Entscheidungsdatum
22.04.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
L508 2193602-2/31E
Schriftliche Ausfertigung des am 03.03.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. HERZOG als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , StA. Libanon, vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.05.2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.03.2020 zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird in allen Spruchpunkten als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer (nachfolgend BF) reiste gemeinsam mit seiner Familie (Mutter, Halbbruder, Schwester und deren Kinder) illegal in das österreichische Bundesgebiet und stellte am 09.10.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Im Rahmen der verschiedenen Befragungen gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen zu Protokoll, dass er im Libanon geboren wurde. Er sei aber nur im Libanon geboren, habe jedoch stets in Syrien gelebt und sei dort aufgewachsen. Der Grund hierfür war, dass sein Vater in Syrien gearbeitet habe. Sein Vater sei vor drei Monaten verschwunden und wüsste er nicht was mit ihm geschehen sei. Syrien habe er verlassen, da dort Krieg herrsche. In den Libanon könne er nicht, da er dort niemanden habe. In Syrien wäre er in Lebensgefahr.
3. Mit Bescheid vom 29.01.2015, Zl: XXXX , wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Weiters wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Libanon gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.) Weiters stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl fest, dass dem Asylwerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt werde. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVM § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF wurde gegen den Asylwerber eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen. Gemäß § 52 Absatz 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Libanon zulässig sei. Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung. Das Vorbringen wurde für glaubwürdig erachtet. Festgestellt wurde, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen libanesischen Staatsangehörigen handle und eine Gefährdung im Libanon nicht vorgebracht worden sei. Verfolgungshandlungen betreffend dem Libanon seien nicht vorgebracht worden, weswegen weder Asyl noch subsidiärer Schutz zu gewähren sei und sei der Beschwerdeführer als Staatsangehöriger des Libanon in diesen Staat abzuschieben.
4. Laut Aktenvermerk des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.08.2015 kehrte die Mutter der Halbgeschwister des BF am 22.07.2015 unter Gewährung von Rückkehrhilfe in den Libanon zurück.
5. Einer gegen den oa. Bescheid fristgerecht eingebrachte Beschwerde wurde mit Beschluss des BVwG vom 03.09.2015 Folge gegeben, der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Dies im Wesentlichen mit der Begründung, dass das BFA nur unzureichende Ermittlungen hinsichtlich der Gefährdungslage und der Lebenssituation des BF im Libanon geführt habe.
6. Das BFA führte mit dem BF in weiterer Folge am 20.01.2016 eine Einvernahme durch.
7. In der Folge wurden zahlreiche Unterlagen zur Integration des BF in Vorlage gebracht.
8. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 22.03.2018, Zl: XXXX , wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Weiters wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Libanon gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.) Weiters stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl fest, dass dem Asylwerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt werde. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVM § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF wurde gegen den Asylwerber eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen. Gemäß § 52 Absatz 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Libanon zulässig sei. Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung. Das Vorbringen wurde für glaubwürdig erachtet. Festgestellt wurde, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen libanesischen Staatsangehörigen handle und eine Gefährdung im Libanon nicht vorgebracht worden sei. Verfolgungshandlungen betreffend dem Libanon seien nicht vorgebracht worden, weswegen weder Asyl noch subsidiärer Schutz zu gewähren sei und sei der Beschwerdeführer als Staatsangehöriger des Libanon in diesen Staat abzuschieben.
9. Einer dagegen fristgerecht eingebrachte Beschwerde wurde mit Beschluss des BVwG vom 03.09.2018 Folge gegeben, der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Dies im Wesentlichen mit der Begründung, dass das BFA nur unzureichende Ermittlungen hinsichtlich der Gefährdungslage und der Lebenssituation des BF im Libanon geführt habe. Darüber hinaus habe sich das BFA nicht in gehöriger Weise mit der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung auseinandergesetzt, keine individuelle Interessenabwägung vorgenommen und sich mit den zahlreich in Vorlage gebrachten Unterlagen zur Integration nur äußerst unzureichend auseinandergesetzt. Außerdem sei zwischen der Einvernahme des BF durch das BFA am 20.01.2016 bis zur Ausfertigung des Bescheides ein Zeitraum von mehr als zwei Jahren verstrichen, weswegen schon hinsichtlich der Prüfung der Rückkehrentscheidung eine neuerliche Befragung des BF geboten gewesen sei.
10. Am 05.09.2018 wurde der BF als Zeuge im Asylverfahren seines Halbbruders, L508 2102925-2, niederschriftlich vor der belangten Behörde einvernommen. Dort führte der BF aus, dass er und sein Halbbruder Schiiten seien. Sie seien beide im Nordlibanon geboren. Sein Vater sei aus dem Südlibanon. Sein Vater habe mehrere Frauen gehabt. Seine Mutter sei die Erstfrau gewesen und die Mutter seines Halbbruders die Zweitfrau. Es lebe nur noch seine Mutter, der gemeinsame Vater sei tot.
11. Das BFA führte mit dem Beschwerdeführer in weiterer Folge am 17.10.2018 eine Einvernahme durch.
Zusammengefasst gab der BF an, er möchte wegen seiner Freundin hier in Österreich bleiben. Er habe sich hier ein Leben aufgebaut. In den Libanon möchte er nicht zurück, weil er dort von Null anfangen müsse. Dort würde er gezwungen sein sich einer politischen Partei anzuschließen, da es sonst bspw. schwer sei Arbeit zu finden. Er möchte sich jedoch keiner Partei anschließen, da diese einem dann vorschreiben würde was man machen muss. Er sei auch einmal Mitglied der Harakeh Amal Partei gewesen, um weniger zahlen zu müssen. Dafür habe er jedoch Liefertätigkeiten mit seinem eigenen Auto erledigen müssen. Gelebt habe er von 2010 - 2013 im Libanon während seines Studiums, ansonsten habe er in Syrien gelebt. Manchmal habe er auch mit seiner Familie jemanden im Libanon besucht. Probleme mit den Behörden oder staatsähnlichen Institutionen habe er in seinem Heimatland nicht gehabt.
Der BF brachte im Zuge der Einvernahme ein Konvolut an Beweismitteln in Vorlage, darunter ein Maturazeugnis, Universitätsunterlagen aus Österreich sowie aus dem Libanon, Bewerbungsunterlagen, Empfehlungsschreiben, Bestätigungen von Vereinen sowie Bestätigungen von Deutschkursen, darunter ein ÖSD Zertifikat B1 (AS 525 - 533).
12. Mit Schreiben der Österreichischen Botschaft Beirut vom 11.01.2019 (AS 557) übermittelte die Vertretungsbehörde - entsprechend der Anfrage - ein Konvolut an Unterlagen bezüglich des BF, seines Halbbruders und seiner Halbschwester (AS 545 - 601).
13. Das BFA führte mit dem Beschwerdeführer am 20.03.2019 eine weitere Einvernahme durch.
Zusammengefasst gab der BF zu seinen Ausreisegründen an, der Grund für seine Ausreise liege eigentlich bei seiner Schwester. Es gäbe aber auch politische Gründe. Die Ehe seiner Schwester XXXX sei arrangiert worden und danach habe es Probleme zwischen seiner Schwester und ihrem Mann, insbesondere zwischen seiner Schwester und der Schwiegermutter, gegeben. Die Schwiegermutter sei der Chef der Familie gewesen. Diese habe aufgrund von Eifersucht seine Schwester immer geschlagen und einmal sogar den Kopf seiner Schwester gegen die Fensterscheibe geschlagen. Der Mann seiner Schwester habe nie etwas gemacht. Auch der BF selbst habe nichts machen können, da die Familie sehr reich und einflussreich sei und sogar Kontakte zur Hisbollah und zur Partei "Bewegung Amal" habe. Der Bruder seines Schwagers - XXXX - sei darüber hinaus gut mit dem Chef des Geheimdienstes befreundet. Der BF und seine Schwester hätten daher beschlossen den Libanon zu verlassen und in ein anderes Land zu gehen. Zuvor habe sich seine Schwester von ihrem Mann scheiden lassen und es sei vereinbart worden, dass die Kinder bei seiner Schwester bleiben. Die Schwiegermutter seiner Schwester habe dies jedoch verhindern wollen. Vor der Ausreise habe der BF die Schwiegermutter seiner Schwester noch beleidigt, weswegen der Bruder von XXXX ihn töten wolle.
Ein weiteres Problem sei, dass er im Libanon auf einer teuren Privatuniversität studiert habe und um einen Rabatt zu bekommen sich einer Partei angeschlossen habe. Diese hätten jedoch Hilfeleistungen für den Rabatt verlangt, was der BF jedoch nicht machen habe wollen. Er vermute, dass bei einer eventuellen Rückkehr in den Libanon seine Probleme mittlerweile beseitigt worden seien, es bestehe aber schon die Möglichkeit einer neuerlichen Bedrohung durch die Familie des Mannes seiner Schwester.
14. Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA vom 21.05.2019 (AS 641 - 692) wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Libanon abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in den Libanon gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
Dem Fluchtvorbringen wurde - abgesehen von dem Wunsch nach einer Verbesserung der Lebenssituation - die Glaubwürdigkeit versagt (AS 674 - 678).
In der rechtlichen Beurteilung wurde begründend dargelegt, warum der Beschwerdeführer im Libanon in keiner Weise Verfolgungshandlungen, die unter den Tatbestand des § 3 AsylG subsumierbar sind, ausgesetzt war bzw. solche auch zukünftig nicht zu erwarten sind und warum auch nicht vom Vorliegen einer Gefahr iSd § 8 Abs. 1 AsylG ausgegangen werden könne. Zudem wurde ausgeführt, warum ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wurde, weshalb gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass dessen Abschiebung in den Libanon gemäß § 46 FPG zulässig sei. Letztlich wurde erläutert, weshalb die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.
15. Mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.05.2019 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt (AS 693).
16. Gegen den oa. Bescheid des BFA erhob der Beschwerdeführer fristgerecht mit Schriftsatz vom 14.06.2019 (AS 739 - 752) Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Hinsichtlich des genauen Inhaltes der Beschwerde wird auf den Akteninhalt (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) verwiesen.
16.1. Zunächst wird ausgeführt, dass es das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl verabsäumt habe, ein rechtskonformes Ermittlungsverfahren durchzuführen. Insbesondere habe die Behörde unvollständige und teilweise unrichtige Länderfeststellungen zum Libanon herangezogen. Da diese bestenfalls oberflächlich, lückenhaft und zudem zumindest teilweise veraltet seien, hätten sie für die Beurteilung des gegenständlichen Sachverhaltes keine Relevanz. Sie würden zwar allgemeine Aussagen über den Libanon beinhalten, sich jedoch kaum mit dem konkreten Fluchtvorbringen des BF (Verfolgung durch die Hisbollah und durch die Brüder des Ehemannes der Schwester des BF) befassen und seien dadurch als Begründung zur Abweisung eines Antrages auf internationalen Schutz unzureichend.
16.2 In der Folge wird ausgeführt, dass das BFA seiner amtswegigen Ermittlungspflicht nicht nachgekommen sei, da es aufgrund des im gegenständlichen Verwaltungsverfahrens geltenden Grundsatzes der materiellen Wahrheitsfindung die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers von sich aus laden und diese in ihrer Funktion als Zeugin befragen hätte müssen. Auch der Beschwerdeführer selbst sei mangelhaft befragt worden.
16.3. Bei gesetzesmäßiger Führung des Ermittlungsverfahrens hätte die Behörde das Vorbringen des BF zu entscheidungsrelevanten Tatsachen erhoben und ihn nach einer mangelfreien Beweiswürdigung die Flüchtlingseigenschaft zuerkennen müssen.
Die beweiswürdigenden Ausführungen hinsichtlich der Verfolgung durch die Schwager der Schwester würden sich letztlich auf den Hinweis beschränken, die Angaben seien "vage und schwammig" gewesen und der BF habe "mit allen möglichen Mitteln zu täuschen" versucht. Um welche Mittel es sich dabei handle, sei allerdings nicht erwähnt worden. Es wird weiters ausgeführt, dass der Beschwerdeführer nie behauptet habe Syrer zu sein, wie dies das BFA in seinen Feststellungen ausführe. Die Beweiswürdigung sei daher nicht nachvollziehbar.
Auch die Beweiswürdigung bzgl. der Verfolgung seitens der AMAL-Bewegung/Miliz sei äußerst dürftig ausgefallen. So sei nicht darauf eingegangen worden, dass diese Gruppierung über großen Einfluss verfüge und es daher durchaus sein könne, dass es für Studentenrabatte der Mitgliedschaft bei einer Partei bedarf. Mit den Konsequenzen einer Verweigerung der Kollaboration, wie sie der BF angegeben habe, habe sich das Bundesamt nicht auseinandergesetzt. Hinsichtlich der drohenden Verfolgung durch die AMAL ergäbe sich jedoch, dass ein Verlassen dieser Gruppierung bzw. Austreten aus der Partei weitreichende Konsequenzen habe. Abtrünnige würden als Verräter angesehen werden und Gefahr laufen, attackiert zu werden.
Darüber hinaus entbehre die Verfolgung seitens der politisch bestens vernetzten Schwager der Schwester des Beschwerdeführers angesichts der Länderberichte keineswegs jeglicher Grundlage. Durch die Beleidigung der Schwiegermutter durch den BF sei es zu der von ihm geschilderten Rachesituation gekommen. Hätte das BFA näher nachgefragt, hätte der BF bspw. eine verbale Attacke von XXXX schildern können. Dieser Mann habe weitreichende Kontakte und es sei ihm ein Leichtes, entsprechende Auftragstäter zu organisieren.
Die Länderberichte würden bestätigen, dass die Zugriffsmöglichkeiten der libanesischen Staatsorgane in den von der Hisbollah dominierten Teilen des Libanon stark eingeschränkt seien und die libanesische Regierung daher nicht in der Lage sei, die volle Souveränität und Autorität über ihr Territorium auszuüben. Der BF könne sich daher gegen die Angriffe XXXX und seiner Brüder nicht schützen. Die Hisbollah habe zwar überwiegend im Süden Libanons die Macht, doch gehe aus den aktuellen Länderberichten hervor, dass diese nach der letzten Wahl ihren Einflussbereich auf das ganze Land ausweiten hätten können.
Es erscheine aufgrund der guten wirtschaftlichen Situation des Beschwerdeführers in seinem Heimatland nicht nachvollziehbar, dass eine wirtschaftliche Motivation für die Ausreise verantwortlich gewesen sein solle.
16.4. Zum Beweis, dass der BF in Österreich eine Lebensgefährtin habe, sowie zu dessen Integration und Leben in Österreich, wird beantragt den BF und dessen Lebensgefährtin einzuvernehmen.
16.5. Ferner wird beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge
* eine mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumen;
* falls nicht alle zu Lasten des BF gehenden Rechtswidrigkeiten im angefochtenen Bescheid in der Beschwerde geltend gemacht worden seien, diese amtswegig aufgreifen bzw. allenfalls dem BF einen Verbesserungsauftrag erteilen, um die nicht in der Beschwerde geltend gemachten Beschwerdepunkte ausführen zu können;
* der Beschwerde stattgeben, die angefochtenen Bescheide - allenfalls nach Verfahrensergänzung - zu beheben, und dem BF den Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuerkennen;
* in eventu den angefochtenen Bescheid des BFA - allenfalls nach Verfahrensergänzung - hinsichtlich Spruchpunkt II. abändern und dem BF den Status eines subsidiär Schutzberechtigten gem. § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG zuerkennen;
* in eventu den angefochtenen Bescheid bezüglich des Spruchpunktes III. bis VI. aufzuheben bzw. dahingehend abändern, dass die Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig erklärt und dem BF ein Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK (Aufenthaltsberechtigung plus) erteilt werde;
* in eventu den angefochtenen Bescheid - im angefochtenen Umfang - ersatzlos beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückverweisen.
16.6. Mit diesem Rechtsmittel wurde jedoch kein hinreichend substantiiertes Vorbringen erstattet, welches geeignet wäre, zu einer anderslautenden Entscheidung zu gelangen.
Dem Schriftsatz sind - jeweils in Kopie - eine Vollmachtserklärung, eine Bestätigung vom 16.01.2016 über die Teilnahme an einem Deutschkurs A1/1 und dem Konversationcafe in XXXX , mehrere Bestätigungen über eine ehrenamtliche Mitarbeit beim Österreichischen Roten Kreuz, im Konversationcafe XXXX , beim Kulturverein XXXX , beim Verein XXXX und beim Verein XXXX , eine Bestätigung der XXXX XXXX vom 14.01.2016 über die Unterstützung als Übersetzer, ein Zeugnis vom 28.04.2017 "Deutsch als Fremdsprache", mehrere Schreiben von/an Firmen aus denen hervorgeht, dass sich der BF dort beworben hat, jedoch aufgrund der mangelnden Arbeitserlaubnis nicht eingestellt werden kann, sowie mehrere Unterstützungsschreiben in denen dem BF hervorragende Deutschkenntnisse sowie eine gute Integration in Österreich attestiert wird.
17. In weiterer Folge langten beim Bundesverwaltungsgericht mehrere Stellungnahmen und Urgenzschreiben ein und es wurde auch direkt telefonisch Kontakt aufgenommen. So langten am 12.08.2019, 30.08.2019, 06.09.2019, 26.09.2019, 30.09.2019, 02.10.2019, 08.10.2019, 15.10.2019, 24.10.2019, 28.10.2019, 07.11.2019 und am 11.12.2019 Schriftstücke ein. In den meisten wiesen der Beschwerdeführer oder dessen Lebensgefährtin auf die lange Verfahrensdauer und die damit einhergehende schwierige Situation sowie auf eine hervorragende Integration des BF in Österreich hin und baten um eine baldige Erledigung des Verfahrens. Im Schreiben vom 15.10.2019 hingegen forderte der BF die erkennende Richterin auf, solle sie ihm kein Asyl gewähren, zumindest seine Fingerabdrücke aus dem Register zu löschen, sodass er es in einem anderen Land, in welchem er vielleicht bessere Chancen habe, erneut versuchen könne. Im Schreiben vom 24.10.2019 wählte der BF einen härteren Umgangston und versuchte mit einem angedrohten Selbstmord sein Verfahren zu beschleunigen. So schrieb er der erkennenden Richterin, dass er die momentane Situation nicht mehr länger akzeptieren würde. Werde die Situation sich nicht ändern, so werde er Selbstmord begehen und die erkennende Richterin sei dann dafür verantwortlich.
Unter den Schreiben finden sich bspw. aber auch Kopien vom Mietvertrag des BF sowie vom Arbeitsvorvertrag. Im Schriftstück vom 08.10.2019 befindet sich ein Schreiben der Lebensgefährtin des BF an das Bundesministerium für Inneres, in welchem diese den damaligen Innenminister XXXX über die aktuelle Situation des BF und die lange Verfahrensdauer informiert und um Unterstützung bittet, sowie das Antwortschreiben des Bundesministeriums für Inneres in welchem dieses mitteilt, keinerlei Einfluss auf die Verfahrensführung des BVwG zu haben.
18. Am 08.01.2020 langten beim BVwG Beweisanträge vom Rechtsvertreter des BF ein, in welchem zum Beweis der Tatsache, dass der BF in Österreich bestens integriert sei und ein Familienleben (Lebensgemeinschaft) mit Frau XXXX führe, die zeugenschaftliche Einvernahme von insgesamt weiteren 12 Personen die mit dem BF in engem Kontakt stehen oder gestanden seien, beantragt wurden.
19. Am 29.01.2020 langte ein Schreiben des Leiters des BFA Außenstelle St. Pölten ein, in welchem dieser mitteilte, dass der BF unter der Verfahrensdauer leide und dankbar über jede Entscheidung sei. Bei negativer Entscheidung würde er es notfalls auch über die NAG Schiene aus dem Ausland probieren. Über einen humanitären Aufenthaltstitel wäre er jedoch glücklicher. Das Schreiben enthielt auch im Anhang eine E-Mail der Firma XXXX in der sie die Beweggründe für ihre Stellenzusage darlegen.
20. Am 03.02.2020 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine E-Mail der Lebensgefährtin des BF ein, in welcher diese darauf hinweist, dass der Beschwerdeführer aufgrund der langen Verfahrensdauer und der Ablehnung des Antrags auf eine Beschäftigungsbewilligung unter Depressionen leide. Der erkennenden Richterin und jedem Referenten im BFA sei dies völlig egal, weil es sich beim BF nur um einen Flüchtling handle und es davon viele gebe. Sie könne das nicht einfach hinnehmen und bittet darum das Verfahren zu beschleunigen und eine Verhandlung anzuberaumen. Im Anhang befindet sich nochmals das oa. Schreiben der Firma XXXX .
21. Am 03.03.2020 wurde vor dem BVwG eine öffentliche mündliche Verhandlung abgehalten, an welcher der Beschwerdeführer, der mit einer Vertreterin der bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation erschienen ist, und ein Vertreter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl teilnahmen. Im Verlauf der mündlichen Verhandlung wurde Beweis erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt unter zentraler Zugrundelegung aller bisherigen niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers, Erörterung der Länderberichte (LIB Libanon) und dem aktuellen AA-Bericht zur Situation in Libanon sowie ergänzende Einvernahme des Beschwerdeführers als Partei. Des Weiteren vernahm das Bundesverwaltungsgericht Frau XXXX , bei welcher es sich um die Lebensgefährtin des BF handelt, als Zeugin.
Der Beschwerdeführer legte im Zuge der Verhandlung mehrere Unterlagen in Vorlage, darunter ein Fotobuch des BF und seiner Lebensgefährtin, einen Antrag Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung und der darauf folgende Bescheid vom 20.12.2019 mit welchem der Antrag des BF abgewiesen worden ist; ein Arbeitsvorvertrag vom 18.10.2019 abgeschlossen zwischen dem BF und XXXX , aufschiebend bedingt mit der Erteilung eines Aufenthaltstitels; ein Auszug des E-Mail Verkehrs des BF mit einem Vertreter des BFA vom Jänner 2019, in welchem dem BF zuerst eine Entscheidung mit humanitärem Aufenthaltsrecht prognostiziert wird; eine Zusage der Firma XXXX über ein Ferialpraktikum im Juli 2018, sowie mehrere Schreiben von/an Firmen welche bereits schon einmal im Zuge der Beschwerde vorgelegt worden sind.
Nach Schluss der Verhandlung verkündete die erkennende Richterin mündlich gemäß § 29 Abs. 2 VwGVG das Erkenntnis samt den wesentlichen Entscheidungsgründen und erteilte Rechtsmittelbelehrung. Die Beschwerde wurde als unbegründet abgewiesen.
22. Mit Schreiben vom 12.03.2020 beantragte die bevollmächtigte Rechtsvertretung des Beschwerdeführers die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Verfahrensbestimmungen
1.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.
1.2. Anzuwendendes Verfahrensrecht
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 1 BFA-VG (Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, BFA-Verfahrensgesetz, BFA-VG), BGBl I 87/2012 idF BGBl I 144/2013 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.
Gem. §§ 16 Abs. 6, 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.
1.3. Prüfungsumfang
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Absatz 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
2. Zur Entscheidungsbegründung:
Beweis erhoben wurde im gegenständlichen Beschwerdeverfahren durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt des Bundesamtes unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers, des bekämpften Bescheides, des Beschwerdeschriftsatzes sowie der am 03.03.2020 durchgeführten mündlichen Verhandlung vor dem BVwG.
Das erkennende Gericht hat durch den vorliegenden Verwaltungsakt Beweis erhoben und eine Beschwerdeverhandlung durchgeführt.
Aufgrund des vorliegenden Verwaltungsaktes, des Ergebnisses des ergänzenden Ermittlungsverfahrens sowie der Beschwerdeverhandlung ist das erkennende Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen.
2.1. Auf der Grundlage dieses Beweisverfahrens gelangt das BVwG nach Maßgabe unten dargelegter Erwägungen zu folgenden entscheidungsrelevanten Feststellungen:
2.1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und dessen Fluchtgründen:
Der Beschwerdeführer ist libanesischer Staatsangehöriger, gehört der arabischen Volksgruppe an und ist schiitischen Glaubens.
Die Identität des Beschwerdeführers steht fest. Der Beschwerdeführer trägt den Namen XXXX und ist am XXXX geboren.
Er verfügte noch nie über ein Aufenthaltsrecht für Österreich außerhalb des Asylverfahrens.
Die Mutter des BF und die Eltern seines Halbbruders leben nach wie vor ohne erkennbare Schwierigkeiten im Libanon.
Dem Fluchtvorbringen des BF wird zur Gänze die Glaubwürdigkeit versagt. Dies gilt sowohl in Bezug auf sein Vorbringen bezüglich seines angeblichen Aufenthaltes in Syrien, wie auch die geltend gemachte Bedrohung durch die Familie des Ex-Mannes seiner Schwester.
Auch das erstmals in der Einvernahme am 20.03.2019 erstattete Vorbringen, nämlich für den Erhalt finanzieller Unterstützung im Rahmen des Studiums Arbeiten für eine Partei durchführen zu müssen, wird zum einen als nicht glaubhaft erachtet und zum anderen handelt es sich dabei um vage und rein spekulative Mutmaßungen des BF, welchen keine Asylrelevanz beizumessen ist. Selbiges gilt auch für das völlig unsubstantiierte Vorbringen im Rahmen der mündlichen Verhandlung, wonach der BF Probleme mit den Parteien bekommen könnte, wenn er etwas gegen diese sagen würde und für das lediglich im Beschwerdeschriftschatz erstattete vorbringen, dass er als Abtrünniger von der AMAL-Bewegung im Libanon verfolgt worden sei.
Das weitere Ausreisevorbringen, nämlich eine allgemein unsichere Situation sowie eine schlechte Arbeitsmarktsituation im Libanon, wird grundsätzlich als nicht unwahr erachtet. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aus Gründen der GFK asylrelevant verfolgt bzw. dessen Leben bedroht wurde beziehungsweise dies im Falle einer Rückkehr in den Libanon mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintreffen könnte.
Es konnten im konkreten Fall auch keine stichhaltigen Gründe für die Annahme festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer Gefahr liefe, im Libanon einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in den Libanon in eine existenzgefährdende Notsituation geraten würde.
Im Entscheidungszeitpunkt konnte auch keine sonstige aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers in seinem Heimatland festgestellt werden.
Die Mutter des Beschwerdeführers, mit welcher er gemeinsam nach Österreich gereist ist, kehrte am 22.07.2015 unter Gewährung von Rückkehrhilfe freiwillig in den Libanon zurück.
Der Beschwerdeführer leidet weder an einer schweren körperlichen noch an einer schweren psychischen Erkrankung.
Der Beschwerdeführer lebte vor seiner Ausreise zuletzt in der Stadt XXXX rund 80 Kilometer südlich von Beirut. Der BF besuchte mehrere Jahre die Grundschule und hat drei Jahre lang Maschinenbau an der XXXX studiert. Der BF verließ im Herbst 2014 den Libanon und reiste im Oktober 2014 auf legalem Wege in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er am 09.10.2014 seinen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
Ein Halbbruder, eine Schwester und zwei Neffen sowie drei Nichten des BF befinden sich in Österreich. Er verfügt lediglich mit seinem Halbbruder über einen gemeinsamen Wohnsitz. Es besteht jedoch weder zwischen dem BF und seinem Halbbruder noch zwischen dem BF und seiner Schwester und deren minderjährigen Kindern ein ein- oder wechselseitiges - finanzielles - Abhängigkeitsverhältnis.
Die Beschwerde gegen den (in allen Spruchpunkten) negativen Asylbescheid des Halbbruders des BF wurde mit Erkenntnis des BVwG vom XXXX in allen Spruchpunkten abgewiesen. Auch der Verwaltungsgerichtshof hat eine dagegen eingebrachte Revision mit Erkenntnis vom 21.01.2020, XXXX zurückgewiesen. Eine Abschiebung des Halbbruders des BF in den Libanon war bis zum 03.03.2020 noch nicht erfolgt.
Das Asylverfahren der Schwester sowie deren minderjährigen Kinder (Nichten und Neffen des BF) befindet sich in Beschwerde und ist aktuell (noch) beim BVwG anhängig. Auch das Beschwerdeverfahren des Ex-Gatten der Schwester ist aktuell beim BVwG anhängig.
Der BF besuchte mehrere Deutschkurse und hat die Prüfung ÖSD Zertifikat B2 absolviert. Er hat auch den Deutschkurs C1 besucht, diesen jedoch noch nicht positiv absolviert. Der Beschwerdeführer verfügt aufgrund seines mehrjährigen Aufenthaltes und seiner Kursbesuche in Österreich über sehr gute Deutschkenntnisse.
Der Beschwerdeführer ist seit April 2016 in einer Beziehung mit einer österreichischen Staatsbürgerin. Es kann jedoch nicht festgestellt werden, dass der BF und seine Freundin in einem gemeinsamen Haushalt leben, zumal die Freundin des BF dort bislang nicht melderechtlich erfasst ist und der Beschwerdeführer sich gemeinsam mit seinem Halbbruder eine Wohnung teilt. Zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Freundin besteht kein (wechselseitiges) Abhängigkeitsverhältnis, die beiden haben keine Kinder; die Freundin des Beschwerdeführers ist auch nicht schwanger.
Er verfügt über einen größeren Freundes- und Bekanntenkreis im Inland. Er knüpfte, insbesondere aufgrund seiner vielen ehrenamtlichen Tätigkeiten, auch mit österreichischen Staatsangehörigen normale soziale Kontakte und lernte hier ein Leben in Freiheit, Sicherheit und Demokratie kennen. Ein Konvolut an Unterstützungserklärungen wurde vorgelegt.
Der BF befindet sich in der Grundversorgung und lebt von staatlicher Unterstützung. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF selbsterhaltungsfähig ist. Er ist als voll erwerbsfähig anzusehen, etwaige wesentliche gesundheitliche Einschränkungen des Beschwerdeführers sind nicht aktenkundig.
Der Beschwerdeführer ist derzeit auf der Technischen Universität Wien im Studiengang Maschinenbau inskribiert. Den Bachelor hat er noch nicht abgeschlossen.
Der BF ist Mitglied beim Österreichischen Roten Kreuz Niederösterreich, beim Verein " XXXX , XXXX ", beim Verein " XXXX " sowie beim XXXX XXXX und hat im Zuge seiner Vereinsmitgliedschat immer wieder ehrenamtlich mitgearbeitet. Darüber hinaus hat er auch ehrenamtlich im XXXX XXXX ausgeholfen und andere bei Behördengängen als Übersetzer unterstützt.
Er ist strafgerichtlich unbescholten.
Er hat mit Ausnahme seines nunmehrigen Aufenthalts in Europa sein Leben zum überwiegenden Teil im Libanon verbracht, wo er sozialisiert wurde und wo sich nach wie vor seine nächsten Verwandten (Eltern) aufhalten.
Es ist daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr wieder bei seiner Familie wohnen wird können. Davon abgesehen ist der Beschwerdeführer als arbeitsfähig und -willig anzusehen. Der Beschwerdeführer spricht Arabisch und auch Englisch.
Des Weiteren liegen die Voraussetzungen für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" nicht vor und ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung geboten. Es ergibt sich aus dem Ermittlungsverfahren überdies, dass die Zulässigkeit der Abschiebung des BF in den Libanon festzustellen ist.
2.1.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Libanon war insbesondere festzustellen:
Zur Lage im Libanon werden insbesondere folgende - im Zuge der vorgenommenen Beweisaufnahme (siehe oben, Punkt I.21.) und der mündlichen Verhandlung in das Verfahren eingeführte - Länderfeststellungen (etwa LIB Libanon der Staatendokumentation vom 12.09.2018 sowie Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes vom 13.02.2019) dem Verfahren zugrunde gelegt:
Politische Lage
Libanon ist eine parlamentarische Demokratie nach konfessionellem Proporzsystem. Politische Parteien sind zugelassen; sie sind jedoch in der Praxis meist Zweckbündnisse, die vor allem auf der Zugehörigkeit zu einer religiösen Gruppe basieren. Die Verfassung des Landes schreibt eine Trennung der Gewalten vor. Parlamentswahlen sollen alle vier Jahre abgehalten werden; der Staatspräsident wird von den Abgeordneten für sechs Jahre gewählt. Das libanesische System wird von der Zusammenarbeit der verschiedenen religiösen Gruppen getragen; daneben spielen Familien- und regionale Interessen eine große Rolle (AA 1.3.2018).
Das politische System basiert auf der Verfassung von 1926, dem ungeschriebenen Nationalpakt von 1943 und dem im Gefolge der Taif-Verhandlungen am 30. September 1989 verabschiedeten "Dokument der Nationalen Versöhnung" (AA 1.3.2018). In diesem sogenannten Taif-Abkommen wurde festgelegt, dass die drei wichtigsten Ämter im Land auf die drei größten Konfessionen verteilt werden:
? Das Staatsoberhaupt muss maronitischer Christ sein
? Der Parlamentspräsident muss schiitischer Muslim sein
? Der Regierungschef muss sunnitischer Muslim sein
Dieser Proporz bestimmt die gesamte Verwaltung und macht auch vor der Legislative nicht halt. Das Parlament mit seinen 128 Mitgliedern setzt sich nach dem Grundsatz der konfessionellen Parität wie folgt zusammen:
34 Maroniten, 27 Schiiten, 27 Sunniten, 14 griechisch-orthodoxe Christen, 8 Drusen, 8 melikitische/griechisch-katholische Christen, 5orthodoxe Armeniern, 2 Alewiten, 1 armenischer Katholik, 1 Protestant und 1 weitere Minderheit (GIZ 6/2018, vgl. USDOS 20.4.2018).
Bei der im Abkommen von Taif vorgesehenen allmählichen Entkonfessionalisierung des politischen Systems gibt es bisher keine Fortschritte (AA 1.3.2018).
Das Parlament des Libanon ist konfessionsübergreifend in zwei politische Blöcke gespalten, die einander im Libanon unversöhnlich gegenüberstehen:
* die von der schiitisch geprägten und vom Iran beeinflussten Hisbollah angeführte 8.März-Koalition und
* die eher westlich orientierte, sunnitisch geprägte und von Saad Hariri (Future Movement; arab.: (al-)Mustaqbal) angeführte 14. März-Bewegung (BBC 4.11.2014; vgl. GIZ 6/2018).
Die traditionelle Feindschaft zwischen diesen beiden Blöcken wurde durch den Konflikt im benachbarten Syrien zusätzlich vertieft, als schiitische Hisbollah-Kämpfer sich auf die Seite der syrischen Regierung stellten, während die 14. März-Bewegung die syrischen Rebellen unterstützte (BBC 4.11.2014; vgl. GIZ 6/2018).
Diese Polarisierung lähmt das Land politisch und ökonomisch, verstärkt konfessionelle Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten und erschwert bzw. verhindert außerdem die Erarbeitung notwendiger Lösungen für die ökonomischen, sozialen und politischen Herausforderungen (GIZ 6/2018).
Aufgrund schwer erzielbarer Mehrheiten war es auch jahrelang nicht möglich, ein Wahlgesetz zu verabschieden. Dies führte dazu, dass die Parlamentswahl 2013 ausgesetzt und das Mandat der Abgeordneten mehrfach verlängert wurde (GIZ 6/2018, vgl. USDOS 20.4.2018).
Am 31. Oktober 2016 wurde nach zweieinhalb Jahren und 45 gescheiterten Versuchen ein neuer Präsident gewählt. Mit der Wahl des maronitischen Christen Michel Aoun kam Bewegung in die stark polarisierte libanesische Politik. Da Aoun als Kandidat der schiitischen Hisbollah für das Amt des Präsidenten galt, wurde er zunächst von Premierminister Saad Hariri abgelehnt. Seine Wahl wurde schließlich erst durch eine überraschende Kehrtwende Hariris ermöglicht. Im Gegenzug beauftragte Aoun Hariri, eine neue Regierung der nationalen Einheit zu bilden. Zwei Monate nach der Präsidentschaftswahl wurde am 19. Dezember 2016 eine neue Regierung vereidigt (GIZ 6/2018).
Im Juni 2017 konnte sich das politische Establishment schließlich auf ein neues Wahlrecht einigen. Dieses sieht unter anderem vor, das Mehrheitswahlrecht durch das Verhältniswahlrecht abzulösen. Hierdurch sollten kleinere Parteien und Wählergruppen gestärkt werden, doch das von den Regierungsparteien außerhalb des Parlaments verhandelte Wahlgesetz enthält zahlreiche Einschränkungen der Verhältniswahl wie beispielsweise eine sehr hohe Einzugshürde bei zehn Prozent.
Positiv ist jedoch, dass die Parteien faktisch gezwungen werden, konfessionsübergreifende Listen zu bilden. Wenn es in einem Wahlkreis die Festlegung gibt, dass hier zwei Sitze für Christen und drei Sitze für Muslime vergeben werden, müssen hier die Parteien eine gemeinsame Liste bilden, um antreten zu dürfen.
Im neuen Wahlgesetz werden Jugendliche unter 21 ausgeschlossen. Auch wurde keine Quote für weibliche Parlamentsabgeordnete eingeführt, obwohl der Libanon eines der Länder mit der niedrigsten Zahl an weiblichen Abgeordneten ist. Der christlich-muslimische Proporz des Parlaments wird durch das Gesetz nicht berührt (GIZ 6/2018).
Am 6. Mai 2018 fanden nach jahrelanger Pattstellung schließlich erstmals seit 2009 erneut Parlamentswahlen statt.
77 Listen mit insgesamt 597 Kandidaten waren für die Wahl um 128 Parlamentssitze in 26 Distrikten registriert. Die Anzahl der weiblichen Kandidaten nahm gegenüber der letzten Wahl auf 86 zu und betrug somit nun 14,4 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag insgesamt bei 49,2 Prozent, nach 53,37 Prozent im Jahr 2009. Die offiziellen Ergebnisse weisen die Sitze wie folgt zu: Future Movement [Anm.: arab. - (al-)Mustaqbal], 21; Free Patriotic Movement, 20; Amal, 17; Libanese Forces, 15; Hisbollah, 12; Progressive Socialist Party, 8; die "Determination (Azem)" Bewegung des ehemaligen Premierministers Mikati, 4; Marada, die Syrian Social Nationalist Party, Kataeb und Tashnaq, jeweils 3 Sitze. Zum ersten Mal gewann ein Kandidat der Zivilgesellschaft einen Sitz durch die Wahlliste "Koulouna Watani" in Beirut. Die Zahl der gewählten Frauen im Parlament stieg von vier auf sechs (UN 13.7.2018; vgl. USDOS 29.5.2018).
Die Hisbollah und ihre politischen Verbündeten (darunter auch das Free Patriotic Movement FPM, eine christliche Partei unter der Führung von Präsident Michel Aoun, die wie 2009 knapp zwanzig Sitze erringen konnte), gewannen somit mit 65 knapp die Hälfte der 128 Sitze im Parlament, während der vom Westen unterstützte sunnitische Premierminister Saad al-Hariri zwar mehr als ein Drittel seiner Sitze verlor, aber mit 21 Parlamentsmitgliedern immer noch Führer des größten politischen Blocks ist. Zu diesem Block gehört auch die christliche, gegen die Hisbollah auftretende anti-syrische Partei "Libanese Forces", die als zweiter großer Sieger bei dieser Wahl ihre Mandate gegenüber der Wahl 2009 beinahe verdoppelte.
Insgesamt betrachtet haben somit die vom Iran unterstützte Hisbollah und ihre politischen Verbündeten bei den Parlamentswahlen etwas an Einfluss gewonnen (RFE 7.5.2018, vgl. ICG 9.6.2018), wenngleich sich an der grundsätzlichen Machtstruktur nichts geändert hat. Der bisherige Premier Hariri wurde trotz der Wahlverluste neuerlich damit beauftragt, eine Regierung zu bilden (GIZ 6/2018, vgl. USDOS 29.5.2018).
Im Libanon leben schätzungsweise zwischen 4,5 und 6,2 Millionen Menschen, je nachdem, inwieweit die große Zahl von Flüchtlingen mitberücksichtigt wird oder nicht (CIA 14.8.2018, vgl. GIZ 6/2018). Neben etwa 450.000 [Anm.: bei der UNRWA registrierten] palästinensischen Flüchtlingen - die Zahl der derzeit tatsächlich im Libanon aufhältigen palästinensischen Flüchtlinge beläuft sich laut einer aktuellen Volkszählung auf 174.422 Personen (Daily Star 21.12.2017) - sind im Libanon laut UNHCR etwa eine Million syrische Flüchtlinge registriert, was mehr als 25% der Wohnbevölkerung des Landes entspricht. Der Libanon beherbergt somit mehr syrische Flüchtlinge als jedes andere Land der Region. Der Krieg in Syrien hat nicht nur durch die große Flüchtlingswelle enorme Auswirkungen auf den Libanon, vielmehr droht der Konflikt das sensible Gefüge der libanesischen Gesellschaft zu zerreißen. Während die Hisbollah und ihre Anhänger den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad unterstützen, sympathisieren die Anhänger des Lagers 14. März mit den syrischen Rebellen, die Assad bekämpfen. Seit Beginn des militärischen Engagements der Hisbollah in Syrien zugunsten des Assad-Regimes hat sich die politische Spaltung des Libanon vertieft und führt zunehmend zu einem gewalttätigen konfessionellen Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten. Gleichzeitig - und obwohl die Hisbollah das Hariri-Bündnis beschuldigt, die radikalen Sunniten zu decken und im Gegenzug das Hariri-Bündnis wiederum die Hisbollah beschuldigt, den Libanon in den Krieg in Syrien hineinzuziehen - bilden beide Kontrahenten derzeit mit anderen politischen Kräften eine zwar konfliktreiche, aber durchaus funktionierende Regierung der nationalen Einheit, die es tatsächlich geschafft hat, ein Überschwappen des Bürgerkrieges aus Syrien zu verhindern (GIZ 6/2018, vgl. AA 1.3.2018).
Geschwächt durch die sich vertiefenden Gräben zwischen und innerhalb der Gemeinschaften [Anm.: Konfessionen] hat der libanesische Staat schrittweise seine Hauptaufgabe der Regierung und als Manager repräsentativer Politik aufgegeben und stützt sich vermehrt auf Sicherheitsmaßnahmen zur Aufrechterhaltung der Stabilität und des Status Quo (ICG 23.2.2016).
Der Libanon ist kein funktionierender Staat, deshalb haben sich die Menschen im Libanon immer mehr auf Klientelismus, anstatt auf den Staat verlassen. Politiker benutzen Geld, Ressourcen und Dienstleistungen, um sich eine Basis in der Bevölkerung zu schaffen. Diese Entwicklung in Kombination mit den konfessionellen Spannungen sowie den Auswirkungen von der Syrienkrise steht ernstzunehmenden Entwicklungsprozessen entgegen (Daily Star 30.12.2014).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (1.3.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: Dezember 2017, Berlin
- BBC-News (4.11.2014): Lebanon Profile, http://www.bbc.com/news/world-middle-east-14648681, Zugriff 24.8.2018
- CIA (14.8.2018): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/le.html, Zugriff 17,8,2018
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3/2018): Libanon - Gesellschaft, https://www.liportal.de/libanon/gesellschaft/; Zugriff 8.8.2018
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6/2018): Libanon - Überblick: https://www.liportal.de/libanon/ueberblick/, Zugriff 8.8.2018
- ICG - International Crisis Group (23.2.2016): Arsal in the Crosshairs: The Predicament of a Small Lebanese Border Town: http://www.ecoi.net/file_upload/1002_1456410095_b046-arsal-in-the-crosshairs-the-predicament-of-a-small-lebanese-border-town.pdf; Zugriff am 24.8.2018
- ICG - International Crisis Group (9.6.2018): In Lebanon's Elections, More of the Same is Mostly Good News,
https://www.ecoi.net/de/dokument/1432128.html, Zugriff 24.8.2018
- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (7.5.2018): Iran-Backed Hizballah And Allies Make Big Gains In Lebanese Election, https://www.ecoi.net/de/dokument/1431871.html Zugriff 30.8.2018
- The Daily Star (21.12.2017): Census finds 174,422 Palestinian refugees in Lebanon, https://www.dailystar.com.lb/News/Lebanon-News/2017/Dec-21/431109-census-finds-174422-palestinian-refugees-in-lebanon.ashx, Zugriff 10.9.2018
- The Daily Star (30.12.2014): Understanding the drive to extremism, http://www.dailystar.com.lb/News/Lebanon-News/2014/Dec-30/282595-understanding-the-drive-to-extremism.ashx, Zugriff 24.8.2018
- UN Security Council (13.7.2018): Implementation of Security Council resolution 1701 (2006); Report of the Secretary-General; Reporting period from 1 March 2018 to 20 June 2018 [S/2018/703], https://www.ecoi.net/en/file/local/1439147/1226_1532506886_n1822402.pdf Zugriff 7.8.2018)
- USDOS - US Department of State (29.5.2018): 2017 Report on International Religious Freedom - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/1436862.html, Zugriff 22.8.2018
- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430165.html, Zugriff 7.8 2018
Sicherheitslage
Im folgenden Abschnitt finden sich allgemeine Informationen zur Sicherheitslage. Es wird ausdrücklich festgehalten, dass diese auch kurzfristig Änderungen unterworfen sein kann. Der besseren Übersichtlichkeit wegen ist die Darstellung der Sicherheitslage in den palästinensischen Flüchtlingslagern im Abschnitt über palästinensische Flüchtlinge zu finden.
Die wichtigsten religiösen Hauptgruppen im Libanon sind Schiiten, Sunniten, Christen und Drusen. Die sich daraus ergebenden Spannungen sind die Ursache für die meisten der internen Konflikte im Libanon, und andere Staaten der Region haben diese internen Konflikte regelmäßig als Vorwand genutzt, um in dem Land einzugreifen. Darüber hinaus hat insbesondere die Präsenz der palästinensischen und syrischen Flüchtlinge immer wieder zu Konflikten Anlass gegeben. Von 1975 bis 1990 herrschte im Libanon Bürgerkrieg, in dem die regionalen Mächte, insbesondere Israel, Syrien und die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) das Land als Schlachtfeld für ihre eigenen Konflikte benutzten (BBC 4.11.2014).
Anschließend kam es von 1992 bis 2004 zu einer Phase der Entspannung. Im Februar 2005 fiel der damalige Premierminister Rafik Hariri einem Attentat zum Opfer. Als Folge brach die sogenannte Zedernrevolution aus, die als Hauptforderung den Abzug der syrischen Truppen aus dem Libanon postulierte. Die sogenannte 14. März-Bewegung machte Syrien direkt für die Ermordung Hariris verantwortlich, zumal dieser zuvor die Stationierung syrischer Truppen im Libanon kritisiert und die Umsetzung der UN-Resolution 1559 gefordert hatte. Diese sieht den Rückzug aller ausländischen Truppen aus dem Libanon und die Entwaffnung und Auflösung der im Libanon aktiven Milizen vor, womit insbesondere die Hisbollah gemeint ist. Tatsächlich zog Syrien noch im April 2005 seine Truppen aus dem Libanon ab.
Die zivilen Behörden übten zwar weiterhin die Kontrolle über die Streitkräfte und andere Sicherheitskräfte aus, gleichzeitig operierten aber palästinensische Sicherheits- und Milizkräfte, die Hisbollah und andere extremistische Elemente außerhalb der Leitung oder Kontrolle der Regierung (USDOS 20.4.2018). Im Jahr 2013 hatte die EU die Hisbollah auf die Terrorliste gesetzt; im Gegensatz zu den USA allerdings nur deren militärischen Arm und nicht den im Parlament vertretenen politischen Arm (SpiegelOnline 22.7.2013).
Trotz aller Spannungen konnte ein Übergreifen des Syrienkonflikts, in dem sich die libanesische Hisbollah-Miliz seit Frühjahr 2013 auf Seiten des syrischen Regimes beteiligt, auf libanesisches Territorium in den vergangenen Jahren weitgehend verhindert werden. Allerdings befanden sich bis August 2017 in der Gegend um den Grenzort Arsal aus Syrien eingedrungene Kämpfer auf libanesischem Staatsgebiet. Nach länger andauernden Kämpfen, in die auf libanesischer Seite neben den Streitkräften auch die Hisbollah-Miliz verwickelt war, verließen die eingekesselten IS-Kämpfer mit ihren Familien im Rahmen einer Waffenstillstandsvereinbarung mit Bussen die umkämpfte Gegend (AA 1.3.2018; vgl. AI 23.5.2018). Bei einem Antiterroreinsatz der libanesischen Armee in der Gegend von Arsal am 30.06.2017 wurden 350 Personen vorübergehend festgenommen, mindestens vier starben im Gewahrsam der Armee, nach Armeeangaben in Folge bereits bestehender gesundheitlicher Probleme. Menschenrechtsgruppen fordern eine unabhängige Untersuchung der Vorgänge. Der Fall soll militärgerichtlich aufgearbeitet werden (AA 1.3.2018; vgl. AI 23.5.2018).
Grundsätzlich ist es im Libanon so, dass die staatlichen Institutionen in Teilen des Landes keinen uneingeschränkten Zugriff haben. Dies gilt insbesondere für die meisten palästinensischen Flüchtlingslager. Die Sicherheitslage dort blieb im Allgemeinen stabil. Im Lager Ein El Helweh bei Sidon kam es allerdings zu einigen gewalttätigen Zwischenfällen und Schießereien. Bei Zusammenstößen im März und April 2018 zwischen extremistischen Gruppen und palästinensischen Streitkräften wurden vier Menschen getötet und elf verletzt (UN 13.7.2018). Detaillierte Informationen zur Lage in den Palästinenserlagern finden sich in Abschnitt 19.
Weiters sind die Zugriffsmöglichkeiten der libanesischen Staatsorgane insbesondere auch in den südlichen Vororten Beiruts und in den schiitischen Siedlungsgebieten im Süden des Landes eingeschränkt (AA 1.3.2018, vgl. USDOS 29.5.2018). Diese werden weitgehend von der Hisbollah kontrolliert, die der Bevölkerung auch grundlegende Dienstleistungen in den Bereichen Gesundheitsvorsorge, Bildung, Lebensmittelhilfe, innere Sicherheit und Erhaltung der Infrastruktur zur Verfügung stellt (USDOS 29.5.2018).
Bei der von der UN geforderten Abrüstung aller bewaffneten Gruppen einschließlich der palästinensischen Milizen und dem militärischen Flügel der Hisbollah konnten bislang keine Fortschritte erzielt werden. Die Hisbollah bestätigte weiterhin öffentlich, über entsprechende militärische Kapazitäten zu verfügen. Somit ist die libanesische Regierung weiterhin nicht in der Lage, die volle Souveränität und Autorität über ihr Territorium auszuüben (UN 13.7.2018).
Am 5. und 23. April 2018 inhaftierten die libanesischen Streitkräfte 15 der Zugehörigkeit zu einer terroristischen Gruppe verdächtigte syrische Staatsangehörige, und beschlagnahmten während einer Razzia in einer informellen syrischen Flüchtlingssiedlung in Arsal Waffen und Munition. Am 14. Mai verhaftete die libanesische General Security in Al-Hirmil zwei syrische Staatsangehörige wegen ihrer Zugehörigkeit zu terroristischen Vereinigungen. Am 17. Mai 2018 wurde ein angeblicher Waffenhändler in Akkar im Nordlibanon von den Streitkräften der Internen Sicherheit verhaftet (UN 13.7.2018).
Das österreichische Außenministerium hat für das gesamte syrische Grenzgebiet, die Bekaa-Ebene nördlich von Baalbek und für die Palästinenserlager und deren Umgebung, insbesondere Ein Al-Hilweh und Mieh Mieh bei Saida (Sidon) und Nahr al Bared und Beddawi bei Tripoli Reisewarnungen ausgesprochen. Ein hohes Sicherheitsrisiko wird allgemein für die Provinzen Tripoli und Akkar, die südlichen Vororte Beiruts (Dahiye), die südlichen Stadtränder von Sidon/Saida (Ein El-Hilweh), das israelische Grenzgebiet und die restliche Bekaa-Ebene, einschließlich Baalbek ausgewiesen (BMeiA 11.7.2018).
Das Schweizer Außenministerium warnt vor zahlreichen nicht explodierten Bomben und Minen in der Bekaa-Ebene. Es sind bewaffnete Gruppierungen aktiv, und Grenzüberschreitungen durch Kämpfer sind häufig. In und um