TE Vwgh Beschluss 2020/9/1 Ra 2020/20/0239

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Veröffentlicht am 01.09.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §6
AsylG 2005 §6 Abs1 Z4
AsylG 2005 §7 Abs1
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1
AsylG 2005 §7 Abs4
BFA-VG 2014 §21 Abs7
BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §52
FrPolG 2005 §53
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Mag. Eder und Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, in der Rechtssache der Revision des M K, vertreten durch Dr. Michael Drexler, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hörlgasse 4/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. April 2020, G310 1419177-3/2E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Dem Revisionswerber, einem Staatsangehöriger von Bosnien-Herzegowina, kam auf Grund eines Bescheides des Bundesministers für Inneres vom 20. Dezember 1994 der Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Asylgesetz 1991 zu.

2        Mit Bescheid vom 28. Jänner 2019 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Revisionswerber diesen Status gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab und stellte gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 fest, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig erkannte es dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu (Spruchpunkt II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), traf eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass seine Abschiebung nach Bosnien-Herzegowina zulässig sei (Spruchpunkt V.), erließ ein Einreiseverbot (Spruchpunkt VI.) und setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt VII.).

3        Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 30. April 2020 (unter Festlegung der Dauer des Einreiseverbotes für einen Zeitraum von zehn Jahren) - ohne Durchführung einer Verhandlung - ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

6        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7        Hinsichtlich der zur Zulässigkeit der Revision geltend gemachten Verletzung der Verhandlungspflicht ist festzuhalten, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum auch hier maßgeblichen § 21 Abs. 7 erster Fall BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) ein Absehen von der mündlichen Verhandlung dann gerechtfertigt ist, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018).

8        Pauschale, nicht näher - insbesondere nicht durch Bezugnahme auf bestimmte Entscheidungen - konkretisierte Behauptungen, das Gericht sei von der Rechtsprechungdes Verwaltungsgerichtshofes (hier: zur Verhandlungspflicht) abgewichen, reichen nicht aus, um das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung darzulegen (vgl. VwGH 17.12.2019, Ra 2019/04/0118). Mit der bloßen Bezugnahme auf ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes übersieht die Revision, dass ein (behauptetes) Abweichen von Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes schon aufgrund des eindeutigen Gesetzeswortlautes des Art. 133 Abs. 4 B-VG keine Zulässigkeit der Revision zu begründen vermag (vgl. VwGH 23.4.2020, Ra 2019/01/0309).

9        Soweit die Revision ihre Zulässigkeit damit begründet, das BVwG hätte eine „fallbezogene Prüfung vorzunehmen und die Tatumstände zu berücksichtigen gehabt“, bezieht sie sich dazu ausschließlich auf einen mit „18.11.2019/18/0418“ zitierten Beschluss (gemeint wohl VwGH 18.11.2019, Ra 2019/18/0418), mit dem eine Revision wegen Nichtvorliegen einer Rechtsfrage im Sinne von Art. 133 Abs. 4 B-VG zurückgewiesen wurde. Eine Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist damit nicht dargetan. Auch mit dem weiteren auf die gebotene Gefährdungsprognose bezogenen Vorbringen wird eine Rechtsfrage im Sinne von Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht aufgezeigt, weil das BVwG - entgegen den Ausführungen der Revision - nicht bloß auf die Verurteilung(en) an sich abgestellt, sondern - nachdem es im Einklang mit der Rechtsprechung das im Fall des Revisionswerbers festgestellte Verbrechen des Suchtgifthandels als besonders schweres Verbrechen qualifiziert hat (vgl. VwGH 15.4.2020, Ra 2020/19/0003, Rn. 15) - eine Zukunftsprognose vorgenommen und dabei insbesondere berücksichtigt hat, dass der Revisionswerber trotz einer einschlägigen und acht weiteren Vorstrafen sowie mehrfach verbüßter Haftstrafen innerhalb der Probezeit neuerlich straffällig geworden ist.

10       Die bei der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel. Das hat sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose bzw. für die Bemessung der Dauer eines Einreiseverbots Geltung (vgl. VwGH 7.5.2019, Ra 2019/14/0171 bis 0174, mwN). Gleiches gilt für die im Zusammenhang mit einer Beurteilung nach § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 vorzunehmende Gefährdungsprognose (vgl. VwGH 5.4.2018, Ra 2017/19/0531, mwN). Dass das BVwG im Lichte dieses Prüfungskalküls die Gefährdungsprognose unvertretbar vorgenommen hätte, zeigt das Zulässigkeitsvorbringen nicht auf.

11       Die Revision behauptet ihre Zulässigkeit weiters unter dem Gesichtspunkt einer Abweichung von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Prüfung der „Rückkehrgefährdung“ (gemeint wohl: im Rahmen der Prüfung eines Asylausschlussgrundes nach § 6 AsylG 2005) und führt dazu zwei Erkenntnisse ins Treffen (VwGH 27.4.2006, 2003/20/0050 und 23.9.2009, 2006/01/0626). Eine Abweichung von der Rechtsprechung erblickt der Revisionswerber darin, dass das BVwG diverse Umstände nicht berücksichtigt habe (wie etwa, dass er „Freigänger“ sei, einer Erwerbstätigkeit nachgehe, schwer erkrankt sei und Familienangehörige sowie eine Lebensgefährtin in Österreich habe), die jedoch für sich genommen keinen Zusammenhang mit der nach den zitierten Entscheidungen relevanten Frage der „Rückkehrgefährdung“ im Herkunftsland aufweisen. Das vom Revisionswerber zitierte Erkenntnis vom 23. September 2009, 2006/01/0626, betraf die Abweisung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates, mit dem dieser einen Bescheid des Bundesasylamtes behob, weil dieses bei einer auf § 6 AsylG 2005 gestützten Abweisung eines Asylantrages nicht geprüft habe, ob - unabhängig von einem allfälligen Asylausschlussgrund nach § 6 AsylG 2005 - einer Abschiebung des Antragstellers in seinen Herkunftsstaat Art. 3 EMRK entgegenstehe. Inwiefern das angefochtene Erkenntnis des BVwG, das auch eine Prüfung der Voraussetzungen der Zuerkennung von subsidiärem Schutz vornahm, von diesem Erkenntnis (oder vom Erkenntnis VwGH 27.4.2006, 2003/20/0050) abweicht, zeigt die Revision mit dem bloßen Zitat der angeführten Entscheidung(en) und der pauschalen Anführung von einzelnen Umständen nicht auf (vgl. auch VwGH 18.10.2018, Ra 2017/19/0109).

12       Soweit die Revision unter Bezugnahme auf (nicht näher genannte) Rechtsprechung ihre Zulässigkeit in Bezug auf den Spruchpunkt II. des Bescheides des BFA (mit dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt wurde) behauptet, unterlässt sie es, Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes anzuführen, von der das BVwG in diesem Punkt abgewichen sein soll. Ein Revisionswerber zeigt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf, wenn er nicht konkret darlegt, dass der der angefochtenen Entscheidung zu Grunde liegende Sachverhalt einem der von ihm ins Treffen geführten Erkenntnisse gleicht, das Verwaltungsgericht im gegenständlichen Fall dennoch anders entschieden hätte und damit von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wäre (vgl. VwGH 18.05.2016, Ra 2016/20/0072). Mit dem pauschalen Vorbringen, die angefochtene Entscheidung weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, wird eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung sohin schon deshalb nicht aufgeworfen, weil im Zulässigkeitsvorbringen nicht konkret angegeben wird, von welcher höchstgerichtlichen Rechtsprechung und inwiefern das angefochtene Erkenntnis von dieser abweichen soll (vgl. VwGH 4.4.2019, Ra 2019/01/0052).

13       Die Revision formuliert darüber hinaus eine Rechtsfrage, ohne näher auszuführen, inwiefern es sich dabei um eine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG handle („Ist bei Aberkennung des Asylstatus nach § 7 AsylG die Frage der Bewilligung des subsidiären Schutzes nicht nach dem selben Maßstab, der bei der ursprünglichen Erteilung des Asylstatus angewendet wurde, zu beurteilen, dies infolge der Tatsache, dass eine schwere Erkrankung vorliegt, die im ehemaligen Heimatland kaum behandelbar ist, und ich bei Abschiebung ... mangels ausreichender medizinischer Versorgung im Heimatland dem sicheren Tod nahe bin ...“).

14       Mit dem bloßen Zulässigkeitsvorbringen, es seien näher bezeichnete Rechtsfragen zu lösen, wird nicht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG dargetan, dass das angefochtene Erkenntnis des Verwaltungsgerichts von der (konkret zu bezeichnenden) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht bzw. eine solche Rechtsprechung fehlt (vgl. VwGH 29.6.2017, Ra 2017/04/0047).

15       Versteht man das erwähnte Zulässigkeitsvorbringen dahin, dass Rechtsprechung zum Prüfungsmaßstab bei der Entscheidung über die Zuerkennung von subsidiären Schutz fehle, ist der Revision entgegenzuhalten, dass das Fehlen derartiger Rechtsprechung nicht ersichtlich ist und ein Abweichen hievon nicht aufgezeigt wurde.

16       Soweit die Revision ihre Zulässigkeit schließlich darauf stützt, dass „in der Judikatur nicht beantwortet sei, ob bei Aberkennung des Asylstatus nach § 7 Abs. 1 [hier gemeint wohl: Z 1] ... AsylG [2005] es faktisch und tatsächlich unmöglich ist, einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erhalten“, worin die Revision (unter näherer Darstellung einzelner Aspekte des vorliegenden Sachverhalts) einen „Tatbestände-Widerspruch“ erblickt und anregt, „die Beschwerde ... an den Verfassungsgerichtshof abzutreten“, ist ihr zum Einen entgegenzuhalten, dass die Aberkennung nach dem genannten Tatbestand eine Feststellung der Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung nach § 9 BFA-VG und die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 nicht von vornherein ausschließt (vgl. zB VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0238; vgl. im Übrigen zum Nichtvorliegen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung bei klarer und eindeutiger Rechtslage VwGH 15.5.2019, Ro 2019/01/0006; 27.8.2019, Ra 2018/08/0188), und zum Anderen, dass die Zulässigkeit einer Revision vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht mit der Behauptung der Verfassungswidrigkeit genereller Normen begründet werden kann (vgl. VwGH 2.3.2016, Ra 2015/20/0146).

17       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 1. September 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200239.L00

Im RIS seit

02.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

02.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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