Entscheidungsdatum
08.06.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z5Spruch
W260 1413126-3/23E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Markus BELFIN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, vom 13.08.2018, Zl. 791562010-170899400, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Der Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides wird insoweit abgeändert, als dieser zu lauten hat: Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für Ihre freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Ihrer Haftentlassung.
Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides wird mit der Maßgabe stattgegeben, dass die Dauer des Einreiseverbotes auf zehn Jahre herabgesetzt wird.
Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. XXXX (im Folgenden "Beschwerdeführer"), ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 16.12.2009 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Die Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes fand am 17.12.2009 statt. Zu seinen Fluchtgründen gab der zu diesem Zeitpunkt minderjährige Beschwerdeführer an, er sei viereinhalb Jahre in einer religiösen Schule unterrichtet worden und hätte Selbstmordattentäter werden sollen. Bei einer Rückkehr befürchte er, dass er getötet werde, wenn er kein Attentat ausführe.
2. Die Einvernahme vor dem Bundesasylamt fand am 01.03.2010 statt. Dabei gab der Beschwerdeführer zu seinen persönlichen Umständen befragt an, dass er aus der Provinz Kabul stamme. Er habe zwei Jahre eine Volksschule und vier Jahre eine Koranschule besucht. In Kabul hätten zuletzt seine Eltern, zwei Brüder und zwei Schwestern gelebt. Sein Vater und Bruder hätten die Familie erhalten, indem sie ein Juweliergeschäft betrieben, dieses habe sein Vater aber kürzlich verkauft. Er habe nun keinen Kontakt mehr zu seiner Familie, da er sie telefonisch nicht mehr erreiche.
Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass Leute in seine Koranschule gekommen seien, die für den Islam Propaganda gemacht hätten und Kinder von der Schule ins Kriegsgebiet schicken und als Selbstmordattentäter einsetzen wollten. Sein Vater habe ihn daraufhin nicht mehr in die Schule gehen lassen und sei deshalb bedroht worden. Schließlich habe sein Vater einen Schlepper für den Beschwerdeführer, seinen Bruder und seine Schwester organisiert, der sie in ein sicheres europäisches Land bringen sollte. Auf der Reise sei er von seinen Geschwistern getrennt worden.
3. Mit nicht verfahrensgegenständlichem Bescheid vom 16.04.2010 wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine bis 16.04.2011 befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.)
Begründend wurde zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ausgeführt, dass aufgrund der allgemein mangelnden Sicherheitslage die Kriterien für eine ausweglose Lage vorlägen und somit die Rückkehrsituation im Herkunftsstaat nicht als ausreichend sicher angesehen werden könne.
4. Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 13.03.2013, AZ 14 U 303/2012w, wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster, zweiter und achter Fall, Abs. 2 Suchtmittelgesetz (SMG) zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen á 4 Euro, davon 20 Tagessätze bedingt, verurteilt.
5. Die gegen Spruchpunkt I. des Bescheides vom 16.04.2010 fristgerecht erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 26.06.2013, GZ C14 413126-1/2010/8E, als unbegründet abgewiesen.
6. Die befristete Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers wurde mit Bescheiden des Bundesasylamtes und später des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden "belangte Behörde") wiederholt verlängert, zuletzt mit Bescheid der belangten Behörde vom 07.04.2014 bis 16.04.2016. Die Voraussetzungen für die Verlängerung würden vorliegen, eine nähere Begründung entfiel unter Hinweis auf § 58 Abs. 2 AVG.
7. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 22.09.2016, AZ 12 Hv 98/15a, wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen des teils versuchten unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach §§ 27 Abs. 1 Z 1 erster, zweiter und achter Fall, Abs. 4 Z 1 SMG, 15 StGB, der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG, der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs. 2 SMG und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, davon sieben Monate bedingt, verurteilt.
8. Mit Schreiben vom 27.12.2017 teilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer mit, dass aufgrund seiner Straffälligkeit ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten eingeleitet worden sei. Der Beschwerdeführer wurde aufgefordert, eine Liste von Fragen zu seinen persönlichen Verhältnissen zu beantworten.
9. Mit Stellungnahme vom 12.01.2018 beantworte der Beschwerdeführer die Fragen der belangten Behörde im Wesentlichen dahingehend, dass er ledig und kinderlos sei und keine Familienangehörigen in Österreich habe. Er habe seit fünf oder sechs Jahren keinen Kontakt zu seiner Familie im Herkunftsstaat. Ein Onkel lebe in London. Er habe in Österreich Deutschkurse besucht und insgesamt acht Monate in Gastronomiebetrieben gearbeitet. Wenn er nach Afghanistan zurückkehre, würden ihn die Taliban zwingen, mit ihnen in den Krieg zu gehen oder sie würden ihn umbringen.
10. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 04.04.2018, AZ 33 Hv 9/18x, wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 1 zweiter Fall StGB, des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall, Abs. 2 Z 3 SMG, der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs. 2 SMG und des Vergehens des Betruges nach § 146 StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die bedingte Strafnachsicht zu AZ 12 Hv 98/15a wurde widerrufen.
Einer dagegen vom Beschwerdeführer erhobenen Berufung wurde mit Urteil des Oberlandesgerichtes XXXX vom 11.07.2018, AZ 10 Bs 157/18m, nicht Folge gegeben.
11. Mit Schreiben vom 18.07.2018 übermittelte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer aktualisierte Länderfeststellungen (Länderinformationsblatt der Staatendokumention zu Afghanistan, Stand 29.06.2018) mit der Möglichkeit zur Stellungnahme.
Der Beschwerdeführer erstattete keine Stellungnahme.
12. Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid vom 13.08.2018 wurde dem Beschwerdeführer der mit Bescheid vom 16.04.2010 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und die befristete Aufenthaltsberechtigung entzogen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.), es wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Gegen den Beschwerdeführer wurde ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).
Begründend wurde zur Aberkennung des Schutzstatus im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes würden nicht mehr vorliegen. Dem Beschwerdeführer sei der Status des subsidiär Schutzberechtigten unter Berücksichtigung der zu dieser Zeit herrschenden Situation, die natürlich auch seine damalige Minderjährigkeit umfasst habe, gewährt worden. Mittlerweile sei er volljährig. Er sei ein arbeitsfähiger, gesunder, junger Mann und weise keine weiteren gefahrenerhöhenden Umstände auf, aufgrund derer er bei einer Rückkehr nach Kabul besonders gefährdet wäre. Der Beschwerdeführer gehöre keiner vulnerablen Gruppe an. Er spreche die Landessprache, habe den Großteil seines Lebens in Kabul verbracht und sei dort auch zur Schule gegangen. Nicht auszuschließen sei auch, dass seine Eltern und einige Geschwister noch in Kabul leben würden, zu denen er wieder Kontakt aufnehmen könnte.
Zum Einreiseverbot wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer sei ein "im Drogenmilieu verfestigter Krimineller". Verurteilungen und auch Haftstrafen hätten ihn nicht davon abhalten können, nur wenige Monate später wieder einschlägig straffällig zu werden. Er habe Drogen auch an Minderjährige verkauft und einen Raub begangen, bei dem das Opfer durch Messerstiche verletzt worden sei. Es sei anzunehmen, dass von ihm auch weiterhin eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehe. In Anbetracht des vom Beschwerdeführer begangenen besonders verwerflichen Verbrechen sei nicht davon auszugehen, dass die Gründe, die zur Erlassung des Einreiseverbotes geführt hätten, wieder wegfallen würden. Das Einreiseverbot sei daher unbefristet zu erlassen gewesen.
13. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Vertretung fristgerecht Beschwerde.
Er brachte darin im Wesentlichen unter Verweis auf Länderberichte vor, seine Abschiebung sei aufgrund der prekären Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul und ganz Afghanistan unzulässig. Der Beschwerdeführer sei als Rückkehrer besonders gefährdet. Die Behörde habe es auch unterlassen, die Situation im Herkunftsstaat im Entscheidungszeitpunkt mit jenem Zeitpunkt zu vergleichen, in dem sein Schutzstatus zuletzt verlängert worden sei.
14. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 04.03.2019 eine mündliche Verhandlung unter Vorführung des Beschwerdeführers durch, die belangte Behörde blieb der mündlichen Beschwerdeverhandlung entschuldigt fern; das Verhandlungsprotokoll wurde der belangten Behörde übermittelt.
15. Der Beschwerdeführer erstattete namens seiner bevollmächtigten Vertretung am 19.03.2019 eine Stellungnahme, in der er im Wesentlichen vorbrachte, Vergleichszeitpunkt zur Beurteilung einer Änderung der maßgeblichen Lage sei in diesem Fall jener der letzten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung.
Zu diesem Zeitpunkt sei der Beschwerdeführer bereits volljährig gewesen, weshalb seine Volljährigkeit nicht mehr zur Begründung der Aberkennung herangezogen werden könne. Eine maßgebliche Änderung (Verbesserung) der wirtschaftlichen Lage oder Sicherheitslage sei, wie aus den Länderberichten ersichtlich, nicht eingetreten. Auch sei sein Vater zwischenzeitlich verstorben und seine Mutter müsse für ihren eigenen Unterhalt sorgen, sodass nicht anzunehmen sei, dass er auf ihre Unterstützung zählen könne. Von seinem Onkel sei er auch schon vor seiner Inhaftierung sporadisch unterstützt worden, sodass dies ebenfalls keine Änderung der Lage darstelle. Insgesamt könne daher nicht erkannt werden, dass es seit 2014 zu einer wesentlichen und nachhaltigen Änderung der Umstände gekommen sei.
16. Mit Schreiben vom 29.03.2019 übermittelte die belangte Behörde einen Haftmeldezettel des Beschwerdeführers, aus dem hervorgeht, dass er seit 27.03.2019 in der Justizanstalt XXXX gemeldet ist.
17. Mit Schreiben vom 02.09.2019 übermittelte die belangte Behörde eine Meldung der Polizeiinspektion XXXX , aus der hervorgeht, dass der Beschwerdeführer am 26.08.2019 wegen des Verdachts nach § 27 Abs. 2 SMG angezeigt worden sei. Mit Schreiben vom 10.09.2019 übermittelte die belangte Behörde eine Verständigung der Staatsanwaltschaft Linz, der zufolge das Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer eingestellt worden sei.
18. Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte den Verfahrensparteien mit Schreiben vom 14.04.2020 im Rahmen des Parteiengehörs aktualisierte Länderinformationen zu Afghanistan mit der Möglichkeit zur Stellungnahme.
19. Der Beschwerdeführer erstattete namens seiner bevollmächtigten Vertretung am 29.05.2020 eine Stellungnahme, in der er im Wesentlichen vorbrachte, aus den Länderberichten sei keine positive Veränderung der Umstände in Afghanistan ersichtlich. Hingegen sei aufgrund des Coronavirus eine aktuelle Verschlechterung der Lage eingetreten. Es sei davon auszugehen, dass sich bis zu 50 % der afghanischen Bevölkerung mit COVID-19 anstecken würden. Die Regierung habe sämtliche Großstädte unter einen Lockdown gestellt. Herat und Mazar-e Sharif seien derzeit nicht über den Luftweg erreichbar, da der gesamte Binnenflugverkehr in Afghanistan auf unbestimmte Zeit eingestellt worden sei. Die Situation für Rückkehrer in diesen Städten sei äußerst prekär, die Versorgungslage habe sich durch die Pandemie zusätzlich verschlechtert.
Es wurde eine Fristerstreckung um vier Wochen beantragt, da sich die "Kontaktaufnahme mit dem Klienten durch den Gefängnisaufenthalt und die Situation im Zusammenhang mit COVID-19" erschwert sei.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX .
Er ist afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und sunnitischer Muslim. Seine Muttersprache ist Dari.
Er ist ledig und hat keine Kinder.
Der Beschwerdeführer wurde im Dorf XXXX , Distrikt XXXX , Provinz Kabul, geboren und wuchs dort im Familienverband mit seinen Eltern, zwei Brüdern und zwei Schwestern auf. Er besuchte zwei Jahre lang eine Volksschule und vier Jahre lang eine Koranschule, erlernte aber keinen Beruf. 2009 verließ er Afghanistan endgültig.
In Afghanistan lebt im Distrikt XXXX jedenfalls noch die Mutter des Beschwerdeführers. Zu ihr hat er regelmäßigen Kontakt.
In London lebt ein Onkel mütterlicherseits des Beschwerdeführers. Dieser Onkel ist willens und in der Lage, den Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan finanziell zu unterstützen.
Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.
1.2. Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich:
Der Beschwerdeführer befand bzw. befindet sich seit seiner Antragstellung im Dezember 2009 auf Grund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 und seit April 2010 aufgrund einer Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter rechtmäßig im Bundesgebiet.
Der Beschwerdeführer war in Österreich im Jahr 2014 drei Monate lang und 2015 fünf Monate lang jeweils in einem Gastronomiebetrieb als Küchenhelfer beschäftigt. Ansonsten war er in Österreich nicht erwerbstätig. Er ist nicht selbsterhaltungsfähig und auf staatliche Leistungen angewiesen.
Der Beschwerdeführer besuchte in Österreich Deutschkurse, legte aber keine entsprechende Prüfung ab. Er verfügt über grundlegende Deutschkenntnisse.
Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine Familienangehörigen. Es konnten auch keine weiteren substantiellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens des Beschwerdeführers in Österreich festgestellt werden.
Der Beschwerdeführer wurde in Österreich dreimal rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt:
Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 13.03.2013, AZ 14 U 303/2012w, wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster, zweiter und achter Fall, Abs. 2 Suchtmittelgesetz (SMG) zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen á 4 Euro, davon 20 Tagessätze bedingt, verurteilt.
Dieser Verurteilung lag im Wesentlichen zugrunde, der Beschwerdeführer habe im Februar 2011 vorschriftswidrig Suchtgift erworben und weitergegeben sowie im Juni 2012 vorschriftswidrig Suchtgift erworben und besessen.
Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 22.09.2016, AZ 12 Hv 98/15a, wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen des teils versuchten unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach §§ 27 Abs. 1 Z 1 erster, zweiter und achter Fall, Abs. 4 Z 1 SMG, 15 StGB, der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG, der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs. 2 SMG und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, davon sieben Monate bedingt, verurteilt.
Dieser Verurteilung lag im Wesentlichen zugrunde, der Beschwerdeführer habe im Zeitraum Jänner bis Dezember 2015 vorschriftswidrig Suchtgift erworben, besessen und anderen großteils durch gewinnbringenden Verkauf überlassen und dabei teils einem Minderjährigen den Gebrauch von Suchtgift ermöglicht, im Zeitraum April bis August 2015 vorschriftswidrig Suchtgift erworben und besessen, im Zeitraum Juni 2012 bis September 2015 vorschriftswidrig Suchtgift ausschließlich zum persönlichen Gebrauch erworben und besessen und am 04.08.2015 einen anderen vorsätzlich in Form von Schnittverletzungen am rechten Unterarm am Körper verletzt, indem er dem Opfer eine zerbrochene Bierflasche nachwarf.
Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 04.04.2018, AZ 33 Hv 9/18x, wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 1 zweiter Fall StGB, des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall, Abs. 2 Z 3 SMG, der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs. 2 SMG und des Vergehens des Betruges nach § 146 StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die bedingte Strafnachsicht zu AZ 12 Hv 98/15a wurde widerrufen.
Dieser Verurteilung lag im Wesentlichen zugrunde, der Beschwerdeführer habe im Zusammenwirken mit einem Mittäter am 25.07.2017 einem anderen Crystal Meth sowie 50 Euro Bargeld abgenötigt bzw. weggenommen, indem sie vom Opfer die Herausgabe der Raubbeute forderten, der Beschwerdeführer dem Opfer ein Messer an die Stirn hielt und der Mittäter zwei Mal mit einem Messer auf das Opfer einstach, wobei das Opfer dabei eine blutende Wunde an der Stirn und eine Stichverletzung im Bereich des linken Gesäßmuskels erlitt. Der Beschwerdeführer habe im Zeitraum Jänner bis August 2017 vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge um mehr als das 15-fache übersteigenden Menge, und zwar insgesamt zumindest 275 Gramm Crystal, anderen großteils gewinnbringend überlassen, im Zeitraum April bis August 2017 vorschriftswidrig Suchtgift zum ausschließlich persönlichen Gebrauch erworben und besessen und im Zeitraum März bis August 2017 mehrfach mit Betrugsvorsatz einen anderen zu Handlungen verleitet, die das Opfer am Vermögen schädigten, indem er vorgab, es handle sich bei einer von ihm verkauften Substanz um Crystal, wobei es in Wahrheit Salz gewesen sei.
Der Beschwerdeführer befand bzw. befindet sich von 02.09.2016 bis 02.11.2016 sowie seit 14.08.2017 in Untersuchungs- bzw. Strafhaft, derzeit in der Justizanstalt XXXX . Errechnetes Haftende ist der 12.03.2023.
1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:
Dem Beschwerdeführer könnte bei einer Rückkehr in die Provinz Kabul aufgrund der dort herrschenden allgemeinen schlechten Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.
Dem Beschwerdeführer steht als innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative jedoch eine Ansiedelung in der Stadt Mazar-e Sharif zur Verfügung, wo es ihm möglich ist, ohne Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können bzw. in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten, zu leben. Dem Beschwerdeführer würde bei seiner Ansiedelung in dieser Stadt kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.
Der Beschwerdeführer ist jung und arbeitsfähig. Er hat in Afghanistan zwei Jahre eine Volksschule und vier Jahre eine Koranschule besucht und in Österreich erste Arbeitserfahrung gesammelt. Er ist mobil und anpassungsfähig. Seine Ausbildung und Arbeitserfahrung werden ihm auch in Mazar-e-Sharif zugutekommen.
Seine Existenz kann er in Mazar-e Sharif - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er ist auch in der Lage, eine einfache Unterkunft zu finden.
Der Beschwerdeführer hat auch die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen, sodass er im Falle der Rückkehr - neben den eigenen Ressourcen und der Unterstützung durch seinen Onkel - auf eine zusätzliche Unterstützung zur Existenzsicherung greifen kann. Diese Rückkehrhilfe umfasst jedenfalls auch die notwendigen Kosten der Rückreise.
Die Stadt Mazar-e Sharif ist von Österreich aus sicher zu erreichen.
1.4. Zur Lage im Herkunftsstaat:
Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:
Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Teilaktualisierung vom 18.05.2020 (LIB), UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR) und EASO Country Guidance: Afghanistan vom Juni 2019 (EASO).
1.4.1. Allgemeine Sicherheitslage
Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 2).
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB, Kapitel 3). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B).
Für die Sicherheit in Afghanistan sind verschiedene Organisationseinheiten der afghanischen Regierungsbehörden verantwortlich. Die Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die Afghan National Police (ANP) und die Afghan Local Police (ALP). Die Afghan National Army (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Die ALP wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB, Kapitel 5).
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus (LIB, Kapitel 3).
1.4.2. Allgemeine Wirtschaftslage
Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant. Lebensgrundlage für rund 80 % der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 21).
Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB, Kapitel 21).
In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5 % der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind. Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80 % der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
In Afghanistan gibt es neben der Zentralbank auch mehrere kommerzielle Banken. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Geld kann auch über das Hawala-System (Form des Geldtausches) transferiert werden. Dieses System funktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich und wird von verschiedenen Bevölkerungsschichten verwendet (LIB, Kapitel 21).
Im Zeitraum von 2016 bis 2017 waren 44,6 % der afghanischen Bevölkerung sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72 %, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86 % der städtischen Häuser in Afghanistan können (gemäß der Definition von UN-Habitat) als Slums eingestuft werden. Der Zugang zu angemessenem Wohnraum stellt für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung dar (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bietet die Städte die Möglichkeit von "Teehäusern", die mit 30 Afghani (das sind ca. ? 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. ? 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. "Teehäuser" werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
1.4.3. Medizinische Versorgung
Das afghanische Gesundheitsministerium gab an, dass 60 % der Menschen im April 2018 Zugang zu Gesundheitsdiensten hatten, wobei der Zugang als eine Stunde Fußweg zur nächsten Klinik definiert wurde. Trotz der Tatsache, dass die Gesundheitsversorgung laut afghanischer Verfassung kostenlos sein sollte, müssen die Menschen in vielen öffentlichen Einrichtungen für Medikamente, Arzthonorare, Labortests und stationäre Versorgung bezahlen. Hohe Behandlungskosten sind der Hauptgrund, weswegen die Behandlung vermieden wird (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).
90 % der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB, Kapitel 22).
Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände - die oft durch den Krieg hervorgerufen wurden - sind in Afghanistan weit verbreitet, es gibt aber nur geringe Kapazitäten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Spezifische Medikamente sind grundsätzlich verfügbar (LIB, Kapitel 22.1).
1.4.4. Ethnische Minderheiten
In Afghanistan sind ca. 40-42 % Paschtunen, rund 27-30 % Tadschiken, ca. 9-10 % Hazara und 9 % Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB, Kapitel 17).
Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan, sie macht etwa 27-30 % der afghanischen Gesellschaft aus und hat deutlichen politischen Einfluss im Land. In der Hauptstadt Kabul ist sie knapp in der Mehrheit. Tadschiken sind in zahlreichen politischen Organisationen und Parteien vertreten, sie sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25 % in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert. Tadschiken sind allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit in Afghanistan weder psychischen noch physischen Bedrohungen ausgesetzt (LIB, Kapitel 17.2).
1.4.5. Relevante Provinzen und Städte
1.4.5.1. Herkunftsprovinz Kabul bzw. Kabul-Stadt
Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans. Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Die Stadt Kabul ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, sie hat 5.029.850 Einwohner. Kabul ist Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt (LIB, Kapitel 3.1). Die Stadt Kabul ist über Hauptstraßen mit den anderen Provinzen des Landes verbunden und verfügt über einen internationalen Flughafen (LIB Kapitel 3.1 und Kapitel 3.35).
Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele durch, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Die Hauptursache für zivile Opfer in der Provinz Kabul (596 Tote und 1.270 Verletzte im Jahr 2018) waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) und gezielten Tötungen (LIB, Kapitel 3.1).
Kabul zählt zu jenen Provinzen, in denen es zu willkürlicher Gewalt kommt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).
In Kabul leben 70.000 bis 80.000 Binnenvertriebene (LIB, Kapitel 3.1).
Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war in den letzten Jahren das Zentrum dieses Wachstums. Schätzungsweise 70% der Bevölkerung Kabuls lebt in informellen Siedlungen (Slums), welche den meisten Einwohnern der Stadt preiswerte Wohnmöglichkeiten bieten. (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Kabul ist das wichtigste Handels- und Beschäftigungszentrum Afghanistans und hat ein größeres Einzugsgebiet in den Provinzen Parwan, Logar und Wardak. Es gibt eine dynamischere Wirtschaft mit einem geringeren Anteil an Arbeitssuchenden, Selbständigen und Familienarbeitern. Menschen aus kleinen Dörfern pendeln täglich oder wöchentlich nach Kabul, um landwirtschaftliche Produkte zu handeln oder als Wachen, Hausangestellte oder Lohnarbeiter zu arbeiten. Die besten (Arbeits-)Möglichkeiten für Junge existieren in Kabul. Trotz der niedrigeren Erwerbsquoten ist der Frauenanteil in hoch qualifizierten Berufen in Kabul (49,6 %) am größten (LIB, Kapitel 21).
Die Gehälter in Kabul sind in der Regel höher als in anderen Provinzen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Das Hunger-Frühwarnsystem (FEWS) stufte Kabul im Dezember 2018 als "gestresst" ein, was bedeutet, dass Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch aufweisen und nicht in der Lage seien sich wesentliche, nicht nahrungsbezogenen Güter zu leisten, ohne irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Schätzungen zufolge haben 32 % der Bevölkerung Kabuls Zugang zu fließendem Wasser, und nur 10 % der Einwohner erhalten Trinkwasser. Diejenigen, die es sich leisten können, bohren ihre eigenen Brunnen. Viele arme Einwohner von Kabul sind auf öffentliche Zapfstellen angewiesen, die oft weit von ihren Häusern entfernt sind. Der Großteil der gemeinsamen Wasserstellen und Brunnen in der Hauptstadt ist durch häusliches und industrielles Abwasser verseucht, das in den Kabul-Fluss eingeleitet wird, was ernste gesundheitliche Bedenken aufwirft. Fast die Hälfte der Bevölkerung in Kabul verfügt über sanitäre Grundversorgung (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
In der Stadt Kabul besteht Zugang zu öffentlichen und privaten Gesundheitsdiensten. Nach verschiedenen Quellen gibt es in Kabul ein oder zwei öffentliche psychiatrische Kliniken (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
1.4.5.2. Provinz Balkh bzw. Mazar-e Sharif
Mazar-e Sharif ist die Provinzhauptstadt von Balkh, einer ethnisch vielfältigen Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Sie hat 469.247 Einwohner und steht unter Kontrolle der afghanischen Regierung (LIB, Kapitel 3.5).
Bei der Provinz Balkh handelt es sich um eine jener Provinzen, in denen es zu willkürlicher Gewalt kommt, jedoch nicht auf hohem Niveau, und dementsprechend ist ein höheres Maß an Einzelelementen erforderlich ist, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO).
Die Stadt Mazar-e Sharif wird von EASO als eine jener Regionen eingestuft, in welcher willkürliche Gewalt auf einem so niedrigen Niveau stattfindet, dass im Allgemeinen kein reales Risiko besteht, dass ein Zivilist aufgrund willkürlicher Gewalt im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen wird (EASO).
Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) legal zu erreichen (LIB, Kapitel 21). Die Berichtslage enthält zahlreiche Hinweise auf regelmäßig operierende Bus- und Taxiverbindungen zwischen Kabul und Mazar-e Sharif, was als Indiz dafür zu werten ist, dass die Sicherheitslage auf diesen Verbindungen zwar punktuell angespannt, im Allgemeinen aber so ist, dass der reguläre Betrieb dieser Transportmittel aufrecht und von den betreffenden Unternehmen vertretbar ist. Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz, ein regionales Handelszentrum sowie ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen (LIB, Kapitel 21). Mazar-e Sharif gilt im Vergleich zu Herat oder Kabul als wirtschaftlich relativ stabiler. Die größte Gruppe von Arbeitern in der Stadt Mazar-e Sharif sind im Dienstleistungsbereich und als Verkäufer tätig (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Die Unterkunftssituation stellt sich in Mazar-e Sharif, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Mazar-e Sharif besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten. (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Die meisten Menschen in Mazar-e Sharif haben Zugang zu erschlossener Wasserversorgung (76 %), welche in der Regel in Rohrleitungen oder aus Brunnen erfolgt. 92 % der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Während Mazar-e Sharif im Zeitraum Juni 2019 bis September 2019 noch als IPC Stufe 1 "minimal" (IPC - Integrated Phase Classification) klassifiziert wurde, ist Mazar-e Sharif im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 in Phase 2 "stressed" eingestuft. In Phase 1 sind die Haushalte in der Lage, den Bedarf an lebensnotwenigen Nahrungsmitteln und Nicht-Nahrungsmitteln zu decken, ohne atypische und unhaltbare Strategien für den Zugang zu Nahrung und Einkommen zu verfolgen. In Phase 2 weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentliche, nicht nahrungsbezogene Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ECOI, Kapitel 3.1).
In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es 10-15 - teils öffentliche, teils private - Krankenhäuser. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer, jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken die zu 80 % öffentlich finanziert sind (LIB, Kapitel 22).
Ein "Lockdown" in Mazar-e Sharif in Zusammenhang mit COVID-19 ist dem aktuellen Länderinformationsblatt vom 18.05.2020 nicht zu entnehmen.
1.4.5.3. Provinz Herat bzw. Herat-Stadt
Herat liegt im Westen Afghanistans. Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen. Die Provinz hat 2.095.117 Einwohner. Die Provinz ist über einen Flughafen in der Nähe von Herat-Stadt zu erreichen (LIB, Kapitel 3.13).
Herat-Stadt ist die Provinzhauptstadt der Provinz Herat. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert, der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 durch Iran-Rückkehrer und Binnenvertriebene besonders gestiegen. Sie hat 556.205 Einwohner (LIB, Kapitel 3.13).
Herat ist durch die Ring-Road sowie durch einen Flughafen mit nationalen und internationalen Anbindungen sicher und legal erreichbar (LIB, Kapitel 3.13). Der Flughafen Herat (HEA) liegt 13 km südlich der Stadt im Distrikt Gozara. Die Straße, welche die Stadt mit dem Flughafen verbindet wird laufend von Sicherheitskräften kontrolliert. Unabhängig davon gab es in den letzten Jahren Berichte von Aktivitäten von kriminellen Netzwerken, welche oft auch mit Aufständischen in Verbindung stehen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten auszuüben. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als "sehr sicher" gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Herat so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III).
Im Vergleich mit anderen Teilen des Landes weist Herat wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf. Es gibt Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran, wie auch im Bergbau und Produktion. Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt und beschäftigt Tagelöhner sowie kleine Unternehmer (LIB, Kapitel 21).
Die Unterkunftssituation stellt sich in Herat, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Herat besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Die meisten Menschen in Herat haben Zugang zu Elektrizität (80 %), zu erschlossener Wasserversorgung (70 %) und zu Abwasseranlagen (30%). 92,1 % der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen und 81,22 % zu besseren Wasserversorgungsanlagen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Herat ist im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 als IPC Stufe 2 klassifiziert (IPC - Integrated Phase Classification). In Phase 2, auch "stressed" genannt, weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentlich, nicht nahrungsbezogenen Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ECOI, Kapitel 3.1.).
Laut dem aktuellen Länderbericht vom 18.05.2020 gilt die Stadt Herat aufgrund der Nähe zum Iran als der COVID-19-Hotspot Afghanistans (DW 22.4.2020; vgl. NYT 22.4.2020); dort wurde die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert (TN 7.4.2020b; vgl. DW 22.4.2020). Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Dem Länderbericht vom 18.05.2020 zufolge können nach offiziellen Schätzungen in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (NYT 22.4.2020).
1.4.6. Situation für Rückkehrer/innen
Im Zeitraum vom 01.01.2019 bis 04.01.2020 kehrten insgesamt 504.977 Personen aus dem Iran und Pakistan nach Afghanistan zurück: 485.096 aus dem Iran und 19.881 aus Pakistan. Seit 01.01.2020 sind 279.738 undokumentierter Afghan/innen aus dem Iran nach Afghanistan zurückgekehrt. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück
Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB, Kapitel 23).
Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB, Kapitel 23).
Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB, Kapitel 23).
Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch (LIB, Kapitel 23).
Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB, Kapitel 23).
Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Rückkehrer erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Es befinden sich viele Rückkehrer in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB, Kapitel 23).
Die "Reception Assistance" umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (LIB, Kapitel 23).
Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB, Kapitel 23).
Unter Rückkehrhilfe wird in Österreich Beratung und - bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen auf Antrag - Unterstützung in Form von Organisation und Übernahme der Reise- und Dokumentenkosten sowie ein finanzieller Beitrag verstanden.
Die Höhe der finanziellen Starthilfe bemisst sich grundsätzlich nach einem "2-Phasen Modell": 500 EUR für Asylwerber im laufenden Verfahren I. Instanz, 250 EUR nach abgeschlossenem negativen Asylverfahren I. Instanz bzw. Fremde (BMI Rückkehrhilfe).
Zudem kann bei Erfüllung der Kriterien eine zusätzliche Reintegrationsunterstützung (Geld- und Sachleistung) vor Ort erfolgen. Das Projektziel dieses Reintegrationsprojektes mit dem Namen RESTART II mit IOM Österreich ist es, die freiwillige Rückkehr und Reintegration der Projektteilnehmer sowie der mit ihnen gemeinsam zurückgekehrten Familienmitglieder zu erleichtern. Rückkehrer sollen mithilfe der gewährten individuellen Unterstützung befähigt werden, sich erfolgreich in ihrem Herkunftsland einzugliedern. Die Reintegrationsleistung betragen 500 EUR Bargeldleistung und 2.800 EUR Sachleistung (BMI Rückkehrhilfe).
Erfolgt keine freiwillige Rückkehr, wird bei Zwangsrückführungen, sofern keine eigenen Mittel vorhanden sind, ein Zehrgeld in der Höhe von 50 EUR gewährt. Dieser Betrag kann im Fall von besonderen Bedürfnissen erhöht werden (BMI Rückkehrhilfe).
1.4.7. COVID-19-Pandemie
COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In Österreich gibt es mit Stand 05.06.2020 16.767 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen und 672 Todesfälle; in Afghanistan wurden zu diesem Zeitpunkt 18.969 Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei 309 diesbezügliche Todesfälle bestätigt wurden.
Laut aktuellem Länderbericht vom 18.05.2020 können COVID-19-Verdachtsfälle in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden - was von afghanischer Seite bestätigt wird (DW 22.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; NYT 22.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020) und wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt (WP 20.4.2020), doch verhält es sich auch in Österreich bisher nicht so, dass das Gros der Bevölkerung bisher durchgetestet werden konnte. In Afghanistan können landesweit - mit Hilfe der Vereinten Nationen - in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden (WP 20.4.2020).
Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80 % der Betroffenen leicht und bei ca. 15 % der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5 % der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z. B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.
Für Afghanistan (Sicherheitsstufe 6 seit 19.02.2020) spricht das BMEiA derzeit die Reisewarnung nicht in Zusammenhang mit COVID-19 aus, während etwa für den angrenzenden Nachbarstaat Iran (wie Afghanistan laut BMeiA derzeit Sicherheitsstufe 6, aktualisiert am 8.5.2020), die Reisewarnung in Zusammenhang mit COVID-19 ausgesprochen wird ("Für den gesamten Iran besteht eine Reisewarnung (Sicherheitsstufe 6). Vor Reisen in den Iran wird aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus (COVID-19) gewarnt").
IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an: Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings), Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten (Virtuelle Beratung, Austausch mit Rückkehrberatungseinrichtungen und Behörden, Monitoring der Reisemöglichkeiten) (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).
Das Projekt RESTART III - Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems und der Reintegration freiwilliger Rückkehrer/innen in Afghanistan" wird bereits umgesetzt. Derzeit arbeiten die österreichischen IOM-Mitarbeiter/innen vorwiegend an der ersten Komponente (Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems) und erarbeiten Leitfäden und Trainingsinhalte. Die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit aufgrund fehlender Flugverbindungen nicht möglich. IOM beobachtet die Situation und steht diesbezüglich in engem Austausch mit den zuständigen Rückkehrberatungseinrichtungen und den österreichischen Behörden (LIB Ergänzungen Stand 18.05.2020, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor der belangten Behörde, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht.
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache sowie seinem Aufwachsen in Afghanistan gründen sich auf seine diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.
Zu seinem Bildungsweg gab der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung an, er sei "nicht zur Schule gegangen" und sei lediglich drei Jahre in einer Madrassa (Koranschule) besucht (vgl. Niederschrift vom 04.03.2019, S. 8). Da er aber im Zuerkennungsverfahren angab, zwei Jahre eine Volksschule (und vier Jahre eine Koranschule) besucht zu haben, und dabei sogar den Namen der Volksschule nannte (vgl. Niederschrift vom 01.03.2010, S. 3), war diese detailliertere Angabe als glaubhafter zu bewerten und den Feststellungen zugrunde zu legen.
Die Feststellungen zu den Familienangehörigen des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen diesbezüglich glaubhaften eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung.
Dass der Onkel des Beschwerdeführers willens und in der Lage ist, diesen im Fall der Rückkehr nach Afghanistan finanziell zu unterstützen, ergibt sich aus der Angabe des Beschwerdeführers, dass dieser ihn schon vor seiner Inhaftierung finanziell unterstützt habe (vgl. Niederschrift vom 04.03.2019, S. 7). Der Beschwerdeführer geht selbst davon aus, dass sein Onkel ihn nach seiner Haftentlassung weiterhin unterstützen würde (vgl. S. 12). Das Bundesverwaltungsgericht hat keinen Grund, an dieser Einschätzung zu zweifeln. Es ist auch nicht anzunehmen, dass sein Onkel ihn zwar in Österreich, nicht aber im Fall der Rückkehr Afghanistan unterstützen würde, wo sich die wirtschaftliche Situation des Beschwerdeführers tendenziell noch schwieriger gestalten würde. Wie sich aus den Länderfeststellungen ergibt (siehe Pkt. 1.4.2.), ist der Geldtransfer nach Afghanistan problemlos möglich.
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand gründen auf den diesbezüglich glaubhaften eigenen Angaben des Beschwerdeführers. Dass der Beschwerdeführer arbeitsfähig ist, ergibt sich aus seinem Alter und seinem Gesundheitszustand.
2.2. Zu den Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich:
Die Feststellungen zum Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich aus dem Verwaltungsakt.
Die Feststellungen zur Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers entsprechen dessen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung (Niederschrift vom 04.03.2019, S. 9). Daraus, dass er seit 2015 keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgegangen ist, ergibt sich auch seine fehlende Selbsterhaltungsfähigkeit.
Davon, dass der Beschwerdeführer über grundlegende Deutschkenntnisse verfügt, konnte sich der erkennende Richter in der mündlichen Verhandlung selbst überzeugen. Eine Deutschprüfung hat der Beschwerdeführer bislang nicht abgelegt.
Betreffend die (fehlenden) Familienangehörigen, das Privatleben und die Integration des Beschwerdeführers in Österreich wurden dessen Angaben in der mündlichen Verhandlung (vgl. Niederschrift vom 04.03.2019, S. 10-11) den Feststellungen zugrunde gelegt. Der Beschwerdeführer gab an, freundschaftliche Kontakte zu Österreichern zu haben, behauptete aber damit nicht das Vorliegen intensiver sozialer Bindungen.
Die Feststellungen zu den strafgerichtlichen Verurteilungen und Haftzeiten des Beschwerdeführers ergeben sich aus der vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Strafregisterauskunft und den vorliegenden Strafurteilen. Das errechnete Haftende ergibt sich aus der Haftauskunft der Justizanstalt Linz vom 07.01.2019.
2.3. Zu den Feststellungen zur Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:
2.3.1. Die Feststellungen zu den Folgen einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan ergeben sich aus den o. a. Länderfeststellungen unter Berücksichtigung des vom Beschwerdeführer in seiner Beschwerde und seinen Stellungnahmen diesbezüglich angeführten Länderberichtsmaterials in Zusammenschau mit den vom Beschwerdeführer glaubhaft dargelegten persönlichen Umständen.
Im Einklang mit den Stellungnahmen des Beschwerdeführers kommt der erkennende Richter unter Berücksichtigung der aktuellen Länderinformationen zum Ergebnis, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in die Provinz Kabul ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen könnte.
Die Feststellungen zur Rückkehrhilfe ergeben sich aus den Länderberichten.
Die Feststellung zur Anpassungsfähigkeit und Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers ergibt sich daraus, dass er jung und gesund ist und auch schon in Afghanistan einer Arbeit nachging. In Österreich hat unter anderem seinen Pflichtschulabschluss nachgeholt. Es sind im Verfahren keine Umstände hervorgekommen, die gegen eine grundsätzliche Anpassungsfähig