TE Vwgh Beschluss 2020/9/3 Ra 2020/14/0398

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Veröffentlicht am 03.09.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, in der Revisionssache des A B, vertreten durch Dr. Gerhard Koller, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Friedrich-Schmidt-Platz 7, gegen das am 19. Dezember 2019 mündlich verkündete und am 15. Juli 2020 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, W112 1417415-3/34E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber ist - nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts im angefochtenen Erkenntnis - ein Staatsangehöriger Georgiens und stellte am 30. Oktober 2010 unter der von ihm behaupteten russischen Identität einen ersten Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005.

2        Dieser Antrag wurde im Instanzenzug mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 1. Februar 2013 abgewiesen, und der Revisionswerber wurde in die Russische Föderation ausgewiesen.

3        In der Folge begab sich der Revisionswerber am 16. März 2013 nach Deutschland und stellte dort weitere Asylanträge. Schließlich reiste er am 5. November 2014 aus Deutschland erneut in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er am 6. November 2014 einen Folgeantrag auf internationalen Schutz stellte. Im Zuge dieses Verfahrens gab er an, im Jahr 2013 in die Russische Föderation freiwillig zurückgereist, beim Grenzübertritt jedoch verschleppt, inhaftiert, gefoltert und schließlich für den Kampf in der Ukraine zwangsrekrutiert worden zu sein.

4        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag auf internationalen Schutz vom 6. November 2014 mit Bescheid vom 7. Mai 2018 im zweiten Rechtsgang ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise setzte die Behörde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

5        Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis mit der Maßgabe, dass der Antrag auf internationalen Schutz vom 6. November 2014 wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG zurückzuweisen ist, als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6        Begründend stellte das BVwG unter anderem fest, dass der Revisionswerber das Gebiet der Europäischen Union seit Oktober 2010 nicht mehr verlassen habe. Im Jahr 2013 sei er nicht in die Russische Föderation zurückgekehrt, sondern von Deutschland nach Dänemark weitergereist, um sich dort zu verstecken. Er stütze sich auf die bereits im ersten Verfahren beurteilten Fluchtgründe, seinem Vorbringen zu seither erfahrenen Verfolgungshandlungen fehle es an einem glaubhaften Kern.

7        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

9        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10       Zu ihrer Zulässigkeit bringt die Revision vor, das BVwG wäre verpflichtet gewesen, ausreichend zu würdigen, dass der gegenständliche Antrag im Jahr 2014 gestellt worden sei und das Verfahren insgesamt sechs Jahre gedauert habe. Der jahrelange Verfahrensstillstand sei nicht vom Revisionswerber verschuldet worden. Die Außerachtlassung dieses Umstandes widerspreche der Judikatur. Zudem sei der Revisionswerber im Jahr 2010 in das Bundesgebiet eingereist, weshalb eine aufenthaltsbeendende Maßnahme aufgrund des langen Aufenthalts in Österreich unverhältnismäßig sei. Eine nicht so intensive Integration sei nach so langer Zeit nicht schädlich. Das BVwG habe es unterlassen, diese Tatsachen vollständig festzustellen und ausreichend zu würdigen. Darüber hinaus sei das BVwG von der Judikatur abgewichen, weil es sich nicht ausreichend mit den aktuellen Länderberichten befasst und die Entscheidung lediglich auf die Länderfeststellungen vom September 2019 gestützt habe. Dem Revisionswerber drohe bei der Rückkehr eine unbegründete Inhaftierung und Zwangsrekrutierung. Auch fehle eine Auseinandersetzung mit „aktuellen UNHCR-Berichten“. Schließlich habe das BVwG nicht berücksichtigt, dass der Revisionswerber im Jahr 2013 bereits freiwillig ausgereist und im Zuge dessen in die Ukraine verbracht und zwangsrekrutiert worden sei. Der Revisionswerber sei sohin einer grundlosen Inhaftierung, welche eine asylrelevante Verfolgung darstelle, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgesetzt.

11       Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:

12       Soweit sich der Revisionswerber - mit dem Hinweis auf die Verfahrensdauer und seinen langjährigen Aufenthalt im Inland - gegen die Erlassung der Rückkehrentscheidung wendet, ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG ist. Die durch das BVwG in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK ist nur dann vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifen, wenn das BVwG die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet hat und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat (vgl. VwGH 29.5.2020, Ra 2020/14/0191, mwN). Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. wiederum VwGH 29.5.2020, Ra 2020/14/0191, mwN).

13       Es ist weiters ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden - der jedoch im vorliegenden Revisionsfall schon im Hinblick auf den Zeitraum von 16. März 2013 bis 5. November 2014, in dem der Revisionswerber nicht im Bundesgebiet aufhältig war, deutlich unterschritten wird - regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen sei. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (vgl. VwGH 4.2.2020, Ra 2020/14/0026; 6.5.2020, Ra 2020/20/0093; jeweils mwN).

14       Entgegen dem Revisionsvorbringen berücksichtigte das BVwG im Rahmen einer ausführlich und sorgfältig begründeten Interessenabwägung alle fallbezogen entscheidungswesentlichen Umstände. Dabei nahm es - neben den nur geringfügigen Integrationserfolgen und einer strafrechtlichen Verurteilung des Revisionswerbers wegen § 83 Abs. 1, § 84 Abs. 4 StGB - auch ausdrücklich auf die von der Revision angesprochene Verfahrensdauer Bedacht. Der Revision gelingt es nicht, aufzuzeigen, dass das BVwG bei seinen im Rahmen der Interessenabwägung vorgenommenen Erwägungen die in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien nicht beachtet oder in unvertretbarer Weise zur Anwendung gebracht hätte. Zutreffend hat das BVwG im Besonderen auch auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen, wonach bei der Gewichtung der für den Fremden sprechenden Umstände im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend einzubeziehen ist, dass er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. VwGH 15.5.2020, Ra 2020/14/0169, mwN).

15       Soweit die Revision mit dem weiteren Vorbringen Feststellungs- und Ermittlungsmängel rügt, macht sie Verfahrensmängel geltend. Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensmangels als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 7.7.2020, Ra 2020/14/0147, mwN). Dieser Anforderung wird die Revision, die sich insoweit auf die Behauptung von Verfahrensfehlern beschränkt, nicht gerecht.

16       Soweit der Revisionswerber sein Vorbringen schließlich darauf stützt, dass er im Jahr 2013 im Zuge seiner freiwilligen Ausreise in die Ukraine verbracht und dort zwangsrekrutiert worden sei, ist er auf die Feststellungen des BVwG zu verweisen, wonach er - entgegen seinen Angaben - seit Oktober 2010 das Gebiet der Europäischen Union nicht verlassen habe. Ausgangspunkt der Prüfung, ob eine grundsätzliche Rechtsfrage vorliegt, ist der festgestellte Sachverhalt. Entfernt sich der Revisionswerber in der Zulässigkeitsbegründung vom festgestellten Sachverhalt, wird schon deshalb keine fallbezogene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt (vgl. VwGH 15.5.2020, Ra 2020/14/0176, mwN).

17       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 3. September 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020140398.L00

Im RIS seit

02.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

02.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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