Entscheidungsdatum
08.07.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W124 2228405-1/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. FELSEISEN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG sowie §§ 46, 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9 FPG, § 55 FPG sowie § 15b Abs. 1 AsylG 2005 mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt VII. des bekämpften Bescheides zu lauten hat:
„Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 4 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.“
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF), indischer Staatsangehöriger, reiste am XXXX unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellte am XXXX vor Organen der Landespolizeidirektion Oberösterreich (LPD OÖ) einen Antrag auf internationalen Schutz.
In der niederschriftlichen Erstbefragung am XXXX gab der BF an, er heiße XXXX , stamme aus dem Bundesstaat Punjab, Indien, sei ledig und kinderlos, Angehöriger der Volksgruppe der Punjabi und Sikh. Er habe zwölf Jahre lang die Grundschule besucht und verfüge über eine zweijährige Berufsausbildung als Kfz-Mechaniker. Der BF spreche Punjabi (Muttersprache) sowie Englisch auf A1-Niveau; einen Beruf habe er in seinem Herkunftsstaat nicht ausgeübt.
Zu seiner Ausreise gab er zusammenfassend an, er habe den Entschluss zur Ausreise am XXXX gefasst, am XXXX sei er mit einem PKW von seinem Wohnort nach Delhi gefahren, anschließend sei er von dort aus nach Moskau geflogen, wo er von einer Schlepperbande abgeholt und mit dem PKW nach Wien befördert worden sei. Zur Organisation seiner Schleppung gab er zusammenfassend an, sein Onkel habe diese organisiert – den Schlepper habe er in XXXX , Indien getroffen – und gemeinsam mit seiner Mutter finanziert. Die Schleppung habe insgesamt etwa EUR 12.600,- gekostet. Sein Onkel habe dem Schlepper ein Passfoto (des Beschwerdeführers) gegeben, der Schlepper wiederum habe ihm einen gefälschten Reisepass mit einem Visum verschafft, damit der Beschwerdeführer nach Moskau fliegen könne; sein Onkel habe ihm in weiterer Folge ein entsprechendes Flugticket gekauft, mit welchem er, wie bereits erwähnt, selbstständig nach Moskau geflogen sei.
Zu seinem Fluchtgrund gab er an, „Ich wurde wegen meiner Religion verfolgt. Ich bin ein Freiheitskämpfer für Khalistan und habe gegen die indische Regierung demonstriert. 2020 wird es in Indien eine Volksbefragung geben. Diese Volksbefragung wird wegen einer Unabhängigkeit Punjabs (als Khalistan) von Indien durchgeführt werden. Ich bin für diese Unabhängigkeit von Indien. Ich habe mich für diese Unabhängigkeit eingesetzt und Informationsblätter verteilt. Jemand hat die Polizei informiert und ich wurde dann am XXXX festgenommen. Die Polizei hat mich gewarnt und bedroht. Mein Bruder und mein Onkel sind dann zur Polizeiinspektion gekommen und haben Schmiergeld bezahlt, damit ich wieder freikomme. Danach hat mir meine Familie gesagt, dass ich mit solchen Tätigkeiten aufhören soll. Am XXXX wurde ich abermals festgenommen. Die Polizei beschuldigte mich, mich weiterhin für diese Kampanien eingesetzt zu haben. Ich war zwei oder drei Tage lang bei der Polizei eingesperrt und wurde dort geschlagen sowie unter Druck gesetzt. Mein Onkel musste wieder Schmiergeld bezahlen, damit ich freikomme. Mein Onkel hat mich dann zu sich nach Hause gebracht, da die Polizei immer wieder zu meiner Adresse kommen und Probleme machen würde. Ich ließ mir aus Angst Haare und Bart schneiden. Meinen Turban setzte ich auch nicht mehr auf, damit ich nicht mehr so strenggläubig aussehe. Meine Familie hat beschlossen, wenn ich weiter bei ihnen bleibe, werde ich immer wieder Probleme bekommen; deshalb hat mir mein Onkel diese Schleppung ins Ausland organisiert.“
Im Falle einer Rückkehr hätte er Angst um sein Leben.
Am selben Tag wurde dem Beschwerdeführer mittels Verfahrensanordnung gemäß § 15b Abs. 1 AsylG 2005 aufgetragen, von diesem Zeitpunkt an in einem näher bezeichneten Quartier Unterkunft zu nehmen.
3. In weiterer Folge wurde am XXXX eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers zur Prüfung bzw. Abklärung seiner Identität vor dem BFA durchgeführt; er gab im Wesentlichen Folgendes an:
Er sei am XXXX im Punjab geboren und besitze eine Geburtsurkunde, welche sich jedoch in Indien befinde. Er habe auch einen Reisepass besessen, bevor ihm dieser vom Schlepper abgenommen worden sei. In seinem Herkunftsstaat hätten sein Großvater, sein Bruder, seine Mutter sowie er in einem mittelgroßen, über drei Zimmer verfügenden Haus mit Garten gelebt. In Indien würden seine Mutter, sein XXXX -jähriger Bruder, sein Großvater, sein Onkel sowie zwei Tanten jeweils väterlicherseits, und sein Onkel mütterlicherseits leben; alle würden im Bundesstaat Punjab leben. Er besitze ein Mobiltelefon, könne aber keine Nummer angeben, da dieses über keine SIM-Karte verfüge. Zuletzt habe er vergangenen Sonntag telefonischen Kontakt zu seiner Mutter gehabt. Nachgefragt gab der Beschwerdeführer die Telefonnummer seiner in Indien lebenden Mutter an.
Er habe zwölf Jahre lang die Grundschule besucht, im Anschluss habe er eine zweijährige Ausbildung zum Diplom-Automechaniker absolviert; er verfüge über entsprechende Zeugnisse, diese befänden sich alle in Indien. In seinem Herkunftsstaat sei er in keinem Verein Mitglied und sei dies auch in der Vergangenheit nicht gewesen. Er besitze einen indischen Führerschein, welcher sich zuhause in Indien befinde. Er habe ferner keinen Militärdienst geleistet. Nachgefragt, ob er in seinem Herkunftsstaat oder auch in einem anderen Staat Verwandte und/oder Bekannte habe, welche seine tatsächliche Identität bestätigen könnten, gab er an, seine in Indien lebende Familie, namentlich seine Mutter sowie seine Geschwister könnten natürlich seine Identität bestätigen. Die Nachfrage, ob er in seinem Herkunftsstaat je im Besitz eines Dokumentes wie etwa eines Reisepasses, Personalausweises, Wehrdienstbuches, einer Geburts-, Heirats- oder sonstigen Personenstandsurkunde gewesen sei, bejahte er. Er habe einen Reisepass, eine Geburtsurkunde sowie einen Führerschein gehabt. Über schriftliche oder elektronisch gesicherte Kopien eines solchen Dokumentes verfüge er nicht. Nachgefragt gab er an, während seines Aufenthaltes in Österreich bzw. in Europa bislang nicht versucht zu haben, seine Identität bestätigende Beweismittel zu beschaffen. Nachgefragt, ob seine in Indien wohnhaften Verwandten eigene Identitätsdokumente besäßen, gab er an, er könne seine Mutter fragen.
Im Zuge der Einvernahme wurde der Beschwerdeführer vom BFA dazu aufgefordert, alle notwendigen Schritte für eine ehestmögliche Übermittlung sämtlicher in seinem Herkunftsstaat befindlicher bzw. noch zu beschaffender, identitätsbezeugender Beweismittel – etwa durch eine Übersendung von Kopien bzw. einer Bestätigung seiner Mutter – nach Österreich in Veranlassung zu nehmen. Der Beschwerdeführer wurde darauf hingewiesen, dass er dafür Sorge zu tragen habe, dass diese Nachweise dem BFA unaufgefordert in Vorlage gebracht werden. Hierzu wurden dem Beschwerdeführer entsprechende Kontaktdaten des BFA bekanntgegeben. Für die Vorlage der genannten Dokumente in Fotokopie-Form oder auf einem elektronischen Datenträger bzw. für die elektronische Übermittlung wurde dem Beschwerdeführer eine einwöchige Frist, für die Vorlage der Dokumente im Original eine Frist von drei Wochen gewährt.
Der Beschwerdeführer gab hierauf an, die behördliche Aufforderung verstanden zu haben; er werde sich unverzüglich darum bemühen, dem BFA die Beweismittel zu seiner Identität innerhalb der ihm gewährten Fristen vorab elektronisch und in weiterer Folge auch im Original vorzulegen.
4. Am XXXX fand eine weitere niederschriftliche Einvernahme statt. Der Einvernehmende stellte zunächst fest, dass der Beschwerdeführer bereits im Zuge der Erstbefragung zu seinen persönlichen Daten befragt worden sei und fragte nach etwaigen Berichtigungen. Der Beschwerdeführer gab an, die in der Erstbefragung gemachten Angaben seien richtig; er heiße XXXX , sei am XXXX im Dorf XXXX , Bundesstaat Punjab geboren, sei indischer Staatsangehöriger, spreche Punjabi und etwas Englisch, sei ledig und kinderlos.
Nachgefragt, wovon seine in Indien aufhältigen Angehörigen leben würden, gab er an, seine Mutter beziehe eine Witwenpension, sein Vater sei bei der indischen Armee gewesen; sein XXXX -jähriger Bruder studiere am XXXX College“, nahe der Stadt XXXX , XXXX . Seine Familienangehörigen würden nach wie vor in dem Haus, in dem auch er bis zu seiner Ausreise gewohnt habe, wohnen. Am XXXX habe er zuletzt mit seiner Mutter telefoniert.
Das einvernehmende Organ des BFA stellte zudem fest, dass der Beschwerdeführer bereits im Rahmen der Erstbefragung sowie der am XXXX durchgeführten Einvernahme zu seinem Reiseweg befragt worden sei und fragte den Beschwerdeführer, ob die einschlägigen Angaben wahrheitsgemäß seien oder aber er noch etwas berichtigen möchte. Hierauf gab der Beschwerdeführer an, es stimme alles so.
Sodann wurden dem Beschwerdeführer einige Fragen zur Finanzierung seiner Ausreise aus Indien sowie zur wirtschaftlichen Situation seiner Familie gestellt, die er wie folgt beantwortete: Er habe aus Indien kein Geld mitgenommen; er habe nur 2.000 Indische Rupien gehabt, welche er am Flughafen den Personen, die ihn hingebracht hätten, gegeben habe. Als er nach Österreich eingereist sei, habe er noch 35,- EUR gehabt, welche er vom Schlepper für seine Verpflegung bekommen hätte. Insgesamt habe er 100.000 Indische Rupien für die Reise bezahlt, dieses Geld hätten ihm seine Mutter und sein Onkel von deren Ersparnissen gegeben. Sein Onkel sei Bauer. In Indien würden er sowie seine Familie der Mittelschicht angehören. Nachgefragt, wie seine finanzielle Situation im Moment aussehe, gab er an, er habe momentan 20,- EUR bei sich. Nachgefragt, ob er ohne den Bezug von Grundversorgungsleistungen (Unterkunft, Verpflegung, Taschengeld, Krankenversicherung) in Österreich leben könnte, gab er an, er würde vom in XXXX befindlichen Sikh-Tempel Unterstützung erhalten.
In seinem Herkunftsstaat sei der Beschwerdeführer weder vorbestraft noch habe er dort Straftaten begangen. Allerdings werde er von der Polizei gesucht. Da er Propaganda für die Khalistanbewegung betrieben habe, sei er zwei Mal im Gefängnis gewesen, ein Mal für einen Tag und ein anderes Mal für drei Tage. Nachgefragt, ob er in Indien irgendein Problem mit einer staatlichen Behörde habe, gab er an, er habe welche mit der „BJP“ [Anm. des Bundesverwaltungsgerichtes: „Bharatiya Janata Party“, indische politische Partei], dies sei die Partei von Modi [Anm. des Bundesverwaltungsgerichtes: Narendra Modi, zum Zeitpunkt sowohl der gegenständlichen Einvernahme als auch der vorliegenden Entscheidung amtierender Premierminister der Republik Indien]. Die Frage, ob der Beschwerdeführer in Indien jemals Mitglied einer politischen Gruppierung oder Partei gewesen sei, verneinte er und gab an, er sei auch nicht politisch aktiv. Die Frage, ob er in er in Indien jemals von staatlicher Seite wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Volksgruppe, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Gesinnung verfolgt worden sei, bejahte er; er sei wegen seiner religiösen Einstellung und, weil er Khalistan befürworte, verfolgt worden. Zudem wurde der Beschwerdeführer gefragt, ob er in Indien jemals einer Verfolgung durch Privatpersonen ausgesetzt gewesen sei; auch diese Frage bejahte er und gab an, es gebe Dorfbewohner, welche seine Familie von Anfang an nicht gemocht und ihn angezeigt und sich über ihn beschwert hätten, weil er ein Khalistanbefürworter sei, sie hätten ihn namentlich genannt.
Nachgefragt gab er an, keine weiteren Probleme zu haben, er habe nur jene wegen seiner Pro-Khalistan-Einstellung. Eine innerstaatliche Fluchtalternative habe er nicht, da er auch in anderen Landesteilen Indiens nicht in Sicherheit wäre; die Polizei würde ihn finden. Müsste er in seinen Herkunftsstaat zurückkehren, würde er entweder festgenommen oder im Gefängnis getötet werden.
Über Aufforderung, seine Fluchtgründe in freier Erzählung ausführlich, detailliert und nachvollziehbar zu schildern, gab er an, er sei ins College gegangen und habe Freunde gehabt, Freunde seiner Freunde wiederum seien sehr eng mit der Khalistanbewegung verbunden gewesen. Diese hätten ihm erzählt, 2020 solle der Staat „Khalistan“ gegründet werden. Sie hätten ihm erklärt, dass 2020 wegen der Staatsgründung Wahlen stattfänden und er sowie andere in den Familien Werbung für eine solche Staatsgründung machen sollten. Über zahlreiche Nachfragen machte der Beschwerdeführer folgende Angaben:
Begonnen habe er mit dieser Werbung in der ersten Augustwoche 2019; er habe mit seiner Familie darüber gesprochen, welche damit einverstanden gewesen sei. Es habe keiner zu Schaden kommen sollen. Von seinen drei Freunden hätten nur zwei mitgemacht. Er habe in Parks und an Kreuzungen von der beabsichtigten Staatsgründung erzählt. Nachgefragt, ob also seine Familie die Khalistanbewegung auch unterstütze, gab der Beschwerdeführer an, er denke, jeder Sikh wolle einen eigenen Staat haben. Propaganda habe aber nur er betrieben. Bis zum XXXX Oder XXXX 2019 habe er jedenfalls mit der Propaganda weitergemacht. Irgendwer habe eine Beschwerde bei der Polizei eingebracht und behauptet der Beschwerdeführer sorge für Unruhe, wiegele die Menschen gegen den indischen Staat auf und sei staatsfeindlich, weil er für einen eigenen Staat „Khalistan“ sei.
Er sei in weiterer Folge erstmals am XXXX zuhause festgenommen worden; seine Mutter habe geweint und gefragt, warum er mitgehen müsse. Die Polizisten hätten die Frage nicht beantwortet, seien grob zu ihm gewesen und hätten ihn in die Polizeistation XXXX gebracht. Sie habe ihm Hetzpropaganda vorgeworfen. Sein Onkel sei daraufhin zur Polizeistation gekommen, um für ihn einzutreten. Der Onkel habe den Polizisten gesagt, dass der Beschwerdeführer nur informiert und nichts Schlimmes gemacht habe; der Onkel sei jedoch nicht angehört worden. Schließlich habe sein Onkel am nächsten Tag 30.000 Indische Rupien für seine Freilassung bezahlt, woraufhin er tatsächlich freigelassen worden sei und ihm seine Familie verboten habe, weiterhin für Khalistan Propaganda zu betreiben. Seine Familie sei der Meinung gewesen, er solle weiter zur Schule gehen. Er habe auf seine Familie gehört.
Dennoch sei er am XXXX abermals, aus denselben Gründen wie beim ersten Mal, festgenommen worden; die Polizisten hätten mit Stöcken auf sein Gesäß geschlagen und ihm Ohrfeigen verpasst. Sie hätten ihm gesagt, diesmal würden sie ihn nicht wieder freilassen, sondern ihn vernichten. Der Beschwerdeführer sei auch bedroht worden; seine Familie werde nicht erfahren, wo er sei. Ihm seien Staatsfeindlichkeit sowie Hetzpropaganda vorgeworfen worden.
Nachgefragt, wie er freigekommen sei, gab er an, sein Onkel mütterlicherseits habe mit einem „I.S.-Polizisten“ gesprochen und 100.000 Indische Rupien bezahlen müssen. Der Onkel habe ihn dann zu sich nach Hause mitgenommen. Der Beschwerdeführer habe früher langes Haar, einen Vollbart und einen Turban getragen, wie ein richtiger Sikh. Sein Onkel habe die langen Haare und den Bart schneiden lassen, damit er nicht mehr so leicht erkannt werde. Die Familie habe sich dann besprochen und sei zum Ergebnis gekommen, dass es beim dritten Mal sicher nicht gut ausgehen würde; er würde wahrscheinlich umgebracht werden oder verschwinden. Die Familie habe schließlich beschlossen, dass er ins Ausland gebracht werde. Sein Onkel habe mit dem Schlepper gesprochen und ihm das Geld gegeben.
Über weitere Nachfragen gab der Beschwerdeführer Folgendes an:
Er sei am XXXX von Neu-Delhi nach Moskau geflogen. Der Schlepper habe seine Fotos genommen und einen Reisepass machen lassen. Die Frage, ob nach der Festnahme am XXXX noch etwas vorgefallen sei, verneinte er; er sei schließlich bei seinem Onkel gewesen. Es sei jedoch nach ihm gesucht worden, die Polizei sei in seinem Elternhaus gewesen, dies habe ihm seine Familie erzählt. Das einvernehmende Organ des BFA hielt ihm vor, dass die Polizei seiner Angabe nach offensichtlich gewusst habe, dass er von seinem Onkel mitgenommen worden sei – sein Onkel sei ja nach seinen eigenen Angaben dort gewesen und habe bezahlt – und fragte ihn, ob auch bei seinem Onkel gesucht worden sei. Der Beschwerdeführer verneinte diese Frage. Auch die Frage, ob es am Flughafen, bei der Ausreise, zu Problemen gekommen sei, verneinte er. Er sei zwar am Flughafen von Beamten kontrolliert worden und habe Dokumente abgeben müssen, nachgefragt gab er aber an, ohne Probleme ausgereist sein zu können.
Nachgefragt gab der Beschwerdeführer an, keine Beweise für sein Vorbringen vorlegen zu können; es gebe auch keine Unterlagen zu den Festnahmen oder Zahlungsbestätigungen bezüglich der von seinem Onkel an die Polizei geleisteten Zahlungen.
Nachgefragt gab er an, nun sämtliche Gründe für das Verlassen seines Herkunftsstaates vollständig geschildert zu haben. Zudem gab er Folgendes an: „Ich möchte noch darum bitten, dass ich Asyl erhalte, denn wenn ich nach Indien zurückgeschickt werde, dann passiert etwas Schlimmes mit mir: Entweder ich werde grundlos festgenommen und umgebracht oder man lässt mich verschwinden. Meine Familie hat mich zu meiner Sicherheit ins Ausland geschickt. Ich bitte deshalb um Asyl.“
Anschließend wurde er vom einvernehmenden Organ des BFA gefragt, vom wem konkret er geschlagen worden sei; er habe vorgebracht, von Polizisten geschlagen worden zu sein. Der Beschwerdeführer gab an, er sei im Gefängnis von drei Polizisten, die davor getrunken hätten, geschlagen worden zu sein; sie hätten immer wieder gesagt, es sei wegen Khalistan. Die Polizisten seien auch Sikhs gewesen – ob sie wirklich Sikhs gewesen seien, könne er aber nicht sagen. Sie hätten zwar einen Turban, jedoch keinen Vollbart getragen. Ob ihn die Polizisten geschlagen hätten, weil diese persönlich nicht seiner Meinung gewesen seien oder, weil es ihnen befohlen worden sei, könne der Beschwerdeführer nicht sagen. Nachgefragt gab der Beschwerdeführer an, sein Onkel habe die Vorfälle dem Vorgesetzten der Polizisten gemeldet. Dieser habe seinem Onkel entgegnet, der Beschwerdeführer mache Propaganda für Khalistan, weshalb es schwierig sei, hier einzuschreiten. Die Behörden würden nicht wollen, dass Khalistan entsteht. Obwohl sein Onkel dem Vorgesetzten der Polzisten mitgeteilt habe, dass er geschlagen worden sei, habe der Vorgesetzte gesagt, dass bei Khalistan-Anhängern nichts unternommen werden könne.
Das einvernehmende Organ machte den Beschwerdeführer auf das Neuerungsverbot im Beschwerdeverfahren aufmerksam und fragte ihn erneut, ob er asylrelevante Angaben machen bzw. etwas vorbringen wolle, was ihm wichtig erscheine, aber noch nicht gefragt worden sei. Hierauf gab der Beschwerdeführer an, die Polizisten hätten ihn zum Alkoholkonsum, welchen er als gläubiger Sikh ablehne, gezwungen.
Nachgefragt, ob eine Niederlassung in einer anderen Stadt oder einem anderen Landesteil Indiens für ihn vorstellbar sei, gab der Beschwerdeführer an, die Polizei würde ihn überall finden. Auch im Land der Sikh sei er nicht sicher gewesen, in weiteren Bundesstaaten gebe es keine so große Sikh-Community. Über Nachfrage gab er an, keinesfalls – auch nicht bei Inanspruchnahme einer Rückkehrhilfe – nach Indien zurückkehren zu wollen, im Falle einer Rückkehr befürchte er eine Festnahme oder ein „Verschwinden-Lassen“ durch die indische Polizei.
Dem Beschwerdeführer wurde am Schluss der Einvernahme die Möglichkeit eingeräumt, in die aktuellen Länderinformationen zu seinem Herkunftsstaat Einsicht und zu diesen gegebenenfalls Stellung zu nehmen. Ebenso wurde ihm die Möglichkeit eingeräumt, zur beabsichtigten Vorgangsweise der Behörde – Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz und Erlassung einer Rückkehrentscheidung – Stellung zu nehmen. Von diesen Möglichkeiten machte der Beschwerdeführer keinen Gebrauch.
5. Am XXXX fand eine weitere Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem BFA im Beisein einer Rechtsberaterin von der „ XXXX “ statt. Der Beschwerdeführer gab im Wesentlichen an, er halte seine im Rahmen der letzten Einvernahme ( XXXX ) gemachten Angaben aufrecht; auch heute könne er leider keine Beweismittel vorlegen, er wolle mit seiner Familie Kontakt aufnehmen, sobald ihm dies gelungen sei. Er werde sie um die Übermittlung von Beweismitteln bitten. Das einvernehmende Organ hielt ihm vor, dies sei eine bloße Absichtserklärung und habe ihn gefragt, welche konkreten Versuche er bereits unternommen habe. Der Beschwerdeführer gab an, er besitze zwar ein Mobiltelefon, jedoch keine SIM-Karte; er müsse erst den Sikh-Tempel aufsuchen, um an eine SIM-Karte zu kommen. Dann könnte er Kontakt aufnehmen. Das einvernehmende Organ hielt ihm vor, SIM-Karten gebe es, wie auch in Indien, überall im Handel. Der Beschwerdeführer sagte hierzu lediglich „Gut.“.
Zudem hielt ihm das einvernehmende Organ des BFA Folgendes vor: In den aktuellen Länderfeststellungen zu Indien sei unter anderem angeführt, dass Sikh in Indien frei reisen, ihre Konfession frei ausüben und ihre religiösen Symbole zeigen können, dieses Recht sei auch im Gesetz verankert. Die Zugehörigkeit zur Sikh-Gemeinschaft sei kein Kriterium für polizeiliche Willkürakte. Der Beschwerdeführer gab hierzu an, das möge zwar so sein, aber in der Realität sei es ganz anders; in Neu-Delhi etwa habe es auch Schüler gegeben, welche den heiligen Dolch bei sich getragen hätten und nicht zur Prüfung hätten antreten dürfen. Auf die Frage, inwiefern dies mit seinem Asylverfahren zu tun habe, antwortete er, er habe damit sagen wollen, dass die einschlägigen Länderfeststellungen nicht der Wahrheit entsprächen und in Indien sehr wohl eine Sikh-Feindlichkeit existiere. Auf die Frage, ob der Beschwerdeführer hiervon in irgendeiner Weise betroffen sei, antwortete er damit, dass er habe Probleme im Zusammenhang mit seiner Khalistan-Einstellung – so, wie es in den vergangenen Einvernahmen vor dem BFA bereits besprochen worden sei – habe.
Erneut wurde ihm die Möglichkeit eingeräumt, zur beabsichtigten Vorgangsweise der Behörde – Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz und Erlassung einer Rückkehrentscheidung – Stellung zu nehmen. Von diesen Möglichkeiten machte der Beschwerdeführer keinen Gebrauch und gab lediglich an, er wolle auf keinen Fall zurück nach Indien, da er tatsächlich Probleme habe. Auch wurde er nach allfälligem weiteren Vorbringen gefragt; er erstattete kein weiteres Vorbringen.
6. Mit Schreiben vom XXXX setzte das BFA die Fremden- und Grenzpolizeiliche Abteilung (FGA) der örtlich zuständigen LPD davon in Kenntnis, dass der Beschwerdeführer gegen die Anordnung der Unterkunftnahme vom XXXX verstoßen habe und ersuchte die LDP um Einleitung eines Verwaltungsstrafverfahrens nach § 121 Abs. 1a FPG.
7. Mit Schreiben vom XXXX gab der XXXX die diesem vom Beschwerdeführer erteilte Vollmacht bekannt und übermittelte dem BFA die entsprechende Vollmachtsurkunde. Das Schreiben sowie die Vollmachtsurkunde langten am selben Tag beim BFA ein.
8. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom XXXX , Zl. XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist zur freiwilligen Ausreise wurde gemäß § 55 FPG mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Ferner wurde festgestellt, dass dem Beschwerdeführer gemäß § 15b Abs. 1 AsylG 2005 aufgetragen wurde, vom XXXX an in einem näher bezeichneten Quartier Unterkunft zu nehmen (Spruchpunkt VII.)
Das BFA stellte im angefochtenen Bescheid fest, dass die Identität des Beschwerdeführers nicht feststehe, er gesund, arbeits- und voll handlungsfähig, volljährig, ledig, kinderlos und Staatsangehöriger Indiens sei sowie über eine zwölfjährige Schuldbildung, eine zweijährige Ausbildung zum KFZ-Mechaniker und in seinem Herkunftsstaat erworbene Berufserfahrung verfüge. Ferner beschreibe er sich selbst als der (wirtschaftlich-sozialen) Mittelschicht zugehörig. Im Falle des BF bestehe keine asylrelevante Verfolgung; sein Fluchtvorbringen sei nicht glaubhaft. Im Falle einer Rückkehr nach Indien sei auch keine Bedrohungssituation gegeben.
In Österreich habe der BF weder familiäre noch sonstige soziale Anknüpfungspunkte. In Indien hingegen verfüge er über familiäre Anknüpfungspunkte: Im Punjab würden seine Mutter, sein Bruder, sein Großvater väterlicherseits, zwei Onkel sowie zwei Tanten leben. Sein verstorbener Vater sei Armeeangehöriger gewesen; seine Mutter bestreite ihren Lebensunterhalt durch den Bezug einer Witwenrente. Sein Bruder studiere Informationstechnologie (IT), sein Onkel sei Landwirt.
Zum Zeitpunkt der Antragstellung habe der Beschwerdeführer in Österreich über keinen Wohnsitz verfügt.
Beweiswürdigend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe ein dem Amtswissen sowie der allgemeinen Lebenserfahrung widersprechendes bzw. auch in sich widersprüchliches und deshalb unglaubhaftes Fluchtvorbringen erstattet. Er habe lediglich einen vagen und wenig detailreichen Sachverhalt in den Raum gestellt, ohne diesen auf konkrete Befragung hin plausibel darlegen zu können. So habe er zusammenfassend angegeben, er sei wegen seiner Propaganda für die Gründung eines unabhängigen Staates „Khalistan“ von der Polizei zwei Mal festgenommen und inhaftiert worden; gegen Zahlung von Bestechungsgeldern sei er beide Male freigekommen. Es sei an seinem Wohnsitz nach ihm gesucht worden, nicht jedoch bei seinem Onkel, bei welchem er sich nach der ersten Inhaftierung aufgehalten habe. Seine Familie habe nach dem zweiten Vorfall beschlossen, dass er ausreisen solle. Die beiden Vorfälle hätten sich am XXXX sowie am XXXX ereignet; bis zum Zeitpunkt seiner Ausreise ( XXXX ) habe er sich weiterhin bei seinem Onkel aufgehalten, wobei währenddessen keine weiteren Vorfälle stattgefunden hätten.
Widersprüchlich hierzu habe er – ebenfalls im Rahmen der Einvernahme – angegeben, weder Mitglied einer Partei noch sonst politisch aktiv zu sein. Auch die Ausreise sei seinen Angaben zufolge trotz erfolgter Kontrolle durch indische Sicherheitsbeamte problemlos möglich gewesen. Zudem habe der Beschwerdeführer auch bezüglich seiner Reise- sowie Identitätsdokumente widersprüchliche Angaben gemacht: In der Erstbefragung habe er behauptet, niemals einen Reisepass besessen zu haben, auch eine Visabeantragung habe er verneint, im weiteren Verfahren vor dem BFA habe er jedoch angegeben, einen Reisepass zur legalen Ausreise verwendet zu haben.
Weiters habe er über Nachfrage, ob er in Indien aufgrund seiner politischen Gesinnung, Rasse, Nationalität, Volksgruppe, Religion oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt worden sei, lediglich angegeben, Probleme aufgrund seiner Zugehörigkeit zum Sikhismus und seinem Eintreten für ein unabhängiges Khalistan zu haben, ansonsten jedoch „überhaupt keine Probleme“ mit dem Staat zu haben. Die von ihm angegebenen bzw. befürchteten Probleme mit der Polizei aufgrund seiner Religionszugehörigkeit lägen jedoch, wie den aktuellen Länderinformationen zu Indien zu entnehmen ist, nicht vor: „Die Zugehörigkeit zur Sikh-Religion ist kein Kriterium für polizeiliche Willkürakte. Die Sikhs, 60 Prozent der Bevölkerung des Punjabs, stellen dort einen erheblichen Teil der Beamten, Richter, Soldaten und Sicherheitskräfte. Auch hochrangige Positionen stehen ihnen offen. […] Sikhs aus dem Punjab haben die Möglichkeit sich in anderen Landesteilen niederzulassen, Sikh-Gemeinden gibt es im ganzen Land verstreut. Sikhs können ihre Religion in allen Landesteilen ohne Einschränkung ausüben.“ (ÖB 10.2017). Einem entsprechenden Vorhalt im Rahmen der Einvernahme vom XXXX habe er nicht begründet entgegentreten können, womit feststehe, dass er im Punjab nicht aufgrund seiner Glaubenszugehörigkeit per se mit staatlichen Repressionen zu rechnen habe. Ebenfalls stehe fest, dass er seine Religion landesweit uneingeschränkt ausüben könne und sich auch im gesamten indischen Staatsgebiet uneingeschränkt niederlassen könne.
Seine Befürchtung, im Falle einer Rückkehr neuerlich festgenommen und inhaftiert zu werden, sei ebenfalls unbegründet, dies werde durch die von ihm angeführte legale Ausreise untermauert. Würde er in Indien – möglicherweise auch, ohne dass er schuldig sei – wegen eines Kapitalverbrechens polizeilich gesucht, wäre weder die Passausstellung noch die legale Ausreise auf dem Luftweg möglich gewesen.
Außerdem habe der Beschwerdeführer – trotz Zusicherung seinerseits – keinerlei Beweismittel für sein Vorbringen vorgelegt.
Seine Familie, welche seinen Angaben zufolge ebenfalls für ein unabhängiges Khalistan eingetreten sei, halte sich nach wie vor unbehelligt in Indien auf, was einen weiteren Grund für die mangelnde Glaubhaftigkeit seines Fluchtvorbringens darstelle.
Insgesamt betrachtet seien weder seine Fluchtgründe glaubhaft noch er selbst in persönlicher Hinsicht glaubwürdig. Aus seinem gesamten Vorbringen ergebe sich nicht der geringste Anhaltspunkt auf das Vorliegen einer Gefährdung seiner Person durch den indischen Staat bzw. einer Gefährdung, vor der ihn zu schützen der indische Staat nicht fähig oder willens wäre sei.
Rechtlich wurde zu Spruchpunkt I. ausgeführt, dass er keine asylrelevanten Verfolgungsgründe glaubhaft habe dartun können. Aus dem Ermittlungsverfahren hätten sich auch keine sonstigen Anhaltspunkte für eine Verfolgung aus Konventionsgründen ergeben. Zu Spruchpunkt II. wurde festgehalten, dass sich – wie aus der Beweiswürdigung ersichtlich – keine begründeten Anhaltspunkte dafür ergeben hätten, dass der BF durch eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Indien in seinen nach Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder dem Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK gewährleisteten Rechten verletzt werde. Die Voraussetzungen des § 57 AsylG 2005 würden nicht vorliegen (Spruchpunkt III). Zum Privat- und Familienleben des BF (Spruchpunkt IV.) wurde zusammengefasst ausgeführt, dass entscheidungserhebliche integrative Anknüpfungspunkte im österreichischen Bundesgebiet, welche zu einem Überwiegen seiner privaten Interessen an einem Verbleib im österreichischen Bundesgebiet gegenüber den öffentlichen Interessen an seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat geführt hätten, nicht hätten erkannt werden können. Anhaltspunkte, dass eine Abschiebung gemäß § 50 FPG unzulässig sei, hätten sich nicht ergeben (Spruchpunkt V.). Die Frist zur freiwilligen Ausreise sei mit 14 Tagen festzusetzen gewesen, zumal keine berücksichtigungswürdigen Umstände hervorgekommen seien, welche eine längere Frist erforderlich gemacht hätten (Spruchpunkt VI.).
Zur Sicherstellung der zügigen Bearbeitung und wirksamen Überwachung des gegenständlichen Verfahrens sei die Anordnung zur Unterkunftnahme gemäß § 15b Abs. 1 AsylG 2005 erforderlich gewesen (Spruchpunkt VII.).
Zudem wurde – zwar in der Beweiswürdigung, offensichtlich aber in rechtlicher Hinsicht – ausgeführt, unspezifische Verfolgungshandlungen von nur geringer Schwere würden nach ständiger VwGH-Judikatur für die Annahme einer Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, BGBl. Nr. 55/1955 idgF (GFK) und damit die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nicht ausreichen, solange sie nicht eine derartige Intensität erreichen würden, dass deshalb ein weiterer Aufenthalt im Herkunftsstaat des Asylwerbers als unerträglich anzusehen wäre (vgl. etwa VwGH 07.10.1993, 93/01/0942; 06.03.1996, 95/20/0210). Kurzfristige Inhaftierungen, Hausdurchsuchungen, polizeiliche Hausbesuche, Befragungen sowie Anhaltungen würden nach ständiger VwGH-Judikatur für sich genommen noch keine asylrelevante Verfolgung begründen (vgl. etwa VwGH 14.10.1998, 98/01/0262; 12.05.1999, 98/10/0365). Selbst wiederholten Vorladungen zur Polizei und Befragungen zum Aufenthaltsort von Verwandten komme nicht der Charakter von Eingriffen zu, die ihrer Intensität nach als asylrelevante Verfolgung zu qualifizieren seien (vgl. etwa VwGH 21.04.1993, 92/01/1059; 24.04.1995, 94/19/1402).
9. Mit Verfahrensanordnung vom XXXX wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die „ XXXX “ als Rechtsberaterin zur Seite gestellt, welche ihn im Beschwerdeverfahren jedoch nicht vertrat.
10. Mit der gegen diese Entscheidung fristgerecht erhobenen Beschwerde wurde der Bescheid vollinhaltlich wegen unrichtiger Sachverhaltsfeststellung, Verletzung von Verfahrensvorschriften und inhaltlicher Rechtswidrigkeit angefochten und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Vertreten wurde der Beschwerdeführer durch den bereits am XXXX von diesem bevollmächtigten XXXX .
Der Beschwerdeführer führte nach kurzer Wiederholung seines Vorbringens hinsichtlich seiner Festnahmen, Inhaftierungen und Misshandlungen durch die Polizei wegen seines Eintretens für ein unabhängiges Khalistan aus, die belangte Behörde habe das Vorbringen des Beschwerdeführers ohne nachvollziehbare Begründung und ohne jegliche Ermittlungstätigkeit als unglaubhaft bezeichnet. Es sei offensichtlich, dass er sowohl aus politischen Gründen als auch aus Gründen der Religion bzw. der Zugehörigkeit zum Sikhismus und wegen des Eintretens für ein unabhängiges Khalistan verfolgt werde.
Das Zitat aus dem Länderinformationsblatt [Anm. des Bundesverwaltungsgerichtes: „Die Zugehörigkeit zur Sikh-Religion ist kein Kriterium für polizeiliche Willkürakte. …“ (ÖB 10.2017)] sei insofern nicht zutreffend, als der Fluchtgrund nicht die Zugehörigkeit zu den Sikh als solche, sondern konkret das Eintreten für die Abspaltung Khalistans von Indien sei.
Für die Anordnung zur Unterkunftnahme vom XXXX sowie den diese bestätigenden Ausspruch im angefochtenen Bescheid fehle jegliche Grundlage.
11. Am XXXX langten die Beschwerde sowie der Verfahrensakt der belangten Behörde beim Bundesverwaltungsgericht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1 Festgestellt wird zunächst der gegenständliche, oben wiedergegebene Verfahrensgang.
1.2 Zur Person des Beschwerdeführers
Der volljährige Beschwerdeführer ist gesund, arbeits- und voll handlungsfähig, ledig, kinderlos und Staatsangehöriger Indiens und verfügt über eine zwölfjährige Schuldbildung sowie eine zweijährige Ausbildung zum KFZ-Mechaniker. Der Beschwerdeführer gehört der Volksgruppe der Punjabi und der Religionsgemeinschaft der Sikh an und ist im Bundesstaat Punjab geboren und aufgewachsen. Er spricht Punjabi als Muttersprache sowie ein wenig Englisch (A1-Niveau). Die Familie (Mutter, Bruder und Großvater) des Beschwerdeführers lebt nach wie vor im Heimatort von diesem. Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer noch viele Onkel, Tanten und CousInnen im Bundesstaat Punjab. Er ist in seinem Herkunftsstaat strafrechtlich unbescholten.
Der Beschwerdeführer reiste am XXXX in das Bundesgebiet ein.
1.3 Zu seinen Fluchtgründen
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aus einem der von ihm genannten Gründe – konkret wegen der Verfolgung durch die indische Polizei oder sonstige indische Behörden aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Sikh oder seines Eintretens für einen unabhängigen Staat „Khalistan“ – seinen Herkunftsstaat verlassen hat oder ihm aus diesen Gründen im Fall seiner Rückkehr eine Gefahr oder Verfolgung drohen würde.
Es kann zudem nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Indien in seinem Recht auf Leben gefährdet wird, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wird oder eine Rückkehr nach Indien für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde.
Im Fall seiner Rückkehr nach Indien verfügt der Beschwerdeführer zudem über die Möglichkeit, außerhalb seiner Heimatstadt zu leben und einer Beschäftigung nachzugehen.
1.4 Zum Privat- und Familienleben in Österreich
In Österreich ist der BF unbescholten. Er verfügt über keine Deutschkenntnisse und war bisher im Bundesgebiet nicht erwerbstätig. Er bezieht derzeit keine Leistungen aus der Grundversorgung; diese bezog er bis zum XXXX . Es können keine Anhaltspunkte für die Annahme einer außergewöhnlichen Integration des BF in Österreich in sprachlicher, sozialer oder beruflicher Hinsicht festgestellt werden.
1.5. COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In O?sterreich gibt es laut Johns Hopkins University mit Stand 07.07.2020, 17:30 Uhr, 18.412 besta?tigte Fa?lle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen mit 706 Todesfa?llen und 16.686 Genesenen; in Indien wurden zu diesem Zeitpunkt 719.664 Fa?lle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei 20.159 diesbezu?gliche Todesfa?lle besta?tigt wurden und bereits 439.934 Personen Genesen sind. (coronavirus.jhu.edu/map.html).
Häufige Anzeichen einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus sind u. a. Fieber, Husten, Kurzatmigkeit und Atembeschwerden. Es kann auch zu Durchfall und Erbrechen kommen. In schwereren Fällen kann die Infektion eine Lungenentzündung, ein schweres akutes Atemwegssyndrom, Nierenversagen und sogar den Tod verursachen. Es gibt auch milde Verlaufsformen (Symptome einer Erkältung) und Infektionen ohne Symptome (vgl. https://www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/, Stand 12.04.2020).
Die Wahrscheinlichkeit von schweren Erkrankungen und Todesfa?llen steigt bei Personen u?ber 65 Jahren und bei Personen mit definierten Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislauf- Erkrankungen, chronischen Atemwegserkrankungen, geschwa?chten Immunstatus, Krebs und Fettleibigkeit deutlich an. Diese Risikogruppen sind bis heute fu?r die Mehrheit der schweren Erkrankungen und Todesfa?lle verantwortlich. Nach der Infektion gibt es aktuell (noch) keine spezifische Behandlung fu?r COVID-19, jedoch kann eine fru?hzeitige unterstu?tzende Therapie, sofern die Gesundheitsfu?rsorge dazu in der Lage ist, die Ergebnisse verbessern. Zusammenfassend la?sst sich sagen, dass der Krankheitsverlauf des COVID-19, sofern es durch das Coronavirus ausgelo?st wurde, fu?r die Allgemeinbevo?lkerung als mild bis moderat, fu?r a?ltere Menschen mit definierten Risikofaktoren jedoch als gravierend bis to?dlich eingescha?tzt wird (s. www.who.int/health topics/coronavirus).
1.6. Zur Lage im Herkunftsstaat:
1. Politische Lage
Indien ist mit über 1,3 Milliarden Menschen und einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt (CIA Factbook 23.1.2019; vgl. AA 18.9.2018). Die Zentralregierung hat im indischen Föderalsystem deutlich größere Kompetenzen als die Regierungen der Bundesstaaten. Indien verfügt über 29 Bundesstaaten und sechs Unionsterritorien (AA 11.2018a). Im Einklang mit der Verfassung haben die Bundesstaaten und Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 20.4.2018). Die Hauptstadt New Delhi hat einen besonderen Rechtsstatus (AA 11.2018a).
Die Gewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung entspricht britischem Muster (AA 18.9.2018), der Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist durchgesetzt (AA 11.2018a). Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit, die über einen dreistufigen Instanzenzug verfügt, ist verfassungsmäßig garantiert (AA 18.9.2018). Das oberste Gericht (Supreme Court) in New Delhi steht an der Spitze der Judikative und wird gefolgt von den High Courts auf Länderebene (GIZ 3.2018a). Die Pressefreiheit ist von der Verfassung verbürgt, jedoch immer wieder Anfechtungen ausgesetzt (AA 9.2018a). Indien hat zudem eine lebendige Zivilgesellschaft (AA 11.2018a).
Indien ist eine parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 20.4.2018). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Bundesstaatsebene (AA 18.9.2018).
Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister Leiter der Regierung ist (USDOS 20.4.2018). Das Präsidentenamt bringt vor allem repräsentative Aufgaben mit sich, im Krisenfall verfügt der Präsident aber über weitreichende Befugnisse. Seit Juli 2017 ist Präsident Ram Nath Kovind indisches Staatsoberhaupt (AA 11.2018a). Das wichtigste Amt innerhalb der Exekutive bekleidet aber der Premierminister (GIZ 3.2018a).
Wahlen zum Unterhaus finden nach einfachem Mehrheitswahlrecht („first-past-the-post“) alle fünf Jahre statt, zuletzt im April/Mai 2014 mit knapp 830 Millionen Wahlberechtigten (AA 18.9.2018). Dabei standen sich drei große Parteienbündnisse gegenüber: Die United Progressive Alliance (UPA) unter Führung der Kongresspartei, die National Democratic Alliance (NDA) unter Führung der Bharatiya Janata Party (BJP – Indische Volkspartei) und die so genannte Dritte Front, die aus elf Regional- und Linksparteien besteht sowie die aus einem Teil der India-Against-Corruption-Bewegung hervorgegangene Aam Aadmi Party (AAP) (GIZ 3.2018a; vgl. FAZ 16.5.2014). Abgesehen von kleineren Störungen, verliefen die Wahlen korrekt und frei (AA 18.9.2018). Als deutlicher Sieger mit 336 von 543 Sitzen löste das Parteienbündnis „National Democratic Alliance“ (NDA) mit der „Bharatiya Janata Party“ (BJP) als stärkste Partei (282 Sitze) die Kongress-Partei an der Regierung ab (AA 18.9.2018). Die BJP holte sie nicht nur die absolute Mehrheit, sie ließ auch den bislang regierenden Indian National Congress (INC) weit hinter sich. Der INC kam nur noch auf 46 Sitze und erlitt die schlimmste Niederlage seit der Staatsgründung 1947. Wie es mit dem INC mit oder ohne die Familie Gandhi weitergeht, wird abzuwarten sein. Die Gewinne der Wahlen im Punjab, Goa und Manipur sowie das relativ gute Abschneiden in Gujarat sind jedenfalls Hoffnungsschimmer, dass die Zeit der Kongresspartei noch nicht vorbei ist (GIZ 13.2018a). Die Anti-Korruptionspartei (AAP), die 2013 bei der Wahl in Delhi 28 von 70 Sitzen erringen konnte, errang 2014 landesweit nur vier Sitze (GIZ 3.2018; vgl. FAZ 16.5.2014). Der BJP-Spitzenkandidat, der bisherige Ministerpräsident von Gujarat, Narendra Modi, wurde zum Premierminister gewählt und steht seither einem 26-köpfigen Kabinett (mit zusätzlichen 37 Staatsministern) vor (AA 18.9.2018).
In Indien wird im Zeitraum zwischen April und Mai 2019 wieder gewählt. Der genaue Zeitplan ist jedoch noch unklar. In den Umfragen liegt der hindu-nationalistische Premier Narendra Modi mit seiner BJP vorne (DS 1.1.2019).
Die seit 2014 im Amt befindliche neue Regierung will nicht nur den marktwirtschaftlichen Kurs fortsetzen, sondern ihn noch intensivieren, indem bürokratische Hemmnisse beseitigt und der Protektionismus verringert werden soll. Ausländische Investoren sollen verstärkt aktiv werden (GIZ 3.2018b).
Unter Premierminister Modi betreibt Indien eine aktive Außenpolitik. Der außenpolitische Kernansatz der „strategischen Autonomie“ wird zunehmend durch eine Politik „multipler Partnerschaften“ ergänzt. Wichtigstes Ziel der indischen Außenpolitik ist die Schaffung eines friedlichen und stabilen globalen Umfelds für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und als aufstrebende Gestaltungsmacht die zunehmende verantwortliche Mitgestaltung regelbasierter internationaler Ordnung (AA 11.2018b). Ein ständiger Sitz im UN-Sicherheitsrat ist dabei weiterhin ein strategisches Ziel (GIZ 3.2018a). Gleichzeitig strebt Indien eine stärkere regionale Verflechtung mit seinen Nachbarn an, wobei nicht zuletzt Alternativkonzepte zur einseitig sino-zentrisch konzipierten „Neuen Seidenstraße“ eine wichtige Rolle spielen. In der Region Südasien setzt Indien zudem zunehmend auf die Regionalorganisation BIMSTEC (Bay of Bengal Initiative for Multi-Sectoral Technical and Economic Cooperation). Indien ist Dialogpartner der südostasiatischen Staatengemeinschaft und Mitglied im „Regional Forum“ (ARF). Überdies nimmt Indien am East Asia Summit und seit 2007 auch am Asia-Europe Meeting (ASEM) teil. Die Shanghai Cooperation Organisation (SCO) hat Indien und Pakistan 2017 als Vollmitglieder aufgenommen. Der Gestaltungswille der BRICS-Staatengruppe (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) schien zuletzt abzunehmen (AA 11.2018b).
In den Beziehungen zum gleichfalls nuklear gerüsteten Nachbarn Pakistan haben sich in den Jahrzehnten seit der Unabhängigkeit wiederholt Phasen des Dialogs und der Spannungen bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzung abgelöst. Größtes Hindernis für eine Verbesserung der Beziehungen ist weiterhin das Kaschmir-Problem (AA 11.2018b).
Indien ist durch das Nuklearabkommen mit den USA ein Durchbruch gelungen. Obwohl es sich bis heute weigert, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten, bedeutet das Abkommen Zugang zu Nukleartechnologie. Ebenfalls positiv hat sich das Verhältnis Indiens zu China entwickelt. Zwar sind die strittigen Grenzfragen noch nicht geklärt, aber es wurden vertrauensbildende Maßnahmen vereinbart, um zumindest in dieser Frage keinen Konflikt mehr herauf zu beschwören. Auch ist man an einer weiteren Steigerung des bilateralen Handels interessiert, der sich binnen eines Jahrzehnts mehr als verzehnfacht hat (GIZ 3.2018a).
Die Beziehungen zu Bangladesch sind von besonderer Natur, teilen die beiden Staaten doch eine über 4.000 km lange Grenze. Indien kontrolliert die Oberläufe der wichtigsten Flüsse Bangladeschs und war historisch maßgeblich an der Entstehung Bangladeschs während seines Unabhängigkeitskrieges beteiligt. Schwierige Fragen wie Transit, Grenzverlauf, ungeregelter Grenzübertritt und Migration, Wasserverteilung und Schmuggel werden in regelmäßigen Regierungsgesprächen erörtert. Die Beziehungen des Landes zur EU sind vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht von besonderer Bedeutung. Die EU ist der größte Handels- und Investitionspartner Indiens. Der Warenhandel in beide Richtungen hat sich faktisch stetig ausgeweitet (GIZ 3.2018a).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (18.9.2018): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien
- AA - Auswärtiges Amt (11.2018a): Indien, Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/indien-node/-/206048, Zugriff 23.1.2019
- AA - Auswärtiges Amt (11.2018b): Indien, Außenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/indien-node/-/206046, Zugriff 23.1.2019
- CIA - Central Intelligence Agency (15.1.2019): The World Factbook – India, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/in.html, Zugriff 23.1.2019
- DS - Der Standard (1.1.2019): Was 2019 außenpolitisch bringt. Die US-Demokraten übernehmen die Mehrheit im Repräsentantenhaus, Großbritannien plant den Brexit – und in Indien, der größten Demokratie der Welt, sind Wahlen, https://www.derstandard.de/story/2000094950433/was-2019-aussenpolitisch-bringt, Zugriff 28.1.2019
- FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (16.5.2014): Modi ist Mann der Stunde, http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/fruehaufsteher/wahlentscheid-in-indien-modi-ist-der-mann-der-stunde-12941572.html, Zugriff 11.10.2018
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (3.2018a): Indien, https://www.liportal.de/indien/geschichte-staat/, Zugriff 23.1.2019
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmBH (3.2018b): Indien, Wirtschaftssystem und Wirtschaftspolitik, https://www.liportal.de/indien/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 23.1.2019
- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2015 – India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430388.html, Zugriff 18.10.2018
2. Sicherheitslage
Indien ist reich an Spannungen entlang von Ethnien, Religionen, Kasten und auch Lebensperspektiven, die sich oft in kommunal begrenzten Ausschreitungen entladen (GIZ 3.2018a). Terroristische Anschläge in den vergangenen Jahren (Dezember 2010 in Varanasi, Juli 2011 in Mumbai, September 2011 in New Delhi und Agra, April 2013 in Bangalore, Mai 2014 in Chennai und Dezember 2014 in Bangalore) und insbesondere die Anschläge in Mumbai im November 2008 haben die Regierung unter Druck gesetzt. Von den Anschlägen der letzten Jahre wurden nur wenige restlos aufgeklärt und die als Reaktion auf diese Vorfälle angekündigten Reformvorhaben zur Verbesserung der indischen Sicherheitsarchitektur wurden nicht konsequent umgesetzt (AA 24.4.2015). Aber auch im Rest des Landes gab es Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund. Im März 2017 platzierte eine Zelle des "Islamischen Staates" (IS) in der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh eine Bombe in einem Passagierzug. Die Terrorzelle soll laut Polizeiangaben auch einen Anschlag auf eine Kundgebung von Premierminister Modi geplant haben (BPB 12.12.2017).
Die Spannungen im Nordosten des Landes gehen genauso weiter wie die Auseinandersetzung mit den Naxaliten (GIZ 3.2018a). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der „Naxaliten“ in Frage gestellt (AA 18.9.2018).
Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 898 Todesopfer durch terrorismus-relevante Gewalt. Im Jahr 2017 wurden 803 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2018 wurden 935 Menschen durch Terrorakte getötet. Bis zum 13.1.2019 wurden 12 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 13.1.2019).
Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir, die nordöstlichen Regionen und der maoistische Gürtel. In Jharkhand und Bihar setzten sich die Angriffe von maoistischen Rebellen auf Sicherheitskräfte und Infrastruktur fort. In Punjab kam es bis zuletzt durch gewaltbereite Regierungsgegner immer wieder zu Ermordungen und Bombenanschlägen. Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten (maoistische Untergrundkämpfer) zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People’s Liberation Front etc.) einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie. Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, sondern vielmehr als „communal violence“ bezeichnet (ÖB 12.2018).
Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 18.9.2018).
Pakistan und Indien
Pakistan erkennt weder den Beitritt Jammu und Kaschmirs zur indischen Union im Jahre 1947 noch die seit dem ersten Krieg im gleichen Jahr bestehende de-facto-Aufteilung der Region auf beide Staaten an. Indien hingegen vertritt den Standpunkt, dass die Zugehörigkeit Jammu und Kaschmirs in seiner Gesamtheit zu Indien nicht zur Disposition steht (AA 11.2018b). Seit 1947 gab es bereits drei Kriege aufgrund des umstrittenen Kaschmir-Gebiets (BBC 23.1.2018).
Nach dem friedlichen Unabhängigkeitskampf gegen die britische Kolonialherrschaft zeigte bereits die blutige Teilung Britisch-Indiens, die mit einer Massenflucht, schweren Gewaltausbrüchen und Pogromen einherging, wie schwierig es sein wird, die ethnisch, religiös, sprachlich und sozioökonomisch extrem heterogene Gesellschaft in einem Nationalstaat zusammenzuhalten. Die inter-religiöse Gewalt setzte sich auch nach der Teilung zwischen Indien und Pakistan fort (BPB 12.12.2017).
Indien wirft Pakistan vor, Infiltrationen von Terroristen auf indisches Staatsgebiet zumindest zu dulden, wenn nicht zu befördern. Größere Terroranschläge in Indien in den Jahren 2001 und 2008 und ein terroristischer Angriff auf eine Militärbasis im indischen Teil Kaschmirs im September 2016 hatten die Spannungen in den bilateralen Beziehungen erheblich verschärft. Gemäß Regierungserklärung reagierte Indien auf den Anschlag, bei dem 18 indische Soldaten ums Leben kamen, mit einer begrenzten Militäroperation („surgical strike“) im pakistanisch kontrollierten Teil Kaschmirs, die sich nach indischen Angaben gegen eine bevorstehende terroristische Infiltration richtete. Immer wieder kommt es zu Schusswechseln zwischen Truppenteilen Indiens und Pakistans an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir. Indien sieht Pakistan in der Verantwortung für die terroristischen Bedrohungen an seiner Nordwestgrenze und erhöht den Druck auf den Nachbarn, um wirksame pakistanische Maßnahmen gegen den Terrorismus zu erreichen (AA 11.2018b).
Der von 2014-2015 Hoffnung gebende Dialogprozess zwischen beiden Seiten ist 2016 zum Stillstand gekommen. Aktuell sind die Beziehungen auf sehr niedrigem Niveau stabil (AA 11.2018b).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (18.9.2018): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien
- AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Indien
- AA - Auswärtiges Amt (11.2018b): Indien, Außenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/indien-node/-/206046, Zugriff 23.1.2019
- BBC - British Broadcasting Corporation (23.1.2018): India country profile – Overview, http://www.bbc.co.uk/news/world-south-asia-12557384, Zugriff 29.1.2019
- BPB - Bundeszentrale für Politische Bildung (12.12.2017): Innerstaatliche Konflikte - Indien, http://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/215390/indien, Zugriff 23.10.2018
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (3.2018a): Indien, https://www.liportal.de/indien/geschichte-staat/, Zugriff 11.10.2018
- ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (12.2018): Asylländerbericht Indien - Arbeitsversion
- SATP - South Asia Terrorism Portal (13.1.2019): Data Sheet - India Fatalities: 1994-2019, http://www.satp.org/satporgtp/countries/india/database/indiafatalities.htm, Zugriff 23.1.2019
2.1. Regionale Problemzone Jammu und Kaschmir
Jammu und Kaschmir sind weiterhin stark militarisiert und am stärksten von Terrorismus betroffen (BPB 20.11.2017; vgl. USDOS 9.2018). Separatistische und dschihadistische Kämpfer führen weiterhin eine anhaltende Erhebung gegen die Regierung aus (FH 27.1.2018). Militante Gruppen in Jammu und Kaschmir kämpfen weiterhin gegen Sicherheitskräfte, kaschmirische Einrichtungen und lokale Politiker, die sie für „Statthalter” und „Kollaborateure” der indischen Zentralregierung halten. Überläufer zur Regierungsseite und deren Familien werden besonders grausam „bestraft“. Die Zahl der als terroristisch eingestuften Vorfälle in Jammu und Kaschmir hat nach einem rückläufigen Trend im Jahr 2015 in den Jahren 2016 und 2017 zugenommen (AA 18.9.2018).
In Indien bleibt das zentrale Ziel islamistischer Fundamentalisten die Abspaltung Kaschmirs. Im Einklang mit der Dschihad-Ideologie sehen sich viele islamistische Gruppierungen zudem im Krieg gegen alle Ungläubigen und streben die gewaltsame Islamisierung des gesamten Subkontinents an. Befördert wird der Konflikt durch die anhaltende wirtschaftliche Benachteiligung und Diskriminierung vieler Muslime (BPB 12.12.2017).
Im Juni 2018 prangerte das UN-Menschenrechtsbüro die Situation in Kaschmir an. Durch übermäßige Gewaltanwendung der indischen Sicherheitskräfte wurden im Zeitraum zwischen Juli 2016 und April 2018 zahlreiche Zi