Entscheidungsdatum
17.06.2020Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
W212 2227467-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Eva SINGER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Nigeria, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.12.2019, Zl. 1254536403/191247693/BMI-BFA_WIEN_RD_TEAM_09, zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG stattgegeben und Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Nigerias, wurde am 05.12.2019 polizeilich aufgegriffen, wobei er sich mit einem italienischen Reisedokument auswies. Er gab an, seit November 2019 in Österreich zu sein und bei einem Freund zu wohnen. Eine Überprüfung an der vom Beschwerdeführer angegebenen Adresse ergab, dass er dort zwar zwei Wochen gewohnt habe, aber schon seit längerer Zeit nicht mehr dort lebe. Der Beschwerdeführer konnte keine weiteren Angaben zu seinem Wohnsitz machen. Er gab an, über eine Kreditkarte mit 400,- € zu verfügen.
I.2 Im Rahmen einer Einvernahme am 06.12.2019 gab der Beschwerdeführer an, dass er am 04.11.2019 nach Österreich eingereist sei. Einen Nachweis über die Einreise könne er nicht vorlegen. Die Adresse seiner neuen Unterkunft kenne er nicht. Er sei zu Besuch bei einem Freund. Er habe vor, sich insgesamt drei Monate im Bundesgebiet aufzuhalten.
I.3. Mit Mandatsbescheid vom 06.12.2019 wurde über den Beschwerdeführer die Schubhaft gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und zur Sicherung der Abschiebung verhängt.
I.4. Am 08.12.2019 wurde eine Kopie eines Bustickets Bologna-Wien vom 04.11.2019 an das BFA übermittelt.
I.5. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 11.12.2019 wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt I.) und gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG eine Anordnung zur Außerlandesbringung angeordnet. Demzufolge sei seine Abschiebung nach Italien gemäß § 61 Abs. 1 FPG zulässig (Spruchpunkt II.).
Begründend wurde ausgeführt, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich von Beginn an illegal gewesen sei. Seine Angaben zum Verbleib seines Bustickets seien widersprüchlich gewesen. Er sei im Bundesgebiet nicht ordentlich gemeldet und habe keinen Wohnsitz nachweisen können. Er verfüge weiters nicht über ausreichende Barmittel.
I.6. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.12.2019, W154 2226367-1, wurde der Mandatsbescheid vom 06.12.2019 aufgehoben und die über den Beschwerdeführer seit 06.12.2019 verhängte Schubhaft für rechtswidrig erklärt. Die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen würden nicht vorliegen.
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich der Beschwerdeführer nicht illegal im Bundesgebiet aufgehalten habe. Er sei weder einer unerlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen, noch stelle er eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Er verfüge über eine Unterkunft und ausreichende finanzielle Mittel zu Bestreitung seines Lebensunterhalts.
I.7. Mit Schriftsatz vom 27.12.2019 wurde gegen Spruchpunkt II. des Bescheids vom 11.12.2019 Beschwerde erhoben.
I.8. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.01.2020 wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Nigeria. Seine Identität steht fest. Der BF verfügt über ein gültiges italienisches Reisedokument (gültig bis 29.01.2023) und einen gültigen italienischen Aufenthaltstitel („permesso di soggiorno, prot. sussidiaria“). Der BF ist unter Verwendung dieser Dokumente legal in Österreich eingereist.
Der Beschwerdeführer reiste am 04.11.2019 per Bus von Italien kommend in das österreichische Bundesgebiet ein.
Mit Ablauf des 02.02.2020 endet die sichtvermerkfreie Aufenthaltsdauer von 90 Tagen innerhalb von 180 Tagen.
Der Beschwerdeführer war vor seiner Festnahme in Österreich nicht behördlich gemeldet, wohnte jedoch zwei Wochen lang in einer Studentenwohngemeinschaft an einer näher bezeichneten Adresse und danach bei einem näher genannten Freund, zu dessen Wohnung er einen Schlüssel besaß.
Der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich diente Besuchszwecken.
Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.
Der Beschwerdeführer verfügte über wenig Barmittel und über eine Kreditkarte mit einem verfügbaren Geldbetrag in der Höhe von ca. € 400.-.
Der Beschwerdeführer verfügt über keine familiäre und berufliche Anbindung in Österreich.
Mit Mandatsbescheid des BFA vom 06.12.2019 wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Sicherung der Abschiebung angeordnet.
Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.12.2019, W154 2226367-1, wurde der Mandatsbescheid vom 06.12.2019 aufgehoben, die über den Beschwerdeführer seit 06.12.2019 verhängte Schubhaft für rechtswidrig erklärt und festgestellt, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers rechtmäßig sei.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellung über die Identität des Beschwerdeführers, den aufrechten Aufenthaltstitel in Italien sowie daraus resultierend zur rechtmäßigen Einreise des Beschwerdeführers in das Bundesgebiet ergibt sich aus den im Verfahren vor der belangten Behörde vorgelegten Dokumenten.
Das Datum der Einreise nach Österreich ergibt sich aus dem vorgelegten Busticket.
Die Feststellung hinsichtlich der fehlenden amtlichen Meldung in Österreich ergibt sich aus einer Anfrage des Zentralen Melderegisters. Die Feststellungen zu den Wohnmöglichkeiten während seines Aufenthaltes in Österreich bis zu seiner Festnahme gründen zum einen auf den Angaben des Beschwerdeführers in der Einvernahme vor dem BFA am 06.12.2019, zum anderen auf den sich aus dem Verfahrensakt ergebenden behördlichen Ermittlungen. Dass der Beschwerdeführer über Freunde in Österreich verfügt, die er besuchen wollte, ergibt sich zum einen aus den Angaben des Beschwerdeführers in der Einvernahme am 06.12.2019 sowie daraus, dass ebendiese Freunde eine Vollmacht zur Akteneinsicht bei der belangten Behörde sowie das Busticket, mit dem der Beschwerdeführer nach Österreich gelangt ist, der Behörde zum Nachweis der Einreise am 04.11.2019 vorgelegt haben.
Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus dem im Akt einliegenden Auszug aus dem Strafregister.
Die finanziellen Mittel und die fehlenden familiären und beruflichen Bindungen in Österreich ergeben sich aus den eigenen Angaben des Beschwerdeführers.
Der Mandatsbescheid vom 06.12.2019 sowie das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.12.2019 liegen im Akt auf.
2. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Stattgebung der Beschwerde:
§ 61 FPG lautet:
„Anordnung zur Außerlandesbringung
(1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Außerlandesbringung anzuordnen, wenn
1. dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG oder
2. er in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat und dieser Mitgliedstaat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung dieses Antrages zuständig ist. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
(2) Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht.
(3) Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.
(4) Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird.“
§ 52 Abs. 6 FPG bestimmt: „Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.“
§ 31 Abs. 1 Z 3 FPG normiert, dass sich ein Fremder rechtmäßig bis zu drei Monaten (Art. 21 Schengener Durchführungsübereinkommen; SDÜ) im Bundesgebiet aufhält, wenn er Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels ist, sofern er während seines Aufenthalts im Bundesgebiet keiner unerlaubten Erwerbstätigkeit nachgeht.
Artikel 21 SDÜ lautet:
„(1) Drittausländer, die Inhaber eines gültigen, von einer der Vertragsparteien ausgestellten Aufenthaltstitels sind, können sich auf Grund dieses Dokuments und eines gültigen Reisedokuments höchstens bis zu drei Monaten frei im Hoheitsgebiet der anderen Vertragsparteien bewegen, soweit sie die in Artikel 5 Absatz 1 Buchstaben a, c und e aufgeführten Einreisevoraussetzungen erfüllen und nicht auf der nationalen Ausschreibungsliste der betroffenen Vertragspartei stehen.
(2) Das gleiche gilt für Drittausländer, die Inhaber eines von einer der Vertragsparteien ausgestellten vorläufigen Aufenthaltstitels und eines von dieser Vertragspartei ausgestellten Reisedokuments sind.
(3) Die Vertragsparteien übermitteln dem Exekutivausschuß die Liste der Dokumente, die sie als Aufenthaltserlaubnis oder vorläufigen Aufenthaltstitel und als Reisedokument im Sinne dieses Artikels ausstellen.
(4) Die Bestimmungen dieses Artikels gelten unbeschadet des Artikels 22“
Art. 5 SDÜ lautet:
„(1) Für einen Aufenthalt von bis zu drei Monaten kann einem Drittausländer die Einreise in das Hoheitsgebiet der Vertragsparteien gestattet werden, wenn er die nachstehenden Voraussetzungen erfüllt:
a)
Er muß im Besitz eines oder mehrerer gültiger Grenzübertrittspapiere sein, die von dem Exekutivausschuß bestimmt werden.
b)
Er muß, soweit erforderlich, im Besitz eines gültigen Sichtvermerks sein.
c)
Er muß gegebenenfalls die Dokumente vorzeigen, die seinen Aufenthaltszweck und die Umstände seines Aufenthalts belegen, und über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts sowohl für die Dauer des Aufenthalts als auch für die Rückreise in den Herkunftsstaat oder für die Durchreise in einen Drittstaat, in dem seine Zulassung gewährleistet ist, verfügen oder in der Lage sein, diese Mittel auf legale Weise zu erwerben.
d)
Er darf nicht zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben sein.
e)
Er darf keine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die nationale Sicherheit oder die internationalen Beziehungen einer der Vertragsparteien darstellen.
(2) - (3) ...
Im gegenständlichen Fall leidet der angefochtenen Bescheid zunächst an einem wesentlichen Begründungsmangel. Aus dem Bescheid geht nicht hervor, weshalb die belangte Behörde davon ausging, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers trotz Vorliegen eines gültigen italienischen Aufenthaltstitels schon ab dem Zeitpunkt der Einreise unrechtmäßig gewesen sei. Der Bescheid enthält zu dieser Frage keine Feststellungen, Beweiswürdigung oder rechtliche Beurteilung. Die belangte Behörde hat dadurch die Bestimmung des § 31 Abs. 1 Z 3 FPG, wonach ein Fremder im Besitz eines durch einen Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sich bis zu drei Monate im Bundesgebiet aufhalten kann, außer Acht gelassen.
Wie das Bundesverwaltungsgericht aber schon in seiner Entscheidung vom 13.12.2019, W154 2226367-1, festgestellt hat, war der Aufenthalt des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung nicht unrechtmäßig. Der Beschwerdeführer ist im Besitz eines italienischen Reisedokuments und eines italienischen Aufenthaltstitels.
Im Verfahren ist nicht hervorgekommen, dass der Beschwerdeführer sich zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung länger als den in § 31 Abs. 1 Z 3 FPG normierten Zeitraum im Bundesgebiet aufgehalten hat. Der Beschwerdeführer ist nachweislich am 04.11.2019 in Österreich eingereist. Er ist im Bundesgebiet auch keiner unerlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen, er ist lediglich aus privaten Gründen (Besuch von Freunden) in Österreich eingereist. Der Beschwerdeführer stellte auch keine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die nationale Sicherheit oder die internationalen Beziehungen einer der Vertragsparteien dar, er ist strafgerichtlich unbescholten, wie sich ebenfalls im Verfahren ergeben hat.
Unabhängig davon ist es auch notwendig, dass der Beschwerdeführer über die notwendigen Mittel für die Dauer des Aufenthaltes verfügt. Diese notwendigen Mittel für einen Aufenthalt in Österreich oder den rechtmäßigen Erwerb solcher Mittel für einen längeren Aufenthalt konnte der Beschwerdeführer darlegen. Der BF konnte darlegen, dass er - wenn auch nicht amtlich gemeldet – für seinen vorübergehenden Aufenthalt in Österreich über eine Unterkunft bei Freunden und über ausreichende finanzielle Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts sowohl für die Dauer des Aufenthalts als auch für die Rückreise in den Herkunftsstaat verfügt. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich war sohin rechtmäßig.
Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids war daher ersatzlos zu beheben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Aus-spruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Im gegenständlichen Fall konnte sich das Bundesverwaltungsgericht auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
Aufenthaltstitel Außerlandesbringung Begründungsmangel finanzielle Mittel rechtmäßiger AufenthaltEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W212.2227467.1.01Im RIS seit
05.10.2020Zuletzt aktualisiert am
05.10.2020