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19/05 MenschenrechteNorm
AsylG 2005 §11Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, in der Rechtssache der Revision des J K S in L, vertreten durch Dr. Eva Jana Messerschmidt, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Salztorgasse 2/6, Einvernehmensrechtsanwalt gemäß § 14 EIRAG: Dr. Christian Schmaus, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Chwallagasse 4/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. März 2020, W255 1430976-2/18E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, stellte am 22. Mai 2012 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
2 Diesem Antrag wurde im Instanzenzug, soweit es das Begehren auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten betraf, keine Folge gegeben. Jedoch erkannte das Bundesverwaltungsgericht dem Revisionswerber mit Erkenntnis vom 23. Februar 2015 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung mit Gültigkeit bis zum 23. Februar 2016. Die Gültigkeit dieser Aufenthaltsberechtigung wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl über Antrag des Revisionswerbers mit Bescheid vom 19. Jänner 2016 bis zum 23. Februar 2018 verlängert. Im Jänner 2018 (und gleichlautend im März 2018) stellte der Revisionswerber einen weiteren Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung.
3 Der Revisionswerber wurde in Österreich straffällig. Er wurde im November 2015 vom Landesgericht Linz wegen falscher Zeugenaussage rechtskräftig zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt, weil er durch die falsche Aussage versucht hatte, einen Freund vor der Strafverfolgung wegen Suchtgifthandels zu schützen. Weiters verurteilte ihn das Landesgericht Linz im November 2018 rechtskräftig wegen Beitragstäterschaft zum in einer die Grenzmenge das 25-fache übersteigenden Menge erfolgten Suchtgifthandel, weil der Revisionswerber seine Wohnung und das zugehörige Kellerabteil einem Dritten über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr als „Suchtgiftbunker“ zur Verfügung gestellte hatte, sowie wegen des Erwerbs, des Besitzes und der Überlassung von Suchtgift zu einer Freiheitsstrafe von 16 Monaten.
4 Mit Bescheid vom 14. Juni 2019 sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass dem Revisionswerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt, die befristete Aufenthaltsberechtigung entzogen und sein Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung abgewiesen, ihm kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen sowie festgestellt werde, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Weiters legte die Behörde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
5 Die dagegen eingebrachte Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung mit dem Erkenntnis vom 30. März 2020 als unbegründet ab. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
6 Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis an ihn erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom 12. Juni 2020, E 1525/2020-5, ab und trat diese über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 6. Juli 2020, E 1525/2020-8, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten Umstände herangezogen habe, die bereits vor der Zuerkennung bekannt gewesen seien. Zudem handle es sich um Tatsachen, die schon bei der Entscheidung über die Zuerkennung von subsidiären Schutz berücksichtigt worden seien, weshalb lediglich ein bereits bekannter Sachverhalt neu gewürdigt worden sei. Das Bundesverwaltungsgericht habe zudem außer Acht gelassen, dass sich infolge der aufgrund der COVID-19-Pandemie in Afghanistan verhängten „Lockdown-Maßnahmen“ die Situation von Rückkehrern verschärft habe.
11 Die Heranziehung des zweiten Tatbestandes des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 setzt voraus, dass sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 (die nur im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung erteilt werden darf) geändert hat.
12 Der Wegfall der Notwendigkeit, auf den Schutz eines anderen Staates angewiesen zu sein, kann sich dabei auch als Ergebnis unterschiedlicher Entwicklungen von Ereignissen, die sowohl in der Person des Fremden als auch in der in seinem Heimatland gegebenen Situation gelegen sind, darstellen.
13 Bei Hinzutreten neuer Umstände (nach der Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung) dürfen im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbeurteilung alle für die Entscheidung maßgeblichen Elemente einbezogen werden, selbst wenn sie sich vor der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ereignet haben. Bei einer Beurteilung nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 sind daher nicht isoliert nur jene Sachverhaltsänderungen zu berücksichtigen, die zeitlich nach der zuletzt erfolgten Bewilligung der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung eingetreten sind (vgl. zum Ganzen VwGH 18.3.2020, Ra 2019/20/0590, mwN)
14 Das Bundesverwaltungsgericht stellte diverse in der Person des Revisionswerbers gelegene Entwicklungen, die erst nach Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten sowie der zuletzt erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung bekannt geworden und eingetreten sind, fest. Das Vorbringen des Revisionswerbers, das Bundesverwaltungsgericht hätte allein nur jenen Sachverhalt, der zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten geführt habe, einer neuen rechtlichen Beurteilung unterzogen, stellt sich am Boden des Inhalts der angefochtenen Entscheidung als unzutreffend dar. Von daher ist dem weiteren - auf der eigenen unrichtigen Prämisse aufbauenden - Revisionsvorbringen der Boden entzogen.
15 Soweit der Revisionswerber unzureichende Ermittlungen zur Situation im Heimatland wegen der COVID-19-Pandemie behauptet, macht er einen Verfahrensmangel geltend. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes reicht es jedoch nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der genannten Verfahrensmängel darzulegen. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 8.7.2020, Ra 2020/14/0292, mwN). Ein substantiiertes Vorbringen zum erwähnten und vom Revisionswerber bloß kursorisch angesprochenen Thema ist der Revision allerdings nicht zu entnehmen.
16 Das Bundesverwaltungsgericht traf (in seiner mit 30. März 2020 datierten und nach der Aktenlage am 1. April 2020 erlassenen Entscheidung) Feststellungen zur Anzahl der (bis zum 30. März 2020) in Afghanistan mit dem SARS-CoV-2 infizierten Personen (120) und zu den auf eine Erkrankung an Covid-19 zurückzuführenden Todesfällen (vier) sowie zum Verlauf einer solchen Erkrankung und zu den Risikogruppen, bei denen am häufigsten schwere Krankheitsverläufe auftreten könnten. Weiters hielt es mit näherer Begründung fest, dass der Revisionswerber zu keiner dieser Risikogruppen zu zählen sei.
17 Die Revision, die den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts - auch in Bezug auf die Versorgungslage in Afghanistan allgemein und im Besonderen in den vom Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung näher als innerstaatliche Fluchtalternative geprüften Städten Mazar-e Sharif und Herat - nicht konkret entgegentritt, legt weder dar, dass solche exzeptionellen Umstände vorlägen, die eine Verletzung der nach Art. 3 EMRK garantierten Rechte des Revisionswerbers darstellten, noch dass dem jungen, gesunden, arbeitsfähigen und alleinstehenden Revisionswerber - ungeachtet einer schwierigen wirtschaftlichen Lage - eine Ansiedlung in den genannten Städten unter Berücksichtigung der dortigen aktuellen Lage sowie der geänderten persönlichen Umstände auch weiterhin nicht zumutbar wäre. In der Revision wird auch nicht fallbezogen und konkret den Revisionswerber betreffend aufgezeigt, welche ergänzenden Feststellungen zu der für ihn mit Blick auf die COVID-19-Pandemie zu erwartenden Situation in den vom Bundesverwaltungsgericht als innerstaatliche Fluchtalternativen herangezogenen afghanischen Städten zu treffen gewesen wären.
18 Der Revisionswerber macht mit seinem (pauschal gehaltenen) Vorbringen der Sache nach lediglich geltend, dass sich für ihn infolge der seitens afghanischer Behörden zur Verhinderung der Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus gesetzten Maßnahmen die Wiedereingliederung im Heimatland wegen schlechterer wirtschaftlicher Aussichten schwieriger als vor Beginn dieser Maßnahmen darstelle. Dem ist entgegenzuhalten, dass es darauf bei der Frage, ob im Fall seiner Rückführung eine Verletzung des Art. 3 EMRK zu gewärtigen ist, nicht ankommt, solange diese Maßnahmen nicht dazu führen, dass die Sicherung der Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz als nicht mehr gegeben anzunehmen wäre (vgl. VwGH 3.7.2020, Ra 2020/14/0255, mwN). Das gilt sinngemäß auch für die Frage der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative (vgl. VwGH 2.7.2020, Ra 2020/20/0212, mwN).
19 Soweit sich der Revisionswerber gegen die Erlassung eines Einreiseverbotes wendet, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach die bei der Erlassung eines Einreiseverbotes unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Gefährdungsprognose und Interessenabwägung im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgten und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurden - nicht revisibel sind (vgl. VwGH 5.5.2020, Ra 2019/19/0528, mwN). Das gilt auch für die im Einzelfall erfolgte Festlegung der Dauer eines Einreiseverbots (vgl. VwGH 29.5.2018, Ra 2018/20/0259, mwN).
20 Die in der Revision angeführten Umstände sind angesichts der vom Revisionswerber - zum Teil über einen langen Zeitraum hinweg - begangenen Straftaten nicht geeignet, darzutun, dass dem Bundesverwaltungsgericht, das im Besonderen auch die Art und Schwere der Straftaten festgestellt und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild des Revisionswerbers abgestellt hat, bei seiner Beurteilung ein vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifender Fehler unterlaufen wäre.
21 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 7. September 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200298.L00Im RIS seit
02.11.2020Zuletzt aktualisiert am
02.11.2020