Entscheidungsdatum
18.06.2020Norm
BEinstG §14Spruch
W207 2226668-1/6E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Michael SCHWARZGRUBER als Vorsitzender und die Richterin Mag. Natascha GRUBER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Burgenland, OB: XXXX , vom 04.12.2019, betreffend Abweisung des Antrages auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten, beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz Verwaltungsgerichtverfahrensgesetz (VwGVG) zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Sozialministeriumservice zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang
Die Beschwerdeführerin stellte am 19.09.2019 beim Sozialministeriumservice (in der Folge auch als belangte Behörde bezeichnet) einen Antrag auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten gemäß §§ 2 und 14 Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG). Diesem Antrag legte die Beschwerdeführerin eine Auflistung ihrer Leiden betreffend die Lippen, die Zähne, die Schulter, den Ellbogen und ihre Arbeitssituation, einen Bescheid der AUVA über die Anerkennung ihres Unfalls als Arbeitsunfall vom 10.04.2019, ein Konvolut an medizinischen Unterlagen sowie eine Passkopie bei.
Die belangte Behörde gab in der Folge ein Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin unter Anwendung der Bestimmungen der Einschätzungsverordnung in Auftrag. In diesem Sachverständigengutachten vom 05.11.2019 wurde nach Durchführung einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 04.11.2019 Folgendes - hier in den wesentlichen Teilen und in anonymisierter Form wiedergegeben – ausgeführt:
„…
Anamnese:
Zustand nach Fahrradsturz 27.6.2018: Commotio cerebri (mit Bewusstlosigkeit), Bruch des linken Ellenhakens (Zuggurtung) - das Metall wurde in der Zwischenzeit wieder entfernt, Rissquetschwunde der Oberlippe und Verletzung der Schneidezähne des Ober- und Unterkiefers.
Außerdem wurde an der rechten Schulter ein Frozen Shoulder diagnostiziert.
Das li Handgelenk schmerzt beim Abstützen
Derzeitige Beschwerden:
siehe oben und zusätzlich fallweise Schwindel bei bestimmten Kopfbewegungen
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
Voltarengel, Parkemed bei Bedarf
Sozialanamnese:
verheiratet, 3 Kinder, Bankangestellte (Personalabteilung)
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
Kurbericht XXX 29.10.-19.11.2018:
Frozen Shoulder dext
MRT re Schulter Dr. S., 2.10.2018:
AC-Gelenksarthrose, subacromiale Osteoproliferation mit beginnend eingeengter subacromialer Distanz (5mm), hinweisend für Impingement. zumindest subtotale Ruptur des Lig. glenohumerale superius
MRT der HWS, 2.8.2018, OA Dr. J. (MRT-Diagnostik XXX):
C5/6: Osteochondrose Modi Typ II mit spondylotischen Veränderungen, breitbasige Diskusprotrusion median re foraminal links reichend, diskogene osteophytär bedingte Neuroforameneinengung li mit Tangierung der NW C6 links.
MRT li Handgelenk 27.6.2019, Dr. S.:
Zeichen einer partiellen Läsion des Lig. intercarpale dorsale in Höhe der Insertion im Bereich des Os scaphoideum.
Partialläsion der ulnoapikalen Anheftung des Discus triangularis.
Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand:
gut
Ernährungszustand:
normal
Größe: 162,00 cm Gewicht: 52,00 kg Blutdruck: 133/92
Klinischer Status - Fachstatus:
Rechtshänderin,
Herz und Lungen auskultatorisch frei,
HWS: F 30-0-30, R 80-0-80, übrige WS: frei beweglich, FBA 2cm,
OE: re Schulter: Abduktion 40°, R 60-0-50 alle Bewegungen sind schmerzhaft in der jeweiligen Endlage. li Handgelenk frei beweglich,
li Ellenbogen frei beweglich, blande OP-Narbe streckseitig.
UE: frei beweglich
Fußpulse bds. tastbar, keine Ödeme,
Abdomen weich, kein DS, keine Resistenzen.
Gesamtmobilität - Gangbild:
jeder LW selbstständig durchführbar, freier Stand sicher, GAngbild nicht beeinträchtigt, Einbein-, Zehen- und Fersenstand bds. sicher durchführbar.
Status Psychicus:
allseits voll orientiert, Auffassung, Konzentration und Merkfähigkeit nicht beeinträchtigt, Stimmung ausgeglichen, Gedankengang geordnet und zielführend.
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Pos. Nr.
GdB %
1
Aufbrauchzeichen im Bewegungs- und Stützapparat, Zustand nach Ellenhakenbruch links, Frozen Shoulder rechts.
Mäßig- bis mittelgradige Funktionseinschränkung mit Maximum im Bereich des rechten Schultergelenks.
02.02.02
40
Gesamtgrad der Behinderung 40 v. H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Einziges relevantes Leiden
[X] Dauerzustand
Frau B. kann trotz ihrer Funktionsbeeinträchtigung mit Wahrscheinlichkeit auf einem geschützten Arbeitsplatz oder in einem Integrativen Betrieb (allenfalls unter Zuhilfenahme von Unterstützungsstrukturen) einer Erwerbstätigkeit nachgehen:
[X] JA
1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?
Keine, da keine Beeinträchtigung der Gehfähigkeit oder Gangsicherheit vorliegt und die linke Extremität zum sicheren Anhalten und Abstützen zuverlässig einsetzbar ist.
2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?
Nein
…“
Mit Schreiben der belangten Behörde vom 05.11.2019 wurde die Beschwerdeführerin über das Ergebnis der Beweisaufnahme in Kenntnis gesetzt und ihr das eingeholte medizinische Sachverständigengutachten übermittelt. Der Beschwerdeführerin wurde in Wahrung des Parteiengehörs die Gelegenheit eingeräumt, binnen zwei Wochen ab Zustellung des Schreibens eine Stellungnahme abzugeben. Das Gutachten vom selben Tag wurde der Beschwerdeführerin als Beilage übermittelt.
Die Beschwerdeführerin brachte innerhalb der ihr dafür eingeräumten Frist keine Stellungnahme ein.
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 04.12.2019 wurde der am 19.09.2019 eingelangte Antrag der Beschwerdeführerin auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten abgewiesen und spruchgemäß festgestellt, dass der Grad der Behinderung 40 v.H. beträgt. Dies erfolgte unter Zugrundelegung des ärztlichen Sachverständigengutachtens vom 05.11.2019, wonach der Grad der Behinderung 40 v.H. betrage. Dieses Sachverständigengutachten, das dem Bescheid beigelegt sei, bilde einen Bestandteil der Begründung.
Mit E-Mail vom 12.12.2019 erhob die Beschwerdeführerin gegen den Bescheid vom 04.12.2019 fristgerecht eine Beschwerde, in welcher in inhaltlicher Hinsicht Folgendes – hier in den wesentlichen Teilen und in anonymisierter Form wiedergegeben - ausgeführt wird:
„…
Ich erhebe hiermit Beschwerde gegen den von mir gestern erhaltenen Bescheid über die Abweisung meines Antrages auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Kreis der Begünstigen Behinderten, da im Ergebnis der Begutachtung nicht aufscheint, dass ich auch eine beträchtliche Funktionseinschränkung seit und durch den Arbeitsunfall mit dem Fahrrad vom 27.6.2018 im Gesicht im Bereich des Kiefers der Zähne und der Lippen habe.
Seit dem Sturz ist es mir nicht möglich meine vier unteren und oberen Schneidezähne zu gebrauchen, da die oberen Schneidezähne eine Fraktur haben, It. Zahnarzt noch nicht abgestorben sind und deshalb nicht entfernt werden sollten, aber trotzdem sehr schmerzen bei geringer Berührung. Es ist es mir nicht möglich etwas mit diesen Zähnen zu beißen und ich kann nur mit Mühe feste Nahrung zu mir zu nehmen. Diese Fraktur der Zähne ist nicht zu beheben und wird nicht heilen, so wie die Fraktur des Kiefers.
Bei einer Temperatur unter 10 Grad ist es mir nicht möglich ohne Mundschutz mich im Freien zu bewegen, da die betroffenen Zähne sehr kälteempfindlich sind. Auch die Narbe auf der Oberlippe schmerzt bei Kälte und Bewegung der Lippen. Die Oberlippe es gefühlstaub und spannt beim Sprechen durch die vorhandene Narbe. Es kommt vor, dass mir dadurch Nahrung wieder aus dem Mund fällt. Das wird sich It. Auskunft eines plastischen Chirurgen nach nunmehr 1 ½ Jahren nicht mehr besser und ist auch nicht möglich zu korrigieren.
Durch das Schiefstehen der Zähne, stößt meine Zunge an die vorderen Zähne an, was mir sehr unangenehm ist, da meine Aussprache dadurch undeutlich wird.
Weiters habe ich nachts oft Schmerzen und das Gefühl, dass mir meine Zähen ausfallen und ich dadurch nicht wieder einschlafen kann, was zu einer ständigen Müdigkeit führt und meinen beruflichen Alltag sehr erschwert.
Anbei übermittle ich Röntgenaufnahmen der Zähne, den Befund eines Zahnarztes der AUVA und Bilder der Oberlippe.
Mit der Bitte um nochmalige Prüfung meines Antrages und eventuelle Begutachtung durch einen Zahnarzt, verbleibe ich
hochachtungsvoll“
Der Beschwerde wurden keine medizinischen Unterlagen beigelegt.
Die belangte Behörde legte am 17.12.2019 dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde und den Bezug habenden Verwaltungsakt zur Entscheidung vor. Das Verfahren wurde der hg. Gerichtsabteilung W264 zugewiesen.
Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.04.2020 wurden die von der Beschwerdeführerin in der Beschwerde erwähnten, dieser jedoch nicht beigelegten Unterlagen angefordert.
Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.04.2020 wurde das gegenständliche Beschwerdeverfahren mit Wirksamkeit vom 21.04.2020 der Gerichtsabteilung W264 (wegen einer beruflichen Veränderung) abgenommen und der Gerichtsabteilung W207 neu zugewiesen.
Am 24.04.2020 langten beim Bundesverwaltungsgericht die angeforderten Unterlagen ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Zu Spruchteil A)
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,
1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren 2013, § 28 VwGVG, Anm. 11.)
§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn „die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen“ hat.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, zur Auslegung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz ausgeführt hat, wird eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f).
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Behinderteneinstellungsgesetzes (BEinstG), lauten:
„Begünstigte Behinderte
§ 2. (1) Begünstigte Behinderte im Sinne dieses Bundesgesetzes sind österreichische Staatsbürger mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 vH. Österreichischen Staatsbürgern sind folgende Personen mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 vH gleichgestellt:
1. Unionsbürger, Staatsbürger von Vertragsparteien des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, Schweizer Bürger und deren Familienangehörige,
2. Flüchtlinge, denen Asyl gewährt worden ist, solange sie zum dauernden Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt sind,
3. Drittstaatsangehörige, die berechtigt sind, sich in Österreich aufzuhalten und einer Beschäftigung nachzugehen, soweit diese Drittstaatsangehörigen hinsichtlich der Bedingungen einer Entlassung nach dem Recht der Europäischen Union österreichischen Staatsbürgern gleichzustellen sind.
(Anm.: aufgehoben durch BGBl. I Nr. 72/2013)
(2) Nicht als begünstigte Behinderte im Sinne des Abs. 1 gelten behinderte Personen, die
a) sich in Schul- oder Berufsausbildung befinden oder
b) das 65. Lebensjahr überschritten haben und nicht in Beschäftigung stehen oder
c) nach bundes- oder landesgesetzlichen Vorschriften Geldleistungen wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit (dauernder Berufsunfähigkeit) bzw. Ruhegenüsse oder Pensionen aus dem Versicherungsfall des Alters beziehen und nicht in Beschäftigung stehen oder
d) nicht in einem aufrechten sozialversicherungspflichtigen Dienstverhältnis stehen und infolge des Ausmaßes ihrer Funktionsbeeinträchtigungen zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit auch auf einem geschützten Arbeitsplatz oder in einem Integrativen Betrieb (§ 11) nicht in der Lage sind.
(3) Die Ausschlussbestimmungen des Abs. 2 lit. a gelten nicht für behinderte Personen, die als Lehrlinge in Beschäftigung stehen, eine Ausbildung zum gehobenen Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege absolvieren, an einer Hebammenakademie oder einer entsprechenden Fachhochschule ausgebildet werden oder zum Zwecke der vorgeschriebenen Ausbildung für den künftigen, eine abgeschlossene Hochschulausbildung erfordernden Beruf nach Abschluss dieser Hochschulausbildung beschäftigt werden und die Voraussetzungen des Abs. 1 erfüllen.
…
Behinderung
§ 3. Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen, die geeignet ist, die Teilhabe am Arbeitsleben zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
Feststellung der Begünstigung
§ 14. (1) Als Nachweis für die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten gilt der letzte rechtskräftige Bescheid über die Einschätzung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit mit mindestens 50 vH
a) eines Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (der Schiedskommission) bzw. des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen oder der Bundesberufungskommission im Sinne des Bundesberufungskommissionsgesetzes, BGBl. I Nr. 150/2002, oder des Bundesverwaltungsgerichtes;
b) eines Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung bzw. das Urteil eines nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, zuständigen Gerichtes;
c) eines Landeshauptmannes (des Bundesministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales) in Verbindung mit der Amtsbescheinigung gemäß § 4 des Opferfürsorgegesetzes;
d) in Vollziehung der landesgesetzlichen Unfallfürsorge (§ 3 Z 2 Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz, BGBl. Nr. 200/1967).
Die Feststellung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit im Nachweis gilt zugleich als Feststellung des Grades der Behinderung. Die Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten (§ 2) auf Grund der in lit. a bis d genannten Nachweise erlischt mit Ablauf des dritten Monates, der dem Eintritt der Rechtskraft des jeweiligen Bescheides bzw. Urteiles folgt, sofern nicht der begünstigte Behinderte innerhalb dieser Frist gegenüber dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen erklärt, weiterhin dem Personenkreis der nach diesem Bundesgesetz begünstigten Behinderten angehören zu wollen.
(2) Liegt ein Nachweis im Sinne des Abs. 1 nicht vor, hat auf Antrag des Menschen mit Behinderung das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen den Grad der Behinderung nach den Bestimmungen der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) einzuschätzen und bei Zutreffen der im § 2 Abs. 1 angeführten sonstigen Voraussetzungen die Zugehörigkeit zum Kreis der nach diesem Bundesgesetz begünstigten Behinderten (§ 2) sowie den Grad der Behinderung festzustellen. Hinsichtlich der ärztlichen Sachverständigen ist § 90 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152, anzuwenden. Die Begünstigungen nach diesem Bundesgesetz werden mit dem Zutreffen der Voraussetzungen, frühestens mit dem Tag des Einlangens des Antrages beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen wirksam. Sie werden jedoch mit dem Ersten des Monates wirksam, in dem der Antrag eingelangt ist, wenn dieser unverzüglich nach dem Eintritt der Behinderung (Abs. 3) gestellt wird. Die Begünstigungen erlöschen mit Ablauf des Monates, der auf die Zustellung des Bescheides folgt, mit dem der Wegfall der Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten rechtskräftig ausgesprochen wird.
…“
§ 2 bis 4 der Einschätzungsverordnung, BGBl. II 261/2010 idF BGBl. II 251/2012, sehen Folgendes vor:
"Grad der Behinderung
§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.
(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.
(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen."
Gesamtgrad der Behinderung
§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.
(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.
Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.
(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn
- sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,
- zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.
(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine."
Grundlage der Einschätzung
§ 4. (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.
(2) Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten."
Der mit 04.12.2019 datierte Bescheid der belangten Behörde, mit dem der Antrag der Beschwerdeführerin auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten abgewiesen und spruchgemäß festgestellt wurde, dass der Grad der Behinderung 40 v.H. beträgt, erweist sich in Bezug auf ein ordnungsgemäß durchgeführtes Ermittlungsverfahren als mangelhaft, und zwar aus folgenden Gründen:
Die Beschwerdeführerin bringt in der oben wiedergegebenen Beschwerde vor, dass sie seit und durch ihren Arbeitsunfall mit dem Fahrrad vom 27.06.2018 auch eine beträchtliche Funktionseinschränkung im Gesicht im Bereich des Kiefers der Zähne und der Lippen habe, das im Ergebnis der Begutachtung nicht aufscheine. Damit ist die Beschwerde im Recht.
Die von der Beschwerdeführerin bereits im Rahmen der Antragstellung am 19.09.2019 konkret behaupteten Funktionseinschränkungen des Kiefers bzw. der Kaufunktion, für deren mögliches Vorliegen sich auch Anhaltspunkte in den von der Beschwerdeführerin im Rahmen der Antragstellung vorgelegten medizinischen Unterlagen finden, wurden im bisher von der belangten Behörde geführten Verfahren nicht sachgerecht berücksichtigt. Auch bei ihrer persönlichen Untersuchung am 04.11.2019 wurden diese Funktionseinschränkungen von der Beschwerdeführerin vorgebracht („Anamnese: Zustand nach Fahrradsturz 27.6.2018: Commotio cerebri (mit Bewusstlosigkeit), ….. , Rissquetschwunde der Oberlippe und Verletzung der Schneidezähne des Ober- und Unterkiefers. …“). Im Falle des tatsächlichen Vorliegens einer mit dem Fahrradunfall im Zusammenhang stehenden dauerhaften Funktionseinschränkung maßgeblicher, d.h. einschätzungsrelevanter Intensität käme im gegebenen Zusammenhang eine Einstufung unter dem Regelungskomplex 07.02 („Zähne, Kiefer, Gaumen“) der Anlage zur Einschätzungsverordnung in Betracht.
Im von der belangten Behörde im gegenständlichen Verfahren eingeholten Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 05.11.2019 wurde jedoch als einzige bei der Beschwerdeführerin vorliegende Funktionseinschränkung "Aufbrauchzeichen im Bewegungs- und Stützapparat, Zustand nach Ellenhakenbruch links, Frozen Shoulder rechts.", bewertet mit einem (Einzel)Grad der Behinderung von 40 v.H. nach der Positionsnummer 02.02.02 der Anlage der Einschätzungsverordnung, festgestellt. Unter dem Punkt „Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung“ führt der beigezogene Sachverständige ohne weitere Begründung lediglich aus, dass dies das einzige relevante Leiden sei.
Allerdings ist im gegenständlichen Fall in diesem Zusammenhang die Beurteilung durch den beigezogenen Allgemeinmediziner nicht vollständig und schlüssig, dies insbesondere auch unter Berücksichtigung des Aspektes, dass im von der Beschwerdeführerin bereits bei der Antragstellung vorgelegten Bescheid der AUVA vom 10.04.2019 unter anderem folgende Verletzungen nach dem Versicherungsfall festgestellt wurden: „Rissquetschwunde im Bereich der Nase und der Oberlippe, Teilverrenkung der Zähne 11, 21, und 22 mit Wurzelfraktur des Zahnes 22 sowie Teilverrenkung der Zähne 32 bis 42 mit Schmelzfraktur im Bereich der Krone des Zahnes 42“. Dass der medizinische Sachverständige bei der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 04.11.2019 im Rahmen der Erhebung des klinischen Fachstatus den Zahnstatus der Beschwerdeführerin erhoben hätte, ist dem von der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten nicht zu entnehmen und nicht ersichtlich.
Sollte eine dauerhafte Funktionseinschränkung einschätzungsrelevanter Intensität im Fall der Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit dem Fahrradunfall nicht vorliegen, bedürfte es aber zur Klärung des diesbezüglichen Sachverhaltes einer konkreten Auseinandersetzung mit dieser Frage und einer entsprechenden Feststellung im medizinischen Sachverständigengutachten und in der Folge seitens der belangten Behörde.
Das bisher von der belangten Behörde eingeholte allgemeinmedizinische Sachverständigengutachten wird diesbezüglich den Anforderungen an die Schlüssigkeit und Vollständigkeit eines Gutachtens in Bezug auf die Klärung der im gegenständlichen Verfahren entscheidungserheblichen Frage des Vorliegens von Funktionseinschränkungen des Kiefers bzw. der Kaufunktion einschätzungsrelevanter Intensität allerdings nicht gerecht und ist dieses ergänzungsbedürftig und daher im gegebenen Zusammenhang nicht geeignet, zur ausreichenden Sachverhaltsklärung beizutragen. Welche Beeinträchtigungen die Beschwerdeführerin in Bezug auf Funktionseinschränkungen des Kiefers bzw. der Kaufunktion bzw. im Hinblick auf entzündliche Veränderungen des Zahnfleisches oder Ausgleich durch prothetische Versorgung nun konkret tatsächlich hat und mit welchen Auswirkungen, wurde im gegenständlichen Verfahren durch den beigezogenen Arzt für Allgemeinmedizin nicht erhoben und daher nicht ausreichend geklärt.
Die belangte Behörde machte von der ihr gemäß § 14 VwGVG eingeräumten Möglichkeit der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung (die unter anderem auch dazu dienen kann, anlässlich des Beschwerdevorbringens bei allenfalls gleichbleibendem Bescheidergebnis wesentliche Sachverhalts- oder auch Begründungselemente nachzutragen) keinen Gebrauch und legte dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde mit dem Verwaltungsakt zur Entscheidung vor.
Im gegenständlichen Fall ist daher davon auszugehen, dass die belangte Behörde im Sinne der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes den Sachverhalt nur ansatzweise ermittelt bzw. die Ermittlung des Sachverhaltes in den entscheidungswesentlichen Fragen an das Verwaltungsgericht delegiert hat. Der Sachverhalt ist daher in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig und im gegebenen Zusammenhang nicht geeignet, zur ausreichenden Sachverhaltsklärung beizutragen.
Die unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht läge angesichts des gegenständlichen mangelhaft geführten verwaltungsbehördlichen Ermittlungsverfahrens nicht im Interesse der Raschheit und wäre auch nicht mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden. Zu berücksichtigen ist auch der mit dem verwaltungsgerichtlichen Mehrparteienverfahren verbundene erhöhte Aufwand.
Die belangte Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren ein vollständiges und nachvollziehbares Sachverständigengutachten mit Erhebung des Zahnstatus unter Berücksichtigung der Beschwerdeeinwendungen einzuholen haben.
Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall der Beschwerdeführerin noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rasch und kostengünstig festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid der belangten Behörde gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Sozialministeriumservice zurückzuverweisen.
Zu Spruchteil B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
In den rechtlichen Ausführungen zu Spruchteil A wurde ausführlich unter Bezugnahme auf die oben zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes ausgeführt, dass im verwaltungsbehördlichen Verfahren notwendige Ermittlungen unterlassen wurden. Betreffend die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG im gegenständlichen Fall liegt in Anbetracht des oben zitierten Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, zur Auslegung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz keine grundsätzliche Rechtsfrage vor.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Ermittlungspflicht Grad der Behinderung Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung SachverständigengutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W207.2226668.1.00Im RIS seit
05.10.2020Zuletzt aktualisiert am
05.10.2020