TE Vwgh Beschluss 2020/9/9 Ra 2019/22/0070

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Veröffentlicht am 09.09.2020
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E6J
001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AVG §56
B-VG Art133 Abs4
EURallg
NAG 2005 §2 Abs1 Z9
NAG 2005 §46 Abs1 Z2
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §17
VwRallg
62019CJ0133 Belgischer Staat VORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache des Landeshauptmannes von Wien (als belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht) gegen die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtes Wien jeweils vom 16. Jänner 2019, 1. VGW-151/084/8476/2018-13 (betreffend die Erstmitbeteiligte), 2. VGW-151/084/8477/2018 (betreffend den Zweitmitbeteiligten), 3. VGW-151/084/8478/2018 (betreffend den Drittmitbeteiligten) und 4. VGW-151/084/8479/2018 (betreffend den Viertmitbeteiligten), jeweils betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Parteien: 1. M K C T, 2. M K C T, 3. D K C T und 4. K K C T, alle vertreten durch Mag. Andreas Lepschi, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Währinger Straße 26/1/3), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Bund hat dem Viertmitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Die mitbeteiligten Parteien, alle nepalesische Staatsangehörige, die Zweit- bis Viertmitbeteiligten sind die Kinder der Erstmitbeteiligten, stellten am 10. Jänner 2017 bzw. am 10. Oktober 2017 bei der österreichischen Vertretungsbehörde in Neu Delhi jeweils einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) zur Familienzusammenführung mit ihrem in Österreich lebenden, daueraufenthaltsberechtigten Ehegatten bzw. Vater.

2        Mit Bescheiden vom 9. Mai 2018 wies der Landeshauptmann von Wien (belangte Behörde) die Anträge der mitbeteiligten Parteien gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 in Verbindung mit Abs. 5 NAG mangels ausreichender finanzieller Mittel ab. Auch die Interessenabwägung nach § 11 Abs. 3 NAG in Verbindung mit Art. 8 EMRK führe nicht zur Erteilung des jeweils beantragten Aufenthaltstitels.

3        Mit den angefochtenen Erkenntnissen vom 16. Jänner 2019 gab das Verwaltungsgericht Wien - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - den dagegen erhobenen Beschwerden statt, hob die Bescheide auf und erteilte den mitbeteiligten Parteien gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 NAG jeweils den beantragten Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ für die Dauer von zwölf Monaten. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es für unzulässig.

Das Verwaltungsgericht führte begründend im Wesentlichen aus, der Zusammenführende verfüge über ein (aus einer unselbständigen und zwei selbständigen Erwerbstätigkeiten resultierendes) durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen in Höhe von € 2.407,21 (unter Berücksichtigung der Sonderzahlungen aus der unselbständigen Tätigkeit). Nach Abzug der monatlichen Mietkosten in Höhe von € 690,-- und der monatlichen Kreditraten in Höhe von € 179,39 unter Berücksichtigung des Wertes der freien Station (€ 294,65) verbleibe der Familie ein Betrag in Höhe von € 1.832,47 netto zur freien Verfügung, welcher über dem maßgeblichen Richtsatz für ein Ehepaar und drei Kinder nach dem ASVG (€ 1.830,88) liege.

Betreffend den im Zuge des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens volljährig gewordenen Viertmitbeteiligten verwies das Verwaltungsgericht auf das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom 12. April 2018, C-550/16, sowie das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Mai 2018, Ra 2017/19/0609. Auf Grundlage dieser Entscheidungen sei der Viertmitbeteiligte ungeachtet der am 27. September 2018 eingetretenen Volljährigkeit weiterhin als Familienangehöriger des Zusammenführenden zu behandeln.

Mangels Bestimmung im NAG betreffend die Heranziehung eines anderen Richtsatzes als jenes für Kinder im gemeinsamen Haushalt sei auch für den Viertmitbeteiligten der Richtsatz für Kinder heranzuziehen. Die übrigen Erteilungsvoraussetzungen seien im verwaltungsbehördlichen Verfahren bereits vorgelegen und - wie sich aus dem Verfahrensakt ergebe - weiterhin erfüllt, weshalb spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.

4        Gegen diese Erkenntnisse richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der belangten Behörde.

5        Der Viertmitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte die kostenpflichtige Zurückweisung bzw. in eventu die Abweisung der Revision.

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7        Zur Zulässigkeit der Revision hinsichtlich des den Viertmitbeteiligten betreffenden Erkenntnisses wird vorgebracht, das Verwaltungsgericht habe in Verkennung der Rechtslage - trotz der inzwischen eingetretenen Volljährigkeit und des Verlusts der Familienangehörigeneigenschaft im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG - die Erfüllung der besonderen Erteilungsvoraussetzung des § 46 Abs. 1 Z 2 NAG bejaht und dem Viertmitbeteiligten den beantragten Aufenthaltstitel erteilt.

8        Ob eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt, ist im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zu beurteilen (vgl. VwGH 30.3.2020, Ra 2019/22/0192, Rn. 9, mwN).

9        Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom heutigen Tag, Ra 2017/22/0021, auf dessen Erwägungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, ausgesprochen, dass er seine bisherige Rechtsprechung, wonach die Minderjährigkeit eines Kindes für die Bejahung der Eigenschaft als Familienangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG auch im Zeitpunkt der Entscheidung der Behörde bzw. des Verwaltungsgerichts vorliegen muss, vor dem Hintergrund des Urteils des EuGH vom 16. Juli 2020, B.M.M. et al., C-133/19, C-136/19 und C-137/19, nicht mehr aufrecht erhält und demnach bei der Beurteilung der Minderjährigkeit eines Kindes auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen ist.

10       Die vorliegend aufgeworfene Rechtsfrage wurde somit - im Sinn der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes - beantwortet. Da der Viertmitbeteiligte zum - nunmehr maßgeblichen - Antragszeitpunkt unstrittig minderjährig war, hat das Verwaltungsgericht - trotz der inzwischen eingetretenen Volljährigkeit - zu Recht das Vorliegen der besonderen Erteilungsvoraussetzung des § 46 Abs. 1 Z 2 NAG bejaht. Auf den in der Revision ebenfalls ins Treffen geführten Art. 4 Abs. 2 Buchstabe b der Richtlinie 2003/86/EG, der sich auf volljährige, unverheiratete Kinder des Zusammenführenden bezieht, kommt es im Hinblick darauf im vorliegenden Fall nicht an.

11       Weiters macht der Revisionswerber hinsichtlich aller vier angefochtenen Erkenntnisse geltend, das Verwaltungsgericht habe bei der Berechnung des monatlichen Durchschnittseinkommens des Zusammenführenden den Betrag für die quartalsweisen Sonderzahlungen falsch angesetzt und sei daher zu Unrecht zum Ergebnis gelangt, dass im vorliegenden Fall der Richtsatz für ein im gemeinsamen Haushalt lebendes Ehepaar mit drei Kindern nach dem ASVG erreicht sei. Bei richtiger Berechnung liege das durchschnittliche monatliche Nettoeinkommen unter diesem Richtsatz.

12       Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits festgehalten, dass nur ein relevanter Begründungsmangel zur Zulässigkeit einer Revision führt (vgl. VwGH 8.11.2018, Ra 2018/22/0232, Rn. 13, mwN). Hinsichtlich Begründungsmängeln ist in der Zulassungsbegründung selbst die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels für den Verfahrensausgang darzulegen (vgl. VwGH 8.10.2019, Ra 2019/22/0185, Rn. 8, mwN).

13       Soweit der Revisionswerber die Berechnung der zur Verfügung stehenden Unterhaltsmittel des Zusammenführenden und hier konkret des vom Verwaltungsgericht für die Sonderzahlungen angesetzten Betrags rügt, ist dem entgegenzuhalten, dass das Verwaltungsgericht nicht von einer quartalsweisen Sonderzahlung gesprochen hat. Ausgehend davon vermag der Revisionswerber die Relevanz des von ihm behaupteten Begründungsmangels in seinem Zulässigkeitsvorbringen nicht aufzuzeigen (vgl. zur erforderlichen Relevanzdarstellung VwGH 25.4.2019, Ra 2019/22/0038, Rn. 8, mwN).

14       Soweit der Revisionswerber noch die Heranziehung des „Kinderrichtsatzes“ für den Viertmitbeteiligten rügt und damit - im Hinblick auf die Regelung des § 252 Abs. 2 ASVG - der Sache nach ebenfalls einen Feststellungs- bzw. Begründungsmangel geltend macht, fehlt es diesem Vorbringen mangels jeglicher Substantiierung an einer entsprechenden Relevanzdarstellung im Sinn der oben dargestellten Rechtsprechung. Gleiches gilt für den Hinweis auf die als fehlend gerügten Feststellungen zum Quotenerfordernis (vgl. dazu VwGH 25.7.2019, Ra 2019/22/0090, Rn. 10, mwN).

15       Mangels Vorliegen einer Rechtsfrage, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme, war die Revision in einem nach § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

16       Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 9. September 2020

Gerichtsentscheidung

EuGH 62019CJ0133 Belgischer Staat VORAB

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Gemeinschaftsrecht Auslegung des Mitgliedstaatenrechtes EURallg2 Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019220070.L00

Im RIS seit

20.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

20.10.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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