C 306/20y-2, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Herausgabe des Protokolls zur Öffnung der Angebote der Ausschreibung „Wundmanagement, PrNR.: 2020-*****“. Sie brachte vor, die Beklagte habe Anfang 2020 unter dieser Bezeichnung eine Ausschreibung nach den Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes 2018 (BVergG 2018) durchgeführt. Die Klägerin habe sich an dieser Ausschreibung beteiligt und ein Angebot an die Beklagte übermittelt, weshalb die Klägerin gemäß § 2 Z 11 BVergG 2018 Bieterin in dem von der Beklagten durchgeführten Vergabeverfahren geworden sei. Gemäß § 133 Abs 5 BVergG 2018 habe der öffentliche Auftraggeber über die Öffnung der Angebote ein Protokoll mit gesetzlich vorgegebenem Inhalt zu verfassen und dieses jedem Bieter zu übermitteln bzw bereitzustellen. Die Klägerin habe von der Beklagten die Übermittlung des Protokolls zur Öffnung der Angebote begehrt. Die Beklagte habe jedoch mit E-Mail vom 3. 3. 2020 mitgeteilt, dass ein derartiges Protokoll nicht übermittelt werde. Die Herausgabe dieses Protokolls auf Basis der genannten gesetzlichen Bestimmung sei nunmehr Gegenstand der Klage. Die gesamte öffentliche Ausschreibung erfolge im Rahmen der Selbstverwaltung und sei privatwirtschaftliches Handeln.

Das Erstgericht wies die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs (im engeren Sinn) limine zurück.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin keine Folge. Aus § 1 Z 3 iVm § 327 BVergG 2018 ergebe sich, dass für das gesamte Bundesvergabeverfahren das Bundesverwaltungsgericht zuständig ist. Daran ändere auch § 334 BVergG 2018 nichts, der die Ansprüche im Einzelnen regle. Ob ein (Herausgabe-)Anspruch nach § 133 Abs 5 BVergG 2018 selbständig oder nur im Rahmen einer einstweiligen Verfügung nach § 334 Abs 2 Z 1 BVergG 2018 geltend gemacht werden könne, sei für die Abgrenzung Verwaltungsweg zu Rechtsweg unbeachtlich.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zuzulassen, weil – soweit überblickbar – keine Rechtsprechung zu der über den Einzelfall hinausgehenden Frage vorliege, ob über einen Herausgabeanspruch gemäß § 133 Abs 5 BVergG 2018 vor den ordentlichen Gerichten oder im Verwaltungsweg zu entscheiden sei.

Der – mangels Streitanhängigkeit einseitige (§ 521a Abs 2 iVm Abs 1 ZPO) – Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, er ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Für die Zulässigkeit des Rechtswegs vor den ordentlichen Gerichten im Sinn der Art 82 ff B-VG ist in erster Linie der Wortlaut des Klagebegehrens und darüber hinaus der Klagesachverhalt (die Klagebehauptungen) maßgebend. Es kommt auf die Natur, das Wesen des geltend gemachten Anspruchs an. Danach ist zu beurteilen, ob ein privatrechtlicher Anspruch im Sinn des § 1 JN erhoben wurde, über den die Zivilgerichte zu entscheiden haben (RIS-Justiz RS0045584; RS0045718 ua). Unerheblich ist, ob der behauptete Anspruch berechtigt ist, weil hierüber erst in der Sachentscheidung abzusprechen ist (RS0045718; RS0045491).

Unter bürgerlich-rechtlichen Ansprüchen sind im Sinn des § 1 JN jene anspruchsbegründenden rechtlichen Regelungen zu verstehen, die auf Gleichordnung beruhende Rechtsbeziehungen zwischen beliebigen Rechtssubjekten zum Gegenstand haben (vgl RS0045438). Über Zivilrechtsansprüche können nach der durch die Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 (BGBl I 2012/51) geschaffenen Rechtslage sowohl die ordentlichen Gerichte als auch Verwaltungsbehörden entscheiden (1 Ob 246/14d; Ballon in Fasching/Konecny³ I § 1 JN Rz 66). Die Kompetenz der ordentlichen Gerichte hängt davon ab, ob ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch geltend gemacht wird, der nicht ausdrücklich durch das Gesetz vor eine andere Behörde verwiesen wird (RS0045584 [T32]; RS0005896 [T28]; Mayr in Rechberger ZPO5 Vor § 1 JN Rz 5 ff; Sengstschmid in Höllwerth/Ziehensack, ZPO-TaKom § 1 JN Rz 48). Soll von der Zuständigkeit der Gerichte eine Ausnahme geschaffen werden, muss sie in dem dafür erforderlichen „besonderen Gesetz“ klar und unzweideutig zum Ausdruck gebracht werden (RS0045474). Im Zweifel müssen bürgerliche Rechtssachen gemäß § 1 JN mangels ausdrücklicher anderer Anordnung durch die Gerichte entschieden werden (RS0045456).

2. Die Klägerin gründet ihren Anspruch auf § 133 Abs 5 BVergG 2018, der systematisch in das 3. Hauptstück des Gesetzes „Bestimmungen für die Durchführung von Vergabeverfahren“, 8. Abschnitt „Das Zuschlagsverfahren“, eingegliedert ist. Nach dieser Bestimmung hat der öffentliche Auftraggeber über die Öffnung der Angebote beim offenen und beim nicht offenen Verfahren ein Protokoll zu verfassen, das die in den Z 1 bis 6 aufgezählten Angaben zu den einzelnen Angeboten zu enthalten hat. Das Protokoll ist jedem Bieter zu übermitteln bzw bereitzustellen.

Der Verlesung der Angebote, deren Zweck die Transparenz des Vergabeverfahrens und die Vorbeugung von Manipulationen war (vgl VwGH 2004/04/0100; 2005/04/0214 ua), kommt nach dem BVergG 2018 bei der nunmehr freiwilligen öffentlichen Angebotsöffnung keine entscheidende Bedeutung mehr zu. Diese Funktion übernimmt nach der neuen Rechtslage das Angebotsöffnungsprotokoll (Deutschmann in Heid/Reisner/Deutschmann, BVergG 2018 § 133 Rz 8), das zwingend jedem Bieter (auch ohne diesbezüglichen Antrag) zu übermitteln ist (ErlRV 69 BlgNR 26. GP 152). Nach den Gesetzesmaterialien soll der Bieter einen „Einspruch“ gegen das Angebotsöffnungsprotokoll erheben können. Eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage gibt es dafür aber nicht. Nach Meinung von Dillinger/Oppel (Das neue BVergG 2018, Fn 2055 zu Rz 6.20) werde ein solcher „Einspruch“ in der Regel das Aufzeigen behaupteter Fehler darstellen; es sei aufgrund des Transparenzprinzips grundsätzlich zu prüfen und zu dokumentieren, ob die behaupteten Fehler vorliegen würden. Würden keine Fehler von möglicher Relevanz aufgezeigt, so sei der „Einspruch“ aus diesem Grund irrelevant. Die Möglichkeit des „Einspruchs“ sei wohl aus der Mitwirkungsmöglichkeit – und Mitwirkungsobliegenheit – der Bieter im Vergabeverfahren abzuleiten.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass auch die (neue) Bestimmung des § 133 Abs 5 BVergG 2018 über das Angebotsöffnungsprotokoll die Transparenz des Vergabeverfahrens gewährleisten und Manipulationen hintanhalten soll. Eine von der Sicherstellung eines rechtskonformen Vergabeverfahrens und dessen Überprüfbarkeit losgelöste Zielrichtung des § 133 Abs 5 BVergG 2018 behauptet die Klägerin im Übrigen gar nicht.

3.1 Gemäß § 327 BVergG 2018 ist das Bundesverwaltungsgericht zuständig zur Entscheidung über Anträge wegen Rechtswidrigkeit eines Verhaltens eines Auftraggebers in den Angelegenheiten des öffentlichen Auftragswesens, soweit es sich um Auftraggeber handelt, die gemäß Art 14b Abs 2 Z 1 B-VG in den Vollziehungsbereich des Bundes fallen.

Mit dieser Bestimmung hat der Gesetzgeber das Bundesverwaltungsgericht mit der Vergabekontrolle betraut (vgl Reisner in Heid/Reisner/Deutschmann, BVergG 2018 § 327 Rz 1).

Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit ist die behauptete rechtswidrige Entscheidung des Auftraggebers. Daher ist ausschlaggebend, von wem die angefochtene Entscheidung stammt und wer zivilrechtlicher Vertragspartner werden soll (Reisner aaO § 327 Rz 3).

Die beklagte Auftraggeberin ist eine Körperschaft öffentlichen Rechts. Ihre Tätigkeit ist die Erbringung von Sozialversicherungsleistungen. Sie ist als Selbstverwaltungskörperschaft voll rechtsfähig und unterliegt der Aufsicht des Bundes. Sie wurde daher bereits vom Bundesvergabeamt als Auftraggeberin nach § 3 Abs 1 Z 2 BVergG 2006 qualifiziert, die nach Art 14b Abs 2 Z 1 lit d B-VG in den Vollziehungsbereich des Bundes und nach § 291 Abs 2 BVergG 2006 unter die Zuständigkeit des Bundesvergabeamts zur Nachprüfung von Vergabeverfahren fiel (N/0034-BVA/10/2007-046). Diese Einordnung hat auch für die Rechtslage nach dem BVergG 2018 zu gelten, weil die Definition des öffentlichen Auftraggebers in § 4 Abs 1 BVergG 2018 im Vergleich zur alten Rechtslage inhaltlich unverändert blieb (ErlRV 69 BlgNR 26. GP 21).

3.2 Gemäß § 334 BVergG ist das Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung über Nachprüfungsanträge, Anträge auf Erlassung einstweiliger Verfügungen und Feststellungsanträge sowie dazu akzessorischer Anträge wie Ersatz der Pauschalgebühr zuständig (vgl Reisner aaO § 327 Rz 2). Die Regelung des § 334 BVergG 2018 ist – wie die Revisionsrekurswerberin zutreffend bemerkt – abschließend (vgl VwGH 2012/04/0133). Weitere Zuständigkeiten kommen dem Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Vergabekontrolle nicht zu (Reisner aaO § 334 Rz 1).

3.3 Daraus folgt aber nicht die Zuständigkeit der Zivilgerichte für den geltend gemachten Anspruch. Das Rechtsschutzsystem des BVergG 2018 kennt – wie schon die alte Rechtslage – gesondert anfechtbare und nicht gesondert anfechtbare Entscheidungen. Durch diese Einteilung soll eine Strukturierung des Vergabeverfahrens und eine effiziente Abwicklung des Rechtsschutzverfahrens erreicht werden (ErlRV 69 BlgNR 26. GP 9). Nicht gesondert anfechtbare Entscheidungen sind gemeinsam mit der nachfolgend gesondert anfechtbaren Entscheidung anzufechten (vgl VwGH 2012/04/0154; Heid/Ring in Heid/Reisner/Deutschmann, BVergG 2018 § 2 Rz 48 mwN). Zur alten Rechtslage hat der VwGH etwa bereits ausgesprochen, dass die Unterlassung von verpflichtenden Verlesungen bei der Angebotsöffnung zur Nichtigerklärung der Zuschlagserteilung führen kann (VwGH 2004/04/0100; 2009/04/0289).

4Neben dem Rechtsschutzsystem vor dem Bundesverwaltungsgericht kennt das BVergG 2018 – wie die Klägerin einwendet – einen „sekundären Zivilrechtsschutz“.

Schadenersatzansprüche und wettbewerbsrechtliche Ansprüche aus Verstößen gegen das Vergaberecht sind vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen. § 373 Abs 2 und Abs 4 BVergG 2018 sehen allerdings für derartige Verfahren (im Regelfall) als Prozessvoraussetzung eine (bindende) Feststellungsentscheidung der Vergabekontrollbehörde vor (Kurz in Heid/Reisner/Deutschmann, BVergG 2018 § 373 Rz 3 und 7). Darin liegt eine – dem Interesse an der Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen von Vergabebehörden und ordentlichen Gerichten geschuldete (vgl 4 Ob 100/11a) – Beschränkung der Zulässigkeit des Rechtswegs (vgl RS0127139; ErlRV 69 BlgNR 26. GP 226 f). Aus § 373 BVergG 2018 ist für die Klägerin daher nichts zu gewinnen.

5. Vielmehr unterliegt die von der Klägerin herangezogene Bestimmung des § 133 Abs 5 BVergG 2018 über das Angebotsöffnungsprotokoll als Durchführungsvorschrift für das Vergabeverfahren der Vergabekontrolle durch das Bundesverwaltungsgericht. Eine Zuständigkeit der Zivilgerichte für einen darauf gegründeten Herausgabeanspruch ist durch die klare und unzweideutige gesetzliche Zuweisung der Vergabekontrolle an das Bundesverwaltungsgericht (§ 327 BVergG 2018) ausgeschlossen (vgl zur Abgrenzung Justizweg – Verwaltungsweg im Zusammenhang mit dem Vergaberecht auch Ballon in Fasching/Konecny³ I § 1 JN Rz 220/1 f; Sengstschmid in Höllwerth/Ziehensack, ZPO-TaKom § 1 JN Rz 158). Das bedeutet, dass die von der Klägerin behauptete, in der Nichtübermittlung des Protokolls liegende Rechtswidrigkeit des Verhaltens der beklagten Auftraggeberin bzw ein daraus abgeleiteter Anspruch (nur) vor dem Bundesverwaltungsgericht geltend zu machen ist. Eine Rechtsschutzlücke liegt entgegen der Meinung der Revisionsrekurswerberin insoweit nicht vor.

Dem Revisionsrekurs war daher nicht Folge zu geben.

6. Die Klägerin hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Textnummer

E129278

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0080OB00056.20Y.0825.000

Im RIS seit

09.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

07.12.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten