TE Vwgh Erkenntnis 1997/11/7 95/19/1694

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Veröffentlicht am 07.11.1997
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AufG 1992 §6 Abs2;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winkler, über die Beschwerde der G K, geboren 1968, vertreten durch DDr. Wolfgang Schulter, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Fleischmarkt 28, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 10. Oktober 1995, Zl. 109.448/2-III/11/94, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin brachte am 5. Juli 1994 von Preßburg aus auf dem Postweg einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung bei der dortigen österreichischen Botschaft ein, der am 11. Juli 1994 beim Magistrat der Stadt Wien einlangte. Der Landeshauptmann von Wien wies den Antrag mit Bescheid vom 9. September 1994 gemäß § 6 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) ab. Der Antrag sei offenbar von einer dritten Person von Bratislava aus der österreichischen Botschaft übermittelt worden; im Akt scheine lediglich ein Wohnsitz in Wien auf. Mit dieser Vorgangsweise werde das gesetzliche Erfordernis einer Antragstellung vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus nicht erfüllt, zumal auch keinerlei Grund zur Annahme bestehe, daß sich "der Antragsteller" zum Zeitpunkt der Antragstellung im Ausland befunden habe.

In der dagegen erhobenen Berufung rügte die Beschwerdeführerin, die Behörde erster Instanz habe kein Ermittlungsverfahren durchgeführt, der Bescheid gründe sich lediglich auf Vermutungen. So sei nicht nachgewiesen worden, daß sie sich zum Zeitpunkt der Antragstellung im Inland aufgehalten habe.

Diese Berufung wurde mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 10. Oktober 1995, zugestellt am 23. Oktober 1995, gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 6 Abs. 2 AufG sowie § 5 Abs. 1 AufG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes (FrG) abgewiesen.

Begründend führte der Bundesminister für Inneres aus, der Beschwerdeführerin sei bislang keine Aufenthaltsbewilligung erteilt worden. Seit Ablauf des ihr zuletzt erteilten Sichtvermerkes (Geltungsdauer bis 30. Juli 1993) befinde sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet. Die Beschwerdeführerin sei seit 1992 in Wien wohnhaft. Seit 28. April 1994 sei sie an einer Adresse im 15. Wiener Gemeindebezirk aufrecht gemeldet. Ihr Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung sei durch Dritte postalisch von Bratislava aus bei der österreichischen Botschaft eingereicht worden. Sie habe sich zum Zeitpunkt der Antragstellung eindeutig im Bundesgebiet aufgehalten und somit das gesetzliche Erfordernis einer Antragstellung vom Ausland aus nicht erfüllt.

Zwar gebe es Fälle, bei denen eine Erstantragstellung im Inland durch das Gesetz ermöglicht werde, und auch Fälle, bei denen eine Antragstellung im Inland in Ausnahmefällen "durch Judikatur ermöglicht" werde, doch treffe beides im vorliegenden Fall nicht zu.

Es stehe überdies fest, daß sich die Beschwerdeführerin seit Ablauf ihrer Aufenthaltsberechtigung am 30. Juli 1993 unerlaubt im Bundesgebiet aufhalte. Diese Tatsache stelle eine Gefährdung für die öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit dar, da das Verhalten der Beschwerdeführerin auf andere Fremde durchaus Beispielwirkung haben könne. § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG finde durch § 5 Abs. 1 AufG "direkte Anwendung".

Durch den Aufenthalt des Bruders der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet bestünden zwar private Beziehungen zu Österreich, bei der nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes gebotenen verfassungskonformen Interpretation sei aber eine analoge Heranziehung des § 6 Abs. 2 letzter Satz AufG im Falle der Beschwerdeführerin ausgeschlossen, da sie die Frist zur Stellung eines Antrages auf Verlängerung ihrer Aufenthaltsberechtigung um fast 12 Monate versäumt habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Die Beschwerdeführerin sei jugoslawische Staatsangehörige und könne auf einen jahrelangen Aufenthalt in Österreich zurückblicken. Sie habe jeweils über aufenthaltsrechtliche Bewilligungen in Form von Sichtvermerken verfügt, sei aber infolge der Einführung des Aufenthaltsgesetzes zu einer Auslandsantragstellung verpflichtet gewesen. Sie habe ihren Antrag auch vom Ausland aus gestellt und sich hiezu "der postalischen Antragstellung" bedient. Die Behörde erster Instanz habe für ihre Vermutung, daß die Beschwerdeführerin ihren Antrag nicht vor der Einreise in das Bundesgebiet gestellt habe, keinerlei Anhaltspunkte liefern können. Wie die belangte Behörde zu ihrer Feststellung gelange, daß sich die Beschwerdeführerin seit dem 30. Juli 1993 durchgehend in Österreich aufhalte, bleibe "im Dunkeln". Die Feststellungen der belangten Behörde seien nicht zutreffend und aktenwidrig. Eine polizeiliche Meldung reiche für sich nicht aus, um den Verdacht begründet erscheinen zu lassen, daß sich eine Person unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Es liege keine rechtskräftige Bestrafung nach den §§ 15 und 82 FrG vor. Der Beschwerdeführerin sei insbesondere keine Gelegenheit gegeben worden, zu den Vorwürfen der belangten Behörde Stellung zu nehmen. Über Aufforderung der belangten Behörde wäre sie in der Lage gewesen nachzuweisen, daß sie sich nicht im Bundesgebiet Österreich aufhalte. Es wäre ihr möglich gewesen, durch Vorlage einer entsprechenden Wohnsitzbescheinigung aus Jugoslawien bzw. durch Zeugenaussagen zu beweisen, daß sie nicht im Inland aufhältig sei. Die Beschwerdeführerin sei weder von der Behörde erster Instanz noch von der belangten Behörde "körperlich" in Österreich angetroffen worden. Die belangte Behörde schöpfe ihre Erkenntnisse "lediglich aus der Meldedarstellung", die ebenfalls nicht den Tatsachen entspreche. Die Heranziehung des Sichtvermerksversagungsgrundes nach § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG sei unzulässig, weil im vorliegenden Verfahren kein Sachverhalt erwiesen sei, der den Rückschluß zulasse, daß der Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen:

Im Hinblick auf das Datum der Zustellung des angefochtenen Bescheides ist für die Überprüfung seiner Rechtmäßigkeit durch den Verwaltungsgerichtshof das Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 351/1995 maßgebend.

Die §§ 5 Abs. 1, 6 Abs. 2 sowie 13 Abs. 1 AufG in der Fassung dieser Novelle lauten:

"§ 5. (1) Eine Bewilligung darf Fremden nicht erteilt werden, bei denen ein Sichtvermerksversagungsgrund (§ 10 Abs. 1 FrG) vorliegt, insbesondere aber, wenn deren Lebensunterhalt oder eine für Inländer ortsübliche Unterkunft in Österreich für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert ist.

...

§ 6.

...

(2) Der Antrag auf Erteilung einer Bewilligung ist vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus zu stellen. Begründet eine Einbringung auf dem Postweg oder durch Vertreter die Vermutung, daß diese Regelung umgangen werden soll, kann die persönliche Einbringung verlangt werden. Eine Antragstellung im Inland ist ausnahmsweise zulässig: Im Fall des Verlustes der österreichischen Staatsbürgerschaft, des Asyls oder des Aufenthaltsrechts gemäß § 1 Abs. 3 Z. 1; weiters in den Fällen des § 7 Abs. 2, des § 12 Abs. 4 und einer durch zwischenstaatliche Vereinbarung oder durch eine Verordnung gemäß § 14 FrG ermöglichten Antragstellung nach Einreise; schließlich für jene im Bundesgebiet aufhältigen Personen, für die dies in einer Verordnung gemäß § 2 Abs. 3 Z. 4 festgelegt ist. Der Antrag auf Verlängerung einer Bewilligung und auf Änderung des Aufenthaltszwecks kann bis zum Ablauf der Geltungsdauer der Bewilligung auch vom Inland aus gestellt werden.

...

§ 13. (1) Die Berechtigungen zum Aufenthalt von Fremden, auf die dieses Bundesgesetz Anwendung findet und die sich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, bleiben unberührt. Sie können mit Ablauf der Geltungsdauer dieser Berechtigung die Erteilung einer Bewilligung unter sinngemäßer Anwendung der für die Verlängerung von Bewilligungen geltenden Vorschriften (§ 4 Abs. 2) beantragen.

..."

§ 10 Abs. 1 Z. 4 FrG lautet:

"§ 10. (1) Die Erteilung eines Sichtvermerkes ist zu versagen, wenn

...

4. der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde;

..."

Da die Beschwerdeführerin noch nie über eine Aufenthaltsbewilligung verfügte, wertete die belangte Behörde ihren Antrag zu Recht nicht als Verlängerungsantrag. Die Beschwerdeführerin verfügte allerdings nach der Aktenlage über gewöhnliche Sichtvermerke, gültig vom 25. Juni 1992 bis 30. November 1992 und vom 14. Jänner 1993 bis zum 30. Juli 1993. Sie hielt sich demnach im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Aufenthaltsgesetzes - am 1. Juli 1993 - rechtmäßig im Inland auf, weshalb sie in der Lage gewesen wäre, gemäß § 13 Abs. 1 zweiter Satz AufG mit Ablauf der Geltungsdauer ihrer bisherigen Berechtigung die Erteilung einer Bewilligung unter sinngemäßer Anwendung der für die Verlängerung von Bewilligungen geltenden Vorschriften zu beantragen. Den vorliegenden Antrag stellte die Beschwerdeführerin jedoch erst am 5. Juli 1994, somit nicht, wie dies § 13 Abs. 1 AufG vorsieht, bis zum Ablauf der Geltungsdauer der bisherigen Berechtigung. Die belangte Behörde hatte den Antrag der Beschwerdeführerin daher an § 6 Abs. 2 erster Satz AufG zu messen.

Gemäß § 6 Abs. 2 erster Satz AufG ist der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus zu stellen. Mit "der Einreise nach Österreich" im Sinne dieser Bestimmung ist die Einreise des Antragstellers gemeint (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 14. Mai 1996, Zl. 95/19/1168, mwN). Die Antragstellung durch einen Vertreter vom Ausland aus, während sich der Fremde selbst im Inland aufhält, erfüllt die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 AufG nicht.

Nach dem u.a. aus den Gesetzesmaterialien erschließbaren Normzweck des § 6 Abs. 2 AufG wird für die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung allerdings nicht nur vorausgesetzt, daß der Antrag vor der Einreise in das Bundesgebiet gestellt wird, sondern auch, daß die Entscheidung über den Antrag vom Ausland aus abgewartet wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 1996, Zl. 95/19/1703, mwN). Da § 6 Abs. 1 AufG nicht zu entnehmen ist, ein Fremder habe von sich aus glaubhaft zu machen, daß sein Antrag auf Erteilung einer Bewilligung vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus gestellt wurde, ist das Vorliegen dieser Erfolgsvoraussetzung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Jänner 1997, Zl. 96/19/1010) gemäß § 39 Abs. 2 erster Satz AVG von der Behörde von Amts wegen zu prüfen, wenn sie - wie im vorliegenden Fall - nicht auf Grund ihrer Vermutung, § 6 Abs. 2 erster Satz solle umgangen werden, nach dem zweiten Satz dieser Bestimmung vorgeht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. März 1997, Zl. 95/19/0792). Dabei trifft die Partei die Pflicht, an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes mitzuwirken.

Es kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob die Beschwerdeführerin, die im Antragsformular keinen derzeitigen Wohnsitz angegeben hatte und auch in der Berufung keine Adresse nannte, ihrer Mitwirkungspflicht nachgekommen ist. Selbst wenn nämlich die belangte Behörde der Auffassung gewesen sein sollte, das Fehlen derartiger Angaben zum Aufenthaltsort der Beschwerdeführerin in ihre Beweiswürdigung einbeziehen zu können, hätte sie gemäß § 60 AVG in der Begründung des angefochtenen Bescheides die bei ihrer Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen darzulegen gehabt. Da die belangte Behörde jedoch jegliche Beweiswürdigung unterlassen hat, hat sie Verfahrensvorschriften mißachtet, bei deren Einhaltung sie, wie die Beschwerdeausführungen zeigen, zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.

Von diesem Verfahrensfehler ist auch die Heranziehung des Sichtvermerksversagungsgrundes nach § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG erfaßt, weil die belangte Behörde ihrer Beurteilung einen Aufenthalt der Beschwerdeführerin ab dem 30. Juli 1993 im Bundesgebiet zugrunde legte. Bei der Heranziehung des Sichtvermerksversagungsgrundes nach § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG unterlief der belangten Behörde allerdings auch ein Fehler in der rechtlichen Beurteilung, weil nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ein an den Ablauf einer Aufenthaltsbewilligung oder eines gewöhnlichen Sichtvermerkes anschließender Aufenthalt eines Antragstellers für sich allein nicht die Annahme rechtfertigt, der weitere Aufenthalt des Antragstellers auf Grund der von ihm angestrebten Bewilligung werde die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit im Bundesgebiet gefährden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. Mai 1996, Zl. 95/19/0907).

Wegen der aufgezeigten Verletzung von Verfahrensvorschriften war der angefochtene Bescheid daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1997.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Schlagworte

Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel Begründung der Wertung einzelner Beweismittel Begründungspflicht Manuduktionspflicht Mitwirkungspflicht Beweiswürdigung Wertung der Beweismittel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995191694.X00

Im RIS seit

02.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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