Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 10. September 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Dr. Brenner und Dr. Setz-Hummel in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Weinhandl in der Strafsache gegen Robert K***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 6 Hv 9/20b des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts vom 4. Februar 2020, GZ 6 Hv 9/20b-37, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Stani und der Verteidigerin Mag. Schwarzenbacher, zu Recht erkannt:
Spruch
Das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Jugendschöffengericht vom 4. Februar 2020, GZ 6 Hv 9/20b-37, verletzt in seinem Strafausspruch § 19 Abs 1 JGG iVm § 5 Z 4 JGG.
Es werden dieses Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in seinem Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) sowie der damit untrennbar verbundene Beschluss über die bedingte Entlassung (§ 265 Abs 1 StPO iVm § 46 Abs 1 StGB iVm § 152 Abs 1 Z 2 StVG) und die Anordnung von Bewährungshilfe (§§ 50, 52 StGB) aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Jugendschöffengericht vom 4. Februar 2020, GZ 6 Hv 9/20b-37, wurde der am 3. März 1998 geborene Robert K***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (I./) und der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall, Abs 2 SMG (II./) schuldig erkannt und unter Bedachtnahme auf § 28 StGB „sowie auf § 19 JGG“ nach § 28a Abs 4 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt, wovon gemäß § 43a Abs 3 StGB ein Strafteil von 18 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.
Mit zugleich gefasstem Beschluss gewährte das erkennende Gericht für den Fall der Rechtskraft gemäß § 265 Abs 1 StPO iVm § 46 Abs 1 StGB iVm § 152 Abs 1 Z 2 StVG die bedingte Entlassung aus dem unbedingt ausgesprochenen Strafteil unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit und ordnete für deren Dauer gemäß §§ 50, 52 StGB Bewährungshilfe an (US 2, 10).
Nach dem Schuldspruch I./ hat Robert K***** – soweit hier von Relevanz – in G***** und an anderen Orten vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, indem er im Zeitraum von März 2015 bis zum 9. September 2019 insgesamt 7.000 Gramm Cannabiskraut mit einem Reinheitsgehalt von 10 % (700 Gramm Delta-9-THC; 35-fache Grenzmenge) gewinnbringend an die im Urteil namentlich genannten sowie weitere unbekannte Abnehmer verkaufte, wobei sein Vorsatz auf eine Tatbildverwirklichung in Teilmengen gerichtet war sowie die kontinuierliche Tatbegehung über einen längeren Deliktszeitraum und den daran geknüpften Additionseffekt sowie die Überschreitung des Fünfundzwanzigfachen der Grenzmenge des § 28b SMG mitumfasste.
Das Erstgericht führte zwar hinsichtlich des angenommenen Strafrahmens „§ 19 JGG“ an, ging aber gemäß § 28a Abs 4 SMG von einem Strafrahmen von einem bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe aus (vgl US 2 und 9). Begründend führte es aus, dass der Angeklagte bei den Suchtgiftverkäufen „in Summe dadurch das 25-fache der Grenzmenge“ überschritt (US 4).
Gegen das vom Angeklagten unbekämpft gelassene Urteil erhob die Staatsanwaltschaft Graz zu dessen Nachteil das Rechtsmittel der Berufung, mit welcher eine Erhöhung der Freiheitsstrafe unter Ausschaltung der Anwendung des § 43a Abs 3 StGB begehrt wurde. Über diese hat das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht (AZ 8 Bs 120/20p) bislang nicht entschieden.
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, steht das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Jugendschöffengericht vom 4. Februar 2020, GZ 6 Hv 9/20b-37, in seinem Strafausspruch mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Gemäß der mit BGBl I 2015/154 neu eingeführten Z 11 des § 5 JGG richten sich die Strafdrohungen, wenn Werte oder Schadensbeträge einer Jugendstraftat mit jenen einer Straftat, die nach Vollendung des 18. Lebensjahres begangen wurde, zusammenzurechnen (§ 29 StGB) sind, nach Z 2 bis 5 leg cit; begründet jedoch allein die Summe der Werte oder Schadensbeträge der nach dem genannten Zeitpunkt begangenen Straftaten eine höhere Strafdrohung, so ist diese maßgeblich. Diese Grundsätze sind bei der Zusammenrechnung von Mengen im Suchtmittelbereich gleichfalls anzuwenden (Schroll in WK2 JGG § 5 Rz 6). Daher kommt § 19 Abs 1 iVm § 5 Z 4 und § 5 Z 11 JGG beim jungen Erwachsenen bei altersübergreifender Delinquenz nach § 28a Abs 1, Abs 4 Z 3 SMG dann zum Einsatz, wenn der nunmehr junge Erwachsene seine als Jugendlicher begonnenen Suchtmitteltransaktionen weiterhin mit Additionsvorsatz durchführt und auch in dieser Alterskategorie die herangezogene Mengenqualifikation überschreitet (Schroll in WK² JGG § 5 Rz 6/3; 12 Os 37/17h = RIS-Justiz RS0131430). Werden wie hier mengenqualifizierte Straftaten sowohl als junger Erwachsener als auch als über 21 Jahre alter Erwachsener begangen, so sieht § 19 Abs 3 JGG eine dem § 5 Z 11 JGG nachgebildete Sonderregelung bei der Strafrahmenbestimmung vor; das Obgesagte gilt in gleicher Weise (Schroll in WK2 JGG § 19 Rz 17).
Davon ausgehend vermögen die Urteilskonstatierungen, wonach der am 3. März 1998 geborene Robert K***** die im Spruch genannten, „in Summe“ das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge des § 28b SMG überschreitenden Mengen „zahlreichen Abnehmern“ im Zeitraum von März 2015 bis zum 9. September 2019 durch gewinnbringenden Verkauf überließ (US 3 bis 5), die Nichtanwendung des § 19 Abs 1 JGG iVm § 5 Z 4 (in Bezug auf den Entfall des Mindestmaßes der angedrohten Freiheitsstrafe) JGG nicht zu tragen. Sie treffen nämlich keine Aussage dazu, dass die von Robert K***** nach Ablauf des 3. März 2019 als über 21 Jahre alter Erwachsener begangenen Tathandlungen isoliert gesehen eine Überschreitung der Mengenqualifikation des § 28a Abs 1, Abs 4 Z 3 SMG bewirkt hätten (§ 19 Abs 3 JGG). Ist dies jedoch nicht der Fall, wäre gemäß § 19 Abs 1 zweiter Satz JGG iVm § 5 Z 4 JGG vom Entfall des in § 28a Abs 4 Z 3 SMG festgelegten Strafmindestmaßes auszugehen (vgl Schroll in WK² JGG § 19 Rz 6).
Dieser – dem Verurteilten zum Nachteil gereichende und Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO begründende (vgl RIS-Justiz RS0116127) – Rechtsfehler mangels Feststellungen verletzt unabhängig davon, ob die verhängte Strafe die Grenzen der gesetzlichen Strafbefugnis tangiert, das Gesetz (RIS-Justiz RS0086949; Schroll in WK² JGG § 5 Rz 26).
Der Oberste Gerichtshof sah sich daher veranlasst, der Gesetzesverletzung – wie aus dem Spruch ersichtlich – gemäß § 292 letzter Satz StPO konkrete Wirkung zuzuerkennen.
Die Berufung der Staatsanwaltschaft ist damit gegenstandslos.
Zu beachten ist, dass andere als die in § 494a StPO genannten, in Zusammenhang mit einem Urteil ergehenden Beschlüsse nicht gemeinsam mit dem Urteil, sondern gesondert auszufertigen sind (Danek, WK-StPO § 270 Rz 50; RIS-Justiz RS0120887 [T3], RS0101841 [T1]).
Textnummer
E129214European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0120OS00074.20D.0910.000Im RIS seit
06.10.2020Zuletzt aktualisiert am
06.10.2020